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Memori3s

von

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Reifeprüfung

Es gab Tage, da hasste Herk seinen Job.

Diese kündigten sich meistens damit an, dass Zeus oder Hades – oder, wenn das Schicksal es ganz beschissen mit ihm meinte, beide – ihrem Top-Ausbilder die Informationen zu den neuen Missionen präsentierten und Herk allein vom Studieren dieser ein nervöses Augenzucken bekam; in ganz schlimmen Fällen schnürten ihm die Zeilen sogar den Hals zu, dass die schlechte Laune gleich vorprogrammiert war.

Dabei gab es verschiedene Auslöser; mal war es die Aufgabe selber, die in seinen Augen kaum umsetzbar schien, mal war es schier die Überzahl an Anfängern, die für diese viel zu schwierige Mission eingeteilt wurden, mit denen er sich dann spätestens auf dem Schlachtfeld rumärgern durfte. In solchen Situationen dachte Herk sich im Stillen, wie die beiden Anführer eigentlich auf die Idee kamen, so große Stücke auf ihn zu setzen. War er Gott? Hatte er Löcher in den Händen oder vier Arme und drei Augen? Er war gut in dem, was er tat, ja, aber Wunder vollbringen zählte seines Erachtens nicht zu seinen herausstechenden Eigenschaften. Ja, in solchen Momenten würde er am liebsten kündigen. Wenn er denn könnte…

Missionen à la „Wünsch-dir-was“ waren das eine, was ihm den Tag verhageln konnte; kindische und nörgelnde Mitglieder waren dagegen die perfekte Rezeptur dafür, dass Herk für eine ganze Woche nicht einmal mit einem höflichen „Guten Morgen“ in der Kantine begrüßt werden wollte. Und es kam für seinen Geschmack viel zu häufig vor, dass er an dem geistigen Alter seiner Schüler zweifelte.

Heute war wieder so ein Tag und er vereinte alles, was Herk liebend gern umschifft hätte. Aber es war nun mal sein Job; auch, wenn er sich sicher war, dass ihn Zeus damals nicht als Kindergärtner ins Boot geholt hatte.

Er konnte kleine Kinder nicht ausstehen, und das nicht ohne Grund. Dieses ständige Zanken wegen Kleinigkeiten wie Spielzeuge oder Haare ziehen waren anstrengend, besonders, wenn sie anfingen mit ihren schrillen Stimmen loszubrüllen. Hinzu kam die ewige Litanei, dass man das andere Geschlecht partout doof finden musste. Die verhöhnende Ironie dabei war in Herks Augen ja, dass in zehn Jahren diese Bälger mit ihren pickeligen Fratzen so hormongesteuert sein würden, dass sie pausenlos über einander herfallen wollten.

Zum Heulen waren da jedoch die ganz resistenten Fälle, die selbst nach knapp zwanzig Jahren diese unkooperative Einstellung noch nicht abgelegt hatten - mit dem einzigen Unterschied, dass aus den „doofen Mädchen“ und „blöden Jungs“ nun „Furie“ und „Bastard“ geworden waren.

Herk konnte nur mit dem Kopf schütteln, als er hier, auf dem Parkdeck von Olymp, zwischen den zwei bewaffneten Parteien stand, die sich ansahen, als hätte man weiß Gott für perverse Dinge vor laufender Kamera von ihnen verlangt. Kindische, nörgelnde Bälger in den Körpern von Mitte Zwanzigjährigen.

Und sowas darf Alkohol trinken und Auto fahren, dachte Herk und fuhr sich seufzend durchs Gesicht. Er spürte, wie die Kopfschmerzen anrollten, und wusste sofort, dass er die nächsten Tage wieder herrliche Laune haben würde. Vielleicht sollte er doch an einem Kündigungsschreiben für Zeus feilen…

„Du machst Witze, oder?“, fragte Ares ungläubig und verschränkte noch stärker die Arme vor der Brust.

„Sehe ich wie’n Clown aus?“

Herks knurrender Tonfall war leider nicht so einschüchternd, wie er es sich erhofft hatte, denn Persephone fiel ihm augenblicklich kopfschüttelnd ins Wort.

„Zeus kann das nicht ernsthaft veranlasst haben“, fing sie an und sah verunsichert zu Äneas, der neben ihr stand. „Ich meine, wir sind doch noch lange nicht soweit.“

Unbeeindruckt zuckte ihr Lehrer mit den Schultern. „Mit Trockenübungen werdet ihr das auch niemals sein.“

Er hatte keine Lust auf diese nervige Diskussion, doch selbst Orpheus mischte sich nun in das Gespräch mit ein und trat ein paar Schritte vor. „Ich muss Persephone recht geben, die Kräfteverteilung ist zu unausgeglichen. Das wäre nicht fair und würde rein gar keinen Sinn machen.“

„Ja, und es ist eine bodenlose Frechheit von Zeus ausgerechnet uns für dieses hirnverbrannte Experiment auszuwählen!“, mischte sich Ares brummend ein und warf einen vielsagenden Blick zu Äneas und Persephone. Letztere lächelte zuckersüß zurück.

„Vielleicht wollte er auch nur nett sein, und dir mal zur Abwechslung etwas deinem geistigen Niveau Angemessenes auftragen“, konterte sie spitz und sah mit Genugtuung dabei zu, wie der Angesprochene wütend die Fäuste ballte.

„Das nimmst du zurück, du-“

„Schluss jetzt!“, ging Herakles dazwischen und augenblicklich waren vier, teilweise erschrocken wirkende Augenpaare auf ihn gerichtet. Sein Blick wanderte über die Anwesenden, verweilte dabei länger mit mahnend hochgezogener Braue auf Ares, in dessen hellen Iriden es immer noch rebellisch funkelte. Zumindest seine geballten Hände öffneten sich mit der Zeit, was schon eine Art Unterwerfung bei diesem Dickkopf darstellte. Noch einmal massierte Herk sich den breiten Nasenrücken, ehe er wieder mit energischer Stimme ansetzte:

„Hört auf zu jammern wie Kleinkinder!“ Er richtete seine durchdringenden Augen auf die junge Frau, die mit Respekt den Kopf leicht nach unten geneigt hatte, um seinem Blick so zu entgehen.

„Ihr haltet euch für noch nicht so weit?“, begann er und zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Das wird eure Gegner zukünftig nen Scheiß interessieren! Die werden keinen Gang zurückschalten, nur um euch eine faire Chance zu geben.“

Er sah, wie sie bei seinen harschen Worten zusammenzuckte, und selbst Äneas, der hinter ihr stand, wie eine Statur, die von Zeit zu Zeit zum Leben erwachte, um einen Atemzug zu nehmen oder zu blinzeln, presste die blassen Lippen aufeinander.

Als keine Widerworte kamen, wandte er sich Orpheus zu.

„Und du glaubst, dass sie zu schwach seien?“, fragte er seinen ehemaligen Schüler und deutete dabei auf die junge Frau und ihren stummen Begleiter, eine Braue dabei ungläubig in Richtung Haaransatz gezogen. „Unterschätz nie deinen Gegner! Ich hatte gehofft, dass zumindest du das irgendwann während deiner Ausbildung verstanden hättest.“

Kurz wanderte sein Blick zu Ares, dann atmete er tief durch und ließ seine zurechtgelegte Maßregelung kurzerhand doch schnaubend fallen.

„Über dich will ich erst gar nicht nachdenken, ich steh jetzt schon kurz vor ner Migräne“, brummte er verstimmt und wischte die Thematik mit einer Handbewegung beiseite, ehe der Blonde zum Protest ausholen konnte.

Schließlich stellte er sich zwischen die Parteien und verschränkte in gewohnter Manier die Arme vor der Brust. „Hört zu!“ Seine tiefe Stimme hallte donnernd bis in die hintersten Ecken des Parkdecks. „Die Übung ist beschlossene Sache und ich will, dass ihr das hier ernst nehmt. Ihr werdet gegeneinander arbeiten, mit allen Mitteln, die man euch beigebracht hat. Eure Aufgabe wird sein, eine Zielperson sicherzustellen.“ Damit deutete er auf sich selbst. „Diese werde ich sein. Das Team, das mich als erstes geschnappt hat, kriegt kein Sondertraining aufgebrummt. Ist das angekommen?“

Er entfernte sich von seinen Schülern und ging in Richtung der alten Aufzüge, die neben dem Schacht des Treppenhauses verliefen. Die jungen Leute weiter im Blick behaltend, drückte er beiläufig auf den Knopf, sodass sich die Türen beider Aufzüge ratternd öffneten. Eine Antwort nicht abwartend, stieg er in den linken Aufzug und wählte einen Stock.

„Dann geht es los!“

„Was, jetzt sofort?“, rief Ares noch verwundert, doch da schlossen sich schon die Türen und der Aufzug setzte sich in Bewegung.

Für Sekunden starrten alle Vier auf die digitale Anzeige des Fahrstuhls, die signalisierte, dass Herk bereits das achte Stockwerk erreicht hatte. Im zehnten hielt er schließlich an. Er war also auf dem Dach. Mit fragenden Blicken sahen sich die beiden Teams an, dann, wie auf ein stummes Kommando hin, rannten Ares und Orpheus auf den zweiten Aufzug zu und drückten auf den Knopf.

Viel zu spät realisierte Persephone ihr Vorhaben und setzte sich ebenfalls fluchend in Bewegung. Sie und Äneas versuchten den Fahrstuhl noch rechtzeitig zu erreichen, doch da hatten sich schon die Türen soweit geschlossen, dass sie nur noch einen kurzen Blick auf Ares‘ breites, triumphierendes Grinsen erhaschen konnte.

„Scheiße!“, entfuhr es ihr laut und wütend schlug sie die flachen Hände gegen die geschlossenen Metalltüren.

Die Prüfung hatte begonnen.
 

Mit Mühe konnte Ares ein Lachen unterdrücken. „Hast du ihr Gesicht gesehen?“, fragte er Orpheus, der neben ihm die Stockwerkanzeige im Auge behielt. Bei der Erinnerung an Persephones in Verblüffung aufgerissene Augen, entwich ihm dann doch ein belustigtes Schnaufen. „Das hier ist die lächerlichste Aufgabe, die sich Zeus je hat einfallen lassen!“

„Abwarten.“

Orpheus‘ ernste Stimme ließ seinen jüngeren Partner innehalten und den Blick wenden. Wie gebannt fixierte der ehemalige Springer weiterhin die langsam aufsteigenden Zahlen. Inzwischen hatten sie die ersten drei Stockwerke hinter sich gelassen. Genervt verdrehte Ares die Augen.

„Du bist nen verschrobener Pessimist.“

Die Aufzüge waren alt und nicht die schnellsten, aber dennoch würden sie so immer noch schneller das Dach erreichen, als über das Treppenhaus, da war sich Ares sicher. Orpheus drehte leicht den Kopf und sah ihn für einen kurzen Moment an.

„Ich bin Realist“, verbesserte er ihn und sah dann erneut auf die Ziffern. Vierter Stock. „Ich würde mich sehr wundern, wenn die Sache hier so schnell zu Ende gehen würde“, fügte er murmelnd hinzu und Ares wollte mürrisch etwas erwidern, als auf einmal ein heftiger Ruck den Aufzug stoppen ließ und das schummrig grüne Notlicht das normale Deckenlicht ersetzte. Der Halt kam so unerwartet und schwankend, dass sich beide Männer erschrocken an den Wänden der Kabine festhielten, um nicht zu fallen. Mit geweiteten Augen suchten sie den Blick des anderen. Aus beiden Gesichtern sprach die Überraschung und Ares spürte seinen Herzschlag bis in den Hals hinauf. Sein Blick wurde immer verwunderter, bis Orpheus ihm die unausgesprochene Frage beantwortete:

„Sie ist auch Hades‘ Schülerin.“

Verwirrt zog der Angesprochene die Augenbrauen zusammen. „Du meinst…?“, begann er, doch dann verstand er und wütend verengte er die Augen. „Dieses Miststück!“

„Mit allen Mitteln, schon vergessen?“, erinnerte Orpheus ihn an die Worte ihres Mentors, trat im nächsten Augenblick an das Innentableau und fuhr mit den Fingern über den kleinen Spalt zwischen den Metallflügeln. „Wir müssen schnell hier raus kommen, sonst haben sie uns bald eingeholt!“

Mit verbissenem Gesicht versuchte er mit den Fingerspitzen zwischen den Spalt der Türflügel zu gelangen und ohne eine weitere Aufforderung ging ihm Ares schließlich zur Hand. Gemeinsam schafften sie es, die schwergängigen Metallplatten des Aufzuges auseinanderzuziehen, nur um dahinter den nackten Beton des Schachtes zu erblicken.

Ein leiser Fluch kam über Ares‘ Lippen, bevor Orpheus ihn leicht anstieß und über ihre Köpfe deutete. Sie hatten Glück gehabt; Persephone hatte den Fahrstuhl erst kurz vor der nächsten Etage zum stoppen gebracht, sodass am oberen Ende der untere Teil des nächsten Außentableaus zu erkennen war. Ares schätzte die Höhe ihres provisorischen Ausstiegs auf 50cm; gerade hoch genug, damit ein ausgewachsener Mann ins Freie kriechen konnte.

Er nickte Orpheus zu, der daraufhin die Hände zu einer Steighilfe zusammenlegte, auf die Ares im nächsten Moment stieg und so durch den entstandenen Schacht kroch. Kurz blickte er sich um, doch das Parkdeck, auf dem er sich nun befand, war ruhig und menschenleer; nur von den Straßen unter ihnen hallten leise Motorengeräusche von vorbeifahrenden Autos hinauf. Leichter Wind blies ihm die blonden Haare aus der Stirn. Von Persephone oder Äneas gab es keine Spur, also drehte er sich wieder dem Aufzugschacht zu, und half Orpheus aus der Kabine.

„Wie ist die Lage?“, fragte Orpheus und Ares antwortete mit einem Kopfschütteln.

„Zu ruhig.“ Sein Partner verzog nachdenklich die Stirn und sah zur angelehnten Tür des Treppenhauses.

„Wir müssen jetzt so oder so zu Fuß hoch, also los!“ Er stand der Tür am nächsten und zog sie, sich zu Ares umblickend, beiläufig auf, sodass er die Person dahinter viel zu spät registrierte; auch Ares‘ Warnung ließ ihn nicht mehr rechtzeitig herumfahren, sodass Äneas‘ Faustschlag Orpheus mit voller Wucht am Wangenknochen traf. Keuchend sackte der ehemalige Springer zusammen und sein Angreifer ließ keine Sekunde verstreichen, sondern setzte sofort nach und stürzte sich auf ihn. Noch bevor Ares reagieren konnte, hatte sich Orpheus doch schon wieder gefangen, wehrte Äneas‘ zweiten Schlag ab und verwickelte den Jüngeren in einen Zweikampf am Boden, in dem sich schnell herausstellte, wer den Schlagabtausch deutlich dominierte.

Trotz der Überlegenheit seines Partners, wollte Ares nicht unnütz daneben stehen und zusehen, als er aus den Augenwinkeln Persephone die Treppen hochlaufen sah. Die junge Frau geriet ins Stocken, als sie bemerkte, dass der wahrscheinlich geplante Kampf bereits im vollen Gange war, und gefror dann ganz in ihrer Bewegung ein, als sie Ares‘ Blick auf sich ruhen spürte. Der Augenkontakt währte nur Bruchteile einer Sekunde, dann erkannte er, dass sein Gegenüber die Lippen aufeinander presste und plötzlich losrannte – direkt auf die Tür zu, die Treppenhaus und Parkdeck voneinander trennte. Ares handelte instinktiv und lief ihr entgegen, die kleine Lücke, die sie anvisiert hatte, die zwischen ihm und der Tür gewesen war, dadurch schließend und ließ sie in die Falle laufen.

Sie versuchte noch, an ihm vorbeizukommen, doch da hatte Ares sie schon mit beiden Armen von hinten gepackt und hob sie von den Füßen. Vergebens wandte und zappelte sie in seinem Griff und zerrte an seinen Armen, die ihre Taille wie einen Schraubstock umschlossen.

„Bleib ruhig, du Furie“, zischte Ares verbissen und versuchte den pochenden Schmerz in seinen Schienbeinen zu ignorieren, gegen die dieses Biest ständig mit den Fersen donnerte. Wütend drückte er noch fester zu, worauf ihr ein gequältes Japsen entwich und sie endlich die Beine stillhielt. Na bitte - geht doch.

„Ganz ruhig“, wiederholte er beschwörend und musste triumphierend grinsen, als er merkte, dass ihr Widerstand immer weiter abebbte. „So ist’s brav. Hör auf Daddy und lass den -“

Der Rest des Satzes ging in einem wütenden Aufschrei unter, als sich Persephone auf einmal zu Ares‘ Oberarm beugte und zubiss. Sofort lockerte sich sein Griff und keuchend fiel die Jüngere zu Boden, rappelte sich jedoch augenblicklich wieder auf und rannte los.

Die Hand auf die schmerzende Stelle gelegt, sah er ihr hinterher und erkannte erst Persephones Anliegen, als sie schon den Fahrstuhl erreicht hatte. Im Lauf ließ sie sich fallen und rutschte mit den Beinen voran durch den Schacht und verschwand in der Kabine. Fluchend schlug er dieselbe Richtung ein. Er sah noch, wie Persephone die Schaltleiste aufzog und darunter etwas eintippte. Die Aufzugkabine erwachte wieder summend zum Leben und mit einem breiten Grinsen sah sie zu ihm hinauf.

„Ich bin schon immer ein Mama-Kind gewesen!“

„Miststück!“

Ares versuchte noch die sich schließenden Tableaus aufzuhalten, doch er kam zu spät. Eine herausgestreckte Zunge, gepaart mit einem provokant erhobenen Mittelfinger, war das letzte, was er sah, ehe sich die Türen geschlossen hatten und Ares fluchend zurückließ.

„Ares!“ Orpheus‘ befehlende Stimme ließ ihn zähneknirschend herumfahren. Er war immer noch mit Äneas beschäftigt, der sich unter seinem festpinnenden Griff am Boden weiterhin mit allem, was ihm geblieben war, gebärdete. Sein Partner machte einen verbissenen Eindruck, der Kampf schien sich als nicht ganz so leicht zu gestalten, wie er und Ares am Anfang gedacht hatten.

„Nimm die Treppen und halte sie auf!“, rief ihm Orpheus wütend entgegen. Ares kochte ebenso vor Wut, sodass er diese Aufforderung als überflüssig empfand.

„Mit Vergnügen!“, knurrte er und rannte los.
 

Ihr Herzschlag pochte in ihrem Hals und hastig atmend lehnte sich Persephone gegen die Kabinenwand. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Sache so brenzlig werden würde. Ihr anfänglicher Plan war es gewesen, Orpheus und seinen Spinner von Partner in dem Fahrstuhl feststecken zu lassen, sodass sie keine Möglichkeit gehabt hätten, aus diesem heraus zu kommen. Doch leider hatte sie sich mit dem Zeitpunkt verschätzt, und es war schließlich Äneas zu verdanken gewesen, der vor ihr die Treppen hochgerannt war und das gegnerische Team einholen konnte, dass sie dennoch im Rennen geblieben sind und nun eine reelle Chance hatten, die Aufgabe zu meistern. Ihr Partner hatte blitzschnell die Taktik geändert und sie hatte Gott sei dank intuitiv richtig gehandelt.

Auch wenn sie beide jetzt wohl nicht mehr so glimpflich davon kommen werden…

Ihr Rücken und Steißbein, auf die sie sich bei ihrer Flucht hatte fallen lassen, pulsierten vor Schmerz und auch, als sie prüfend das Shirt hochzog und die geröteten Stellen an ihren Hüftknochen betastete, sog sie zischend die Luft ein. Ares hatte so feste zugedrückt, dass sie kurz Panik in sich aufsteigen gefühlt hatte, und beinahe vor Schmerz aufgeschrien hätte. Verärgert biss sie die Zähne aufeinander und zog ihr Shirt wieder herunter. Das würde er ihr noch büßen! Und mit einem zufriedenen Grinsen dachte sie an den Biss zurück. An Ares‘ erschrockenen Aufschrei und sein wütendes Gesicht. Das war definitiv nur der Anfang gewesen.

Sie atmete tief und langsam durch und versuchte sich so etwas zu beruhigen. Mit etwas Glück dürften sie es jetzt geschafft haben. Ihre Gedanken schweiften zu Äneas ab, der sich so mutig Orpheus entgegen gestellt hatte, um ihr eine Möglichkeit zu geben, die Prüfung für ihr Team zu entscheiden. Sie wussten beide von Orpheus‘ früherem Status hier bei Olymp und Persephone konnte auch voll und ganz nachvollziehen, warum dieser Mann als Talent gehandelt wurde; sie hatte ja schließlich oft genug die Chance erhalten, ihm bei seinem Training zu beobachten. Das, was Äneas da gerade getan hatte, war also die reinste Selbstopferung gewesen. Dafür musste sie jetzt gewinnen!

Entschlossen sah sie zur Anzeige hinauf. Neunter Stock. Gleich hätte sie ihr Ziel erreicht. Ein letztes Mal durchatmend, straffte sie die Schultern, trat angespannt vor das Tableau und wartete. Mit einem sanften Ruck hielt der Aufzug an und die Metalltüren schoben sich auf. Dahinter tauchte der letzte Abschnitt des Treppenhauses auf. Persephone stieg vorsichtig aus und spürte, wie ihr Herz einen kräftigen Satz machte, als sie auf einmal polternde Schritte hinter sich hörte, die mit jeder Sekunde lauter wurden.

Erschrocken fuhr sie herum und im selben Moment sah sie Ares die letzten Stufen des Treppenhauses nehmen, der, oben angekommen, ebenfalls abbremste und sie mit einer Mischung aus Erschöpfung und zerknirschter Wut anstarrte, dass sich ihre Nackenhaare aufstellten. Dieser Blick stellte jeden Stier, dem man ein rotes Tuch vor die Nase hielt, in einen nachtschwarzen Schatten. Sein tiefes Schnaufen hallte an den Wänden wider und angespannt sahen sie sich an, ließen sich keinen Moment aus den Augen. Persephone unterdrückte den Drang, kopflos loszurennen. Sie fühlte sich wie eine Maus, die sich direkt in die Reichweite einer Schlange verirrt hatte. Die kleinste Bewegung würde den Räuber dazu veranlassen, hervorzuschnellen und zuzuschnappen. Ihre Stirn war nass und ein Schweißtropfen löste sich und zog die Konturen ihres Kiefers nach. Verdammt. Sie war so knapp dran gewesen! Aus den Augenwinkeln erkannte sie die Metalltür, die hinaus aufs Dach führte.

Das Ziel. Knappe zehn Meter von ihr entfernt. Sie hatte einen kleinen Vorsprung von ungefähr drei Metern; wenn sie schnell genug war, könnte dieser ausreichen… Ihr Blick wanderte wieder zu Ares, beobachtete die Muskeln seines breiten Brustkorbs, der sich weiterhin kräftig hob und senkte. Sie versetzte vorsichtig ihren linken Fuß um wenige Handbreiten und sofort fixierten seine hellen Augen diese Bewegung, die Muskeln seines ganzen Körpers zum Zerreißen angespannt.

Einen Lidschlag später rannte er los. Obwohl sie damit gerechnet hatte, durchfuhr sie im ersten Moment Panik, sodass sie einen wichtigen Meter einbüßte, ehe sie selbst auf dem Absatz umdrehte und alles gab, was sie noch besaß, um diese verdammte Tür vor ihr als erste zu erreichen. Einem Tunnelblick gleich, blendete sie alles andere um sich herum aus, konzentrierte sich nur noch auf das Ausgangsschild und ihre weit ausgreifenden Schritte. Sie spürte, wie Ares‘ Hand sie am Rücken streifte und zu packen versuchte, hörte seine zornerfüllte Stimme hinter sich, doch da war die Klinke endlich in Griffweite. Sie streckte die Hand in Richtung Tür, da verspürte sie einen Ruck an ihrem Shirt, der sie nach hinten zog und wahrscheinlich zu Boden gerissen hätte, hätte sie in diesem Moment nicht die Hand um die Klinke gelegt. Gleichzeitig tauchte Ares‘ Oberkörper neben ihr auf und blitzschnell packte ebenfalls er den Türgriff und umschloss somit auch ihre Hand. Sie fühlte, wie ihre Finger in seiner Pranke zerdrückt wurden, dass sie beinahe wieder aufgeschrien hätte, doch zu ihrem Glück währte der Moment nur kurz, bis Ares und sie die Tür zum Dach gemeinsam aufstießen und ins Freie stolperten.

Durch den Schwung, mit dem Ares sie mehr oder weniger mitgerissen hatte, kämpfte sie mit dem Gleichgewicht, hielt sich für drei, vier stolpernde Schritte noch auf den Beinen, ehe sie erschöpft auf Knie und Handflächen fiel. Sofort breitete sich ein stechender Schmerz in diesen aus, der sich nahezu ihre ganzen Gliedmaßen hochzog. Ihre Arme zitterten unter dem Gewicht ihres Oberkörpers und am liebsten hätte sie sich ganz fallen gelassen.

Ein dunkles, keuchendes Husten ließ sie ihren Kopf heben und zur Seite sehen. Ares stand wenige Meter neben ihr, die Hände auf die Knie gestützt und heftig atmend. Erst jetzt bemerkte sie ihren eigenen, pfeifenden Atem, mit dem sie unermüdlich die eiskalte Luft in ihre rebellierende Lunge zwang.

Als hätte er ihren Blick gespürt, sah Ares in diesem Moment zu ihr. Von seiner Wut, die vor ein paar Minuten noch seine kalten Augen dominiert hatte, waren lediglich Funken übrig geblieben; die Erschöpfung stand auch ihm unübersehbar ins Gesicht geschrieben.

Sie spielte kurz mit dem Gedanken, einen Waffenstillstand mit ihm auszuhandeln, als auf einmal ein langsames, lautes Händeklatschen die Aufmerksamkeit von ihr und ihm vollständig auf sich zog. Fast synchron fuhren ihre Köpfe herum und sahen zu Herk hinauf, der über ihnen auf dem kleinen Dach des Treppenhauses saß und in bekannter Manier die Arme verschränkte.

„Welch eine Überraschung! Prinzessin Peach und unser mentaler Peter Pan.“ Der Leutnant legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch. „Ich hätte ja darauf gewettet, dass ihr bereits im ersten Stock hängen geblieben seid. Wo habt ihr die Erwachsenen gelassen?“

Ares war der erste, der die Luft zum Sprechen wiederfand. Er richtete sich auf und schnaufte verstimmt. „Sind beschäftigt“, brummte er und sofort war seine schlechte Laune wieder präsent.

Herks Braue wanderte noch ein Stückchen höher und sein Ausdruck bekam etwas Ungläubiges. „Ah, und da hat man euch vorgeschickt?“, fragte er nach und hob in einer theatralischen Geste die Hände in die Höhe. „Olymps Zukunft ist gesichert, ich kann friedlich sterben!“, rief er gespielt enthusiastisch aus. Persephone brauchte nicht in Ares‘ Richtung schauen, um seine Reaktion darauf zu erkennen; sie hatte das Gefühl, als wäre es auf einmal um 10 Grad kälter neben ihr geworden…

„Blas den Scheiß hier endlich ab, Herk!“, knurrte Ares wütend. „Ich habe als Erster das Dach erreicht, also haben wir gewonnen.“

Jetzt lag es an Persephone, ihm einen zornigen Blick zuzuwerfen.

„Spinnst du? Ich war vor dir hier oben!“, fauchte sie aufgebracht und Ares holte ebenfalls schon Luft für einen Konter, als Herk die Diskussion im Keim erstickte.

„Ihr steht beide vor mir, also ist dieser ‚Scheiß‘ noch nicht vorbei!“, entgegnete er und unterstrich seine Wortwahl mit der betonenden Handbewegung. Auch seine Laune schien eine stetige Talabfahrt zu durchlaufen, was den Blonden jedoch wenig zu interessieren schien. Dieser schnaufte genervt und vergrub die Hände in den Taschen seiner Sporthose.

„Na schön, und was willst du jetzt machen? Sollen wir bis zehn zählen und du versteckst dich?“

„Ihr werdet kämpfen!“

Wäre es bei diesem Wettbewerb um Synchronität gegangen, hätte Herk in diesem Moment, in dem seine beiden Schüler ihn exakt gleich mit tellergroßen Augen entsetzt anstarrten, vollends zufrieden sein müssen. Erneut fand Ares seine Sprache als erster wieder, während Persephone noch deutlich mit der eingefrorenen Atmung zu kämpfen hatte, und versuchte die ganze Situation mit einem perplexen Lachen als Scherz abzustempeln.

„Keine Chance, ich schlage keine Frauen!“, sagte er erstaunlich nüchtern, was Herk allerdings nur ein kleines Lächeln entlockte, welches, in Persephones Augen, überhaupt nicht erfreut wirkte.

„Sagst du das auch, wenn dir `ne Polizistin ihre Waffe auf die Brust setzt?“, konterte er und seinem dunklen Tonfall konnte man die Ungeduld anhören. „Ich dulde kein Unentschieden, ihr werdet kämpfen, bis ich zufrieden bin!

Der Blick des Jüngeren schwang etwas ins verzweifelte um, als habe er sichtlich damit zu kämpfen, ein vernichtendes Gegenargument aufzutreiben. „Aber … das kann nicht dein ernst sein!“

„Mein vollster, und jetzt fangt an, oder ich mische mit!“ Herk stand auf und wirkte somit noch größer und erhabener, als er schon vorher auf der Erhöhung gewirkt hatte. Zornig sah er auf sie und Ares herab. „Das hier soll kein Versteckspiel werden, sondern eine Simulation! Oder fangt ihr auch mit euren Gegnern an zu diskutieren oder entdeckt eure ritterliche Ader, wenn ihr und die Bullen die Zielperson gleichzeitig erreichen?“ Seine Augen verengten sich bedrohlich und in einer Kopfbewegung deutete er auf die Schwerter, die beide umgeschnallt hatten. „Ihr habt die Dinger an euren Gürteln nicht zur Dekoration, also los!“

Zögernd legte Persephone eine Hand auf den kalten Schwertgriff und senkte den Blick auf die Waffe. Während diesem Wettlauf gegen Ares und Orpheus hatte sie ganz vergessen, dass sie das Kurzschwert überhaupt trug. Die Klinge war ungefähr 40cm lang, der Griff schmucklos und abgegriffen, was zur Folge hatte, dass sie regelmäßig nach langen Trainingstagen Blasen an den Fingern bekam. Man konnte der Waffe ansehen, dass sie bereits durch viele Hände gegangen war; es war ein Übungsschwert, mehr nicht, und dennoch war die Klinge in einem verhältnismäßig guten Zustand und durchaus in der Lage, jemanden ernsthaft zu verletzen. Nein, das Schwert war keineswegs Dekoration. Sie fühlte sich dennoch nicht wohl bei dem Gedanken, von ihr Gebrauch zu machen. Persephone zuckte zusammen, als eine weitere barsche Aufforderung von Herk über das Dach hallte.

Reiß dich zusammen, fuhr sie sich selbst in Gedanken an und presste die Lippen aufeinander. Trau dich! Du musst ihn ja nicht töten! Zögernd legte sich ihr Blick auf Ares. Er spielte definitiv in einer anderen Liga als sie, sie würde ihn mit Sicherheit nicht ernsthaft verletzen können. Was habe ich also zu verlieren? Etwas selbstsicherer legten sich ihre Finger um den Schwertgriff. Sie würde in Zukunft „echten“ Gegnern gegenüberstehen und sie konnte und wollte sich nicht allein auf Äneas verlassen, dass er sie vor allem schützte. Nein, sie wollte nicht, dass er sich noch einmal für sie opferte! Ich muss lernen, mich selbst zu verteidigen!

Gerade wollte sie die Klinge aus der Scheide ziehen, als Ares ihr mit einer schnellen Handbewegung Einhalt gebot. Fragend zog sie die Brauen zusammen, doch der Blonde achtete schon gar nicht mehr auf sie. Er hatte sich zu seinem ehemaligen Trainer gedreht und hob beschwichtigend die Arme.

„Warte! Sie trainiert wie lange schon?“, fragte er ihn und lachte kurz zynisch. „Bei allem Respekt, Herk, aber sie hat doch keine Chance!“

Herks Reaktion war eine Augenbraue, die sich in vielsagender Manier in Richtung kurzen Haaransatz hob. „Sagt derjenige, der sich nach seinen ersten drei Wochen hier mit einem Springer angelegt hat.“

Persephone blinzelte und sah Ares skeptisch ins perplexe Gesicht.

„Ernsthaft?“

Als hätte er vergessen, dass sie ebenfalls anwesend war, sah er sie für einen kurzen Augenblick verwirrt an, ehe sich sein Ausdruck wandelte und er bissig zurück starrte; eine Reaktion, die sehr im Gegensatz zu seinen rot anlaufenden Ohren stand, stellte Persephone fest und innerlich musste sie schmunzeln.

„Das ist was ganz anderes gewesen, man hatte meinen Stolz verletzt!“, zischte der Ältere gereizt, drehte sich dann wieder eilig Herk zu und versuchte es mit einem versöhnlichen Lächeln. „Herakles, sind wir doch mal ehrlich, die Kleine hat doch gerade erst gelernt, das Schwert am richtigen Ende anzufassen!“

Nun war es Persephone, die die Brauen hob. Sie war vielleicht nicht besonders gut, aber so schlecht, wie dieser Idiot sie hinstellte, war sie nun auch nicht mehr. Sie wollte widersprechen, doch bei seinen nächsten Worten bröckelte ihre zurückhaltende Fassade sichtbar. Mit weiterhin ausgebreiteten Armen stand Ares da und schwang große Reden. Sein überhebliches Lachen war die reinste Provokation.

„Wir können von Glück reden, wenn sie sich nicht selbst mit dem Ding den Kopf abtrennt, warum also auf dieses Affentheater hier weiter beste-“

Seinen geschulten Reflexen war es zu verdanken, dass Ares noch rechtzeitig das Schwert ziehen und ihren Angriff abblocken konnte. Aus geweiteten Augen starrte er die Kleinere vor sich an, die mit einem verbissenen Gesichtsausdruck und vollem Körpereinsatz ihre Klinge gegen seine viel größere drückte.

„Was … bist du jetzt völlig wahnsinnig geworden?“, fragte er überrascht, doch Persephone antwortete zunächst nur mit einem verbissenen Grinsen, das alles andere als heiter aussah. Sie erhöhte den Druck gegen Ares, bis dieser sich gezwungen sah, die verkeilten Klingen voneinander zu trennen und zwei, drei Schritte Abstand zu nehmen. Sie strich sich eine lose Strähne hinters Ohr, ehe sie wieder beide Hände an den Schwertgriff legte. Ares musste zugeben, dass er sie selten so wütend gesehen hatte.

„Nein, mein Stolz wurde gerade nur mit Füßen getreten!“, konterte sie zynisch und griff im nächsten Moment wieder an.

Wie erwartet, waren ihre Schläge ungelenk und wenig präzise; man konnte ihr ansehen, dass diese Bewegungen für sie immer noch ungewohnt waren, und sie über sie bewusst nachdenken musste. Somit war es ein leichtes für ihn, sie abzuwehren oder ihr schlichtweg auszuweichen. Das hier war doch die reinste Lachnummer ohne jeglichen nachvollziehbaren Hintergrund!

Er spielte noch für drei, vier weitere Angriffe ihrerseits mit, dann war ihm die Lust endgültig vergangen, und es gelang ihm, Persephones Handgelenke zu packen. Fluchend wehrte sich die kleine Furie und versuchte sich zu befreien. Ares nutzte die Gelegenheit und suchte mit einem leicht verzweifelten Ausdruck Herks Blick. Dieser hatte sich wieder auf das Dach gesetzt und verfolgte das Spektakel mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen. Ares musste sich gedanklich sehr gut zureden, um nicht sofort auszuflippen. Hierfür würde der Leutnant noch eine Abreibung bekommen!

„Herk, zum letzten Mal, ich schlage kein Frauen!“

„Dann lass dir was einfallen“, antwortete sein Mentor nur und Ares hätte wahrscheinlich resigniert geseufzt, wäre in diesem Moment nicht ein stechender Schmerz in seiner Schwerthand explodiert, die er daraufhin, von einem Aufschrei begleitet, reflexartig öffnete und zurückzog und somit Persephones Handgelenk freigab. Keine Sekunde später fiel auch sein Schwert scheppernd zu Boden, was ihn allerdings in diesem Augenblick wenig interessierte. Viel mehr betrachtete Ares ungläubig den perfekten Abdruck zweier geraden Zahnreihen, der sich unterhalb seines Daumens rot auf der Haut abzeichnete, und starrte dann zu der Verursacherin. In seiner Unachtsamkeit hatte Persephone auch ihren anderen Arm befreien können und richtete die Klinge nun schnaufend auf ihn. Sein Blick schwankte ins Fassungslose um. Sie hatte ihn gebissen – zum zweiten Mal!

„Was bist du, nen Rehpinscher?“, fragte er aufgebracht und hielt sich die pochende Stelle. In seinem Rücken hörte er das schadenfrohe Lachen seines Lehrers, was seine beginnende Wut nur noch mehr zum kochen brachte.

Seine Frage übergehend, rannte Persephone erneut auf ihn zu und griff mit weit ausgreifenden Schwüngen an. Die Streiche waren diesmal schneller geführt, wenn dafür auch unpräziser, und dennoch hatte Ares zunehmend Probleme damit, ihnen auszuweichen. Sie schien das Schwert nun ohne Überlegung oder Plan zu führen und fuchtelte nur noch mit diesem herum, doch das machte es nicht einfacher. Ares blieb nichts anderes übrig, als stetig nach hinten auszuweichen, was ihm nach kurzer Zeit zu viel wurde. Langsam spürte er die stetig wachsende Müdigkeit in seinen Muskeln.

Als Persephone zum nächsten Schlag ausholen wollte, ließ Ares seine Hand vorschnellen und nach dem breiten Schwertgriff packen. Seine Gegnerin war so erschrocken über seine plötzliche Handlung, dass sie, einem Instinkt folgend, ihren Griff lockerte und er ihr das Schwert einfach entreißen konnte.

Sie starrte ihn geschockt an und schnappte atemlos nach Luft. Sie nicht aus den Augen lassend, warf er die Klinge zur Seite, weit aus ihrer Reichweite. Persephone verfolgte kurz die Flugbahn, doch dann fixierte sie ihn wieder mit aufeinander gepressten Lippen. Ihre blaugrünen Iriden leuchteten vor Entschlossenheit und Trotz. Seine Worte schienen etwas in ihr wachgerüttelt zu haben. Die entfesselte Kombination aus Wut und Ehrgeiz trieb sie nun blind und rücksichtslos an, mit dem Ziel, über ihn zu siegen; von dem kleinen, eingeschüchterten Mäuschen, das überfordert und in Abwehrhaltung durch die Gänge Olymps geisterte, war nichts mehr geblieben. Ares seufzte genervt und fuhr sich durch die verschwitzten Haare.

Das hier hast du dir selbst eingebrockt, musste er in Gedanken zähneknirschend zugeben. Und er hatte verdammt nochmal keinen Bock darauf!

„Würdest du Ruhe geben, wenn ich dir ein gewisses kämpferisches Talent einräumen würde?“ Er massierte wieder seine schmerzende Hand und hielt diese vielsagend hoch. „Du müsstest jetzt nur aufgeben und ich sehe über das hier hinweg. Einverstanden?“

Statt einer verbalen Antwort ballte seine Gegnerin lediglich die schmalen Hände zu Fäusten und verengte zornig die Augen, dass Ares ein weiteres frustriertes Seufzen entglitt. Womit hatte er das nur verdient?

Im nächsten Augenblick war Persephone wieder auf ihn zugestürmt und versuchte seinen Kopf mit Schlägen zu treffen, die Ares mit einer Hand abzuwehren wusste. Er gab sich keine besondere Mühe, sodass der ein oder andere tiefere Angriff ihn an Brust oder Schulter tatsächlich traf, doch auch diese Treffer waren nahezu beleidigend lächerlich. Vielleicht würde er ein paar blaue Flecke davontragen, doch ernsthaft verletzen konnte diese Furie ihn, so sehr sie sich auch ins Zeug legte, beim besten Willen nicht. Die ganze Sache nervte einfach nur noch.

Als sie dann anfing, Tritte auszuteilen, musste er dann doch zugeben, dass er damit nicht gerechnet hatte; man konnte sogar in Ansätzen Techniken erkennen, die Herk ihm damals auch beigebracht hatte. Also doch kein blindes Draufhauen. Sein Interesse an den Kampf konnte es dennoch nicht wecken.

Nachdem er zum gefühlt hundertsten Mal demselben versuchten Kinnhacken ausgewichen war, beschloss er, der Kleinen endgültig deutlich zu machen, dass sie keine Chance hatte. Er wartete ab, bis sie zum nächsten – in seinen Augen viel zu weit ausgeholten – Schlag ansetzte, ehe er sie gegen die ungeschützte Schulter stieß, sodass sie mehrere Schritte zurückstolperte. Für eine Sekunde starrte sie ihn aus verwirrt geweiteten Augen an, dann presste sie die Lippen erneut aufeinander und startete einen neuen Angriff, den Ares auch jetzt wieder im Keim erstickte. Ein weiterer Schlag, diesmal gegen die andere Schulter, der sie fast zu Fall brachte, mit dem Ergebnis, dass Persephones Blick schlagartig in blanke Wut umschlug.

„Nimm das hier verdammt nochmal ernst, Scheißkerl!“, schrie sie ihm entgegen, was Ares dazu veranlasste, verwundert die Brauen zu heben.

Etwas, das er im Nachhinein sehr bereute.

Einen Moment zu lange dachte er über die Absurdität ihrer Worte nach, sodass er viel zu spät bemerkte, dass sie wieder vor ihm aufgetaucht war und auf seinen Kopf zielte. Er sah ihre Faust von nahem und als er noch in der Bewegung war, die Arme zur Abwehr zu heben, hatte sie ihn bereits am Kinn getroffen. Der Schlag war nicht zu vergleichen mit einem Treffer von Herk oder Orpheus, dennoch reichte die Kraft dahinter aus, seinen Kopf zur Seite fliegen und ihn einen Schritt nach hinten taumeln zu lassen.

Die Hand ungläubig auf die leicht pochende Stelle im Gesicht haltend, starrte er Persephone aus geweiteten Augen an, die im ersten Moment, nach ihrem Blick zu urteilen, anscheinend genauso verwundert über ihren Treffer war, wie er, doch dann besann sie sich, streckte selbstbewusst das Kinn vor und verzog die Lippen zu einem kleinen, zufriedenen Lächeln.

In Ares begann es zu brodeln und er spürte, wie mit jeder verstreichenden Sekunde der vernünftig denkende Teil seines Verstandes immer weiter abgeklemmt wurde. Langsam richtete er sich auf und nahm die Hand von seinem Kinn, die junge Frau vor ihm mit Blicken durchbohrend.

„Du willst also ernsthaft spielen?“

Er ließ ihr keine Zeit zum antworten; er sah sie noch erschrocken tief Luft holen, doch selbst dafür war es zu spät. Ein ausgreifender Schritt genügte, um an ihre linke Seite heranzutreten und sein Bein hinter ihres zu stellen. Wie erwartet drehte sie sich ihm mit geweiteten Augen zu und verlor augenblicklich das Gleichgewicht. Ares half kurzerhand nach, indem er ihren Fuß wegzog, sodass sie nun endgültig zu fallen drohte, und beinahe automatisiert holte er mit dem rechten Arm aus und ließ seine Handkante mit voller Wucht auf Persephones Schläfe niederkrachen. Er konnte sehen, wie etwas in ihren Augen in diesem Moment zerbrach, und ungebremst fiel seine Gegnerin zu Boden.

Als erwache er aus einer Trance, starrte er auf die benommene Frau und wurde sich dessen bewusst, was er gerade getan hatte. Ein zischender Fluch verließ seine Lippen.

„P-Persephone? Alles in Ordnung?“, fragte er vorsichtig und traute sich nicht an sie heranzutreten. Verdammt, so weit wollte er doch gar nicht gehen! Sie lag für ewig lange Sekunden regungslos da, dass er schon innerlich sein Testament unterschreiben wollte, da garantiert die Todesstrafe für das hier bei Hades verhängt werden würde, als sie sich endlich rührte. Fahrig tastete sie nach ihrem Kopf und versuchte sich aufzurichten. Sie schwankte bedrohlich, doch sie schaffte es, sich hinzusetzen. Ares legte kurz den Kopf in den Nacken und sah in den kalten Nachthimmel, um demjenigen, der sich im Augenblick angesprochen fühlte, seinen tiefen Dank zu zusenden, ehe er erleichtert von hinten an Persephone herantrat und zur Vorsicht die Hände bereithielt, um sie schnell auffangen zu können, falls sie doch wieder das Bewusstsein verlieren würde. Was hatte dieses Mädchen auch für eine grausige Deckung, dass er so einen Volltreffer landen konnte? Hatte man ihr die Instinkte abgeklemmt?

„Scheiße, so hart wollte ich nicht zuschlagen“, murmelte er aufrichtig schuldbewusst. „Komm, wir brechen das hier ab, okay? Von mir aus hast du auch gewonnen. Kannst du aufstehen?“

Sie schwieg, hielt sich nur den Kopf und hockte zusammengesunken da. Nervös biss sich Ares auf die Unterlippe, trat noch einen Schritt näher und beugte sich etwas zu ihr herab, um ihr besser ins gesenkte Gesicht zu sehen. Blut schimmerte unter ihrem Haaransatz an der Schläfe. Sein Herzschlag beschleunigte sich in beginnender Panik.

„Hallo? Hörst du mich?“, fragte er zögernd und diesmal sollte er seine Antwort bekommen – sofort und äußerst schmerzvoll.

Schneller als er reagieren konnte, schlug sie mit dem Ellenbogen hinter sich und traf ihn zwischen den Beinen. Es hätte nicht viel gefehlt und Ares hätte aufgeschrien, doch die Schmerzen, die keinen Lidschlag später von seiner Mitte in den ganzen Körper ausstrahlten, schnürten ihm die Kehle so zu, dass er nur stöhnend auf die Knie fiel und sich den Ursprung der bestialischen Qual mit beiden Händen hielt. Augenblicklich waren alle reumütigen Gedanken vergessen.

„Miststück…“, presste er zwischen aufeinander gepressten Zähne hervor und blinzelte die aufsteigenden Tränen weg.

„Arschloch“, kam es genauso verbissen zurück, doch bevor er sich einen passenden Konter zurechtlegen konnte, wurde sein Verstand durch etwas Kaltes abgelenkt, dass sich auf einmal in seinen Nacken legte. Er kannte diese Art von Kälte nur zu gut und jede Faser seines Körpers war, so gut es seine Schmerzen zuließen, augenblicklich zum Reißen angespannt.

„Falsch, ihr seid beide Vollidioten!“ Herks knurrende Stimme klang in seinem Rücken sehr nah und bedrohlich, dass sich seine Nackenhaare aufstellten.

Vorsichtig, um nicht zu weit den Kopf zu drehen, sah er nach rechts zu Persephone, die ebenso versteinert dasaß und starr nach vorne zu Boden schaute. Sie hatte die Lippen aufeinander gepresst und wagte es nicht sich zu bewegen, ob ihres eigenen Schwertes, das Herk ihr an den Hals hielt. Ares wusste, dass der Leutnant ihnen nicht den Kopf von den Schultern trennen würde, schon gar nicht mit ihren eigenen Waffen, doch die Botschaft war deutlich genug, um seine Geduld nicht durch unnötige Gebärden weiter zu strapazieren. Nach Herks Tonfall zu urteilen, war er sowieso schon längst in dem Stadium, in dem er sich sehr, sehr beruhigend zureden musste, um seine Schüler nicht einfach umzulegen. Schnaufend presste Ares die Lippen aufeinander und verkniff sich eine eh aussichtslose Verteidigung.

„Was glaubt ihr, habt ihr vergessen?“, fragte der Leutnant in einer erstaunlich sachlichen und gesammelten Tonlage.

„Richtig: das Wesentliche“, knurrte er und drückte die stumpfen Seiten der Klingen tiefer in die weiche Haut seiner Schüler. Ares erkannte aus den Augenwinkeln, wie sich die junge Frau neben ihm weiter anspannte und um Beherrschung kämpfend die Lider zusammen kniff. „Mich!“, vollendete Herk seinen Satz und seine tiefe Stimme grollte, als wäre ihr Besitzer geradewegs der Hölle entsprungen. „Es gibt nichts Gefährlicheres als eine verzweifelte Zielperson, die dabei zusehen muss, wie sich die zwei Armleuchter, die sie eigentlich verfolgen sollten, gegenseitig ausknocken. Ich an ihrer Stelle würde ja die Gunst der Stunde nutzen und die Flucht ergreifen; und auf diesem Weg würde ich euch Zwei noch von euren jämmerlichen und blamablen Dasein erlösen, indem ich euch mit euren eigenen Waffen die Köpfe abhacke – die habt ihr ja eh nie eingesetzt.“

Der Leutnant hatte den Satz noch nicht ganz beendet, da wurde auf einmal die schwere Metalltür des Daches laut aufgestoßen, sodass die Aufmerksamkeit der Anwesenden kurzzeitig auf die Neuankömmlinge gelenkt war.

Äneas und Orpheus stand der Schweiß in den roten Gesichtern und verwundert starrten sie auf das merkwürdige Szenario, das sich ihnen bot. Getrocknetes Blut klebte unter Äneas‘ Nase und Orpheus hielt sich auf Höhe der Rippen die linke Seite.

„Und? Wer hat nun gewonnen?“, fragte er erschöpft und sah verwirrt zwischen seinem Partner und Persephone hin und her. Herk stieß ein verächtliches Schnauben aus und senkte die Schwerter, was Ares innerlich für einen kurzen Moment aufatmen ließ, bis Herk wieder das Wort ergriff.

„Niemand. Das, was die beiden hier abgeliefert haben, geht nicht einmal mehr als Satire durch.“ Der Leutnant ging geradewegs auf Orpheus und Äneas zu und drückte ihnen die Schwerter in die Hände. „Glückwunsch, Jungs, ihr könnt euch neue Partner suchen“, verkündete er im sarkastisch feierlichen Tonfall und sah ein letztes Mal zu Ares und Persephone zurück. Der eisige Blick, so oft Ares ihn bis jetzt schon auf sich gespürt hatte, jagte ihm immer noch einen Schauer über den Rücken. „Die zwei da sind nämlich tot.“
 

Behutsam drehte Chiron Persephones Kopf nach links und rechts und ließ seinen Finger vor ihren Augen hin und her wandern, den sie dabei im Blick behalten sollte.

„Ist dir schwindelig oder übel?“

Sie verneinte leise, woraufhin er zufrieden nickte.

„Also schon mal keine Gehirnerschütterung“, erklärte er und besah sich wieder die Platzwunde an ihrer linken Schläfe. Als er die Stelle berührte, verzog seine Patientin etwas das Gesicht, doch schien der Schmerz für sie nach der leichten Dosis Schmerzmittel ertragbar geworden zu sein. „Die Wunde dürfte mit Kleben behandelt sein. Nähen ist unnötig, da hast du Glück gehabt.“

Chiron sah ihr aufmunternd ins Gesicht und tatsächlich konnte er seiner kleinen Schönheit ein Lächeln entlocken. Er mochte sie gern, das war kein Geheimnis, und wenn er ihr irgendwie helfen konnte, und sei es nur ihre Befürchtungen zu lindern, tat er dies mit vollem Eifer. Als Persephone, gestützt von ihrem Partner Äneas und dem anderen Team, in sein kleines Behandlungszimmer gekommen war, war er kurzfristig geschockt über ihren Zustand gewesen. Das Blut, welches ihr über die eine Gesichtshälfte geflossen und auf ihr Oberteil getropft war, hatte im ersten Moment schlimm ausgesehen und beinahe hätte er seinem Wunsch, Ares ebenfalls in den Schritt zu treten, nachgegeben, als er erfuhr, dass dieses Chaos auf zwei Beinen für ihre Verletzung verantwortlich war. Aber das wäre höchst unprofessionell gewesen. Somit hatte er lediglich Orpheus und Äneas Taschentücher und Schmerzgel in die Hand gedrückt und hinaus gescheucht, ehe er die zwei verbliebenden Streithähne auf Krankenliegen verwiesen und das nötige Material für die Behandlung organisiert hatte.

Chiron schenkte Persephone einen letzten freundlichen Blick, ehe er sich zu Ares umdrehte, der sich immer noch einen Eisbeutel auf den Schoß drückte und ihn mürrisch anstarrte. Der alte Mann war vielleicht nicht gewalttätig geworden, aber verbal hatte er sich weniger im Griff gehabt, was ihm dieser Jungspund nun sichtbar übel nahm. Sein Blick wanderte vielsagend von Ares‘ verengten Augen hinab zu dem Eisbeutel.

„Soll ich mir das auch mal ansehen?“, brummte er in versöhnlicher Absicht; immerhin war der Bengel trotz alledem noch sein Patient. Zu seiner leichten Verwunderung veränderte sich Ares‘ Ausdruck auf seine Frage hin ziemlich schnell, wurde zusehends nervöser und er konnte sehen, wie der Junge die Beine etwas zusammendrückte.

„Nicht nötig, ist noch alles dran“, erwiderte dieser schnell, was Chiron dazu bewegte, eine ergraute Augenbraue skeptisch zu heben, doch dann zuckte er gleichgültig mit den Schultern. Er wollte niemanden zu seinem Glück zwingen – und ihn schon mal gar nicht.

„Wie du willst. Komm dann aber nicht heulend angerannt, wenn die Schwellung nicht nachlässt oder du Probleme beim Or-“

„Ist gut, ich hab verstanden!“, unterbricht ihn Ares zischend und erdolchte im nächsten Moment Persephone mit seinem Blick, die schmunzelnd und ein Kichern unterdrückend auf ihrer Liege saß und unschuldig zur Seite sah. Auch Chiron konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, was ihm Ares sogleich wieder übel nahm. Die Augen des Blonden fixierten ihn eisern und straften ihn als Urheber seiner Bloßstellung.

„Hast du nicht noch andere Patienten, die du betüddeln musst, Pillendealer?“, giftete er, was Chiron tatsächlich dazu veranlasste, beleidigt die Lippen zu kräuseln. Er bereute es nun doch etwas, nicht nachgetreten zu haben … Professionalität hin oder her, der Bengel hätt’s verdient. Der alte Mann beschloss, den weisen Weg zu wählen und das Feld konterlos zu räumen; er hatte wirklich noch andere und vor allem wichtigere Sachen zu erledigen, als sich mit Halbstarken zu streiten. Seine Rache würde noch kommen; spätestens beim nächsten Besuch dieses Bengels bei ihm.

Er sammelte seine Werkzeuge zusammen und warf die restlichen, benutzten Tücher in den Mülleimer, ehe er sich ein letztes Mal mit einem Lächeln zu Persephone umdrehte.

„Ich schicke dir gleich einen Arzt, der deine Wunde versorgt. Und falls dir der Typ da zu sehr auf die Nerven geht, weißt du ja jetzt, wo du hinschlagen musst“, fügte er brummend, jedoch deutlich hörbar hinzu, und warf Ares einen mahnenden Blick zu, bevor er zur Tür hinausging.

Ares verzog hinter seinem Rücken das Gesicht und äffte ihn stumm nach, bis Chiron verschwunden war. Dann sah er lachend zu Persephone und zog skeptisch eine Braue hoch.

„Als wenn du mich nochmal treffen könntest. Das eine Mal war purer Zufall.“

Sie erwiderte seinen Blick mit einem zynischen Lippenkräuseln. „Wenn du mich fragst, war das keine große Kunst, bei dir dort unten irgendetwas zu treffen…“, sagte sie spitz und wollte sich innerlich schon für ihre Schlagfertigkeit loben, als sie bemerkte, wie sich wieder sein typisches Grinsen, das von einem Ohr zum anderen reichte, auf seinen Zügen ausbreitete und er sich leger nach hinten gegen die Wand lehnte, dabei die Arme hinter den Kopf verschränkend.

„Ich nehme das als Kompliment ins Protokoll auf“, entgegnete er zufrieden. Persephone brauchte eine Sekunde, um die ungewollte Zweideutigkeit hinter ihren Worten zu entdecken und lief rot an.

„Ich meinte damit deine grottenschlechte Deckung!“, versuchte sie sich überrumpelt zu verteidigen, doch das lockte bei Ares nur ein weiteres, freudiges Lachen hervor.

„Schon klar, Kore…“

Beim Klang dieses Namens wechselte ihr Blick sofort ins verärgerte und die Scham wich in ihren Wangen der Zornesröte.

„Hör auf mich so zu nennen!“

Wieder dieses ätzende Hochziehen einer dunkleren Augenbraue, als sei er über allem erhaben… Eingebildeter Idiot!

„Warum? Bestehst du etwa so sehr darauf, als Frau des Hades angesprochen zu werden?“

Kurz versetzten ihr seine Worte einen unangenehmen Stich in der Brust, als hätten diese ihr Herz für einen Schlag aus dem Takt gebracht, doch sie konnte sich noch rechtzeitig fangen, bevor auch ihr Gesicht auf die Behauptung reagiert hätte; ihre Stimme konnte sie dagegen weniger gut retten.

„Nein, ich … ich gebe dir schließlich auch keine dämlichen Spitznamen!“, entgegnete sie, einer Notlösung gleich, für die sie sich augenblicklich selbst innerlich ohrfeigte. Ares schien der Gesprächslauf dagegen äußerst zuzusagen. Weiterhin grinsend, zuckte er mit den Schultern.

„An Ares ist ja auch nichts auszusetzen.“

„Bist du etwa stolz darauf, als Gott des Krieges bezeichnet zu werden?“

„Wieso nicht?“

Nun war es Persephone, die skeptisch eine Augenbraue in Richtung Haaransatz hob.

„Die Griechen haben dich gehasst. Immer, wenn es zu Streitigkeiten kam, wurdest du dafür verantwortlich gemacht.“

„Und bei den Römern war ich der VIP schlechthin. Ares war stark und dazu noch nen cooler Typ, der sich nichts sagen ließ. Und er hat Aphrodite flachgelegt - was will man mehr von einem Namensvetter?“, fragte er sie mit einem frechen Augenzwinkern, was sie dazu bewegte, schnaubend den Kopf zu schütteln und die Arme vor der Brust zu verschränken. Dieser Typ war unmöglich…

Ares wartete eine Sekunde, ehe er fortfuhr und vielsagend auf sein Gegenüber deutete. „Persephone dagegen hat sich in die Unterwelt entführen lassen und darf seitdem dem Alten nen halbes Jahr lang die Stiefel küssen. Die einzig selbstständige Aktion, die sie gebracht hat, war das mit Orpheus und seiner Nymphen Freundin.“ Er musterte sie kurz und bemerkte, wie sie verstimmt die Lippen aufeinander presste und die Augen verengte. Als keine Erwiderung folgte, zuckte er wieder nur gelangweilt mit den Schultern. „Aber wenn du unbedingt als Hades‘ Eigentum bezeichnet werden willst…“

Persephone kräuselte die Stirn in beginnender Verbitterung und wich seinem Blick aus, als hätte sie die Rebellion gegen ihn in diesem Moment aufgegeben.

„Im Grunde bin ich das doch“, grollte sie leise, als wolle sie sich selbst damit strafen.

Überrascht über ihr schnelles Einknicken, blinzelte Ares und musterte sie schweigend. Er war sich nicht sicher, ob ihre letzten Worte überhaupt an ihn gerichtet gewesen waren, so leise, wie Persephone gesprochen hatte, doch gerade dieser Satz blieb ihm im Gedächtnis. Er hatte das Gefühl, als habe die junge Frau nun, für einen kurzen Moment, ihren eisernen Vorhang fallen gelassen und er war ungewollt Zuschauer ihres ganz persönlichen Stückes geworden. Ihm saß jetzt nicht mehr die übliche, abweisende Furie gegenüber, die sie sonst war; da war etwas trauriges, schwaches in ihrem gesenkten Blick, das ihn schwer schlucken ließ. Das war nicht die Kore, die er kannte, und er wollte und konnte diesen Anblick nicht länger mit ansehen. Es war, in seinen Augen, einfach falsch.

Ares atmete einmal tief ein und lehnte sich wieder nach vorne, die Unterarme auf seine Knie gestützt. Inzwischen war der Eisbeutel in seinem Schritt halb geschmolzen und hatte wahrscheinlich einen großen, nassen Flecken hinterlassen, was Orpheus garantiert zu irgendeinen Scherz über Inkontinenz verleiten würde; doch für den Moment war dieses gebrochene Häufchen Traurigkeit vor ihm wichtiger.

„Hey, sieh mich an!“

Tatsächlich drehte Persephone den Kopf und der gewohnte Trotz war sofort in ihre Augen zurückgekehrt, als wäre die Person, die noch vor einer Sekunde auf ihrem Platz gesessen hatte, ein Trugbild gewesen. Ihre blaugrünen Iriden funkelten im ewigen Zorn gegen ihn, ihre Lippen waren weiterhin aufeinander gepresst, bereit, jeden seiner Worte bissig zu kontern. Er musste zugeben, dass sie ihm so hundertmal lieber war; auch, wenn sie so wesentlich anstrengender war.

„Jemand hat mir mal gesagt, dass wir unsere Namen nicht ohne Grund tragen und vielleicht mag das in manchen Fällen auch zutreffen, dass Charakter und Gottheit zueinander passen“, begann er und sah ihr fest in die Augen. „Aber das bedeutet noch lange nicht, dass wir hier eine Rolle zu spielen haben!“

Er bemerkte das kleine Zucken ihrer Lider, als wolle sie die Augen weiter aufschlagen, doch im letzten Augenblick unterdrückte sie diesen Drang und sah ihn mit einem Blick an, den er nicht zu deuten vermochte. Dennoch hielt er diesen Moment als einen Punkt für sich fest und schenkte ihr ein versöhnliches, warmes Lächeln. Für heute hatten sie sich genug gestritten, befand er, und beschloss im Stillen eine vorläufige Waffenruhe.

„Ich persönlich bleibe bei Kore. Gefällt mir einfach besser; immerhin war sie dafür verantwortlich, dass der Frühling anbrach.“

Ein leichter Rotschimmer trat zurück in ihr Gesicht, was sich Ares aber auch genauso gut hätte einbilden können. Ihr Versuch einer Erwiderung wurde durch den in diesem Augenblick eintretenden Arzt vereitelt, der gleich darauf die ungeteilte Aufmerksamkeit beider Anwesenden hatte und sich um Persephones Wunde kümmerte.

Ares nutzte den Moment und suchte leise das Weite, ehe der Kitteltyp noch auf die Idee kam, ihn auch zu untersuchen. Er mochte sich von Kerlen ungern in den Schritt fassen. Auch nicht von Ärzten. Da war er etwas eigen.

Er hatte den Krankentrakt noch nicht verlassen, da lief er Orpheus in die Arme; das breite Grinsen des Älteren war schon aus mehreren Metern Entfernung zu sehen, was Ares prompt die Augen verdrehen ließ.

„Muss ich in Zukunft Windeln für dich besorgen oder hat der alte Chiron dir zu viel Angst gemacht?“

Brummend ließ Ares die Hände in den Hosentaschen verschwinden und verzog das Gesicht. Er hatte schon öfter in der letzten viertel Stunde den Umstand verflucht, dass er ausgerechnet heute eine blaue Trainingshose angezogen hatte, die sich im nassen Zustand so wunderbar verfärbte…

„Du warst auch schon mal witziger“, antwortete er verstimmt und ließ Orpheus‘ Hohn so gut es ging an sich abperlen.

„Was war eigentlich bei dir los, hm?“, fragte er stattdessen und musterte seinen Partner spöttisch von der Seite. „Hab ich mir das nur eingebildet, oder hast du dir tatsächlich nach dem Kampf die Rippen gehalten? Sag bloß, der stumme Riese hat dich erwischt!“

Grinsend versuchte Ares mit seinem Zeigefinger Orpheus‘ Rippenbogen zu treffen, was dieser mit einem sehr bedacht ausgeführten Handschlag abwehrte und auf Abstand ging.

„Wage es bloß nicht!“

„Alter, der ist nicht einmal drei Monate dabei!“, lachte Ares.

„Und du hast dir von einer Frau in die Eier schlagen lassen“, entgegnete Orpheus bissig und fing sich einen ebenso giftigen Blick des Blonden ein.

„Das war nur Zufall!“

„Ach was, du warst wahrscheinlich nur zu unaufmerksam – wie jedes Mal!“

„Das kannst du doch gar nicht beurteilen! Du warst ja damit beschäftigt, dich mit einem Grünschnabel auf dem Boden zu kugeln!“

„Muss ich dich daran erinnern, dass dein Gegner ebenfalls eine Anfängerin war? Und sie hat dich mit einem Schlag in-“

„Wenn du noch einmal meine Eier erwähnst, malträtier ich dir deine restlichen Rippen!“, knurrte Ares bedrohlich und ballte schon die Hände zu Fäusten, als ein lautes Lachen beide Männer dazu veranlasste, ihre Köpfe in Richtung der Geräuschquelle zu drehen.

Ohne, dass sie es bemerkt hatten, waren ihnen Theseus und Jason auf dem Gang entgegen gekommen. Der ältere der beiden und neuer Springer von Olymp grinste Orpheus und Ares vergnügt an und schüttelte lachend den Kopf.

„Leute, ihr streitet wie ein altes Ehepaar“, sagte Jason und musterte besonders Orpheus, der in diesem Moment genervt das Gesicht verzog. Theseus, ein junger Mann mit braunem Lockenkopf, nickte zustimmend und schmunzelte schadenfroh.

„Ich würde euch ja Versöhnungssex vorschlagen“, Sein Blick wanderte deutlich an Ares herab und sein Grinsen wurde noch breiter, „aber ich fürchte, dafür ist es bereits zu spät.“

Die zwei brachen in lautes Gelächter aus und gaben sich gegenseitig ein Highfive, ehe sie prustend an den Betroffenen vorbei gingen. Es hätte nicht viel gefehlt und Ares hätte sie in diesem Moment von hinten angefallen; lediglich Orpheus‘ zurückhaltende Hand an seiner Schulter bremste ihn aus.

„Nicht meine alten Teammitglieder, verstanden? Die sind tabu“, sagte er mahnend und Ares gehorchte zähneknirschend. So nur warf er dem aktuellen Springer und seinem Partner mit hochrotem Kopf einen erhobenen Mittelfinger hinterher, was Orpheus seufzend tolerierte. Beruhigend klopfte er seinem Partner auf die Schulter und zog ihn mit sich in die entgegengesetzte Richtung, weit weg von Theseus und auf den schnellsten Weg zu ihren Zimmern.

„Einigen wir uns darauf, dass wir beide scheiße waren, okay?“, versuchte Orpheus schließlich die Diskussion zum Abschluss zu bringen, worin Ares brummend einwilligte.

„Bevor ich es vergesse“, begann der Ältere von Neuem, jedoch mit wenig Enthusiasmus in der Stimme, was Ares böses ahnen ließ. „Herk will uns morgen in der Trainingshalle sehen. Uns alle Vier, falls Persephone bis dahin wieder fit ist.“

Müde seufzend fuhr sich Ares durch die Haare. Er hatte nicht einmal mehr die Laune dafür, sich über die unmenschlichen Anweisungen des Leutnants aufzuregen. In seinem Schritt pochte es immer noch unangenehm.

„Natürlich, was auch sonst?“, brummte er und vergrub wieder die Hände in den Hosentaschen. Auch Orpheus konnte nur resigniert mit den Schultern zucken.

„Ob mit oder ohne sie, wir dürfen uns auf eine gehörige Abreibung gefasst machen. Und sind wir mal ehrlich, im Grunde haben wir sie ja auch verdient…“

Ares warf Orpheus einen vielsagenden Seitenblick zu.

„Du vielleicht…“

„Willst du wieder von Vorne anfangen?“, entgegnete Orpheus gereizt und Ares kam dieser Einladung liebend gern nach.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nach langer Zeit auf der Ersatzbank und dabei mit kurzen Statistenrollen bei Laune gehalten, mal endlich wieder Ares satt ;)
Und ganz ehrlich: ich liebe Herk! Also nicht als Trainer - ich würde den ganzen Tag nur heulen...
Ich hoffe, es hat gefallen :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Thuja
2015-01-04T16:12:43+00:00 04.01.2015 17:12
Lob, Lob, Lob! Unendlich viel Lob für das ganze Kapitel, für jede Szene darin, für die Charaktere, für die Sätze, für einfach alles.
Ich kann und will gar nicht glauben, dass nur noch ein Kapitel da ist.
Ich werde sie alle sooo vermissen.

Allein dieses Kapitel war wieder absolut Weltklasse. Ich kann gar nicht anders, als den Hut vor dir und deinem Talent zu ziehen.
Herk ist auch einfach nur toll <3. Allerdings nicht als Trainer. Okay, ja, er macht seine Aufgabe gut, aber ich würde bei ihm wahrscheinlich pausenlos heulen. Mit Samthandschuhen packt er einen ja nicht gerade an, und da spielt es keine Rolle, ob man Mann oder Frau ist. *lach* Am Anfang musste ich über Herk schmunzeln. Diese Gedanken über Kinder :-). hahaha. Zu herrlich. Als ich dann den Grund für seine Gedanken erfahren habe, wurde mein Grinsen noch breiter. Die Idee ist bei den Teams wirklich nicht auf viel Begeisterung gestoßen. Und was sie sich gegenseitig an den Kopf geworfen haben…wirklich wie Kinder.

Und ja. Ich liebe Ares noch immer so sehr. Ich will noch so viel mehr von ihm lesen. Bei jedem Satz, wo er etwas tut oder sagt, könnte ich wie ein Fangirl kreischen ^///^

Wer hätte gedacht, dass dieser kleine Wettkampf so spannend wird. Persephone hat am Anfang wirklich Köpfchen bewiesen. Und obwohl die Teams so unterschiedlich stark sind, hast du es geschafft den Wettkampf auf realistische und nicht aufgezwungene Weise Spannung zu verleihen. Das fand ich toll.

Auch das Gespräch danach zwischen Kore (ich finde es ja süß, dass er sie Kore nennt) und Ares war super! *Fanfähnchen schwenk*
Nun bin ich gespannt, was das letzte Kapitel bereithält
Antwort von:  _Myori_
04.01.2015 19:52
Zur Abwechslung antworte ich mal hierrüber ;)
Mal wieder vielen Dank für deine lieben Worte und dein Lob - ich freu mich jedes mal aufs Neue wie eine Schneekönigin, dass dir Memori3s so sehr gefällt!
Die Anfangsszene hat mir auch besonders Spaß gemacht ^^ Herk ist halt ein großer Zyniker und der Muffel schlechthin, aber im Grunde liebt er seinen Job und die "Kinder" ja doch ;)
Ich muss ja zugeben, nach so vielen Kapiteln endlich wieder Ares sich austoben zu lassen, war wirklich eine Wohltat (die Kapitel davor waren ja schon etwas schwerere Kost...) Und ich hoffe, dass ich mit der letzten Szene nicht über die Stränge geschlagen habe ^^" Sie kam halt so über mich und ich dachte mir, komm, schreib einfach und mit wem solltest du sowas sonst anstellen, wenn nicht mit Ares :P
*grins* Wenn du dich so über Ares gefreut hast, hab ich ja alles richtig gemacht ^^

Und zu deiner Befürchtung, das Ende Memori3s betreffend... lies den Epilog, vielleicht kann ich dich damit ja überraschen ^^


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