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Die letzten Jahre

von

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Unfähigkeit

Und ich lebe noch .__.

Hat ja sehr lange gedauert, bis ich weitergeschrieben habe. Entschuldigen kann ich mich dafür nicht. War halt erst zu faul, konnte mich schließlich nicht mehr in die Geschichte reindenken, hatte deswegen wieder keine Lust ... dann kam Anfang dieses Jahres die Eingebung, ich schrieb weiter, habe überarbeitet und ein neues Kapitel geschrieben.

Ich gelobe Besserung. Mal sehen, wie lange's hält.
 

Kapitel XIV : Unfähigkeit
 

Es war ein seltsames Gefühl, wieder in dem schmuddeligen Gasthaus zu sitzen, in dem er zum ersten Mal als Alexis aufgetaucht war. Alles sah noch wie damals aus, vielleicht etwas weniger staubig. Vielleicht bildete er sich das aber auch nur ein, weil er sich an den Dreck und die Finsternis der Nockturngasse gewöhnt hatte.
 

Er saß nicht ohne Grund hier. Er wartete auf Jakob und Andreas, die am frühen Morgen aufgebrochen waren, um irgendwelche Verhandlungen mit irgendwelchen Verbündeten abzuhalten. Worum es ging, wusste er nicht. Wieso er hier warten musste, und nicht in der Nische, war ihm auch ein Rätsel. Doch dieses Mal hatte er nicht lange nachgehakt, sondern sich einfach gefügt.
 

Dennoch fühlte er sich fehl am Platz. Ab und zu bemerkte er ein Augenpaar, das ihn fixierte, oder eine Geste, die auf ihn zurückzuführen war. Er war lange nicht mehr hier gewesen und ob man ihn nun erkannte oder nicht, er fühlte sich nicht erwünscht. Kein Wunder, dachte er, als er sich daran erinnerte, welchen Ruf der Werwolfclan hier genoss.
 

Die Tür zum Gasthaus ging mit einem Ruck auf. Er hatte Glück, dieses Mal waren es wirklich Jakob und Andreas, auf die er wartete, und nicht irgenwelche anderen Gäste, denen er hinterher starrte, als könnten sie etwas dafür, dass er hier schon seit über zwei Stunden saß.
 

„Wo wart ihr?“, zischte er den beiden zu, als sie sich zu ihm an den Tisch setzten.
 

„Unser Mann hat sich nicht an die Abmachung gehalten.“ Jakob griff nach dem Glas Wasser, das Alexis irgendwann aus Langeweile bestellt hatte, und leerte es in einem Zug. „Wollte auf einmal mehr Geld haben, das hat uns eine Menge Zeit gekostet. Was ist das, Wasser? Willst wohl einen klaren Kopf behalten.“
 

Alexis ging nicht auf die kleine Stichelei ein.
 

„Erfahre ich jetzt endlich, um was es geht?“
 

Jakob besah ihn mit einem genervten Blick.
 

„Gleich wird hier jemand reinkommen, ich geb dir ein Zeichen, damit du Bescheid weißt. Wenn er wieder herausgeht, verfolgen wir ihn, nehmen ihn gefangen und bringen ihn in unser Geheimversteck. Mehr erfährst du später.“
 

„Das Geheimversteck? Du meinst die Nische?“
 

„Wir müssten schon ganz schön dumm sein, um einen Außenstehenden in die Nische zu bringen. Es gibt noch ein anderes Geheimversteck.“
 

Mal wieder ein Fakt, von dem er nichts wusste – von dem er bisher noch nicht einmal etwas geahnt hatte. Waren Jakob und die anderen Werwölfe Meister der Täuschung oder war er einfach nur Meister des Getäuschtwerdens? Dieses Mal war er nicht beleidigt, dass man ihm etwas so wichtiges verschwiegen hatte, er war eher enttäuscht. Enttäuscht von sich selber, denn in Gegenwart der Anderen fühlte er sich oft genug wie ein Kind, auf das man aufpassen musste, dem man etwas beibringen musste – und Letzteres so schnell wie möglich, denn Wissen und Können waren hier noch wichtiger geworden, als er es von früher kannte.
 

Und John war noch so jung. Nicht älter als er selbst und doch hatte er all dieses Wissen und Können viel früher erlernen müssen. Allein. Eine Welle von Mitleid wallte in Alexis auf, doch er versuchte sie zu unterdrücken. John wollte bestimmt kein Mitleid, genauso wenig, wie er es wollte.
 

„Träumst du?“
 

Jakob hatte ihn angestupst und nickte kaum sichtbar in den Raum hinein. Als Alexis seinem Blick folgte, sah er eine dunkle, vermummte Gestalt, die sich geduckt zwischen den anderen zwielichtigen Gestalten hindurch schlängelte und an der Theke stehen blieb. Sie sprach leise, flüsternde Worte zu jemand anderem, bestellte dann irgendwas, was bestimmt kein Wasser war und ließ sich auf dem Hocker daneben sinken.
 

Es dauerte eine halbe Stunde.
 

Irgendwann hatte er aufgehört, den Fremden zu beobachten, und hatte diese Aufgabe Jakob und Andreas überlassen. Nur weil sich Jakobs Körper plötzlich anspannte, merkte er, dass es los ging.
 

Sie warteten eine Minute, bezahlten und gingen dann ebenfalls hinaus. Die Gasse vor dem Wirtshaus war verlassen. Andreas hob den Kopf in die Luft. Seine Nase zuckte. Erst, als er in eine Richtung zeigte und Jakob ihn daraufhin mit sich zog, erkannte er, dass er ihn wohl gerochen haben musste. Ein Werwolf zu sein hatte mit Sicherheit seine Vorteile, Vorteile, die er selbst nicht besaß.
 

Dass sie ihn schließlich wiederfanden, grenzte für Alexis an ein Wunder, für die beiden Werwölfe war es ganz offensichtlich normal. Der Fremde musste sie schon vorher bemerkt haben – seine Schritte waren plötzlich schneller geworden und wenn Alexis den Hörsinn eines Werwolfes gehabt hätte, hätte er sicher auch seinen hektischen Atem gehört.
 

Alexis hatte schon längst den Überblick über die vielen schmalen Gässchen verloren, durch die sie ihm gefolgt waren und es war ihm auch egal – sein Herz schlug viel zu schnell, und mit schlechter werdendem Gewissen musste er sich eingestehen, dass er nicht weiterlaufen wollte. Er versuchte sich einzubläuen, dass sie diesen Mann nicht ohne Grund verfolgten, versuchte sich einzureden, dass dieser Mann mit Sicherheit schlecht war, ein schwarzer Magier, ganz bestimmt. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto weniger konnten ihn diese Ausreden davon abhalten, sich immer unwohler zu fühlen. Wieso? Zweifelte er an Jakobs guten Absichten?
 

Doch Jakobs Absichten waren nicht gut. Sie waren für einen guten Zweck, ja, doch die Mittel waren grausam. Harry hatte Gewalt verachtet und doch konnte er nicht umhin, sie anzuwenden.
 

Als er aus seinen Gedanken wieder in die Realität zurückkehrte, bemerkte er die Sackgasse, an dessen Eingang sie standen. Ganz hinten, an der Mauer in die Ecke gezwängt, stand der Mann, den sie verfolgt hatten. Alexis konnte wegen des Umhangs immer noch nicht sein Gesicht erkennen.
 

„Was wollt ihr von mir?“, quiekte er, doch Jakob antwortete nicht. Er richtete nur seinen Zauberstab auf ihn. „Bitte tötet mich nicht!“
 

„Wir wollen dich nicht töten. Noch nicht.“ Jakob ging zwei Schritte vorwärts. „Stupor!“
 

Der Fluch traf den Mann unvorbereitet; mit vor Schock geweiteten Augen und steif wie ein Brett kippte er von der Wand weg und blieb bäuchlings auf dem nassen Boden liegen.
 

„Beeilen wir uns!“
 

Jakob und Andreas zögerten keine Sekunde; mit routinierter Ruhe zogen sie den Mann aus dem Dreck und ließen ihn vor sich schweben.
 

Als der Körper an Alexis vorbeikam, nickte Jakob ihm zu. Ein flaues Gefühl machte sich in seinem Magen breit.
 

~~~~~*~~~~~
 

Dass es so etwas wie Intuition gab, lernte er kurze Zeit darauf. Diesmal gingen sie nicht, wie Jakob bereits gesagt hatte, in die 'Nische', sondern suchten ein anderes Versteck auf, das außerhalb der Innenstadt Londons lag. Genauer gesagt sogar außerhalb von London. Alexis war erschöpft und überrascht, als sie nach einer gefühlten Ewigkeit des Weges, der sie erst aus der Stadt hinaus gebracht und schließlich über mehrere Felder geführt hatte, Halt machten und Andreas als Erster die kleine Hütte betrat, die jemand mitten im Wald angelegt haben musste.
 

„Warum hier?“, fragte Alexis gedämpft, als er sich umgesehen hatte. Es gab schlichtweg nichts zu sehen, die Hütte war leer. Nur ein schmaler Riss zeichnete sich auf dem Holzboden ab. „Ist so ein Haus im Wald nicht auffällig?“
 

„Das wäre es, wenn wir keinen Zauber darüber gelegt hätten.“
 

„Und ... wieso wohnt ihr dann nicht hier?“
 

Alexis beobachtete, wie Jakob bei dem Ausdruck 'wohnen' schmunzeln musste.
 

„Ganz einfach. Zu weit weg.“
 

„Hättet ihr die Güte, mir zu helfen?“
 

Das war Andreas. Er hatte den Fremden mittlerweile achtlos auf den Boden fallen lassen.
 

„Sofort, sofort.“
 

Was danach geschah, drehte Alexis den Magen um. Was auch immer er erwartet hatte, das zählte gewiss nicht dazu.
 

Zuerst beschwor Jakob mit einem Schwung seines Zauberstabs ein langes Seil, so wie er es schon einmal bei Snape gesehen hatte. Eine Erinnerung und ein Mann, die er lieber aus seinem Gedächtnis löschen würde. Als ihm klar wurde, wofür das Seil dienen sollte, war es bereits zu spät:
 

„So“, sagte Jakob hart, und dieses einzige Wort ließ dem Gefangenen Schauer über den Rücken laufen. Die Atmosphäre hatte sich schlagartig geändert. „Wir wissen, dass du zu der Schwarzen Seite gehörst. Wir wissen auch, dass du Voldemort sehr nahe stehst.“ Jakob legte eine Pause ein, in der er dem Fremden eindringlich anstarrte. „Andreas, zieh ihm die Kapuze herunter. Ich will ihm in die Augen sehen.“
 

Und Andreas gehorchte wortlos.
 

Alexis schnappte nach Luft, als er den Mann erkannte, der da gefesselt und aus angstverdrehten Augen zu ihm aufblickte.
 

Peter Pettigrew.
 

„Ich weiß von nichts!“, rief er. „Ihr habt den Falschen! Ich weiß von nichts!“
 

Alexis drehte sich weg. Er wollte von all dem nichts wissen. Er wusste, was jetzt passieren würde. Eine Befragung. Folter. Jakob und Andreas würden ihn solange bedrohen, bis ihnen das gesagt hatte, was sie wissen wollten.
 

Alexis wusste auch, dass er kein Mitleid haben sollte. Doch wie sollte er dieses Gefühl, das sich stechend und brennend in seiner Brust bemerkbar machte, sonst bezeichnen?
 

„Du ...“ Ein Stich fuhr ihm durch das Herz. Auf einmal war die Stimme hinter ihm wieder voller Hoffnung. „Bitte, hilf mir! Du – du siehst nicht aus wie einer von ihnen! Bitte hilf-“
 

„Sei still!“
 

Jakob oder Andreas, einer von beiden schlug ihn.
 

Und dass dieser Mensch hinter ihm wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben hatte, machte ihn krank. Es machte ihm Angst. Er konnte ihn retten, doch er wollte nicht und gleichzeitig wollte er es so sehr, dass er sich fragte, ob er denn nun gut oder böse war – das hier war Pettigrew. Der Mann, der die Freunde seines Vaters verraten und damit umgebracht hatte. Pettigrew, der feige Pettigrew, der nur Angst hatte, wenn es um sein Leben ging. Doch verübeln konnte er es ihm nicht. Hatte nicht auch er, Alexis, Harry, Angst gehabt vor dem Tod? Er war ein kleines Häufchen Elend, weil er solche Angst hatte, und er hatte sich damals, als Richard ihn bedroht hatte, beinahe in die Hose gemacht vor Angst. Doch ihn befreien? Niemals. Egal was er tat, es war falsch. Es gab keine richtige Entscheidung.
 

Er stürmte hinaus.
 

Draußen im Wald war es trügerisch still und hell. Obwohl die Bäume um diese Jahreszeit keine Blätter trugen, war es friedlich. Doch in ihm brauste ein Sturm, der ihn in die Knie sinken ließ. Er hatte keinen Anfall – doch sein Herz schmerzte, da er wusste, dass bald jemand sterben würde. Obwohl er die Kraft dazu hatte, ihn zu retten.
 

„Hey, stehen geblieben! Stupor!“
 

Die Tür hinter ihm knallte auf einmal auf und gegen die Außenwand und Jakob und Andreas stürmten hinaus. Doch natürlich galt der Ruf nicht ihm.
 

Eine Ratte zischte an ihm vorbei und suchte sich ihren Weg in die Freiheit.
 

~~~~~*~~~~~
 

„Es ist gescheitert.“
 

Sie saßen alle zusammen in der Nische. Als Alexis in ihre Gesichter blickte, sah er Frust. John sah traurig aus. Pettigrew wäre eine wichtige Informationsquelle für den Clan gewesen. Alexis wusste das, er war selbst dabei gewesen, als er Voldemort zu einem neuen Leben geholfen hatte – mit seinem Blut.
 

„Woher sollten wir auch wissen, dass der Mistkerl ein Animagus ist?“
 

Er hätte etwas sagen können. Als er Pettigrew erkannt hatte, hätte er etwas sagen sollen. Alexis senkte den Kopf, als würde man ihm die Gedanken von seinem Gesicht ablesen können.
 

~~~~~*~~~~~
 

Als Harry am nächsten Morgen früh aufwachte, umfing ihn ein merkwürdiges Gefühl von Nostalgie. Er lag auf seinem Bett, einen Arm zum Schutz vor der durch schmale Spalten einfallenden Sonne über die Stirn gelegt und die Augen halb geschlossen. Geistig vom Beginn seines Aufwachens nicht in dem Raum, in dem er lag.
 

Die letzten Ereignisse hatten ihn vorerst aus der Bahn geworfen.
 

Er wusste, dass es seine Schuld war, dass Pettigrew entkommen war. Andererseits – wäre er nicht im Clan, hätten sie auch nicht davon erfahren, dass er ein Animagus war und er wäre ihnen genauso entwischt. Sei kein Idiot, Harry. Er wusste es besser. Denn er war nun einmal im Clan, und er hätte es verhindern können. Es war ein kleiner Funke Mitleid gewesen.
 

Er versuchte den Gedanken daran zu verdrängen, doch sofort tauchte ein neuer auf:
 

Das Gespräch, das er mit Jakob zwei Tage zuvor geführt hatte. ‚Frieden mit sich schließen‘. Wie sollte er das können? Er hatte sich sein Leben nicht so vorgestellt, dass er mit Anfang zwanzig sterben würde – wenn er es überhaupt so weit schaffen würde. War das, was er tat, wirklich auch das, was er erreichen wollte?
 

Erreichte er damit überhaupt etwas? Er hatte Voldemort gegenüber gestanden. Zumindest indirekt, denn sein wahrer Körper verbarg sich an irgendeinem geheimen Ort. Und auch wenn er es oft nicht wahrhaben wollte, wusste er doch, dass er keine Chance gegen den dunkelsten Magier aller Zeiten hatte. Es war sinnlos.
 

Oder, Jakob? Wie konnte Voldemort an die Macht kommen, wie konnte er so viele Anhänger um sich scharen, wie, wenn doch jeder dagegen war? Wieso waren alle so feige, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, damit das alles ein Ende hatte?
 

Er war selbst einer dieser Feiglinge. Aus Hogwarts geflohen, hatte er seine einzigen Freunde zurückgelassen, die in Sorge um ihn sicherlich schon zergangen waren. Was für ein Idiot er doch war; er hatte viel zu überstürzt gehandelt. Doch hätte er einen anderen Weg eingeschlagen, wenn er von ihnen zurückgehalten worden und in Hogwarts geblieben wäre?
 

Fragen, Fragen, Fragen. Harry brummte der Kopf und stöhnend drehte er sich auf die andere Seite. Leere unter ihm, dann fiel er mit einem dumpfen Aufprall vom Bett, der den Staub auf dem Boden aufwirbelte, der wiederum in seine Nase kroch und sie reizte, sodass er niesen musste. Das dünne Hemd und die ausgeblichene, von John geliehene Shorts, die er trug, wurden grau.
 

„Verdammter Mist!“ fluchte er leise. Die Hände auf dem Boden aufgestützt hielt er inne.
 

Er hatte wahnsinnig viel Glück gehabt, Jakobs Clan zu treffen. Dumm genug hatte er sich in den vergangenen Monaten wirklich genug angestellt, ein richtiger Antiheld war er. Nicht auszudenken, fiel ihm mit kaltem Nacken auf, wenn er vorher auf Todesser oder andere zwielichtige Gestalten gestoßen wäre. Ein Nachher hätte es in dem Fall wohl kaum gegeben.
 

Wenn er doch bloß einmal nachdenken könnte, bevor er handelte. All die Lektionen, die Jakob mit ihm durchging, die ganze Pläneschmiederei und der Umgang mit Waffen – was nutzte sie ihm? Er war zu aggressiv, zu unbeherrscht und gleichzeitig war er oft zu unbeholfen, hatte Angst davor, Angst etwas zu tun. Die Initiative zu ergreifen, so wie er es doch eigentlich gewollt hatte. Wieso konnte er nicht den kühlen Charakter Jakobs haben?
 

Selbst Richard war in dieser Beziehung die bessere Wahl im Clan, wenn er auch der mit Abstand reizbarste Werwolf unter ihnen war – er konnte es ihm nicht verübeln, dass er ihn nicht leiden konnte. Richard hasste ihn; er gefährdete die ganze Gruppe mit seinen Dummheiten. Wieso hatte Jakob ihn bloß aufgenommen?
 

Noch immer war er ein Außenseiter.
 

Es klopfte an seiner Tür.
 

„Herein“ sagte er aus reiner Gewohnheit und wandelte sich schnell um. Wenn man vom Teufel spricht, dachte er zynisch, als Richard eintrat. Die Hände vor dem Körper verschränkt machte er keinen sonderlich einladenden Eindruck. Alexis schwieg vorerst.
 

Die Tür klackte, als er sie überraschenderweise leise schloss.
 

„Du fragst dich sicher, was ich hier will.“ begann er, seine Stimme ungewöhnlich ruhig. Alexis meinte jedoch ein hauchfeines Zittern in ihr zu hören, doch er nickte. Richard sah ihm fest in die Augen. „Ich bin hier, um eine Warnung auszusprechen.“ Er machte eine Pause. Alexis sah ihn verwundert an; er hatte ein ungutes Gefühl. Dann setzte Richard wieder zum Sprechen an und seine Worte versetzten ihm einen Faustschlag, der ihm den Atem raubte. „Okay, genug mit dem formalen Gerede – ich will, dass du von hier verschwindest, sonst sorge ich selbst demnächst dafür, dass du es tust!“
 

Man konnte ihm ansehen, wie sehr er darauf hoffte, dass Letzteres der Fall sein würde.
 

„Du bist kein Werwolf, du spaltest den ganzen Clan und machst mir den Platz des Anführers streitig! Seit du hier bist, läuft alles schief! Wenn Jakob letztens nicht gekommen wäre, um dich mal wieder zu retten, hätte ich dir schon längst die Kehle durchgeschnitten!“
 

Alexis biss die Zähne zusammen. Er erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem Richard ihn beinahe getötet hatte. Er hatte Todesangst ausgestanden. Einen Test hatte Richard diese Aktion später genannt, als er von Jakob dabei erwischt und beinahe verbannt worden war. Einen Test. Eine Lüge.
 

„Du verdammter …“
 

Alexis hielt sich gerade noch so zurück, auch wenn es ihm schwer fiel. Es wäre nicht ratsam, Richard zu beleidigen, nicht in der Position, in der er sich jetzt befand. Ob er bewaffnet war? Natürlich, wie jeder der Werwölfe. Nur er selbst nicht. Mal wieder. Sein Zauberstab war in der Tasche seines Umhangs, den er am Tag zuvor angehabt hatte und sein Messer lag in der Schublade.
 

„Wie entscheidest du dich?“ Richard sah ihn gebannt an.
 

Alexis haderte nicht mehr lange; rasch stand er auf, darauf bedacht, bei ihm nicht den Anschein zu erwecken, dass er etwas Falsches tat – Hilfe rufen oder fliehen. Natürlich hatte er das vor und wenn er es genau bedachte, müsste Richard auch dahinter kommen. Doch ehe er diesem die Chance gab, diesen Gedanken zu fassen, war er schon an ihm vorbei gerannt, er spürte, wie Richards Hand nach ihm griff und ihn nur knapp verfehlte, dann war er aus dem Raum geschlüpft, die Tür hinter ihm offen lassend.
 

Er konnte hören, wie Richard in seinem Zimmer aufsprang und fing an zu Jakobs Zimmer am Ende des Ganges zu laufen. Seine nackten Füße rannten hastig über den eiskalten Boden. Er riss die Tür zu dem Zimmer auf und sah sich noch einmal um – doch Richard war ihm nicht gefolgt. Stattdessen stand er im Türrahmen des Zimmers, das er gerade verlassen hatte und sah ihm hinterher. Als ihre Blicke sich trafen, wandte er sich um und huschte zurück in seine Bleibe.
 

„Was machst du hier?“
 

Alexis fuhr zusammen, als er die Stimme direkt neben sich hörte. Jakob, der aufgrund des Krachs, den er verursacht hatte, aufgewacht war, als er die Tür beim Aufschmeißen gegen die Wand geschleudert hatte.
 

„Ich – äh“, begann Alexis und sah sich noch einmal um, „kann ich reinkommen?“
 

Jakob, selbst noch in seiner Schlafkleidung, musterte ihn von oben bis unten.
 

„Also gut.“ sagte er schließlich. „Bist ja eh schon drin.“
 

Nun doch etwas zögerlich trat er ein. Richard würde sich eine zweite Chance sicher nicht entgehen lassen.
 

Jakob wies ihn an, sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch zu setzen, während er sich selbst auf seinem Bett niederließ und gähnte.
 

„Also“, begann er, „was bringt dich dazu um diese Uhrzeit bei mir aufzutauchen?“
 

Alexis senkte den Kopf. Dass Richard ihn schon wieder angreifen wollte, würde die Situation im Clan wohl kaum entschärfen und Richards Wut nur noch mehr steigern. Er wusste, dass sie ihn brauchten.
 

„Alexis?“
 

„Ich ... ich wollte mit dir etwas bereden. Wegen Voldemort.“
 

„Um diese Uhrzeit?“ Jakob zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Los, sag schon, wieso bist du hier so reingestürmt?“
 

„Dir entgeht aber auch gar nichts.“
 

Jakob wartete ab.
 

„Nun ja ...“ Alexis holte tief Luft; leugnen hatte keinen Sinn und Jakob hatte ja Recht – er sollte seine Probleme nicht solange verbergen, bevor sie zu einem Problem für die ganze Gruppe wurden. „Es geht um Richard.“
 

„Ah“ Jakob brachte ihn damit zum Schweigen. „Du brauchst gar nicht weiter zu sprechen. Ich kann's mir schon denken.“ Er sah ihn nachdenklich an. „Und beiden ist bewusst, dass das damals kein Test war, nicht wahr?“ Er nickte. „Er wird keine Gelegenheit auslassen, dich zu töten oder wenigstens zu demütigen.“
 

„Ich weiß!“ Alexis fuhr sich nervös durch die Haare. „Er hasst mich.“
 

„Mag sein.“
 

„Er ist der beschissenste Mensch, den ich je kennen gelernt habe.“
 

Jakob verzog seinen Mund zu einem kleinen Lächeln.
 

„Schön, dass du Mensch sagst.“, meinte er leise. „Aber in einem Punkt muss ich dir Unrecht geben. Richard mag es zwar auf dich abgesehen haben ... und er geht dabei sicher nicht sanft mit dir um, aber er ist kein schlechter Kerl.“
 

Alexis' Finger, die während des Gespräches begonnen hatten, auf den Schreibtisch zu tippen, stoppten abrupt.
 

„Das kommt mir aber ganz anders vor.“, sagte er vorsichtig. Jakob hob entschuldigend die Arme.
 

„Ja, kein Wunder – aber er will dich nur loswerden.“
 

„Nur“
 

„Er will dich nur loswerden, weil er dir nicht vertraut. Er ist sehr misstrauisch, das dürfte dir nicht entgangen sein.“
 

„Und das ist eine Entschuldigung dafür, mich umbringen zu wollen? Wieso kann er mir nicht einfach vertrauen, so wie du? Hab ich denn was Falsches gemacht?“
 

Wütend war Alexis aufgesprungen und hatte dabei den Stuhl umgeworfen. Es war nicht ganz die Wahrheit, was er sagte. Er wollte nicht wissen, wieso Richard ihm nicht vertraute. Er wollte wissen, wieso es ausgerechnet Jakob tat.
 

„Beruhig dich!“, zischte Jakob ihn an; möglicherweise war es auch nur dieses Zischen, das ihn dazu brachte, den Stuhl wieder hinzustellen und sich erneut zu setzen. Seine Beine zitterten vor Wut und Angst. Jakob sah ihn aufmerksam an, bevor er weiter sprach. „Mir ist schon klar, dass du und Richard nicht gerade das beste Verhältnis miteinander pflegt. Aber ihr müsst zusammen arbeiten!“
 

Alexis sah ihn trotzig an.
 

„Und wenn das nicht geht? - Er wird bei der nächstbesten Gelegenheit wieder versuchen mich zu-“
 

„Dann muss einer von euch gehen!“ Jakob hatte ihn mit einem Satz zum Schweigen gebracht.
 

„Gehen ...?“
 

„Wenn ihr nicht miteinander klar kommt, werde ich einen von euch verbannen müssen.“ Seine verschiedenfarbigen, kalten Augen sagten ihm genau, wer derjenige sein würde.
 

„Aber-“
 

„Kein aber, Alexis! Du bist hier nicht im Urlaub!“ Jakob war aufgestanden und hatte sich vor ihm aufgebaut. „Richard ist nicht im Unrecht! Nicht du spaltest den Clan, aber ihr beide! Ihr und euer verdammter Streit!“
 

Alexis war vor ihm zurückgewichen. So kannte er Jakob gar nicht, so wütend, so unkontrolliert – so menschlich vertraut.
 

„Jakob, ich-“
 

„Sei endlich still, Alexis.“ Jakob musste sich auf der Schreibtischplatte aufstützen. „Manchmal glaube ich wirklich, das Gift würde zuerst dein Hirn zerstören.“
 

Alexis zuckte auf seinem Stuhl zusammen. Genau das, was er befürchtet hatte. Nicht er spaltete den Clan, aber sie beide, hatte Jakob gesagt. Also konnte man genauso gut sagen, er allein wäre Schuld an der ganzen Misere. Denn bevor er aufgetaucht war, hatte doch alles geklappt.
 

Alexis stand auf, den Kopf gesenkt – er wagte es nicht, Jakob in die durchdringenden Augen zu blicken – und ging schweigend aus dem Zimmer heraus. Der Gang, auf den er hinaustrat, war leer. Kein Richard wartete dort, auch niemand der anderen Werwölfe. Er ging in das kleine Zimmer, das ihm gehörte und ließ sich plötzlich kraftlos auf das Bett fallen.
 

Eine Last. Das war er, nichts weiter. Und wie er sich selbst dafür hasste. Er hatte Glück gehabt. Glück, bei Menschen gelandet zu sein, die ihm die blinden Augen öffnen konnten. Jakob, der ihn immer und immer wieder an seine eigene Unfähigkeit erinnert hatte – was für eine lächerliche Gestalt er auf seinem Besen abgegeben hatte! Er war noch nicht einmal fähig dazu, wirklich zu verletzen. Zu töten erst recht nicht. Und als sie Richard im Wald gesucht hatten, war er einfach in dessen Falle getappt wie ein Kaninchen. So etwas wie ihn würden die Todesser doch zum Frühstück verspeisen. Oder der ganze Aufwand des Kobolds wegen. Dass er ihn überhaupt in seine Pläne eingeweiht hatte, zeugte schon von seiner Dummheit. Und wären Jakob und John nicht gewesen, läge seine Leiche jetzt kalt in dem Wäldchen, wo er sich mit ihm hatte treffen wollen. Und Richard, der zwar weitaus härter als Jakob gegen ihn vorging, jedoch vielleicht auch derjenige war, der ihm den letzten Anstoß geben konnte. Denn anders als Jakob gab er ihm nicht den Mut, weiterzumachen, sondern verwies ihn sofort an den Platz, an den er gehörte.
 

Und das war Hogwarts. Es wurde ihm mit einem Male klar.
 

Hogwarts, das schon immer sein zu Hause gewesen war, seit er es zum ersten Mal gesehen hatte. Hogwarts, der sicherste Ort Englands und vielleicht sogar der ganzen Welt. Hogwarts, in dem seine Freunde auf ihn warteten.
 

Es würde eine unangenehme Reise werden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Zottelr
2009-04-10T20:26:39+00:00 10.04.2009 22:26
Hi, toll das es jetzt weiter geht, hab urlaub gehabt deshalb konnte ich nicht voher ins Internet.Hoffe bis bald, by Zottelr


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