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Climax

OS Sammlung zu Abyss
von

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Family

„Meinst du nicht, du solltest dich ein bisschen mehr entspannen?“

Enji übergeht den Kommentar und setzt das heiße Wasser für die Soba auf. Die Soße hat er bereits einen Tag vorher zubereitet, sodass er sich zumindest darum nicht kümmern muss. Auf dem Herd köchelt bereits das Mapo Tofu und er hofft, dass es genauso gut schmeckt, wie es riecht. Eigentlich kann er kochen, doch meistens belässt er es bei einem Gericht nebst Beilagen. Heute ist ein besonderer Tag.

„Ich meine, nicht, dass ich es nicht heiß finde…du mit Schürze inmitten von so vielen Leckereien…“

Hawks‘ anrüchiger Unterton ist Absicht, genau wie die wackelnden, buschigen Brauen. Gerade heute hat er dafür aber keinen Nerv, wenn er auch sonst inzwischen darüber schmunzeln muss.

„Wenn du dich langweilst, kannst du das Sashimi zubereiten, anstatt mir mit deinem Gequatsche auf die Nerven zu gehen“, brummt er angespannt.

Hawks lächelt schief, dann kommt er näher und schlingt von hinten die Arme um seine Taille. Er lehnt den Kopf gegen seinen Rücken und seufzt leise.

„Das willst du doch gar nicht“, mosert er herum. „Dann schneide ich es nicht ordentlich genug oder so…du weißt, ich bin scheiße, was kochen angeht.“

Enji schnaubt leise, widerspricht aber nicht, weil es genauso ist, wie der Blonde gesagt hat. Die Küche ist sein Revier – zumindest, was das Kochen angeht – und er lässt Hawks nur selten etwas anderes als die Mikrowelle benutzen. Manchmal macht dieser ihnen fettiges Rührei oder ein Omelette, aber damit hört es dann auch auf.

„Es wird alles gut werden, okay? Ich meine…du versuchst, jedem deiner Kinder sein Lieblingsessen zu machen. Hey, mich hast du damit gekriegt! Liebe geht schließlich durch den Magen!“

„…ich habe dich mit Chicken Nuggets von McDonalds gekriegt?“

„Hach ja, unser erstes Date“, seufzt Hawks gespielt verträumt und lacht, als Enji ihn mit der Hand von sich weg scheucht.

Den Klaps, den Hawks ihm auf den Hintern gibt, nimmt er nur halbwegs verärgert hin. Sein Freund nimmt das alles eindeutig zu locker, immerhin ist das hier sehr wichtig für Enji. Es ist der erste Besuch seiner Kinder nach dieser peinlichen Eskapade vor Monaten. Seitdem hat keiner von ihnen Interesse daran gezeigt, wieder mit ihm in Kontakt zu treten. Vor ein paar Tagen hat ihm dann plötzlich Fuyumi geschrieben und nach einem Treffen gefragt.

Vielleicht liegt es daran, dass die Scheidung endlich durch ist. Daran, dass auch Rei endlich abschließen will und muss. Vor einer Weile hat er ein Gespräch mit ihr gehabt, das nicht so furchtbar gewesen ist, wie er es erwartet hat. Nach vorn schauen will sie nun. Sich ein neues Leben aufbauen. Von Hawks weiß sie, doch es scheint sie weder großartig zu schockieren, noch in irgendeiner anderen Form emotional zu berühren. Vermutlich ist das der beste Beweis dafür, dass ihre Ehe zu Ende ist.

Sie ist weiterhin in Therapie und er hat ihr seine Unterstützung zugesichert, die sie wahrscheinlich nicht annehmen wird. Aber es hat sie wohl irgendwie gefreut, dass er selbst in Therapie ist. Zumindest hat sie ihn kurz angelächelt. Rei ist nicht der Typ, der ewig Groll hegt…anscheinend kann sie ihm eher verzeihen, als er sich selbst. Er weiß nicht, ob das ein gutes Gefühl ist. Es sorgt eher dafür, dass er sich noch mehr wie ein Arschloch fühlt.
 

„Mach dir keinen Kopf.“

Hawks lehnt sich an die Anrichte und blickt ihn nun etwas ernster an.

„Wenn’s heikel wird, spiel ich den Puffer. Du weißt, ich bin gut mit Worten.“

Enji hebt zweifelnd eine Braue, während er die Nudeln aus dem Schrank holt und die Packung öffnet.

„…letztes Mal warst du eher das Streichholz.“

„Oi! Das war…einfach ne blöde Situation. Ich meine, sie wissen doch, dass wir zusammen sind. Wenn sie mich hassen würden, würden sie nicht kommen, oder?“

„Vielleicht denken sie auch, sie müssen dich vor mir retten…“

„Oh, dann zeig ich ihnen eben, dass man dich eher vor mir retten muss~“, zwitschert Hawks breit grinsend, woraufhin Enji knurrt.

„Hawks.“

„Schon gut. Ich mach doch nur Spaß. Keine Sorge. Ich werde dich nicht blamieren und ich gebe mir Mühe, dass der Abend ein Erfolg wird, hm?“

„Gut.“

Hawks lächelt ihn an, ehe er neugierig auf die Arbeitsfläche schielt.

„Kein Hähnchen?“, fragt er mit gewisser Enttäuschung.

„Du stopfst genug Frittiertes in dich hinein.“

„Muss ja nicht frittiert sein“, mault Hawks und hängt sich an seinen Arm.

Enji entzieht ihn ihm, weil er nun den Reis kochen muss; sie werden bald da sein. Das Sashimi zubereiten und die Nudeln kochen – dann ist er fertig.

„Du kommst auch einen Abend ohne klar.“

„Wird aber eine Herausforderung!“

„Mach dich nützlich und deck den Tisch.“

„Aye aye!“

Hawks salutiert mit gespielt ernster Miene, ehe er schmunzelnd zu den Schränken geht und das Geschirr herausholt. Summend streckt er sich etwas, um besser heranzukommen, dann wendet sich Enji wieder dem Essen zu.
 

Es ist immer noch seltsam, wie schnell er sich an das Zusammenleben mit Hawks gewöhnt hat. Ebenso wie die Tatsache, dass das zwischen ihnen bisher so gut funktioniert. Wenn er ehrlich ist, ist er davon ausgegangen, dass er es versauen wird. Er mit seinem Alkoholproblem und seinen Aggressionen…doch aus irgendeinem Grund fällt es ihm dank Hawks‘ Anwesenheit sogar leichter, damit zurechtzukommen. Er weiß noch, dass ihn Rei oft wütender gemacht hat, indem sie sich bei Diskussionen zurückgezogen hat. Er will ihr damit nicht die Schuld geben. Auf keinen Fall.

Jedoch ist es einfacher, sich zu beruhigen, wenn Hawks ihn mit diesem stechenden Blick ansieht und einen schärferen Ton anschlägt. Etwas, das ihm signalisiert, bis hierhin und nicht weiter. Es rüttelt ihn wach, wenn er einen dieser schwachen Momente hat. Sie kommen selten. Aber sie sind da. Manchmal werden sie durch Hawks‘ eigene Schwächen hervorgerufen, wie zum Beispiel, wenn er einen schlechten Tag gehabt hat und dies vor ihm verheimlichen will. Er muss ihm nicht alles sagen. Aber er will nicht mit diesem falschen Lächeln belogen werden, wenn er spürt, dass etwas nicht stimmt. Er weiß, dass Hawks ein gebranntes Kind ist, was seine Probleme angeht. Ab und zu provoziert dieser ihn, damit er nicht mit ihm reden muss.

Es ist nicht perfekt. Allerdings ist Perfektion weder Enjis Ziel, noch wünscht sich Hawks dies. Es funktioniert und sie ergänzen sich gut. Sie tun sich gut. Selbst ein kaputter Mann wie er scheint dem vorlauten Blondschopf gutzutun. Zumindest hat er Hawks‘ dubiosen Vater scheinbar endgültig verscheucht, denn dieser hat sich bisher nicht wieder gezeigt. Gut, sie haben eine neue Adresse, aber auch davor ist er nicht mehr wegen dem Geld gekommen. Hawks hätte ihm das gesagt, davon geht er aus. Er will davon ausgehen.

Während die Nudeln kochen, holt er den frischen Fisch aus dem Kühlschrank und beginnt, ihn in gleichmäßige Stücke zu schneiden, um ihn auf der Platte zu platzieren. Er weiß, wie akkurat Fuyumi dies stets getan hat, und möchte es ebenso schön anrichten. Wenn er ehrlich ist, entspannt ihn das Kochen. Früher hat er nicht viel Zeit dafür gehabt, aber ab und zu hat er sich daran versucht. Es ist nicht schwer, wenn man sich damit befasst, und zumindest Hawks macht immer ein sehr glückliches Gesicht, während er das Essen genießt. Vor allem, wenn er Yakitori oder Karaage macht.

Nein, es läuft wirklich gut mit ihnen. Schwer zu glauben, aber es ist so. Vielleicht sehen das ja auch seine Kinder und halten ihn dann nicht für das Monster, das sich einen jungen Liebhaber hält.
 

Als es schließlich an der Tür schellt, ruft Hawks ihm zu, dass er schon aufmacht – und direkt ist Enji noch nervöser. Er zischt, als er sich die Finger am Topf verbrennt, und hält sie sofort unter kaltes Wasser. Nichts passiert. Das fehlt gerade noch. Innerlich seufzt er, hört dann aber auch schon die Stimme von Fuyumi. Sicher sind sie direkt zu dritt angekommen.

Er dreht das Wasser ab und wirft einen Blick über die Schulter, wo Hawks gerade seine Kinder hereinführt, wobei er Fuyumi vollschnattert, welche ihn anlächelt. Natsuo hat die Mundwinkel nach unten verzogen und Shouto blickt wie so oft recht monoton drein. Das kann ja was werden.

„…ja, echt! Er steht schon seit gestern in der Küche!“, hört er Hawks sagen und verflucht ihn stumm. „Also, dem Geruch nach wird das ein richtiges Festmahl!“

Haben sie sich einander bereits vorgestellt? Hawks hat nicht immer den besten Anstand, aber ist wohl besser, wenn er sich da nicht einmischt.

„Hallo Vater. Danke für die Einladung“, kommt es von Fuyumi, die sich leicht verbeugt.

Da die Küche offen zum Wohnzimmer grenzt, muss sich Enji nur zu ihnen umdrehen. Er tut es ihr gleich, während Natsuo und Shouto ihn bloß ansehen.

„Danke, dass ihr…hergekommen seid. Hawks…kennt ihr ja.“

Natsuo gibt ein verächtliches Schnauben von sich, woraufhin ihn seine Schwester vorwurfsvoll ansieht. Sie setzt wieder ein Lächeln auf, doch Enji merkt, dass sie sich dazu zwingt.

„…ich bin gleich fertig. Setzt euch schon mal“, brummt er und deutet auf den niedrigen Tisch im japanischen Stil.

Die Einrichtung bei jemandem wie Hawks durchzusetzen, ist eine Herausforderung gewesen. Sein Freund setzt eher auf moderne Möbel, aber gut, er hat die Couch aussuchen dürfen.

„Eigentlich kenn ich euch ja nur von dem einen peinlichen Mal, als ihr plötzlich vor der Haustür gestanden habt“, plappert Hawks los und Enji stöhnt innerlich. „Also…schießt los! Was wollt ihr über mich wissen?“

Die darauffolgende Stille lässt darauf schließen, dass das eher unangenehm für seine Kinder ist. Für jemanden in ihrem Alter ist Hawks nicht besonders feinfühlig.

„Also, ich bin 23 Jahre alt, wobei – sind nur noch ein paar Monate, dann werde ich schon 24! Ich mache gerade die Ausbildung zum Polizisten – ist echt ein krasser Job! Oh, und ich futtere gern Hähnchen!“, nimmt er ihnen die Entscheidung ab.

Enji ist froh, dass er noch nicht mit am Tisch sitzt. Allerdings stellt er schon mal einige der Schälchen und Platten auf den Tisch, wobei er nicht recht weiß, wo er hinsehen soll. Fuyumi stutzt kurz, ehe sie entschuldigend zu Hawks sieht und sich erhebt. Will sie raus aus der Situation oder kann sie nicht anders, weil es ihr der Anstand gebietet?

„Warte, ich helfe dir!“, bietet sie sich an und wuselt in die Küche, so wie sie es schon früher getan hat. „Das riecht wirklich sehr gut.“

„…danke.“

„Du bist…Polizist?“, hört er Natsuo langsam nachfragen und es klingt ungläubig.

„In Ausbildung.“

„Okay. Hätte ich jetzt nicht gedacht.“

„Weil ich dafür nicht spießig genug aussehe?“

„…alles irgendwie. Du…wirkst echt nicht wie ein Polizist…und keine Ahnung. Dann bist du mit dem da zusammen…“

Natsuo fängt früh damit an, zu sagen, was er über Hawks und ihn denkt. Er sieht aus den Augenwinkeln, wie sich Fuyumi versteift, aber keine Miene verzieht, sondern die Soba mit kaltem Wasser abgießt.
 

„Nun, ich bin volljährig. Ist also nichts Illegales dran, oder? Und der da macht sich als Freund eigentlich ganz gut. Ich krieg immer leckeres Essen, die Wohnung wäre ohne ihn ein Chaos und obwohl ich eine ziemliche Nervensäge sein kann, beschwert er sich nur ganz selten.“

Er kann Hawks‘ breites Grinsen heraushören. Was er sagt, stimmt im Großen und Ganzen. Hawks ist unordentlich. Weil Enji aber nicht ständig herummeckern will, nimmt er es meistens selbst in die Hand. Davon abgesehen, dass er flexibel ist und oft von zuhause arbeitet, was bei Hawks nicht möglich ist.

„Aha“, kommt es nicht sehr beeindruckt von Natsuo.

„Aber genug von mir – was ist mit euch? Was macht ihr so?“

„…ich studiere Medizin. Shouto geht zur Schule.“

„Ihr seid ja richtig ambitioniert! Cool!“

Shouto runzelt die Stirn.

„Zur Schule geht doch jeder.“

„Also, ich musste einiges nachholen. Ich war da nicht so hinterher, wenn ich ehrlich bin. Meine Eltern waren aber auch nicht so die Menschen, die einen fördern.“

Es ist mehr als selten, dass Hawks seine Eltern erwähnt, und Enji fragt sich, ob er das nun seinetwegen tut. Ein schlechtes Beispiel, denn er hat ihnen nicht verziehen und das offensichtlich auch nicht vor. Andererseits bemühen sie sich auch nicht um ihn. Enji will sich bemühen. Er will wieder einen Draht zu ihnen bekommen, wenn er Touya schon verloren hat. Es tut immer noch weh, an ihn zu denken. Das wird es immer.

„Solange sie sich wenigstens um dich gekümmert haben. Leistung bringen, ist manchmal nicht alles“, ätzt Natsuo in seine Richtung.

Damit hat er Recht. Er war nicht oft zuhause und wenn er es gewesen ist, hat er sich nach der Schule erkundigt. Noten und Erfolg sind wichtiger gewesen als alles andere. Wenn er sich mehr dafür interessiert hätte, wer sie sind und was sie brauchen, wäre vielleicht alles anders gekommen. Wenn er nicht die Hand gegen Touya erhoben hätte…

„Na ja, damals haben sie mich entweder verprügelt oder ignoriert und noch vor ein paar Monaten kamen sie vorbei, um sich Geld für Bier und Zigaretten bei mir zu erschnorren. Weiß nicht, ob man das unter Kümmern versteht, aber hey! Jeder denkt darüber ja anders.“

Ja. Er sagt es definitiv, um ihn zu schützen – und es macht Enji wütend. Hawks soll nicht solche Vergleiche ziehen, damit er besser dasteht. Das hat er nicht verdient.

Anscheinend sind seine Kinder sprachlos, so wie sie ihn ansehen. Enji stellt die Schüssel mit Reis auf den Tisch und wirft Hawks einen finsteren Blick zu, der mit einem Lächeln erwidert wird. Dann sieht er zu seinen Söhnen, während Fuyumi etwas wie „das tut mir leid, Hawks-san“, murmelt, woraufhin dieser abwinkt.

„Schon gut. Wir haben keinen Kontakt mehr und das ist gut so. Übrigens weiß ich, dass euer Dad auch ne Menge Scheiße gebaut hat – und glaubt mir, er quält sich damit ziemlich rum. Es wäre also wirklich toll, wenn das hier ein ernsthafter Versuch werden könnte, ihm eine Chance zu geben. Er ist seit einem halben Jahr trocken – und das soll so bleiben.“

„Hawks!“, zischt er fassungslos, doch dieser sieht weiterhin vor allem Natsuo an.

„Wenn ihr keinen Kontakt wollt – das kann keiner besser verstehen als ich. Aber ihr habt den Kontakt gesucht, also…geben wir uns Mühe, damit das hier ein netter Abend wird?“

Er lächelt und legt den Kopf schief.

„Ihr könnt mich alles fragen, was ihr möchtet. Aber ich will nicht, dass ihr denkt, ihr müsst mich aufklären oder retten. Das mit uns ist was Ernstes und ich bin ziemlich glücklich. Einverstanden?“

Die Stille, die auf seine Worte folgt, ist mehr als unangenehm. Es ist, als würde sich keiner zu atmen trauen. Fuyumi steht neben ihm wie festgefroren, das Mapo Tofu in den Händen haltend.
 

Zu seiner Überraschung ist es Shouto, der sich als erstes regt, indem er nickt.

„Einverstanden.“

Natsuo sieht ihn perplex an, dann wirft er einen Blick zu seiner Schwester, die schief lächelt. Man merkt ihm an, wie schwer es ihm fällt, überhaupt etwas dazu zu sagen.

„Ja. Ist gut“, brummt er schließlich zähneknirschend und Hawks strahlt ihn an.

„Yay! Dann wollen wir mal das ganze gute Essen genießen und dann muss mir Fuyumi-chan noch verraten, was sie so macht!“

„Ich bin Lehrerin. In der Grundschule“, antwortet sie direkt und Hawks hebt beide Brauen.

„Das passt richtig gut zu dir! Bestimmt bist du total beliebt bei den Kindern, oder?“

Schmeicheln kann er. Fuyumi wird rot und streicht sich eine weiße Strähne hinter ihr Ohr, doch sie lächelt dabei.

„Nun, die Kinder mögen mich und ich mag sie. Es ist schön, etwas zu Ihrer Bildung beitragen zu können.“

„Du liebst deinen Job echt, oder?“

„Ja, das stimmt. Ich habe damals recht schnell gewusst, was ich werden wollte.“

„Ach echt? Ich auch! Ich habe nur nie gedacht, dass ich es schaffen könnte.“

„Wirklich? Du scheinst sehr ehrgeizig zu sein.“

„Heute bin ich das auch, aber früher…na ja…“

Enji sitzt mit ihnen am Tisch und hört ihnen dabei zu, wie sie sich austauschen. Dass Hawks gut reden kann, ist ihm nicht neu, und auch, wenn er es immer noch nicht gut findet, dass er Natsuo so unter Druck gesetzt hat, scheint es gut zu laufen. Fuyumi sympathisiert zweifellos mit ihm und auch die anderen beiden scheinen ihn als Person in Ordnung zu finden. Dass sie die Beziehung gutheißen, glaubt er nicht. Der Altersunterschied, sein schwieriger Charakter…aber Hawks hat eine Grenze gesetzt und die scheinen sie zu respektieren. Er beschützt ihn. Mehr, als Enji Hawks beschützen muss oder kann. Der Rückhalt seines Partners fühlt sich ebenso gut wie falsch an. Weil er immer noch nicht glaubt, dass er es verdient. Diese Gedanken verschwinden nicht, nur weil er nicht mehr trinkt und sich therapieren lässt. Es gibt gute und schlechte Tage.
 

„Es ist gut.“

Enji dreht den Kopf zu seinem Jüngsten, als dieser die Worte murmelt. Beinahe hätte er es nicht verstanden, da sich Fuyumi und Hawks recht laut unterhalten und Natsuo zwischendurch miteinsteigt. Shouto nimmt erneut die Soba zwischen die Stäbchen, tunkt sie in die Soße und schlürft sie dann.

„…das freut mich“, kommt es steif von Enji, der noch nicht viel gegessen hat.

Durch die Anspannung hat er auch nicht das Gefühl, besonders viel herunterzubekommen. Shouto sieht ihn nicht an, während er weiterisst, den Blick auf Hawks gerichtet, der über irgendetwas lacht, das Natsuo gesagt hat. Er hat nicht zugehört.

„Du hast dir Mühe gegeben.“

Dass er das anerkennt, tut ziemlich gut. Es ist traurig, dass er verlernt hat, mit seinen Kindern umzugehen.

„Ja. Habe ich.“

Shouto nickt und schweigt einen Moment. Man sieht ihm nicht an, was er denkt. Seit dem Feuer damals hat er alles Kindliche verloren und wirkt immer sehr ernst. Es fällt Enji schwer, sich daran zu erinnern, wie er vorher gewesen ist, doch das ist wohl auch der versäumten Zeit geschuldet.

„Er scheint dich wirklich gern zu haben.“

Dass er damit Hawks meint, steht außer Frage.

„Also musst du wohl gut zu ihm sein. Er wirkt nicht so, als würde er sich einschüchtern lassen.“

Damit hat er Recht. Von ihnen beiden ist Hawks derjenige, der die mentale Stärke besitzt. Derjenige, der ihn aufbaut und ihm die Meinung sagt, wenn es sein muss. Enji wünscht sich nur manchmal, Hawks würde mit ihm offener über seine eigenen Probleme reden. Denn dass es welche gibt, daran gibt es keinen Zweifel.

„Das ist auch so. Keine Sorge. Er wird sich von mir nicht mit herunterreißen lassen. Ich…versuche wirklich, klarzukommen. Es ist mir ernst. Das mit ihm…und auch mit euch. Ich weiß, dass ich viel falsch gemacht habe und dass ich es nicht wieder gutmachen kann. Aber…ich versuche, besser zu werden.“

Shouto erwidert zuerst nichts darauf und für ein paar Sekunden schallt lediglich das Lachen der anderen drei durch den Raum, als Hawks einen seiner Vorgesetzten nachahmt. Es ist lange her, dass sie so ausgelassen in seiner Gegenwart gewesen sind. Auch wenn sie ihn gerade nicht wirklich wahrnehmen und wohl nur wegen Hawks so locker sind.

„Gut.“

Mehr kann Enji nicht erwarten. Es wird ein harter und steiniger Weg werden, aber vielleicht können sie irgendwann einigermaßen normal miteinander umgehen. Die Illusion einer richtigen Familie hat er schon längst aufgegeben, aber von Zeit zu Zeit ein Essen und ein kurzes Gespräch…der Gedanke, dass sie, wenn sie selbst einmal Kinder haben, ihn wenigstens an den Feiertagen besuchen…das wäre schön. Er weiß, dass er sich dafür anstrengen muss und es dennoch nicht zu sehr versuchen darf. Das heute ist ein Anfang in die Richtung, die er sich wünscht.
 

Als seine Kinder nach dem Essen gegangen sind, räumt er mit Hawks den Tisch ab. Es ist plötzlich wieder so still, ein seltsamer Kontrast zu der Lärmkulisse, die vorhin noch geherrscht hat. Hawks hat es geschafft, seine Nummer mit Natsuo und Fuyumi auszutauschen. Er hat nicht erwartet, dass sie ihn so sehr mögen, vor allem, da er sein Freund ist. Jemand, der seine wenigen guten Seiten sieht. Vielleicht muss er das nicht verstehen…wobei es ihn bei Hawks‘ Charisma nicht wundern sollte.

„Das lief doch gut?“, fragt Hawks und stellt die Schälchen auf der Ablage ab.

„…du hättest das nicht sagen sollen.“

„Ich sage viel, wenn der Tag lang ist. Was genau?“

Enji weiß, dass Hawks weiß, was er meint, es aber von ihm hören will. Während er sich die Ärmel hochkrempelt, um das Geschirr zu spülen, sieht er ihn nicht an.

„Dein Vergleich. Sie haben jedes Recht, wütend auf mich zu sein.“

„Hm…stimmt. Aber wie ich sagte, wenn sie keinen Kontakt wollen, zwingt sie keiner. Wenn sie aber welchen wollen, kann keiner von euch erwarten, dass ich still neben dir sitze und zusehe, wie du runtergemacht wirst.“

Hawks lehnt sich an die Anrichte, stützt sich mit den Händen darauf ab und Enji spürt seinen musternden Blick auf sich.

„…meine Eltern sind für mich gestorben. Ich bin fertig damit“, fährt er fort. „Wenn ich aber…meine Meinung ändern würde, müsste ich mich überwinden, auch ihnen zuzuhören. Vorausgesetzt, da käme etwas raus, was mich interessiert. Du hast dir heute richtig viel Mühe gegeben und dich zurückgehalten. Das kann man schon anerkennen. Keiner muss dir direkt alles verzeihen, aber…sie sollen fair sein. Und wenn die Luft raus muss, dann vielleicht eher unter vier Augen und nicht…beim Essen, während wir alle am Tisch sitzen.“

Enji wirft ihm einen Seitenblick zu, während er mit dem Schwamm die Teller im heißen Wasser reinigt und sie zum Abtropften hinstellt.

„Natsuo ist ein Hitzkopf. Das hat er von mir“, murmelt er, weil er das Gefühl hat, ihn in Schutz nehmen zu müssen.

„Er sieht auch aus wie du. Nur mit weißen Haaren. Versteh mich nicht falsch, auch wenn er so feindselig ist – ich mag ihn. Er ist ganz schön schlau und hat coole Ziele, so mit seinem Studium Wirkt gar nicht so, als sei er erst 19. Er macht sich richtig viele Gedanken um seine Zukunft und will unabhängig sein. Und Fuyumi ist ja wohl ein Engel. Da glaube ich sofort, dass die Kinder sie lieben – und Shouto ist etwas trocken, aber irgendwie amüsiert er einen, wie er immer so stumpf alles raushaut. Sie sind super…und sie sind verletzt. Sie brauchen Zeit. Das ist okay.“

Ernst blickt er ihn aus seinen bernsteinfarbenen Augen an.

„…aber du bist eben der Typ, den ich liebe. Ich will, dass es dir gutgeht. Und ich will nicht, dass meine Beziehung zu dir beurteilt wird. Nicht von Menschen, die mich ebenso wenig kennen wie ich sie. Oder die diese Seite nicht von dir kennen, die ich kenne. Egal, ob sie deine Kinder sind oder eine Kassiererin im Supermarkt.“

Enji hält für einen Moment inne und erwidert seinen Blick, auch wenn er nicht weiß, was er sagen soll. Es wird immer Menschen geben, die sie beurteilen, das wissen sie beide. Aber die meisten Menschen sind Enji egal. Seine Kinder sind ihm nicht egal.
 

„Dir ist aber klar, dass das immer so sein wird, oder? Dass über uns geurteilt wird“, meint er ruhig, woraufhin Hawks schief grinst.

„Ja. Na klar. Aber ich muss ja nicht danebenstehen und das hinnehmen, oder? Wenn ich eins nicht leiden kann, dann wenn Leute denken, ich bin nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen.“

Er verzieht den Mund.

„Wie so ein blöder Uke aus diesen klischeehaften Boys Love Mangas.“

Enji schnaubt leise; den Vergleich zieht er öfter. Nicht, dass Enji jemals so etwas gelesen hat und das daher verstehen könnte. Manchmal merkt man den Altersunterschied eben doch.

„Trockne ab, anstatt Unsinn zu reden“, brummt er, woraufhin Hawks schmunzelt.

„Das sagst du, weil du keine Ahnung hast, wovon ich rede.“

„Das sage ich, weil du nicht mal ein Zehntel von unserem Haushalt machst und dich ständig davor drückst. Wer essen kann, der kann auch saubermachen – und du isst viel “, kontert er streng und wirft ihm das Handtuch zu.

Hawks fängt es und zieht eine Schnute.

„Oi! Ich mach vielleicht nicht viel im Haushalt – aber ich bin in anderen Bereichen ziemlich fleißig, findest du nicht?“

Er muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass Hawks anzüglich mit seinen buschigen Brauen wackelt. Vom Thema ablenken, das kann er gut. Vor allem mit Andeutungen über ihr Sexleben. Weil er weiß, dass Enji dagegen nicht viel sagen kann; er ist es nicht gewohnt, das so offen zu thematisieren. Das macht das Kontern schwer.

„Das eine wiegt das andere nicht auf“, meint er daher nur, woraufhin Hawks etwas zu dramatisch seufzt.

„Schade.“

Anstatt sich jedoch weiter zu beschweren, nimmt er das Handtuch und beginnt, das Geschirr abzutrocknen. Enji kommt wieder der Gedanke, wie harmonisch ihr Zusammenleben in der Regel ist, selbst wenn einige Aufgaben nicht gerade fair verteilt sind. Hawks würde vielleicht mehr im Haushalt machen, wenn Enji darauf bestehen würde. Die Wahrheit ist, dass es ihm nicht wichtig genug ist, um Diskussionen darüber zu führen. Der Jüngere ist nicht übermäßig schlampig. Zum Beispiel schmeißt er seine Kleidung in den Wäschekorb und lässt keine dreckigen Teller irgendwo herumstehen. Jedenfalls nicht länger als bis zum nächsten Tag. Das muss wohl reichen und nun, Enji hat vorher allein gewohnt. Er hat seinen Ablauf und irgendwie fügt sich Hawks in diesen so ein, dass es ihn nicht stört.

Es gibt Wichtigeres in seinem Leben.
 

„Hawks.“

Der Angesprochene sieht zunächst nicht von der Schüssel auf, die er gerade abtrocknet.

„Mh?“

„Danke.“

Nun hebt er doch den Kopf, was Enji nur aus den Augenwinkeln sieht, da er weiter ins Spülbecken schaut, dann aber das Wasser ablaufen lässt. Sie sind fertig.

„Wofür?“, hört er Hawks fragen.

„Für heute. Für alles. Irgendwie“, brummt Enji, weil er nicht weiß, wie er sich ausdrücken soll, ohne dass es zu viel ist. „Es…war leichter als sonst.“

Hawks sieht ihn verdutzt an…dann schnaubt er leise. Er legt das Handtuch beiseite und stemmt die Hände in die Hüften, während er sich vor ihn stellt.

„Wir sind ein Team, oder nicht? Du bist für mich da und ich für dich.“

Enji wendet sich ihm zu, mustert ihn einen Moment lang, ehe er nickt. Das sind sie wohl. Ein Team. Partner.

Er lässt zu, dass Hawks einen Schritt auf ihn zumacht und die Arme um seinen Oberkörper schlingt, wobei er sein Gesicht in seine Brust drückt.

„…und auch wenn du das immer runterspielst, ich weiß, dass es mit mir auch nicht immer einfach ist. Also mach dir keinen Kopf, Großer.“

Enji sieht auf ihn herunter, nicht wissend, was er sagen soll. Also drückt er Hawks einfach kommentarlos an sich und bleibt einen Moment so mit ihm, die Nase in seinen Haaren vergraben.

Er weiß, was dieser meint. Die Tage, an denen Hawks nach Hause kommt und ihn mit diesem unechten Lächeln ansieht, das ihm deutlich macht, dass etwas nicht stimmt. Vermutlich sind es einfach die anfänglichen Schwierigkeiten, die neue Jobs oft mit sich bringen. Enji weiß es nicht sicher, aber Hawks immer wieder danach zu fragen, bringt nichts. Also beruhigt er sich damit, dass dieser schon mit ihm reden wird, wenn es an der Zeit ist.

„Couch?“, hört er Hawks murmeln und nickt, während er ihn kurz drückt.

Nichts ist perfekt. Sie beide schon gar nicht…aber es funktioniert und sie machen das Beste draus. Enji glaubt wirklich, dass sie einander guttun. Dass sie sich gegenseitig vor dem Fallen bewahren können. Es ist ein Prozess…und heute hat zumindest Enji, mit Hawks‘ Hilfe, einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Mehr kann man wirklich nicht verlangen.

„Komm.“

Hawks lächelt ihn warm an. Ein ehrliches Lächeln. Zumindest glaubt Enji das.



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