Stärke
Mit eingeschnapptem Gesichtsausdruck saß Berlin seinem besten Freund Cölln gegenüber. Er rupfte mit den Fingern büschelweise das gelbliche Gras aus der Erde und stapelte es zu einem kleinen Häufchen neben sich.
„Ich meins ja nur. Also ich mag den Kerl nich.“, sagte Cölln achselzuckend und ließ sich rückwärts zu Boden plumpsen.
Berlin sah daraufhin auch nicht wirklich begeisterter aus. Schmollend schob er die Unterlippe vor und meinte:
„Du bist ja eh nur neidisch, weil er nich' mit dir redet.“
Cölln lachte.
„Wenn ichs wollte, dann würde der mit mir reden wien Weltmeister. Aber ich mag ihn nich', weißte ja.“
„Ausrede!“
„Nö.“, damit schien der lockige Junge alles gesagt zu haben, lässig lag er da und sah in den Himmel.
Berlin schwieg. Cölln gewann meistens ihre Wortgefechte und insgeheim bewunderte er ihn auch für seine Gelassenheit. Er blieb immer ruhig, tat was er wollte und ließ sich von keinem was sagen. Ja, Paul wollte so sein wie er. Vielleicht konnte man es ja noch einmal versuchen...
„Gilbert hat gesagt, ich komm mal ganz groß raus.“, sagte er und wollte somit das Feuer schüren.
Wieder lachte Cölln.
„Als großer Vollidiot vielleicht.“, erwiderte er, ohne auf zusehen.
„Es war sein voller ernst. Er meint, dass ich eine großartige Stadt bi-“
„Wir, Paul. Wir sind die Stadt.“, er sah noch immer nicht auf.
„Bald vielleicht nicht mehr, wenn du dich weiter von ihm fernhältst. Weil dann mag er nur mich und will nichts von dir wissen.“
Jetzt sah Cölln doch hinüber zu Berlin. Es war ein Blick, den man nicht deuten konnte, so wie fast alle Ausdrücke, die er aufsetzte. Seine Augen immer ein Stück geschlossen und den Mund als gerade Linie im Gesicht, wusste man nie was er dachte, obwohl man sah, dass viel in ihm steckte. Er hatte etwas mysteriöses an sich.
„Du kannst mich mal.“, meinte er ruhig und legte sich wieder zurück ins Gras.
Berlin schnaubte. Cölln tat immer so unendlich schlau und cool...
„Is aber so. Bald heißt es nicht mehr Berlin-Cölln, sondern nur noch Berlin. Und du bist dann n kleiner Futzi, den keiner kennt.“
Jetzt ballte Cölln die Fäuste und stand auf.
„Du solltest dich mal hörn. Genauso selbstverliebt wie dieser Gilbert. Pass auf, dass du nich' zu seinem Abbild wirst.“
„Besser, als den ganzen Tag im Gras zu hocken und nichts zu tun. Ich kämpfe lieber Schlachten, als öde mit dir am Fluss zu sitzen und Fische zu angeln. Lieber n spannendes Leben, als dieses hier!“, meinte Paul schulterzuckend.
„Du besiegst ja nichma mich!“
„Wolln wir wetten?“, Berlin stand wütend auf.
Cölln lachte amüsiert.
„Mich haste eh noch nie geschlagen. Also, was auch immer Gilbert an dir findet, deine Stärke isses nich!“, feigste er.
Einen Schrei ausstoßend stürmte Paul auf seinen Freund zu und sprang ihn um.
„Ich verklopp dich!“, rief er und schlug auf den etwas älteren Jungen ein.
Dieser hatte sich bald befreit, indem er Berlin mit den Beinen von sich stieß. Die beiden wälzten sich ineinander verkrallt über den Boden; rissen sich gegenseitig an den Haaren, bis schließlich Cölln über Berlin saß und mit der Faust Schläge auf dessen Gesicht niederregnen ließ. Paul fing an vor Wut zu heulen und versuchte sich energisch aus der misslichen Lage zu befreien. Vergebens.
„Haste genug, oder soll ich weitermachen?“, kam es von Cölln.
Paul sagte nichts, starrte nur gepeinigt und wutverzerrt zu ihm hinauf.
„Sag, dass ich Der Stärkere bin und schon immer war und dass du mir nie das Wasser reichen kannst!“
Berlin schüttelte den Kopf. Das gab weitere bittere Schläge, bis er laut schluchzte und murmelte:
„...gut... geb ich... zu...“
Zufrieden mit sich stieg Cölln von Berlin und rieb sich dabei die Handknöchel.
„Bei deinem Dickschädel tu ich mir ja mehr weh, als ich dir.“, sagte er grinsend.
Das fand Paul gar nicht lustig, aber was sollte er machen? Er hatte verloren, wiedereinmal hatte Cölln ihm den Respekt eingeprügelt.
„Hm...“, brummte er also nur und rieb sich über die Nase, nachdem er sich die Tränen von den Wangen gewischt hatte.
Plötzlich wurde ihm eine Hand entgegen gestreckt - sie gehörte Cölln. Er lächelte ihm zu.
„Steh auf, zu Hause könn' wir Albi ärgern. Hab vorhin nen toten Hasen gefunden, den könn wa ihm ins Bett legen.“
Und wie immer ergriff Paul seine Hand und ließ sich auf helfen. Freunde brauchten eben auch mal Streit. Es wurde ja immer wieder alles gut und wenn es nach Paul ging, dann konnte das ruhig für immer so bleiben...