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Die Erben

Buch Eins: ANBU
von

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Schicksalsnacht

Es war weit nach Mitternacht und der Mond war bereits im Begriff hinter dem Wald am Horizont unterzugehen. Dennoch hatte Uchiha Makani noch keine einzige Minute Schlaf finden können. Mit unaufhörlich kreisenden Gedanken starrte sie zu dem Erdtrabanten empor, der durch die geöffnete Tür zur Veranda einen Lichtstreifen auf ihren Futon warf. Normalerweise beruhigte es sie, völlig unbewegt dem kontinuierlichen Rauschen der zahllosen Energieströme zu lauschen, die die Natur um sie herum am Leben hielten, doch heute wollten ihr die Ereignisse der vergangenen Tage einfach keine Ruhe für derartige Muße lassen. Seit knapp zwei Monaten war sie nun bei der ANBU, der Attentäter-Einheit ihres Dorfes. Dieser Aufbruch in ein neues Kapitel ihres Lebens, hätte, wenn er normal verlaufen wäre, der jungen Chunin eigentlich schon genug neue Eindrücke bescheren sollen, um nachts aufgewühlt wach zu liegen. Doch als normal konnte man die Geschehnisse der vergangenen Wochen wirklich nicht bezeichnen – selbst für die Arbeit in einer geheimen Spezialeinheit nicht. Irgendetwas hatte von Anfang an nicht gestimmt. Makani war einigen Ungereimtheiten, die ihr begegnet waren, nachgegangen, zum Teil ohne es zu wollen. Am Ende hatte sie wohl mehr gesehen, als gut sein konnte. Auch wenn das meiste ihr weiterhin Rätsel aufgab. Das traurige Ergebnis dieser ersten Monate war nun, dass sie mit ihrem neuen Team zwar noch keine einzige wirkliche Mission bestritten hatte, einer ihrer Kameraden aber dennoch bereits tot war. Der Anführer des Teams hingegen wurde verdächtigt, ein Mörder zu sein, und über diese blutige Tragödie begann sich nun eben jene Familie zu zerfleischen, in der Makani seit knapp fünfzehn Jahren lebte. Obwohl sicher schon viel weniger dramatische Anlässe ausgereicht hätten, um die fragile Harmonie innerhalb dieser kampfwütigen, misstrauischen Sippschaft zu zerstören. Es war eher merkwürdig, wie vergleichsweise ruhig sich alle verhielten. Es musste an der Ungeheuerlichkeit der Geschehnisse liegen, die die gesamte Gemeinschaft im Kern erschüttert hatte. Und was war mit ihr? Sie war Beobachterin wie immer, oder? Dieses Dasein hatte sie zur Perfektion gebracht, sowohl beruflich als auch privat. Makani lächelte sarkastisch an die Zimmerdecke. Es hatte durchaus Vorteile, nicht wirklich dazuzugehören, keine wirkliche Uchiha zu sein. Sie wusste genau, wie schwer die Bürde des roten Fächers wiegen konnte. Gerade die vergangenen Wochen hatten ihr das mehr als deutlich vor Augen geführt. Und doch – dies war ihr Zuhause. Wenn der Schutz, den der Clan ihr gewährte, Risse bekam, betraf sie das natürlich. Besonders wenn die Bruchstelle ausgerechnet von jenen wenigen Mitgliedern ausging, die ihr etwas bedeuteten. War das tatsächlich so? Ja, lautete die schlichte Antwort. Ihre Teamkameraden waren wichtig für sie geworden. Sie hatten sie gesehen und auf gewisse Weise sogar anerkannt, mehr noch – Makani spürte wie jenes Gefühl nach ihr zu greifen drohte, dem sie sich seit einigen Tagen verzweifelt zu entziehen versuchte: Bedauern, Enttäuschung, Trauer. Es hätte gut werden können – hätte. Was war nur geschehen?

Sie setzte sich ruckartig auf und schlug die Hände vor das Gesicht. Es hatte keinen Sinn, immer und immer wieder darüber nachzugrübeln. Entschieden warf sie die Decke zurück und schlüpfte lautlos aus ihrem Zimmer hinaus. Auf dem Flur hielt sie inne und lauschte für einen Moment dem Schnarchen Uchiha Tekkasund dem regelmäßigen Atmen seiner Frau Kyoko, dann lief sie weiter in die Küche. Sie griff sich einen der Pfirsiche, die in einem Korb bei der Tür standen, und setzte sich damit ans Fenster. Wenn sie etwas aß, würde sie besser schlafen könne, das war meistens so. Sie nahm einen Bissen und starrte hinaus in die Dunkelheit. Kein Licht war zu sehen. Ob sie die einzige im Clan war, die keinen Schlaf fand? Der Familienrat hatte bis spät in den Abend getagt, wie eigentlich jeden Abend in der letzten Zeit. Sie hatten sich trotzdem wieder nicht einigen können, das hatte sie Tekka sofort angesehen, als dieser nachhause gekommen war. Kein Wunder! Das Machtgefüge war nachhaltig aus der Balance geraten. Es würde wohl noch dauern, bis die internen Kämpfe soweit ausgefochten waren, dass entschieden würde, wie man weiter verfahren sollte – mit ihm. Makani wollte die Frucht gerade wieder zum Mund führen, als sie plötzlich mitten in der Bewegung erstarrte. Sie blickte angestrengt in den nur spärlich vom Mond beleuchteten Garten. Sie spürte mehr, als dass sie es sah: eine schnelle Bewegung an der Ecke des gegenüberliegendes Hauses, das Blitzen von Metall und – eine Maske? Jäh bestätigte ihr das kaum merkliche Aufflackern einer ihr wohl bekannten Präsenz ihren ersten Verdacht. Es war nicht gut, wenn er hier in der Nacht herumschlich. Sie misstrauten ihm doch ohnehin schon alle. Und was machte er überhaupt hier? Sein Haus stand doch  ganz am anderen Ende des Viertels. Vielleicht war er über einen Umweg aus dem Dorfzentrum oder der ANBU-Zentrale gekommen? Nun konnte Makani die dunkle Gestalt deutlich sehen. Sie stand etwa hundert Meter entfernt auf dem Weg, der zu ihrem Haus und dahinter zum Trainingsgelände führte, und zeichnete sich gegen das Mondlicht ab. Sie schien zum Haus hinüber zu sehen oder sah sie etwa Makani an? Das konnte nicht sein, es war absolut dunkel im Haus. Es sei denn – Der Kunoichi lief ein Schauer über den Rücken, denn sie meinte, die Augen der Gestalt kurz rot aufblitzen zu sehen, als sich diese plötzlich wieder in Bewegung setzte. In gemessenen Schritten kam sie näher, betrat den Garten und bewegte sich schließlich zielsicher auf die Eingangstür zu. Makani hielt den Atem an. Was hatte das zu bedeuten? Aus einem Reflex heraus synchronisierte sie ihr Chakra und alle anderen Körperfunktionen augenblicklich mit der Umgebung und verschmolz eben in jenem Augenblick nahtlos mit der Dunkelheit, als ihr Team-Leader Uchiha Itachi das Küchenfenster mit kaum drei Metern Abstand passierte. Er trug seine ANBU-Kleidung, aber die Maske hatte er heruntergezogen, sodass sie an der Seite seines Kopfes um seinen Hals hing. Er hatte das Katana gezogen und seine Augen leuchteten in tiefem Rot.

 

Eine unbestimmte Furcht ergriff Makani, doch ihr jahrelanges Training half ihr, Ruhe zu bewahren. Sie würde herausfinden, was hier vor sich ging. Lautlos und beinah unsichtbar durchquerte sie die Küche mit wenigen Schritten und betrat wieder den Flur, blieb dort aber in einer Ecke ganz nah an die Wand gepresst stehen. Sie versuchte sich zu konzentrieren, um ihren Herzschlag und ihren Atem zu beruhigen bis diese schließlich kaum mehr vorhanden, geschweige denn von anderen Personen wahrzunehmen waren. Es war schwieriger, in einem Haus unsichtbar zu werden als in der freien Natur. Die Energien der toten Materialen um sie herum waren träge und schwer zugänglich, doch sie durfte sich hier keine einzige Ungenauigkeit erlauben, nicht wenn sie von Itachi, einem Sharingan-Träger, unentdeckt bleiben wollte. Blitzschnell formte sie eine Abfolge Fingerzeichen, betete, dass ihr Chakra für die Illusion ausreichen würde, und beobachtete dann völlig unbewegt die Eingangstür am anderen Ende des Flures. Einige Sekunden verstrichen, die Makani wie eine Ewigkeit erschienen. Kurz überlegte sie, ob Itachi wieder fort gegangen war, doch ihre selbst für eine Kunoichi überdurchschnittlich ausgeprägten Sinne ließen sie erahnen, dass er direkt da draußen vor der Tür stand. Er mochte sein Chakra perfekt unterdrücken, aber es gab andere Zeichen, die auf die Anwesenheit einer Person schließen ließen. Das vergaßen viele Ninja nur, weil die meisten dafür ohnehin kein Gespür hatten. Was immer er vorhaben mochte, warum zögerte er? Das war nicht seine Art, oder? Dann sah Makani schließlich doch, wie sich die Tür langsam öffnete.

Wenige Sekunden später stand Itachi mitten im Flur und starrte die Tür zum Schlafzimmer von Tekka und Kyoko an. Die feinen blassen Züge seines eher länglichen Gesichts waren völlig ausdruckslos, doch seine stechenden Augen schienen sich buchstäblich durch den Shōji vor ihm zu bohren. Die Kunoichi, die sich einige Meter entfernt in den Schatten verbarg, schien er nicht zu bemerken. Wollte er hier etwa spionieren oder Tekka zur Rede stellen? Dieser stand schließlich ganz offen dazu, dass er ihn für Uchiha Shisuis Tod verantwortlich machte und ihn am liebsten sofort aus dem Clan verbannen wollte. Doch ihr Gefühl sagte ihr, dass nichts davon zutraf. Unwillkürlich ertönte eine Stimme in ihren Gedanken und Makani riss voller Entsetzen die Augen auf. Es waren Worte, die sie vor wenigen Tagen vernommen hatte, obwohl sie ganz und gar nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen waren. Sie hatte sie nicht wirklich verstanden, doch nun schienen sie sich in ein unfassbares, aber grauenvoll logisches Bild einzufügen: Itachi, wir haben entschieden. Es ist an der Zeit, dass du deinem Dorf den größten Dienst erweist, zu dem du je fähig sein wirst. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Frieden erneut durch banale Machtkämpfe gefährdet, wenn nicht sogar diesmal ganz zerstört wird. Du wirst es endgültig zu Ende bringen. Oh Gott! Makani konnte das Zittern, das ihren Körper plötzlich schüttelte, nicht unterdrücken. Er musste es bemerken! Doch in diesem Moment öffnete Itachi die Tür und betrat das Schlafzimmer mit erhobenem Schwert. Sie musste etwas tun, schoss es ihr durch den Kopf. Aber sie wusste genau, dass sie nicht den Hauch einer Chance haben würde. Wie angewurzelt stand sie da. Merkwürdig bewusst fühlte sie die Bambusmatten unter ihren nackten Füßen, während sie das Surren der Klinge durch die Luft und das Schneiden durch Fleisch und Futon, das Spritzen von Blut hörte. Auf der papiernen Wand mit den feinen Zeichnungen darauf zeigten sich rote Sprenkel. Keine Schreie. Er musste sie gleichzeitig getötet haben.

Einige Sekunden herrschte Stille, in denen Makani gegen ein jähes Schwindelgefühl ankämpfte und vergeblich zu begreifen versuchte, was gerade geschehen war. Doch einzig ihr Überlebensinstinkt schrie unablässig in ihrem Kopf: Halt deine Deckung aufrecht! Wie in Trance sammelte sie erneut Chakra, um ihre Genjutsu aufrechtzuerhalten. Dann erstarrte sie wieder zu völliger Bewegungslosigkeit. Itachi trat aus dem Schlafzimmer, Blutspritzer auf der Weste. Er ließ das Schwert sinken und blickte – in ihre Richtung! Makani sah in zwei karmesinrote Augen jedoch ohne die erwarteten drei schwarzen Punkte darin. Stattdessen umgaben seine Pupillen jeweils eine dreiarmige Spirale. Er beherrschte das Mangekyou Sharingan also wirklich! In diesem Moment war sie sich sicher, dass er sie sehen konnte. Sie wusste zwar nicht genau, wozu diese Form seiner Kekkei Genkai tatsächlich fähig war, aber dass sie sehr mächtig sein musste, stand außer Frage. Schon das Sharingan, das sie von ihm kannte, hatte es ihr schwer gemacht, sich vor ihm zu verbergen, denn es half ihm um ein Vielfaches schärfer zu sehen, als ein normales Auge es jemals könnte.Trotz ihrer Angst hielt sie seinem Blick stand. Wirst du mich auch töten, Itachi? Gehört das auch zu deinem Auftrag? Doch dann gelang ihr etwas, von dem sie zuvor nicht einmal geahnt hatte, dass es möglich war. Es war mehr als eine Synchronisation ihres Chakras. Es verschmolz tatsächlich mit dem ihrer Umgebung, auch wenn es sich lediglich um Holz, Papier, Luft und Schatten handelte. Es war nicht mehr ihr eigenes Chakra und sie selbst verhüllte sich nicht nur mit Hilfe der Dinge um sie herum, sondern sie wurde ein Teil von ihnen. Eigentlich war sie nicht mehr vorhanden. Sie verlor Itachis Blick aus den Augen, wusste für einige Augenblicke nicht, was er tat, denn die Sinne drohten ihr zu schwinden. Sie wurden weggeschwemmt mit dem unablässigen Energiestrom, der in allen Dingen fließt. Mit aller verbleibenden Kraft versuchte sie, ihre Gedanken wieder in eine Einheit zurückzuführen, bevor ihr Selbst gänzlich verloren ging. Gerade noch meinte sie zu sehen, wie Itachi das Haus wieder verließ, dann brach sie zusammen.

 

Es musste eine Weile vergangen sein, als Makani wieder zu sich kam, denn das erste, das sie wahrnahm, war graues Morgenlicht. Sie sah es durch die Haustür einfallen, die der nächtliche Eindringling anscheinend offen gelassen hatte. In ihrem Kopf drehte sich alles und ihr war übel. Sie konnte nicht genau sagen, ob ihr Körper aufgrund der soeben beobachteten Schreckenstat oder der starken Beanspruchung durch die eingesetzten Künste rebellierte. Nur mit großer Mühe schaffte sie es, aufzustehen. Schwankend hielt sie sich an der Wand fest, damit sie nicht wieder zu Boden ging. Ihre Gedanken wirbelten eigenartig ziellos umher und plötzlich wusste sie nicht mehr, warum sie überhaupt aufgestanden war. Liegen war doch viel besser! Doch dann schweifte ihr Blick zur Schlafzimmertür und erneut packten sie Grauen und Übelkeit. Sie wollte nicht sehen, was er da drinnen angerichtet hatte. Mit schnellen, aber unsicheren Schritten lief sie nach draußen, schaffte es aber nur bis auf die Veranda. Dort viel sie schmerzhaft auf die Knie und übergab sich unter Krämpfen in ein Blumenbeet. Einige Momente verharrte sie schwer atmend auf allen Vieren bis sie wieder genug Kraft gesammelt hatte, um aufzustehen. Es war ein nebliger Morgen und die feuchtkühle Luft auf Makanis erhitzter Haut tat ihr gut, klärte ihre Gedanken. Sie musste Hilfe holen! Sie mussten den Mörder verfolgen. Den Mörder? Das blasse, ernste Gesicht Itachis tauchte vor ihrem inneren Auge auf, sein seltenes trauriges Lächeln. Sie konnte nicht mehr atmen. Er hatte im Auftrag der ANBU gehandelt, im Auftrag des Dorfes. Die Ungeheuerlichkeit dieser Tatsache schien fast unerträglich. Er war eine Art Doppelagent gewesen, das hatte sie schon länger geahnt und auch dass der Uchiha-Clan aufgrund seiner Machtbestrebungen wohl nicht ganz zu unrecht misstrauisch beobachtet wurde. Aber dass er soweit gehen würde, dass er einen Mordauftrag gegen Mitglieder seiner eigenen Familie ausführen würde. Und warum gerade Tekka? Er hatte zwar definitiv zu jener Fraktion gehört, die die Uchihas lieber heute als morgen an der Macht gesehen hätte, aber sie hätte ihn in dieser Hinsicht längst nicht für das gefährlichste Familienmitglied gehalten. Eine dunkle Vorahnung überkam die Kunoichi und sie fröstelte. Die Feuchtigkeit legte sich auf ihre Haut und ließ ihr dünnes Hemd klamm werden. Ohne zu wissen, wohin sie gehen sollte, setzte sie sich in Bewegung. Sie folgte einfach dem Weg, der in Richtung Dorfzentrum und davor quer durch das von den Uchihas bewohnte Viertel führte. Dabei versuchte sie erst gar nicht, sich erneut zu verbergen. Ihre Kraft hätte ohnehin nicht ausgereicht. Außerdem spürte sie keinerlei menschliche Präsenz weit und breit. Makani stockte, als ihr mit einem Mal bewusst wurde, was das bedeutete. Sie hob den Blick. Die Tür des gegenüberliegenden Hauses stand offen. Kein Lebenszeichen. Langsam wurde aus der Ahnung eine Gewissheit, die sich ihr mit aller Brutalität aufdrängte: Dieser Anschlag hatte keineswegs nur Tekka und Kyoko gegolten. Sehr langsam und mit zitternden Knien ging sieweiter. Wo auch immer sie hinging, eigentlich wollte sie nie dort ankommen.

 

Etwas östlich der Mitte des Viertels lag ein teilweise von Mauern umgebener Platz. Hier stand auch der alte Familiendōjō, welcher aber hauptsächlich für Versammlungen genutzt wurde. Trainiert wurde in der Regel auf einem deutlich mehr platzbietenden und weniger altehrwürdigem Gelände am Waldrand. Als Makani beim Dojo eintraf, schlug ihr eine gespenstische Stille entgegen, die lauter war als jeder Kampfeslärm. Sie hatte den Blick stur auf ihre nackten Füße gerichtet, die von dem über Nacht feuchtgewordenen Staub auf dem Weg ganz schmutzig geworden waren. Sie blieb erst ruckartig stehen, als plötzlich blutgetränkte Erde in ihr Blickfeld trat und kurz darauf eine Hand. Im nächsten Moment realisierte sie, dass der Körper, zu dem die Hand gehört hatte, fehlte. Sie  lag abgetrennt und tot im Dreck. Die Kunoichi trat erschrocken einen Schritt zurück und riss den Kopf hoch – Es war, als würde etwas in ihr brechen und ihr wurde mit einmal bewusst, dass sie bis zu diesem Augenblick in ihrem Leben im Grunde unversehrt gewesen war. Zwar hatte sie schmerzhafte Verluste erlitten, war oft einsam gewesen, hatte Gewalt erlebt und sogar bereits getötet, aber nichts davon hatte ihre Seele so tief erschüttert wie dieser Anblick. Äußerlich ungerührt bahnte sich nun ein anderes Mädchen ihren Weg durch die sich vor ihr erstreckende Verwüstung. Elf Clan-Mitglieder zählte sie. Diese waren nicht im Schlaf sauber und schnell mit einem Schwerthieb getötet worden. Sie hatten gekämpft, so sehr, dass sich metertiefe Furchen in die Erde gegraben hatten. Darin und dazwischen lagen nun ihre Leichen und Makani hatte nicht geglaubt, dass man menschliche Körper derart zerstören konnte. An den scheinbar willkürlichsten Stellen waren sie aufgerissen und zerfetzt worden. Ihr Inneres tränkte ihren eigenen Grund und Boden und vermischte sich mit dem Schmutz an ihren Füßen. Alles war vorbei. Hier war niemand, der einen Mörder verfolgen oder der Hilfe leisten könnte, die ohnehin niemand mehr brauchte. Wieder tauchte jener Uchiha in ihren Gedanken auf, der vermutlich als einziger außer ihr noch am Leben war und den sie so schwer mit diesem Bild der Vernichtung in Zusammenhang bringen konnte, obwohl er offensichtlich der Versursacher war. Doch bevor es sie an den Rand des Erträglichen treiben konnte, begann die Erinnerung an sein Gesicht vor ihrem inneren Auge zu schwinden und versank in eine gnädige Tiefe, aus der sie nie wieder hervorgeholt werden durfte. Zurück blieb das Bild einer dunklen, bedrohlichen Gestalt in ANBU-Uniform, die mit stechendem roten Blick und erhobenem Schwert durch das Uchiha-Viertel schritt. Welch ungeheure Kräfte er hier entfesselt haben musste. Sie hatte immer gewusst, dass er unglaublich stark war, aber so etwas hatte sie sich nicht vorstellen können. Makani sah zu einem großen angrenzenden Wohnhaus hinüber. Dort hatte Itachi gelebt. Er, seine Eltern und – Plötzlich nahm sie eine Bewegung an der Tür des Hauses war und erstarrte augenblicklich. Eine kleine Gestalt wankte durch den verwüsteten Vorgarten und blieb zitternd am Rande des Platzes stehen. Es war Uchiha Sasuke, Itachis jüngerer Bruder, und er schien unverletzt zu sein. Er bemerkte sie nicht, doch Makani sah unaussprechlichen Schrecken in seinen Augen. Im nächsten Moment rannte er los in Richtung Dorfzentrum.

Sie hätte ihm helfen sollen. Sie hätte ihm zeigen sollen, dass sie noch am Leben war. Doch in dieser ganzen blutigen, verhängnisvollen Nacht und diesem grauenvollen Morgen war sie zu keiner einzigen wirklichen Handlung imstande gewesen. Eigentlich kannte Sasuke sie kaum. Was konnte ihr Überleben ihm schon an Trost spenden angesichts seines soeben in wenigen Stunden unwiederbringlich zerstörten Lebens. Also folgte sie ihm lediglich lautlos, während er hysterisch irgendwelche zusammenhangslose Dinge schrie, rannte, hinfiel und weiterrannte. Schließlich sah sie Menschen aus dem Dorf, die wohl auf den Lärm aufmerksam geworden waren, auf sie zu laufen. Makani blieb stehen, als Sasuke schreiend zusammenbrach und die Leute sich um ihn scharrten. Sie hörte aufgeregte Rufe und spürte, wie jemand an ihr vorbei in jene Richtung lief, aus der sie gerade gekommen war. Weitere Personen folgten, doch die Kunoichi trat nicht aus den Schatten und warnte niemanden davor, was man im Uchiha-Viertel vorfinden würde. Stattdessen verschwand sie zwischen zwei Häusern auf einem Weg, der weder ins Dorf noch zurück ins Viertel führte.

 

Als sie den Wald betrat, der das Dorf auf der Südseite begrenzte, war die Sonne bereits aufgegangen, doch an diesem Frühherbstmorgen verbarg sie sich hinter einem Schleier aus Dunst und Wolken. Hier war der Wald jung, die Baumstämme waren schlank und das trübe Tageslicht fiel bis auf den grün bewachsenen Boden. Doch heute würde sie bis in seine finstersten Tiefen vordringen. Sie würde nicht umkehren, bis sie das Einflussgebiet dieses verfluchten Dorfes endgültig verlassen hatte. Das ohnehin dünne Band, welches sie damit verbunden hatte, war, so schien es ihr, für immer durchtrennt worden. Was für ein widerlicher Ort dies doch war. Sie wollte verschwinden! – im Wald oder dorthin, was immer dahinter kommen mochte. In diesem Moment vergaß Makani, dass sie Freunde hatte, dass es einen Lehrer gab, dem ihr Schicksal am Herzen lag. Alles schien besudelt, verraten und zerstört. Und letztendlich hatte dies alles doch ohnehin nicht einmal wirklich etwas mit ihr zu tun, außer dass ihr die Ehre zuteil geworden war, das ganze Ausmaß an Abartigkeit daran vorgeführt bekommen zu haben. Nicht einmal so viel Bedeutung war ihr beigemessen worden, um sie zusammen mit dem Clan in den Abgrund zu reißen. Bei diesen eiskalten Schlächtern hatte und hätte es niemals eine Heimat für sie gegeben. – Sei  versichert, tief in eurem Herzen seid ihr noch genau die gleichen blutrünstigen Kriegstreiber… Oh Gott, es war alles wahr! Makanis Gesicht verzerrte sich in einem stummen Schrei zu einer schmerzverzerrten Fratze. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, verbannte sie die peinigenden Gedanken aus ihrem Kopf und rannte los. Sie wusste nicht, dass sie nicht die einzige war, die das Dorf an diesem Morgen verließ, um niemals zurückzukehren.

 

 

*  *  *


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war also der Prolog!
Nicht wundern - im nächsten Kapitel springen wir erstmal ein wenig im Zeitverlauf zurück. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Scorbion1984
2017-04-27T08:28:57+00:00 27.04.2017 10:28
Der Prolog ist sehr spannend geschrieben !
Mal sehen wie diese Geschichte weiter geht !


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