Zum Inhalt der Seite

Eternal Fantasy

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Cd-1

Die Rechte an den Charakteren, Orten usw. liegen bei Square Enix. Und nein, ich verdiene keinen Cent damit.
 


 


 

Ein blauer Planet. Einer von unendlich vielen, doch dieser unterscheidet sich von den zahllosen anderen Kugeln aus Stein, Staub und Gas, die durch das Weltall treiben. Dieser Planet lebt. In seinem Inneren pulsiert ein sogenannter Lebensstrom. Es gibt nicht viele solche Planeten im All. Es sind Juwelen der Schöpfung, könnte man sagen. Der Lebensstrom in ihrem Inneren bringt Lebensformen auf ihrer Oberfläche hervor. Pflanzen, Tiere... und Menschen. Allen diesen Wesen ist gemein, dass sie irgendwann sterben und dann wieder in den Lebensstrom zurückkehren. Sie gehen ein in diesen ‚Fluss’ des Lebens, damit aus der gesammelten Energie wieder neues Leben anderswo auf diesem Planeten entstehen kann. Es ist dies der Kreislauf des Lebens, der sich solange wiederholt, solange der Planet lebt. Auch Planeten können sterben, doch hat dies noch nie jemand beobachtet.

Diese Geschichte beginnt auf einem Planeten, dessen Menschen lieben und hassen, Glück empfinden, ebenso wie Angst... Menschen eben. Einige von ihnen verloren jeden Respekt vor dem Planeten, der sie alle mit Leben erfüllt hatte. Es begannen Kämpfe, Kriege... und fast wäre der Planet gestorben. Und ein Mensch weigerte sich, in den Lebensstrom zurück zu kehren, wie es seine Bestimmung gewesen wäre... doch zu diesem besonderen Menschen später mehr. Eine kleine Gruppe tapferer Männer und Frauen hat für diesen Planeten gekämpft. Auch wenn sie ihn letztendlich nicht retten konnten... dein ein Planet kann sich nur selbst retten. Und das tat er letztendlich auch.
 

Tausende Lichter formten das Bild dieser Stadt, so dass man sie bereits aus dem All sehen konnte. Die Stadt war rund wie eine Pizza und wurde in acht Stadteile, acht Sektoren, unterteilt. Die vielen Lichter wurden von Mako-Energie gespeist, woran die meisten Menschen in dieser Stadt aber keine Gedanken verschwendeten. Die meisten... aber nicht alle.

„Verdammt, Spikey! Gib Gas!“

Er rannte sich die Lunge aus dem Leib. Wieder einmal wunderte er sich, wie dieser riesige Typ sich so schnell bewegen konnte. Die Alarmlichter in den Waggons tauchten alles in dumpfes rotes Licht. Hastig schlüpfte er durch eine automatische Schiebetür durch, bevor diese ihm den Weg abschneiden konnte. Biggs und Wedge waren nur wenige Schritte vor ihm. Einige verdutzte Fahrgäste beiseite stoßend, schloss er endlich zu ihnen auf. Schließlich erreichten sie den letzten Waggon.

„So ein Mist...“

Verärgert blickte Barret durch die offene Schiebetür in die Dunkelheit. Sie waren in einem Tunnel.

„Bis zur nächsten Haltestelle kann’s ja nicht mehr weit sein“, gab Biggs zu bedenken. Barret schob den Einwand beiseite.

„Nichts da. Wir springen.“

Die beiden Jungs aus dem Slums aus Sektor 7 folgten ihrem großen Vorbild bereitwillig. Einer nach dem anderen sprangen sie in die vorbeirauschende Finsternis. Nur der Geist des Planeten wusste, wo sie landen würden. Hämisch grinsend wies Barret mit der Hand auf die offene Tür.

„Los, Spikey. Der Anführer springt natürlich als letzter.“

Mit finsterer Miene stellte er sich vor die Tür. Man konnte draußen nur undeutlich die Tunnelwände vorbeirasen sehen.

„Nenn mich nicht immer Spikey. Ich heiße Cloud“, sagte er zu dem dunkelhäutigen Riesen, bevor er sprang.
 

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis. Er klopfte sich noch hustend den Staub von der Kleidung, bevor er sich umsah. Mehrere Gestalten tauchten aus der Dunkelheit auf.

„Seid ihr das? Barret? Wedge? Biggs?“

“Nein, wir sind Soldaten von Shinra”, erwiderte eine raue Stimme mit bissigem Unterton. Es war Barret, der ein Stück weiter vorne aus der U-Bahn gesprungen war. Hinter Cloud tauchten nun auch Biggs und Wedge auf. „Alles Okay mit dir?“ Abfällig musterte Barret ihn von Kopf bis Fuß. „Na ja, deine Frisur sitzt noch. Also kann’s nicht so schlimm sein.“

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er voran.

Barret kannte sich gut aus in den U-Bahnschächten von Midgar. Für die Aktivitäten von ‚Avalanche’, eines Vereins zur Rettung des Planeten, waren diskrete Wege überlebensnotwendig. Denn andere Leute bezeichneten diesen ‚Verein’ als terroristische Gruppierung. Allen voran die ‚Shinra Electric Power Company’, der wichtigste Stromversorger in Midgar. Die Tatsache, dass ‚Avalanche’ mit Vorliebe Mako-Reaktoren in die Luft sprengte, wie auch in dieser Nacht geschehen, förderte dieses ‚Vorurteil’ natürlich noch zusätzlich.

Ihr Anführer hielt nur seine Nase in die Dunkelheit, um zu wissen, welcher Schacht nun der richtige war. Offenbar erkannte er sie am Geruch, was sich Cloud lebhaft vorstellen konnte. Schließlich erreichten sie einen Teil des U-Bahnschachtsystems, der teilweise eingestürzt war. Shinra, denen neben der Energieversorgung eigentlich auch fast alles andere in der Stadt gehörte, bevorzugte es, Neue zu bauen, anstatt die Alten in Stand zu setzen.

Mit seinen Bärenkräften wuchtete Barret mehrere Trümmer beiseite, die einen Zugang blockierten. Als sie hindurch schlüpften, fanden sie sich in Sektor 7 wieder. Brennende Fässer empfingen sie, die ein fahles Licht auf die heruntergekommen und dem Einsturz nahen Baracken warfen. Demonstrativ reckte Barret seine Arme und sog tief die Luft ein.

„Aaah! Endlich wieder zuhause!“

Dann ging er forschen Schrittes los. Biggs und Wedge folgten ihm enthusiastisch. Cloud trottete missmutig hinterher. Für Barret und die anderen war dies ihre Heimat. Egal wie dreckig sie war... sie war ihnen ans Herz gewachsen. Cloud konnte dies nur in Ansätzen nachvollziehen. Er, der aus dem malerischen Städtchen Nibelheim in den Bergen kam und sich so sehr nach der Großstadt gesehnt hatte... Jetzt bereute er den Tag, an dem der den stinkenden Moloch namens Midgar zum ersten Male betreten hatte.

So kamen sie in die Kneipe ‚zum siebten Himmel’, das inoffizielle Hauptquartier von ‚Avalanche’. Die meisten Gäste waren Mitglieder der Vereinigung, oder zumindest Sympathisanten. Der einzige Lichtblick in der heruntergekommenen Spelunke war das Mädchen Tifa, das hinter dem Tresen stand und sich um den Betrieb kümmerte. Cloud kannte sie seit seiner Kindheit, sie waren praktisch zusammen aufgewachsen. Irgendwie war er auch verknallt in sie gewesen, doch... damals waren sie Kinder gewesen, und seit damals hatte sich einiges geändert.

„Hi Tifa! Und wie geht’s meiner kleinen Marlene? Komm zu Papa!“

Ein kleines Mädchen von fünf Jahren lief tollpatschig auf den Riesen zu. Barret hob es mit erstaunlich sanften Händen hoch und herzte es. Biggs und Wedge verteilten sich auf einen der Tische und rekapitulierten auf prahlerische Weise ihre erfolgreiche Mission. Cloud lehnte gelangweilt daneben.

„Bin ich froh, dass ihr alle heil zurückgekehrt seid“, sagte Tifa mit sichtlicher Erleichterung. „Auch du, Cloud. Du hast gut auf Barret und die anderen aufgepasst.“ Tifa lächelte schelmisch. Barret, der ganz mit Marlene beschäftigt war, winkte schnaubend ab.

„Ach was. Ein Klotz am Bein war er, sonst nichts.“

Cloud blickte finster in seine Richtung. Tifa legte besänftigend die Hand

auf seine Schulter.

„Hör nicht auf ihn. Er meint es nicht so.“

Cloud seufzte müde.

„Ich weiß, ich weiß...“

Er wollte sich schon abwenden, doch dann fiel sein Blick auf ihre Augen. Ihre großen, braunen Augen. Immer mehr versank er in ihnen...
 

„Cloud? Cloud! Wach auf!“

Ihre Augen...

„Nun wach schon auf, oder soll ich einen Eimer mit kalten Wasser holen?“

Jetzt öffnete er die Augen. Tifa beugte sich über ihn. Gähnend setzte er sich in seinem Schlafsack auf. Benommen rieb er sich den Schlaf aus den Augen. Kopfschüttelnd ging Tifa wieder zum Tresen. Er blickte ihr verwirrt hinterher.

„Du hast wieder geträumt, stimmt’s?“

Sie fuhr damit fort, die restlichen Gläser des Vorabends zu spülen. Cloud wand sich umständlich aus seinem olivgrünen Schlafsack heraus.

„Ja. Stell dir vor, ich habe... von damals geträumt. Von eurer alten Kneipe im Sektor 7.“ Mit geübten Bewegungen rollte er seinen Schlafsack ein. Ebenso verfuhr er mit der Rollmatte.

„Ach ja, Sektor 7...“ Tifa blickte einen Moment lang gedankenverloren ins Leere. Zwei Jahre waren seit damals vergangen... Seit ihrem Kampf um den Planeten und der Beinahe-Zerstörung Midgars durch den Meteor. Dann kehrte sie wieder in die Realität zurück. Und die beinhaltete Berge von zu spülenden Gläsern. „Übrigens... wir haben im ersten Stock ein Zimmer für dich hergerichtet. Du musst nicht mehr auf dem Boden schlafen“, sagte sie mit sanften Nachdruck. Schon mehrmals hatte sie ein Gast gefragt, wer ‚der Penner sei, der auf dem Boden der Kneipe campiere’. Sie überlegte zu antworten: ‚ach, das ist nur der Penner, der vor einem Monat die Rückkehr Sephirots und den Untergang des Planeten verhindert hat.’ Aber dann sagte sie einfach: ‚das ist ein Freund, dem es momentan nicht so gut geht...’

„Es macht mir nichts aus“, beharrte Cloud, während er seine Sachen in einer Ecke verstaute. „Bei der Armee haben wir regelmäßig auf dem Boden geschlafen. Und auch in der Kirche- “ Er hielt einen Moment inne. „Auch dort habe ich auf dem Boden geschlafen.“

Seufzend stellte Tifa die Gläser ab.

„Willst du es dir wirklich nicht überlegen? Ich meine... es sieht seltsam aus. Tu mir doch den Gefallen.“ Sie überlegte kurz. „Außerdem stört es die Gäste.“

Cloud bediente sich aus einem Schrank hinter der Theke. Er nahm Toast, Marmelade und Milch heraus. Auf einem der Tische der zu dieser Zeit leeren Kneipe baute er alles auf. „So, so. Und wer sagt, dass nicht die Gäste mich stören?“ Mit mürrischem Gesicht schob er die Scheibe Toast in den Toaster.

„Aber von irgendwas müssen wir leben“, sagte Tifa mahnend. „Versteh das nicht falsch, aber... für die W.R.O. und Reno zu arbeiten wäre keine schlechte Idee.“

„Ts...“ Cloud schnaubte verächtlich und klopfte auf den Toaster. „Für diese Bande? Für Reno und Rude? Sie wollten uns damals umbringen, hast du das schon vergessen? Was ist jetzt mit diesem... Scheißding!“ Verärgert schüttelte er den Toaster.

„Das ist doch schon sooo lange her“, erwiderte Tifa. „Es hat sich viel geändert. Mittlerweile sind sie unsere Freunde.“

„Ja, deine vielleicht“, entgegnete er knurrend. Dann griff er zu einem Messer. „Früher Shinra, jetzt W.R.O. Wo ist da der Unterschied? Verdammt, ich hasse diesen Toaster!“

Mit wütendem Gesicht begann er mit dem Messer in dem Toaster herum zu stochern. Tifa schüttelte seufzend den Kopf. Jeden Morgen das selbe Ritual. Gleich passiert es wieder...

„Brrrrr!!!“

Zuckend ließ Cloud den Toaster fallen. Dampf stieg von seinem Kopf auf. Seine blonden Haare standen nun stachelförmig in alle Richtungen ab. Eine Anordnung, die sie nun tagelang beibehalten würden.

„Ach, Cloud. Wie oft soll ich es dir sagen...“ Mit geduldiger Miene hob sie den Toaster auf und drückte den richtigen Knopf. Momente später sprang eine knusprige Scheibe Toast heraus. „Siehst du? Man braucht nur etwas Geduld.“

Lächelnd legte sie ihm die Scheibe auf seinen Teller. Missmutig griff er danach und begann, sie mit Marmelade zu bestreichen.

„Und außerdem brauche ich keinen Job von Shinra.“

„Von der W.R.O.“, verbesserte ihn Tifa.

„Von wem auch immer. Mit meinen Botenfahrten kann ich genug Geld verdienen. Das Geschäft muss nur erst richtig anlaufen...“

Es ist schon richtig angelaufen, dachte Tifa. Wenn er nur nicht sein gesamtes Geld in sein Motorrad stecken würde...
 

Eilig wie jeden Tag schlang er sein Frühstück hinunter. Tifa bereitete weiter die Gläser für den abendlichen Kneipenbetrieb vor. Von Zeit zu Zeit schaute sie auf, um zu beobachten, wie Cloud frühstückte. Wie ein gehetztes Tier, dachte sie seufzend. Sie kannte ihn schon so lange. Sie waren zusammen aufgewachsen, und später, nachdem er von S.O.L.D.A.T.- oder was auch immer, zurückgekehrt war, hatten sie soviel miteinander durchgemacht. Sie glaubte ihn zu kennen, zumindest wie einen Bruder. Ja, wie ein Bruder... Eine Zeit lang hatte sie geglaubt, oder zumindest gehofft, es würde mehr werden. Doch irgendwie hatte es sich nicht so entwickelt. Jedenfalls war er immer noch für Überraschungen gut, das stand fest. Und nun, nachdem sie zuerst den Shinrakonzern und später Sephirot bekämpft hatten, nachdem sie die Wiederkehr des ‚Alptraums’ durch Kadaj und seine Gang verhindert und die Kinder Midgars vom Geostigma geheilt hatten- nun endlich schien etwas Ruhe, so was wie Normalität in ihr Leben einzukehren. Vielleicht entdeckt er ja doch noch seine Gefühle für-

„Ich bin dann dahin“, rief Cloud. Scheppernd fiel die Tür hinter ihm zu. Seufzend blickte sie ihm hinterher. Ja, vielleicht irgendwann...
 

Forschen Schrittes trat er ins Freie und atmete tief die Luft ein. Anschließend rümpfte er die Nase. Ein weiterer stinkender Tag in Edge City, dachte er, während er zur Garage ging. Ratternd rollte das Tor hoch. Wobei... Midgar war schlimmer. Aber Midgar war nur noch eine Ruine, und in spätestens 500 Jahren würden die Überreste der Gebäude völlig von der Natur, vom Planeten selbst, zurückerobert sein. Und nur noch überwucherte Ruinen würden vom einstigen Größenwahn Shinras künden.

Mit einer schwungvollen Bewegung zog er die Plane von seinem Motorrad, die er jeden Abend feinsäuberlich darüber ausbreitete. Sein verklärter Blick glitt über die Flanken von Fenrir, seinem Motorrad. Zärtlich strich er über den Lack. Es ist wieder wie neu, dachte er stolz. Bei seiner Auseinandersetzung mit einem halbwüchsigen Punk namens Kadaj hatte es so manche Schramme abbekommen, aber das ist längst vergessen, nicht wahr, Fenrir?

Nach gewissenhafter Kontrolle sämtlicher Flüssigkeitsstände schwang er sich auf den Sitz. Mit der rechten setzte er noch eine Staubschutzbrille auf, dann ließ er das Aggregat rhythmisch aufheulen.

Oh ja, Baby... das gefällt mir...

Ein schallendes Quietschen war alles, was in der Garage zurückblieb.
 

Wie ein Raubfisch durch Fischschwärme, so glitt er durch den Straßenverkehr von Edge City. Nach dem Meteorimpakt vor etwas mehr als zwei Jahren war Midgar vollständig evakuiert und für unbewohnbar erklärt worden. In aller Eile war dann eine Satellitenstadt namens ‚Edge City’ aus dem Boden gestampft worden. Nicht, dass sich die mit jeden Tag höher werdenden Hochhäuser großartig von denen in Midgar unterschieden, aber immerhin hatte der Dreck, der Midgar so sehr dominiert hatte, noch nicht soviel Gelegenheit gehabt, sich ausbreiten zu können.

Mit weiten Schwüngen überholte er die vielen langsamen LKWs und Minitransporter, die das Straßenbild beherrschten. Großartiger Individualverkehr hatte sich keiner gebildet. Genau wie in Midgar war die U-Bahn das wichtigste Verkehrsmittel. Kaum jemand besaß ein Auto oder gar ein Motorrad, wie Cloud. Den Lenker geschmeidig wie ein Schwert führend, glitt er durch den Verkehr von ausschließlich langsameren Fahrzeugen. Nur manchmal wurde der elegante Fluss seiner Fortbewegung von einem ausscherenden LKW unsanft gebremst. Wieder einmal war es soweit, und er musste hart gegenlenken. Im Vorbeirasen erhaschte er einen schnellen Blick auf das Kennzeichen des LKWs.

„Fahr zurück nach Kalm, du Blödmann“, schrie er und drohte dem verdutzten LKW-Lenker mit der Faust. „Das sind wirklich die Schlimmsten“, murmelte er, bevor er wieder beschleunigte.

Kaum etwas genoss er so sehr. Er nahm Fahrt auf, und bald verwandelten sich die anderen Verkehrsteilnehmer wieder in vorbeihuschende Schemen. Fast war er dankbar für das umfangreiche Straßennetz, das die W.R.O. in Rekordzeit hatte errichten lassen. Aber nur fast. Nach den Geschehnissen rund um die Mako-Krise und den Meteorimpakt war der Shinrakonzern von der staatlichen Aufsicht zerschlagen worden. Wobei böse Zungen munkelten, die staatliche Aufsicht hätte den selben Besitzer wie auch sonst fast alles in Midgar... Jedenfalls waren die anfallenden Einzelunternehmen unter dem Dach der W.R.O., der sogenannten ‚World Restauration Organization’ zusammengefasst worden. Wenig überraschend, dass ein gewisser General Reeve mit der Leitung dieser Organisation betraut worden war. Und der wichtigste stille Teilhaber war... erraten, Rufus Shinra. Auch wenn sein Familienname erheblichen Imageschaden erlitten hatte und er auf Auftritte in der Öffentlichkeit besser verzichtete, so ging doch alles seinen gewohnten Lauf. Nur das statt Mako-Reaktoren nun Kernkraftwerke aus dem Boden schossen. Die sind völlig sicher, wurde die W.R.O. nicht müde zu betonen. Und jedes Haus, jedes Fahrzeug, jeder U-Bahnwaggon, ja, sogar dieser verfluchte Toaster, der mir jeden Morgen diese seltsame Frisur verpasst, ist von Shinra- äh, von der W.R.O., natürlich, dachte Cloud verärgert...

„Scheiße!!!“

Das Hinterrad hob sachte vom Boden ab, als er brutal bremste. Das nun kopflastig gewordene Motorrad geriet ins Schlingern, und fast wäre er mit der Kolonne vor ihm zusammengestoßen. Sein Herz schlug bis zum Hals, als er zum Stehen kam. Einen Moment lang gedankenverloren, und schon kracht es fast, dachte er. Scheißampel.

Das Aggregat von Fenrir röchelte heiser vor sich hin, während er wartete. Die Rotphase schien wieder einmal endlos zu dauern, und er konnte nicht mal das Ende der Kolonne vor ihm erkennen. Das Verkehrleitsystem war wieder einmal überfordert mit dem rasch wachsenden Berufsverkehr. Gelangweilt schweifte sein Blick über die Fahrzeuge neben ihm... bis er hängen blieb. Und zwar an einer jungen, hübschen Frau, die einen Minitransporter fuhr, der neben ihm stand. Sie erwiderte seinen Blick. Er schob sie die Brille hoch und begann zu lächeln. Unwillkürlich nahm er eine lässige Pose auf seinem Motorrad ein. Mit den Augen flirtete er heftig, und tatsächlich kurbelte sie ihr Fenster hinunter. Angesichts der von Abgasen verpesteten Luft war dies eine gewagte Maßnahme, und so richtete er sich erwartungsvoll auf.

„Ist wirklich ein schönes Motorrad“, rief sie kichernd, dann setzte sich ihre Kolonne in Bewegung. Schon ging das Fenster wieder hoch, und er schaute ihrem Fahrzeug hinterher.

„Danke für das Kompliment...“, murmelte er enttäuscht. Plötzlich erklang die Siegesfanfare aus Final Fantasy 7, einem uralten Videospiel. Und zwar aus seiner Tasche. Hektisch kramte er nach seinem Mobiltelefon, einem Motoshinra. Nun setzte sich auch die Kolonne auf seiner Spur in Bewegung. Mit einer geübten Bewegung klappte er das Display auf und hielt es ans Ohr. Hinter ihm ertönten die ersten Hupsignale.

„Strife Lieferservice, was kann ich für sie- Ruhe dahinten, ihr Idioten!!“ Hilflos blickte ihn der LKW-Fahrer hinter ihm an. Cloud funkelte ihn noch einmal finster an, dann wandte er sich wieder seinem Telefongespräch zu. Die Fahrzeuge hinter ihm begannen, auf die andere Spur zu wechseln. „Ja, was- nein, ich meinte nicht sie. Nein, sicher nicht. Ja. Ja. Aha. Verstehe. Es ist eilig? Na, dann haben sie den richtigen Mann engagiert. Ich bin dort in Nullkommanichts.“

Blitzartig klappte er das Telefon zu und ließ es in die Tasche rutschen. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung saß die Staubschutzbrille wieder auf seiner Nase. Er drehte am Gasgriff und erzeugte einen breiten, schwarzen Streifen auf dem frischen Asphalt.

Nun war der Kampfgeist in ihm erwacht. Das war der eigentliche Grund, warum er sich für dieses Geschäft entschieden hatte. Von nun an hatte er einen Auftrag, ein Ziel. Die anderen Verkehrsteilnehmer waren nun keine nervenden, aber geduldeten Hindernisse mehr, sie waren Gegner. Sein gefährlichster Kontrahent war aber die Uhr; schließlich galt es in seinem Gewerbe Dinge so schnell wie irgend möglich von A nach B zu bringen, und das inmitten des alltäglichen Verkehrsinfarkts von Edge City.

Sein Blickfeld verengte sich zu einem Tunnel, und mehr konnte ein Mensch bei dieser Geschwindigkeit auch nicht wahrnehmen. Im Slalom raste durch das zähe Treiben anderer Fahrzeuge. Seine Sinne waren auf äußerste gespannt, und das war auch das einzige, was ihn vor einer fatalen Kollision bewahrte. Auch rote Ampeln waren nun kein Tabu mehr. Scheiße, Mann, dachte er im Adrenalinrausch, ich habe diese verdammte Welt gerettet, was kümmern mich da Verkehrsregeln...

Nur hie und da hob er den Kopf, um sich kurz an den Gebäuden zu orientieren. Einige Kreuzungen und Beinahe-Unfälle später hielt er vor einem der neueren Gebäude im Büroviertel der Stadt. Als das Motorrad stand, brauchte er einige Momente, um auch innerlich von der Geschwindigkeit runter zu kommen. Noch einmal atmete er tief durch, dann stellte er Fenrir am Straßenrand ab. Seine Schritte kamen ihn lähmend langsam vor, als er auf das Gebäude zuging.
 

Sein Blick wanderte an der frisch verputzten Fassade empor. Die eilig montierte Hausnummer stimmte, sonst deutete nichts auf das Unternehmen hin, das ihn kontaktiert hatte. Schulterzuckend drückte er die nagelneue Glastür auf.

„Hallo? Ist hier jemand?“

Ratlos spazierte er den kahlen Flur entlang. Die Räume links und rechts des Gangs waren leer, in manchen hingen dicke Kabelstränge von der Decke. Es wirkte, als würde hier erst in naher Zukunft jemand einziehen. Kopfschüttelnd ging er weiter.

Wenn das wieder ein Scherzanruf war...

Bei der vorletzten Tür blieb er stehen. Hier war jemand. Mehrere Männer in blauer Arbeitskleidung verlegten Kabel zwischen ‚Kästen’, die wohl Computer oder so was ähnliches waren. Zwischen all der provisorischen Einrichtung saß eine Frau an einer Alukiste und tippte auf einem Notebook herum. Umgeben war sie von Kisten, die Mappen und Papiere enthielten. Vorsichtig kam Cloud näher. Keiner der Arbeiter schenkte ihm Beachtung. Plötzlich hob die Frau den Blick und starrte Cloud an. Dann löste sich ihr Gesichtsausdruck.

„Ach ja, sie müssen... Cloud Strife sein, richtig?“

Cloud nickte gelassen. Die Frau erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen. Eilig zog er sich den Handschuh runter und ergriff sie.

„Ja, hier bin ich. Wie gerufen.“

„Sehr erfreut. Ich bin Anne Almasy, Leiterin von ‚Shining Shore Computing’. Wir sind ganz neu auf dem Markt, deshalb...“ Seufzend überblickte sie das Durcheinander in dem Raum. „...wir sind gerade beim Einziehen, deshalb das Chaos. Auch die Tafel draußen wird erst hergestellt.“

Cloud sah sie näher an. Sie hatte kurze, braune Haare, war jung und auch durchaus hübsch, wirkte aber auch zerstreut, fast verloren. Auch jetzt hatte sie den Faden verloren und brauchte offenbar eine Gedankenstütze.

„Sie haben mich vorhin angerufen...?“ begann er vorsichtig. Sie blickte ihn wieder verwirrt an und schob sie die Brille zurecht, bevor es ihr einfiel.

„Wir? Ja, richtig, ich habe einen Auftrag... wo war es schnell...“ Sie begann in dem Chaos zu stöbern, das wohl ihr Arbeitsbereich war. Schließlich zog sie etwas aus einem Stapel in einer Kiste neben ihr. Mit ernstem Gesicht überreichte sie es Cloud, so als ob es sehr wertvoll wäre. „Diese Messdaten der letzten Tage... sie müssen ins Büro unseres Auftraggebers. Und zwar schnell.“ Dann lächelte sie verlegen, als ob ihr die direkte Aufforderung zur Eile nun plötzlich unangenehm wäre. Cloud erwiderte ihr Lächeln gelassen und nahm die Mappe entgegen. Sie wippte auf den Fußspitzen, während Cloud die Mappe betrachtete. Auf der Vorderseite standen das Datum und mehrere Zahlenreihen ohne Aussage für ihn. Dann blickte er wieder die Frau an.

„Ja? Gibt es noch etwas?“ fragte sie ihn freundlich, aber auch etwas hilflos. Wieder schob sie sich ihre Brille zurecht. Cloud machte eine nachsichtige Geste.

„Und... wohin, wenn es schon so eilig ist?“

Anne schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn.

„Ach ja, die Adresse... warten sie einen Moment...“ Wieder begann sie zu kramen, und allmählich verrann Clouds Geduld wie Sand in einer Sanduhr. Die Arbeiter waren weiterhin mit ihren Kabelrollen beschäftigt. Einer von ihnen legte einen Hebel an einem der Kästen um, woraufhin das Ungetüm surrend zum Leben erwachte. Lämpchen an der Vorderseite begannen wie irr zu blinken. „Ah, hier. Das wäre die Adresse.“

Mit einer unbeholfenen Geste reichte sie ihm einen Ausdruck, der mehrere Adressen enthielt. Eine von ihnen war mit Markerstift fett umrandet.

„Aha. Na gut, ich bin dann unterwegs. Man sieht sich.“

Ohne sich weiter aufzuhalten, machte Cloud kehrt und verließ den Raum. Anne blickte ihm noch einige Zeit hinterher. Dann schüttelte sie den Kopf, um ihre herumschwirrenden Gedanken zu vertreiben. Seufzend sank sie auf ihren Stuhl und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

Toll gemacht, Anne, dachte sie verdrossen, wieder mal ein attraktiver Mann, dem gegenüber du dich lächerlich gemacht hast...
 

Er fühlte sich gewaltig erleichtert, als er wieder ins Freie trat und vor seinem Motorrad stand.

Ein Job in geschlossenen Räumen... unmöglich...

Flink verstaute er die Mappe in der Tasche am Rücken seines Traggestells. Früher hatte dort sein Meisterschwert gehangen... früher eben. Jetzt diente es dem Transport friedlicherer Dinge. Dann sah er auf den Ausdruck mit den Adressen. Sie alle waren quer über die Stadt verteilt, wie ihm auffiel. Vor seinem inneren Auge sah er einen Stadtplan der rasch wachsenden Stadt. Sie waren annähernd kreisförmig verteilt, wenn er sich nicht irrte... Dann ließ er den Gedanken achselzuckend wieder los und prägte sich die Zieladresse ein. Momente später saß er wieder auf Fenrir. Nur eine Wolke Abgas und etwas schwarzer Gummistaub blieben zurück.
 

Heftig würgte er den Gasgriff, und Fenrirs Auspuff antwortete jauchzend. Genussvoll zog er die Maschine auf. Er spürte jedes mal die Windböen auf seinen bl0ßen Schultern, wenn er wieder mal haarscharf an einem Fahrzeug der Gegenspur vorbeiraste. In diesen Momenten der Gefahr fühlte er sich wirklich lebendig. Die Farben waren klarer, das Sonnenlicht heller... selbst die vom Smog belastete Luft in Edge City schmeckte frischer als sonst.

Es kam jedes Mal einer Enttäuschung gleich, wenn er abstieg. Seufzend strich er noch einmal über die stählerne Flanke Fenrirs.

Dir fehlt doch was...

Dieser Gedanke tauchte immer in Momenten wie diesen auf. Er musste es sich eingestehen: ein ruhiges Leben machte ihn auf Dauer krank. Gleichzeitig wurmten ihn deshalb Schuldgefühle. Tifa erwartete sich etwas anderes. Sie war heilfroh, dass es vorbei war. Sie vermisste den Kampf und die Gefahr nicht. So war es immer gewesen. Schon damals, als sich ihre Wege zu ihrer Kinderzeit trennten, da war sie es gewesen, die sich eine beschauliche Existenz aufbauen wollte. Ihn hingegen hatte es zu S.O.L.D.A.T. gezogen, wo das Abenteuer lockte, erinnerte er säuerlich. Und wo ich einem gewissen Sephirot über den Weg lief... aber das war eine andere Geschichte. Jedenfalls fiel es ihm immer schwerer, sich ein ruhiges Leben an der Seite von Tifa vorzustellen. Eigentlich stellte er sich gar nichts vor. Jemand wie er, der so oft dem Tod ins Auge geblickt hatte, vermied es irgendwann, sich eine Zukunft vorzustellen. Doch trotz allem... die Gegenwart war immer wieder zur Zukunft geworden, und schön langsam musste er sich damit abfinden, dass es auch eine für ihn geben würde.

Aber mit Tifa...?

Kopfschüttelnd stellte er sein Motorrad ab. Denn genauso wenig konnte er sich eine Zukunft ohne Tifa vorstellen, nach alldem, was sie mit einander durchgemacht hatten. Dann hob sich sein Blick und er sah, wohin er die Mappe bringen sollte. Vor ihm stand das höchste Gebäude der noch jungen Stadt. In fetten Lettern prangte W R O über dem breiten Eingangsbereich. Und darunter stand kleiner:

‚Wir bauen für ein besseres Morgen’

Cloud verzog das Gesicht.

Hättet ihr das Gestern nicht kaputt gemacht, dann... ach, scheiß drauf...
 

Der Eingangsbereich glich schon einem Palast. Edler Marmor, wohin Cloud auch blickte. Männer in teuren Anzügen und glänzenden Aktentaschen unter dem Arm gingen in dem Gebäude ein und aus. Zwischen all den wichtig aussehenden Yuppietypen kam er sich ziemlich deplaziert vor. Mit einem unbehaglichen Gefühl hielt er auf den Empfang zu. Dort saß eine Frau in einem engen Kostüm, mit einem blinkenden Headset im Gesicht und einer extravaganten Frisur. Clouds Augen wurden groß. Denn sie glich weitgehend seiner Stromschlagfrisur. Auch die Frau verlor angesichts dessen für einen kurzen Moment ihre unterkühlten Gesichtsausdruck. Dann setzte sie ihn routiniert wieder auf und fragte ihn förmlich:

„Kann ich ihnen irgendwie behilflich sein?“

„Ja. Ich bringe was. Strife Lieferservice. Hier ist die Lieferadresse.“

Er hielt ihr den verknitterten Ausdruck hin, und sie nahm ihn mit einer Miene entgegen, als könnte er etwas ansteckendes an sich haben.

„Das wäre Abteilung 9-C. Ich bitte um einen Moment Geduld...“ Ihre auffällig lackierten Fingernägel huschten über eine Tastatur. Dann sprach sie leise in ihr Headset. Cloud bekam nur ihre Lippenbewegungen mit, doch er wusste genau, was sie sagte.

...ob ich Penner auch wirklich hier rein darf... ich hasse diese Schnösel. Die haben sich nicht im mindesten ver-

„Sie werden bereits erwartet, Herr Strife. Folgen sie einfach den farbigen Markierungen. Einen schönen Tag wünsche ich noch.“ Sie zeigte ihm noch ihr aus gebleichten Zähnen bestehendes Lächeln und reichte ihm wieder den Ausdruck.

„Wünsche ich ebenfalls.“

Cloud setzte sich seufzend in Bewegung. Neben dem Empfang hing eine riesige Schautafel mit den einzelnen Abteilungen. Mit zusammengekniffenen Augen studierte er ihn.

Hm... das ist ziemlich ähnlich dem alten Shinra-Hauptquartier. Ich glaube, ich finde den Weg...
 

Wie die Empfangsdame sagte, führten breite farbige Streifen zu den jeweiligen Abteilungen. Sie alle führten zu den Aufzügen. Unter den ebenso wachsamen wie grimmigen Blicken von Wachpersonal in düsteren Uniformen betrat er einen Aufzug. Er teilte ihn sich mit mehreren Angestellten der W.R.O., die sich bemühten, ihn zu ignorieren. Er atmete auf, als er schließlich sein Stockwerk erreichte.

Hierher herrschte die selbe sterile Atmosphäre wie in den anderen Etagen, die er beim Aus- und Zusteigen gesehen hatte. Nur das hier auffällig viele Mitarbeiter keinen Anzug sondern stattdessen weiße Laborkittel trugen. Ein breiter roter Streifen führte schließlich zu einer breiten Glastür mit der Aufschrift: 9-A. Sie öffnete sich automatisch. Die Räume dahinter glichen mehr einem Krankenhaus als einem Bürotrakt, wie er fand. Die dominierende Farbe war nun weiß, und die meisten Wände bestanden Milchglas.

Das ist ja riesig. Wo soll ich das verdam-

„He, wenn haben wir denn hier? Lange nicht gesehen, Kumpel!“

Cloud zuckte zusammen. Sein Kopf versuchte, zwischen den Schulterblättern zu versinken, leider ohne Erfolg. Dann drehte er sich seufzend um. Ein Mann in seinem Alter kam freudestrahlend auf ihn zu.

Lange, feuerrote Haare.

Das Hemd unter dem Jackett lässig offen.

Eine Fliegerbrille auf der Stirn.

Mit einem Wort: Reno.

„Hallo, Reno... Kumpel? Wir sind Kumpel?“

Reno packte seine Hand, schüttelte sie und klopfte ihm jovial auf die Schulter.

„Aber klar! Denk doch an die guten alten Zeiten!“

Cloud ließ die Herzlichkeiten mit stoischer Ruhe über sich ergehen.

„Alt ja. Aber gut?“

„Sicher“, erwiderte dieser mit dem Brustton der Überzeugung. Ihn bei der Schulter nehmend, führte er ihn praktisch mit sich. „Schon alleine, wie wir gemeinsam die Nordhöhle gestürmt haben und Seph in den du-weißt-schon-was getreten haben, das war doch abgefahren, oder?“

Cloud atmete tief durch.

„Also erstens habt ihr uns aus dem Hubschrauber geworfen. Zweitens warst du gar nicht dabei und drittens lass sofort meinen Arm los“, fügte er knurrend hinzu. Reno tat wie geheißen und hob beschwichtigend die Hände.

„Alles cool, oder? Na ja, freut mich, dass du doch noch auf unser Angebot einstei- “

„Dass ich was!?“ platzte es aus ihm heraus. Reno machte ein betretenes Gesicht. Nur Momente später, als Cloud ihn stehen ließ und weiterging, befiel ihn wieder seine unheilbare Fröhlichkeit.

„Du brauchst aber auch nicht überreagieren. Wir waren doch ein tolles Team, nicht?“

Scherzhaft boxte er ihm in die Schulter, was ihm einen weiteren finsteren Blick einbrachte.

„Wo ist eigentlich Rude“, seufzte Cloud verzweifelt. „Solltest du ihn nicht besser suchen, anstatt mich zu anzuöden...“

„Ach, der hat sich einen Tag freigenommen und sitzt jetzt im Piercingstudio. Du weißt ja, er sammelt diese Dinger...“ Reno fügte eine kreisende Fingerbewegung in Schläfenhöhe hinzu und verdrehte dabei die Augen.

„Die Turks bekommen Urlaub? Ist ja ganz was neues... Übrigens- “ Cloud blieb stehen und wandte sich an Reno, der ihn wie ein Schosshund verfolgte und nun ebenso erwartungsvoll anblickte. „Ich soll was abliefern. Weißt du, wo das ist?“ Er hielt ihm den Ausdruck unter die Nase. Einen Moment starrte Reno das Stück Papier an wie eine blanke Faust, dann riss er ihn ihm aus der Hand.

„Abteilung 9-A, Forschungsbereich. Kein Problem, ich bringe dich hin, alter Kumpel!“

Mit unbeirrter Fröhlichkeit und weiten Schritten ging Reno voran. Cloud blieb nichts anderes übrig, als mit genervtem Gesichtsausdruck hinterher zu trotten.
 

Munter drauflos quasselnd, wie es seine Art war, führte er ihn durch die Abteilung, die größer war als Cloud gerechnet hatte. Schließlich kamen sie in eine Halle, die höher war als die anderen Stockwerke. Metalltreppen führten hinab auf den Boden des Raums. Im Vergleich zu den klinisch sauberen Bereichen, die er bis jetzt gesehen hatte, glich dieser Saal eher einer Werkstatt als einem Labor. Techniker arbeiteten mit Metallschleifern und Schweißbrennern. Funken stoben von vielen Stellen. Bei jedem Schritt musste man achten, über keinen Kabelstrang zu stolpern. Und in der Mitte des ganzen Chaos stand umhüllt von einem Baugerüst ein riesiger, ringförmiger Gegenstand...

„...das war ja echt eine bewegte Zeit, aber was erzähl ich dir, du warst ja mittendrin, nicht wahr? Aber gegen uns gemeinsam hatte dieser Punk Kadaj und seine Lahmarschgang eben keine Chance, da hätten die schon wesentlich...“

„Reno?“

„...wesentlich früher aufstehen müssen, um es mit uns, den Turks, und, äh, natürlich auch dir und- “

„Reno!!“

„Ja?“

Mit finsterem Gesicht hielt er ihm die Mappe entgegen. Reno tat peinlich berührt. „Ach das. Hätte ich fast vergessen. Sehen wir mal...“ Mit der rechten seine Augen beschirmend, spähte er durch das Durcheinander. „Ah, da ist er ja. Komm, Cloud, ich stelle dir unseren Professor vor.“

Er führte ihn zu einem Mann mit Laborkittel, der wie ein Dirigent das Chaos um ihn herum zu koordinieren schien. Nur dass das Orchester kaum Notiz von ihm nahm...

„Hey, Professor Salvatori!“ Der angesprochene Mann ließ vor Schreck fast sein Klemmbrett fallen, als ihn Reno überfiel. Er war für den Professortitel auffallend jung. Seine langen, pechschwarzen Haare schlugen sich irgendwie mit seinen besorgt wirkenden Zügen und den Ringen um seine Augen. „Darf ich vorstellen, dass ist Cloud, ein alter Kumpel von mir.“ Reno grinste wieder wie ein Schaukelpferd, während Cloud dem Professor die Hand schüttelte. „Und das ist Professor Salvatori, der neue Leiter der Shin- ich meine, der W.R.O. Forschungsabteilung.“

Der Professor nickte langsam.

„Ja, ich bekleide nun diesen Posten, nachdem meinem Vorgänger, Professor Hojo, etwas bedauerliches zustieß...“

Cloud grinste schelmisch.

„Ich weiß. Ich bin ihm zugestoßen.“

Salvatoris verwirrter Blick fiel auf Reno. Dieser öffnete den Mund weit, um ihn anschließend wieder zu schließen.

„Das- äh, nun, Cloud, wolltest du ihm nicht etwas überreichen?“ sagte er schließlich. Cloud zog die Mappe hervor und hielt sie dem Professor entgegen.

„Das ist für sie. Ist scheinbar von einer Außenstelle“, fügte er achselzuckend hinzu. Salvatori sah die Mappe zuerst skeptisch an, dann nahm er sie entgegen, als wäre sie aus purem Gold.

„Oh, vielen Dank, ja, darauf habe ich bereits gewartet...“

Ohne die beiden noch länger zu beachten, zog er sich mit der Mappe in sein Büro zurück. Sie zog seine Aufmerksamkeit komplett auf sich. Verdutzt schaute ihm Reno hinterher.

„Hm... Was für’n komischer Kauz. Wie Wissenschaftler halt so sind, nicht wahr, Cloud?“

Wieder erfolgte ein kameradschaftlicher Klaps, den Cloud mit einem genervten Seufzer quittierte.

„Rechnung oder Bar?“ Reno machte ein ebenso fragendes wie dummes Gesicht. Cloud verdrehte knurrend die Augen. „Die Zahlungsweise...“

„Ach, das. Willst du etwa schon gehen? Ich wollte dir ja noch unser neues Hauptquartier zeigen. Vielleicht kommst du ja doch noch auf den Geschmack. Fähige Männer wie dich können wir immer brauchen!“

Cloud verschränkte die Arme und begann, mit der Stiefelsohle zu klopfen. Auf diese unverständliche Geste hin zog Reno eine Karte aus seinem Jackett. Cloud nahm sie ungerührt entgegen.

„Hier, steht alles drauf. Schick uns einfach die Rechnung. Und falls du es dir doch noch anders überlegst, du bist jederzeit in unserem Team herzli- “

In diesem Moment schloss sich die Glastür hinter Cloud. Reno blieb im Labor zurück und schaute ihm nach. Dann zuckte er mit den Achseln und stürzte sich wieder seinen Tagesablauf mit dem unerschütterlichen Optimismus von jemanden, der mehr Glück als Verstand hat...
 

Seine Schritte wurden immer schneller, als er sich dem Eingangsbereich näherte. Auch wenn sich der einflussreichste Konzern Midgars statt Shinra nun W.R.O. nannte, es hatte für ihn denselben bitteren Nachgeschmack. Erleichtert spürte er die Vibrationen des erwachenden Aggregats beim Starten unter sich. All die Versprechungen, mit denen Shinra die Menschen, und auch ihn, wie er sich eingestehen musste, gelockt und verführt hatte... Eine bessere und bequeme Welt, eine Welt, die sie letztendlich fast zerstört hatten. Er wusste nicht, ob er ihnen je würde verzeihen können. Der Fahrtwind fuhr ihm durchs Haar, und der Himmel wurde wieder blau in seinen Augen. Ich habe mir selbst verziehen, dachte er lächelnd, da schaffe ich das vielleicht auch bei Shinra...

Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Die Stunden vergingen, und der Tag neigte sich schließlich dem Ende zu. Einige Aufträge später schaltete er sein Mobiltelefon ab. Anrufer würden nun nur mehr seinen Anrufbeantworter hören. Dann steuerte Fenrir auf die Außenringautobahn, von der aus die Verteilerstraßen die Stadt durchzogen. Gleichzeitig führten von hier aus die Überlandstraßen in die anderen Bereiche des Kontinents. Man kam von hier auch in die sogenannten ‚Wastelands’, eine staubige, felsenüberzogene Ebene, die sich von Midgar aus in alle Richtungen erstreckte. Erst Kilometer später ging sie in fruchtbares Grünland über, doch das war in diesem Moment nicht sein Ziel.

Er lenkte sein Motorrad auf einen vertrauten Weg. Unter den Schutthaufen und dem Staub konnte man teilweise noch die Straßenmarkierungen erkennen. Viele Erinnerungen stiegen in ihm hoch, als er Fenrir vorsichtig durch die verwüsteten Außenbereiche Midgars lenkte. Die W.R.O. hatte keine Pläne, die ohnehin schon dem Einsturz nahen Gebäude Midgars abzureißen, und es wäre auch ein zu umfangreiches Unternehmen gewesen. So würden die Überreste der einstigen Metropole wohl bis in alle Zeit als Mahnmäler menschlichen Größenwahns stehen bleiben. Dann fand er sein Ziel.

Die hohen Flügel der Kirchentür hingen schief in ihren Angeln. Fenrir draußen stehen lassend, schob er sich vorsichtig an ihnen vorbei. Am Beginn der Kirchenbänke blieb er stehen und atmete tief durch. Es war schon eine Weile her, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Und nun wallten die Erinnerungen heftig in ihm hoch. Dann nahm er sich zusammen und ging weiter. An der Stelle, an der einst Blumen wuchsen... die Stelle, die seinen Sturz aus Reaktor 6 aufgefangen hatte... jetzt bedeckte sie ein Teich aus einer unterirdischen Quelle. Gerührt blickte er in das kristallklare Wasser.

Zwei Mal hast du mir das Leben gerettet... zwei Mal.

Und ich habe es nicht mal einmal geschafft...

„Du warst für mich da. Das ist alles, was zählt.“

Erschrocken drehte er sich um. Schon mehrmals hatte er in dieser Kirche Aeris’ Stimme gehört. Zum letzten Mal, nach dem sie ihn aus dem Lebensstrom hierher zurückgeschickt hatte. Damals, nach seinem Kampf gegen Kadaj. Noch immer hatte er ihre Stimme in den Ohren, ihre sanfte Stimme, aus der soviel Weisheit klang...

„Aeris...“

Er kniete sich hin und ließ die Finger durchs Wasser gleiten. Sein Spiegelbild verschwamm, und als es wieder klar war, da lächelte es. Damals hatte er einen harten inneren Kampf ausgefochten. Und an dessen Ende hatte er Vergebung gefunden. Vergebung dafür, dass er Aeris damals nicht hatte retten können.

Von tiefer Dankbarkeit erfüllt, richtete er sich auf. Sein Blick ging hinauf, wo das Dach der Kirche eingestürzt war. Die Abendsonne blinzelte über den Rand des Gemäuers hinweg. Geräuschvoll ausatmend wischte er eine einzelne Träne weg. Auch wenn sie nicht mehr da... seine Liebe würde ewig bleiben. Vielleicht nicht wie eine Frau, und auch nicht wirklich wie eine Schwester... aber er hatte sie geliebt. Mehr als er sagen konnte. Und diese Liebe war nicht gestorben, sie lebte. Wie Aeris in seinem Herzen...
 

Es war bereits dunkel, als er die Plane über Fenrir ausbreitete. Noch einmal strich er liebevoll über das Metall, bevor die Garage verließ. Drinnen, im ‚7.Himmel’, herrschte bereits reger Betrieb. Arbeiter aus den umliegenden Betrieben sowie Nachtschwärmer auf ihrer ersten Station bevölkerten Tische und Tresen. Ein Durcheinander aus einem Dutzend verschiedenen Gesprächen schwirrte durch den Raum, und dazu lärmte eine elektronische Jukebox in einer Ecke. An der Wand hing in einem Schaukasten Clouds Meisterschwert. Im Vorbeigehen blieb er kurz stehen und blickte es mit einem sentimentalen Ausdruck an. Na ja, eigentlich ist es Zacks Schwert... Er hatte sich dazu entschieden, es doch nicht in den Wastelands verrosten zu lassen, und so hing es jetzt als Andenken an der Wand des 7.Himmels.

Tifa eilte von Gast zu Gast, und so gab es nicht mehr als ein knappes ‚Hallo’ zwischen Cloud und ihr. Plötzlich rannten ihn zwei Kinder fast um.

„Marlene! Denzel! Solltet ihr nicht schon im Bett liegen“, schalt er sie nicht ganz ernst gemeint, als sie lachend an seinen Beinen zerrten. Ihre Fröhlichkeit war ansteckend, und er tätschelte ihnen lächelnd den Kopf.

„Aber wir sind noch gar nicht müde“, antwortete Marlene selbstbewusst. Denzel nickte eifrig dazu. Cloud schüttelte nachsichtig den Kopf.

„Ja, ja, und morgens kommt ihr dann nicht aus den Federn. Kommt mit, ihr beiden.“

Links und rechts an der Hand haltend, ging er mit ihnen nach oben. Zwischen Tifa und Cloud gab es ein Abkommen die Kinder betreffend. Sie kümmerte sich tagsüber um die zwei, wenn Cloud unterwegs war. Abends dann, wenn sie alle Hände mit dem Barbetrieb zu tun hatte, übernahm Cloud diesen Part.

Geduldig brachte er sie dazu, ihr Zimmer aufzuräumen und sich fürs Schlafengehen fertig zu machen. Seit Barret in der Nähe von Gongaga auf Öl gestoßen war und nun dort ein aufstrebendes Unternehmen leitete, war es an den beiden, sich um die zwei Waisenkinder zu kümmern. Von Zeit zu Zeit kam er zu Besuch, wenn es seine Zeit erlaubte. Dies geschah aber immer seltener, da die Welt in der Prä-Mako-Ära nach Energiequellen wie Öl lechzte.

„Und, habt ihr auch sorgfältig Zähne geputzt?“ Beide bejahten es fröhlich. „Na dann, ab ins Bett.“ Jeder einen putzigen Pyjama tragend, begleitete er sie in ihr Zimmer. Dort schlüpften sie verspielten Hamstern gleich unter ihre Decken. Cloud setzte sich zu jedem von ihnen ans Bett und deckte sie ordentlich zu.

„Cloud...“, jammerte Denzel, während er gerade Marlene zudeckte. „Ja, was gibt es“, fragte er und wandte sich ihm zu. „Cloud...“, druckste er herum. „Erzähl uns eine Geschichte!“

„Ja, eine Geschichte!“, stimmte Marlene jubelnd ein. „Da können wir viiiel besser einschlafen nachher!“

Seufzend sah er in zwei erwartungsvolle Gesichter.

„Also gut. Was möchtet ihr denn hören?“

Denzel schnitt eine düstere Grimasse.

„Eine über Sephirot...“, flüsterte er tonlos. Marlene machte ein banges Gesicht.

„Das ist keine gute Idee“, erwiderte Cloud kopfschüttelnd. „Da bekommt ihr beiden nur Alpträume.“

„Nein“, rief Denzel aufbegehrend. „Ich nicht, ich fürchte mich vor nichts!“

Cloud nickte müde lächelnd.

„Ja, genau. Ich habe eine bessere Idee. Ich erzähle euch die Geschichte vom goldenen Chocobo, der Nachts in die Zimmer braver Kinder kommt und einen Schatz zurücklässt.“

„Au ja“, jubelte Marlene. „Die will ich hören.“ Denzel machte zuerst ein enttäuschtes Gesicht, doch nach einer Weile schlug ihn die Erzählung dann doch in den Bann...
 

So leise wie möglich schloss er die Tür hinter den zwei schlafenden Kindern. Müde rieb er sich das Gesicht. Aus der Kneipe einen Stock tiefer drangen gedämpfte Geräusche zu ihm. Gähnend ging er die Treppe hinab.

Es war kurz vor Mitternacht. Tifa schenkte mit geübten Bewegungen Bier aus, während die Gäste am Tresen in ihre Gespräche vertieft waren oder einfach nur gedankenverloren in ihre Gläser starrten. Cloud näherte sich Tifa von hinten und legte ihr die Hände um die Hüften.

„Brauchst du Hilfe“, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie löste sich aus seinem Griff und stellte einem wartenden Gast das Glas hin.

„Es geht schon, ich komme zurecht. Wie sieht’s bei den Kindern aus?“

Müde lehnte er sich an den Tresen. Tifa wandte ihm den Rücken zu.

„Sie schlafen jetzt.“

„Gut“, antwortete sie ohne ihn anzusehen. „Ist nett von dir, aber ich komme klar.“

„Na gut“, sagte er, und ließ den Blick über den Laden schweifen. Dann schenkte er sich selbst ein kleines Glas Bier ein und begann zu trinken. „Und, wie war dein Tag sonst noch?“

„Ganz okay. Der linke Zapfhahn tropft ständig, wenn du dir das mal ansiehst. Und auch die Spülmaschine hat was. Irgendwo läuft immer Wasser aus, wenn ich sie aufdrehe“, erzählte sie, während sie sich um die Gäste kümmerte. „Und bei dir?“

Einen kurzen Blick warf sie ihm dabei zu, bevor sie weiterarbeitete.

„War auch in Ordnung. Stell dir vor, ein Job hat mich zur W.R.O. geführt. Dort habe ich Reno getroffen, den alten Labersack. Ja, und sonst...“ Er seufzte, dann trank er sein Glas leer. „Ich geh dann mal nach oben. Ein Haufen Papierkram wartet auf mich. Sollte was sein- “

„- dann rufe ich dich. Geh ruhig.“

Immer noch wandte sie ihm den Rücken zu, während sie den Tresen wischte. Er stellte sein Glas in die Spüle und ging wieder nach oben.

Seufzend sank er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Dies war der unangenehme Teil seiner Arbeit. So groß die Freiheit war, die er tagsüber genoss, so sehr fühlte er sich nun an seinen Schreibtisch gekettet, wenn er die Rechnungen seiner Kunden bearbeitete. Anders als Tifa, die alle Facetten ihres Jobs liebte, konnte er das nicht ausstehen. Ja, Tifa... Seufzend erinnerte er sich an vorher. Ein einziges Mal hatten sie miteinander geschlafen, kurz nach der Sache mit Kadaj und seiner Gang. Es war wohl im Überschwang der Gefühle passiert. Denn am nächsten Morgen hatten sie sich angesehen, als hätten sie einen Autounfall zusammen gebaut. Und seither hatte sie es vermieden, irgend eine Zärtlichkeit seinerseits zu erwidern. Und dann hatte sie ihm wieder versichert, ‚dass sie zusammengehören’. Da werd’ einer aus diesen Frauen schlau, dachte er missmutig, als er sich wieder einem Stapel Rechnungen zuwandte. Weggelder berechnen, Kontodaten ausfüllen, Einziehungsaufträge erteilen... Schrecklich. Aber was soll man machen, die Gil fallen schließlich nicht vom Himmel...
 

Die Zahlenreihen verschwammen vor seinen Augen. Nur noch diese eine Rechnung, dachte er übermüdet. Ein träger Blick zur Uhr auf seinem Schreibtisch zeigte ihm, dass es bereits weit nach Mitternacht war. Kaum hörbar waren mittlerweile die Geräusche aus dem Gastraum geworden. Nun würden wohl nur noch die hartgesottenen ausharren, und Tifa würde warten, bis die letzten Gäste den 7.Himmel verlassen hatten. Seufzend rieb er sich die schmerzenden Augen. Alleine die Aussicht auf die Fahrt mit Fenrir würde ihn bei Morgengrauen aus dem Bett-

Cloud schreckte hoch. Schreie drangen an sein Ohr. Mit einem Male war er hellwach. Manchmal kam es vor, dass betrunkene Gäste randalierten. Es gab kaum etwas, mit dem Tifa nicht fertig wurde, aber sicherheitshalber wollte er nach dem Rechten sehen.

Als er in den Flur trat, wurden die Schreie lauter. Plötzlich wurde er von einer Unruhe erfasst, die ihn zutiefst erschreckte. So, als würde er etwas schreckliches ahnen... Er beschleunigte seine Schritte und rannte die Treppe hinab.

„Was ist das für ein Freak!“

Nach diesem Schrei stürzte der Mann die Tür hinaus. Andere folgten seinem Beispiel, und schnell war die Kneipe leer. Als Cloud in den Gastraum trat, erstarrte er. Pulsierendes, rotes Licht schien von allen Oberflächen wieder. Tische und Stühle lagen umgeworfen im Raum, als wären alle Gäste panikartig geflohen. Tifa duckte sich hinter den Tresen, als ginge sie in Deckung. Dann sah er ihn.
 

„Grrrr!! Wo ist es denn...!?“

Die Gestalt drehte sich hin und her. Sie hatte... mehrere Arme, wie Cloud entsetzt feststellte. Und jedes von ihnen hatte ein Schwert in der Hand. Der Körper des Wesens war in einen kunstvoll verschlungenen roten Umhang gewickelt. Das Gesicht war nicht erkennbar. Nur leere, leuchtende Augen blitzten zwischen dem Umhang und einer exotischen Kopfbedeckung hervor. Und seine Stimme hallte so tief und schnarrend durch den Raum, dass alle Einrichtungsgegenstände zu vibrieren begannen.

„Heilige Scheiße...“, murmelte Cloud. In seiner Zeit als Soldat und Abenteurer hatte er eine Menge ungewöhnlicher und bizarrer Monster getroffen, aber so etwas noch nicht. Und vor allem nicht mitten in einer Stadt! „Alles in Ordnung, Tifa?“ rief er ihr zu. Sie nickte nur. Ihr Gesicht schien merkwürdig bekümmert, als hätte sie eine bestimmte Befürchtung. Dann wandte sich Cloud wieder dem Wesen zu, das nach irgendwas zu suchen schien.

„Hey, du Mutant! Was zum Teufel willst du hier!?“ brüllte er ihn an. Das Wesen unterbrach sein hektisches Herumgefahre und drehte den Kopf langsam in seine Richtung. Doch mehr als ein drohendes Zischen gab es nicht von sich. Plötzlich fiel sein Blick auf einem bestimmten Gegenstand. Cloud folgte seinem Blick- und sah das Meisterschwert an der Wand.

„Schhhhhhh!! Da ist es jaaa!“

Nach diesem langgezogenen, durchdringenden Zischen setzte es sich in Bewegung. Blitzschnell ging Cloud seine Optionen durch. Sein neues Schwert, Hexagon, befand sich in Fenrir, in der Garage. Keine Zeit! Ohne zu zögern, setzte er zum Sprung an. Tische und Stühle beiseite stoßend, schritt das unheimliche, vielarmige Geschöpf auf die Wand zu, an der der Schaukasten hing. Sich vom Tresen abstoßend, landete Cloud auf einem der Tische. Gerade als das Ungetüm ihn mit einem seiner vielen Arme wegstieß, sprang Cloud auf den Schaukasten zu, durchschlug das Glas mit der Faust, riss das Meisterschwert heraus- und parierte in der letzten Sekunde einen Abwärtshieb des Ungeheuers. Das Schwert mit beiden Händen haltend, kniete er am Boden und stemmte sich gegen die Wucht des Hiebes. Ein dunkles Knurren ausstoßend, blickte das Wesen mit seinen leuchtenden Augen auf ihn herab. Aus dieser kurzen Entfernung erkannte er, dass die Haut des Wesens eisblau war und von roten Symbolen überzogen wurde...

„Es-gehört-mirrrrrr!!!“

Nach diesem schrillen, unmenschlichen Aufschrei ging die Kreatur erneut zum Angriff über. Mehrere Klingen sausten gleichzeitig auf die Stelle herab, an der sich Cloud gerade noch befunden hatte. Geschmeidig rollte er sich weg, als die Klingen krachend in der Wand einschlugen.

Schwer atmend richtete er sich auf. Das Wesen wandte sich ganz langsam um, als wäre es sich seines Sieges schon sicher. Cloud hielt das Schwert kampfbereit vor sich- so wie er es schon unzählige Male in seinem Leben getan hatte...

Nun ergriff er die Initiative. Das riesige Schwert behände schwingend, griff er die Kreatur an. Trotz der Wucht und der Schnelligkeit seiner Angriffe, die vor Zeiten selbst Sephirot vernichtet hatten, parierte das Ungetüm seine Angriffe problemlos. Immer war einer seiner vielen Arme zur Stelle, die Klinge des Meisterschwerts abzuwehren. Das Wesen stieß ein schrilles Gelächter aus, während Cloud es verzweifelt bekämpfte. Plötzlich taumelte es nach vor auf Cloud zu. Er nutzte die Öffnung in der Deckung und versetzte ihm einen gewaltigen Seithieb, der es quer durch den Raum schleuderte. Dabei kam Tifa zum Vorschein, die mit erhobenen Fäusten vor Cloud stand und dem Wesen zuvor einen heftigen Schlag versetzt hatte.

Krachend flog das Ungetüm durch den Raum. Wilde Flüche in einer unverständlichen Sprache ausstoßend, kam es wieder auf die Beine. Cloud und Tifa nickten sich entschlossen zu, dann näherten sie sich ihrem mysteriösen Angreifer.

„Jetzt gibt’s was auf die Schnauze“, drohte Cloud mit ernstem Gesicht. „Ja, du hast hiermit Lokalverbot. Lebenslang!“ ergänzte Tifa entschlossen. Der Blick des Wesen pendelte zwischen den beiden hin und her. Dann blieb es an Clouds Waffe hängen.

„Oh nein... du gehörst... Gilgamesch!!!“

Tifa und Cloud zuckten zusammen, als ihnen die kreischende Stimme des Wesens in den Ohren stach. Dann vollführte es mit seinen vielen Armen eine synchrone Bewegung. Kunstvolle Kreise beschreibend, schwang er sie herum und murmelte Wörter in einer fremden Sprache. Hinter ihm öffnete sich ein Strudel im Raum. Grelles Licht entsprang ihm und blendete die beiden beinahe. Dann begannen die ersten Einrichtungsgegenstände auf ihn zuzurutschen. Schon mussten sie sich gegen den Sog stemmen, der alles zu verschlingen drohte.

„Was zum Teufel geschieht hier!“ schrie Cloud Tifa zu. Der Sog wurde stärker und verwandelte sich in einen alles verzehrenden Mahlstrom. Immer mehr Dinge flogen nun auf das Wesen zu, das direkt im Zentrum des Sogs stand. Cloud konnte sich kaum noch auf den Beinen halten- als plötzlich Tifa von den Füßen gerissen wurde und auf den Strudel zu stürzte.

„Tifa!!!“

Er hörte nur noch ihr Kreischen, dann verschwand sie in dem Strudel. Cloud konnte nichts erkennen, zu grell war das Licht aus dem Zentrum des Sogs. In einer Geste der Verzweiflung sprang er und schwang sein Schwert mit voller Wucht-
 

„Tifa!“

Er schreckte aus seiner Bewusstlosigkeit hoch. Er lag auf dem Boden. Das Schwert hielt er nicht mehr in Händen. Verwirrt sah er sich um. Der 7.Himmel glich einem Schlachtfeld. Kein Möbelstück war mehr an seinem Platz. Es sah aus, als hätte ein Orkan in diesem Raum getobt. Er war allein. Das Wesen war weg- und auch Tifa!

„Cloud... was ist passiert...“, wimmerte eine Stimme. Es war Marlene, die sich zusammen mit Denzel hinter dem Tresen versteckte und ihn rief. Ruckartig schnellte er hoch und lief zu ihnen. Ängstlich kamen sie aus ihrem Versteck hervor und klammerten sich an ihn.

„Seid ihr in Ordnung“, fragte er aufgeregt. Denzel vergrub sein weinendes Gesicht an seinem Hosenbein. Marlene blickte angsterfüllt zu ihm hoch.

„Es war so laut... wir hatten Angst... wo ist Tifa?“

Panisch sah er sich um. Sein Blick glitt über den verwüsteten Raum... sie war weg.

„Ich... ich weiß es nicht...“ Fassungslos schüttelte er den Kopf. Er versuchte zu verstehen, was geschehen war. Das mehrarmige Ungetüm... sie hatten gekämpft... plötzlich wurde alles von einem Sog erfasst... er hatte versucht, das Wesen mit dem Schwert zu treffen... vorher hatte es irgendwas gesagt, er versuchte sich zu erinnern.

‚Du... gehörst... Gilgamesch!?’

„Ich hab Angst... ich will zu Tifa“, schluchzte Denzel. Cloud ging in die Hocke und blickte beiden in die Augen.

„Ich weiß nicht, wo sie ist, aber... wir werden sie finden, okay? Das geht aber nur, wenn ihr beiden tapfer seid, einverstanden?“ Die beiden Kinder nickten mit ihren tränenüberströmten Gesichtern.

Ohne die beiden nur einen Moment lang von den Händen zu lassen, durchsuchten sie das ganze Haus. Sie fanden nichts, und schließlich trat er mit den beiden vor die Tür. Verzweifelt überlegte er, wo er suchen sollte... doch er wusste innerlich, dass es vergebens war. Denzel begann wieder leise zu weinen, und Marlene versuchte ihren Stiefbruder zu trösten. Währenddessen holte Cloud sein Mobiltelefon hervor. Es läutete schier ewig, bis endlich jemand abhob. Eine raue, aber vertraute Stimme meldete sich.

„Bist das du, Spikey? Warum um alles in der Welt rufst du um diese- “

„Halt den Rand, Barret“, herrschte er ihn ungeduldig an. „Es ist etwas furchtbares passiert!“

Mit einem Male war die eben noch verschlafene Stimme hellwach.

„Was? Ist etwas mit Marlene und Denzel?“

„Nein. Wir wurden angegriffen. Tifa... es ist Tifa.“

„WAS!? Was ist ihr passiert? Ist sie verletzt?“

„Nein...“ Cloud schüttelte den Kopf. In seinen Gedanken herrschte Chaos, und auch die kühle Nachtluft linderte dies kaum. „Sie... sie ist weg. Wie vom Boden verschluckt...“ Verzweifelt versuchte er, seine Erinnerungen in ein Sinn ergebendes Schema zu bringen. Während er sprach, hörte er am anderen Ende der Leitung Barret gespannt den Atem anhalten. „Wer immer das war... er ist weg, und Tifa mit ihm!“ Er merkte, wie seine Stimme zu zittern begann.

„Immer mit der Ruhe, Cloud. Rühr dich nicht vom Fleck! Pass auf Marlene und Denzel auf, ich bin so schnell es geht bei euch!“ Man konnte hören, dass der Telefonierende sich während des Sprechens aufraffte und herumlief. „Ich bin schon auf dem Weg zum Hubschrauber, wie gesagt, pass auf die zwei auf! Wer hat euch angegriffen, sag es mir, Cloud!“

Er runzelte schmerzerfüllt die Stirn. Seine Gedanken begannen auszusetzen.

„Ich weiß es nicht... irgend ein Typ, ich hab so was noch nie gesehen... er hatte etliche Arme, und er hat eine Art Sog entfacht... alles verschwand darin, ich fürchte, auch Tifa...“

„Okay, okay, nur die Ruhe, verstanden? Ich muss auflegen, ich starte jetzt den Hubschrauber. In ein paar Stunden bin ich da, kapiert? Pass auf die beiden auf!“ Dann legte er auf. Cloud starrte verwirrt in die Nacht. Es war niemand auf den Straßen, und er überlegte, was er tun sollte...
 

„Hört jetzt gut zu, ihr beiden!“ Marlene wirkte einigermaßen gefasst, während Denzel immer noch leise weinte. Cloud war mit den beiden im Gastraum. In seinem Rückengurt hing nun Hexagon, sein neues Schwert. Er sprach ruhig, aber eindringlich zu den beiden. „Tifa ist bald wieder zurück, versteht ihr mich? Und deshalb müssen wir hier jetzt aufräumen, damit sie sich nicht ärgern muss, wenn sie zurückkommt.“

„Aber... aber du weißt doch gar nicht, wo sie ist“, schluchzte Denzel. Cloud ergriff ihn an den Schultern und redete ihm gut zu.

„Das weiß ich wirklich nicht, aber... sie kommt bald zurück, denkt immer daran!“

Und so machten sich die drei daran, den Gastraum aufzuräumen. Cloud war sich der Zwecklosigkeit dieser Tätigkeit bewusst. Im Moment ging es nur darum, die beiden zu beschäftigen, um sie vom geschehenen abzulenken. Bald waren sie todmüde, und Cloud brachte sie zu Bett.

Er wagte es nicht, ihr Kinderzimmer zu verlassen. Unruhig stand er am Fenster und blickte auf die Straße hinab. Eine quälende Angst rumorte ihn ihm. Mit einem Male wurde ihm bewusst, wie viel sie ihm bedeutete, und dass ihn die Ungewissheit jeden Schlaf raubte.

Die Stunden vergingen, und er lauschte immer noch auf jedes Geräusch. Immer öfter ertappte er sich dabei, wie ihm im Stehen die Augen zufielen. Doch er kämpfte gegen die Erschöpfung an. Schließlich entschloss er sich, sich auf einen Stuhl im Kinderzimmer zu setzen. Sein Schwert neben sich lehnend, saß er dort und beobachtete die zwei Kinder. Hin und wieder stöhnten sie im Schlaf auf. Er konnte ahnen, was sie träumten...
 

Ein Geräusch riss ihn aus seinem Dämmerzustand. Blitzschnell packte er sein Schwert und holte aus. Die Person, die durch die Tür trat, konnte die heransausende Klinge im letzten Moment mit ihrem metallenen Arm abwehren. Entsetzt blickte er in Barrets erschrockene Augen.

„Cloud! Ich bin’s, Barret!“

„Was? Barret... ich dachte...“

„Ist schon okay. Sonst alles in Ordnung mit dir?“ Er nickte müde. Dann ging Barret zu den Betten der Kinder. Vorsichtig strich er den schlafenden Kindern über die Köpfe. Nachdem er sich von ihrer Unversehrtheit überzeugt hatte, drehte er sich wieder zu Cloud um. „So... und jetzt erzähl mir genau, was passiert ist.“
 

Cloud saß auf einem Stuhl mitten im immer noch verwüsteten Gastraum. Barret marschierte auf und ab wie ein nervöses Raubtier, während er ihm den Angreifer und ihren Kampf Detail für Detail schilderte. Fassungslos schüttelte Barret den Kopf.

„Was für ein Mist. So ein übler Freak...“ Wütend stieß er die Trümmer eines Tisches mit dem Stiefel beiseite.

„Ich... ich konnte nichts tun... ich...“, stammelte Cloud. Barret ging auf ihn zu und packte ihn an den Schultern.

„Hör mir zu, Spikey! Niemand macht dir einen Vorwurf, kapiert? Du hast alles menschenmögliche getan.“

Langsam hob Cloud den Kopf und blickte ihn bekümmert an.

„Habe ich das...?“

„Ja, das hast du. Und jetzt leg dich gefälligst eine Runde aufs Ohr, du siehst furchtbar aus.“
 

Zuerst äußerte er seinen Widerwillen, doch schließlich gab er nach. Er musste sich eingestehen, dass er erschöpft war. Benommen wankte er zu seinen Sachen, die vor dem Schrank verstreut lagen. Geduldig sammelte er sie ein. Dann drehte er sich um. Barret stand draußen vor der Tür und telefonierte aufgeregt. Im Gastraum herrschte immer noch das Chaos von letzter Nacht. Nein, hier würde er nicht schlafen können. Zu sehr erinnerte ihn das Durcheinander an den Vorfall...

Mit dem Schlafsack und der Rollmatte unter dem Arm ging er die Treppe hoch. Er erinnerte sich an das, was Tifa noch am Vortag zu ihm gesagt hatte. Am Ende des Flurs im ersten Stockwerk stand er schließlich vor der Tür, dass zu seinem Raum führte. Tifa hatte ihn für ihn eingerichtet, doch er hatte es immer vorgezogen, unten in der Kneipe auf dem Boden zu schlafen. Die Kirche, in der er vorher sein Quartier gehabt hatte, war seit der Geschichte mit Kadaj dem Einsturz nahe. Auch wenn es ihn geschmerzt hatte, er hatte den Ort verlassen müssen. Irgendwie glaubte er damals noch, er könnte Aeris näher sein, wenn er dort bliebe...

Stumm öffnete er die Tür. Er stand nun vor einem kleinen Raum. Ein Bett stand an der Wand, gegenüber eine Kommode. Ein kleiner Tisch stand neben dem Bett, und darüber... hing ein eingerahmtes Foto.

Erstaunt trat er näher. Das Bild zeigte ihn, Tifa und die zwei Waisenkinder, wie sie vor der Kneipe standen. Jetzt erinnerte er sich. Es wurde gemacht damals, anlässlich der Eröffnung des ‚neuen’ 7.Himmels. Dann fiel ihm auf, mit wie viel Liebe der eigentlich schlichte Raum eingerichtet war. Fast konnte er Tifas Präsenz spüren... doch sie war weg, und er wusste nicht, wohin.

Verärgert warf er seine Sachen in eine Ecke und ließ sich aufs Bett fallen. Eine Weile starrte er an die Decke, bevor er schließlich einschlief.
 

„Nein... nein!!“

Er konnte nichts tun. Langsam, aber unerbittlich wurde sie ihm entrissen. Ihre Hand entglitt der seinen, und sie entfernte sich. Er hörte sich nicht, konnte aber von ihren Lippen den Hilfeschrei ablesen. Hilfe, die er nicht leisten konnte. Ein schreckliches Gefühl des Versagens brannte in seiner Seele, als sie in dem Strudel aus Licht vor ihm verschwand. Alles drehte sich immer schneller, und andere Bilder mischten sich hinein. Bilder einer Frau in roter Jacke und rosafarbener Bluse, die sich rot färbte, wo die Klinge aus ihrer Brust austrat. Gelähmt vor Entsetzen sah er dies alles, und wieder einmal hatte er sie nicht retten können...
 

Schwer atmend schreckte er hoch. Nach einer Weile beruhigte sich sein Atem, und er setzte sich aufrecht hin. Der Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass es bereits Nachmittag war. Immer noch war er müde, doch noch mehr als die Erschöpfung fürchtete er die Alpträume, die ihn erwarteten. Und stand er auf und verließ den Raum.
 

Als er den Flur entlang ging, hörte er mehrere Stimmen. Unwillkürlich ballte er die Fäuste. Nervös überlegte er, bis ihm einfiel, wo Hexagon stand. Mit wenigen schnellen Schritten stand er im Zimmer von Denzel und Marlene. Die beiden waren weg. Eilig ergriff er seine Waffe und lief die Treppe hinab. Als er mit erhobenem Schwert im Gastraum erschien, richteten sich vier erstaunte Augenpaare auf ihn. Etwas verlegen steckte er die Waffe weg.

„Vincent... lange nicht gesehen.“

Barret war dabei, den verwüsteten Raum aufzuräumen. Dabei halfen ihm Marlene und Denzel, sowie ein Mann mit einem zerschlissenen, scharlachroten Umhang. Lange, dunkle Haare hingen ihm zum Teil vors Gesicht. Dieses wurde von einem hohen, mit Schnallen versehenen Kragen begrenzt, über den braune Augen hinwegfunkelten. Sein Gesicht schien den Inbegriff an Melancholie darzustellen, doch in diesem Moment hellte es sich etwas auf.

„Cloud“, erwiderte dieser knapp, doch dieses einzelne Wort enthielt für seine Begriffe schon fast überbordende Herzlichkeit. „Barret hat mich angerufen. Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht.“

Cloud lächelte vorsichtig.

„Also besitzt du nun ein Telefon.“

Vincent griff sich mit einer theatralischen Geste- wobei man anmerken muss, dass bei ihm alle Gesten theatralisch wirken- unter seinen wallenden Umhang und zog ein Mobiltelefon hervor. Mit verhaltenem Stolz zeigte er es Cloud.

„Gleich nach der Geschichte mit Kadaj habe ich mir eins gekauft. Ist soweit ganz praktisch, nur...“ Er seufzte langgezogen. „Ich weiß nicht, wie sie es herausgefunden haben, aber in letzter Zeit rufen ständig pubertierende Mädchen an und kreischen in den Hörer. Schrecklich.“ Sein Haar wallte- theatralisch, was sonst- während er den Kopf schüttelte. „Ich werde wohl die Nummer ändern lassen.“

„Tja, so hat halt jeder seine Probleme“, erwiderte Cloud amüsiert. „Danke jedenfalls, dass du gekommen bist.“

„Das war selbstverständlich. Barret... hat mir alles erzählt.“

Cloud wurde wieder ernst.

„Ja... dann weißt du es ja.“

Vincent nickte.

„Ja. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich dir helfen kann, aber- “

In diesem Moment wurden sie von einer Fanfare unterbrochen. Sie schallte aus Clouds Jacke. Verärgert holte er sein Telefon hervor.

„Tut mir leid, heute gibt es keinen- was?“ Barret und Vincent horchten auf. Die zwei Kinder fuhren damit fort, Stühle wieder aufzustellen und Tische zurechtzurücken. „Reno... Aha. Mhm. Ihr wisst etwas darüber? Ich bin schon unterwegs!“

Aufgeregt klappte er das Telefon zu. Barret und Vincent umringten ihn.

„Was ist los? War das etwa Reno?“ fragte Barret nervös. Cloud nickte und machte ein angespanntes Gesicht.

„Er sagte, letzte Nacht müsste hier etwas passiert sein, und ob ich nicht ein paar Fragen beantworten könnte.“

Barret blickte ihn fragend an.

„Und weiter?“

„Keine Ahnung, ich habe aufgelegt! Das werde ich die persönlich fragen!“

Knurrend hob er seinen mechanischen Arm und ballte stählerne Finger.

„Ich wusste es, diese verfluchten Shinra stecken dahinter...“

„Das wissen wir noch nicht“, warf Vincent ein. „Warum sollten sie das tun, und dann hier anrufen?“

Cloud blickte seufzend ins Leere. Dann sah er wieder die beiden an. „Du hast recht. Wir sollten uns anhören, was sie sagen! Aber...“ Sein Blick fiel auf die beiden Kinder, die mittlerweile zwischen den Möbeln spielten. „Ich will sie nicht allein lassen...“

Vincent legte ihm aufmunternd seine Klauenhand auf die Schulter. Mit der anderen klopfte er auf ‚Todesstrafe’, seinen dreischüssigen, extrem großkalibrigen Kipplaufrevolver, der unter seinem Umhang hing.

„Fahrt ruhig. Ich passe auf die beiden auf.“

Cloud erwiderte seinen aufmunternden Blick und nickte ihm zu.

„Gut. Dir kann ich sie anvertrauen.“

Dann gingen die beiden. Zurück blieb Vincent, der sich nun von zwei kleinen Kindern mit großen Augen umringt sah, die hoffnungsvoll zu ihm aufblickten.

„Bringen sie Tifa zurück?“ fragte Marlene schüchtern. Vincent ging in die Hocke und schaute sie mitfühlend an.

„Vielleicht noch nicht jetzt, aber sie werden sie zurückbringen. Da bin ich mir sicher.“
 

Ratternd ging das Garagentor hoch. Ruckartig riss Cloud die Plane von Fenrir. Barret machte ein missmutiges Gesicht.

„Mit der Höllenmaschine? Mein Helikopter steht nur wenige Blocks entfernt auf einer freien- “

„Damit sind wir schneller.“ Surrend öffnete sich Fenrirs metallene Flanke, wo Cloud sein Schwert verstaute. Schon startete er den Motor. „Was ist? Willst du zu Fuß gehen?“

Barret verzog das Gesicht, um dann hinter ihm auf der Maschine Platz zu nehmen. Kaum, dass er begonnen hatte, sich festzuhalten, und schon röhrte das Aggregat auf. Mit einem schrillen Quietschen verschwanden sie aus der Seitengasse, in der der ‚7.Himmel’ lag.

Barret presste die seine Augenlider zusammen, während Cloud versuchte, einen neuen Rekord aufzustellen. Waghalsiger den je zuvor schoss er durch das Verkehrsgetümmel. Da er es nicht wagte, die Augen zu öffnen, hörte Barret nur das Aufheulen des Motorrads und das Verklingen aufgebrachter Hupsignale, wenn Cloud wieder einmal ein anderes Fahrzeug riskant schnitt. Es schien ihm eine Ewigkeit später, als sie schließlich vor dem Gebäude der W.R.O. hielten, obwohl es nur Minuten waren, die sie ans andere Ende der Stadt gebraucht hatten. Sichtlich erleichtert stieg Barret vom Motorrad, als Cloud bereits energisch die Drehglastür aufschob. Eilig folgte er ihm. Als er mit seinem Schwert auf dem Rücken schnurstracks den Aufzug ansteuerte, wurden sofort die Wachleute auf ihn aufmerksam. Mit drohenden Mienen und den Händen an den Holstern ihrer Waffen umringten sie ihn.

„Ich darf sie darauf aufmerksam machen, dass das Betreten dieses Gebäudes im bewaffneten Zustand untersagt ist“, sagte einer von ihnen mit scharfem Tonfall. Im nächsten Moment legte Barret dem Wachmann seine mechanische Hand auf die Schulter. Verdutzt blickte ihn dieser an.

„Zählt das auch, du Narr“, knurrte er ihn an. Surrend entfaltete sich seine mechanische Prothese und gab die Plasmakanone frei, die sich in ihrem Inneren verbarg.

„Mä-männer, verhaftet die Subjekte“, stammelte er mit schwindendem Selbstvertrauen. Sein argwöhnischer Blick fiel auf Barrets Armwaffe. Die anderen Wachleute zogen ihre Waffen. Blitzschnell zog Cloud sein Schwert und hielt es dem Mann unter die Nase.

„Haltet die Füße still, sonst schneide ich ihn in Streifen“, drohte er. Das Leben in der Eingangshalle kam zum Erliegen. Fassungslos beobachteten alle den Vorfall. Sogar die steife Empfangsdame hörte auf, ihre Nägel zu lackieren und verfolgte das Geschehen mit offenem Mund.

„Steckt eure Waffen weg, um Himmels Willen! Macht keinen Blödsinn!“ Reno kam mit erhobenen Händen in die Eingangshalle. Die Wachleute drehten sich alle zu ihm um. „Die zwei sind keine Gefahr. Steckt eure Kanonen weg.“

Zögernd kamen sie seiner Aufforderung nach. Der bedrohte Wachmann starrte immer noch auf Clouds riesiges Schwert, das vor seiner Nase schwebte. Sein angsterfülltes Gesicht spiegelte sich auf der breiten Klinge.

„Wi-wirklich?“

„Ja. Wenn ich es doch sage. Und jetzt beruhigt euch ihr beiden, es ist doch alles cool, oder?“

Beschwichtigend legte Reno ihm die Hand auf die Schulter. Cloud funkelte ihn finster an und senkte sein Schwert dabei.

„Wo ist Tifa“, murmelte er ernst.

„Darüber wollte ich mit dir reden. Steck aber erst das Ding weg, bevor du noch jemanden damit nervös machst.“

Widerwillig leistete er ihm folge. Barret und Cloud folgten Reno und ließen eine Abteilung verwirrter Wachmänner zurück.
 

Der Aufzug surrte leise.

„He, Bruder! Lange nicht gesehen!“ Kameradschaftlich klopfte Reno Barret auf den voluminösen Oberarm. Dieser quittierte das mit einem Knurren.

„Ich bin nicht dein Bruder, Karotte.“

„Okay, dann eben nicht. Sag bloß, du bist nachtragend wegen der... du weißt schon, der Sache damals...“

„Die Sache, bei der du und deine Leute mein Viertel unter einer Million Tonnen Schutt begraben haben?“ entgegnete Barret wütend. In einer entschuldigenden Geste hob Reno Schultern und Hände.

„Na ja... Sektor 7 sollte sowieso abgerissen werden. Und jetzt habt ihr doch viel schönere Häuser!“

„Abgerissen...? Mitsamt den Einwohnern!?“

Barret platzte der Kragen. Er packte Reno am Kragen, hob ihn an und drückte ihn gegen die Wand. Cloud verdrehte genervt die Augen. Plötzlich hielt der Lift. Die Türen glitten auseinander, und mehrere Personen in seriösen Businessklamotten blickten entgeistert in den Aufzug. Barret und Reno drehten die Köpfe synchron in ihre Richtung.

„Besetzt“, sagten sie im Chor. Dann schlossen sich die Türen wieder.

„Und jetzt zu dir“, knurrte Barret und holte mit seiner Metallfaust aus. Cloud hielt sie fest.

„Lass ihn runter. Sofort.“

Die beiden sahen sich mit stechenden Blicken an, bevor er ihn zu Boden ließ. Dann wandte sich Cloud an Reno.

„Rede. Was ist mit Tifa? Sag nicht, ihr steckt dahinter, sonst helfe ich Barret dabei, dich auseinander zu nehmen!“

Reno machte ein unschuldiges Gesicht.

„Nein, nein! Wir stecken nicht dahinter, warum sollten wir?“

Mit gespieltem Ernst wandte sich Cloud an Barret.

„Genau! Warum sollte ein größenwahnsinniger, menschenverachtender Konzern jemand etwas zu leide tun?“

„Nein, nein, jetzt hört mir doch zu“, unterbrach er seine sarkastische Ansprache. „Die W.R.O. hat nichts damit zu tun! Wir haben... es nur gemessen.“

„Gemessen? Was heißt das?“

Reno schüttelte seufzend den Kopf.

„Professor Salvatori wird es euch genau erklären. Ich bringe euch zu ihm.“
 

Er führte die beiden in das selbe Labor, das Cloud anderntags gesehen hatte. Immer noch waren Techniker an allen Ecken am werken. Die gleichmäßige Atmosphäre der Betriebsamkeit schien jedoch aufgeregter Aufbruchsstimmung gewichen zu sein. Mehrere Wissenschaftler wuselten durcheinander, unter ihnen auch Professor Salvatori.

„Professor! Er ist hier!“ rief Reno. Der Professor horchte auf und lief ihnen entgegen.

„Ah, na endlich! Ich habe sie schon erwartet!“

Sein zerstreuter Gesichtsausdruck wich überschwänglicher Freude. Cloud blieb unbeeindruckt.

„Sie können mir sagen, was letzte Nacht passiert ist?“

Der Professor wechselte mit Reno einen ahnungslosen Blick.

„Nun, ich hatte gehofft, sie könnten uns etwas über dieses... ‚Phänomen’ erzählen?“

Noch bevor Cloud erneut die Beherrschung verlieren konnte, führte Reno sie alle in Salvatoris Büro.
 

Genervt kratzte sich Cloud am Kopf und rutschte in seinem Stuhl hin und her. Barret stand mit verschränkten Armen und aufmerksamer Miene hinter ihm. Reno lehnte lässig an der Wand.

„Wie oft soll ich die Geschichte noch wiederholen...“

Salvatori saß ihm gegenüber hinter seinem Schreibtisch und lauschte ihm gebannt. Er war aufgeregt wie ein Halbwüchsiger vor seiner ersten Verabredung.

„Ich bitte um ihr Verständnis, aber es ist von größter Wichtigkeit für mich und auch die Forschungsabteilung der W.R.O. soviel wie möglich über dieses Phänomen zu erfahren, allerdings...“

„Ich habe ihnen alles erzählt. Jetzt erzählen sie mal uns was“, herrschte ihn Cloud an. Seufzend, als müsse er einem Kleinkind die Algebra erläutern, klappte er sein Notebook auf und drehte es zu Cloud herum. Auf dem Bildschirm zu sehen war ein Plan der Stadt.

„Es begann vor einigen Wochen. Bei routinemäßigen Feldmessungen fielen uns... wie soll ich es am verständlichsten beschreiben... Schwankungen in der magnetischen Feldstruktur auf.“ Cloud und Barret hoben die Augenbrauen. Über ihren Köpfen erschien ein großes Fragezeichen. „Um ihnen wissenschaftliche Details zu ersparen: unsere Vermutung lautete, dass etwas oder jemand versuchte, ein Tor aus einer anderen Dimension in diese zu öffnen. Was sich dann bestätigt hat“, sagte er kichernd. Dann wurde er wieder ernst. „Wir haben, um ehrlich zu sein, mit einem Vorfall wie letzter Nacht gerechnet. Wir hatten nur keine Ahnung, was genau wo passieren würde.“

„Dieses Ding, das sich Gilgamesch nannte... es stammt aus einer anderen Dimension?“ Clouds Gesicht war eine Mischung aus Neugier und Hilflosigkeit. Salvatori nickte eifrig.

„Das ist wahr, allerdings.“

„Und wo ist es jetzt hin?“ fragte Barret mit steinerner Miene.

„Das ist eine sehr gute Frage“, erwiderte der Professor und hob den Zeigefinger. „Genau dieser Frage nachzugehen, dient dieses ganze Projekt. Der ringförmige Gegenstand- “ Er deutete nach draußen. „ –soll, wenn alles wie geplant verläuft, ein Tor zu seiner Welt werden, wo immer das auch ist.“

Cloud drehte sich bestürzt um. Seine Augen fixierten den eingerüsteten, ringförmigen Gegenstand, an dem ein halbes Dutzend Techniker arbeiteten.

„Haben sie schon jemanden durchgeschickt“, fragte er, ohne den Blick von dem Tor abzuwenden. Salvatori schüttelte den Kopf.

„Bis jetzt nicht. Wir sind immer noch in der Konstruktionsphase, aber bald können wir es regulär in Betrieb nehmen. Das Problem ist nur...“ Cloud drehte sich zu ihm herum. „...das es womöglich ziemlich gefährlich ist, das Tor zu betreten. Wir werden wohl noch umfangreiche- “

„Ich mache es“, unterbrach ihn Cloud. Barret und selbst Reno zeigten ihre Bestürzung. „Ist das dein Ernst?“ fragte Barret mit unsicherer Stimme. „Du willst in diese Höllenmaschine steigen? In ein Ding, das Shinra gebaut hat?“

„Shinra gibt es nicht mehr“, erklärte Salvatori belehrend, „die Nachfolgeorganisation hei- “

„Scheißegal, wie ihr es nennt“, knurrte ihn Barret an. Dann wandte er sich wieder an Cloud. „Spikey, willst du das wirklich tun?“

Er wandte sich ihm zu.

„Ja“, sagte er mit Grabesmiene. „Tifa ist irgendwo dort drüben. Ich hole sie zurück, wie ich es Marlene und Denzel versprochen habe.“

Barrets Miene wechselte von genervt zu zweifelnd. Sichtlich rang er mit sich selbst.

„Verdammter Narr“, fluchte er. „Du weißt, dass ich dich nicht allein gehen lassen kann?“

Cloud drehte den Kopf wieder weg und starrte ins Leere.

„Das ist deine Entscheidung“, bemerkte er trocken. Barret machte einen Sprung.

„Sag mal... was bildest du dir ein!?“ fuhr er ihn an. „Du... du glaubst, du kannst wieder mal die Welt retten? Soll ich dir was sagen?“ Mit seiner mechanischen Faust fuchtelte er vor Clouds ungerührtem Gesicht herum. „Ich sage dir, dass ich jeden, der dich daran hindern will, in der Luft zerreißen werde! Darauf kannst du einen lassen!“

Clouds steinerner Miene entkam ein dankbares Lächeln. Dann wandte er sich wieder an Salvatori, der die beiden argwöhnisch beobachtete.

„Wann kann es losgehen? Wann ist das Ding soweit?“

Der Professor hob ratlos die Schultern.

„Vielleicht schon morgen, wenn alles nach Plan verläuft... ich kann aber nicht für ihre Sicherheit dabei garantieren- “

„Keine Sorge, für die garantieren wir selbst“, entgegnete Cloud und stand auf. Festen Schrittes näherte er sich der Tür. Dort blieb er noch einmal stehen. „Machen sie das Ding bereit. Morgen komme ich mit meiner Truppe.“ Dann verließen er und Barret das Büro. Zurück blieben ein verdutzter Reno und ein Professor Salvatori, der eine Weile, nachdem die beiden weg waren, begann, sich die Hände zu reiben...
 

Nach einer weiteren halsbrecherischen Fahrt erreichten sie wieder den 7.Himmel. Vor der Kneipe sahen sie erstaunt die Ansammlung aller Kinder aus der Nachbarschaft. Inmitten all der Halbwüchsigen stand Vincent. Marlene und Denzel gelang es sichtlich, mit ihrem großen Freund Eindruck bei den anderen Kindern zu schinden. Gerade versuchten sie ihm unter den Anfeuerungen der ganzen Kinder die Regeln des Tempelhüpfens zu erklären.

„Du meine Güte...“, murmelte Cloud und bahnte sich einen Weg durch die vergnügte Schar. Vincent war sichtlich froh, ihn zu sehen. „Ich will euch ja den Spaß nicht verderben, aber wir brauchen ihn einen Moment, okay?“

Unter dem Gemurre der Nachbarschaftskinder entführten sie den langhaarigen Pistolenschützen. Besonders die Mädchen protestierten lautstark und warfen ihm schmachtende Blicke nach.
 

„Danke... dass ihr mich gerettet habt“, sagte Vincent etwas verlegen.

„Schon in Ordnung“, erwiderte Cloud. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich verkehrt rum drauf. „Hör mir gut zu, Vincent. Ich werde auf eine gefährliche Reise gehen. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet. Es geht um die Rettung Tifas. Barret begleitet mich. Ich kann es nicht von dir verlangen, aber... ich bitte dich darum. Ich brauche deine Hilfe.“

Schweigen hing im Raum. Cloud saß vor dem regungslosen Vincent auf dem Stuhl. Barret stand mit verschränkten Armen neben ihm und wartete ebenfalls auf eine Reaktion. Dann, ganz plötzlich, in einer blitzschnellen Bewegung, zog Vincent die ‚Todesstrafe’, lud alle drei Kammern schneller durch, als ihre Augen es erkennen konnten, und hielt sich die Waffe mit gezogenen Hähnen vors Gesicht.

„Schon lange habe ich niemanden mehr von der Zerstörungswut von ‚Chaos’ kosten lassen...“, flüsterte er. „Ich komme mit.“ Dann entspannte er alle Hähne und steckte sie wieder weg. Cloud nickte lächelnd.

„Gut. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Dann wäre nur noch eine Sache zu klären...“ Seufzend blickte er durchs Fenster, wo Marlene und Denzel mit den anderen Kindern spielten. „Ich will sie sicher wissen, solange wir weg sind...“ Ratlos blickten sie sich an. Sie bräuchten jemand, der auf die beiden aufpassen und zur Not auch kämpfen konnte... Plötzlich hatte Barret eine Idee.

„Ich weiß was. Wir rufen Cid, den alten Hundesohn!“ erklärte er strahlend. Cloud machte ein ungläubiges Gesicht.

„Meinst du das ernst? Wenn sie perfekt fluchen lernen sollen, mag das ja sinnvoll sein, aber... Cid Highwind kann sich um Motoren kümmern, aber um Kinder??“

Barret schüttelte den Kopf.

„Ich dachte eher an Shera, sie hat sicher ein Händchen für Kinder. Der alte Seebär kann ihnen dann Tee kochen.“

Cloud verdrehte die Augen. Restlich überzeugt war er immer noch nicht.
 

„Verfluchte elende Scheiße!!“

Laut hallte es durch den Maschinenraum des Luftschiffes, als ein stahlkappenbewehrter Arbeitstiefel das Metall traf. Knurrend wischte er sich mit dem Lederhandschuh, der bis zum Ellbogen reichte, über die schweißnasse Stirn. Die Zigarette in seinem Mundwinkel tanzte hin und her, während er leise Flüche murmelte. Plötzlich näherten sich Schritte von hinten. Er blickte nicht auf, als schließlich eine Frau mit braunen Haaren, Brille und einem mit Ölflecken übersäten, einst wohl makellos weiß gewesenen Arbeitsmantel hinter ihm stand. Sie blickte nachdenklich auf den drahtigen, fast hageren Mann, der bis zu den Hüften in einer Klappe verschwand und darin herum schraubte.

„Alles in Ordnung, Cid?“

Er schreckte hoch und stieß dabei mit dem Kopf gegen das Metall.

„Autsch! Verdammte Scheiße!!“ Mit aufgebrachter Miene kam er zum Vorschein. In der rechten hielt er immer noch den Schraubenschlüssel, mit der linken rieb er sich den Kopf. „Gottverfluchtes Weib! Was fällt dir ein?!“ herrschte er sie an. Sie verschränkte nur die Arme und senkte die Augenbrauen. Das leise Tippen ihrer Stiefel hallte durch den Maschinenraum und übertönte das Brummen der Aggregate problemlos. Cid Highwind machte ein betretenes Gesicht und spielte nervös mit seiner Zigarette. „Na ja… du weißt schon… hab ich nicht so gemeint…“, brachte er stockend hervor.

Shera Highwind seufzte nur. Von Anfang an hatte sie gewusst, worauf sie sich da eingelassen hatte. Cid war ein unverbesserlicher Mensch wie er im Buche stand. Die Andeutung einer Entschuldigung für seine unüberlegten Flüche und Beleidigungen war bereits ein mühsames Zugeständnis und ein Gewaltakt seinerseits. Als sie noch nicht verheiratet gewesen waren und eines seiner frühen Luftschiffe dabei gewesen war, abzustürzen, da galt seine Sorge noch dem Triebwerk und nicht etwa seiner Mitarbeiterin und späteren Ehefrau, die er auch hätte retten können. Mittlerweile hatte er sich doch etwas verändert, und sie war sich nicht mehr ganz so sicher, dass er die wertvollen Maschinenteile statt ihr retten würde.

„Lass mal sehen“, sagte sie und nahm seinen Kopf in die Hände. Er wehrte sich dagegen.

„Ich bin doch kein Jammerlappen. Ist halb so wild.“ Unter seiner Fliegerbrille, die er zu Sheras Leidwesen nicht einmal im Bett abnahm, lief etwas Blut herab. „Ist nur ein Kratzer.“

Kopfschüttelnd ließ sie ab von ihm. Dann zog er einen öligen Lappen aus der Schenkeltasche und wischte sich damit die Stirn ab.

„Das Essen ist übrigens fertig“, sagte sie mit hochgezogener Augenbraue. Schulterzuckend steckte er den Lappen wieder weg und wollte sich schon umdrehen.

„Ich bin noch nicht fertig hier…“

„Cid Highwind“, intonierte sie eindringlich. Mit den Worten hätte man Blech schneiden können. „Das Essen ist fertig, und du wirst es nicht wieder auskühlen lassen!“

Der Ernst in ihrer Stimme war selbst für ihn nicht zu überhören. Mit ausdrucksloser Miene wandte er sich um und ging los.

„Ich bin übrigens ziemlich hungrig. Hast du was Gutes gekocht, Shera?“

Sie folgte ihm und rollte seufzend mit den Augen.
 

„Aah, was für ein prächtiger Tag“, rief er und streckte seine Arme. Ihr Weg führte sie durch die Galerie des Schiffes, von wo aus man einen wunderbaren Blick auf das darunterliegende Land hatte. Die ‚Shera‘ schwebte einen halben Kilometer über der Küste. Sie hatte ihm schon oft empfohlen, für Wartungsarbeiten einfach zu landen. In seiner unnachahmlichen Art hatte er den Einwand beiseite geschoben und lapidar ergänzt, ‚während des Flugs merke ich gleich, wenn was nicht mehr funktioniert‘. Sie hatte angesichts dieser haarsträubenden Erklärung nur wie so oft den Kopf geschüttelt und es dabei belassen.

Mit erwartungsvoller Miene nahm Cid am bereits gedeckten Tisch Platz und wollte schon zulangen, als er Sheras finsteren Blick bemerkte.

„Was ist jetzt schon wieder?“

Sie deutete nur auf seine Handschuhe, die er immer noch trug. Mit verzogenem Mund streifte er sie ab.

„Und die Zigarette“, bemerkte Shera vorwurfsvoll. Widerstrebend nahm er sie aus dem Mund und legte sie neben den Teller, auf dem das Essen dampfte. Erneut bewaffnete er sich mit Messer und Gabel, als die Siegesfanfare erklang. Knurrend kramte er in seiner Schenkeltasche nach seinem Telefon.
 

„Verflucht noch eins, kann man denn nicht einmal in Ruhe- “ Dann sah er auf dem Display den Anrufer. „Was gibt’s Barret? Was? Was erzählst du da?“ Er lauschte eine Weile, und sein Gesicht machte von erstaunt über verwundert bis hin zu empört alle Varianten durch. „Keine Frage, wir kommen sofort!“ Dann klappte er das Telefon zu und sprang auf. Shera blickte ihm verzweifelt hinterher.

„Aber… das Essen, es wird wieder kalt! Was ist denn nur los?“

„Keine Zeit fürs Essen“, hörte sie aus dem Cockpit des Schiffes. „Unsere Freunde stecken tief in der Scheiße! Wir müssen sofort los!“

Schon starteten die Aggregate. Vibrationen gingen durch den Schiffsrumpf.

„Aber… ich dachte, die Turbinen müssen überholt werden“, rief Shera und kam zu ihm ins Cockpit.

„Keine Zeit“, wiederholte er und kramte nach in einer Halterung neben dem Pilotensitz nach der passenden Karte. Wieder begann er zu fluchen, und schließlich zog Shera die entsprechende Karte unter seinem Sitz hervor. Wortlos reichte sie sie ihm.

„Ah, da ist sie ja.“ Mit der einen Hand rollte er sie auf seinem Schoss aus, mit der anderen zündete er sich eine neue Zigarette an, die wie durch Geisterhand in seinem Mundwinkel erschien. „Warte mal… wo sind wir denn… Ah. Insel ‚Wutai‘. Weißt du was das heißt, Schatz?“

Shera erstarrte. Immer wenn er sie ‚Schatz‘ nannte, musste man das Schlimmste befürchten.

„Das heißt“, begann sie vorsichtig, „dass wir Yuffie aufsammeln und mitnehmen?“

Cid nickte zufrieden, erstarrte dann aber mitten in der Bewegung.

„Genau d- was? Diese verzogene Göre?“

„Warum nicht?“ fragte Shera. Wenn Barret in Schwierigkeiten ist, dann hilft sie sicher gerne.“

Der alte Seebär machte ein missmutiges Gesicht.

„Wenn’s sich nicht vermeiden lässt“, knurrte er.

„Um was geht es eigentlich genau? Erzähl, was er gesagt hat.“

Mit ungeschickten Formulierungen und seinen obligatorischen Flüchen erläuterte er ihr den Sachverhalt in Edge City.

„Tifa wurde also von einem Unbekannten entführt, und Cloud beabsichtigt mit Vincent und Barret durch ein ominöses Tor zu gehen, wo sie hoffentlich Tifa finden?“

Cid kaute auf seiner Zigarette herum. Er war im Begriff, seine ohnehin äußerst limitierte Geduld zu verlieren.

„Ja, verflucht noch einmal! Können wir jetzt endlich losfliegen?“

„Ja, nachdem wir Yuffie verständigt haben.“

Mit einer flinken Bewegung fischte sie das Telefon aus seiner Schenkeltasche und tippte eine Nummer ein.
 

„So, das wäre geschafft.“

Cloud stellte den letzten Stuhl an seinen Platz. Sie hatten nun gemeinsam alle Tische und Stühle wieder aufgestellt, die Scherben weggeräumt und geputzt. Nun war alles wieder so wie vor dem Vorfall. Fast alles…

„In der Bude herrscht wieder Ordnung“, sagte Barret nicht ohne Stolz, als er seinen Blick über ihr Werk schweifen ließ. Vincent stand mit verschränkten Armen neben ihm.

„Tifa wird alles zu ihrer Zufriedenheit vorfinden“, sagte er überzeugt und nickte Cloud zu. Er erwiderte die Geste mit einem vorsichtigen Lächeln.

„Ja, hoffentlich.“

Voller Zuversicht klopfte ihm Barret mit seiner Metallhand auf die Schulter.

„Lass den Kopf nicht hängen, Spikey. Dein Bruder Barret wird dafür sorgen, dass sie heil sie zurückkommt, darauf kannst du einen- “

Er stoppte mitten im Satz, als Maschinenlärm von draußen herein tönte. Ratlos blickten sie sich an, um dann nach draußen zu laufen.

„Das darf nicht wahr sein, da ist er schon!“

In der ganzen Straße wurde der Staub aufgewirbelt, als die ‚Shera‘ über sie hinweg schwebte. Mit den Händen ihre Augen beschirmend, verfolgten sie die Schleife, die das Schiff beschrieb, bevor es abdrehte und sich einen Landeplatz suchte.

Auf einer nahegelegenen Baustelle, auf der auch Barret seinen Helikopter parkte, stand nun die ‚Shera‘ in ihrer vollen Pracht. Das Schiff war noch größer als die ‚Highwind‘, die sie einst aus der großen Höhle im Norden gerettet hatte. Ein Steg klappte aus ihrem Bauch, und drei gute Bekannte schritten herab. Freudvoll begrüßten Cloud und die anderen sie.

„Verdammte Scheiße, kann man euch nicht einen Moment alleine lassen?“

In seiner unnachahmlichen Mischung als Herzlichkeit und Rohheit richtete Cid diese Frage an Cloud, nachdem sie sich alle begrüßt hatten. Die Zigarette in seinem Mundwinkel tanzte dabei wie verrückt.

„Cid, verflucht! Reiß dich mal zusammen!“ fuhr Yuffie dazwischen. Shera schüttelte nur langsam den Kopf, während Cid sich Yuffies Anstandspredigt anhörte. „Tifa wurde entführt, und alles was dir einfällt ist Cloud Vorwürfe zu machen?“

Cid verdrehte die Augen und murmelte in seinen nicht vorhandenen Bart.

„Pfff… wir hätten sie auf die Tragfläche binden sollen…“

„Cid!?“

Verärgert tippte sie ihm auf die Schulter.

„Ja, ja… sollte kein Vorwurf kein… du weißt schon…“, murmelte er verlegen.

„Ist schon gut, Cid“, erwiderte Cloud. „So habe ich es auch nicht aufgefasst. Auf jeden Fall danke ich euch, dass ihr so schnell gekommen seid. Kommt, ihr seid sicher hungrig von der Reise. Im 7.Himmel erklären wir euch alles.“
 

Der Tag neigte sich dem Ende zu, als Cloud ein ‚Wegen Krankheit geschlossen‘-Schild an die Tür des 7.Himmels hängte. Barret, Vincent, Shera und Cid saßen an einem Tisch, während Yuffie mit der Unterstützung von Marlene und Denzel sie bewirtete. Cloud hatte ihnen zuvor die Ereignisse soweit geschildert.

„Was war das für ein elender Hundesohn? Gilgamesch nannte er si- was ist denn?“ fragte Cid genervt, als ihn Sheras Ellbogen in die Rippen traf. Sie deutete mit dem Kinn in Richtung der beiden Kinder, die zusammen mit Yuffie in der Küche werkten.

„Fluch nicht so in Gegenwart der Kinder“, zischte sie ihn an. Er verzog nur das Gesicht.

„Ich habe keine Ahnung, wer oder was das war“, sagte Cloud und setzte sich wieder zu ihnen. „Ich weiß nur, was dieser Professor Salvatori von Shinra gesagt hat. Angeblich kommt es aus einer anderen Dimension…“

Nachdenklich schüttelte er den Kopf.

„Ich traue diesen Typen nicht“, knurrte Barret. „Hab ich damals nicht und werd‘ ich auch in Zukunft nicht.“

„Es scheint unsere einzige Chance zu sein“, warf Vincent ein. „Auch mir gefällt der Gedanke wenig, sich darauf einzulassen… aber was bleibt uns anderes übrig?“

Alle nickten, nur Barret knurrte trotzig.

„Jedenfalls… ich möchte euch um etwas wichtiges bitten, Cid und Shera“, begann Cloud. Die beiden horchten auf. „Ich, Vincent und Barret werden morgen durch das Tor gehen und Tifa suchen. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir brauchen werden, aber… ich möchte, dass ihr solange auf die beiden aufpasst, bis wir wieder zurück sind.“ Er deutete in Richtung der beiden Waisenkinder, die sich hervorragend mit Yuffie verstanden und nun gemeinsam mit ihr den Geschirrspüler in Betrieb setzten. Cid fiel die Zigarette aus dem Mundwinkel, während Shera verständnisvoll nickte.

„Natürlich machen wir das, nicht wahr, Cid?“

Sie stieß ihren fassungslosen Ehemann an.

„Hä? Wir sollen… ich meine, aber wie denn? Und wo…?“

„Na, auf der ‚Shera‘ ist doch genügend Platz“, erwiderte sie. Das Unbehagen war ihm anzusehen.

„Auf der Shera…? Aber Cloud, braucht ihr denn keine Hilfe?“

„Ich möchte sie sicher wissen“, antwortete er. „Bei euch sind sie gut aufgehoben. Auf diese Weise könntet ihr uns einen großen Dienst erweisen.“

Cids Stirn warf Falten. Shera nickte nur.

„Ich sehe da kein Problem, nicht wahr, Cid?“

Dieser wurde auf seinem Stuhl immer kleiner.

„Ich weiß es zu schätzen“, sagte Cloud und nickte dankbar.
 

Der Abend verging, und es wurde Nacht. Marlene und Denzel lagen bereits im Bett. An diesem Tag waren die Gästezimmer des 7.Himmels voll; Shera und Cid hatten einen Raum bezogen, und durch die Tür hindurch konnte man ihn fluchen hören. Bei den beiden war also alles in Ordnung. Barret hatte die Kinder zu Bett gebracht und anschließend ein Feldbett direkt vor ihrer Tür aufgestellt. Für diese Nacht wollte er die Wache persönlich übernehmen. Cloud saß noch lange im verwaisten Gastraum und stierte in ein leeres Glas; die anderen akzeptierten, dass er mit seinen Gedanken allein sein wollte.

Vincent saß auf dem Rand des Flachdaches und überblickte die Stadt. Die beiden Jahre seit seiner ‚Erweckung‘ hatte er in Nibelheim in der Shinra-Villa verbracht. Nibelheim war eine Geisterstadt, und er war der einzige Bewohner der Villa. Oft schon hatte er den Entschluss gefasst, diesen Ort voller schmerzhafter Erinnerungen zu verlassen, doch bis jetzt war er nicht stark genug gewesen für diesen Schritt. Die Erinnerungen waren schmerzhaft, aber doch… sie waren das einzige, das ihm von Lucrezia geblieben war. Damals, seine Zeit bei den Turks, seine schicksalshafte Begegnung mit der jungen Assistentin eines größenwahnsinnigen Professors… Bei all der Last der Vergangenheit spürte er, dass etwas in der Zukunft auf ihn zukam. Etwas Großes. Selbst Chaos, sein dunkles Ich, spürte es.

Vielleicht nimmt mein Leben nun eine neue Wendung…
 

Vorsichtig schob sie die Tür auf. Hier muss er irgendwo sein, dachte sie, während sie durch die Schatten schlich. Er ging ihr seit damals nicht mehr aus dem Kopf. Sie war erst sechzehn gewesen, und ein Teil von ihr hatte ihr eingeredet, dass ihre Schwärmerei sich verlieren würde über die Zeit. Doch nun, zwei Jahre später, hatte sich nicht viel geändert. Sie war älter geworden, aber ihre Gefühle waren dieselben. Auch wenn sie die letzten zwei Jahre pausenlos beschäftigt gewesen war, so hatte sie ihn doch nicht vergessen können. Mittlerweile leitete sie den Dojo, dessen Leitung ihr Vater Godo auf sie übertragen hatte. Immer wieder hatte sie sich vorgenommen, ihn zu besuchen, doch irgendwie… hatte ihr der rechte Mut gefehlt.

Aber jetzt… diese Gelegenheit muss ich nutzen…

Wie der Ninja, zu dem sie ausgebildet worden war, schlich sie sich mit ihren weichen, kniehohen Tennisschuhen an die Gestalt an der Mauerkrone heran, völlig lautlos.

„Yuffie… bist du das?“

Vincent drehte sich nicht mal um. Yuffie erstarrte mitten in der Bewegung und verzog das Gesicht.

„Äh… ja?“

Sie hörte ihn seufzen, und sein langes, dunkles Haar wallte im Wind- und das, obwohl es im Moment windstill war. Um einen Moment versetzt musste sie ebenfalls seufzen.

Was für ein Mann…

„Gibt es was?“

Aus ihren Träumen gerissen, schüttelte sie verwirrt den Kopf.

„Wie? Was? Äh…“ Mit auf dem Rücken verschränkten Armen ging sie auf ihn zu. Er sah sie nun an mit seinen dunkelroten, geheimnisvollen Augen. Starr ihn nicht wieder so an, dumme Kuh, schimpfte sie sich selber. Dann setzte sie sich neben ihn auf den Mauerrand. „Ich dachte, ich leiste dir etwas Gesellschaft. Falls du dich alleine fühlst…“

Er verschränkte die Arme und blickte sie von der Seite an.

„Hm… als jemand, der dreißig Jahre seines Lebens eingesperrt in einem Sarg verbracht hat, habe ich mich schon daran gewöhnt…“ Yuffie wurde unbehaglich zumute. Sie überlegte, ob sie wieder gehen sollte. „…aber andererseits ist das auch lang genug“, fügte er hinzu und lachte dabei. Yuffie blickte ihn erstaunt an. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn schon einmal lachen gehört zu haben.

„Na dann… dann bleib ich einfach“, erwiderte sie vergnügt und ließ ihre Beine über der Häuserschlucht baumeln. „Wir haben uns ja eine Zeit lang nicht gesehen… wie geht’s dir denn so? Ich bin ja noch gar nicht dazu gekommen, dich das zu fragen“, fügte sie heiter hinzu. Vincent blickte wieder ins Leere und wartete einen Moment, bevor er antwortete.

„Hm… die letzten zwei Jahre habe ich hauptsächlich damit verbracht, in den dunklen Tiefen meiner gequälten Seele nach einem Schimmer der Hoffnung zu suchen, begleitet von der quälenden Gewissheit, dass dieser Schimmer nicht existiert. Ja, und dann habe ich die Berge hinter Nibelheim monsterfrei gemacht. Und bei dir?“ fragte er sie arglos. Sie machte große Augen.

„Äh… ich habe den Dojo meines Vaters übernommen. Und war… halt ziemlich beschäftigt. Übrigens…“ Ganz diskret rückte sie näher an ihn heran. „…du wohnst immer noch allein in dieser düsteren Villa?“

„Ja“, sagte er, ohne sie anzusehen. „Allein und einsam…“

Sie rückte noch ein Stück näher.

„Na ja… das muss doch nicht sein, oder?“

„Um ehrlich zu sein, ich überlege, mir einen Wachhund anzuschaffen. Zeitweise kommen Busse voller pubertierender, pickliger Mädchen und belagern die Villa. In letzter Zeit ist es besonders schlimm. Muss wohl an dem ganzen Unsinn liegen, der über mich auf fanfiktion.de verbreitet wird…“

„Was?“ brach es aus Yuffie heraus. Vincent blickte sie erstaunt an. „Ich meine… was für eine Unverfrorenheit!“ Sie rückte abermals näher. „Wenn du willst…“ Unschlüssig schaute sie sich um, bis ihr Blick wieder auf Vincent landete. „…kann ich dich unterstützen… im Kampf gegen diese… pubertierenden Gören…“ Nun kam sie ihm so nahe, dass sie fast einen Blick in seinen scharlachroten Stehkragen werfen konnte. Irritiert wich er zurück.

„Yuffie… was hast du vor?“ fragte er argwöhnisch.

„Was glaubst du denn“, hauchte sie ihm zu. Seufzend wandte er sich ab, und sein Haar wallt ja schon wieder!, dachte Yuffie stöhnend.

„Aber Yuffie… denk doch daran, du bist… achtzehn, richtig? Und ich bin 59. Die Generationenkluft ist einfach zu groß…“

„Ach was“, erwiderte sie und rückte abermals näher. Er wich zurück. Sollte diese Konversation noch länger dauern, dann würde er bald den Rand des Daches erreicht haben. „Das macht mir nichts. Ich steh auf 59jährige, ehrlich!“ Wieder rückten beide ein Stück weiter. Vincent blickte in die Tiefe und schätzte die Entfernung zur Straße ab. „Vor allem, wenn sie langes, dunkles Haar haben und wie 29 aussehen…“, flüsterte sie ihm mit absichtsvollem Tonfall zu. Er sah die Dachkante bedrohlich näher kommen. Wobei sie ihm weniger bedrohlich vorkam als die wollüstige Achtzehnjährige neben ihm.

„Aber… es ist noch etwas in mir. Etwas Gefährliches…!“

Sie tastete nach den Verschlüssen seines Umhangs.

„Das will ich doch hoffen!“

Genervt schob er ihre Hände weg.

„Ich meine Chaos… du hast ihn schon erlebt. Er würde dich bei lebendigem Leibe auffressen!“

Wieder rückte der Dachrand näher.

„Da bin ich mir nicht so sicher“, quietschte sie vergnügt. Wieder wurde sie handgreiflich. Vincent sah sich nervös um. „Ich glaube eher, dass ich ihn auffresse…!“ Ihr gieriger Blick traf ihn, und er überlegte fieberhaft.

„Unterschätz ihn bloß nicht- he, sieh dir dieses Stück Materia an!!“

Yuffie fuhr herum in die Richtung, in die er gezeigt hatte.

„Was?? Wo? Wo!?!“ Aufgeregt hielt sie Ausschau, doch außer der nächtlichen Stadt sah sie nichts. Schließlich wandte sie sich wieder an Vincent- dessen Platz nun leer war. Murrend ließ sie die Schulter hängen. „Verdammt…“
 

Cloud war am nächsten Morgen als erster auf. Im Vorbeigehen sah er Barret, der auf dem Feldbett vor Denzels und Marlenes Zimmer tief schlief und schnarchte. Ohne einen Blick zurück zu werfen, ging er in die Garage und fuhr los.

Schließlich erreichte die Kirche in Midgar. Wie schon so oft schritt er durch das Tor. Er stand vor dem Wasser, das ihn einst ins Leben zurückgebracht hatte. Kurz betrachtete er sein sorgenvolles Spiegelbild, dann betrat er das Seitenschiff der Kirche, in dem er lange Zeit gehaust hatte. Gleich neben der Stelle, an der seine Rollmatte liegen gehabt hatte, hob er die Bretter des baufälligen Bodens an. Und so legte er einen Hohlraum frei- der zu seinem Entsetzen leer war. Nach der Sache mit Kadajs Gang hatte er hier die Stahlkiste mit ihren Materias versteckt. Und nun war sie weg.
 

„Was?? So eine verfluchte Scheiße!!“

Cid fluchte lautstark los, während sich die anderen besorgt ansahen.

„Kann wirklich niemand davon erfahren haben?“ fragte Barret und wog seine Metallfaust in der anderen Hand. Cloud schüttelte den Kopf.

„Nein, außer mir und Tifa hat es niemand gewusst… ich verstehe es auch nicht.“

„Gib’s zu, Yuffie! Du hast sie geklaut“, murrte Cid mit hochgezogener Augenbraue. Shera stieß ihn an.

„Waaas? Ich war das nicht, warum sollte ich euch bestehlen- “

Seufzend legte ihr Cloud die Hand auf die Schulter.

„Niemand verdächtigt dich, Yuffie. Cid hat das nicht ernst gemeint, stimmt’s, Cid?“ Clouds mahnender Blick traf den Piloten.

„Pah… wir wissen doch, wie geil sie auf Materia ist“, murmelte dieser nur leise.

„Dann müssen wir eben ohne gehen. Die wichtigsten hat eh noch jeder von uns“, sagte Cloud schließlich. „Nur die Aufrufmaterias fehlen jetzt… egal, es muss auch ohne gehen. Also: seid ihr alle bereit?“

Barret und Vincent nickten.

„Ja“, erwiderte der dunkelhäutige Riese. „Von uns aus kann’s losgehen.“

„Ich komme auch mit“, krähte Yuffie. „Irgendwer muss doch auf euch Männer aufpassen“, sagte sie lachend. Cloud nickte lächelnd.

„Gut. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen. Und ihr beiden…“

„Wir werden gut auf die zwei aufpassen.“ Shera warf einen Blick nach draußen, wo Marlene und Denzel vor dem Gebäude spielten. Cid wollte etwas sagen, doch seine Frau schnitt ihm das Wort ab. „Bei uns sind sie bestens aufgehoben, vertrau uns“, sagte sie und lächelte ihn warmherzig an. Cloud erwiderte dies.

„Ich danke euch… von ganzem Herzen. Und jetzt…“ Er schaute in die Runde und sah lauter entschlossene Gesichter. „…müssen wir aufbrechen.“
 

Die beiden Waisenkinder sahen ihn mit großen Augen an. Cloud ging in die Hocke und legte beiden eine Hand an die Wange.

„Wir gehen jetzt und holen Tifa zurück, versteht ihr das?“

„Wann kommst du zurück“, fragte Marlene mit banger Stimme.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte er seufzend. „Aber bald, glaubt mir. Und dann ist auch Tifa wieder da. Und wir sind wieder eine kleine, glückliche Familie.“ Die zwei begannen zu weinen, und Cloud umarmte sie. Fast wollten sie ihn nicht loslassen. Auch Cloud war gerührt, der Abschied fiel ihm sichtlich schwer. „Hört auf zu weinen, ihr zwei… Tante Shera und Onkel Cid werden sich um euch kümmern, bis wir zurück sind.“

Shera kam herbei und begann sie zu trösten. Cloud kämpfte gegen die Rührung und stand auf. Mit tränennassen Augen blicken die zwei ihm nach. Cloud bemühte sich, Zuversicht auszustrahlen. Auch Barret herzte die beiden noch einmal zum Abschied. Dann gingen die vier in Richtung von Barrets Helikopter. Schweren Herzens vermied Cloud es, sich umzudrehen. Die beiden klammerten sich an Shera und weinten; Cid stand betreten daneben und blickte weg.
 

In Windeseile brachte sie Barrets Helikopter zum W.R.O.-Gebäude. Er schnaubte verächtlich angesichts der Imposanz des nunmehr höchsten Wolkenkratzers der noch jungen Stadt. Zielsicher landete er den Helikopter auf dem Flachdach, auf dem Leuchtsignale unübersehbar den Landeplatz wiesen. Von oben erkannten sie schon zwei alte Bekannte. Reno und Rude, das kongeniale Gespann und Rückgrat der Turks. Shinras Eingreiftruppe für schmutziges Handwerk. Sanft setzte der Helikopter auf, und sie stiegen aus.

„Hey, Leute! He, Barret, lange nicht gesehen! Und Vincent, dich gibt’s ja auch noch! Yuffie, cool, dich zu sehen!“

Mit überschwänglicher Freude begrüßte Reno die Vier, während Rude mit verschränkten Händen und steinerner Miene hinter ihm wartete. Sein ausdrucksloser Blick lag wie immer verborgen hinter einer Sonnenbrille. Barret erwiderte Renos Wiedersehensfreude eher unterkühlt.

„Reno“, sagte er trocken, „immer noch für den selben Verein tätig?“

„Aber, nein, he“, entgegnete er mit einer Geste der Verblüffung. „Shinra war gestern. W.R.O. ist heute, verstehst du?“ fragte er amüsiert und zog sich mit dem Zeigefinger das Unterlid herab. „Wir bauen diese Welt wieder auf, alles klar?“

Barret schüttelte schnaubend den Kopf.

„Ihr habt sie ja auch kaputt gemacht“, erwiderte er und ging an dem verdutzten Turk vorbei. Dieser schaute ihm ratlos hinterher. Ihm folgten Cloud, Vincent und Yuffie. Letzterer warf er einen anzüglichen Blick nach, was sie mit einer Mischung aus gespielter Empörung und Vergnügen hinnahm.

„He, Rude. Heute auch schon die Glatze poliert“, fragte Barret, als ihm der schweigsame Turk die Tür ins Innere des Gebäudes öffnete. Dieser antwortete nur mit einem unterschwelligen Knurren, was bei ihm einem mittleren Wutausbruch gleichkam.

„Tolle Piercings“, hörte er von Cloud im Vorbeigehen. „Du zahlst den Kilopreis, richtig?“ Rudes beherrschte Fassade geriet ins Bröckeln. Jeder andere, der ihm mit solch einem Spruch gekommen wäre, hätte seinen elektrischen Viehstab zu spüren bekommen, doch in diesem Falle hielt er sich zurück. Erstens waren die Vier wichtige Gäste des Konzerns, und zweitens wusste er aus früheren Begegnungen um ihre Kampferfahrung und dass er den Kürzeren ziehen würde. Vincent ging schweigend vorbei, und Yuffie kicherte ihn nur an. Von soviel Respektlosigkeit in seinem Selbstverständnis erschüttert, runzelte er die Stirn. Schließlich ging Reno an ihm vorbei und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Nimm’s locker Kumpel. Sind doch alte Freunde“, sagte er beiläufig und folgte ihnen. Rude räusperte sich, rückte sich noch einmal die Krawatte zurecht und trat schließlich als letzter durch die Tür.
 

Die beiden eskortierten sie in die Forschungsabteilung, in der Cloud am Vortag den ringförmigen Gegenstand gesehen hatte. Immer noch herrschte reges Treiben, nur dass das Gerüst nun weg war. Inmitten all dem stand ein aufgekratzter Professor Salvatori, der die umherlaufenden Techniker koordinierte.

„He, Professor! Sie sind da! Kann es losgehen?“

Salvatori wandte sich an Reno. Die Aufregung war ihm anzusehen. Eilig lief er zu ihnen.

„Ja, ja, die Vorbereitungen sind fast abgeschlossen!“

Wie um seine Bemerkung zu unterstreichen, entwich dem ‚Ring‘ an einer Stelle zischend eine Dampffontäne. Salvatori zuckte zusammen. Auch Cloud und die anderen schauten besorgt.

„Schickt uns das Ding eh nicht geradewegs in die Hölle“, fragte Barret knurrend und befühlte seinen Waffenarm.

„Gewiss nicht. Dafür verbürgt sich die W.R.O.“, hörten sie hinter sich eine bekannte Stimme sagen. Langsam drehten sich alle um. Es war Rufus Shinra, der legitime Erbe des Shinra-Konzerns und wichtigster stiller Teilhaber der W.R.O. Neben ihm ging Reeve Tuesti, der offizielle Generaldirektor. Rufus, der von schlanker Figur war und immer weiße Anzüge trug, bildete einen krassen Gegensatz zu Reeve, der fettleibig war und auffällige Anzüge bevorzugte, die seine Körperfülle eher unterstrichen, als sie zu kaschieren.

„Rufus Shinra…“, murmelte Cloud. Rufus kam auf sie zu und streckte ihnen die Hand entgegen. Cloud ergriff sie zögerlich, und das ohne seinen Handschuh abzulegen. Er wollte auch Barret die Hand schütteln, doch dieser blickte ihn nur düster mit verschränkten Armen an. Sein eingeübtes Lächeln schwand.

„Na gut… dann eben nicht. Trotzdem freut es mich euch zu sehen. Wie oft hat man den die Retter Midgars, wenn nicht der ganzen Welt, zu Besuch!“

„Wir wollen nur Tifa zurückholen, das ist alles“, erwiderte Cloud ernst. „Glaubt bloß nicht, wir wollen euch einen Gefallen tun.“

Rufus setzte gekonnt ein verständnisvolles Gesicht auf und nickte langsam.

„Ich verstehe eure Vorbehalte gegenüber Shinras Nachfolgeorganisation zu gut, aber… vergesst nicht, dieses Unternehmen unter der Leitung des guten Reeve hat sich rein dem Allgemeinwohl verschrieben. Wir machen keinen Profit mehr, sondern bauen an einer für alle besseren Welt.“

Barret hob abschätzig das Kinn.

„Mir kommen gleich die Tränen“, knurrte er. „Was machen sie überhaupt hier? Ich dachte, der Laden geht sie nichts mehr an?“

Rufus kratzte sich in einer nachdenklichen Geste am Kinn.

„Auch wenn Reeve Tuesti die Leitung hat, so schaue ich gern vorbei, wenn wichtige Ereignisse anstehen. Ich wurde unterrichtet vom mysteriösen Verschwinden eurer Freundin Tifa. Natürlich werden wir alles tun, um euch bei der Suche nach ihr zu unterstützen.“

Angesichts so viel aalglatter Freundlichkeit wurde Cloud unwohl. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen.

„Ja… das wissen wir zu schätzen. Kann es jetzt losgehen?“

Rufus wies mit der offenen Hand zu Salvatori.

„Professor, wenn bei ihnen alles so weit ist?“

Dieser nickte eifrig.

„Ja, ja. Das Tor ist einsatzbereit!“

„Dann spann uns nicht länger auf die Folter! Was geschieht jetzt überhaupt?“ fragte Barret ungeduldig. Der Professor begann an einer Schaltkonsole herum zu werken. Surrend und brummend erwachte das ‚Tor‘ zum Leben. Es begann sich in seiner Halterung zu drehen. Sämtliche Techniker in seiner Nähe nahmen einen Sicherheitsabstand ein. Während Salvatori auf die Tasten hämmerte, trat Cloud von hinten an ihn heran und tippte ihm auf die Schulter.

„Professor, eines noch!“ Er gab sich Mühe, den lauter werdenden Lärm zu übertönen. „Wie kommen wir wieder zurück?“ Salvatori drehte sich um und sah ihn erstaunt an. Dann, als wäre es ihm gerade wieder eingefallen, begann er in einer Kiste neben der Schaltkonsole zu kramen. Schließlich holte er ein Gerät von der Größe eines Mobiltelefons hervor und überreichte es Cloud.

„Die Rückkehr ist nur möglich durch ein Dimensionstor gleich diesem.“ Er deutete auf den Ring, von dem nun statische Entladungen ausgingen und durch den Raum zuckten. „Sie treten manchmal natürlich auf, so wie das Tor, durch das das Mädchen Tifa verschwunden ist. Hiermit können sie solche Übergänge aufspüren.“ Cloud nahm das Gerät entgegen. Es hatte einen großen Bildschirm, der allerdings noch schwarz war, und einige Tasten. „Das ist ein PHS, ein sogenannter Pseudodimensionaler Hydrografischer Sensor. Wenn sie sich einem Tor nähern, dann zeigt es das an.“ Cloud warf dem vor Enthusiasmus strahlenden Professor einen skeptischen Blick zu. „Woher wissen wir, dass wir überhaupt so ein Tor finden?“

„Unsere Beobachtungen haben ergeben, dass in naher Zukunft mit verstärkter Dimensionsriss-Tätigkeit zu rechnen ist- gerne kann ich ihnen die astrophysikalischen Hintergründe erläutern…“

„Keine Zeit. Tifa wartet.“

Mit diesen Worten wandte sich Cloud von dem Mann ab. Nach einem kurzen Blickwechsel mit seinen Freunden gingen sie auf das Tor zu. Das Innere des Rings wurde nun erfüllt von einer Art leuchtenden Nebel. Man konnte nicht mehr auf die andere Seite des Ringes sehen.

„Ich wünsche euch viel Glück“, rief ihnen Rufus nach. „Bringt Tifa heil zurück! Natürlich würden wir es begrüßen, wenn sie dieses Wesen, das sich Gilgamesch nennt, ebenfalls hierher bringen könnten. Die Forschung, und damit die ganze Welt, würde sicher davon profitieren!“

Cloud blieb stehen und wandte sich zu Rufus und Reeve um.

„Sollte ich diesen… Gilgamesch erwischen… dann töte ich ihn.“

Er warf ihm noch einen eisigen Blick zu, dann ging er weiter. Schließlich standen die Vier vor dem Tor. Das Innere des Rings war nun in gleißendes Licht getaucht. Nur mit zu Schlitzen verengten Augen konnte man noch hineinsehen. Einen Moment verharrte Cloud vor der Wand aus Licht, dann holte er sein Schwert aus der Halterung an seinem Rücken. Er betrachtete die aus sechs Teilen zusammengesetzte Klinge kurz, um dann über seinem Kopf den Griff in der Hand kreisen zu lassen. Nachdem die Waffe drei Drehungen beschrieben hatte, ließ er sie mit einer schwungvollen Bewegung in das Tragegestell hinein gleiten. Dann schloss er die Augen und machte einen Schritt nach vorn. Seine Freunde sahen ihn im Licht verschwinden, und taten es ihm gleich. Dann waren alle vier weg.
 

Aus gebührender Entfernung betrachteten die Techniker, Professor Salvatori und die beiden Turks ungläubig staunend das Tor, dass nun nach dem Verschwinden der Vier zum Stillstand gekommen war. Nur zwei Personen wirkten nicht überrascht. Reeve lachte leise. Dann wandte er sich an Rufus.

„Das wäre geschafft, Sir. Sie sind tatsächlich durch. Wie geht es jetzt weiter?“

Zufrieden blickte Rufus auf das nun erloschene Tor.

„Wir haben unseren Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt… müssen wir nur noch auf eine Antwort warten.“

Ra-1

Danke fürs bis hierher lesen! In diesem Kapitel beginnt der zweite Haupthandlungsstrang. Weitere Kapitel werden auf Anfrage gerne nachgereicht! Viel Vergnügen...
 


 


 

Unter den wenigen Planeten im Universum, die Leben beherbergen, gab es da noch einen weiteren. Auch wenn es scheint, als ob diesen Planeten Welten, Galaxien oder gar Dimensionen von seinen anderen belebten ‚Brüdern‘ trennen, so sind sie doch in Wahrheit nur ein winziges Stück entfernt. Für den normalen Verstand mag diese Entfernung unfassbar und unüberbrückbar erscheinen, doch vielleicht genügt nur ein Gedanke, nur ein Funken der Hoffnung, um diese Grenze zu überschreiten.

Hoffnung war es auch, die einigen Menschen in dieser Welt das Leben rettete. Als alles in Dunkelheit getaucht schien, als die zerstörerischen Kräfte einer Hexe, deren Bösartigkeit selbst die Zeit überwinden konnte, die Zeit selbst zu einer gleichförmigen und beherrschbaren Masse komprimieren wollte- da waren es eine Handvoll junger Menschen, die in den Kampf zogen. Einen aussichtslosen Kampf, trotz aller Anstrengung. Und letztendlich zeigte sich, dass die stärkste aller Kräfte nicht zerstörerische Magie ist, sondern- die Liebe. Die Liebe zwischen zwei Menschen, die bereit waren, alles aufzugeben- außer dem Menschen, dem ihre ganze Liebe galt.
 

„Heilige Scheiße!!!“

Krachend stürzten Teile des Gebäudes vor seine Füße. Staub wurde aufgewirbelt. Staubschwaden, durch die ein Paar leblose, rote Augen ihn anleuchteten. Dann brach das Ungetüm aus dem Durcheinander aus Rauch und Trümmern hervor. X-ATM092- die schwarze Witwe.

Von Panik erfüllt sah er sich um. Seine Kameraden konnte er nicht sehen. Ohne sich weiter aufzuhalten, lief er los. Sein Atem pochte in seiner Brust, während er rannte. Auf vieles hatte ihn die harte Ausbildung der SEED-Akademie vorbereitet- aber nicht auf das. Im letzten Moment schlug er einen Haken um eine Hausecke. Die scheppernden Schritte des galbadianischen Kampfroboters kamen immer näher- und schossen an ihm vorbei. Nach Atem ringend lehnte er an der Hauswand. Seine Gedanken tobten durcheinander, während in der Ferne Gefechtslärm erklang. Die Kämpfe zwischen den galbadianischen Truppen und den des Zwergstaates Dollet waren immer noch im Gang, doch das kümmerte ihn im Moment überhaupt nicht. Auch nicht die SEED-Abschlussprüfung. Nur sein Überleben.

„Xell! Was zum Teufel tust du da!“ Einer seiner Kameraden kam plötzlich auf ihn zu. Es war dieser… wie hieß er gleich? Squall oder so. Er trug sein braunes Haar in einem auffälligen Mittelscheitel, und quer über sein Gesicht zog sich eine Narbe. Sein Auftauchen flößte ihm augenblicklich Zuversicht ein. Schon seine Lehrer hatten davon gesprochen, dass er der geborene Anführer sei…

„Wo sind die anderen? Haben sie es geschafft?“

Squall nickte.

„Ja. Sie sind gleich hinter mir.“

Tatsächlich kam im nächsten Moment ein schmächtiges Mädchen, Selphie aus dem Trabia-Garden, um die Ecke. Schwer atmend und mit einem aufgewühlten Gesichtsausdruck stand sie nun bei ihnen.

„Und wo ist Cifer?“ fragte Xell. Squall blickte sich um.

„Verdammt…“, murmelte er. „Ist wohl wieder auf Extratour. Wir können nicht auf ihn warten. Marsch vorwärts zum Landungsboot!“

Er übernahm die Spitze, dicht gefolgt von Xell und Selphie. Nach einem prüfenden Blick in die Gasse liefen sie los. Das Kampfgeschehen schien sich in Richtung des Antennenturms verschoben zu haben, also genau die Richtung, aus der sie kamen. So schnell es ging liefen sie durch die von der galbadianischen Artillerie verwüsteten Straße. Einst mochte dies eine idyllische Uferpromenade gewesen sein, doch nun war es ein Schlachtfeld.

„Pass auf, Squall“, rief Xell, „dieses Ding… es könnte noch in der Nähe- “

Squall blieb stehen und gebot ihm mit Handzeichen zu schweigen. Seine Gunblade in der rechten, ging er langsam auf die Stelle zu, an der ein besonders großer Trümmerhaufen die Sicht versperrte. Nervös blickte sich Xell um. Der Gefechtslärm war am verklingen, die Niederlage von Dollet besiegelt. Sie wussten nicht, wo Cifer war- aber das war Xell zumindest ziemlich egal. Diesen aufgeblasenen Fatzke hatte er noch nie leiden können. Nur Squall als Gruppenführer würde ein Problem bekommen, einen Mann zurückgelassen zu haben.

„Warum gehen wir nicht weiter…“, jammerte Selphie. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. In ihrer zu groß wirkenden SEED-Kadettenuniform weckte sie in Xell den männlichen Beschützerinstinkt. Er hatte das Gefühl, ihr etwas Aufmunterndes sagen zu müssen.

„Mach dir keine Sorgen, Squall ist ein hervorragender Anführer. Sicher geht es- “

Ohrenbetäubendes Getöse unterbrach sie. Xell und Selphie warfen sich instinktiv auf den Boden. Der selbige erzitterte- aber nicht wegen eines Artillerietreffers, wie sie annahmen, sondern wegen der schwarzen Witwe. Mit unbändiger Kraft brach sie durch den Rest einer Häuserfassade. Squall sprang im letzten Moment zur Seite, um nicht zermalmt zu werden. X-ATM092 war darauf programmiert, das einmal erfasste Ziel solange zu verfolgen, bis das Ziel- oder er selbst- zerstört war.

Hastig kam er auf die Beine und erfasste die Situation. Die schwarze Witwe hatte ihnen aufgelauert. Nun war sie dabei, Xell und Selphie anzugreifen. Scheppernd stampfte es auf die beiden zu. Beide lagen sie wehrlos auf dem Boden- gleich würde es sie erreicht haben.

„Nein! Du vermasselst mir die Prüfung nicht!!“ schrie er und sprang. Er segelte durch die Luft und nahm die Gunblade in beide Hände. Mit voller Wucht traf er den Kampfroboter. Exakt getimt drückte er den Abzug- grell aufblitzend schlug das Projektil in der Panzerung des Roboters ein. Die Maschine zuckte zusammen, und einen Moment war sie wie erstarrt. Wenige Schritte hinter dem voluminösen Körper des Roboters landete Squall.

„Schnell! Lauft weg!!“ rief er den beiden zu. Unter den zuckenden Leib der Maschine hindurch sah er, wie die beiden wieder auf die Beine kamen.
 

Xell stand nun Auge in Auge mit der schwarzen Witwe. Wie eine Maus vor der Schlange konnte auch er sich einen Moment lang nicht bewegen. Dann stieß er Selphie an, die ebenfalls gebannt die riesige Maschine anstarrte.

„Weg mit dir! Lauf zum Strand!“

Sie schüttelte verwirrt den Kopf.

„Und was machst du?“

„Das Ding ist nicht besiegt, ich verschaff uns mehr Zeit!“

Ohne länger zu überlegen, lief Selphie um die Maschine herum. Xell wusste, in wenigen Momenten würde die Maschine ihren Kurzschluss überwunden haben. Er konzentrierte sich, erinnerte sich an das, was ihm einst sein Meister Zangan beigebracht hatte. Er ballte beide Fäuste und spürte die Energie darin. Im nächsten Moment begann es.

Blaue Blitze umwogten seine rechte Faust. Alles um ihn herum schien sich zu verdunkeln, als sich die Energiekonzentration verdichtete. Statisches Knistern ging von ihm aus, sprang auf die Metallhülle der Maschine über und schließlich auf die Gebäude um ihn herum.

Mit einem Urschrei ließ er seine Faust auf den Boden herab sausen. Donnerhall dröhnte durch ganz Dollet. Ein Riss in der Erde tat sich auf. Er pflanzte sich fort, und gleißende Energie strömte aus seinem Inneren. Der Riss raste auf die Maschine zu und fand dort sein Ziel. Ein Loch in der Erdkruste tat sich auf. Trümmer, Lava und Entladungen purer Energie schossen heraus und durch die Maschine hindurch. Kaum dass sich Xell von seinem Verzweiflungsangriff erholt hatte, lief er los.

Als die drei durch die Straßen Dollets liefen, schien hinter ihnen ein Inferno zu toben. Brocken flüssigen Gesteins regneten herab- doch die schwarze Witwe war nicht besiegt. Schon hörten sie ihre metallenen Schritte von hinten rasch näher kommen.

Xell, der fitteste von ihnen, lief schneller als Squall und Selphie. Als der Strand in Sichtweite kam, hatte er schon einen ziemlichen Vorsprung. Völlig außer Atem kam er vor der geöffneten Klappe ihres Landungsbootes zum Stehen. Verzweifelt winkte er ihnen, schneller zu laufen- dann erstarrte er. Obwohl die beiden um ihr Leben liefen, hatte sie die schwarze Witwe schon fast eingeholt. Squall und Selphie stürzten gerade die Treppe zum Strand hinunter, als X-ATM092 schon hinter ihnen stand. Seine Geschütze visierten das Ziel an, dann ertönte das ohrenbetäubende Hämmern eines Maschinengewehres-
 

Xell presste die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, sah er die schwarze Witwe. Von zahllosen Projektilen durchlöchert, lag sie vor ihnen. Als er sich umwandte, sah er Quistis, die das schwere Maschinengewehr am Landungsboot bediente. Sie warf ihnen allen einen mahnenden Blick zu.

„Glotzt nicht so, sondern steigt lieber ein! Die Galbadianer werden bald hier sein!“
 

Das Hämmern des Maschinengewehres ging nahtlos über in das Schrillen des Weckers. Schweißnass schreckte er hoch. Er blickte auf die Leuchtziffern des Weckers, während sich sein Atem verlangsamte. Schließlich stand er auf und ging ins Bad.

Nachdem er sein Gesicht mit eiskaltem Wasser abgerieben hatte, stützte er sich mit beiden Händen auf die Waschmuschel und blickte düster in den Spiegel. Lange Strähnen braunen Haars hingen ihm wirr ins Gesicht. Dahinter verbarg sich ein betrübter Gesichtsausdruck. Eine Weile starrte er das unsympathische Gesicht an, bevor er das Bad verließ.

Mit routinierten Bewegungen schlüpfte er in die SEED-Uniform. Bevor er seine Unterkunft verließ, fiel sein Blick auf einen schwarzen Kasten, der an der Wand lehnte. Auf dem Deckel prangte ein silberner Löwenkopf. Nach kurzem Überlegen öffnete er den Kasten und verstaute die Waffe in seinem Inventar. Auch wenn ich das Ding eh nicht mehr brauche… Dann verließ er das Quartier.

Mit gefasster Miene ging er zu seinem Büro. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass die SEED-Kadetten vor ihm salutierten. Lästig war ihm nur das zurücksalutierten. Am liebsten hätte er sie alle zusammengepfiffen, wie sie so fröhlich und unbeschwert die Gänge entlangliefen.

Was wissen den die schon vom Leben…

Andererseits… was können die für meine schlechte Laune?
 

Er war froh, sein Büro erreicht zu haben. Es war ja wirklich nett. Geräumig, hell, mondän eingerichtet… einfach zum Kotzen, sagte seine innere Stimme. Ein Etappenhengst, das bist du jetzt, fügte sie hämisch hinzu.

Er ließ sich auf seinen bequemen Lehnstuhl nieder. Langsam schloss er die Augen und hoffte, der Tag möge bald wieder vorbei sein… Das schrille Quietschen der Gegensprechanlage holte ihn in die Gegenwart zurück. Genervt drückte er den Kopf.

„Sir, hier spricht Mara, Kadett ersten Ranges“, meldete sich eine pflichtbewusste, weibliche Stimme. „Ich soll sie daran erinnern- “

„-dass Quistis Trepe gleich am Morgen den ersten Termin hat, ich weiß…“, vervollständigte er gelangweilt.

„Äh, gut… ich schicke sie glei- “

„Danke“, bellte er ins Mikro und schaltete die Gegensprechanlage ab. Seufzend stützte er das Kinn auf den Ellbogen und tippte den Fingern auf die Tischplatte. Momente später ging die Tür auf, und Quistis Trepe, die Chefausbilderin des Balamb-Gardens, trat in sein Büro.

„Guten Morgen, Squall“, sagte sie und nahm unaufgefordert Platz. Ihr blondes Haar war wie immer zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden. Ihre Uniform war wie aus dem Ein gepellt, und auf ihrer Nase prangte eine voluminöse Brille, durch die sie konzentriert auf das Klemmbrett in ihren Händen blickte. Einige Augenblicke später senkte sich das Klemmbrett und gab den Blick frei auf einen mürrischen, jungen Mann, der hinter einem wichtig aussehenden Schreibtisch saß. Seufzend schüttelte sie den Kopf.

„Quistis“, begann er müde, „ich kündige. Schreib das als erstes auf.“

„Squall, Squall… was redest du da. Du kannst nicht kündigen“, belehrte sie ihn. „Du bist stellvertretender Direktor des Gardens und zugleich Identifikationsfigur für alle Kadetten. Seit der Sache mit Artemisia haben wir einen größeren Zulauf den je. Die Geschäfte laufen hervorragend, kaum ein Bürgerkrieg oder Staatsputsch auf diesem Planeten, in dem nicht Abgänger unseres Gardens kämpfen! Und wenn Cid Kramer nächstes Jahr in den Ruhestand geht, dann wissen alle, wer ihn beerben wird.“

„Das ist mir egal. Ich kündige“, entgegnete er trotzig. Mit einem lauten Knall landete das Klemmbrett auf seinem Schreibtisch.

„Squall Leonhart!“ begann sie energisch. „Auch wenn du nun mein Vorgesetzter bist, einst warst du mein Schüler, und du bist mir nicht zu stark oder zu wichtig, dass ich dir nicht ordentlich die Leviten lesen könnte! Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ja, Ma’am“, erwiderte er im zackigen Ton eines Befehlsempfängers und salutierte spöttisch. „Verstanden, Ma’am. Zu Befehl, Ma’am. Weißt du was? Ich bin es leid! Squall hier, Squall da. ‚Squall, was sollen wir tun? Was machen wir jetzt? ‘“ äffte er einen ahnungslosen Tonfall nach. Dann beugte er sich nach vor und sah ihr tief in die Augen. „Ihr tut gerade so, als könntet ihr nicht leben ohne mich. Was wäre gewesen, wenn ich damals nicht aus der Zeitkompression zurückgekehrt wäre? Was würdet ihr dann tun?“

Betretene Stille legte sich über den Raum. Das Ticken der Wanduhr wurde immer lauter.

„Wir sind alle froh, dass du da bist“, sagte Quistis und brach die Stille. Etwas verlegen verschränkte sie die Arme. „Das mit Rinoa tut mir leid. Ich verstehe, dass dich das bedrückt.“

Seufzend lehnte er sich zurück und begann, mit der Computermaus auf seinem Schreibtisch herumzuspielen.

„Ja, das bedrückt mich. Siehst du? Ich kann es sogar zugeben. Früher hätte ich das nicht gekonnt. Ich habe mich doch verändert… oder?“

Gerade als sie langsam den Kopf von links nach rechts bewegen wollte, fiel sein Blick auf sie. Eilig machte sie ein zustimmendes Gesicht.

„Ja, äh… ich meine, irgendwie… zumindest…“

„Sei bitte ehrlich.“

Sie verzog leicht das Gesicht.

„Squall. Du bist der, der du bist. Dafür kannst du nichts, und du musst es auch nicht ändern. Bitte mach dir deshalb keine Vorwürfe.“

Schnaubend ließ er die Maus fallen.

„Und warum… ist sie dann weg?“

Durch diese Worte brach ein Spalt in seiner gefassten Miene, und der Schmerz dahinter blitzte auf. Quistis schlug die Beine übereinander und nahm das Klemmbrett wieder an sich, als könne sie eine unangenehme Wahrheit dahinter verbergen.

„Tja… das hatte wohl mehrere Gründe. Es ist nicht immer gut, wenn man neben einer privaten Beziehung auch noch beruflich miteinander zu tun hat. Du musst bedenken, sie ist an keiner Akademie aufgewachsen, so wie wir… Ich schätze, sie war einfach überfordert mit der ganzen Situation.“

Squall schnellte nach vor und stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch.

„Überfordert?? Und was soll ich sagen? Sie haut von heute auf morgen einfach ab und sagt sowas wie ‚ich brauche eine Auszeit und muss mich selbst finden.‘ Und damit soll ich mich abfinden?“ Er lehnte sich wieder zurück und sprach in einem ruhigeren Tonfall weiter. „Du hast sie doch letztens besucht. Was hat sie denn genau gesagt?“

Quistis seufzte langezogen. Schon so oft hatte er sie das gefragt, doch auch sie hatte keine Antwort für ihn gewusst.

„Wie ich dir gesagt habe… auf alles was deine Person betrifft, hat sie mir nur ausweichende Antworten gegeben. Sie hat nur immer gesagt, dass sie sich im Moment sehr wohl fühlt. Vielleicht kommt sie ja bald wieder zurück“, fügte sie hinzu. Irgendetwas Aufmunterndes musste sie doch sagen. Squall schüttelte langsam den Kopf.

„Ja, vielleicht…“

Quistis runzelte die Stirn.

„Nun… du könntest sie doch besuchen? Sie hat ja nichts davon gesagt, dass… sie das nicht will“, behauptete sie unsicher. Er winkte ab.

„Nein, nur dass sie mich eine Weile nicht sehen will“, entgegnete er verdrossen. Quistis lachte aufmunternd.

„Ach, was wir Frauen immer so sagen… oft meinen wir das gar nicht so. Und vielleicht ist ‚diese Weile‘ ja schon vorbei?“

„Vielleicht hast du recht. Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.“ Energisch schüttelte er den Kopf, wie um die trüben Gedanken zu vertreiben. „Wie auch immer. Was steht auf der Tagesordnung?“

Erleichtert ging sie zum anstehenden Protokoll über. Sie hatte versucht, ihm so gut wie möglich durch diese schwere Zeit zu helfen, nicht immer mit Erfolg. Nach wie vor war sie seine engste Vertraute, und kaum jemand sonst ließ er so nah an sich heran. Dabei war sie selbst auf dem Gebiet nicht so bewandert. Sie hatte sich schon lange damit abgefunden, dass Squall ihre Liebe nie erwidern würde. Und so hatte sich die Schwärmerei ihrer Jugend in eine tiefe Freundschaft gewandelt. Damit konnte sie leben. Wenngleich… Die Kadetten außerhalb ihres umfangreichen Fanklubs nannten sie hämisch ‚die eiserne Jungfrau‘. Man sagt ja, dass man nie wirklich über die erste große Liebe hinwegkommt, und in ihrem Fall stimmte das. Doch solange sie in seiner Gegenwart sein konnte, interessierte sie beim besten Willen kein anderer Mann ernsthaft. Und so spielte sich außer seltenen, rein sexuellen Episoden mit einem ihrer Schüler nichts ab bei ihr in dieser Beziehung.
 

Allmählich überwand Squall den inneren Widerstand; so wie jeden Tag. Die Routine hatte ihn wieder, und das Tagesgeschäft war schneller erledigt, als er ursprünglich zu hoffen gewagt hatte. Das Durchgehen der Lehrpläne, das Vereidigen eines neuen Jahrgangs, die Abschlussbesprechung eines Einsatzes der SEEDs. Alles Pflichten, die ihn von seinen Problemen ablenken konnten. Und schließlich neigte sich der Tag zu Ende.

Er war fast zufrieden, als er auf dem Appellplatz vor dem Garden stand und in die Abendsonne blickte. Gerade hatten sie als letzten Punkt seines Dienstplans eine Abteilung Kadetten auf eine Nachtübung geschickt. Die Ausbildner würden unter der Leitung von Quistis die unerfahrenen Kadetten durch die Wälder der Insel jagen, um sie dann als Abschluss der Übung in die Feuergrotte zu schicken. Gewiss waren die Gegner dort drinnen eher harmlos, doch am Ende eines anspruchsvollen Orientierungsmarsches schlimm genug. Zu allerletzt würde ihnen Ifrit einen gehörigen Schrecken einjagen… So wir mir damals, dachte er wehmütig zurück. Das waren halt noch Zeiten… Ja, damals. Aber die Welt hatte sich geändert. Nach dem Sieg über Artemisia hatte Euphorie geherrscht. Eilig war er befördert worden. Und ehe er es sich versah, hatte man ihn zum stellvertretenden Direktor gemacht. Von nun an bestritt er keine Einsätze mehr, sondern leitete sie. Zwar konnte er den aufstrebenden Kadetten mit seiner Erfahrung wichtige Hilfestellung leisten, doch gleichzeitig beneidete er sie- um was eigentlich? fragte er sich oft. Er musste es sich eingestehen. Ihm fehlte die Gefahr, das Unbekannte, das bei jedem Einsatz auf ihn wartete. Seufzend wandte er sich von dem kitschig schönen Sonnenuntergang ab und trat wieder durch das Tor.

Der Mann an der Rezeption nickte ihm nur beiläufig zu, und Squall nickte zurück. Verdammt, dachte er, er sitzt dort, soweit ich zurückdenken kann, und ich weiß immer noch nicht seinen Namen. Na ja, egal…

Im großen Rundgang um den Aufzug herum herrschte jetzt Ruhe. Die Kadetten waren entweder auf Übung, in der Mensa oder in ihren Unterkünften. Diese Phasen genoss er besonders. Wenn er dann durch die vertrauten Gänge des Gardens schlenderte, ohne die lärmenden Schüler und Kadetten, dann war alles so wie früher. Als er klein war, als der Garden gerade gebaut worden war… Er hatte sich dafür eingesetzt, den Garden wieder an seinem angestammten Platz zu verankern. Auch wenn das gesamte Gebäude flugtauglich war, so hatte es doch seinen Platz, und dort sollte es bleiben seiner Meinung nach. Dies war seine Heimat, hätte es für sie beide sein sollen… Wieder mischten sich unangenehme Gedanken ein. Verärgert schüttelte er den Kopf. Ich muss den Kopf freibekommen, dachte er und steuerte die Übungshalle an.

Früher war er oft dort gewesen, um sich mit den Gratts und Raldos zu messen. Mittlerweile entlockten ihm diese Standardgegner nur mehr ein müdes Lächeln. Es gab aber dort auch noch ein anderes Monster, den Archeodinos. Es war gelungen, diesen Saurier, der vereinzelt in den Wäldern der Insel vorkam, in der Übungshalle anzusiedeln. Das erste, das Schülern im Garden eingetrichtert wurde, war: ‚Wenn du einen Archeodinos siehst, dann lauf! ‘ Für Squall war er zwar kein ernsthaftes Problem, aber immer noch eine Herausforderung. Selbst ohne gekoppelte ‚Guardian Force‘. Deren Zeit ist auch abgelaufen, dachte er missmutig, als sich die Tür zischend vor ihm öffnete. In den heutigen Konflikten vertrauten die Kämpfer auf ihre Waffen und ihre Magie. Aufwändige Beschwörungen galten als nicht mehr zeitgemäß. Gefechte im großen Maßstab, wie er und seine Freunde sie damals hatten handhaben müssen, waren kleinen, verstreuten Scharmützeln gewichen. Die großen Staaten führten nicht mehr Krieg gegeneinander, sondern sahen sich vermehrt inneren Bedrohungen ausgesetzt. Vielleicht bin ich auch schon ein Auslaufmodell, dachte Squall, als sich die Tür der Übungshalle hinter ihm schloss.

Er schloss die Augen und atmete tief ein. An diesem Ort fühlte er sich freier, fast so wie damals, als er selbst noch ein Kadett gewesen war. Langsam zog er seine Gunblade hervor und betrachtete sie. Sie diente nur mehr zeremoniellen Ansprüchen. In einem tatsächlichen Kampf würde er ein stark verbessertes Modell, das ‚Löwenherz‘, verwenden. Und doch wollte er sich nicht von ihr trennen. Soviele Erinnerungen verband er mit dieser Waffe... Und einem Archeodinos gegenüber wäre es auch unfair, was anderes zu verwenden, dachte er schmunzelnd.

Auf Geräusche achtend, ging er los. Das Urwandszenario mit den Schlingpflanzen und den umgestürzten Baumriesen war wirklich liebevoll gestaltet, man fühlte sich wie in einem echten Regenwald. Vorsichtig setzte er einen Schritt vor den anderen. Was die meisten Studenten nicht wussten, war das man nur leise genug sein musste, um von den Gratts und Raldos verschont zu bleiben. Stattdessen trampelten sie durchs Gehölz, um erste Kampferfahrung zu sammeln. Auch gut, dachte er, während sein Blick das dichte Unterholz absuchte. Ich bin aber heute nicht hier, um Unkraut zu bekämpfen.

Bald wurde er fündig. An einer kleinen Lichtung stand eines der seltenen Ungeheuer. Vorsichtig schlich er sich an. Er konnte bereits das Schnauben der riesigen Echse hören. Gemächlich stampfte es auf die Lichtung zu, wahrscheinlich suchte es einen Schlafplatz. Nicht heute, Freundchen, dachte Squall und betrat die Lichtung.

Selbstbewusst schritt er auf den ungefähr fünfmal so großen Saurier zu.

„He, Mistvieh!“ Das Monster drehte seinen massigen Kopf langsam in seine Richtung. Dabei schnaubte es durch seine Nüstern. „Ja, genau dich meine ich!“

Mit der Gunblade in beiden Händen stellte er sich kampfbereit vor ihm auf. Der träge Blick des Urzeitungeheuers glitt zu ihm hinunter. Offensichtlich nahm das Wesen ihn nicht ernst sondern erwartete, dass er wie alle anderen nach kurzer Zeit die Flucht ergriff. Fast konnte er das Ungetüm lachen hören. Laut röhrend lief es los.

Einen kurzen Moment war Squall von der Beschleunigung des massigen Ungeheuers überrascht, dann sprang er zur Seite. Zurück blieb eine leere Stelle, nach der das Ungetüm schnappte. Verärgert fuhr es herum. Einen Moment verharrte es und schätzte seinen unscheinbaren Gegner ein. Squall tänzelte hin und her. Mit einem Male fühlte er sich lebendig, zum ersten Male nach langer Zeit. Dann trampelte der Archeodinos mit beängstigender Geschwindigkeit los.

Der Boden unter seinen Füßen erzitterte, als das Monster brüllend auf ihn zu trampelte. Squall genoss es, erst im letzten Moment wegzuspringen. Wieder traf das riesige Reptilienmaul ins Leere. Squall konnte gerade noch reagieren, als das Untier einen Schwanzhieb folgen ließ. Er sprang in die Luft, und der peitschenartige Hieb verfehlte ihn.

„So, jetzt reicht es! Genug gespielt!!“

Squall verharrte in der Luft. Er fühlte die Bedrohlichkeit der Situation, und schon strömte die Energie in seine Hände. Die Umgebung wurde in Dunkelheit getaucht, und seine Waffe glühte auf. Blitze statischer Elektrizität trafen ihn und luden die Gunblade auf. Schließlich entlud sich die Energie, und er beschrieb mit der Waffe einen leuchtenden Kreis. Eine Welle gleißender Energie pflanzte sich über den Boden fort, raste auf den paralysierten Archeodinos zu und detonierte dort. Die folgende Explosion ließ die Halle erzittern und riss ganze Trümmer aus dem Boden. Krachend prasselten sie zu Boden und auf den sterbenden Saurier.

Er landete auf den Füßen und blickte zufrieden den sich auflösenden Kadaver an. Lachend legte er die Gunblade über die Schulter und fühlte sich wie ein Gewinner.
 

Er wusste nicht genau warum; doch aus irgendeinem Impuls heraus ging er bis ans Ende der Halle und kam so zum Notausgang, der zu einer kleinen Plattform außerhalb des Gebäudes führte. Er wusste von früher, dass die Kadetten hierher kamen, um in Ruhe mit ihrem Herzblatt herumzuknutschen. Nicht das er das selbst einmal getan hätte; Quistis wollte ihn hier einmal verführen, doch er war nicht darauf eingestiegen. Sie war für ihn immer wie eine Schwester gewesen. Und als sie ihre feuchten Lippen auf seine pressen wollte, da hatte er sich gewehrt.

Auch an diesem Abend saßen und standen sie wieder verteilt an der Brüstung, von wo man aus einen wunderbaren Blick in den Sternenhimmel und auf das Lichterspiel des Gardens hatte. Squall wich ihren Blicken aus, um nicht erkannt zu werden. Wahrscheinlich würden sie panisch davonlaufen, denn das Betreten der Übungshalle war des Nächtens nicht erlaubt. So würden sie sich höchstens wundern, warum ein Kadett alleine hierher kam… Alleine.

Ja, er war wieder alleine. Zwei Monate war es nun her, dass Rinoa ihn verlassen hatte. Es kam ihm vor, als wäre es erst gestern gewesen. Schon eine Zeit lang war ihm aufgefallen, dass sie… anders war als sonst. Abwechselnd hatte sie seine Nähe gesucht, bis es ihm fast zu viel wurde; dann wieder hatte sie sich ohne Gründe zu nennen in ein anderes Quartier zurückgezogen. Und schließlich hatte sie ihm eröffnet, dass sie wegwollte. Weg vom Garden, weg von ihm. Eine gewisse Zeit lang, wie sie gesagt hatte. Und dann hörte er über Quistis, dass sie sich sehr wohl fühlt, oben auf dem Nordkontinent, im Schumi-Dorf. Ein neues Leben als Künstlerin hatte sie begonnen, so sagte sie. Fernab von Gewalt und Totschlag, nur für die Natur und die Schönheit… Ätzend, dachte Squall. Gewalt und Totschlag gehören nun mal zum Leben eines SEEDs dazu. Eines SEEDs… etwas, das Rinoa nie gewesen war. Vielleicht war es deshalb so gekommen, vielleicht war es unvermeidlich gewesen…

„He! Pst!“

Squall blickte sich um. Einer der Kadetten, der gerade unter seiner Freundin zum Vorschein kam, zischte ihm etwas zu.

„Hm?“

„Ja, dich meine ich. Ist eh keiner von den Hausdrachen unterwegs?“

Squall schmunzelte innerlich. Im Halbdunkel hatte ihn der Kadett nicht erkannt, und Hausdrachen war Kadettenjargon für Ausbilder.

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, flüsterte Squall. „Ich glaube, ich habe vorhin einen gesehen.“

„Echt?“ Der Bursche schob das Mädchen, das begierig seinen Hals küsste, von sich. „Mach ne Pause, Mara! Vielleicht sollten wir lieber gehen…“

Das Mädchen stieg von ihm runter und richtete sich auf.

„Aber warum denn, Stopel? Ist doch gerade so schön hier…“

„Schon, aber der Typ hier hat gesagt, dass irgendein Ausbilder in der Nähe ist. Wenn der mich erwischt, dann kann ich die Abschlussprüfung nächste Woche abschreiben.“

Das Mädchen kam auf die Beine. Squall musste grinsen; er erkannte seine Adjutantin wieder. Mara blickte ihn an. Nach kurzer Zeit gefror ihr Gesichtsausdruck.

„Möglicherweise habe ich mich auch geirrt“, sagte er langsam. „Aber wenn ihr auf Nummer Sicher gehen wollt, dann geht ihr vielleicht besser. Dann wird keiner der Ausbilder hiervon erfahren.“

Der Junge namens Stopel putzte sich seine Kadettenuniform ab, während seine Freundin Mara fassungslos Squall, ihren Vizedirektor, anstarrte.

„Du hast wohl recht“, erwiderte Stopel, ohne etwas zu ahnen. „Wir gehen besser, Mara. Die Prüfung ist mir echt wichtig.“ Seufzend trottete er davon. Dann folgte ihm das Mädchen.

„Danke, Sir. Dass sie uns nicht verpetzen, meine ich. Sir“, flüsterte sie ihm noch zu, dann stahl sie sich ebenfalls weg. Squall lächelte nur.

„Aber gern“, flüsterte er leise, als die beiden schon weg waren. Dann lehnte er sich auf die Brüstung und genoss den Anblick, für den die in ihren Küssen vertieften Kadetten kein Auge übrig hatten…
 

Als er schließlich in seinem Quartier ins Bett fiel, kreisten seine Gedanken wieder um Rinoa. Um sie und das, was sie miteinander erlebt hatten. Fast greifbar war die Erinnerung, als sie die Ragnarok in der Umlaufbahn gekapert und von ihren außerirdischen ‚Bewohnern‘ gereinigt hatten. Er saß damals auf dem Pilotensitz, und Rinoa auf seinem Schoß.

Wie er so dalag und an die Decke seiner Unterkunft starrte, da spürte er fast ihre Berührung, wie sie damals den Arm um ihn gelegt hatte… Damals waren sie sich zum ersten Male so richtig nahe gekommen. Zuerst war da ein Widerstand dagegen in ihm gewesen, der jedoch bald schmolz… Und dann hatte er sich in sie verliebt, wie noch nie in einen anderen Menschen. Eine gemeinsame Zukunft hatten sie sich vorgestellt. Nicht das, was jetzt war. Der Schmerz über die geschwundene Liebe stach ihn bis ins Innerste. Ächzend drehte er sich zur Seite. Ich werde sie aufsuchen, nahm er sich vor. Ja, das werde ich. Und dann wird sie sich entscheiden, für mich oder gegen mich.

Innerlich fürchtete er diese Entscheidung, doch ihm war klar, dass es unvermeidlich war. Er konnte bis an sein Lebensende über diese verlorene Liebe trauern, oder einen Schlussstrich ziehen. Sollte sie tatsächlich nicht mehr für ihn da sein können… so würde er es akzeptieren. Es würde ihm schwer fallen, doch mit der Zeit würde er darüber hinwegkommen.

Mit der Zeit… bestimmt, irgendwann…
 

Eine Sekunde bevor der Wecker ins Schrillen begann, traf ihn seine Hand. Mühelos kam er aus den Federn. Im Badezimmerspiegel erwartete ihn ein ungewöhnlich gut gelaunter junger Mann, wie ihm auffiel. Sein Entschluss erleichterte ihn spürbar. Zu lange hatte er es vor sich hergeschoben, doch nun war es soweit. Selbst die Aussicht auf das endgültige Ende seiner Beziehung zu Rinoa schreckte ihn nicht mehr so. Alles war besser als diese Ungewissheit.
 

„Squall? Alles in Ordnung?“ fragte ihn Quistis bei der Morgenbesprechung. Dieser nickte lächelnd.

„Ja. Mir geht’s hervorragend.“

„Gut. Das ist gut.“

„Ich leihe mir die Ragnarok aus. In spätestens zwei Tagen bin ich wieder hier. Ist das in Ordnung, Ma’am?“ fragte er leicht spöttelnd.

„Ja, ich denke schon“, erwiderte sie kichernd. „Du solltest dich noch beim Direktor abmelden, aber ich glaube, wir überleben zwei Tage ohne dich.“

Squall ergriff ihre Hand und lächelte ihr warmherzig zu. „Daran habe ich nie wirklich gezweifelt. Ich vertraue euch.“ Dann erhob er sich, um sein Büro zu verlassen. Quistis blickte ihm nach, als er schon in der Tür stand.

„Squall?“

Er verharrte in der Tür.

„Ja?“

„Du hast dich verändert. Zum Positiven.“

Er nickte ihr dankbar zu. Dann ging er.
 

Surrend fuhr der Aufzug in den dritten Stock des Gardens. Dort oben, an der Spitze des schneckenhausförmigen Gebäudes, befand sich das Büro von Cid Kramer. Obwohl er erst 42 war, würde er wohl wie bereits angekündigt nächstes Jahr seinen Ruhestand antreten. Alle verstanden dies. Dann würde er endlich mehr Zeit mit seiner wiedergefundenen Frau Edea verbringen können. Der Gründer des Gardens, der sich so oft um ihn und seine Schüler verdient gemacht hatte. Ein bisschen erschauderte Squall bei dem Gedanken, sein Nachfolger zu werden.
 

„Ah, Squall! Schön dich zu sehen“, begrüßte er ihn, als er bei der Tür herein lugte.

„Haben sie etwas Zeit für mich, Sir?“ fragte er respektvoll. Auch wenn die beiden mittlerweile auf fast gleicher Augenhöhe waren, so kam er doch nicht umhin, ihm den gebührenden Respekt zu zollen.

„Natürlich, für sie immer. Was haben sie auf dem Herzen?“

Squall nahm auf den ihm zugewiesenen Stuhl Platz. Cid Kramer lehnte sich mit verschränkten Händen auf seinen Schreibtisch, um ihm aufmerksam zuzuhören.

„Ich bitte um Erlaubnis, die Ragnarok auszuleihen… und mir zwei Tage freizunehmen.“

Der Direktor des Gardens nahm seine Brille ab und betrachtete nachdenklich das Glas.

„Meine Erlaubnis haben sie natürlich. Momentan steht nichts Besonderes an, sie können sich also beruhigt freinehmen. Abgesehen von dem Forschungsprojekt in der MD-Ebene. Sie haben davon gehört, nehme ich an?“

„Ich weiß nur, dass die da unten eine Menge Strom brauchen. Wir hatten mehrere Energieabfälle die letzten Tage.“

„Ja, ich weiß“, erwiderte er lächelnd. „Die Störungen werden bald behoben sein. Es geht dabei übrigens um eine neue Art des Reisens. Wenn alles so läuft, wie geplant, dann werden wir in Zukunft eine ganz neue Art der Fortbewegung für unsere Truppen nutzen können. Sehr wertvolles Wissen wurde dabei übrigens von Martine Dodonna beigesteuert. Er hat es dann doch nicht ausgehalten in Fisherman’s Horizon. Jetzt arbeitet er mit unseren Technikern zusammen…“

Squall hörte Kramers begeisterten Ausführungen geduldig zu und nickte von Zeit zu Zeit. Mit seinen Gedanken war er jedoch schon ganz wo anders. Schließlich bemerkte der Direktor das.

„…aber wie ich sehe, beschäftigt dich momentan etwas anderes. Es ist wegen Rinoa, richtig?“

Squall nickte ernst.

„Ja. Ich möchte wissen, ob sie noch etwas für mich empfindet. Oder ob es… vorbei ist.“

Seufzend setzte er seine Brille wieder auf.

„Ich verstehe. Ihr seid so ein schönes Paar, es wäre traurig, wenn… jedenfalls sollten sie sich mit ihr aussprechen. Ich kann mich noch genau erinnern, als sie damals zu mir kam, wegen des Auftrags in Timber… Mir war gleich klar, dass sie ihre harte Schale würde weichkochen können. Ich gebe ihnen einen Rat, Squall.“

Er blickte ihn ernst an.

„Und der wäre, Sir?“

„Seien sie ehrlich zu ihr. Sagen sie ihr, was sie in ihrem Inneren empfinden. Auch wenn es ihnen schwerfällt, ich weiß, dass sie es können. Lassen sie ihr Herz entscheiden, was sie tun. Dann wird sie es auch so tun. Und was immer dann geschehen wird… es wird gut so sein, vertrauen sie darauf.“

„Danke, Sir.“

Squall stand auf, um zu gehen.

„Viel Glück, Squall.“

Er spürte den aufrichtigen und wohlwollenden Blick des Direktors auf sich.

„Danke, das werde ich brauchen können.“
 

Sein forscher Schritt führte ihn in den Garagenbereich des Gardens. Die Ragnarok stand dort für eilige Transporte bereit. Früher war es Selphie Tilmitts Aufgabe gewesen, das Schiff zu pilotieren, doch sie hatte den Garden schon vor einem halben Jahr verlassen. Nach dem Hexenkrieg hatte sie immer öfter Irvine Kinneas, den Scharfschützen besucht. Dieser hatte nach dem Krieg dem Kampf abgeschworen, sein Gewehr an den sprichwörtlichen Nagel gehängt und im idyllischen Dörfchen Winhill eine neue, friedliche Existenz begonnen. Schließlich hatte Selphie die formelle Kündigung eingereicht und war zu ihm gezogen. Squall erinnerte sich noch genau an den Tag ihrer Verabschiedung. Ihnen allen war zum Heulen zumute gewesen, besonders Selphie selbst. Doch letztendlich war die Liebe stärker gewesen als ihre Freundschaft.

Außer bei mir…

Bittere Gedanken drangen wieder in sein Bewusstsein ein. Ärgerlich schüttelte er den Kopf und hoffte, dass ihre Aussprache die endgültige Klärung bringen würde. Und dann sah er sie. Die Fahrzeuge des Gardens wirkten winzig neben dem kühn geformten Luftschiff, das einen zum Angriff bereiten Raubvogel imitierte. Wie immer wuselten mehrere Techniker um das Schiff herum, das bei aller Formschönheit doch einen enormen Wartungsaufwand verursachte. Als sie Squall sahen, salutieren sie zackig mit ihren ölverschmierten Händen.

„Guten Morgen, Kadetten. Ist die alte Lady startbereit?“

„Ja, Sir“, erwiderte einer von ihnen. „Wenn sie starten wollen, dann schleppen wir sie gleich ins Freie- “

„Danke, ist nicht nötig“, entgegnete er knapp und lief die Rampe ins Innere hinauf. Verdutzte Blicke folgten ihm. Im Vorbeigehen traf er den Schalter, der die Rampe surrend hochgleiten ließ.
 

Lächelnd ließ er sich auf den Pilotensitz fallen. Er befühlte die Steuerarmaturen, und jetzt erst merkte er, wie sehr ihm das gefehlt hatte.

Das werde ich jetzt öfter machen, dem ganzen Trott entfliehen… Sollen sie doch sehen, wie sie ohne mich zurechtkommen…

Dröhnend erwachte die gewaltige Maschine zu Leben, als er einen Kippschalter nach dem anderen umlegte. Und plötzlich, als das Triebwerk der Ragnarok zu pulsieren begann, schoss ihm eine schmerzhafte Erinnerung ein.

Genau hier saß ich damals, und Rinoa auf meinem Schoss…

Den Gedanken verdrängend, gab er Schub. Und schon drückte es ihn in den Sitz. Die Wände der Garagenhalle rasten an ihm vorbei, und das grelle Licht des Ausgangs kam auf ihn zu. Die Ragnarok schoss hinaus, und er riss das Steuer hoch. Das grüne Land unter ihm schwand aus seinem Blickfeld, und er hielt genau auf den blauen Himmel zu.

„Jipieeeh!!“

Er jauchzte vor Freude und riss das Ruder wieder herum. Nun beschrieb das Schiff eine Rolle. Abwechselnd kamen das Meer und der blaue, von wenigen Wolken durchzogene Himmel in sein Sichtfeld. Er beschleunigte weiter, und bald durchfuhr die Schockwelle des Überschallknalls den Schiffrumpf. Die Euphorie packte ihn und er wurde übermütig. Er drückte das Schiff hinab, bis es knapp über die Meeresoberfläche dahin schoss. Eine Welle der Gischt hinter sich herziehend, glitt die Ragnarok über den glänzenden Ozean. Jetzt fühlte er sich wirklich frei, wie schon lange nicht mehr…

Am Horizont kam nun die Küste des Trabia-Kontinents in Sicht. Er zögerte, dann schwenkte er ab Richtung Südosten. Einen Moment lang ärgerte er sich über seinen Rückzieher, dann disponierte er um.

Vorher besuche ich noch Vater… Vielleicht weiß er Rat.
 

Die endlose Salzwüste des Esthar-Kontinents zog unter ihm vorbei, und endlich kam die Hauptstadt in Sicht. Ihre bizarren, futuristischen Formen lagen in krassem Widerspruch zu dem Ödland rundherum. Bald erblickte er die Hauptstraße, an der er sich beim Anflug immer orientierte. Er flog nun fast so tief, dass er die erstaunten Fußgänger auf den durchsichtigen Straßen erkennen konnte. Erwartungsgemäß krächzte das Funkgerät nach kurzer Zeit.

„Hier Esthar-Luftkontrolle, bitte kommen.“

„Hier Ragnarok. Bitte um Landeerlaubnis auf dem Präsidentenpalast“, meldete er sich.

„Erlaubnis erteilt“, antwortete die Stimme fröhlich. „Wir wünschen noch einen angenehmen Aufenthalt in unserer Stadt.“

„Danke“, sagte Squall schmunzelnd.
 

Der Präsidentenpalast war das höchste Gebäude und nicht zu verfehlen. Geschwungene Glasübergänge wanden sich elegant von den umstehenden Gebäuden an seinen Mauern empor. Beim Vorbeifliegen war es ihm, als würden ihm Menschen von dort aus zu winken. Sanft setzte das Schiff auf der Landeplattform auf.

Immer wieder staunte er über die Farbenpracht und die ausladende Architektur, wenn er seinen Vater besuchte. Bald fand er sein Arbeitszimmer, über dem aus Sentimentalität ein Gemälde des Dörfchens Winhill hing. Einen Moment blickte er wehmütig hinauf, dann trat er durch die automatisch beiseite gleitende Schiebetür.

Das Büro des Präsidenten von Esthar war riesig. Es hatte fast Saalgröße und war Großteils leer. Hinter dem breiten Schreibtisch befand sich eine hohe Glasfront, die einen atemberaubenden Blick auf die Stadt bot. Laguna saß hinter dem Tisch und studierte Papierkram. Squall ging zügig auf ihn zu. Laguna Loire trug wie immer eine bequeme, braune Hose und ein weites Hemd, dessen Ärmel aufgekrempelt waren. Seine legere Bekleidung passte nicht ganz in das würdevolle Ambiente, aber als Präsident konnte man sich das wohl erlauben. In seinem langen Haaren gab es bereits die eine oder andere graue Strähne, wie Squall auffiel. Er stand bereits vor ihm, als Laguna über seine Lesebrille hochblickte.

„Squall? Ich habe dich gar nicht erwartet, einen Moment…“ Hektisch kramte er in seinen Papieren herum, während Squall auf dem Stuhl vor ihm Platz nahm. „Du hast dich aber nicht angekündigt, oder?“ fragte er ihn mit hochgezogener Augenbraue. Squall verneinte.

„Nein. Komme ich ungelegen?“

„Nein, nein“, erwiderte er lachend und setzte die Lesebrille ab. „Ich fürchtete nur einen Moment, ich hätte es vergessen. Du weißt ja, ab einem gewissen Alter wird man vergesslich.“

„Aber du doch nicht, Vater.“

Laguna schob sämtliche Papiere beiseite, ohne sich darum zu kümmern, dass er ihre Reihenfolge durcheinander brachte. Dann stützte er sich mit den Ellbögen auf den freigewordenen Platz und lächelte zufrieden.

„Ich freue mich, dich zu sehen, Sohn.“

„Ja, ich auch. Wie geht’s dir so?“

Laguna machte eine ausschweifende Geste über seinen chaotischen Schreibtisch.

„Wie du siehst, wird mir nicht langweilig. Es gibt immer viel zu tun als Präsident… ich glaube, ich brauche schön langsam Urlaub“, sagte er und rieb sich die Augen. „Und bei dir? Was ist eigentlich aus deinen Freunden geworden? Die habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen.“

„Tja, Selphie und Irvine leben ja nun in der Nähe von Winhill. Sie betreiben dort eine Chocobo-Farm, soweit ich weiß“, erklärte er.

„Tatsächlich? In der Nähe von Winhill? Ja, da möchte ich auch wieder mal hin…“

„Ja… Xell lebt jetzt in Deling-City. Er hat mittlerweile das Mädchen aus der Gardenbibliothek geheiratet. Sie führen dort eine Kampfsportschule…“

Laguna hörte aufmerksam zu und nickte eifrig. Dann begann er zu blinzeln.

„Übrigens… du und Rinoa… ihr habt ja noch nicht geheiratet, oder? Zumindest habe ich keine Einladung bekommen, was mich wundern würde als Vater des Bräutigams“, sagte er schmunzelnd. Squalls Miene verdüsterte sich. Er hatte bisher vermieden, das zu erwähnen. Laguna hob eine Augenbraue. „Ist da etwas… das ich noch nicht weiß?“

„Wir haben uns getrennt… auf Zeit“, fügte er eilig hinzu. „Sie… sie sagte, ‚sie bräuchte eine Beziehungspause‘, was immer das bedeuten soll.“

Lagunas Gesicht füllte sich mit Bestürzung.

„Was? Aber… wie ist das möglich? Ihr wart doch so verliebt…?“

„Frag mich was leichteres“, erwiderte Squall seufzend. „Ich hatte gehofft, du kannst mir einen Rat geben. Ich habe vor, sie nachher zu besuchen. Sie wohnt jetzt oben im Norden, im Schumi-Dorf.“

„Ah, das Schumi-Dorf. Ich weiß noch, als ich damals dort war…“ Schon wieder war er abgelenkt und schwelgte in Erinnerungen. Wie ein so zerstreuter Mann Präsident eines Staates sein konnte, hatte sich Squall schon oft gefragt.

„Ja, jedenfalls lebt sie jetzt dort… was soll ich ihr den sagen?“

„Hä?“ Laguna blickte von seinem Tagtraum auf. „Was du ihr… na ja, was könntest du ihr sagen, um sie zurückgewinnen… lass mich überlegen… Ja, genau! Als ich damals in Rinoas Mutter verliebt war, da sagte ich ihr… was sagte ich ihr gleich…“

Squall verdrehte ungeduldig die Augen.

„Was immer es war, du hast sie nicht bekommen. War auch gut so, denn sonst wären Rinoa und ich jetzt womöglich Geschwister“, bemerkte er schmunzelnd. Dann wurde er wieder ernst. „Andererseits… wären mir einige Probleme erspart geblieben“, fügte er leise hinzu.

„Ach ja, Julia…“ Er setzte wieder seinen verträumten Blick auf. Momente später kam er wieder in die Gegenwart zurück. „Aber ich weiß noch, wie ich es bei deiner Mutter Raine gemacht habe!“

Squall kannte die Geschichte. Skeptisch legte er den Kopf schief.

„Und? Wie hast du sie für dich gewonnen?“

Laguna erstarrte in seiner fröhlichen Miene, um dann in einen Ausdruck von Ratlosigkeit zu verfallen.

„Tja… äh… also eigentlich habe ich sie ignoriert. Du musst wissen, damals nach dem Krieg gab es besonders auf dem Land Männermangel, und Raine war auch nur eine Frau, die wieder einmal- “

Squall winkte genervt ab.

„Ja, ja, erspar mir die Details. Ich sehe schon, du kannst mir auch nicht wirklich helfen.“

Laguna machte ein bedrücktes Gesicht.

„Das tut mir leid für dich, mein Sohn… ich hätte es dir von ganzem Herzen vergönnt. Ihr beide habt euch so gut ergänzt. Ich wünschte, ich könnte dir einen Rat geben, aber… doch, einen weiß ich.“ Squall horchte auf. Laguna beugte sich zu ihm vor. „Vielleicht kommt eine schwere Zeit auf dich zu, aber denk daran: Auch wenn es dir so vorkommen wird… Rinoa ist nicht die letzte Frau auf dieser Welt. Beziehungen beginnen… und enden wieder. Das ist nun mal das Leben. So schmerzhaft es auch sein mag, Liebe kann von neuem entstehen. Glaub mir, ich habe das selbst erlebt. Nach Julias Tod hätte ich es nicht für möglich gehalten, je wieder… und doch habe ich deine Mutter lieben gelernt.“
 

Beziehungen beginnen… und enden wieder.

Dieser Satz geisterte unaufhörlich durch seinen Kopf, als er Kurs auf den Trabia-Kontinent nahm.

Vielleicht hat er recht…

Das gleichförmige Dröhnen des Schiffes wiegte seine Gedanken in einen ruhigen Halbschlaf, während der Autopilot das Schiff steuerte.

Rinoa vergessen? Ob ich das schaffe…?

Die Landschaft unter dem Schiff veränderte sich. Die Vegetation wurde karger, und bald bedeckte Schnee das Land, je weiter er nach Norden kam. Schon sah er Herden von dahin galoppierenden Mesmerizen, die auf der Vicke-Eisebene lebten. Er hatte nun den Nordkontinent erreicht, und bald würde er auf der Winter-Insel landen. Das Unausweichliche rückte immer näher, und in seinem Magen entstand ein flaues Gefühl.
 

Schneestaub wirbelte auf, als die Ragnarok vor der gigantischen Glaskuppel aufsetzte. Als er ins Freie trat, fror er und beeilte sich, das Tor zu erreichen. Im Inneren des uralten Bauwerkes war es kaum wärmer, doch der Aufzug im Zentrum der Glaskuppel würde ihn in das unterirdische Schumi-Dorf bringen, wo das ganze Jahr über angenehme Temperaturen herrschten. Gleich neben dem Aufzug traf er schon die ersten Bewohner des Dorfes. Es waren diese seltsamen Wesen mit ihren langen Fingern und Füßen, deren groteske Erscheinungsform ihn immer wieder aufs Neue erstaunte. Zwei von ihnen standen vor einem Draw-Punkt, den sie aufmerksam bewachten.

„Oh, Squall, Freund von Laguna! Wir heißen dich willkommen in unserem Dorf!“

„Danke für eure Gastfreundschaft“, erwiderte er unsicher. „Eine Frau lebt bei euch, richtig?“

Die beiden seltsamen Wesen nickten synchron.

„Oh ja, die Frau Rinoa, mit der ihr damals kamt. Sie lebt bei uns und schafft wunderbare Kunst!“

Squall verdrehte genervt die Augen.

„Ja, wirklich wunderbar… ich besuche sie dann mal.“

Er wollte sich schon dem Aufzug zuwenden, als sie ihn noch einmal ansprachen.

„Ach ja? Ihr habt nicht zufällig Interesse?“ Sie deuteten auf den Draw-Punkt hinter ihnen. „Einmal Ultima ziehen für nur 5000 Gil! Was sagt ihr?“

„Danke, sehr freundlich. Aber nicht heute“, antwortete er und trat lächelnd in den Aufzug. Als sich die Aufzugtüren vor ihm schlossen, erstarb das Lächeln.

Die zwei haben mich oft genug abgezockt, erinnerte er sich.
 

Als sich eine Minute später die Türen wieder öffneten, war er in einer anderen Welt. Das Schumi-Dorf befand sich mehrere Hundert Meter unter den Permafrostböden der Winter-Insel. Aufwändige Erdwärmekraftwerke versorgten es mit Licht und Wärme. Und so konnte hier unter der Erde ein bunter, blühender Garten entstehen. Das Schumi-Volk lebte hier abgeschieden, und die einzigen Fremden waren Künstler aus aller Welt, die hier verloren geglaubte Inspiration suchten. So wie Rinoa, dachte er säuerlich.

Nachdenklich ging er an den kuppelförmigen Häusern vorbei, die sich perfekt in das natürliche Ambiente einfügten. Und dann sah er sie.

Sie stand an dem Teich, der den harmonischen Mittelpunkt der ganzen Gartenanlage bildete. Squall erinnerte sich genau. Damals, als sie im Kampf gegen eine von fremden Mächten gelenkten Edea durch die Welt zogen, kamen sie hier vorbei. Wie auch schon Laguna viele Jahre vor ihnen. Schon damals hatte er sich gewundert, dass jemand wie Norg, der damals den Garden unter seine Kontrolle hatte bringen wollen, einem so friedfertigen und den Künsten verschriebenen Volk entstammen konnte.

Sie stand vor einer Staffelei und malte. Ein kleiner Moomba hielt ihr den Kasten mit den Ölfarben und freute sich sichtlich, sie unterstützen zu können. Immer wieder verharrte ihr Blick auf dem Teich, dann malte sie wieder einige wenige Pinselstriche. Squall beobachtete sie eine ganze Zeit, bevor er seinen Mut zusammen nahm und auf sie zu ging.

„Rinoa“, sagte er leise, als er nur mehr wenige Schritte hinter ihr stand. Sie blickte von ihrer Staffelei auf und drehte sich langsam um. Mit einer Mischung aus Erstaunen und gedämpfter Freude blickte sie ihn an. Squall erstarrte fast, als er ihre braunen Augen seit langem wieder sah.

„Squall, hallo. Ich habe dich… nicht erwartet.“

Er kam näher und betrachtete das halbfertige Bild.

„Das ist… schön, ja. Ich dachte, ich besuche dich mal.“

Etwas verlegen blickte sie weg und legte den Pinsel an die Staffelei. Der Moomba neben ihr legte fiepend seinen roten Wuschelkopf schief.

„Ja, ist nett vor dir. Wie geht es dir so? Was macht der Garden“, fragte sie in einem nur mäßig interessierten Tonfall.

„Geht alles seinen gewohnten Gang“, erklärte er beiläufig. „Und mir geht es… wie immer. Und dir?“

Er ärgerte sich innerlich noch über diese einfallslosen Wörter, als sie schon antwortete.

„Mir geht es gut. Ich mache große Fortschritte, sagt der Dorfälteste. Es bedeutet mir viel, das Malen…“ Sie blickte abwesend in die Ferne, dann wandte sie sich wieder ihm zu. „Ich glaube, ich habe meine Bestimmung gefunden. Ja, ich bin mir sicher.“

Squall krampfte es den Magen zusammen. Er gab sich alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen… so wie er es sein ganzes Leben lang getan hatte. Nur mühsam brachte er die Worte heraus.

„Das… ist schön für dich“, sagte er und ging ein paar Schritte weg. Er starrte konzentriert in den Teich. Ein Teil von ihm bereute es, hier her gekommen zu sein.

„Squall? Alles in Ordnung?“ fragte sie besorgt. Er schüttelte den Kopf und antwortete leise.

„Klar. Alles in bester Ordnung“, erwiderte er unüberhörbar sarkastisch. Sie ging auf ihn zu.

„So klingt das aber nicht. Was ist los mit dir?“

Er drehte sich abrupt um.

„Was mit mir los ist?“ schrie er fast. Der Moomba ließ vor Schreck den Malkasten fallen, so dass die Farbtuben heraus purzelten. „Du willst also wissen, was mit mir los ist? Gut, ich werde es dir sagen!“ Seine laute, aufgebrachte Stimme wirkte wie ein Fremdkörper in der friedlichen Szenerie. Verschreckt klaubte der Moomba die Tuben wieder ein. Sein kalter Blick fixierte sie. Etwas leiser sprach er weiter. „Ich… ich dachte, zwischen uns wäre etwas Besonderes, etwas… Unzerstörbares. Und dann… läufst du einfach weg.“

Verbittert wandte er sich von ihr ab und schloss die Augen. Er wünschte, dass wenn er sie öffnete, wieder alles so wie früher wäre…

„Ja… das dachte ich auch“, erwiderte sie nachdenklich. „Ich habe dich geliebt, bitte glaube mir das! Es war wirklich etwas Besonderes zwischen uns.“

„Und was ist damit geschehen“, fragte er tonlos, ohne sich umzudrehen. Sie kniete sich zu dem verschreckten Moomba und half ihm beim Einsammeln der Malutensilien. Um ihn zu beruhigen, kraulte sie seinen Wuschelkopf.

„Ich… weiß es nicht“, antwortete sie währenddessen. „Ich weiß nur… wir beide sind erst neunzehn Jahre alt, Squall.“

„Was hat das damit zutun“, entgegnete er bitter.

Sie schloss den Deckel des Kastens, der nun wieder eingeräumt war. Dann stand sie auf und blickte ihn ernst an.

„Für mich einiges. Es gibt noch soviel, das ich tun möchte, das ich ausprobieren möchte! Die Malerei zum Beispiel bedeutet mir sehr viel, aber ich kann nicht wissen, was noch in mir schlummert an Talenten… ich muss mein Leben jetzt leben, sonst wache ich irgendwann auf und denke… dass ich was verpasst habe.“

Ihr Blick war traurig. Er sah ihr in die Augen, und Ablehnung sprach aus seiner Mimik.

„So ist das also. Nun, dann tut es mir leid, dass ich mit meinen neunzehn Jahren schon einen verantwortungsvollen Job ausüben muss. Ich kann nicht einfach so wie du durch die Weltgeschichte gondeln und mich ‚selbstverwirklichen‘. Ich befehlige Truppen, verstehst du? Ich schicke junge Kadetten in Kampfeinsätze, und ich spreche dann mit ihren Eltern, wenn sie in Plastiksäcken zurückkehren. Das ist nicht ‚künstlerisch‘ und auch nicht ‚schön‘, aber irgendjemand muss es tun. Dein Vater war Offizier in der galbadianischen Armee, ich hätte erwartet, dass du das verstehen kannst.“

Sie schüttelte fassungslos den Kopf. In ihren Augen standen Tränen.

„Mein Vater hat für sein Land gekämpft! Das ist was anderes…! Ihr… ihr kämpft für Geld. Für jeden, der euch bezahlen kann.“ In diesen Worten war mehr Verachtung herauszuhören, als sie beabsichtigte. Bestürzt spürte sie, wie tief sie ihn damit verletzt hatte. Er atmete tief durch, um seine Fassung zu bewahren.

„Es tut mir leid für dich, wenn du das nicht akzeptieren kannst“, begann er leise und voller Bitterkeit. „Damals waren wir dir gut genug, aber bitte… Der Garden ist meine Heimat, verstehst du? Ich bin nicht so wie du mit einem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen! Wir Waisenkinder, die wir die ersten SEEDs waren, entweder kamen wir um bei unserer Ausbildung oder wir überlebten! Aber eine verwöhnte Göre wie du kann das wohl nicht verstehen..“, sagte er zornig und ging an ihr vorbei. Fassungslos blickte sie ihm hinterher.

„Squall, warte… so habe ich das nicht gemeint! Warte doch!!“

Eilig verließ er den Platz und steuerte das Hotel des Dorfes an.
 

Ohne ein überflüssiges Wort zu verlieren, mietete er sich dort ein Zimmer, betrat es und versperrte die Tür hinter ihm. Er hatte keinen Grund mehr zu bleiben, aber wollte nur noch allein sein. Er wollte den Garden nicht sehen, seine Kameraden, und am allerwenigsten Rinoa. Nach einer Weile klopfte sie an die Tür, doch er lag auf dem Bett und reagierte nicht. Schließlich ging sie wieder.

In einem dumpfen Halbschlaf gefangen, starrte er an die Decke. Die Stunden vergingen und er war selbst zu träge, seine Uniform auszuziehen. Er hatte auf Klarheit gehofft, und nun hatte er sie. Doch es war eine Klarheit, die ihn innerlich fast zerriss. Schon länger war es ein schwelender Konfliktpunkt zwischen den beiden gewesen. Zuerst war Rinoa begeistert davon gewesen, ebenfalls ein SEED zu werden. Doch mit der Zeit verflog die Begeisterung. Das Dasein eines SEED bestand nicht nur aus ‚die Welt retten‘ und Abenteuer. Es war in erster Linie eine blutige Arbeit, und nachdem die Bedrohung durch Hexen abhanden gekommen war, brauchten sie neue Betätigungsfelder. Schon früher waren es Bürgerkriege, Staatsstreiche und Anschläge auf wichtige Persönlichkeiten gewesen, die das tägliche Brot der SEEDs bildeten. Doch je mehr das in den Vordergrund trat, desto mehr stieß es Rinoa ab. Kampfaufträge ohne Gewissen und Parteilichkeit konnte sie nicht mit ihren romantisierten und von Gerechtigkeit geprägten Vorstellungen vereinbaren. Damals, als sie ihrem bürgerlichen, wohlhabenden Elternhaus in Deling-City entflohen war und sich den Widerstandskämpfern in Timber angeschlossen hatte, folgte sie ihren Idealen. Aber die SEEDs kannten nur ein einziges Ideal: die unbedingte Treue ihrem Garden gegenüber bis in den Tod. Schon damals, während des Hexenkrieges, hatte sie mit Entsetzen beobachtet, mit welcher Grausamkeit sich die Kadetten des Balamb- und des Galbadia-Gardens bekämpft hatten. Kadetten, die sich oft gekannt und teilweise Freunde gewesen waren. Kadetten, die durch Befehle zu unerbittlichen Feinden wurden. Sie hatte ihre Abscheu darüber ihm gegenüber damals zum Ausdruck gebracht, doch er hatte nur mit den Schultern gezuckt. So ist das nun mal, war seine knappe Antwort gewesen. Wir leben für unseren Garden, und wir sterben für ihn. Das Motto der SEEDs… Sie hatte versucht, das zu verdrängen, hatte es nicht wahrhaben wollen… und zog dann schließlich die Konsequenzen.
 

Was Squall nicht wusste, war dass sie überlegt hatte, ihn vor die Wahl zu stellen. Doch innerlich wusste sie die Antwort längst, und auch heute hatte er ihr sie wieder geliefert.

Ich oder dein Garden…

Sie hatte keinen Zweifel, wie er sich entscheiden würde. Und so zog sie es vor, einfach zu gehen. Davonzulaufen, wenn man so wollte. Mit dieser Entscheidung hätte sie ihn zerrissen, aber nicht für sich gewonnen. Ein Leben ohne seinen Garden, ohne seine Heimat kam für ihn nicht in Frage.

Und doch wunderte sie sich immer noch, wie leicht ihr die Trennung gefallen war. Zu frisch war vielleicht noch die Erinnerung, als Squall vor einiger Zeit einen Trupp zurück empfangen hatte. Der Trupp hatte einen Auftrag in einer galbadianischen Provinz ausgeführt. Sie hätten dort in die Kämpfe rivalisierender Unternehmen in der Auseinandersetzung um Bodenschätze eingreifen sollen. Doch sie gerieten in einen Hinterhalt und hatten schwere Verluste hinnehmen müssen. Sie hatte noch deutlich vor Augen, wie Squall den Verletzten Mut und Anerkennung zusprach, so, wie sie es an ihm liebte… Und dann hatte er sich den Säcken mit den Gefallenen zugewandt. Rinoa hatte noch nie so viele Tote auf einem Platz gesehen. Ihr war übel geworden bei dem Anblick, und das, obwohl die Säcke allesamt verschlossen waren. Squall hingegen… er hatte ein Klemmbrett dabei gehabt und hakte ab. Der halbe Jahrgang… hatte sie ihn kopfschüttelnd flüstern hören, …die ganze Ausbildung umsonst. Wir hätten vielleicht doch mehr Phönixfedern bewilligen sollen. Entsetzt hatte sie sich von ihm abgewandt. In diesem Moment hatte der Entschluss zum ersten Male gekeimt, ihn zu verlassen…
 

Ihre Finger hinterließen eine Spur sich langsam ausbreitender Wellen, als sie die Hand durch das Wasser gleiten ließ. Allmählich wurde die Wasseroberfläche wieder glatt, und ihr trauriges Gesicht, das sich im von Mondlicht erhellten Wasser spiegelte, wurde sichtbar. Kein richtiges Mondlicht, dachte sie bitter lächelnd, hier unter der Erde. Aber die Täuschung war perfekt. Eine ausgeklügelte Maschinerie gab einem hier unten das Gefühl des Tag-Nacht-Rhythmus.

„Fiep! Fieeep!“

Der kleine Moomba, der sie praktisch ständig verfolgte, stupste sie an.

„Ja“, erwiderte sie und begann ihm zu kraulen. „Ja, ich bin traurig. Du hast es erkannt.“

„Fiep-fiep! Fieep?“

„Nein, ich fürchte nicht. Er… es fällt ihm schwer, das Ganze zu verstehen. Ich verstehe es selbst nicht ganz.“

„Fiep! Fiep-fieeep!“

Das kleine, knuffige Wesen begann vor ihr zu tanzen, um sie so aufzumuntern. Währenddessen setzte es das Gequassel in seiner fremdartigen Sprach fort. Rinoa sah sich das Ganze geduldig an und lächelte vorsichtig. Schließlich begann der Moomba an ihrem Ärmel zu zerren.

„Lass das. Hör auf damit.“

„Fiep! Fiep-fieep, Fiep!

„Nein, habe ich gesagt!“ Allmählich nervten sie seine Ratschläge. In einem Moment des Zorns stieß sie das kleine Wesen weg. „Verpiss dich endlich! Warum sollte ich überhaupt meine Beziehungsprobleme mit einem Moomba besprechen!?“

Das rothaarige Wesen duckte sich unter ihrer Hand und begann mitleiderregend zu fiepen. Gleich darauf bereute sie ihre Reaktion.

„Tut mir leid“, seufzte sie zerknirscht. „Ich bin nicht böse auf dich. Ich bin eher… böse auf mich selbst, was weiß ich.“ Vorsichtig näherte sich der Moomba, und sie begann ihn wieder zu kraulen. „Sowas ist ziemlich kompliziert“, erklärte sie dem dümmlich dreinschauenden Wesen. „Es funktioniert nicht einfach, indem ich hingehe und ihn an mich drücke, damit alles wieder gut ist, so wie du glaubst. Das funktioniert wahrscheinlich bei deiner Spezies, aber nicht bei unserer…“

Nachdenklich blickte sie zum falschen Mond empor, der leuchtend am ‚Himmel‘ hing. In ihrem Inneren herrschte ein Aufruhr, den sie die ganze Zeit, die sie schon hier war, hatte verdrängt. Und jetzt, mit Squalls Auftauchen war wieder alles da. Die widersprüchlichen Gefühle rangen heftig in ihr, es war fast unerträglich. Ein Teil von ihr wollte ihn einfach umarmen und immer für ihn da sein, sehnte sich regelrecht nach seiner Nähe. Und ein anderer Teil wollte mit der Vergangenheit, mit dem Garden und dem Kämpfen, und vor allem mit Squall, abschließen. Er ist dein erster richtiger Freund, sagt eine Stimme, willst du wirklich an ihm festkleben? Als ob es sonst keine Männer gäbe, lästerte sie. Eine andere Stimme sagte, er ist deine große Liebe. Männer gibt es viele, aber die große Liebe nur ein einziges Mal…

„Seid gefälligst still, ihr beiden!“ rief sie aufgebracht. Der Moomba ging wieder in Deckung. „Nein, ich meine nicht dich“, beruhigte sie das aufgeschreckte Wesen. „Wenn ich nur wüsste, was ich tun soll…“, flüsterte sie dem Mond zu.
 

Ein greller Lichtblitz ließ sie hochschrecken. Hektisch drehte sie sich um. Er kam aus der Richtung der Gebäude. Der kleine Moomba neben ihr begann zu zittern und ängstlich zu fiepen.

„Was ist denn, was hast du denn“, fragte sie nervös, doch der Moomba gab nur unverständliches Zeug von sich. Dann riss er sich los und rannte in die entgegengesetzte Richtung weg. Verwirr sah sie ihm nach. Noch nie hatte sie so ein Verhalten bei einem Moomba erlebt. Dann blickte sie wieder in Richtung der Gebäude. Sie hielt den Atem an, um besser zu hören. Dann hörte sie… das aufeinanderprallen von Waffen.

Ein Kampf, hier im Schumi-Dorf? Unmöglich!

„Warte“, sagte sie zu sich selbst. „Squall? Und wenn er in Gefahr ist- “

Ohne zu zögern rannte sie los.
 

Die Gunblade beschrieb einen vernichtenden Abwärtshalbkreis. Eine leuchtende Aura folgte der Klinge und glühte noch einige Momente nach. Das vielarmige Wesen taumelte rückwärts.

„Dir werd‘ ich Beine machen, mich im Schlaf anzugreifen!“

Squall setzte sofort nach. Das Wesen hatte mindestens vier Arme, soweit er dies erkennen konnte. Und alle hielten Schwerter. Das Gesicht konnte er nicht erkennen, es war wie der Großteil des Wesens hinter einem kunstvoll verschlungenen, roten Umhang verborgen. Nur leere, weißglühende Augen stachen hervor.

„Argh… gib auf, ich bekomme es sowieso!“ zischte es mit seiner dröhnenden Stimme. Squall schnaubte nur und trieb das Wesen weiter in die Enge. Es war schnell und hatte vier Arme- doch Squall war schneller. Wie ein metallener Blitz tanzte seine Waffe zwischen den einzelnen, parierenden Klingen hin und her und verfehlte dessen ominösen Träger mehrmals nur knapp. Schon sah es sich mit dem Rücken zur Wand, als es zu einem wuchtigen Befreiungsschlag ansetzte. Squall parierte mühelos und wich mehrere Schritte zurück. Schwer atmend blickte er auf seinen Angreifer. Was um alles in der Welt ist das, dachte er, und wie kommt es hier runter? Dann setzte er zu einem Spezialangriff an. Seine Gunblade glühte gespenstisch auf. Soll ich nicht besser das Löwenherz-

Sein Gedanke wurde unterbrochen von seinem Gegner, der seinerseits einen zerstörerischen Angriff vorbereitete.

Keine Zeit-

Er rannte los und ließ der zerstörerischen Wirkung seiner Waffe freien Lauf. Der Raum verdunkelte sich. Von den Wänden leuchtete die Flammenkorona seiner Waffe wieder, als Hieb für Hieb auf das Wesen niederprasselte. Das Wesen geriet bereits schwer in Bedrängnis, als Squall schließlich den letzten und heftigsten Schlag landete. Wie in Zeitlupe beschrieb die Gunblade einen brennenden Bogen, und genau im richtigen Moment schnellte der Hahn auf die Patronenkammer. Die Entladung erschütterte den Raum. Möbel stürzten um, Putz fiel von der Decke.
 

Als Rinoa den Lärm hörte, verharrte sie einen Moment. Ihre Miene versteinerte, und mit einer eleganten Bewegung zog sie ihre Waffe hervor, den ‚Shooting Star‘. Seit ihrer ultimativen Konfrontation mit Artemisia damals hatte sie sie nicht mehr verwendet. In einer gleitenden Bewegung schlangen sich die Metallglieder um ihren Unterarm. Surrend fuhr der Griff aus, und ihre Hand schloss sich um ihn. Im fahlen Mondlicht schimmerten die wie Engelsflügel aussehenden, in Wahrheit aber tödlichen Klingen. Zielstrebig steuerte sie Squalls Hotelzimmer, die Quelle des Lärms, an.

Die Tür flog aus den Angeln, und dahinter kam eine stinksaure Rinoa zum Vorschein. Dann weiteten sich ihre Augen vor Schreck. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. Der Raum war zur Gänze in gleißendes Licht getaucht. Ein bizarres Wesen mit mehreren Armen stand in seiner Mitte. Aus dem Wesen selbst entsprang ein Sog, der die aus ihren Scharnieren gerissene Tür sofort aufsaugte. Schon riss es auch sie von den Beinen. Im letzten Moment fand sie am Türstock halt. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Squall an einem umgestürzten Tisch hing.

„Squall!! Neeiin!!!“

Der Sog wurde stärker, und schließlich wurde er mitsamt dem Tisch in den Strudel aus Licht gezogen. Dann drang ein höhnisches Lachen durch den Raum. Es schien von dem Wesen zu kommen. In purster Verzweiflung ließ Rinoa los…

…und raste auf den Sog zu. In Flug schaffte sie es, sich umzudrehen. Mit ihrer Waffe voraus stürzte sie auf das Wesen zu und schlug mit aller Kraft zu-
 

Vorsichtig näherte sich der Schumi(heißen die so?) dem Trümmerhaufen. Ein leises Geräusch drang darunter hervor. Behutsam zog das Bruchstück eines Regals von dem Haufen runter. Im nächsten Moment brach sie hervor.

Alle anwesenden Schumis gingen unwillkürlich in Deckung, als Rinoa aus dem Haufen zerbrochener Möbel hervorbrach, Gerade erst war sie aus ihrer Ohnmacht erwacht, nun blickte sie sich panisch um.

„Wo ist er, verdammt!“ Doch alles was sie sah, war das verwüstete Hotelzimmer und mehrere Schumis, die sie verängstigt beäugten. „Was… ist passiert“, fragte sie verwirrt und mehr sich selbst.

„Wir hofften, ihr könntet uns das sagen.“ Mit diesen Worten näherte sich ihr der Älteste des Schumi-Dorfs. Rinoa stieg aus dem Trümmerhaufen, der sie begraben hatte und stolperte verstört durch den Raum. „Wir hörten die Geräusche eines Kampfes… doch um ehrlich zu sein, fehlte uns der Mut, früher nachzusehen“, erklärte er etwas verlegen. Rinoa schüttelte den Kopf und starrte ins Leere.

„Er.. er war hier, ein Wesen… wie ich es noch nie gesehen habe! Squall und er… sie haben gekämpft.“ Fassungslos stieß sie Trümmer der zerstörten Einrichtung mit dem Fuß an, als könnte sich unter ihnen ein Hinweis für das unerklärliche Geschehen verbergen. Dann fasste sie sich wieder. „Dorfältester! Kann irgendetwas in das Dorf eindringen oder es verlassen, ohne dass ihr etwas merkt?“

Der Oberschumi blickte sie ratlos an.

„Nein… nein, das wäre unmöglich. Der Aufzug ist die einzige Verbindung zur Außenwelt, und er registriert alles, das ihn betritt! Kein Unbekannter kann so in unser friedliches Dorf…“ Seufzend betrachtete er die Zerstörung um sich herum.

„Aber… jemand war hier! Und er hat Squall entführt!“

Betreten blickten sich die den Frieden gewohnten Wesen an. Dann lief Rinoa an ihnen vorbei.
 

Gehetzt rannte sie durch das Dorf. Ungeduldig tippte sie auf der Tastentafel herum, bis endlich der Aufzug sich öffnete. Viel zu langsam fuhr er empor, während sich die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen.

Wer oder was war das?

Und warum Squall… ?

Endlich öffnete sich die Tür an der Oberfläche. Sie stürmte hinaus und kümmerte sich nicht um die Kälte, die sie in ihre unbedeckten Arme einschnitt. Ihre hastigen Schritte hallten von der Glaskuppel wieder, und schließlich trat sie ins Freie.

Ein in der Dunkelheit tobender Schneesturm empfing sie. Als sie die Ragnarok aus der Finsternis ragen sah, erstarrte sie einen Moment. Es war ihre letzte Hoffnung gewesen, dass er vielleicht mit ihr- aber sie stand noch an ihrem Platz. Zitternd vor Kälte lief zu dem Schiff. Auf einen Knopfdruck an einer der Stützen fuhr die Rampe herunter.

Das Innere der Ragnarok löste alte Erinnerungen in ihr aus, was sie im Moment noch mehr verwirrte. Blind fand sie den Weg in das Cockpit. Sie ließ sich auf den breiten Pilotensessel fallen und nahm das Funkgerät zur Hand. Mit der anderen Hand stellte sie die Frequenz ein, dann begann sie zu sprechen. Ihre Stimme zitterte. Ob vor Kälte oder Angst, konnte sie in diesem Moment nicht sagen.

„Hier Ragnarok, Balamb-Garden, bitte kommen.“

Fröstelnd und nervös starrte sie in das Toben der Schneeflocken, das sich lautlos hinter dem Glas des Cockpits abspielte. Eine Ewigkeit verging.

„Balamb-Garden, meldet euch, verdammt nochmal!“

Atmosphärisches Krächzen erklang, und danach eine verschlafene Stimme.

„Hier Balamb-Garden. Ist das die Ragnarok?“

„Ja, verflucht! Hier ist Rinoa!“

„Rinoa? Hier spricht Shou, was ist passiert- “

„Squall, er ist weg! Wir wurden angegriffen“, schluchzte sie.

„WAS!? Jetzt mal ganz langsam, Rinoa. Immer der Reihe nach, was ist genau passiert?“

Sie versuchte, ihre zitternde Stimme unter Kontrolle zu bringen.

„Wir… es, es passierte im Schumi-Dorf, gerade erst… ein Ding, ich weiß nicht, was es war… ich kam zu spät, ich konnte nicht helfen… es hat Squall entführt, ich weiß nicht wie…“ Wieder übermannte sie hilfloses Schluchzen.

„Bleib, wo du bist, hörst du, Rinoa? Ich setzte sofort den Garden in Bewegung. Wir sind in Kürze bei dir, also bleib ruhig!“
 

Mehrere Stunden hatte sie im Cockpit verharrt. Immer wieder war sie in einen unruhigen, von Alpträumen durchsetzten Halbschlaf gefallen, bis sie schließlich das Dröhnen des herannahenden Gardens geweckt hatte. Sie rannte ins Freie, als das riesige Gebäude sich langsam über die Flachküste ans Land schob. Die Sicht ging gegen Null, als das gigantische Tragkissengefährt vor ihr stoppte. Langsam klärte sich der aufgewirbelte Schnee, und schon strömte eine Abteilung schwerbewaffneter SEEDs aus den Schwaden hervor.
 

Das einst friedliche Schumi-Dorf wurde in kürzester Zeit zu einer militärischen Zone. An allen Ecken und Enden standen bewaffnete Kadetten, deren strengen Blicken nichts entgehen würde. Außerhalb der Kuppel strömten Suchtrupps aus, doch Rinoa ahnte, dass sie ohne Ergebnis zurückkehren würden. Unter den wachsamen Augen kampfbereiter SEEDs untersuchte ein Trupp Techniker den Schauplatz.

Grelle Scheinwerfer leuchteten jeden Winkel des verwüsteten Raums aus. Spezialkameras suchten in allen Farben des unsichtbaren Spektrums nach Hinweisen. Techniker suchten den Raum mit empfindlichen Detektoren ab. Und inmitten all der Ermittlungsarbeiten standen Rinoa, Quistis und Direktor Cid beisammen.

„Rinoa, bitte beschreib mir dem Angreifer noch einmal ganz genau“, sagte Quistis leise aber eindringlich zu ihr.

„Aber das habe ich doch schon zig-mal…“, erwiderte sie seufzend.

„Bitte, Rinoa. Vielleicht erinnerst du dich an etwas, dass du vorhin nicht erwähntest. Etwas, dass uns helfen könnte…“

„Na gut. Also, er… er hatte vier Arme, vielleicht noch mehr. Er trug einen roten Umhang, er richtig eingewickelt in ihn… Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, nur seine Augen. Sie leuchteten.“

Quistis und Cid warfen sich vielsagende Blicke zu. Dann führte der Direktor sie zu einer Metallkiste, auf der die Techniker des Gardens mehrere Computer aufgebaut hatten. Ein Kadett des Gardens saß bei der Anlage und tippte schon die ganze Zeit darauf herum, ohne dass es Rinoa aufgefallen wäre.

„Kadett, zeigen sie Rinoa, was sie herausgefunden haben.“

Auf Cids Anweisung spielte der Kadett eine Grafik ein, die Rinoa erschrecken ließ. Fassungslos deutete sie mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm.

„Da-das ist er!“

Cid nickte langsam.

„Dieses Bild ist aus unserem archäologischen Archiv. Es wurde nach deinen Beschreibungen herausgefiltert. Dabei handelt es sich um eine Wesenheit namens Gilgamesch. Es gibt Aufzeichnungen aus der Centra-Kultur, die seine- “

„Gilgamesch heißt der Typ?“ unterbrach ihn Rinoa. „Na dann schnappen wir uns diesen Mistkerl- “

„Rinoa, hören sie mir doch zu! Dieses Wesen ist eine Gottheit einer versunkenen Zivilisation! Bis heute hätte niemand angenommen, dass er wirklich existiert…“ Cid Kramer ließ einen skeptischen Blick folgen, der von Quistis geteilt wurde. Rinoa bemerkte ihn wohl.

„Was soll das heißen? Glaubt ihr etwa, ich halluziniere? Glaubt ihr, ich habe mir das nur ausgedacht?“ rief sie aufgebracht. Cid hob beschwichtigend die Hände.

„Niemand behauptet das, Rinoa. Wir müssen nur alle Möglichkeiten- ah, Doktor Dodonna. Vielleicht hat er Neuigkeiten für uns.“

Aus dem Team von Technikern kam ein Mann auf sie zu, den Rinoa von früher kannte. Es war Doktor Martine Dodonna, zu früheren Zeiten Direktor des Galbadia-Garden. Im Verlauf des Hexenkrieges verlor er diesen Posten und fand auf Fisherman’s Horizon Zuflucht. Dort entfachte seine Freude an der Wissenschaft erneut, nachdem er in jüngeren Jahren auf dem Gebiet der Forschung tätig gewesen war. Und nun war er der neue Kopf der Forschungsabteilung des Gardens. Unter all den jungen Leuten wirkte er mit seinem grauen Haar und seinen von Sorgenfalten zerfurchten Gesicht etwas deplatziert. Aber seine langjährige Erfahrung war ein großer Gewinn für den Balamb-Garden, wie sich alle bewusst waren.

„Wir haben etwas sehr Interessantes gefunden“, begann er und stellte sein Messgerät auf den Tisch. Dann schlüpfte er aus seinen Kunststoffhandschuhen und schloss das Gerät an einen der Computer an.

„Spannen sie uns nicht auf die Folter, Doktor. Ich hoffe, es sind gute Neuigkeiten“, sagte Cid besorgt. Dodonnas Stirn warf Runzeln.

„Nun, das kommt darauf an…“, erwiderte er kryptisch, während das Gerät seine Messdaten an den Computer übertrug.

„Bitte, Doktor… können sie mir sagen, wo Squall ist“, flehte Rinoa. Dodonna blickte sie mitfühlend an.

„Das kann ich ihnen wirklich sagen, wenn auch nicht sonderlich genau.“

„Und das bedeutet?“ fragte Quistis ernst. Der Doktor zeigte nur auf den Bildschirm, der sich mit verschlungenen Diagrammen füllte.

„Zuerst muss ich erklären, was wir gefunden haben. Es sind Energiepartikel, wie sie normalerweise nicht vorkommen in unserem Raum-Zeit-Gefüge. Sie entstehen nur, wenn ein makroskopischer Gegenstand aus fester Materie zwischen den Dimensionen wechselt.“

„Dimensionen?“ wiederholte Quistis verwirrt.

„Ja, Dimensionen“, erwiderte Dodonna lächelnd. „Interessanterweise genau das Thema, dass ich bei unserem aktuellen Forschungsprojekt behandele. Wenn sie das letzte Rundschreiben näher betrachtet hätten, so wüssten sie davon“, bemerkte er hämisch. „Jedenfalls ist das hier“, er deutete auf die komplizierten Darstellungen auf dem Schirm, „die energetische Signatur unseres ‚Eindringling‘.“

„Heißt das, wir können seine Spur zurückverfolgen?“ Auf Rinoas Gesicht glomm Hoffnung auf. Er nickte langsam.

„Gewissermaßen, ja. Aus diesen Partikeln, die unser Angreifer hinterlassen hat, können wir die Koordinaten seines Herkunftsortes bestimmen.“

„Das heißt, wir können ihn ausfindig machen?“ fragte Direktor Cid mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Tja, es gibt eine gewisse Unschärfe. Wir können den Zielort nicht punktgenau herausfinden. Es ist eher…“ Er suchte nach den passenden Worten. „…als ob sie statt einer Adresse nur das Land einer Person kennen.“

Quistis verdrehte seufzend die Augen.

„Na großartig…“

„Es… es ist besser als nichts“, sagte Cid Kramer vorsichtig optimistisch. „Dieses Projekt, an dem sie gerade in der MD-Ebene arbeiten… es hat etwas damit zu tun, richtig?“

Dodonna nickte eifrig.

„Allerdings. So tragisch dieser Vorfall auch ist…“ Er warf Rinoa einen um Verzeihung bittenden Blick zu. „…aber gleichzeitig ermöglicht er uns die Inbetriebnahme des Apparats, den ich mit meinem Team konstruiert habe. Ursprünglich sollte er dienen, den Transport von Truppen in Nullzeit an jeden beliebigen Ort zu ermöglichen. Das Problem, dass wir hatten, war dasselbe, wie wenn sie angenommen ein Telefon haben, aber keine Telefonnummern, die sie wählen könnten, verstehen sie? Die Koordinaten aus unseren Messergebnissen hier sind eine Art ‚Telefonnummer‘. Es bleibt aber ein gewisses Risiko…“

„Egal. Wir müssen Squall retten“, sagte nun Quistis, die damit Rinoa um den Bruchteil einer Sekunde zuvor kam.

„Aber wie kommt jemand wieder zurück, der diesen Apparat benützt“, warf Direktor Cid ein.

„Genau das ist der Punkt“, antwortete Dodonna, während er nachdenklich den Schirm betrachtete. „Mit einem Gerät wie diesem hier“, er deutete auf den Sensor, der auf dem Tisch stand, „kann man zwar derartige Übergänge entdecken, aber nicht erzeugen. Der Apparat, der momentan in der MD-Ebene steht, ist viel zu groß für einen Transport. Die Entwicklung einer kleineren Version dauert zumindest noch Monate- “

„Solange haben wir nicht Zeit“, unterbrach ihn Rinoa energisch. „Ich bin bereit, das Risiko auf mich zu nehmen. Wann kann es losgehen?“

Dodonna wich ihrem forschen Blick aus und wandte sich an Cid.

„Sie haben meine Erlaubnis, den Apparat zu benützen“, sagte er zu ihr. „Aber sie werden auf keinen Fall alleine gehen. Ich werde ihnen eine Abteilung SEEDs bereitstellen.“

„Ich muss etwas einwerfen“, ging Dodonna dazwischen. „Der Apparat kann nicht unbegrenzt Personen transportieren. Ich kann nur bei maximal…“ Er schaute in die Luft und überschlug eine Rechnung. „…höchstens vier Personen einen einigermaßen risikofreien Transport garantieren.“

„Mist“, fluchte Cid. „Das ist wenig…“

„Das ist genug“, sagte Rinoa finster. „Ich weiß, wenn ich mitnehme…“
 

Sanft strich der Wind über die Winhill-Ebene(Stellt euch dramatische Westernmusik vor.). Kühlung brachte er aber keine. Das Gras war schon mehr braun als grün. Die Hitze eines frühen Sommers dörrte den Boden aus, und der Horizont flimmerte. Seine mit Sporen versehenen Lederstiefel wirbelten bei jedem seiner müden Schritte trockenen Staub auf. Seine umgeschnallten Hosenschützer aus Kuhhaut hatten schon bessere Tage gesehen. Seinen Cowboyhut aus groben Leder trug er tief im Gesicht zum Schutz gegen die Sonne. Der Strohhalm in seinem Mundwinkel tanzte vor Vergnügen, als er seine Herde überblickte. Sie war gewiss nicht die größte im Tal, doch es war ihre. Viel mehr als diese Herde, eine bescheidene Ranch und die Freiheit besaßen sie nicht, aber verflucht, dachte er, was kann sich ein Mann mehr wünschen? Sein Blick wurde nur durch den flimmernden Horizont begrenzt, und die Gitarre in seiner Hand funktionierte immer noch. Es fehlte ihr zwar die eine oder andere Saite, aber hey, dachte er, sie ist eben vom Leben gezeichnet. So wie ich.

Mit einer theatralischen Bewegung stützte er den einen Cowboystiefel auf den Weidezaun. Auf den Oberschenkel stützte er dann die Gitarre und stimmte ein tiefes A an. Oder zumindest das, was er dafür hielt. Ihre ‚Herde‘ sammelte sich aufgeregt am Zaun. Die Tiere wussten, was bevorstand.

„Yeah, Baby…“, raunte er mit seiner vom Whiskey dunkel getönten Stimme, „…jetzt spiel ich euch das Lied vom Tod…“

Gerade als er den ersten Akkord zupfen wollte, hörte er ein unverkennbares Klicken hinter sich. Es waren Sporen, befestigt an Stiefeln, wie er sie trug. Er wusste sofort, was das bedeutete. Mit zu Schlitzen verengten Augen stellte er langsam die Gitarre weg und wandte sich seinem Gegenüber zu. Fast unmerklich tasteten seine Finger nach dem Colt ‚Single Action Army‘ im Kaliber 45, der lässig an seinem Ledergürtel baumelte. Der Strohhalm in seinem Mund bewegte sich nun nicht mehr. Das Ticken der Uhr(wenn eine dabei gewesen wäre), verstummte. Der Hahn seines Revolvers glänzte matt in der Sonne. Seine Finger zuckten. Die Sonne stand am höchsten Punkt es war High Noon. Nun war es soweit-(dramatische Westernmusik verstummt)
 

„Miiitageeesseeeen!“

„Hallo, Selphie-Schatz. Wie geht es meinem kleinen Cowgirl?“

Lachend kam sie auf ihn zu und hielt ihm einen Korb vor die Nase. Gierig sog seine Nase den Duft knusprigen Specks und frischen Brotes ein.

„Mir geeeht‘s wunderbar. Was macht die Arbeit am Zaun?“

Irvine kratzte sich am Hinterkopf.

„Na ja, die Löcher habe ich provisorisch ausgebessert. So bald sollten uns keine Chocobos mehr abhauen. Im Winter muss ich dann es richtig ausbessern. Hm, köstlich!“

Er versenkte seine Zähne in einen Streifen Speck. Selphie breitete einstweilen eine karierte Decke auf dem Boden aus. Dort baute sie alle Speisen auf. Neckisch lächelnd nahm sie Platz und rückte sich ihren überdimensionalen Strohhut zurecht.

„Seeetz dich doch her. Im Sitzen schmeckt es viiiel besser!“

„Du hast wie meistens recht“, antwortete er und nahm den Revolvergürtel ab. Er setzte sich hin und legte ihn sorgfältig auf der Decke ab.

„Waaaarum schleppst du das Ding eigentlich immer mit“, fragte sie und deutete auf den sorgfältig gepflegten Revolver, den Irvine geradezu liebevoll behandelte.

„Ein Cowboy braucht eine Waffe. So ist es nun mal.“

„Aaaaber hier gibt es doch eh keine Indianer?“

Er warf einen ernsten Blick an den fernen Horizont.

„Man kann nie wissen.“ Dann wandte er sich wieder dem Speck und den anderen Köstlichkeiten zu. „Außerdem kann ich so besser unsere Chocobos beschützen.“

„Meeeinst du“, fragte sie lachend und langte in den Korb. Ihre Hand kam mit einer Flasche Wasser wieder zum Vorschein. „Du bist eben ein Revolverheld mit Leib und Seeeele“, krääää- äh, krähte sie vergnügt. Irvine kniff ihr in die Wange und lachte zurück. Das schätzte er so an ihr, seit er sie kannte. Ihre Fröhlichkeit war unverwüstlich. Das Mädchen aus dem Trabia-Garden mit dem süßen Sprachfehler war ihm gleich aufgefallen, schon bei ihrer ersten Begegnung. Doch er hätte nicht im Traum damals geglaubt, dass sie ein Lasso nach seinem Herzen auswerfen und es wie einen wilden Mustang zähmen würde. Und doch hatte er sich mit ihr mittlerweile sesshaft gemacht. Gemeinsam hatten sie sich eine verträumte Ranch in der erst recht verträumten Winhill-Ebene gekauft. Und hier züchteten sie nun Chocobos. Es war ein einfaches, aber glückliches Leben, fernab vom Trubel der großen Welt. Es war ihre kleine Welt, die nur ihnen gehörte. Sicher würden sie nie reich werden mit der Chocobozucht, doch beide waren ein bescheidenes Leben gewöhnt. Sie hatten ein Dach über dem Kopf, mussten nie hungern, hatten eine Arbeit, die ihnen Freude machte- und nicht zuletzt einander. Das Leben im Garden fehlte ihnen nicht- kein bisschen. Sehr wohl vermissten sie ihre Freunde, mit denen sie soviel erlebt und durchgemacht hatten. Doch diese konnten sie ja zeitweise besuchen, und auch für sie stand die Tür bei ‚Selphies und Irvines Chocobofarm‘ immer offen. Und was ihnen gar nicht fehlte, waren Kampf und Zwietracht. Auch wenn Irvine seine Schusswaffen und Selphie ihren gefürchteten Dreisegmentstab ‚Traum oder Illusion‘ weiterhin sorgfältig aufbewahrten, so geschah dies in erster Linie aus Sentimentalität. Zu viele Erinnerungen verbanden sie mit diesen Gegenständen, wenngleich sie derselben Meinung waren, dass ihr Leben lange genug kriegerisch gewesen war.

„Duuu, Irvine. Ich glaube, es kommt ein Unwetter.“

„Unsinn“, gab er zur Antwort und griff nach seiner Gitarre. „Das hätte ich heute Morgen im Urin gemerkt.“

Selphie zupfte an seiner Lederweste, während er ein paar Akkorde, die ihm so einfielen, zupfte.

„Duuu, Irvine, es hat doch gerade gedonnert.“

„Das Mädchen aus Mendoza~ Lala…“, summte er und spielte eine verträumte Melodie. „~deine Küsse vergess ich ni- was ist denn?“

Sie zupfte weiter an seiner Weste und deutete auf den Horizont. Jetzt sah er es auch. Der Strohhalm aus seinem Mundwinkel fiel zu Boden. Die Ragnarok brauste heran und wirbelte Staubschwaden auf. Panisch lief die Chocoboherde auseinander.
 

Etwas vom Gatter entfernt landete die Ragnarok. Selphie und Irvine standen von der Decke auf und sahen, wie die Rampe aus dem Bauch des futuristischen Schiffes glitt. Kaum, dass sie unten war, liefen Quistis und Rinoa herab. Die beiden gingen ihnen entgegen.

„Hallo, ihr beiden!“ rief Irvine erfreut. „Mit euch haben wir ja gar nicht gerechnet- “ Seine Miene erstarrte, als er ihre finsteren Gesichter sah. „Ist was passiert?“ fragte er vorsichtig.

„Hallo, Selphie und Irvine“, begann Quistis kurz angebunden. „Es geht um Squall. Er braucht unsere Hilfe.“

„Waaas ist denn mit ihm?“ fragte Selphie verunsichert. Irvine sah sich um.

„Kommt, gehen wir ins Haus. Dort können wir in Ruhe reden.“
 

Rinoa und Quistis saßen nun mit Irvine am Tisch in ihrer Küche. Selphie kochte einstweilen Tee. Mit zittriger Stimme erklärte ihnen Rinoa die Ereignisse der letzten Nacht, wie sie sich im Schumi-Dorf zugetragen hatten. Selphie ließ vor Schreck fast die Teekanne fallen.

„Waaaas? Irgendein Ding hat unseren Squall entfüüührt? Das ist… furchtbar…“

Kopfschüttelnd schenkte sie ihnen allen Tee ein. Irvine ergriff seine Tasse und betrachtete sie genau. Dann traf sein Blick wieder die beiden.

„Und ihr sagt, es hat ihn in eine andere Dimension entführt?“

Rinoa nickte nervös, während Quistis ihr tröstend die Hand hielt.

„Ja, so ist es“, fügte Quistis hinzu. „Dieser Apparat, den Rinoa vorhin erwähnt hat, kann uns zu ihm… oder besser gesagt, dorthin bringen, wo er jetzt ist. Es können höchstens vier Personen reisen, deshalb…“ Ihr Blick wanderte zu Rinoa, und sie sprach weiter.

„Wir brauchen Leute, denen wir unter allen Umständen trauen können“, sagte sie leise. „Leute, die kämpfen können. Und überleben.“ Ihr todernster Blick traf Selphie und Irvine, die ihr gegenüber saßen. „Ihr habt mit uns Artemisia und Omega Weapon besiegt. Ich weiß, dass ihr die richtigen seid. Ich kann es aber nicht von euch verlangen, ich kann euch… nur bitten.“

Irvine und Selphie sahen sich an. Ihre Blicke waren ernst, selbst der von Selphie. Dann ergriff Irvine das Wort.

******************

„Wir beide haben uns geschworen, nie wieder zu kämpfen… und dieser Schwur bedeutet uns viel, nicht wahr, Selphie?“

Seine Gefährtin nickte nur. Rinoa wurde bange zumute.

„Es gibt aber eine Sache, die uns mehr bedeutet. Und das ist das Band unserer Freundschaft. Squall braucht unsere Hilfe, und ich will verdammt sein, wenn er sie nicht bekommt.“

Rinoas Miene erhellte sich. Neue Hoffnung keimte in ihr auf.

„Das heißt- “

„Das heißt, dass wir ihn zurückholen, darauf kannst du Gift nehmen“, unterbrach er sie mit fester Stimme. Vor Freude strahlend drückte sie beider Hände.

„Ich… ich danke euch…“, flüsterte sie überglücklich.

„Wann können wir looos?“ fragte Selphie ungeduldig.
 

Irvine gab den achtstelligen Code ein, worauf sich summend das elektronische Schloss des Panzerschranks öffnete. Kaltes Neonlicht fiel auf ‚Exeter‘, eine Schusswaffe von einfacher Bauweise, aber aus erlesensten Materialien. Metalle außerirdischer Herkunft waren von den Ingenieuren auf Fisherman’s Horizon zu einer extrem durchschlagskräftigen Waffe verbaut worden. Daneben standen die Behälter mit verschiedenartiger Munition. Irvine steckte sie alle ein, bei einer Packung zögerte er aber. Durch einen Sehschlitz in der Metallkassette drang ein Lichtschein heraus. Es war die Pulsarmunition, die er nur ein einziges Mal bis jetzt verwendet hatte. Hergestellt worden war sie aus seltenen Energiekristallen. Wegen ihrer Radioaktivität musste sie in einem speziellen Behältnis verwahrt werden. Dann steckte er sie auch ein. Zuletzt strich seine Hand über Exeter, als wäre die Waffe lebendig. Was sie für ihn letztendlich auch war. Dann nahm er sie mit einer schwungvollen Bewegung heraus und fühlte ihr Gewicht in Händen.

Er schloss die Augen. In seiner Erinnerung kehrte er in die Vergangenheit zurück, als er sie zuletzt verwendet hatte. Schwerelos trieb er damals durch das Weltall, und ein bizarres Monster schwebte vor ihm. Damals hatte er in einem Moment höchster Not zwei Schuss Pulsarmunition in die zweiläufige Waffe geladen. Der Lichtblitz der Detonation hätte ihm beinahe das Augenlicht geraubt, doch die Zerstörungskraft hatte Artemisia den Rest gegeben.

Seufzend kehrte er in die Gegenwart zurück. Klackend öffnete er den Kippmechanismus. Sein prüfender Blick fiel in die Patronenkammern. Das Metall schimmerte überirdisch, und zufrieden schloss er die Waffe wieder. Er steckte sie weg und schloss die Türen des Schranks. Dann zog er seinen Mantel über, der neben dem Schrank hing und verließ das Haus.
 

Die Ragnarok wartete bereits, und mit ihr Selphie, die sich die höchste Ausbaustufe ihres Dreisegmentstabes, ‚Traum oder Illusion‘ auf den Rücken gehängt hatte. Sie lächelte fröhlich wie immer, und Quistis kam die Rampe herab.

„Wir können starten, wenn ihr soweit seid“, rief sie über den Lärm der Turbinen hinweg. „Und macht euch keine Sorgen wegen euren Chocobos. Ich habe bereits den Garden benachrichtigt, es werden ein paar Kadetten geschickt, die sich um die Farm während eurer Abwesenheit kümmern.“

Es fiel ihr schwer, den Maschinenlärm zu übertönen, und so hob Irvine nur mehr den gereckten Daumen. Dann liefen sie die Rampe hinauf, und Momente später hob die Ragnarok von der Wiese in der friedlichen Winhill-Ebene ab und durchbrach donnernd die Schallmauer.

Alle Vier standen sie nun im geräumigen Cockpit des Schiffes und sahen die Landschaft unter sich vorbeiziehen. Besonders Selphie, die immer so gern geflogen war, genoss den Flug.

„Hach, ist das nicht schön, Irvine?“

Er lehnte an einem der Sitze, während sie sich die Nase an der Scheibe plattdrückte.

„Ja, das ist es. Genau wie in den alten Zeiten…“

„Wir machen übrigens einen Zwischenstopp in Deling-City“, sagte Quistis, die das Schiff steuerte. Irvine schob sich mit dem Zeigefinger den Cowboyhut über die Stirn.

„Sag bloß, wir statten Xell Dincht einen Besuch ab?“

„Allerdings. Er ist die ideale Verstärkung für unser Team. Er war immer einer von Squalls besten Freunden. Außerdem gibt es laut dem Garden-Computerarchiv auf der ganzen Welt keinen besseren Experten im unbewaffneten Kampf.“
 

Knallend traf ihn die Faust am Wangenknochen. Ächzend ging er zu Boden. Das stachelte seinen Gegner nur noch mehr auf.

„Was ist los, Dincht? Machst du schon schlapp?“

Mit flinker Beinarbeit tänzelte er um ihn herum. Nur mühsam kam Xell wieder auf die Beine. Beide trugen denselben roten Karateanzug, so wie alle seine Schüler. Auch wenn im Moment Zweifel entstehen konnten, wer der Lehrer und wer der Schüler sein mochte.

„Das war… ziemlich gut“, lallte Xell und hielt sich den schmerzenden Kiefer. Sein bester Schüler, ein junger Offizier der galbadianischen Armee, der bei ihm sein ohnehin schon hervorragendes Kampfkunstkönnen noch aufbessern wollte, umkreiste ihn leichtfüßig wie eine Gazelle. Auch Xells rechtes Auge war schon etwas verschwollen, und er bereute es bereits, die Herausforderung zu einem Sparringskampf angenommen zu haben. Um die quadratische Reismatte herum saßen all seine Schüler und sahen mit an, wie ihr Lehrer verprügelt wurde.

Mehrmals versuchte Xell die Deckung seines Schülers mit schnellen Schlagfolgen zu durchbrechen, doch es gelang ihm nicht. Gerade noch wehrte er einen Tritt des jungen Galbadianers ab, da traf ihn wieder eine harte Linke. Nur mit Mühe konnte er sich noch auf den Beinen halten.

„Ich frage mich, wer hier eigentlich wem Unterricht geben sollte“, lachte der junge Kämpfer überheblich. Jetzt reichte es Xell. Seine Augen glühten rot auf, und Dampf trat bei seinen Ohren auf. Dann verschwand er im Boden, versickerte wie Wasser. Seinem Kontrahenten fiel die Kinnlade runter. Sekundenbruchteile später materialisierte er sich vor ihm und schoss einer Wasserfontäne gleich aus dem Boden. Das Kreischen eines Delphins war zu hören, und Xell stieg mit einem gewaltigen Aufwärtshaken gen Himmel. Der junge Kämpfer wurde von der Wucht der Attacke nach hinten geschleudert und riss eine Reihe der Schüler am Rande des Kampfplatzes mit sich.

Xell landete auf den Füßen und sah sich um. Erstaunt und begeistert begannen seine Schüler zu applaudieren. Er kratzte sich jedoch nur verlegen am Hinterkopf. Dann ging er auf seinen gerade wieder zu Bewusstsein kommenden Schüler zu. Dieser wurde von mehreren seiner Mitschüler gestützt. Xell streckte ihm die Hand entgegen. Zögernd ergriff dieser sie.

„Ich glaube, ich werde weiterhin unterrichten, was meinst du“, fragte er lachend. Vorsichtig stimmte der junge Mann in sein fröhliches Lachen ein, dann zog er ihn vom Boden hoch. „Wichtiger noch als die Stärke der Arme ist das Herz eines Kriegers, das in dir schlagen muss. Du bist zwar schon ziemlich gut, aber das musst du noch lernen“, belehrte ihn Xell. Die Überheblichkeit des Schülers war nun Demut gewichen, und er verneigte sich ehrfürchtig vor seinem Lehrer. Dieser erwiderte die Geste.
 

Vorsichtig drückte sie ihm den Eisbeutel aufs Gesicht. Xell stöhnte trotzdem auf.

„Uhm… danke, Mary.“

Seine Frau bedachte ihn mit einem tadelnden Blick.

„Was hast du dir dabei nur gedacht…“

„Ich habe ihn doch eh geschnupft(für alle Nordlichter: fertiggemacht)!“

„Ja, aber vorher hat er dich verprügelt“, sagte sie und reichte ihm ein Handtuch.

„Tja, er war doch besser als angenommen.“

„Er wird dich doch keinen Hasenfuß genannt haben“, erklang eine Stimme hinter ihm. Verwundert drehte er sich um. Da sah er sie: Quistis, Rinoa, Irvine und Selphie, die nebeneinander auf ihn zukamen. Irvine, der den Kommentar vom Stapel gelassen hatte, schob sich den Hut hoch und lachte ihn an.

„Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt… was macht ihr denn hier??“

Lachend fielen sie sich alle um den Hals. Xell und auch Mary freuten sich sichtlich über den Besuch ihrer alten Freunde. Dann merkten sie Rinoas traurige, nur verhalten fröhliche Miene. Xell hielt sie an den Schultern und sah ihr genau ins Gesicht.

„Ich freue mich ja wirklich euch zu sehen, aber… etwas ist passiert, richtig?“ Rinoa nickte bekümmert. „Kommt rein, dann reden wir in Ruhe.“

Sie saßen nun alle im Speisezimmer ihres Dojos, dessen Architektur ganz an fernöstliche Gebäude angelehnt war. Vom Fenster aus konnte man in den Hof sehen, in dem Xells Schüler über den Hof verstreut nun Pause machten. Quistis erklärte das Geschehene, während Rinoa hier und da Ergänzungen zu den Ausführungen machte. Mary schenkte ihnen derweil allen Sake in kleine Schalen ein.

„Was?? So ein Dreckskerl“, rief Xell und schlug mit der Faust auf den niedrigen Tisch, dass alle Saketassen einen Sprung machten. „Den knöpf ich mir vor! Wenn ich den erwische…“, knurrte er.

„Ja, und deshalb möchte ich dich fragen… ob du mitkommst“, begann Rinoa vorsichtig. Xell machte ein verdutztes Gesicht und deutete sich mit dem Daumen auf die Nasenspitze.

„Ob- ob ich mitkomme? Was für eine- “ Dann hielt er plötzlich inne. Er erinnerte sich, dass es noch jemanden in seinem Leben gab. Er warf einen fragenden Blick zu Mary, seiner jetzigen Frau, die er in der Bibliothek damals im Balamb-Garden kennengelernt hatte. „Entschuldigt uns einen Moment“, sagte er und ging mir ihr in einen Nebenraum.
 

„Er war früher mein Vorbild, und wurde dann zu meinem besten Freund. Bitte versteh das…“

Mit bekümmertem Gesicht wandte sie sich von ihm ab und ging auf das Fenster zu. Dort sah sie in den Hof, wo sich die Schüler ihrer Kampfsportschule ungezwungen unterhielten, solange ihr Meister weg war.

„Das verstehe ich auch, ich kannte Squall zwar nicht so gut wie du, aber… du wolltest doch dem Garden den Rücken kehren“, entgegnete sie leise. Xell ließ seufzend die Schultern hängen.

„Dazu stehe ich nach wie vor. Für jemanden wie mich war eben kein Platz im Garden“, sagte er nachdenklich und betrachtete seine geballte Faust. „Aber ich tue das nicht für den Garden. Ich tue es für Squall. Und auch für Rinoa und die anderen. Wir haben soviel durchgemacht zusammen… wenn wir nicht so fest zusammengehalten hätten, dann wäre heute keiner von uns hier…“ Er näherte sich seiner Frau von hinten und legte ihr die Arme um die Hüften. „Bitte versteh das. Ich muss ihm helfen. Ich würde es mir nie verzeihen…“, flüsterte er ihr ins Ohr. Dann befreite sie sich aus seiner Umarmung und wandte sich ihm zu.

„Ich weiß“, sagte sie traurig. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich weiß… du musst für ihn da sein. Das verstehe ich…“, hauchte sie und streichelte die Tätowierung auf seiner linken Gesichtshälfte. „Du bist der treueste Mensch auf der Welt, und das liebe ich an dir. Geh und tu für Squall, was in deiner Macht steht. Ich werde auf dich warten.“

Noch einen Moment lang schauten sie sich tief in die Augen, bis er das Verständnis in den Tiefen ihrer vom Abschiedsschmerz erfüllten Augen erkennen konnte. Dann umarmten sie sich noch einmal innig.
 

Er kniete sich auf die Reismatte und verneigte sich tief vor dem Bild seines verschollenen Meisters Zangan. Einen Moment lang betrachtete er das Bild voller Ehrfurcht, vor dem immer Räucherstäbchen brannten. Dann öffnete er den Schrein und nahm eine Kassette aus Ebenholz heraus. Vorsichtig hob er den Deckel. Darin lagen kunstvoll gearbeitete Handschuhe. Sie bestanden aus Adamant, dem härtesten bekannten Metall. Verziert waren sie mit Schlangenhaut. Als er in sie hineinschlüpfte, zuckten kleine statische Entladungen um seine Fäuste. Bewundernd betrachtete er die edlen Stücke, die er so lange nicht getragen hatte. Dann reckte er die rechte Faust zum Himmel.

„‘Ehrgeiz‘… Gott segne den Ring…(erinnert ihr euch?)“
 

Schon raste die Ragnarok über die Galbadia-Großebene, ließ Deling-City hinter sich und überflog das Kap von Holyglory(hört sich bescheuert an, heißt aber wirklich so). Schließlich tauchten die vereisten Küstenstriche der Winterinsel auf, wo der Balamb-Garden immer noch vor Anker lag.
 

In der Zwischenzeit surrte der Aufzug des Balamb-Gardens in die Tiefe. Nur Quistis stand im Aufzug, nachdem sie den Geheimcode für die mittlere untere Ebene eingeben hatte. Es war die Ebene unter dem Garden, aber über der MD-Ebene. Einst hatte dort ein durchtriebener Schumi namens Norg residiert, doch das war lange her. Nun lagerten in der stillen Halle die wertvollsten Ressourcen, die die SEEDs besaßen. Schon lange hatte sie niemand mehr verwendet, doch nach wie vor wurden sie hier gelagert und wie ein Staatsschatz gehütet.

Die Türen glitten auseinander, und Quistis trat in die Halle. An den Wänden standen hohe, versiegelte Behälter. Durch die Sichtfenster drang das matte, verschiedenfarbige Glühen der Materias, die die sogenannten ‚Guardian Forces‘, mächtige Schutzgeister, beherbergten. Zu früheren Zeiten waren sie die wichtigste Machtquelle für die SEEDs gewesen, doch mittlerweile schien ihr Gebrauch auf den Kriegsschauplätzen der heutigen Zeit nicht mehr angebracht. Doch jetzt, für diese gefährliche Mission, schien ihre Zeit wieder gekommen zu sein.

Quistis trat an einen der Behälter heran. Sie zog ihren Handschuh aus und legte die Handfläche auf den Scanner, der ihre Identität zweifelsfrei feststellte. Dann erst glitt die Verkleidung hoch und gab den Blick frei auf eine kleine, leuchtende Kugel. Vorsichtig nahm Quistis sie in die Hand. Sie betrachtete die Kugel und schob sich die Brille zurecht. Etwas ließ sie stutzig werden. Ihre Augen wurden groß-
 

Doktor Martine Dodonna schwenkte den Sensor hin und her. Er gab keinen Ton von sich. Dann legte er die Materiakugel seufzend hin.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie das möglich ist… aber sie sind leer. Einfach weg.“

„Aber… das kann nicht sein!“ rief Direktor Cid. Er, den sonst kaum etwas aus der Ruhe brachte, klang nun richtig nervös. „Niemand kann diesen Raum betreten. Die Sicherheitsmaßnahmen sind viel zu streng!“

„So war es auch beim Schumi-Dorf“, bemerkte Quistis, die mit verschränkten Armen daneben stand. Dodonna und Cid horchten auf.

„Sie hat recht“, erwiderte Dodonna erstaunt. „Es gibt wirklich Parallelen… wenn das dasselbe Phänomen verursacht hat- “

„-dann steckt unser Team in großen Schwierigkeiten“, vervollständigte Cid ihn. „Wir müssen es ihnen sagen. Sie sollten jeden Moment eintreffen.“
 

Kurze Zeit später landete die Ragnarok, und die Vier versammelten sich in der MD-Ebene, wo Doktor Dodonna und sein Team eifrig am ‚Apparat‘ werkten. Es war ein großer Ring, der drehbar gelagert war. Dicke Kabelbäume führten von verschiedenen Maschinen zu ihm. Die Gruppe um Rinoa stand in einer gewissen Entfernung und beäugte das ‚Tor‘ skeptisch.

„Machen sie sich keine Sorgen, Direktor“, begann Xell. „Die Stärke der SEEDs liegt nicht in den Guardian Forces. Er liegt im Zusammenhalt und Teamgeist, nicht wahr, Leute?“

Cid Kramer nickte anerkennend.

„Das hätte ich nicht besser sagen können, Xell Dincht. Auch wenn ich ein besseres Gefühl hätte, hätte ich ihnen unsere Materias mitgeben können. Aber euren Mut und eure Entschlossenheit kann keine Materia der Welt ersetzen.“

Sorgenvoll betrachtete er den Apparat, der allmählich zum Leben erwachte. Dodonnas Team traf die letzten Vorbereitungen, und nun begann sich der Ring surrend und zischend zu drehen.

„So groß meine Freude ist, sie alle wiederzusehen, so hätte ich mir doch einen erfreulicheren Anlass gewünscht. So bleibt mir nichts anderes übrig, als ihnen allen meinen Segen mitzugeben. Sie haben genügend gefährliche Situationen gemeistert, als dass ich Ratschläge geben könnte. Doktor Dodonna wird ihnen noch etwas Wichtiges mitgeben.“

Unter den aufmerksamen Blicken von Irvine, Rinoa, Xell und Selphie erklärte Dodonna ihnen die Funktion eines kleinen Kastens.

„…so wird das Gerät ausschlagen, sollten sie in die Nähe eines Dimensionstores gelangen. Folgen sie dazu einfach der Anzeige.“

Irvine schnippte mehrmals mit den Fingern.

„Äh, Doktor… nur eine Frage: und wenn wir kein Tor finden?“

Dodonna erwiderte seufzend seinen fragenden Blick.

„Diese Möglichkeit besteht natürlich. Wir arbeiten allerdings schon an einer Methode, ein Tor zu öffnen, durch das sie zurückkönnen. Es ist eine Frage der Zeit. Ich verstehe, dass sie baldigst aufbrechen wollen, aber wenn wir mehr Zeit- “

„Wir haben aber keine Zeit“, unterbrach ihn Rinoa. „Squall steckt in wer-weiß-was für Schwierigkeiten. Ich vertraue darauf, dass sie eine Lösung finden“, sprach sie in einem versöhnlicheren Ton weiter. „Sie werden uns da rausholen, das weiß ich.“

Er erwiderte ihren vertrauensvollen Blick. In diesem Moment zuckte ein Lichtblitz durch die MD-Ebene- das Tor war aktiv, und eine leuchtende Oberfläche bedeckte nun den Ring.
 

„Ich würde gern mit euch mitgehen“, erklärte ihr Quistis bedauernd.

„Es ist okay“, tröstete sie Rinoa. „Du hast schon viel für uns getan. Der Garden braucht dich mehr den je, jetzt wo Squall… jetzt, wo er weg ist.“ Sie atmete tief durch. „Halte hier die Stellung. Wir sind sicher bald zurück.“

Dann umarmten sich die beiden innig, bevor Rinoa wieder zu den anderen ging. Sie warteten bereits auf der Rampe, die zu dem gleißend hellen Tor führte. Ihnen allen war die Anspannung vor dieser Reise ins Ungewisse anzumerken. Selphie trat von einem Fuß auf den anderen. Irvine hielt seine Waffe lässig über die Schulter gelegt, doch sein Gesicht drückte ebenfalls Nervosität aus. Xell schlug sich mit der Faust auf die Handfläche, um sich Mut zu machen. Rinoa blickte ernst in das Tor. Verschwommen sah sie die Spiegelbilder von sich und ihren Freunden darauf. Dann dachte sie an Squall, was ihr im selben Moment Mut einflößte- und tat den entscheidenden Schritt. Ihre Freunde zögerten keinen Moment, und schon waren sie durch. Voller banger Gefühle wurden Quistis, Direktor Cid, Dodonna und seine Techniker Zeugen, wie sie verschwanden…

Cd-2-Ra-2

So… erstmal herzlichen Glückwunsch! Ihr habt euch also durch die ersten beiden Kapitel gekämpft. Sie fanden parallel statt und beschrieben, wie die Helden des 7.und des 8.Teiles ihre bizarre Reise antraten. Ich werde die beiden Handlungsstränge nun weiterstricken, und andere werden noch hinzukommen, also lasst euch überraschen. Und jetzt machen wir mit Clouds Truppe weiter. Achtet darauf, wo es sie hin verschlagen hat…
 


 

Nur ganz langsam kam Licht in ihre Welt. Allmählich schälten sich Konturen aus ihr heraus, als sie blinzelte. Etwas blendete sie, dann warf wieder ein anderer Gegenstand kühlen Schatten auf sie. Dieser Gegenstand… es war ein Kopf. Der Traum wurde deutlicher, und dann sah sie, dass dieser Kopf langes, wallendes Haar hatte. Tiefrote Augen blickten sie an, und nun erkannte sie ihn.

„Oh, Vincent…“, hauchte sie entzückt. Sie wollte diesen Traum nicht mehr loslassen, zu schön war er. Und so streckte sie die Hand nach seinem Gesicht aus, um ihn zu berühren. Dann traf sie eine schallende Ohrfeige-
 

„Bist du verrückt!?“ blaffte sie ihn an. Yuffie war nun schlagartig wach, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie lag auf dem Boden. Vincent kniete bei ihr über sie gebeugt. Dann rieb sie ihre schmerzende Wange. Vincent zuckte nur mit den Schultern. „Hättest mich nicht so hauen brauchen…“, flüsterte sie beleidigt. „Ein Kuss wäre auch nicht schlecht gewesen“, fügte sie kichernd hinzu. Vincent seufzte nur und erhob sich. Gern ergriff sie seine Hand, als er ihr hoch half. Gerade wollte sie ihm noch weitere Anzüglichkeiten zuflüstern, als ihr die Kinnlade runter klappte.

„Ist sie jetzt wach“, fragte Cloud, der ein paar Schritte abseits stand. Neben ihm stand Barret, und die beiden unterhielten sich offenbar konzentriert über etwas. Yuffies Blick ging am teilnahmslosen Vincent vorbei und glitt am malerisch plätschernden Springbrunnen hoch, der mitten auf dem Platz stand. Dann musste sie ihre Hände gegen die pralle Sonne beschirmen, die auf den Platz herunterbrannte. Fassungslos wanderte ihr Blick weiter auf die Menschen um sie herum. Sie waren auf einem belebten Platz, an dem ein reges Kommen und Gehen herrschte. Die Leute trugen dem heißen Klima angemessene Kleidung. Frauen wie Männer hatten weite Pumphosen an und knappe Oberteile. Dann sah sie die ringsum aufragenden Gebäude. In Rot und Brauntönen gehalten, waren sie oft auch noch bunt verziert. Prächtige Banner hingen von so mancher Fassade herab. Sie kam nicht mehr aus dem Staunen.

„He, Leute…“, murmelte sie mit offenem Mund, „wo sind wir hier…?“

„Cloud versucht das gerade herauszufinden“, antwortete Vincent gelassen.
 

„He, Bürschchen“, rief Cloud einem vorbeilaufenden Jungen zu. Der Junge machte Halt und wandte sich ihm zu. „Diese Stadt… wie heißt sie?“

„Euch hat wohl die Sonne in der Dalmasca-Wüste nicht gut getan, werter Herr? Ihr seid natürlich in Rabanastre, der königlichen Hauptstadt von Dalmasca“, rief er lachend, um dann weg zu laufen. Cloud und Barret blickten ihm skeptisch hinterher.

„So ein Frechdachs. Rabanastre…“, wiederholte Cloud murmelnd. „Hast du das schon mal gehört, Barret?“ Sein dunkelhäutiger Freund schüttelte den Kopf.

„Nie im Leben. Ich sehe hier jedenfalls weder so einen Freak, wie du ihn beschrieben hast, noch Tifa.“ Knurrend nahm er seinen mechanischen Arm in die Hand. „Diese Schufte von Shinra… die haben uns wer weiß wohin geschickt! Grrr, wenn ich diesen Rufus in die Finger bekomme… dann drehe ich ihn durch die Mangel!“

„Immer mit der Ruhe, Leute“, kam Yuffie dazwischen. „Und wenn sie wirklich hier irgendwo ist? Wir müssen halt suchen, oder dachtet ihr, dass sie hier sitzt und wartet? Typisch Männer…“, schnaubte sie und schüttelte den Kopf.

„Yuffie hat Recht. Wir sind gerade erst angekommen, wo immer wir hier auch sind… Wir sollten mit der Suche beginnen“, meinte Cloud.

„Und wo?“ fragte Vincent. „Diese Stadt scheint groß zu sein…“

„Egal, wir durchkämmen sie komplett“, sagte Barret mit fester Stimme. „Sie kann nicht größer als Midgar sein. Und dort habe ich mich auch zurecht gefunden!“

Und so setzte sich die Gruppe in Bewegung. Cloud steuerte willkürlich eines der vier Tore an, die in den Platz mündete. Im Vorbeigehen blieb Yuffies Blick an einem Wesen hängen, das sich mit einem Menschen unterhielt.

„He, Leute! Was ist das?“

Die anderen wandten sich um und blickten in dieselbe Richtung. Das Wesen hatte einen hundeförmigen Kopf, grobe Klauen statt Hände, bewegte sich aber aufrecht. Es trug für diesen Ort normale Kleidung, bei der hinten ein Schweif heraushing. Barret schüttelte nur den Kopf.

„Eine verdammte Freakshow ist das hier, ich sage es euch…“

Cloud betrachtete das Wesen, das sich angeregt unterhielt, mit Erstaunen.

„Kupo!“

Cloud fuhr herum, sah aber nichts.

„Hä?“

„Kupopo! Hier unten!“

Er senkte seinen Blick, bis er das knapp einen Meter große Wesen erblickte. Es sah aus wie eine überdimensionale Maus in geschmacklosen Klamotten.

„Das wird ja immer schlimmer“, murmelte er. „Sprechende Mäuse…!“

„Wie? Was sagt ihr, Kupo?“

„Äh… nichts. Garnichts.“

Die anderen umkreisten das kleine ulkige Wesen und schauten misstrauisch auf es herab. Fröhlich und arglos erwiderte es ihre Blicke.

„Ihr seid neu in dieser Stadt, richtig?“

Cloud nickte langsam.

„So könnte man es sagen…“

„Dann habt ihr großes Glück, mich getroffen zu haben, Kupo!“

„Und warum das…?“ fragte Cloud argwöhnisch. Das Wesen sprang wie ein Gummiball auf und ab.

„Weil, Kupopo, ich die besten Karten überhaupt verkaufe!“

„Was soll immer das Kupo…“, flüsterte Yuffie Vincent zu. Dieser schüttelte nur seufzend den Kopf.

„Karten, so, so. Und was kosten die?“

„Eine Karte von Rabanastre kostet den kupomässigen Preis von 50 Gil!“

Alle vier erstarrten. Sie warfen sich vielsagende Blicke zu.

„Sagtest du… 50 Gil?“ fragte Cloud nach. Das Wesen schüttelte begeistert den Kopf, so dass sein Bommel hin und her sprang. Dann langte Cloud in seine Tasche.

„Gib mir vier Stück davon.“

Sie tauschten Geld gegen Karten, und das Wesen begann fröhlich zu tanzen.

„Da~danke sehr! Und diesen Kupotipp gibt es gratis dazu: Wenn ihr euch in der Stadt fortbewegen wollt, dann nutzt doch die Mog-Taxis! Sie sind schnell, bequem und völlig gratis! Meine Verwandten betreiben das, und ihr könnt es also nicht übersehen!“

Cloud reichte die Karten, die aus bunt bemalten, vergilbten Pergament bestand, an die anderen weiter.

„Mog-Taxis?“

„Ja, Teleport-Taxis, betrieben von Mogrys! Es gibt welche bei den Toren, die aus Rabanastre herausführen, sowie eines am Muzzur-Bazar. Einen kuposchönen Tag wünsche ich noch?“ trällerte das Wesen und stolzierte davon. Cloud blickte ihm stirnrunzelnd hinterher. Dann wandte er sich an Barret, der die Karte studierte.

„Hm… so groß ist diese Stadt nicht“, murmelte er mit zusammengekniffenen Augen.

„He, Leute. Die haben hier dieselbe Währung wie bei uns daheim?“ rief Yuffie in die Runde.

„Ist schon komisch…“, erwiderte Cloud. „Na ja… einfallslose Programmierer(*grins*)“

Yuffie schaute unschlüssig auf ihre Karte und trat von einem Bein aufs andere.

„Und jetzt? Wo fangen wir an?“

Cloud und Barret studierten konzentriert eine Karte. Vincent stand mit verschränkten Armen teilnahmslos daneben, als ob ihn das alles nichts anginge, wie so oft.

„Ich würde vorschlagen…“, begann Cloud gedehnt, „…wir teilen uns auf. Jeder marschiert mit seiner Karte los und fragt nach Tifa oder diesem Gilgamesch.“ Cloud blinzelte gen Himmel. „Es ist jetzt Mittag… ich würde sagen, wir treffen uns hier auf diesem Platz gegen Abend wieder, okay?“

Alle nickten, bis auf Yuffie.

„Uns… aufteilen? Ist das nicht unvorsichtig?“

Cloud sah sich um.

„Diese Gegend sieht ziemlich friedlich aus. Es gibt auch sowas wie Wachen“, sagte er und deutete auf die Gestalten, die an allen Zugängen standen und ehrfurchteinflößende Rüstungen trugen. Gelangweilt stützten sie sich auf ihre Lanzen. So sahen Wachen überall im Universum aus.

„Ja, aber… ich kleines Mädchen in einer großen, fremden Stadt?“ Cloud verschränkte die Arme und legte den Kopf schief. „Yuffie, die große Ninja-Meisterin aus Wutai, fürchtet sich also…“ Sie machte eine unbedarfte Miene und blinzelte hilflos. „Okay. Dann bilden wir eben Teams. Ich gehe mit Barret und du mit Vincent.“

Sofort besserte sich ihre Laune. Vincent tippte sich ungläubig an die Brust.

„Wieso ich… mit ihr?“

„Ihr beide versteht euch sicher prächtig. Ihr seid bestimmt ein gutes Team. Also, bis am Abend.“ Schon machten Cloud und Barret sich auf ihren Weg. Vincent sah ihnen fassungslos hinterher. Yuffie rieb sich die Hände und flüsterte:

„Danke, Cloud, hi, hi…“

„Was?“

„Äh… nichts“, erwiderte sie und legte die Hand vor den Mund. Vincent blickte seufzend auf den Plan.

„Nun… wo fangen wir jetzt an?“

„Vincent…“

Verdrossen ließ er die Karte sinken.

„Ja?“

„Es ist doch ziemlich heiß, ich meine nur…“ Sie blickte pfeifend in die Luft. „Deine Kleidung… ich meine, du könntest ja etwas- “

Er machte auf der Stelle kehrt und ging mit schnellen Schritten los.

„Am besten fangen wir dort an“, sagte er und deutete Richtung Horizont. Eilig folgte sie ihm.

„Warte doch auf mich, Vincent…!“
 

Barret und Cloud gingen durch eines der Tore. Dort kamen sie an den Rand der Stadt. Durch einen breiten Durchgang sahen sie, was sich außerhalb der Stadt befand: Wüste, so weit das Auge reichte. Gebannt blickten sie in die Ferne. Dann sprach Cloud einen vorbeigehenden Mann an.

„Guter Mann, sagen sie mir, ist diese Stadt denn komplett von Wüste umgeben?“

Er sah ihn an, als würde er an seinem Verstand zweifeln.

„Aber ja! Dalmasca ist ein Wüstenstaat, das müsstet ihr doch gemerkt haben!? Es sei denn, ihr habt den Flug mit dem Luftschiff komplett verschlafen…?“

Cloud und Barret blickten sich an. Dann nickte er eilig.

„Ja, äh… genauso ist es. Wir… sind von weit weg und haben keine Ahnung von diesem Land.“

Der Mann musterte die beiden von Kopf bis Fuß.

„So, so. Ich vermute, ihr beiden stammt aus Archadis, eurer Kleidung nach?“

Wieder nickte Cloud eilig.

„Archadis. Ganz genau.“

Kopfschüttelnd ging der Mann weiter. Im Weggehen murmelte er noch so etwas wie: immer diese Blödmänner aus Archadis…

„Tja, das wird uns wohl noch öfter passieren“, sagte Cloud und ging weiter. Barret knurrte nur kurz und folgte ihm. Plötzlich erstarrte er. Gleich neben dem Stadttor gab es ein Gatter- voller Chocobos. Neugierig kamen sie näher. Ein Mogry schien der Besitzer des Standes zu sein. Er hing an einem Luftballon- warum auch immer. Sofort bemerkte das Wesen ihr Interesse.

„Hallo, Reisende! Ich bin Gardy und vermiete Chocobos! Ihr braucht einen Chocobo? Ein Ausritt kostet nur 500 Gil!“

Verwundert starrten sie in das Gehege, in dem die gelben Laufvögel umher stolzierten. Cloud deutete mit dem Zeigefinger auf die Tiere.

„Es gibt hier… Chocobos?“

Der Mogry namens Gardy nickte mitleidig.

„Ja, die gibt es! Wir mögen hier nicht so modern sein wie bei euch in Archadis, aber Chocobos haben wir allemal, Kupo!“ fügte sie ärgerlich hinzu. Unter ihren misstrauischen Blicken entfernten sie sich von dem Gehege. Cloud schüttelte fassungslos den Kopf.

„Schon wieder ein Déjà-vu…“

Barret beschäftigte sich mit dieser Seltsamkeit nicht länger. Die nächste Person, die an ihnen vorbeiging, sprach er an.

„Hey, Narr- äh, ich meine, alter Mann! Hast du eine Frau namens Tifa gesehen?“

Der Angesprochene, ein Greis, der bereits am Stock ging, kam langsam näher.

„Hä? Wie sieht sie denn aus?“

Barret erklärte dem offenbar schon etwas senilen Mann Tifas Äußeres. Zahnlos grinsend nickte er.

„Ah, ich verstehe! Wo es solche Frauen gibt, weiß ich!“

Barret verzog das Gesicht.

„Aber wir suchen eine Tifa, verdammt…“

„Ja, ja, das weiß ich, hi, hi…“ Wieder folgte zahnloses Lachen. Dann wurde er schlagartig ernst. „Ich weiß, wo ihr sie findet“, flüsterte er geheimnisvoll. „In der Un-ter-stadt“, sagte er und betonte jede Silbe einzeln. Dann ging er heiser lachend weiter. Cloud, der das alles aus der Entfernung verfolgt hatte, hob eine Augenbraue.

„Der Alte war doch nicht ganz dicht…“

„Es ist zumindest eine Spur“, sagte Barret schulterzuckend. Cloud schüttelte seufzend den Kopf.

„Na ja, besser als gar nichts… wo ist diese ‚Unterstadt‘ überhaupt…“

Er sah im Plan nach. Dann hob er den Blick. Gleich neben ihnen fand sich ein großes, rundes Tor, das abwärts führte.
 

Yuffie und Vincent schlenderten durch die fremdartige Stadt. Mehrmals sprach Yuffie Passanten an und fragte nach einer Tifa, doch ohne jeden Erfolg. Nach einer Weile kamen sie in eine schmale Straße, die einen Bazar beherbergte. Dicht an dicht standen dort Verkaufsstände, deren Besitzer die unterschiedlichsten Waren lautstark anpriesen. Überall zischte oder brodelte es aus Garküchen. Es herrschte dichtes Gedränge von Menschen und den seltsamen hundeschnauzigen Wesen, die alle entweder Waren begutachteten oder bereits heftig mit den Händlern feilschten. Fasziniert sah Yuffie sich in dieser exotischen Umgebung um.

„Unglaublich, siehst du das alles? Wie interessant, das ist ja fast wie Urlaub“, sagte sie von all den fremdartigen Eindrücken in Erstaunen versetzt. Vincent ging hinter ihr her und zeigte nur mäßiges Interesse.

„Vergiss nicht, warum wir hier sind. Wir haben eine ernste Mission“, belehrte er sie. Sie verzog das Gesicht.

„Ja, ja, das weiß ich. Aber wenn wir schon mal hier sind…“

Schließlich landeten sie am Ende des Bazars, und Yuffie hatte sich tatsächlich eine laut Händler ‚unglaublich wertvolle‘ Halskette zum Spottpreis von 20 Gil andrehen lassen. Vergnügt hängte sie sie sich um.

„Na, wie gefalle ich dir damit“, fragte sie lachend.

„Wunderbar“, murmelte Vincent hinter seinem Stehkragen. Yuffie überhörte den Sarkasmus gezielt.

„Echt? Danke!!“ erwiderte sie und umarmte ihn ohne Vorwarnung. Mit leidender Miene ließ er dies über sich ergehen. Dann gingen sie weiter, Vincent mit einen unglücklichen Gesicht, und Yuffie verschlagen grinsend. Plötzlich blieb sie stehen.

„He? Schon wieder einer von der Sorte?“

An einer belebten Ecke stand ein Mogry vor einem auffälligen Mast, an dessen Spitze sich ein unübersehbares Leuchtsignal befand. Neugierig ging sie auf ihn zu.

„Hallo, Kleiner!“ begann Yuffie fröhlich, während Vincent mit verschränkten Armen schweigend hinter ihr stand. Die überdimensionale Ratte trug einen noch überdimensionaleren Hut, unter dem sie beinahe verschwand. Der Bommel schwang hin und her, als sie tanzend antwortete.

„Hallo! Ich gehöre zum Mog-Taxi-Unternehmen! Wo kann ich euch hinbringen?“

„Äh… nirgends, im Moment. Aber wir sind neu hier in der Stadt“, erklärte Yuffie etwas verlegen. „Eigentlich suchen wir jemanden. Ist dir vielleicht eine Frau begegnet, etwas älter als ich, namens Tifa?“

Der Mogry griff sich überlegend an seinen Mäusekopf. Dann schüttelte er traurig den Kopf.

„Gut… dann kennst du vielleicht eine böse, böse Kreatur namens Gilgamesch?“

Wieder Kopfschüttelnd.

„Nein, tut mir kupoleid! Bösen Leuten gehe ich lieber aus dem Weg“, erklärte er lachend. „Im Gegensatz zu dem Vetter des Schwagers des Bruders meiner Cousine zweiten Grades, Kupo, dem guten, alten Mont Blanc!“

Yuffie bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick.

„Aha, sehr interessant… was macht denn dieser Mont Blanc so?“

„Oh, er ist Anführer des Monsterjägerklans ‚Zenturio‘! Er kennt sich mit bösen Leuten aus, Kupo!“
 

War die Luft vorhin heiß und trocken gewesen, so war sie nun heiß, trocken und stickig. Langsam gewöhnten sich Clouds und Barrets Augen an das Halbdunkel, das in der Unterstadt von Rabanastre herrschte. Nur hie und da fiel durch Maueröffnungen Licht hier herunter.

Sie bahnten sich einen Weg durch das Gedränge, das in den schmalen Gängen stärker zur Geltung kam als an der Oberfläche der Stadt. Dicht an dicht fügten sich hier kleine Läden, Kebapstände(??) und winzige Buden aneinander, deren Chaos nur vermuten ließ, was sie denn eigentlich anboten. Es herrschte hier ein buntes Durcheinander von Menschen und anderen Wesen. Wachen wie an der Oberfläche gab es hier aber keine, wie ihnen bald auffiel. Barret rümpfte die Nase.

„Kommt mir bekannt vor…“, knurrte er. Cloud blickte ihn fragend an. „Der Gestank. Ist wie im Sektor 7 früher, nur heißer. Slums stinken wohl überall gleich im Universum…“

„Vielleicht haben wir dann hier mehr Glück“, erwiderte er und ließ den Blick über die Menge schweifen.

Aufmerksam schlenderten sie durch die verwinkelten Gänge des unterirdischen Stadtviertels. Schließlich kamen sie auf eine Art ‚Platz‘. Über einen etliche Meter breiten Schacht hing eine Plattform aus Gittern. Über ihr befand sich eine der wenigen Stellen, an der man den Himmel sehen konnte. Mehrere Zugänge führten auf den runden Platz, und trotz der düsteren Bodenlosigkeit darunter saßen und tratschten dort mehrere Generationen sorglos bei- und miteinander. Kinder spielten, Erwachsene debattierten eifrig, und alte Männer und Frauen saßen einfach da und verfolgten gelassen das Geschehen.

„Hm… hier können wir ein bisschen rumfragen“, meinte Cloud und ging auf den Platz zu. Im Gegensatz zur Oberfläche fand hier niemand ihre Erscheinung seltsam. Allerdings lief eine Gruppe Kinder zusammen, um Barrets mechanischen Arm zu bewundern.

„He, du“, rief eines der mutigeren Kinder. „Kannst den Handschuh mal ausziehen?“

Barrets finstere Miene hellte sich auf. Kinder schafften es stets, seine raue Schale aufzuweichen.

„Nein, leider nicht“, antwortete er lachend. Dann hob er eines der kleineren Kinder auf seinen Arm. Staunend besah es sich die Welt von dort oben. Bald war er umringt von Kindern, die in ihm einen großen Spielkameraden gefunden hatten.

Cloud mischte sich einstweilen unter eine Gruppe von Leuten, die die Mitte der Plattform für sich beanspruchten. Als er sich näherte, beäugten sie ihn skeptisch.

„Mahlzeit, alle miteinander“, begann Cloud locker. „Kann mir einer von euch sagen, wer hier der Bürgermeister ist?“

Die Menschen der Unterstadt sahen sich schmunzelnd an.

„Du bist in Dalmasca, und Königin Ashelia regiert hier, wenn du das meinst“, erwiderte ein junger Mann lachend. „Wer bist du und von wo, dass du solche Fragen stellst?“

„Ich heiße Cloud Strife, und das da“, er deutete auf Barret, der ausgelassen mit den Kindern spielte, „ist Barret Wallace. Wir suchen jemanden, der uns sehr am Herzen liegt.“

„So, so. Ich bin Samaru. Wobei du aber damit nicht gesagt hast, von wo ihr kommt. Doch nicht etwa aus Archadis?“

Wieder stießen sich die Leute lachend mit den Ellbögen an.

„Wäre das so schlecht?“ fragte Cloud mit hochgezogener Braue.

„Nun, es wäre ungewöhnlich. Normalerweise verirrt sich kein wohlhabender Tourist aus Archadis hier hinunter.“

„Wir sind von noch weiter weg, mehr kann ich im Moment nicht sagen.“ Und würdet ihr auch nicht glauben, fügte Cloud in Gedanken hinzu.

„In Ordnung, geheimnisvoller Fremder. Ich traue dir jedenfalls. Und weißt du auch warum?“

Cloud zuckte mit den Schultern.

„Dein Freund Barret, er versteht sich gut mit den Kindern. So jemand führt nichts Böses im Schilde. Um auf deine Frage zurückzukommen…“ Samaru, der im Schneidersitz dasaß, wie die meisten Anwesenden, lehnte sich bequem zurück und begann zu erklären.

„Die Obrigkeit kümmert sich nicht viel um das, was hier unten passiert. Für die existieren wir kaum! Auch wenn unsere verehrte Prinzessin versprochen hat, etwas für uns zu tun, so hat sich gar nichts gerührt!“ Zustimmendes Gemurre erklang von allen Seiten. „Als der Krieg mit Archadis vorbei war, sollte endlich was für uns geschehen! Den stinkenden Kanal wollten sie woanders hinleiten…“ Er deutete mit dem Kopf zur Seite, wo in der Tiefe fauliges Wasser vorbeiplätscherte. „…und was weiß ich noch alles. Passiert ist rein gar nichts. Wir sind uns hier unten selbst überlassen. Und unser Oberhaupt, wenn du so willst, ist am ehesten der alte Dalan.“

„Dalan…“, wiederholte Cloud. „Wo kann ich ihn finden?“

Samaru deutete wieder mit dem Kinn in eine Richtung. Für eine Bewegung der Hände war er wohl zu faul.

„Wenn ihr vorm Südtor steht, gleich links. Wen sucht ihr überhaupt?“

„Eine Frau namens Tifa“, erklärte Cloud. „Wir wurden hier runter geschickt von einem alten Mann, der sagte, sie könnte hier sein.“

Samaru runzelte die Stirn.

„Hier unten, eine fremde Frau? Vielleicht meinte er das Nuttenviertel im Norden“, rief Samaru, und alle stimmten in sein Gelächter ein. Cloud griff sich an die Stirn. Soviel zum Geschwafel alter, verkalkter Männer…

„Na ja… jedenfalls Danke für den Tipp“, seufzte Cloud und wandte sich von ihnen ab. Er ging zu Barret, der nun auf jeder Schulter ein Kind transportierte.

„Es gibt eine neue Spur. Gehen wir.“

Vorsichtig setzte er die Kinder ab. Wehmütig blickten sie ihm hinterher, als die beiden gingen.
 

Kurze Zeit später standen sie vor einer Fassade, die genauso verkommen wirkte wie alle anderen in der Unterstadt.

„Das muss es sein“, meinte Cloud und trat ein.

Durch einen niedrigen Durchgang kamen sie in eine winzige, längliche Wohnung. Auch hier spielten Kinder, und am Ende des Raums, vor einem Vorhang, saß ein Greis mit langem Bart und wirren Haaren. In der einen Hand hielt er eine qualmende Pfeife, mit der anderen kraulte er eine Katze, die auf seinem Schoß lag. Neugierig betrachteten seine wachen Augen die beiden Besucher. Cloud setzte sich zu ihm auf dem Boden, während Barret in geringem Abstand wartete.

„Seid ihr Dalan? Man sagt, ihr wärt das Oberhaupt dieser Gegend.“

„Oh, ich? Wer behauptet denn das, hi, hi…“

„Mein Name ist Cloud, und das da drüben ist Barret. Wir suchen jemanden- “

„Oh, ja, jeder sucht doch irgendwas heutzutage!“ unterbrach er ihn mit seiner schrillen Stimme. „So mancher sucht sein Glück, während andere schon mit einer warmen Mahlzeit zufrieden wären, hi, hi…“

Cloud verdrehte genervt die Augen.

„Wie auch immer… wir suchen eine Frau namens Tifa. Ihr habt nicht zufällig etwas von ihr gehört oder gesehen?“ Der alte Dalan kratzte sich mit der freien Hand am Kinn, was ein hörbares Geräusch verursachte. Dann schüttelte er den Kopf, so dass seine wirren Haare umherflogen. „Na gut… dann habt ihr vielleicht etwas von einem gewissen Gilgamesch gehört?“

Die Augen des Alten wurden groß. Sie funkelten heftig, und diesmal nickte er.

„Aber ja! Den kenne ich, hi, hi. Ich bin zwar nicht unbedingt weise, aber guuut informiert, hi, hi…“

Cloud rückte ein Stück näher.

„Ehrlich? Wo ist er?“

„Na, da, wo er meistens ist. Er ist doch mein Nachbar, hi, hi!“
 

Krachend flog die Tür der Wohnung nebenan auf, als Cloud dagegen trat. Mit forschen Schritten kam er in den einzigen Raum und zog Hexagon. Mit einem klirrenden Geräusch fuhren die Hälften der Klinge auseinander und zeigten auf einen dicklichen Mann, der völlig perplex von einer dampfenden Schüssel aufsah. Überraschung und Entsetzen zeichneten sich auf seinem von roten Pausbacken dominierten Gesicht ab. Seufzend ließ Cloud das Schwert sinken.

„Heißt du etwa Gilgamesch?“ Die roten Pausbacken bewegten sich auf und ab. „Tja, dann entschuldige ich mich für die Störung.“
 

„Wieder ein Griff ins Klo“, knurrte Barret. Missmutig schlenderten sie durch die belebten Gänge der Unterstadt.

„Vielleicht hatten ja Yuffie und Vincent mehr Glück“, murmelte Cloud. Ihr zielloser Weg führte sie in eine Seitengasse. Hier war niemand zu sehen, und so drehten sie sich um. Mit einem Male kam eine Gruppe junger Burschen auf sie zu.

„Ihr habt euch wohl verirrt“, begann einer von ihnen, wohl ihr Anführer. Genauso schmächtig wie seine Kumpels, doch durch ihre Anzahl fühlten sie sich wohl stark. „Als Fremder kann man sich sehr leicht hier verirren“, erklärte er mit gespieltem Mitgefühl. „Zum Glück habt ihr uns getroffen. Für ein paar Gil sagen wir euch, wie ihr hier wieder rauskommt.“

„Danke, aber wir finden den Weg auch so“, entgegnete Cloud und wollte gehen, doch sie versperrten ihnen den Weg. Barret begann zu knurren.

„Na, na, nicht so eilig! Das ist eine gefährliche Gegend, ich bezweifle, dass ihr auf unseren Schutz verzichten könnt, nicht wahr, Kameraden?“

Sie sahen sich einem Haufen grinsend nickender Halbstarker gegenüber. Dann reichte es Barret. Laut surrend entfaltete sich sein mechanischer Arm. Blitzend und zischend machte sich die Plasmakanone bereit. Von dem Schauspiel verschreckt, liefen die Halbstarken in alle Richtungen davon. Grimmig lächelnd hielt Barret die Kanone vor sich.

„Diese Rotzlöffel! Ich habe schon Ghettos kontrolliert, da haben die alle noch in ihre Windeln geschissen! Diese Narren…!“

Cloud klopfte ihm beruhigend auf die Schultern, dann setzten sie ihren Weg fort.
 

Die Sonne über diesem fremdartigen Land sank und tauchte alles in satte Rottöne. Cloud und Barret waren nun wieder am Platz, an dem sie in diese Welt gekommen waren. Cloud saß am Rande des Springbrunnens und starrte gedankenabwesend in das plätschernde Wasser. Barret lief mit verschränkten Armen auf und ab. Er wirkte nervös und knurrte vor sich hin. Vorbeigehende Passanten machten einen Bogen um ihn.

Hin und wieder hob Cloud den Blick und sah sich um. Die Sonne ging bereits unter, und von Yuffie und Vincent war noch immer nichts zu sehen. Wieder starrte in den lieblich plätschernden Brunnen.

Verdammt… keine Spur von Tifa. Und auch kein Schimmer, wie wir zurückkommen.

Er nahm das PHS aus der Tasche und betrachtete es nachdenklich.

PHS… erinnert mich an irgendwas… na ja, egal.

Es zeigte nichts an, der Bildschirm blieb leer. Schnaubend steckte er es wieder weg.

Ich hätte alleine gehen sollen… ich hätte die anderen nie hineinziehen dürfen-

„Hey, Leute! Da sind wir!“

Cloud blickte auf, und auch Barret drehte sich um. Yuffie kam heran gelaufen. Hinter ihr kam Vincent, der Mühe hatte, Schritt zu halten.

„Na endlich“, brummte Barret. „Ich dachte schon, wir müssten die zwei jetzt auch noch suchen.“

Fröhlich lachend baute sich Yuffie vor den beiden auf. Vincent stand hinter ihr und blickte unbeteiligt zur Seite.

„Na ihr schaut vielleicht grimmig drein. Ihr habt nichts gefunden, oder?“

„Nein, leider nicht“, antwortete Cloud ihr. „Und bei euch? Hattet ihr mehr Glück?“

Yuffie rollte lachend mit den Augen.

„Nun ja… es ist nicht direkt eine Spur… aber irgendwie schon!“

„Sprich bitte Klartext“, forderte Cloud sie seufzend auf.

„Also… wir haben einen Tipp bekommen, von so einem Mogry, ihr wisst schon, so einer, von dem wir die Karten gekauft haben. Er hat uns an einen ‚Klan Zenturio‘ verwiesen. Die kennen sich hier perfekt mit den örtlichen Monstern aus! Die wissen vielleicht auch, wo dieser Gilgamesch steckt.“

Cloud horchte auf.

„Das klingt interessant. Und wo finden wir diesen Klan?“
 

Gemeinsam gingen sie den nördlichen Stadtteil und folgten der Beschreibung des Mogrys. Schließlich standen sie vor einer Fassade, die sich nicht auffällig von den übrigen farbenprächtigen Gebäuden unterschied. Nur hier lungerten mehrere der hundeköpfigen Wesen vor dem Eingangsbereich herum.

„Das muss es sein“, murmelte Yuffie und blickte an der Fassade empor.

„Was sind das nur für Freaks“, brummte Barret, als den Haufen fremdartiger Wesen sah. Ein Passant, der gerade hinter ihm vorbeiging, mischte sich ein.

„Das sind Bangaas, noch nie so was gesehen? Kaum zu fassen…“, sagte er lachend und ging weiter. Verwundert blickte ihm Barret nach.

„Bangaas… aha.“

Cloud ging auf die Eingangstüre zu. In diesem Moment kam Leben in den Haufen. Die Bangaas erhoben sich und versperrten ihnen den Weg.

„Was wollt ihr hier? Glaubt ihr, hier kann jeder Lump rein?“ schnauzte sie einer von ihnen an. Dann kamen die anderen. Barret baute sich hinter Cloud auf und setzte seinen finstersten Blick auf. Unwillkürlich wichen die Bangaas ein Stück zurück.

„Finden wir hier den Klan Zenturio?“ fragte Cloud förmlich. Der Redeführer antwortete mit einer trotzigen Geste.

„Ja. Was wollt ihr von unserem Klan?“

„Wir wollen mit eurem Boss reden. Es geht um ein… spezielles Monster“, antwortete Cloud lapidar. Die Bangaas sahen sich an und tuschelten leise. Offenbar waren sie sich bei der Einschätzung dieser Fremdlinge nicht ganz sicher. Schließlich bildeten sie ein schmales Spalier.

„Na gut. Ihr dürft rein, aber macht bloß keinen Ärger“, drohte der Redeführer mit erhobenem Zeigefinger. Mit regungsloser Miene ging Cloud an ihnen vorbei. Seine Freunde folgten ihm und wurden von den feindseligen Blicken der Bangaas getroffen.
 

Im Inneren des Gebäudes herrschte reges Treiben. Bangaas, Menschen und schweineähnliche Kreaturen, wie sie sie schon in der Stadt gesehen hatten, liefen umher. Als sie versuchten, sich in dem Durcheinander zu orientieren, kam ein Bangaa auf sie zu. Ein kleiner Menschenjunge begleitete ihn und hielt sich an seinem Hosenbein fest.

„Ich darf euch willkommen heißen“, begann er freundlich und offen. „Ihr seid nun im Hauptquartier des Monsterjägerklans Zenturio. Wie kann ich euch helfen?“ fragte er und lächelte mit seiner seltsamen Schnauze, soweit dies möglich war. Clouds Truppe war erstaunt.

„Woha… sie sind wesentlich freundlicher als ihre Kollegen vor der Tür“, bemerkte Cloud stirnrunzelnd.

„Oh ja, unsere Türwächter. Sie sollen nur verhindern, dass ungebührliche Leute sich hier herein verirren. Wir sind schließlich der stärkste Monsterjägerklan auf Ivalice, und nur starke Kämpfer können in unseren Reihen dienen. Mein Name ist übrigens Monik.“

„Und ich bin Cloud. Das sind… Yuffie, Barret und Vincent. Äh…“

Cloud blickte auf den kleinen Jungen, der sich am Hosenbein Moniks festkrallte und die Gruppe mit großen Augen betrachtete. Der Bangaa merkte schließlich, was ihn erstaunte.

„Ah, der kleine Tomaj. Nun, er ist kein Monsterjäger, aber… seine Eltern waren es. Und jetzt… passe ich auf ihn auf. Das ist Ehrensache in unserem Klan.“

„Verstehe. Können wir mit eurem Boss reden? Er kennt sich doch sicher gut mit Monstern aus?“ fragte Cloud vorsichtig. Monik nickte eifrig.

„Ihr meint Mont Blanc? Aber sicher, er war einer der erfolgreichsten Monsterjäger der letzten Jahrzehnte, bevor er die Leitung unseres Klans übernommen hat. Ich kann euch zu ihm führen, wenn ihr wollt?“

„Ich bitte darum“, erwiderte Cloud, und so folgten sie ihm durch die Halle.

Ihr Weg führte sie zu einer großen, zweigeteilten Treppe, an deren Fuß ein Ringkampf zwischen einem Bangaa und einem ‚Seek‘, wie die schweineartigen Wesen hießen, wie sie erfuhren, stattfand. Rund um sie stand eine Menschenmenge und feuerte die beiden Kontrahenten an. Monik führte sie die Treppe hinauf.

„Dieser… ‚Mont Blanc‘ muss ja ein harter Knochen sein“, meinte Barret. „Großer Monsterjäger und so… ist sicher ein Riesenkerl, mit dem nicht gut Kirschen essen ist.“

Cloud nickte zustimmend, während Yuffie das Gesicht verzog.

„Äh, Leute… täuscht euch da nicht…“

Sie kamen nun zu einer Empore, von wo aus man den Saal gut überblicken konnte. Monik führte sie zum Geländer.

„Darf ich vorstellen? Unser verehrter Anführer, Mont Blanc!“

Mit einer würdevollen Geste wies er sie zum Geländer. Cloud und Barret hoben synchron eine Augenbraue.

„Ja, und? Wo ist er?“

Monik schüttelte verwirrt den Kopf.

„Aber… hier, direkt vor euren Augen!“

Cloud machte ein argwöhnisches Gesicht, während ihm Yuffie auf die Schulter tippte.

„Äh, Cloud… dieser Mont Blanc ist ein- “

„Ich sehe nur einen… Mogry?“

Ein zierlicher Mogry stand mit verschränkten Armen auf dem Geländer. Trotzdem reichte er ihnen gerade bis auf Augenhöhe. Er drehte sich zu ihnen um, so dass sein Bommel hin und her schwang.

„Ja? Was gibt es?“ fragte er in der für diese Rasse typischen Piepsstimme. Monik verneigte sich ehrfürchtig beim Sprechen.

„Diese Fremdlinge wollen mit euch reden, verehrter Mont Blanc.“

Monik stellte die Vier seinem Anführer vor, dann ließ er sie alleine. Skeptisch betrachtete Cloud den Mogry. Dieser blinzelte mit seinen Knopfaugen. Sein Mausgesicht lachte fröhlich.

„Nun, was führt euch zu mir, kupo? Wollt ihr unserem Klan etwa beitreten?“

Barret griff sich genervt ins Gesicht und murmelte: „Die mit ihrem bescheuerten ‚Kupo‘…“

„Also“, räusperte sich Cloud. „Wir suchen eine gute Freundin von uns. Sie heißt Tifa, ihr habt nicht zufällig…?“ Das dümmliche Gesicht des Mogrys sprach Bände. „Dachte ich mir. Ihr Verschwinden steht jedenfalls mit einem gewissen… Gilgamesch in Verbindung.“ Das Gesicht von Mont Blanc veränderte sich. Cloud wurde hellhörig. „Ihr kennt ihn?“

„Das ist seltsam… vor kurzem habe ich wieder Kunde erhalten… über Gilgamesch.“

„Wirklich? Wo ist er?“

Der Mogry begann piepsend zu lachen.

„Wenn ich das wüsste. Auf jeden Fall ist ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt.“

„Wundert mich nicht. Wie können wir ihn finden?“

Wieder lachte Mont Blanc, und es begann Cloud zu nerven.

„Seit geraumer Zeit versuchen wir das herauszufinden, kupo! Eine bekannte Persönlichkeit hat das Kopfgeld ausgesetzt. Dieser Gilgamesch fordert Kämpfer in aller Welt heraus und stiehlt ihnen beim Kampf ihre Waffe. Für den besagten Herrn ist dies sehr peinlich, deshalb möchte er anonym bleiben, kupo.“

Cloud schüttelte fassungslos den Kopf.

„Mir ist es genau so ergangen! Aber Tifa, die dabei verschwunden ist, ist mir wesentlich wichtiger.“ Seufzend ließ er den Kopf hängen. „Ich muss ihn finden…“

„Hä, kupo? Diesen Auftrag hat der Klan Zenturio, und niemand wird ihn ihm wegschnappen.“

Cloud ging auf das Mauswesen zu und sprach beschwörend.

„Aber… es ist wirklich wichtig! Wir müssen diesen Kerl in die Finger bekommen, nur er weiß, wo Tifa ist!“

Mont Blanc schüttelte bedauernd den Kopf.

„Es tut mir ja wirklich leid für euch und eure Freundin, aber… wobei, eine Möglichkeit gäbe es.“

„Und die wäre?“ fragte Cloud hoffnungsvoll.

„Die Ehre des Klans steht über allem, unser Klan hat noch jeden Auftrag erfüllt… auch wenn wir bei Gilgamesch bisher erfolglos waren, kupo …“ Seufzend schüttelte der Mogry seinen Mäusekopf. „Vielleicht haben wir die falschen Jäger auf ihn angesetzt. Aber… wie wäre es mit euch? Vielleicht habt ihr mehr Glück, kupo?“

Die Vier sahen sich an.

„Was müssten wir tun?“ fragte Barret knurrend.

„Oh, natürlich müsstet ihr beweisen, dass ihr dem Klan und dieser Aufgabe würdig seid. Es stehen momentan einige gefährliche Mob-Hunts an, die nur für die stärksten Jäger geeignet sind.“

„Wir sollen für euch arbeiten?“ fragte Cloud argwöhnisch. „Und was um alles in der Welt sind Mob-Hunts?“

„Ihr wisst es nicht?“ fragte Mont Blanc kichernd. „Ihr müsst wirklich von weit weg sein! So nennen wir die Aufträge, die die Leute uns erteilen.“

„Hm… einen Moment.“
 

Die Vier standen in geringer Entfernung zu Mont Blanc beisammen und berieten sich.

„Wir sollen für den Knilch arbeiten und irgendwelche… Monster fangen? Das schmeckt mir nicht besonders“, meinte Barret.

„Warum nicht“, warf Yuffie ein. „Klingt interessant. Vielleicht finden wir sogar etwas Materia…“, sagte sie begierig grinsend.

„Du und deine Materia“, entgegnete Cloud kopfschüttelnd. „Andererseits… sehe ich keine andere Möglichkeit. Ich schlage vor, wir tun es. Was meinst du, Vincent?“

Vincent, der bis jetzt gar nichts gesagt hatte, hob nur die Schultern.

„Es ist besser, als ziellos durch diese Stadt zu irren.“

Cloud nickte langsam.

„In Ordnung. Ich würde sagen, wir steigen darauf ein.“

Er wartete noch auf ein Gegenargument seitens Barrets, doch dieser knurrte nur leise vor sich hin. Dann wandte er sich wieder an Mont Blanc.

„Wir sind dabei. Wann kann es losgehen?“

Der Mogry sprang vor Freude und klatschte in die Hände.

„Großartig, Kupo-po!! Der Klan heißt euch willkommen! Ihr könntet schon morgen die erste Mob-Hunt beginnen. Seid ihr einverstanden?“

„Klar“, antwortete Cloud. Dann spürte er seinen knurrenden Magen und die Müdigkeit, die er den ganzen Tag über schon verdrängt hatte. „Übrigens… könnt ihr uns eine gute Absteige empfehlen?“
 

Es kehrte Ruhe ein auf den Straßen von Rabanastre, als sie im Schein einer Straßenlaterne auf den Plan sahen.

„Die ‚Taverne zum Sandmeer‘… da vorne rechts, dann müssten wir schon davor stehen“ murmelte Cloud. Dann steckte er gähnend den Plan ein.

„Mir schmeckt das Ganze nicht“, bemerkte Barret. „Können wir diesem Knilch denn trauen?“

„Aber, Barret“, kicherte Yuffie und stieß ihn spaßeshalber an, „sei doch nicht immer so misstrauisch. Diese Mogrys sind doch süß. Genau wie Vincent“, fügte sie kaum hörbar hinzu. Vincent erschauderte.

„Wir sind da“, bemerkte er trocken, als sie vor einem Gebäude mit einer unmissverständlichen Aushängetafel standen. Während die anderen noch unschlüssig empor blickten, betrat Vincent schon die ‚Taverne zum Sandmeer‘.

„He, warte!“ rief Yuffie und folgte ihm. Und so traten sie alle ein.
 

Waren die Straßen zuvor beinahe leer gewesen, so war die Taverne weitgehend gefüllt. In dem bunten Treiben fielen die Vier nicht weiter auf. Vincent, der sonst eher zurückhaltend agierte, steuerte zielstrebig den Wirt an, der hinter seiner Theke stand und Krüge befüllte.

„Guter Mann, habt ihr Quartiere für vier Personen? Einzelräume, wenn möglich“, betonte er. Nun standen auch die anderen hinter ihm. Der Wirt beäugte sie beiläufig.

„Das lässt sich machen, Reisender. Ich kassiere aber im Voraus, wenn’s recht ist.“

Ohne zu zögern, griff Vincent unter seinen Umhang und holte das entsprechende Geld hervor. Der Wirt erklärte ihnen noch die Lage ihrer Quartiere, da war Vincent schon weg. Schulterzuckend blickten sie ihm hinterher. Die drei zogen es vor, im Gastraum eine Mahlzeit einzunehmen. Dabei sprachen sie kaum. Dieser Tag mit seinen vielen neuen Eindrücken und dazu die Ungewissheit, die auf ihnen allen lastete, lähmten ihre Gedanken. Nachdem sie sich satt gegessen hatten, suchten sie einer nach dem anderen ihre Zimmer auf.

Cloud saß schon auf dem weichen Bett in der winzigen, aber gemütlichen Kammer. Kunstvolle Teppiche lagen auf den bunten Fliesen des Bodens. Verschnörkelte Muster zierten alle Möbelstücke. Einen solchen Reichtum an Farben hatte er bisher nicht gekannt. Midgar war in erster Linie grau gewesen… so wie auch Edge City. Diese Welt wirkte, als hätte sie den umliegenden Universen alle Farbe entzogen und an sich gerissen. Sie war schön, aber auch fremd… Er war mit seinen Freunden hier, doch zugleich fühlte er sich unendlich einsam in diesem Moment.

Und wenn wir hier nie wieder wegkommen?

Tifa… wo bist du…?

Ein Schluchzen ging durch seine Brust. Mühevoll kämpfte er es nieder.

Ich kann mir keine Schwäche leisten. Nicht jetzt…

Und doch vermisste er sie nun mehr als je zuvor. Er ahnte, was ihm noch öfter bevorstehen würde. In den Momenten der Ruhe würden ihn die Angst und die Ungewissheit besonders quälen. Wenn seine Sinne und seine Kraft gefordert waren, lebte er im nur im Moment. Doch wenn seine Gedanken zur Ruhe kamen, sah er ihr Bild vor Augen. Und wurde sich bewusst, dass er sie vielleicht endgültig verloren hatte…

Reiß dich zusammen, Cloud Strife, ermahnte er sich selbst. Du bist nicht der einzige, dem das hier schwerfällt. Er durfte nun nicht die Bedürfnisse seiner Freunde vergessen, ohne die sein Vorhaben zum Scheitern verurteilt war. Was war eigentlich mit Vincent? , überlegte er. Dann stand er auf und beschloss, mit ihm zu reden.
 

Langsam öffnete sich die Tür, eine Weile, nachdem er angeklopft hatte. Vincents rote Augen blickten ihn durch den Türspalt an.

„Kann ich reinkommen?“

Vincent zögerte. Dann öffnete er die Tür weiter. Cloud trat ein und setzte sich auf sein Bett. Anerkennend befühlte er die Matratze.

„Ist schön weich. Ich hoffe, du kannst darauf schlafen.“

Vincent verschränkte die Arme.

„Das bezweifle ich. Andererseits… wenn ich den Wirt nach einem Sarg frage, könnte uns das in Schwierigkeiten bringen.“

Cloud musste über diesen Anflug von Ironie lachen, und selbst Vincent schien zu lächeln. Dann wurden sie wieder ernst.

„Alles in Ordnung, Vincent?“

Er blickte ihn über seinen Stehkragen fragend an.

„Wie soll ich das verstehen…?“

„Na ja… du bist so schnell verschwunden und verbarrikadierst dich in deinem Zimmer…“

„Es ist wegen Yuffie“, antwortete er schnell. „Sie schwärmt immer noch für mich.“

„Da ist doch nichts Schlimmes dran. Welches junge Mädchen schwärmt nicht für dich seit diesem komischen Film, Adventkranz oder so…(Hihi…)“

Doch erwartungsgemäß konnte auch dieser Scherz ihn nicht aufmuntern. Seufzend setzte er sich neben Cloud aufs Bett(nein, nicht was ihr denkt! Dies ist eine Slash-freie Zone).

„Das ist aber nicht alles. Wie du weißt, unter Menschenmassen fühle ich mich nicht so wohl…“

„Verstehe. Es tut mir leid, dass ich dich da reingezogen habe, aber- “

„Hör auf, dich zu entschuldigen“, unterbrach er ihn plötzlich. „Selbst Aeris hat dir verziehen. Da werde ich es auch noch schaffen. Außerdem bin ich aus freien Stücken hier… Tifa braucht uns, und sie würde nicht zögern, das für jeden von uns zu tun.“

Cloud nickte nachdenklich.

„Du hast wohl recht. Jetzt musst du nur noch mit Yuffie zurecht kommen.“

„Ja, Yuffie…“

„Aber was ist so schlimm an ihr? Okay, sie kann ganz schön nerven, aber das haben Frauen nun mal so an sich.“ Vincent blickte ihn verstört an. „Ja, ich weiß… Lucrezia wird immer einen Platz in deinem Herzen haben. Aber ich bin mir sicher, sie hätte gewollt, dass du eines Tages wieder glücklich wirst. Deshalb… was ich meine… vielleicht solltest du ihr eine Chance geben. Yuffie, meine ich.“

Etwas verlegen erhob er sich und ging zur Tür.

„Cloud, der Beziehungsexperte“, sagte Vincent in seinem charakteristischen, gedämpften Tonfall. Wobei auch eine gewisse Ironie mitschwang. Cloud drehte sich um.

„Experte, ts… na dann, gute Nacht.“

Er verließ das Zimmer. Vincent blickte eine Weile zur Tür. Dann legte er die Beine aufs Bett, senkte den Blick und versank wieder einmal in der Welt seiner melancholischen Gedanken…
 


 


 

Die Szene verdunkelt sich und entschwindet schließlich ganz. In der nächsten Einstellung schwenken wir an einen anderen Ort in der gleichen Welt...
 


 


 

Wind strich durch ihre Haare, und das Licht blendete sie. Verzweifelt drehte sie den Kopf hin und her, doch das Licht brannte weiter auf ihrem Gesicht. Dann spürte sie, wie etwas ihr Gesicht berührte. Etwas Weiches strich vorbei, dann war es wieder weg… eine Feder? Dann wieder, erneut spürte sie es. Doch diesmal war es anders. Es war… eine Umarmung. Starke Arme berührten sie am Rücken. Erleichterung durchströmte sie. Sie hatte ihn wieder und würde ihn nie mehr loslassen…
 

„Endlich, wo warst du die ganze Zeit…“, hauchte sie ihm ins Ohr. Sie drückte ihn fester an sich, doch… es war seltsam, fast als ob er sich dagegen wären würde.

„Squall… was hast du… wieso- “ Jetzt öffnete sie die Augen. Und schaute einen ebenso verwirrten Xell an. Um sie herum sah sie außerdem noch Irvine und Selphie. In ihren Blicken spiegelte sich Besorgnis wieder. „Was… wo bin ich hier?“

Xell schüttelte langsam den Kopf, während Irvine sich erhob. Meeresrauschen drang an ihr Ohr. Sie setzte sich mit Xells Hilfe auf.

„Du hast mich wohl verwechselt“, sagte er etwas verlegen. „Du hast gesprochen, während du bewusstlos warst.“

Immer noch wirr im Kopf befühlte sie den Steinboden unter sich. Der Stein war rau, und an einigen Stellen spross Gras aus Rissen hervor.

„Ich höre das Meer“, sagte sie langsam, während ihre Sinne sich allmählich wieder sammelten. „Sind wir… wieder in Balamb?“

Selphie schüttelte den Kopf und machte ein betrübtes Gesicht.

„Nein, sieht niiiicht danach aus.“

„Aber… wo sind wir dann? Ich höre doch das Meer rauschen.“ Sie versuchte aufzustehen, und Xell stützte sie. Etwas wackelig auf den Beinen, sah sie sich um. Sie waren umgeben von Steinhäusern mit einfachen Stroh- oder Tonziegeldächern. Allen war gemein, dass sie verfallen und ärmlich aussahen. Sie standen auf einer schmalen Straße, die sich zwischen den baufälligen Häusern wand. „Was ist das für eine Stadt?“

Ihr fragender Blick traf Selphie und Xell, doch sie erntete nur Schulterzucken. Eine Brise frischen Windes traf sie, und sie drehte sich um. Sie ging los und wand sich aus Xells Griff. Ihre Beine waren nun sicher genug. Sie ging in die Richtung, aus der sie zuvor das Meeresrauschen gehört hatte. Als sie um eine Hausecke bog, sah sie es.

Irvine stand da, mit dem Rücken zu ihr und verschränkten Armen. Der Wind blähte seinen offenen Mantel auf. Ihre Kinnlade sank herab. Langsam ging sie auf ihn zu und stand schließlich neben ihm. Der Anblick war atemberaubend.

Sie standen an einer Art Pier, unter der die Mauer ins Meer abfiel. Blaue, schimmernden Wogen bewegten sich sanft in der frischen Brise. Eine gewaltige Brücke spannte sich über das Meer, bestimmt einen halben Kilometer lang. Ihre kühnen Formen ahmten die der Wellen nach, die sich an ihren Stützpfeilern brachen. Und sie mündete schließlich in eine Stadt, wie sie sie erst ein Mal gesehen hatte.

Schlanke, tiefrote Wolkenkratzer berührten den Himmel. Es war eine Insel, zu der diese Brücke führte, und darauf stand eine Stadt so groß und herrlich wie Esthar.

„Was… das ist…“ fassungslos deutete sie mit dem Zeigefinger auf die majestätische Stadt. Irvine nickte seufzend.

„Riesig, nicht? Ist mindestens so groß wie Esthar. Kaum zu glauben.“

Jetzt fiel ihr Blick auf die Menschen, die auf dieser Brücke das Meer überquerten. Sie trugen farbenprächtige Kleidung, die offensichtlich an warmes Klima angepasst war. Manche wirkten teuer, andere eher schäbig. Notiz von ihnen nahm allerdings keiner der vorbeigehenden Leute.

„Was genau ist passiert“, fragte sie, als Xell und Selphie nun ebenfalls neben ihr standen.

„Na ja, wir gingen durch das Tor, und Schwupps!, schon waren wir hier“, erklärte Xell. „Mir war ganz schwindelig, als ich die Augen aufmachte. Irvine und Selphie ging’s ähnlich, nur du warst komplett ohnmächtig. Und dann hast du mich Squall genannt…“

„Ach, ja.“ Es fiel ihr wieder alles ein. „Ich dachte… ich spüre seine Nähe. Hm.“ Nachdenklich blickte sie zu Boden. Dann hob sie den Blick wieder und sah sich um. „Habt ihr schon rausgefunden, wo wir gelandet sind?“

„Jedenfalls sind wir weder in Galbadia, Esthar oder sonst einem Erdteil, der mir schon einmal unter die Cowboystiefel gekommen ist“, bemerkte Irvine und nahm seinen Hut ab. Ratlos kratzte er sich am Kopf.

„He, was ist daaas!“ rief Selphie und rannte los. Die anderen schauten ihr verdutzt hinterher.

Auf einer kleinen, erhöhten Fläche am Beginn der Brücke sahen sie acht seltsame Wesen, die eine Art Tanz vorführten. Die Wesen sahen aus wie überdimensionale Ratten, nur das sie Kleidung trugen. Auf dem Rücken hatten sie alle ein Paar winzige Flügel, und ein roter Bommel schwang an einer Art Antenne auf ihrem Kopf hin und her.

„Sind die niiiedlich“, sagte Selphie entzückt. Erstaunt beobachteten die Vier den vergnügten Tanz der acht Wesen und hörten den Gesang ihrer piepsigen Stimmen:

„~Solange Mogrys tanzen, die Herzen sind im Ganzen…~Ob Trauer, Schweißfuß oder Leid, mit Mogry-Power bist du gegen alles gefeit, lala…~“

„Hä? Mogrys…“, murmelte Irvine irritiert. „Sind aber wirklich niedlich. Und haben echt Rhythmusgefühl.“

Eine Weile noch beobachteten sie die ‚Mogrys‘ bei ihrem Tanz, dann rissen sie sich los und begannen, ihre fremdartige Umgebung zu erkunden.
 

Eine Weile gingen sie durch die armselige Gegend, die ausschließlich arme Menschen zu bewohnen schienen. Oft wurden sie mit mitleiderregenden Blicken angebettelt. Jene, die nicht die Energie dafür aufbrachten, saßen mit lethargischen Mienen auf den Straßen herum, als gäbe es in dieser Stadt keine Hoffnung auf ein besseres Leben. Schließlich kamen sie wieder zur Brücke zurück.

„Was für eine trauuurige Gegend“, seufzte Selphie bedrückt.

„Ja“, stimmte ihr Rinoa zu. „Die viele Armut… ich frage mich, ob es dort drüben auch so aussieht.“ Sie zeigte in Richtung der prachtvollen Hochhäuser, die in massiven Kontrast zu den verfallenen Gebäuden hier standen.

Irvine blickte sich unschlüssig um. Als ein kleiner Junge an ihnen vorbeilief, reagierte er schnell. Er hielt ihn an der Schulter fest und ging in die Hocke, um besser mit ihm reden zu können.

„He, Kleiner! Warte einen Moment!“ Trotzig blickte er ihn an und presste die Lippen aufeinander. „Ich will dich was fragen“, begann Irvine in einem verständnisvollen Tonfall. „Du bist doch ein schlauer Junge, richtig?“

Der Junge begann breit zu grinsen.

„Aber nur für ein paar Gil!“

Irvines freundliche Miene schlief ein.

„So klein und schon geldgierig, ts…“

Verwundert schüttelte er den Kopf. Rinoa, Xell und Selphie hingegen sanken die Kinnladen herab. Fassungslos tippten sie Irvine auf die Schulter.

„Ja, was ist denn?“ fragte er leicht genervt.

„Hast du denn das nicht gehört? Sagtest du Gil, Kleiner?“ fragte Rinoa erstaunt den kleinen Jungen. Dieser nickte eifrig. Nun kapierte es auch Irvine.

„Ihr… ihr habt Gil als Währung? Das ist erstaunlich… Wie heißt du, Kleiner?“

„Gasri“, antwortete er knapp.

„Nun gut, Gasri. Ich heiße Irvine und diese Münze gehört dir, wenn du mir ein bisschen was erzählst über diesen Ort hier…“, begann Irvine und hielt ihm eine Münze vor die Nase. Unterdessen unterhielten sich Rinoa und Selphie hinter seinem Rücken leise.

„Ist das nicht seltsam? Wir sind hier in einer anderen Welt, einer anderen Dimension, und die haben dieselbe Währung wie unsere Welt?“

„Ja, ist schooon komisch“, antwortete Selphie. „Ist wahrscheinlich, damit sich die Spieler bei den einzelnen Fortsetzungen besser zu Recht finden(Hihi…)“
 

Überglücklich über sein leicht verdientes Geld lief der Junge weg. Die Vier entschieden sich für den Weg über die lange Brücke. Während sie das kaum fassbar lange Gebilde überschritten, erklärte ihnen Irvine den Stand der Dinge.

„Also, diese Stadt heißt Archadis. Wobei sie zweigeteilt zu sein scheint. Die Gegend, in der wir gelandet sind, war das sogenannte Alt-Archadis. Es ist wohl das Armenviertel, wie es aussieht. Da drüben ist das eigentliche Archadis. Es ist nach seinen Worten eine sehr reiche Stadt.“

„So eine Gemeinheit!“ rief Xell und schlug sich mit der Faust auf die Handfläche. „Hier sitzen sie in der Gosse und müssen betteln, während drüben die reichen Säcke hausen!“

„Sie wollen wohl keine Armut in ihrer Stadt“, sagte Rinoa nachdenklich. „Deshalb wohl auch die Trennung durch diese Brücke.“

Sie brauchten eine Viertelstunde, um die Brücke zu überqueren, und derweil bot sich ihnen ein bezaubernder Ausblick auf das Meer. Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ die Wellen glänzen. Manchmal sprangen sogar Meerestiere aus den Fluten, um dann wieder in ihnen zu verschwinden. Der Anblick lenkte sogar Rinoa von ihren Sorgen um Squall etwas ab…
 

Auf der anderen Seite der Brücke setzte sich das Armenviertel noch kurz fort, um schließlich in eine hochaufragende Mauer zu münden, die es von der restlichen Stadt trennte. Eine lange Treppe führte daran empor. Sie beobachteten, wie prächtig gekleidete Bürger unter den wachsamen Augen von Wachen in aufwändigen Rüstungen auf und ab gingen. Es waren dieselben Wachen, die auch hier an den meisten Ecken standen und das Geschehen durch ihre von außen undurchsichtigen Helme beobachteten. Es fiel ihnen auf, dass keiner der Bewohner des Armenviertels versuchte, hinauf zu gelangen. Genau das sollten wohl die aufmerksamen Wachen verhindern.

„Diese Stadt sieht faszinierend aus“, meinte Irvine und schaute zu den eindrucksvollen Hochhäusern empor. „Ich schlage vor, wir sehen uns diese Stadt näher an. Was meinst du, Rinoa?“

Sie seufzte und hob langsam die Schultern.

„Ich habe keine Ahnung, wo wir zu suchen beginnen sollen. Genauso gut können wir es da oben probieren.“

Und so machten sie sich daran, die Treppe zu erklimmen.
 

„Und wenn sie uuuns nicht durchlassen?“ gab Selphie zu bedenken. Xell winkte ab.

„Ach was, das werden sie schon. Und wenn nicht, dann haue ich denen eine aufs Maul!“

Rinoa schüttelte tadelnd den Kopf und warf ihm einen mahnenden Blick zu.

„Du wirst niemanden aufs Maul hauen, wenn es nicht wirklich ernst ist, hörst du? Herrje, du änderst dich wohl nie…“
 

„Stehengeblieben“, befahl eine der beiden Wachen, als sie versuchten, vorbeizugehen. Seine Stimme klang wie durch einen Blecheimer.

„Verzeihung, aber wir möchten gern nach Archadis“, sagte Rinoa ganz unschuldig. Die Wache begann blechern zu lachen.

„Das wollen viele der armen Penner hier. Und wir verhindern, dass solches Gesindel die Stadt betritt und ehrenwerte Bürger belästigt. Wenn ihr Bewohner von Archadis seid, dann habt ihr sicher eine Schwarzfeder. Weist sie vor, und ihr könnt passieren.“

Die Vier sahen sich verdutzt an.

„Äh… eine ‚Schwarzfeder‘?“

„Ja. Sagt bloß, ihr habt eure verloren? Nun, das ist wohl nicht vorstellbar. Kein Bürger unserer wunderbaren Stadt würde seine Schwarzfeder verlieren. Denn ohne sie gibt es kein Zurück mehr.“

Rinoa lächelte hilflos, dann machte sie mitsamt ihrer Truppe kehrt.
 

„Also, ich bin dafür, dass wir sie überrumpeln!“

Begeistert begann Xell mit seinem typischen Schattengeboxe. Die anderen verdrehten nur die Augen.

„Wir könnten versuchen, sie zu bestechen…“, meinte Irvine. Sie saßen nun in einer Gasse etwas abseits der Hauptstraße, die zur Treppe in die eigentliche Stadt führte. Hier waren sie ungestört und außerhalb der Hörweite der patrouillierenden Wachen.

„Das halte ich für keine so gute Idee“, erwiderte Rinoa. „Die wirken, als ob sie ihre Arbeit ziemlich ernst nehmen. Womöglich verhaften sie uns, wenn wir das versuchen.“

„Sie haaat wohl recht“, sagte Selphie. „Wenn wir aus Archadis wären, dann hätten wir so eine komische Schwarzfeder, was immer das ist. Uuuund wenn wir von hier unten sind, dann fragen sie wahrscheinlich, woher wir plötzlich das Geld haben, wenn doch hier alle so arm sind.“

„Eine verzwackte Situation“, murmelte Irvine und begann, auf und ab zu gehen. „Wenn wir nicht raufkönnen, wo gehen wir dann hin? Hier jedenfalls ist weder eine Spur von Squall noch von diesem seltsamen- “

Ein gequälter Aufschrei ließ sie aufhorchen. Sie blickten in die Richtung, aus der er kam. Einen Moment lang sahen sie sich an, dann setzten sie sich in Bewegung.

Zwei Straßen weiter, in einer besonders heruntergekommenen Gegend, sahen sie die Szene. Eine Gruppe von etwa einem Dutzend junger Burschen umzingelte einen älteren Mann, der auf dem Boden kniete. Als sie näher kamen, sahen sie dass der Mann im Gesicht blutete. Offenbar war er niedergeschlagen worden.

„Nun rück schon die Kohle raus, Alter. Wir bekommen sie sowieso!“ rief einer der Typen ihm provokant zu. Ein weiterer stimmte ein.

„Genau, oder willst du richtig verprügelt werden? Haha!“

Die anderen lachten mit, und der Mann kam mühsam auf die Beine. In seinem Gesicht zeichnete sich Furcht ab, als er mit dem Rücken zur Wand der Bande gegenüber stand.
 

„Darf ich jetzt jemanden eine aufs Maul hauen“, fragte Xell knurrend. Rinoa nickte.

„Wir müssen ihm helfen. Aber übertreib es nicht!“

Xell zeigte sein bekanntes Zahnpastalächeln und reckte den Daumen hoch.

„Aber klar!“
 

„Was ist jetzt? Rückst du sie raus oder müssen wir dir erst alle Knochen brechen!“

Der Mann sah sich den immer näher kommenden Burschen ausgeliefert. Verzweifelt blickte er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um.

„I-ihr Gauner! Dafür wandert ihr alle in den Kerker!“

Die Halbstarken sahen sich an und lachten. Bis jemand einem von ihnen auf die Schulter tippte. Mit einem langgezogenen „Hä?“ drehte sich das Bandenmitglied um. Was er sah, war ein junger Mann in einer kurzen blauen Hose, auffällig frisierten blonden Haaren und einer Tätowierung auf der linken Gesichtshälfte.

„Ihr lasst den Mann gehen, kapiert?“

Der Punk machte ein ratloses Gesicht.

„He, schaut euch mal den Typen hier an. Ich glaub, der will ebenfalls verprügelt werden.“

Er winkte die anderen herbei, die nun ihre Aufmerksamkeit ihrem neuen Opfer zuwandten.
 

Rinoa, Irvine und Selphie beobachteten alles aus der Entfernung. Rinoa machte ein besorgtes Gesicht.

„Sollten wir ihm nicht doch helfen?“

Irvine winkte lässig ab.

„Ach was, du kennst ihn doch. Mit denen wird er locker fertig.“
 

Xell sah sich ruhig um und beobachtete, wie ihn etwa zwölf junge Männer mit feindseligen Mienen umzingelten.

„Du hältst dich wohl für einen verdammten Helden“, schnauzte ihn der Anführer an und spuckte demonstrativ vor ihm aus. Die anderen nickten zustimmend. Sie fühlten sich wohl in ihrer Übermacht. Umso besser, dachte Xell.

„Pass nur auf, du Wichtigtu- “

Das letzte, das der Anführer der Bande sah, bevor alle Lichter ausgingen, war ein ‚Ehrgeiz‘-Handschuh, der sich rasend schnell seiner Nasenwurzel näherte. Von der Wucht des Schlages erfasst, flog er nach hinten und riss zwei seiner Bandenmitglieder zu Boden. Dann ging es los. Von allen Seiten griffen sie ihn kopflos an, doch gegen den erfahrenen Kampfsportler hatten sie keine Chance. Einer nach dem anderen wurde durch seine schnellen Schläge und Fußtritte gefällt. Behände wie ein Affe wich er allen Attacken und Angriffen aus. Bald sah er sich von einem Haufen über den Platz verstreuten Punks umgeben. Ächzend und benommen krochen sie umher.

„Argh… Mieses Schwein!“

Einer von ihnen in Xells Rücken kam auf die Beine und zog eine kurze Klinge. Wie von Sinnen stürmte er mit der erhobenen Klinge auf Xell zu. Bis ihn ein Knall und eine Erschütterung die Klinge aus der Hand riss. Erschrocken wandte er sich um.

Irvine ließ seinen 45.er Colt um seinen Zeigefinger kreisen. In der anderen Hand hielt er Exeter lässig über die Schulter gelegt. Als der Junge einen Schritt tat, kam der Colt augenblicklich zu stehen. Ein weiterer Knall und aufwirbelnder Staub zu Füßen des Jungen ließen ihn erstarren. Geschockt blickte er in den rauchenden Lauf.

„Noch eine Bewegung, Punk, und ich verpass dir ein Entlüftungsloch.“

„Verdammt… Helft mir doch“, zischte der Junge. Seine Kumpanen, die einer nach dem anderen auf die Beine kamen, sahen sich verunsichert an. Wütend blickte er sie an. „Steht nicht so dumm rum! Tut was!“

Nach einigen unschlüssigen Momenten kam tatsächlich Bewegung in den Haufen. Bevor die Bande noch einen überlegten Schritt tun konnte, schnellte Irvine vor. Er wirbelte herum, und als er zum Stehen kam, ragte der Lauf seines Revolvers in ein Nasenloch des Anführers. Mit Exeter hielt er gleichzeitig die restliche Bande in Schach.

„Nur eine Bewegung, Punks… und es hagelt Blei.“

Wieder erstarrten die angriffslustigen Bandenmitglieder. Als dann Selphie ihren Dreisegmentstab hervorholte und Rinoa klirrend die Klingen ihres Shooting Stars herausgleiten ließ, packte sie die Panik. Halls über Kopf liefen sie weg. Nur der Anführer, in dessen Nasenloch nach wie vor der Revolver steckte, stand da wie eine Salzsäule. Mit schreckensgeweiteten Augen blickte er auf die Waffe in seinem Gesicht herab.

Langsam ließ Irvine Exeter sinken. Dann wandte er sich dem Anführer zu. Er blickte ihm tief in seine angsterfüllten Augen.

„Peng!“

Zu Tode erschrocken, stürzte der Junge zu Boden. Stolpernd kam er auf die Beine und gab Fersengeld. Zufrieden legte Irvine sein Gewehr über die Schulter und blickte dem flüchtenden Burschen nach.

„Ihr habt mich gerettet…“, hörten sie eine leise Stimme hinter sich. Als sie sich umdrehten, kam der Mann von vorhin auf sie zu, der das Opfer der Bande geworden war. Er hielt sich mit der rechten seinen immer noch leicht blutenden Kopf.

„Sie siiind ja verletzt!“ Selphie ging ihm entgegen und besah sich seine Kopfwunde. „Besser sie seeetzen sich hin. Ich werde sie heilen.“

Müde ließ er sich zu Boden sinken. Die anderen umringten ihn, während Selphie einen Heilungsspruch auf ihn anwandte.

„Ich muss euch danken. Ohne euch wäre ich zumindest ausgeraubt worden oder sogar schlimmeres…“

Irvine hob die Schultern.

„Das war doch selbstverständlich.“

Blaues Licht umfing ihn, dann war seine Wunde verschlossen. Erstaunt griff er sich an den Kopf.

„Vielen Dank, Fräulein…“

„Frau Kinneas“, betonte Selphie. „Selphie Kinneas.“

„Sehr erfreut. Mein Name ist Auguste Baldore.“

Selphie lächelte fröhlich zurück, dann stellte sie ihre Freunde vor. Der Mann nickte ihnen allen dankerfüllt zu.

„Ich danke euch wirklich von Herzen… ihr seid aber nicht von hier, vermute ich?“

„Äh… richtig“, antwortete Rinoa zögerlich. „Wir sind… auf der Durchreise, genau.“

„Ich habe schon vermutet, dass ihr nicht aus Archadis seid. Aus der alten Stadt seid ihr aber auch nicht? Sicherlich nicht, solch selbstlose Hilfe wäre von dem Gesindel hier nicht zu erwarten.“

Ärgerlich den Kopf schüttelnd, stand er mit Selphies Hilfe auf. Mit leichtem Befremden registrierten sie seine Ablehnung den Bewohnern hier gegenüber.

„Nun… ist nicht gerade ein ungefährliches Pflaster, die Altstadt“, bemerkte Xell etwas verlegen.

„Ja, ihr habt wohl recht. Ich habe mich zu sehr auf die Präsenz unserer Wache verlassen. Doch es sind keine in der Nähe. Der Schlendrian hat wohl auch in ihre Reihen eingezogen“, sagte er verärgert. „Es ist nicht ohne Risiko, die alte Stadt zu besuchen, aber trotzdem gönne ich mir gerne dieses Vergnügen, so wie viele meiner Mitbürger.“

„Trotz der Chance, überfallen zu werden?“ fragte Xell irritiert.

„Natürlich! Reichtum kann doch nur so richtig genossen werden, wenn man sich das Elend anderer vor Augen führt.“ Mit Befremden sahen sich die Vier an, während der Mann es ihnen erklärte. „Man fühlt sich einfach besser, nachdem man sich an der Armut dieser Penner geweidet hat. Dieses Vergnügen ist uns Archadianern das Risiko wert. Außerdem führt es uns vor Augen, wohin Faulheit und mangelnder Ehrgeiz hinführen. Und zwar genau in diese Elendsviertel.“ Dann begann er in seinen Taschen zu kramen. „Ihr müsst euch unbedingt unser Archadis anschauen. Hier, nehmt dies!“ Er reichte Rinoa eine kleine Feder, aus Metall nachgebildet, die in sattem Schwarz schimmerte. „Ihr braucht dies, um die Stadt zu betreten. Nicht auszudenken, hätten mir diese Halunken sie geraubt!“ Bei der bloßen Vorstellung erschauderte er. „Dann hätten diese Rabauken die Stadt damit betreten können. Aber ihr Vier, ihr seid doch starke Kämpfer, richtig? Lasst mich raten… ihr seid von Beruf Kopfgeldjäger und reist durchs Land auf der Suche nach Aufträgen?“

Alle blickten Rinoa an, die fieberhaft überlegte. Dann nickte sie eifrig.

„Äh… ja! Genau so ist es…“

„Hervorragend! Es war wirklich ein glücklicher Zufall, der uns zusammengeführt hat. Ich bin nämlich Mitglied des sogenannten Jagdrings. Wir sind eine kleine Gesellschaft wissenschaftlich interessierter Bürger. Die Monsterologie ist unser Steckenpferd. Wir möchten soviel wie möglich über exotische, seltene Monster erfahren. Natürlich braucht es für handfeste Erkenntnisse auch Männer und Frauen der Tat… denn am leichtesten lassen sich tote Monster erforschen, nicht wahr?“ Lachend klopfte er Xell auf die Schulter. „Schaut doch vorbei im Stadtzentrum, und zwar auf der Höhenterrasse! Das ist im Senobul-Bezirk. Dort halten wir immer unsere Treffen ab.“
 

Auguste Baldore begleitete sie noch bis zur Treppe, die in die eigentliche Stadt hinauf führte. Diesmal konnten sie die Wachen passieren und spürten selbst durch die undurchdringlichen Helme ihre verblüfften Blicke. Xell konnte es sich nicht verkneifen, ihnen im Vorbeigehen die lange Nase zu zeigen.

Durch ein hohes, schmales Tor kamen sie in die Stadt. Auguste Baldore verabschiedete sich fürs erste von ihnen, nicht ohne ihnen das Versprechen entlockt zu haben, seinem Jagdring einen Besuch abzustatten. Und so ließ er sie alleine in der riesigen Stadt.

Fassungslos blickte Xell an den Wolkenkratzern empor. Wie erstarrte Riesen ragten sie in den blauen Himmel. Und zwischen ihnen teilten sich zahllose Flugschiffe den beengten Luftraum. Vom Rand der Straße, auf der sie standen, konnten sie in die Tiefe blicken und erkannten unter sich noch einmal dieselbe Ausdehnung wie nach oben. Diese Stadt war größer und gewaltiger, als alles, was sie zuvor gesehen hatten. Mit Ausnahme von Esthar vielleicht.

„Ist das rieeesig…“, murmelte er mit in den Kopf gelegten Nacken. Irvine klopfte dem verblüfften Xell auf die Schulter.

„Jetzt krieg dich wieder ein. Nur weil es größer als Balamb ist, brauchst du nicht gleich auszuflippen“, sagte er mit spöttischem Unterton zu ihm. Dann ging er los, und die anderen folgten ihm. Xell blickte ihm leicht beleidigt hinterher, bevor er sich ihnen ebenfalls anschloss.
 

Die Straßen waren bevölkert von Leuten, denen man ihren Wohlstand ansehen konnte. Welch Kontrast war dies zu der ärmlichen Bevölkerung der Altstadt! Hier lebte man in Reichtum und Luxus, und das zeigte man auch. Fast kamen sich die Vier in ihren einfachen, jeglichen Prunk vermissen lassenden Kleidern deplatziert vor. Und sie ernteten den einen oder anderen naserümpfenden Blick im Laufe der Zeit. Arroganz und Hochnäsigkeit schienen Teil der Kultur dieses Volkes zu sein. Man konnte förmlich riechen, wie die sich miteinander unterhaltenden Menschen auf den Straßen, in den Läden und Schenken unablässig in einem eitlen Wettstreit über Ansehen und Eindruck lagen. Und hinter all den Fassaden, die die Bürger dieser Stadt eifrig pflegten, lauerte immer dahinter die Furcht, diesen Wettstreit zu verlieren.
 

„Wie sieht nun unser Plan aus? Hier gibt es jedenfalls weder von Squall noch von diesem Ungeheuer eine Spur“, meinte Xell, während sie eine belebte Straße entlang schlenderten.

„Ja, ich habe gehofft, es würde einfacher werden, seine Spur aufzunehmen“, erwiderte Rinoa nachdenklich. Dann besann sie sich wieder ihres strategischen Kalküls. „Dieser Jagdring… diese Gesellschaft zur Erforschung seltener Monster… die könnten etwas über dieses Wesen wissen. Wirklich gut, dass wir diesem Mann über den Weg gelaufen sind.“ Einen Moment verharrte ihr Gedankengang. Etwas Beunruhigendes streifte ihren Geist, etwas, das direkt vor ihren Augen lag und doch leicht übersehen werden konnte… Zweifel helfen weder uns geschweige denn Squall, tadelte sie sich selbst und vertrieb den warnenden Gedanken. „Wir werden sein Angebot annehmen. Es ist besser, als planlos in dieser Welt herum zu irren“, sagte sie mit Nachdruck. Die anderen stimmten ihr wortlos zu. Auch wenn Rinoa zur Verträumtheit neigte, so hatte sie ihre Führungsqualitäten schon oft genug unter Beweis gestellt. Niemand zweifelte an ihrer Entscheidung.

„In Ordnung. Mir knurrt übrigens der Magen“, warf Xell ein. Rinoa blickte ihn etwas erstaunt an. Bei all ihren Plänen hätte sie fast die unmittelbaren Bedürfnisse ihrer Freunde vergessen. Abschätzend blickte sie zum Himmel. Die Sonne war bereits im Sinken begriffen.

„Du hast recht. Heute richten wir nicht mehr viel aus. Wir suchen uns eine Unterkunft. Morgen dann suchen wir diesen Jagdring auf.“

Schnell war der Entschluss gefasst. Selphie sprach einen vorbeigehenden Passanten an, eine ältere Frau, die schwer mit Schmuck behangen war.

„Verzeeeiiihung, können sie uns eine Absteige empfehlen?“ fragte sie unschuldig. „Wir sind neu in der Stadt und möchten hier übernaaachten.“ Die ältere Frau musterte sie argwöhnisch, und antwortete dann betont höflich.

„Im Riana-Bezirk gibt es das Warenhaus der Gebrüder Grandsch. Soweit ich es weiß, vermieten sie auch Zimmer an, äh… Reisende.“ Das letzte Wort hatte einen eigenartigen Klang und ließ ahnen, für was sie die Gruppe hielt.

„Daaanke“, sagte Selphie und deutete einen ungeschickten Knicks an. Die ältere Dame nickte wohlwollend und ging eilig weiter.
 

Nach einigem Herumfragen schließlich kamen sie in den genannten Bezirk. Dort fanden sie bald das Warenhaus. In seinem Inneren herrschte ebenso reges Treiben wie auf den Straßen. Nur dass der Großteil der Kunden dieses Ladens nicht aus Bürgern dieser Stadt, sondern aus Menschen aus verschiedenen Ländern zu bestehen schien. Sie sahen Männer und Frauen in exotischer Kleidung ohne Prunk, sondern eher zweckmäßig. Sie glichen fast denen der Bewohner des Elendsviertels, nur dass diese Leute augenscheinlich keine Armut litten. Der Laden selbst war eine Ansammlung der unterschiedlichsten Güter. Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens gab es ebenso wie Waffen und Rüstungen. Nach kurzem Suchen fanden sie die Verkaufstheke, und dahinter einen jungen Mann, der offensichtlich einer der Betreiber war.

„Seid gegrüßt, meine Freunde! Was kann ich für euch tun?“

Mit einer offenen Geste empfing er sie, bevor Rinoa auch nur ein Wort sagen konnte. Sein ungekünsteltes Gebaren war eine Wohltat nach all dem heuchlerischen Auftreten, dass sie in der Stadt erlebt hatten.

„Ich brauche Unterkunft für mich und meine Freunde“, erwiderte Rinoa freundlich. Der Mann nickte verständnisvoll.

„Die kann ich euch anbieten. Ihr seid beruflich hier, vermute ich?“

Sie nickte vorsichtig.

„Ja, so ist es…“

„Dachte ich mir. Ich wusste gleich, dass ihr keine Archadianer seid. Wir, die Ganschbrüder, heißen euch jedenfalls willkommen. Mein Bruder wird euch gleich eure Kammern zuweisen.“
 

Die Kammern enthielten immer zwei Betten. Irvine und Selphie teilten sich eine, ebenso Xell und Rinoa. Auch wenn sie ihr Ziel den ganzen Tag über auf den Beinen gehalten hatte, so spürte sie jetzt doch die Müdigkeit. Matt ließ sie sich auf ihr Bett sinken, während Xell auf seinem saß und seinen Gedanken nachhängen zu schien.

„Schon komisch, wie freundlich die zu uns waren. Als ob sie uns erwartet hätten.“

Rinoa, die eben noch vor sich hin dämmerte, horchte auf.

„Was hast du eben gesagt?“

Er blickte sie unverwandt an.

„Ich? Na, dass das ganze komisch ist…“

„Hm… vergiss es.“

Xell tippte mit den Fingern auf seinen Oberschenkeln, um schließlich wieder aufzustehen.

„Ich schaue mal, was es hier zum Futtern gibt.“

Rinoa nickte ihm nur müde zu, während er den Raum verließ. Sie versuchte, zu schlafen, doch ohne Erfolg. Letztendlich verließ sie das Zimmer ebenfalls.
 

Es war nun Abend, und der Laden war geschlossen. Jetzt waren nur noch die zahlreichen Gäste anwesend und speisten zu Abend oder standen am Tresen des Gästebereichs, um sich bei einem Getränk zu unterhalten.

Die Vier saßen an einem Tisch und beobachteten nach einer Mahlzeit das exotische Treiben. Besonders auf fielen ihnen die Wesen, die dem Hören nach ‚Seeks‘ und ‚Bangaas‘ waren. Beide hatten wenig Ähnlichkeit mit der menschlichen Rasse. Die einen waren ausnahmslos dickleibig und hatten schweineartige Gesichter. Die andere Rasse hatte vorwiegend schlanke, austrainierte Körper, echsenartige Schnauzen und herabhängende Ohren. Die Menschen hier verkehrten ganz selbstverständlich mit ihnen, nur den Vier fiel es schwer, sich mit dem bizarren Anblick anzufreunden.

Einer von den Bangaas, der lässig am Tresen lehnte, fiel dies scheinbar auf. Eine Weile musterte er die Neuankömmlinge. Schließlich ging er zu ihrem Tisch und setzte sich ungefragt zu ihnen.

„Ihr seid neu hier, richtig?“ begann er mit seiner tiefen, schnarrenden Stimme.

„Das ist wahr“, erwiderte Rinoa. „Mit wem haben wir die Ehre?“

„Man nennt mich nur den ‚Colonel‘. Wenn ihr neu in diesem Geschäft seid, dann merkt euch das gut.“

Sein Tonfall ließ an Autorität nichts missen. Argwöhnisch blickten sich die Freunde an.

„Nun, ich bin Rinoa, und das sind meine Freunde Irvine, Selphie und Xell. Was meinen sie aber mit… Geschäft?“

Der Bangaa begann nun zu lachen, was eher wie ein Wiehern klang. Dann stoppte es abrupt.

„Nachdem ihr noch unerfahren seid, verzeihe ich euch diesen Scherz. Überlegt euch eure Späße aber gut in Zukunft, sonst werdet ihr als Kopfgeldjäger nicht alt. Für wen arbeitet ihr überhaupt?“

Rinoa ließ sich angesichts der Unverfrorenheit des Bangaas nichts anmerken, sondern antwortete nur gelassen.

„Wir arbeiten für den Jagdring“, sagte sie selbstbewusst. Der Colonel schüttelte missmutig den Kopf.

„Das ist mir schon klar, aber für welchen?“ fragte er ungeduldig. Die Vier warfen sich ratlose Blicke hinzu.

„Äh… für einen gewissen Auguste Baldore…?“ erwiderte Rinoa vorsichtig. Der Colonel nickte langsam.

„So, so. Für den alten Baldore. Man merkt, dass ihr ganz neu im Geschäft seid. Da wundert es mich, dass er gerade euch angeheuert hat? Wie auch immer… ich habe meinen eigenen Jagdring und muss mich nicht mehr herumkommandieren lassen. Ich kann mir meine Auftraggeber frei aussuchen.“

„Wie viele Jagdringe gibt es denn?“ fragte Xell arglos. Der Bangaa breitete die Arme aus.

„Soviele, wie es gelangweilte, reiche Leute in dieser Stadt gibt. Also VIELE! Hahaha!“ Er amüsierte sich köstlich über ihre Unwissenheit. Dann wurde er wieder ernst. „Es ist der Zeitvertreib der Elite dieser Stadt. Sie gründen Jagdringe und lassen sie seltene und vor allem gefährliche Monster erlegen. Es ist ein Wettstreit, versteht ihr? Je gefährlicher das erlegte Monster, umso besser. Damit steigern sie ihr Ansehen unter ihres gleichen. Wenn dabei ein paar Kopfgeldjäger draufgehen, egal. Hauptsache, sie können damit angeben.“ Voller Verachtung spuckte der Bangaa auf den Boden der Schenke.

„Und warum machen sie das dann?“ fragte Irvine stirnrunzelnd. Der Colonel schlug mit der Faust auf den Tisch.

„Weil ein wagemutiger Recke damit viel Geld verdienen kann, deshalb! Und wenn man dabei draufgeht… hat man ebenfalls keine Geldsorgen mehr! Haha!!“ Wieder klang sein Lachen durch die Schenke, und es hatte einen unüberhörbaren zynischen Unterton. „Wie auch immer, wir werden uns wieder über den Weg laufen, das weiß ich jetzt schon.“ Dann stand er auf und verließ ihren Tisch. Konsterniert blickten sie ihm nach.
 

„Wir sollen also so eine Art Gladiatoren spielen für reiche, eingebildete Säcke? Das schmeckt mir gar nicht“, warf Xell in den Raum und ballte die Faust. Er war nun mit Rinoa und den anderen in einem ihrer Zimmer. Gemeinsam besprachen sie die Lage. Rinoa hörte ihm geduldig zu.

„Mir gefällt es auuuch nicht so“, gab ihm Selphie recht. „Aber was sollten wir sonst machen? Wer könnte den sonst noch etwas wissen über gefäährliche Monster?“

„Ich verstehe eure Einwände“, erwiderte Rinoa langsam nickend. „Ich wünschte, wir hätten einen besseren Plan. Ich sehe aber keinen, und deshalb werden wir das tun.“

Der feste Klang ihrer Stimme überraschte sie selbst. Xell musterte sie argwöhnisch.

„Du bist ja ziemlich überzeugt von der Sache. Was macht dich eigentlich so sicher?“

Sie wollte etwas erwidern, doch aus ihrem offenen Mund drang zuerst kein Ton. Die Wahrheit war, sie wusste es selbst nicht genau.

„Ich… ich spüre einfach, dass es richtig ist. Bitte vertraut mir.“

Rinoa bemühte sich nichts anmerken zu lassen. In ihrem Inneren nagten sehr wohl Zweifel.

„Na gut“, erwiderte Xell seufzend. „Machen wir es so. Wird schon schiefgehen.“

Rinoa nickte erleichtert. Dann wandte sie sich an Selphie und Irvine.

„Seid ihr auch einverstanden?“

Irvine nickte lässig, und Selphie legte ihr freundschaftlich die Hand auf die Schulter.

„Wir ziehen das durch, gemeiiinsam! Bald werden wir ihn finden, und dann kehren wir zurüück!“

Ihr warmherziges Lächeln machte ihr Mut.

„Ich danke dir. Ich danke euch allen, dafür… dass ihr mich begleitet.“

„Ist doch klar“, sagte Irvine und griff sich an seinen Cowboyhut. „Wir lassen doch unseren Mr. „…nicht wirklich“ nicht im Stich, oder was dachtest du?“

Rinoa lächelte matt.

„Ich wusste immer, dass ich mich auf euch verlassen kann.“
 

Die beiden gingen in ihr Zimmer um sich hinzulegen. Xell schlief schnell ein und schnarchte leise. Das war aber nicht der Grund, warum sie lange Zeit wach lag und an die Decke starrte. Die Rolle der Anführerin war nichts Neues für sie. Schon damals, zu der Zeit als sie die Widerstandsgruppe von Timber leitete, war es ihr leicht gefallen, andere zu begeistern und zu motivieren. Und schwere Entscheidungen zu treffen, von denen Leben und Tod abhing. Es waren alle ihre Freunde gewesen, damals in Timber. Und doch hatte sie nie ein Problem gehabt, sie auf gefährliche Missionen zu schicken. Der Gedanke mit ihrem Wirken die Welt zu verbessern, hatte sie beflügelt und alle Risiken schrumpfen lassen. Doch letztendlich hatte sie die Welt nicht verbessert.

Sicher, der Hexenkrieg war zu Ende, und auch die galbadianische Führung hatte nun ein menschlicheres Gesicht. Doch nach wie vor gab es Krieg und Unterdrückung in ihrer Welt… Und Squall lebte davon. Es war sein Beruf, und der seiner Freunde im Garden. In einer vollkommen friedlichen Welt hätten Leute wie er keine Aufgabe mehr. Für sich selbst hatte sie die Erkenntnis gefunden, dass Kampf niemals dauerhaften Frieden hervorbringen kann. Eine Schlacht geht zu Ende, die nächste beginnt. Wer Gewalt sät… SEED, das Wort für ‚Saat‘ bedeutete letztendlich auch die Saat der Gewalt. Es war ihr zu viel geworden, und deshalb hatte sie ihn verlassen. Zu Beginn hatte sie gehofft, sie würde ihn ändern können. Doch letztendlich war er zu stark mit dem Garden und seinem erlernten Beruf verwurzelt gewesen.

Ruhelos wälzte sie sich hin und her. Sie wollte ihn retten, aber… wieso? Aus Liebe, die sie schon erkaltet geglaubt hatte? Aus Freundschaft und allem, was sie verband? War er nicht letztendlich Opfer seiner eigenen, immer die Konfrontation suchenden Lebensweise geworden? All das hatte sie hinter sich lassen wollen, und doch hatte es sie eingeholt. Und nun war sie hier, gestrandet in einer fremden Welt. Während sie langsam in einen unruhigen, von wirren Träumen erfüllten Schlaf hinüberdämmerte, stiegen all die Befürchtungen in ihr hoch, die sie sich tagsüber nicht erlauben konnte. Sie sah sich und ihre Freunde umzingelt von Feinden, in einer ausweglosen Situation. Flammen stoben empor als Sinnbild des Krieges, den sie entfacht hatten und der sie nun zu verschlingen drohte. Sie wehrten sich tapfer, doch schließlich fielen sie einer nach dem anderen, überrannt von Feinden, die dieselben Gesichter hatten… wie sie selbst. Mehrmals schreckte sie hoch, und erst in den frühen Morgenstunden fand sie wirkliche Ruhe.
 

„Nein… nein… lass mich… in Ruhe…“

Etwas zerrte an ihr. Verzweifelt wehrte sie sich, doch es ließ nicht ab von ihr. Kalte Hände packten sie. In einer schnellen Bewegung zog sie ihren Shooting Star hervor und ließ die Klingen heraus schnellen. Als sie endlich wach war und die Augen öffnete- sah sie Xell. Er stand über sie gebeugt und fühlte ihre Waffe am Hals. Erschrocken zog sie sie zurück.

„Du hast mich schon wieder verwechselt“, sagte er und machte ein unglückliches Gesicht.

„Bitte verzeih mir. Ich habe… schlecht geträumt.“

Verlegen dreinblickend setzte sie sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Xell war schon angezogen. Die Sonne blinzelte zum Fenster herein.

„Ich dachte, du verpennst noch den ganzen Vormittag. Dieser komische Typ, wir wollen ihn doch nicht warten lassen, oder?“

Sie nickte zustimmend und stand eilig auf. Hektisch schlüpfte sie in ihre Sachen.
 

Im ganzen Haus herrschte Aufbruchsstimmung. Der Großteil der Kopfgeldjäger war schon abgereist, und die Verbliebenen waren gerade dabei im hauseigenen Laden ihre Vorräte aufzustocken. Dier Vier standen in dem Gewühl und sahen sich um. Rinoa ging zum Tresen des Ladens, um ihr Quartier zu bezahlen. Nach einigem Warten erwischte sie einen der Gandsch-brüder.

„Ist irgendwas Besonderes? Ich meine, weil alle abreisen?“

„Aber natürlich“, antwortete er fröhlich. „Heute beginnt die offizielle Jagdsaison, sagt bloß, ihr wusstet das nicht? Die Regenzeit ist zu Ende, und viele der Jagdgebiete sind nun erst wieder zugänglich.“

„Wirklich? Nun, wir sind nicht von hier, wissen sie…“

Der Wirt lachte auf.

„Das dachte ich mir schon! Sagt bloß, ihr kommt aus Dalmasca? Das würde einiges erklären“, erwiderte er schmunzelnd. Rinoa nickte schief lächelnd, um sich dann von ihm abzuwenden. Gemeinsam verließen sie den Laden.
 

Wieder umfing sie der Trubel der Großstadt Archadis. Nach einigem Herumfragen wurde ihnen schließlich der Weg in den Senobul-Bezirk gewiesen.

„Am besten nehmt ihr ein Taxi“, empfahl ihnen ein Mann mit aufgezwirbeltem Schnurbart, um dann kopfschüttelnd weiter zu gehen. Die Vier sahen sich fragend an, dann fiel ihr Blick in die Richtung, in die der Mann noch gewiesen hatte. Am Rand der Straße, die ins nichts abfiel, schwebte ein Gefährt, wie sie es schon am Vortag gesehen hatten. Frohlockend lief Selphie darauf zu.

„Juhuuu, ein Luftschiff! Ich liebe Luftschiffe!!“

Die anderen folgten ihr schulterzuckend. Der Innenraum des unförmigen Fluggefährts war auffallend komfortabel eingerichtet. Langsam setzte es sich in Bewegung und flog los.

Gerade hatten sie sich an die Annehmlichkeiten des Gefährts gewöhnt, das wie ein Salon eingerichtet war, als es schon wieder hielt. Pfauchend ging die Tür auf und sie traten ins Freie. Der Fahrer, ein Mann in einer phantasievollen Uniform, verneigte sich vor ihnen, als sie ausstiegen. Rinoa kramte nach Geld.

„Wie viel schulden wir ihnen…?“

„Für Bürger erster Klasse ist das Taxi selbstverständlich gratis. Einen schönen Tag wünsche ich den Herrschaften noch“, erwiderte er mit einem ungläubigen Unterton. Dann stieg er wieder in sein Gefährt und wartete auf die nächsten Fahrgäste.

Das Stadtzentrum war nicht zu übersehen. Es war ein riesiger Bau, der nur durch einen Lift erreicht werden konnte. Dieser führte sie in eine Halle, die zahllose Geschäfte beherbergte. Wieder beeindruckte sie die ausladende Architektur. Weder mit Platz noch mit sonst etwas wurde in dieser Stadt gespart. Ungläubig staunend wandelten sie durch die Hallen und Gänge, deren verschwenderische Bauweise sie zutiefst beeindruckte. Wieder einmal fühlten sie sich an Esthar, die ‚schweigende Stadt‘, erinnert.

Bald fanden sie die sogenannte ‚Höhenterrasse‘. Schnell begriffen sie den Grund dieses Namens. Es war tatsächlich eine Terrasse, von der man von diesem beinahe höchsten Gebäude Archadis‘ die ganze Stadt überblicken konnte. Das Panorama war atemberaubend. Staunend hingen sie am Geländer.

„Waaaaah, was für eine Aussicht“, wunderte sich Selphie. Rinoas Blick glitt über das Panorama auf die Terrasse selbst, die mehrere Gastbetriebe beherbergte. Unter den vielen Tischen mit trinkenden und sich unterhaltenden Leuten fiel ihr einer ins Auge. Eine Person kam ihr bekannt vor.

Als sie näher kamen, erkannte er sie ebenfalls und winkte sie zu sich. Erfreut begrüßte er sie.

„Ah, da seid ihr ja!“ rief Auguste Baldore und wies ihnen Plätze zu. An seinem Tisch saßen noch drei andere Männer von ähnlichem Alter und Erscheinung. Er stellte sie ihnen der Reihe nach vor, ohne dass sie sich die ähnlich klingenden Namen gemerkt hätten. „Ich freue mich, dass ihr mein Angebot annehmen möchtet. Seid versichert, es wird sich für euch auszahlen“, bekräftigte er geheimnisvoll lächelnd.

„Ja, daran zweifle ich nicht“, begann Rinoa zuversichtlich. „Eigentlich erhoffen wir uns von ihnen Informationen über ein ganz spezielles Monster.“

„Fragt nur“, erwiderte er mit ausgebreiteten Armen. „Unser kleiner Zirkel hat sich schon der Erforschung seltener Monster verschrieben, als es noch wenige Jagdringe gab.“

„Nun… kennen sie ein Monster mit dem Namen Gilgamesch?“

Schlagartig kehrte betretene Stille in die Runde ein. Die Mitglieder des Jagdringes warfen sich ernste Blicke zu. Dann beugte sich Auguste Baldore nach vorne und stützte sich auf seine Ellbögen.

„Gilgamesch? Soll das ein Scherz sein?“

Rinoa schüttelte den Kopf.

„Nein, das meine ich ernst. Todernst.“

Dann lehnte er sich wieder zurück.

„Natürlich wissen wir von Gilgamesch. Welcher Monsterforscher hat noch nicht von seiner Legende gehört.“

„Legende…?“ fragte Xell verwirrt.

„Unter den sagenumwobenen Monstern nimmt die Gestalt des Gilgamesch eine besondere Rolle ein. Manche sagen, er ist nur ein Mythos, eine Sage. Andere sind davon überzeugt, dass es ihn wirklich gibt und haben sogar schon ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Es wäre die Krönung eines jeden Monsterforscherlebens, könnte er seine Erlegung für sich verbuchen.“

„Das heißt, ihr wisst nicht viel über diesen Typen?“ bemerkte Irvine. Auguste Baldore nickte.

„Nicht mehr, als dass er an weit voneinander entfernten Orten aufgetaucht ist und sich allen Versuchen, ihn zu erlegen, erfolgreich wiedersetzt hat. Noch nicht einmal seine Existenz ist zweifelsfrei bewiesen.“ Rinoa seufzte niedergeschlagen. Das waren keine guten Neuigkeiten. „Solltet ihr ihn besiegen können, dann hättet ihr auf jeden Fall ausgesorgt. Wir wären schon froh, wenn ihr uns ein anderes, weniger sagenumwobenes Monster erlegen würdet.“

„Und das wäre?“ fragte Irvine, der merkte, dass Rinoa mit ihren Gedanken abgedriftet war. Nachdenklich starrte sie auf die Tischplatte. Auguste Baldore zog ein Pergament hervor und rollte es aus.

„In unserer Sammlung fehlt unter anderem ein sogenannter Riesenfürst. Laut unseren Nachforschungen sollten im Sohen-Höhlenpalast welche zu finden sein. Andere Kopfgeldjäger in unserem Auftrag haben dort sogar welche gesichtet, flohen aber dann.“ Er schnaubte verächtlich. „Solche Feiglinge. Ich bin mir sicher, ihr seid aus anderem Holz geschnitzt.“

Irvine und Xell sahen sich an. Jemand der vor einer Jugendbande floh, maß sich nun ein Urteil über Monsterjäger an.

„He, das sieht aus wie ein Staaahlgigant“, krähte Selphie fröhlich. Auguste horchte auf.

„Ein Stahlgigant? Was ist das für eine Spezies?“ fragte er neugierig. Irvine fiel ihr ins Wort.

„Äh, das ist… gar nichts. Nur ihre Erfindung. Wie kommen wir nun zu diesem… Höhlenpalast?“

Die Mitglieder des Jagdrings sahen sich schmunzelnd an.

„Ihr seid erst seit kurzem auf diesem Kontinent, nicht wahr? Man erreicht ihn direkt durch die Gewölbe der Altstadt. Es ist ganz in der Nähe, und schon so manch vorwitziger Abenteurer hat ihn betreten, ohne wieder zurückzukehren. Bei euch habe ich diese Befürchtung aber nicht.“

Der hat leicht lachen, dachte Irvine leicht empört.

„In Ordnung. Wie steht’s mit unserer Belohnung?“

„Natürlich, die Belohnung. Unser Kopfgeld für dieses Monster beträgt 3000 Gil.“

Xell schnappte nach Luft. Das war ein ganzes Monatsgehalt für einen SEED.

„Und was sollen wir mit dem Vieh dann machen? Ich hoffe, sie erwarten nicht, dass wir ihn hierher schleppen.“

„Oh, nein, natürlich nicht. Es genügt, wenn ihr diese Materia hier bei euch tragt.“ Er reichte ihm eine weiß schimmernde Kugel. „Ihr braucht sie nur während des Kampfs bei euch zu tragen, und sie wird alle Informationen über das Ungeheuer speichern. Ist so eine Art Auto-Analyse.“

Irvine verstaute das Ding bei seinen Sachen. Rinoa legte ihren abwesenden Blick wieder ab und fand ins Hier und Jetzt zurück.

„Ich habe eine Frage.“

„Fragen sie nur, Fräulein Rinoa“, erwiderte er charmant.

„Wir sind nicht die ersten, die sie dorthin schicken, richtig?“

Seine gefällige Miene schwand.

„Allerdings. Wir haben diesen Auftrag schon anderen Kopfgeldjägern vor euch übertragen.“

„Und die sind nicht zurückgekehrt…“

„In diesem Geschäft überleben nur die Starken. Das muss ich ihnen wohl nicht erklären“, erwiderte er kühl. Rinoa nickte langsam, dann erhob sie sich.

„Tja, dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren. Wir sehen uns, wenn wir erfolgreich waren.“
 

Festen Schrittes gingen sie durch die Stadt. Ihr Ziel war die Treppe hinunter in das alte Archadis. Rinoa spürte mit einem Male eine Zielstrebigkeit, die sie in diesem Moment ganz erfüllte. All die Zweifel, die die letzte Nacht an ihr genagt hatten, sie waren wie weggefegt. Die anderen hatten Mühe, mit ihr Schritt zu halten, jetzt, wo sie ein konkretes Ziel hatte. Selphie beschleunigte, um zu ihr aufzuschließen.

„Saaag mal, Rinoa! Wie geht’s eigentlich weiter?“

Sie warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Du hast ihn doch gehört. Wir suchen dieses Monstrum und erledigen es.“

„Ja, das weiß ich schooon, aber… wir sind doch nicht hierher gekommen, um auf Kopfgeldjagd umzusatteln, sondern- “

Rinoa stoppte abrupt und blickte sie ernst an.

„Das weiß ich, Selphie, glaub mir. Aber eines ist klar: dieser Gilgamesch ist ein gefährliches Monster, und andere suchen ihn ebenfalls. Wir steigen in die Kopfgeldjagd dieser skrupellosen Leute ein, und früher oder später wird er uns über den Weg laufen. Wenn ihn jemand anderer vor uns erwischt… dann werden wir nie erfahren, was mit Squall geschehen ist.“

Auch Irvine und Xell standen jetzt um sie rum und hörten ihr gefasst zu. Selphie nickte langsam.

„Du hast recht. Ich war mir nuuur nicht sicher, ob… na ja…“

„Ob ich mich von meinen Gefühlen zu sehr leiten lasse? Meinst du das?“ Sie stützte die Hände in die Hüften. „Sicher nicht. Glaub mir das.“ Selphie machte einen unbehaglichen Eindruck. Irvine stand mit verschränkten Armen neben ihr.

„Sie wollte dir sicher nicht das Vertrauen absprechen, Rinoa. Wir vertrauen dir, und das weißt du. Aber wir SEEDs sind es gewohnt, im Team zu arbeiten. Wenn kein Kontakt zu einer Befehlsstelle möglich ist, werden Entscheidungen demokratisch getroffen. So steht’s im Handbuch, und so machen wir es.“

Einen Moment lang blickten sie sich ernst an. Fast mutete es wie eine Kraftprobe an, bis Rinoa den Blick abwandte.

„Na gut. Ist wer dagegen?“

Irvines Blick ging zu Xell, und dieser wandte sich an Selphie. Diese machte ein unschuldiges Gesicht.

„Wir sind dafür“, begann Irvine. „Dein Plan ist bis jetzt brauchbar. Andere Alternativen haben wir im Moment eh nicht.“

Sie nickte noch einmal, dann setzte sie ihren Weg fort. Schon kamen sie zu der Treppe. Die Metallstufen schepperten unter ihren Schritten.

Immer dieses Getue, dachte sie verärgert. Squall ist in wer weiß welcher Not, und die reden von demokratischen Entscheidungen? Sie schluckte ihren Ärger über das SEED-Gehabe runter. Den sollte ich mir diesen Gilgamesch aufheben, dachte sie grimmig.
 

Schließlich erreichten sie in einem hinteren Winkel von Alt-Archadis ein steinernes Tor, das offenbar noch älter war als die restliche Bausubstanz. Hoch ragte es über ihnen auf und wirkte abweisend, fast bedrohlich. Ringsum sie beobachteten sie die Einwohner des Armenviertels. Sie sahen nicht, wie sich so manch ältere Frau bekreuzigte, als sie durch das Tor traten.

TS1-RR1-CS1

Es wird euch wohl interessieren, was eigentlich mit Squall und Tifa passiert ist. Nun, hier erfahrt ihr es...
 


 

„Aaaargh“

Der Sog wurde zu stark, er muss loslassen. Alles um ihn herum gerann zu einem Chaos aus Licht und Wind, der an ihm zerrte. Das Monster hatte seinen Spezialangriff ohne Reaktion weggesteckt, und nun drohte es ihn zu verschlingen. Seine Finger lösten sich von dem Möbelstück. Er stürzte auf das Wesen zu. Im Flug drehte er sich herum und richtete seine Waffe auf das Wesen. Schreiend raste er auf das Ungeheuer zu.

Wenn du mich schon fertig machst… dann nehme ich dich mit!

Kurz vor dem Aufprall drückte er ab, und der Schuss hallte durch seinen Gehörgang. Dann wurde das Gleißen unerträglich. Der Orkan schien nun mitten durch seinen Verstand zu wehen. All seine Gedanken verschwammen zu einem sturmumtosten Flackern.

Wenn ich… nur das… Löwenherz-

Die Kraft zerrte nun an seiner Gunblade. Verzweifelt hielt er sie fest, doch schließlich öffnete eine unwiderstehliche Macht seine Finger, und sie entglitt ihm. Sie verschwand im Mahlstrom aus brennendem Feuer und tosenden Rauschen. Nur noch bruchstückhaft konnte er denken und erwartete, ebenfalls von dem Sog zerrissen zu werden. Als der Schmerz schon beinahe seinen Geist vollständig lähmte-
 

Die darauffolgende Stille war fast noch schlimmer. Eisige Kälte umfing ihn, und der Wind wehte nur noch schwach. Mühsam öffnete er die Augen. Längst spürte er keinen Boden mehr unter den Füßen. Verschwommen sah er, wie er hinab sank. Undeutlich erkannte er einen trüben Himmel voller grauer Wolken. Säulen aus blassem Marmor zogen an seinem Blickfeld vorbei. Ein leises Dröhnen drang an seine Ohren, und irgendwie spürte er, dass dies der Atem der Zeit selbst war. Gänsehaut bedeckte seinen ganzen Körper, als ihn eine unfassbare Macht streifte. Er fühlte die Anwesenheit eines Bewusstseins. Unbändiges Schaudern ergriff ihn, und er wusste nun, wie sich eine Fliege in Gegenwart eines Giganten fühlen musste. Fast hatte er Angst, eingeatmet zu werden. Dann öffnet er die Augen-

Es war einfach nur gigantisch. Aus demselben Marmor wie die Säulen, sah er es nun vor sich. Die Statue musste hunderte Meter groß sein, als er vor ihr in die Tiefe sank. In einer nachdenklichen Pose saß sie auf einem breiten, abgebrochenen Säulenkapitel. Ob sie männlicher oder weiblicher Natur war, verrieten die ebenmäßigen Züge nicht. Eine marmorne Toga bedeckte den größten Teil des Körpers. Der Kopf war zur Seite gedreht, der Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was dies war- nur das eine kaum fassbare Gefahr davon ausging. Dieser Eindruck durchflutete ihn bis in seine Haarspitzen. Immer weiter sank er in dieser unwirklichen Umgebung in die Tiefe, bis er schließlich beinahe den Fuß der Statue erreicht hatte. Unfähig, sich zu bewegen, starrte er zu ihr hinauf. Dann bewegte sich der marmorne Kopf in seine Richtung. Die vorhin noch blinden Augen öffneten sich, und kaltes Gleißen loderte in ihnen. Eine Stimme drang durch seinen Kopf, und die Endgültigkeit, die sie verhieß, ließ ihn bis ins Innerste erzittern.

„Ich warte auf euch…!“
 

„Was ist denn mir dir?“

„Bleib mir vom Leibe, du Monster“, stammelte Squall und hielt sich die Hand vor Augen. Das Tageslicht brannte ihn förmlich auf der Netzhaut. Langsam öffnete er sie. Was er sah, war- eine Frau, die ein kleines Kind an der Hand hielt.

„Was erlauben sie sich“, schimpfte sie empört, „meinen Sohn ein Monster zu nennen! Unerhört!“

Mit einem verärgerten Gesichtsausdruck wandte sie sich ab. Ihr Sohn an ihrer Hand starrte ihn immer noch fasziniert an, als sie ihn wegzerrte. Fassungslos schaute er ihnen nach. Ächzend kam er auf die Beine und putzte sich etwas verlegen seine SEED-Uniform ab. Die Leute ringsum starrten ihn verwundert an. Unbehaglich blickte er sich um.

„Habt ihr beiden etwa schon um die Tageszeit zu viel von unserem köstlichen Bhujerba-Wein erwischt?“ fragte sie ein Mann lachend, der am Geländer lehnte. Squall blickte ihn ratlos an.

„Was…? Welcher Wein und… was meinen sie mit ihr beide?“

Der Mann deutete neben ihn.

„Na, du und deine Freundin. Warum kriecht ihr dann auf dem Boden herum?“

Squall drehte sich um. Gleich hinter ihm kam gerade eine Frau auf wackelige Beine. Sie hatte lange, schwarze Haare, eine schwarze knielange Hose und einen Oberteil von derselben Farbe an. Eine rote Schleife war um ihren linken Oberarm gebunden, wie ihm auffiel. Sie blickte sich ebenso verwirrt um wie er. Dann fiel ihm seine Umgebung auf.
 

Sie standen auf einer Brücke, die zu einer Stadt führte. Sie überspannte aber nicht etwa Wasser, sondern- Wolken. Wie riesenhafte Wattebäusche zogen sie an der Stadt vorbei. Er lief zu dem Geländer der Brücke und starrte in die Tiefe. Hin und wieder gaben die vorbeiziehenden Wolken den Blick frei auf ein glänzendes Meer und eine grüne Küste.

„Das ist- schweben wir etwa?“ fragte er den Mann fassungslos. Dieser bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick.

„Es ist doch immer dasselbe mit euch Archadianern. Ihr kommt hierher, spielt euch als was Besseres auf und betrinkt euch dann, bis ihr nicht mehr wisst, wo ihr seid. Ts…“ Kopfschüttelnd wandte er sich ab und ging weg. Squall schaute ihm verwirrt nach.

„Wo… bin ich hier?“ hörte er die Stimme einer jungen Frau hinter sich. Squall hob die Schultern.

„Woher soll ich das wissen“, murmelte er verärgert. Dann zog sein Löwenherz. „Ich will wissen, wo dieser Dreckskerl hin ist!“ schrie er nun fast. Die Leute um sie herum wichen zurück. Die junge Frau vor ihm blickte ihn irritiert an, als schaue sie durch ihn hindurch.

„Welcher… Dreckskerl?“ fragte sie abwesend.

„Na, der mit den vielen Armen und Schwertern! Wenn ich den erwische, dann- “ Squall fuchtelte mit seiner Waffe wutentbrannt herum.

„Der Typ mit den vielen Armen und Schwertern… meinst du etwa Gilgamesch?“

„Ist mir scheißegal, wie er hei- “ Squall erstarrte. Langsam drehte er sich um und blickte der Frau ins Gesicht. „Du… hast ihn ebenfalls gesehen?“

Die Frau nickte.

„Ja. Er hat unser Lokal überfallen. Cloud und ich haben gegen ihn gekämpft, aber… dann war da ein Lichtsog, und dann war ich hier…“

Squall steckte seine Waffe weg und ergriff die Frau bei den Schultern.

„Wenn du ihn auch gesehen hast… wer ist er? Was weißt du über ihn?“

Langsam erwachte sie aus ihrer Starre. Ihr nun plötzlich giftiger Blick traf seine Hände an ihren Schultern. Vorsichtig ließ er sie los.

„Wer bist du überhaupt?“

„Ich? Ich bin Squall Leonhart, Vizedirektor des Balamb-Garden. Und du?“

„Tifa Lockheart, Direktorin des ‚7.Himmels‘. Sehr erfreut“, antwortete sie säuerlich. „Wie sind wir hierhergekommen?“

Er schüttelte ratlos den Kopf.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

Kaum hatte er das gesagt, wandte er sich schon um und ging.

„He… warte!“ Er stoppte abrupt. „Wo willst du überhaupt hin?“ Er wandte ihr immer noch den Rücken zu und schüttelte den Kopf.

„Ich… ich weiß es nicht. Aber irgendwas muss ich tun.“

Tifa holte ihn ein und stand nun neben ihm.

„Zuerst sollten wir mal unseren Wissenstand vergleichen. Du sagst, du wurdest ebenfalls von diesem Wesen angegriffen?“

Jetzt erst merkte er, wie sehr ihn seine Wut benebelt hatte. Er lief herum wie ein kopfloses Huhn, und diese Frau hatte vollkommen recht. Geräuschvoll atmete er aus und verzog das Gesicht. Du bist ein SEED, verdammt, sagte er innerlich zu sich selbst.

„Also gut. Es kam so…“
 

Gemeinsam spazierten sie durch diese fremdartige Stadt. Jeder erzählte, wie es zu dem Aufeinandertreffen mit dem mysteriösen Wesen gekommen war.

„Balamb. Schumi. Das habe ich noch nie gehört. Wo soll das sein?“ fragte Tifa kopfschüttelnd.

„Wo das ist? Na, auf der Erde, wo sonst.“

Sie sah ihn schief an.

„Was glaubst du, von wo ich komme“, entgegnete sie scharf. „Oder wo wir hier sind…“ Sie deutete auf die altertümlichen Häuser aus rotem Backstein und die Menschen, deren Kleidung ihnen völlig fremd vor kam.

„Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, wo dieses Midgar sein soll. Auf meiner Welt jedenfalls nicht…“ Tifa blieb plötzlich stehen. Squall wandte sich zu ihr um.

„Dieses Ding… es muss uns irgendwie in eine andere Welt versetzt haben!“ sagte sie mit bedeutungsvoller Miene. Squall winkte ab.

„So ein Quatsch. Andere Welten, pah…“

„Welche Erklärung hättest denn du?“ begann sie vorwurfsvoll. „Wir sind demselben Wesen begegnet, und nun sind wir hier! Wir beide kennen diese Welt nicht, also… muss sie irgendwo anders sein, wo immer das ist…“ Squall atmete tief durch. Allmählich klang der Schock ab, und er besann sich wieder der Eigenschaften, die einen SEED ausmachten. „Also gut: als erstes sammeln wir Informationen. He, sie!“ rief er einer vorbeigehenden älteren Frau nach. Diese wandte sich um, musterte ihn skeptisch, um dann mit erhobener Nase weiterzugehen. Squall runzelte die Stirn. Tifa schüttelte langsam den Kopf.

„So wird das nichts.“

Sie blickte sich um, bis ihr Augenmerk auf einen Mann mittleren Alters fiel. Sie ging auf ihn zu und lächelte ihn an. Schnell entspannte sich ein Gespräch zwischen den beiden. Squall beobachtete das Geschehen argwöhnisch. Nach einer Weile lehnte er sich an eine Mauer, verschränkte die Arme und setzte eine gelangweilte Miene auf.

Schließlich kam Tifa wieder zurück. Sie strahlte übers ganze Gesicht.

„So, jetzt sind wir klüger.“ Squall machte ein erwartungsvolles Gesicht. „Diese Stadt heißt Bhujerba. Irgendeine seltsame Macht hält sie in der Schwebe, hat er mir erklärt. Sie ist bei Reisenden sehr beliebt, deshalb werden wir wohl nicht weiter auffallen.“

Er hörte ihr geduldig zu, seine Miene hellte sich aber nicht auf.

„Toll. Das hilft uns auch nicht wirklich weiter. Wer ist überhaupt der Zampano hier?“ Tifa verzog leicht das Gesicht angesichts seiner mürrischen Reaktion. Dann sprach sie betont gleichmütig weiter.

„Ja, das hat er auch erwähnt. Der Name ist etwas kompliziert, warte… Marquis Halim Ondore, der vierte! Genau, das war sein Name…“ Squall machte ein nachdenkliches Gesicht, während er die neuen Informationen verarbeitete. „Tja, man muss eben nur etwas freundlich sein zu den Leuten, dann erfährt man so einiges.“

Sie gingen weiter, und Squall kratzte sich am Hinterkopf.

„Das hat Rinoa auch immer gesagt…“, murmelte er.

„Rinoa? Wer ist das? Deine Freundin?“ fragte sie, während sie auf einen freien Platz kamen, von dem aus man in mehrere Richtungen das Wolkenmeer überblicken konnte.

„Ach…“, entgegnete er betrübt. „Nicht wirklich…“

„Nicht wirklich? Ist sie es nun oder nicht?“ hakte sie nach.

„Na ja, früher war sie es… das geht dich aber eigentlich gar nichts an“, entgegnete er rüde.

„Tut mir leid“, erwiderte sie säuerlich. Mann, was für ein Sauertopf, dachte sie seufzend. Fast wie Cloud zu seinen besten Zeiten…

Der Platz, auf dem sie nun standen, war voller Leben. Terrassenförmig erhoben sich Stufen zu drei Seiten, auf denen Leute saßen und tratschen, auf denen Kinder spielten und Liebespaare Zärtlichkeiten austauschten. Ein Frieden lag über der ganzen Szene, der Tifa das Chaos der letzten Nacht beinahe vergessen ließ. Und inmitten all der Fröhlichkeit stand ihr mysteriöser Begleiter mit verschränkten Armen und schaute griesgrämig in die Gegend. Dann fiel ihr Blick auf etwas sonderbares, und sie lief los.

„Hm? He, wo willst du hin?“

Squall blickte ihr nach, dann folgte er ihr seufzend.
 

„Nur ein Luftikus wagt sich ohne gescheite Equipage hinaus in die weite Welt! Tretet näher und kauft ein!“

Erstaunt starrte Tifa das Wesen an, das an dem Platz Waren feilbot. Es stand auf den Hinterbeinen und gestikulierte lebhaft mit seinen kräftigen Armen. Ansonsten hatte es aber starke Ähnlichkeit mit einer sprechenden Echse, deren Ohren herabhingen. Es bemerkte ihr Interesse und deutete es prompt falsch.

„Na, junge Dame? Braucht ihr was oder habt ihr schon? Wie wär’s zum Beispiel mit einem Set Phönix-Federn? Zehn Stück um nur 2000 Gil, hihi…“

Die anderen Leute um den Stand herum begutachteten seine Waren mit gedämpftem Interesse. Tifa hob die Achseln.

„Danke, aber- wartet: sagtet ihr… 2000 Gil?“

Er erwiderte ihren alarmierten Gesichtsausdruck mit einer entschuldigenden Geste.

„Ja, aber ich bitte euch! Das ist ein hervorragendes Angebot, seid dessen versichert!“

Nun stand auch Squall neben ihr und musterte das fremdartige Wesen misstrauisch.

„Habe ich gerade richtig gehört…?“

Der Kaufmann warf die Arme mit gespielter Verzweiflung in die Luft.

„Ihr möchtet mich in den Ruin treiben? Noch weiter runtergehen kann ich beim besten Willen nicht, nein, nein!“

Squall und Tifa blickten sich an, dann wandten sie sich zum gehen. Der Kaufmann rief ihnen fast flehend nach.

„A-aber vielleicht ein Schildkrötenkollier für die Dame? Damit wird euch ihr Herz sicher sein, seid dessen versichert! Kostet die Kleinigkeit von neuntausend…“
 

„Gil. Wie in unserer Welt. Ist das zu fassen?“

Tifa schüttelte den Kopf. Squall wollte dies ebenso tun, verharrte dann aber.

„Ihr habt… Gil als Währung?“

„Klar“, erwiderte sie schulterzuckend. „Ihr etwa… auch?“

„Hm…“ Nachdenklich verschränkte er die Arme. „Das wird immer seltsamer…“

Tifa schüttelte den mysteriösen Gedanken ab.

„Wie auch immer. Gehen wir weiter.“ Sie lief los, merkte aber, dass Squall ihr nicht folgte. Dann drehte sie sich um. „Was ist? Willst du da Wurzeln schlagen?“

Seine Züge spannten sich an, dann gewann er wieder Oberhand über seine Miene und setzte seinen üblichen, irgendwie teilnahmslosen Blick auf.

„Ja. Wir sollten uns nicht mit solchen Kleinigkeiten aufhalten. Gehen wir.“

Festen Schrittes ging er an ihr vorbei, und sie blickte ihm bedauernd nach.

Was für ein Sturschädel…
 

„Wir brauchen einen Plan. Wir müssen unser Vorgehen festlegen und klare Ziele defini- was ist denn jetzt schon wieder?“

Tifa lief weg, und er verfolgte sie genervt. Offenbar hatte sie Mühe, sich länger auf etwas zu konzentrieren, eine Eigenschaft, die bei Frauen verbreitet schien, dachte er.

„Oh, bist du süüß!“

Sie ging in die Hocke und sah dem Wesen ins Gesicht. Es wirkte wie ein überdimensionales Nagetier mit einem Hang zu schriller Kleidung. Ein roter Bommel hing an seinem Schweif und tanzte hin und her.

„Ich und süß? Danke für das Kompliment, kupo!“

Squall hatte sie nun eingeholt. Dann merkte er das Wesen. Seufzend griff er sich an den Kopf.

„Sprechende Mäuse? Was kommt als nächstes…“

Das Wesen blickte ihn giftig mit seinen schwarzen Kulleraugen an. Auch Tifa warf ihm einen tadelnden Blick zu.

„Ich bin keine Maus, kupo! Ich bin ein Mogry vom stolzen Volk der Mog, kupokapiert?“

„Ja, ja, ist schon recht…“, murmelte Squall.

„Ein Mogry bist du, sagst du? Wie interessant…“

Tifa unterhielt sich mit dem knuffigen Wesen angeregt, während Squall nur daneben stand und finster in die Gegend schaute.
 

„Kommunikation scheint ja nicht deine Stärke zu sein“, sagte Tifa lachend, während sie ihren Rundgang fortsetzten. Squall zuckte mit den Achseln.

„Nicht wirklich. Ist das denn so schlimm?“

„Nein, nein“, erwiderte sie versöhnlich. „Ich kenne jemanden, dem geht es ähnlich…“ Ihre Gedanken wanderten zu Cloud. Mit einem Male wurde ihr bewusst, dass ihr sein Schicksal unbekannt war. Nach dem Lichtblitz… was war geschehen? Hatte das Wesen weiter gegen ihn gekämpft, ihn womöglich… besiegt? Nein, sagte sie zu sich selbst. Nicht Cloud. Den haut nichts so leicht um, versicherte sie sich selbst.

„Alles in Ordnung?“

Aus den Gedanken gerissen, blickte sie ihn Squalls blaue Augen.

„Ja, es ist… ich habe an einen guten Freund gedacht.“

„Der, der ebenso unkommunikativ ist wie ich?“

Nun musste sie lächeln.

„Ja, genau der.“

„Hm. Geht mich ja nichts an.“

Er ging weiter, und sie folgte ihm eilig.

„Warte… ich kann es dir gerne erzählen.“

„Und warum“, entgegnete er. „Es ist dein Leben, nicht meines.“

„Aber… jetzt warte mal!“ Widerwillig blieb er stehen. Tifa blickte ihn ernst an. „Was ist eigentlich mit dir? Ich meine, wir sind hier beide in einer fremden Welt gestrandet, und da können wir uns ruhig besser kennenlernen. Ich verstehe nicht, warum du so abweisend bist“, fügte sie kleinlaut hinzu. Seine tiefgründigen, dunkelblauen Augen ruhten einen Moment auf ihr, dann drehte er sich um. Seufzend verschränkte er die Arme.

„Ich weiß… ich bin so. Wahrscheinlich hat sie mich deshalb verlassen“, flüsterte er mehr zu sich selbst. Sein Blick hob sich zum Himmel. „Es wird allmählich spät. Wir sollten uns um eine Unterkunft umsehen“, sagte er nun wieder mit fester Stimme. „Unser Geld nehmen die ja, also… suchen wir uns eine.“
 

Die untergehende Sonne färbte das Wolkenmeer um die schwebende Stadt in alle Rot- und Orangetöne, die man sich ausmalen konnte. Tifa war ganz hingerissen von dem Anblick, selbst Squall hielt einen Moment Inne, bevor sie ihre Suche nach einem Quartier fortsetzten. Schließlich standen sie vor einem Gebäude, bei dessen Eingang eine Tafel mit den Gerichten des Tages aushing. Über der Tür stand ‚Zur schwebenden Wolke‘.

„Das klingt gut, gehen wir rein“, sagte Tifa fröhlich, bevor Squall noch etwas sagen konnte. Leise seufzend folgte er ihr.

Das Innere des Gasthauses war so farbenprächtig und exotisch eingerichtet, wie man es in einem fernen Land erwarten konnte. Die zahlreichen Gäste unterhielten sich vorzüglich, und einige Gesellen mit Gleichgewichtsproblemen verrieten, dass hier gerne ein guter Schluck getrunken wurde. Von dem Trubel beeindruckt, gingen sie zur Theke. Eine junge Frau in der üblichen Landestracht hatte beide Hände voll zu tun, die Gläser nachzufüllen. Trotzdem kümmerte sie sich bald um die beiden.

„Seid gegrüßt, Reisende! Ich bin Melissa, Wirtin dieses Hauses. Wie kann ich euch dienlich sein?“

„Wir brauchen eine Unterkunft“, sagte Squall eilig. Tifa merkte, dass er sich in dieser ausgelassenen Umgebung nicht allzu wohl fühlte.

„Aber gerne. Einen Moment, Magu wird sie euch zeigen. Maaguu!! Steh auf, verdammt!“

Ihr Ruf galt einer fetten Kreatur, die in einer Ecke des Gasthauses lag. Im Vorbeigehen hatten sie ihn für einen betrunkenen Gast gehalten. Langsam kam das Wesen, das einem aufrechtgehenden Schwein ähnelte, auf seine unbeholfenen Füße.

„Was gibs, Chefin“, lallte er, während er sie mit unsicheren Schritten ansteuerte. Melissa machte ein unglückliches Gesicht.

„Was für eine Schande. Du trinkst mehr, als du den Gästen bringst, weißt du das, Magu?“

Magu machte ein betroffenes Gesicht, soweit dies seine fremdartige Erscheinung erlaubte.

„Aaaber Melissa, werte Chefin*hicks*… ich koste doch nur unseren berüühmten Wein, ob er*hicks*… auch gut genug ist…“

Sie bedachte ihn mit einem tadelnden Blick und schüttelte den Kopf.

„Es ist furchtbar mit dir, Magu… und jetzt zeig unseren Gästen ein Quartier für die Nacht, hörst du? Marsch!!“

Auf das letzte, drohende Wort hin kam plötzlich Eifer in seine Bewegungen. Tifa und Squall hatten Mühe, mit dem beschwipsten Seek Schritt zu halten.
 

„Da-das ist es*hicks*… hoffe, es gefäällt…“

Bevor noch Squall etwas erwidern konnte, taumelte der Seek schon wieder davon. Ratlos blickte er ihm hinterher. Tifa betrat den kleinen, aber liebevoll eingerichteten Raum.

„Ist doch hübsch hier drin.“

Vergnügt ließ sie sich auf das breite Bett in der Mitte des Raumes fallen und breitete die Arme aus. Squall beobachtete sie stirnrunzelnd.

„Aber… das ist ja ein Doppelbett!“

Seufzend setzte sie sich wieder auf.

„Tja, die halten uns wahrscheinlich für ein Paar in den Flitterwochen. Aber keine Angst, ich beiße nicht“, fügte sie kichernd hinzu. Wortlos und mit finsterer Miene setzte er sich an die äußerste Kante des Betts. „Sag bloß, du hast Angst vor Mädchen“, zog sie ihn auf.

„…nicht wirklich“, antwortete er mit hängenden Schultern. „Ich bin es nur gewohnt, alleine zu schlafen.“

Tifa legte den Kopf schief.

„Aber du sagtest etwas von einer Rinoa… deine Freundin?“

„Sie war meine Freundin“, betonte er.

„Aber du hast du doch schon mal mit ihr geschlafen, oder?“ hakte sie neugierig nach. Er wandte sich um und schaute sie entrüstet an.

„Also ich weiß wirklich nicht, was dich diese Details angehen- “

„Schon gut, war wirklich etwas… indiskret. Musst es mir ja nicht erzählen.“

„Und bei dir? Hast du einen Freund?“ fragte er in erster Linie, um von seinem wunden Punkt abzulenken. Sie stützte sich auf ihre Knie und atmete seufzend aus.

„Ja… irgendwie schon.“

Nun musste er lächeln.

„Was nun? Ja oder nein?“

Sie schüttelte lachend den Kopf.

„Jetzt hast du mich ebenfalls ertappt. Nun ja; das ist nicht so einfach. Er ist ein sehr guter Freund. Wir haben eine Menge miteinander durchgemacht. Aber ob wir ein Paar sind…“

Sie wurde nachdenklich. Die letzte Zeit hatte sie sich gar nicht mehr mit dieser Frage beschäftigt. Zu selbstverständlich waren der Tagesablauf und das tägliche Miteinander mit Cloud geworden. Sie empfand wohl wie eine Schwester für ihn; doch war da nicht mal mehr gewesen? Hatte sie sich nicht mehr gewünscht?

„Er heißt Cloud. Cloud Strife. Wir kennen uns schon seit unserer Kindheit. Ich habe früher für ihn geschwärmt, doch irgendwie… wurde da nicht mehr als Freundschaft draus. Na ja, zwischenzeitlich war da noch eine andere Frau, aber die lebt nicht mehr. Und seither… Du erinnerst mich übrigens ziemlich an ihn, weißt du das? Squall?“ Der Angesprochene saß da mit hängenden Schultern und reagierte nicht. „Hörst du mir überhaupt zu, Squall?“

„Hm? Ja, klar. Äh… was sagtest du?“ Er drehte sich zu ihr um, und einen Moment erschrak sie innerlich. Seine dunkelblauen Augen schienen einen Moment einen eisigen Glanz anzunehmen, und fast… sah sie Clouds Gesicht in seinem. „Alles in Ordnung?“

Sie schüttelte verwirrt den Kopf.

„Ja… ich habe nur… es ist nichts.“

„Wirklich? Du schaust drein, als hättest du einen Geist gesehen.“

Verwirrt schaute sie zu Boden, dann fing sie sich wieder.

„Und diese Rinoa? Wie ist sie so? Erzähl mal.“

Seufzend stand er auf.

„Na ja, was soll ich sagen… sie ist sehr lebhaft, hat ständig alle möglichen Ideen. Also eigentlich… ist sie dir sehr ähnlich. Soweit ich dich bis jetzt kenne.“

Ein zartes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Das fasse ich als Kompliment auf.“

Seine Züge hellten sich einen Moment auf, bevor er sich dann wieder abwandte. Geräuschvoll ausatmend ging er durchs Zimmer.

„Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich bin hundemüde.“ Dann begann er seine SEED-Uniform abzustreifen. Tifa musste bei dieser Erwähnung gähnen.

„Du hast wohl recht. Das war ein bisschen viel heute.“

Sie fing ebenfalls an, sich für die Nachtruhe herzurichten. Squall, ganz Gentleman, drehte ihr den Rücken zu, während sie sich auszog. Nur einmal horchte er auf, als er ein metallisches Klappern hörte.

„Es geht mich ja nichts an, aber… war das deine Waffe?“

„Na ja, gewissermaßen“, sagte sie kichernd. „Nein, im Ernst, ich trage keine Waffe. Ich kämpfe mit den Fäusten.“

„Aha.“

„Das war mein Bustier.“

Obwohl er ihr den Rücken zuwandte, konnte sie förmlich spüren, wie seine Augen groß wurden.

„Du trägst ein Bustier aus… Metall?“

„Ja. Ist praktisch im Kampf. Schützt alle empfindlichen Teile.“

„Ich verstehe“, räusperte er sich. „Bist du jetzt fertig?“

„Ja.“

Er drehte sich um. Sie saß im Bett mit der Decke bis unters Kinn und lächelte schelmisch.

„Ich kann auch auf dem Boden schlafen, falls dir das lieber ist…?“

„Nun komm schon“, entgegnete sie mit verdrehten Augen. „Stell dich nicht so an.“

Mit trotziger Miene schlüpfte er unter die Decke. Sofort drehte er sich zur Seite und wandte ihr seinen Rücken zu.
 

„Squall?“

„Hm…“

„Ich kann nicht schlafen.“

Seufzend drehte er sich auf den Rücken.

„Und was soll ich da tun?“

„Keine Ahnung… erzähl mir irgendwas.“

Er atmete geräuschvoll aus.

„Ich weiß, dass ich kein begnadeter Erzähler bin, aber so langweilig bin ich auch wieder nicht, dass du dann unweigerlich einschläfst.“

Er hörte ihr Lachen durch das dunkle Zimmer.

„Dein Humor ist großartig, wirklich. Erzähl mir was von dir. Was machst du so? Ich meine, in deiner Welt, wo du herkommst.“

Sie hörte einen langgezogenen Seufzer in der Finsternis.

„Tja… ich bin stellvertretender Direktor des Balamb-Garden. Das ist eine Einrichtung, die Söldner ausbildet und beschäftigt. Die SEEDs kämpfen gegen Hexen… zumindest war das ihre ursprüngliche Aufgabe. Heute machen wir alles Mögliche. Attentate, Staatsstreiche, Revolten niederschlagen… alles, wofür wir bezahlt werden.“

„Puuh…“

Tifas Stirnrunzeln war praktisch hörbar.

„Und du? Was ist dein Job?“ fragte er unüberhörbar gelangweilt.

„Ich? Ich führe eine Bar. Das habe ich schon früher gemacht, aber sie wurde zerstört. Jetzt habe ich eine neue. Ja, ich mache es gerne, wenngleich… Squall? Squall, hörst du zu?“

„Hm?“

„Sag es ruhig, wenn du schlafen willst, dann höre ich sofort auf“, sagte sie in einem beleidigten Tonfall.

„Okay. Bitte erzähl weiter“, antwortete er beschwichtigend. So viel wusste er schon über Frauen.

„Na ja, wie soll ich sagen… ich und Cloud, und ein paar gute Freunde, wir haben ziemlich verrückte Sachen durchgemacht die letzten Jahre. Es mag verrückt klingen, aber… wir haben die Welt gerettet. Also unsere Welt. Kannst du dir das vorstellen?“

„Klar“, erwiderte er und starrte hilflos an die Decke. Wenn Frauen mal anfangen zu reden… , dachte er seufzend.

„Du nimmst mich nicht ernst.“

„Sicher tu ich das. Wen habt ihr besiegt?“

„Wie meinst du das…?“

„Also, wenn man die Welt rettet, dann muss man dafür einen übermächtigen und durch und durch bösen Gegner besiegen, der… wer weiß was anstellt, wenn man ihn nicht aufhält.“

Tifa blickte verdutzt in die Dunkelheit.

„Ja, so ähnlich war es… er hießt Sephirot. Er wollte den Planeten zerstören.“

Sie hörte ein amüsiertes Schnauben.

„Sephirot. Was für ein bescheuerter Name…“

„Ja, jedenfalls… du kennst dich mit sowas aus?“

„Wir hatten einen ähnlichen Fall. Artemisia, eine Hexe aus der Zukunft, wollte unsere Welt einer Zeitkompression unterziehen. Das mussten wir verhindern.“

„Eine… Zeitkompression? Was bitte ist denn das?“

„Ein schlechter Einfall von Kazushige Nojima.“

Beide mussten kichern.

„Jedenfalls… was ich sagen wollte, war dass ich das Gefühl habe… etwas besseres verdient zu haben“, sprach Tifa weiter. „Ich meine, ohne uns würde es ziemlich schlecht aussehen in unserer Welt… und trotzdem stehe ich nach wie vor hinter einer Theke und schenke Bier aus. Das ist irgendwie ungerecht.“

„Ich dachte, du machst es gerne?“ erwiderte Squall, und zum ersten Male war ehrliches Interesse in seiner Stimme hörbar.

„Ja, schon, aber… ich werde das Gefühl nicht los, was verpasst zu haben.“

„Du bist doch noch jung. Du hast dein Leben noch vor dir.“

Sie warf einen ungläubigen Blick zu ihm rüber.

„Du redest ja, als ob du selber schon uralt wärst. Ich schätze, wir sind im selben Alter.“

Squall drehte sich um und vergrub seinen Kopf im Kissen.

„Niemand ist in meinem Alter“, murmelte er, „aber das habe ich ja schon mal gesagt…“

„Hm? Wie alt bist du überhaupt?“

„Neunzehn.“

„Neunzehn und schon Vizedirektor von einem… äh, was auch immer. He, warte mal! Ich bin zweiundzwanzig! Wenn, dann sollte ich altklug daherreden von uns beiden!“

„Ja, ja…“, stöhnte Squall in sein Kopfkissen hinein. „Wenn du schon nicht schlafen kannst, lässt du mich wenigstens?“

Tifa seufzte nachsichtig.

„Ja… du hast ja recht. Also, gute Nacht.“
 

Exakt eine Minute vor dem ersten Hahnenschrei erwachte Squall. Er setzte sich auf und blickte sich verwirrt um. Seine Umgebung… dann fiel es ihm wieder ein.

Ich bin nicht mehr im Balamb-Garden, sagte er sich innerlich vor. Ich bin in einer fremden Welt, und das Ziel lautet, zurückzukehren.

Nachdem er hiermit sein Motto für den Tag festgelegt hatte, stand er zügig auf. Mit eingespielten Bewegungen schlüpfte er in seine vom Vortag feinsäuberlich aufgehängte Uniform. Das hätte er auch in völliger Finsternis gekonnt, und schließlich stand er da wie aus dem Ei gepellt. Er tat einen Schritt, um dann in der Bewegung zu erstarren. Nein, in mein Büro kann ich heute nicht, dachte er und schüttelte über sich selbst den Kopf. Dann fiel sein Blick auf das Bett, in dem eine junge Frau auf der Seite eingerollt lag und schlief. Squall, der es gewohnt war, immer früh aufzustehen, rümpfte die Nase.

Vorsichtig trat er an sie heran und schaute ihr ins Gesicht. Ihre Lippen zitterten, als träumte sie etwas. Aus ihrem Mundwinkel hing ein dünner Speichelfaden. Er betrachtete sie kopfschüttelnd, dann fiel sein Blick auf ihre Kleidung, die in einer Ecke auf einem Haufen lag. Argwöhnisch betrachtete er den Haufen. Schließlich hob er ihren Oberteil auf. Als er mit den Knöcheln gegen die verstärkte Vorderseite klopfte, tönte es metallisch. Ein plötzliches Grunzen ließ ihn herumfahren. Jetzt schien Tifa etwas im Schlaf zu murmeln. Erneut trat er an sie heran. Diesmal packte er sie an der Schulter, um sie wachzurütteln. Es folgte ein undeutliches „Hau ab“. Mit einer Hand schob sie ihn weg. Doch er ließ sich nicht entmutigen.

„Aufstehen!!“ schrie er ihr ins Ohr, und sie schreckte hoch. Die Haare wirr übers Gesicht hängend, starrte sie ihn an.

„Bist du… wahnsinnig!?“

Squall hob die Schultern und verschränkte die Arme.

„Du hättest sehen sollen, was ich früher immer mit faulen Kadetten angestellt habe. Zu dir war ich gnädig.“

„Ich bin keiner deiner… Kadetten“, knurrte sie ihn an und kroch aus dem Bett. Schlaftrunken sammelte sie ihre Kleider ein und zog sie über.

„Wir sind hier nicht auf Urlaub, falls du das schon vergessen hast. Du bist kein Morgenmensch, was?“ fügte er milder hinzu.

Tifa schüttelte den Kopf, während sie den Weg in ihre Kleider suchte.

„In meinem Lokal sperre ich selten vor drei Uhr morgens zu. Ich bin es gewohnt, lange zu schlafen.“
 

Zu dieser Zeit war wenig los im Gasthaus ‚Zur schwebenden Wolke‘. Tifa und Squall saßen an einem Tisch und frühstückten. Während Tifa hängenden Auges in ihrer Tasse rührte und sich Mühe gab, das Essen runter zu würgen, beobachtete Squall, der es gewohnt war in drei Minuten zu frühstücken, wie Melissa den faulen Magu herumtrieb. Der Seek war immer noch benommen vom Vortag und hatte alle Mühe, die Anweisungen seiner Chefin zu befolgen. Mit ungelenken Bewegungen versuchte er, den Boden aufzuwischen. Schließlich stieß er mit den eigenen Füßen den Eimer mit dem Dreckwasser um, was eine weitere Schimpftirade Melissas nach sich zog. Schmunzelnd schüttelte Squall den Kopf, dann fiel sein Blick wieder auf Tifa, die lustlos vor sich hin kaute. Ihr langes, schwarzes Haar war zwar durcheinander, aber trotzdem erinnerte es ihn an… Rinoa. Der Gedanke schmerzte, und er wandte sich ab. So viel hätte er ihr sagen wollen, und jetzt… würde er vielleicht nie mehr Gelegenheit mehr dazubekommen. Seltsamerweise dachte er erst an zweiter Stelle an die Lücke, die er im Garden hinterlassen würde. Sie war ihm wichtiger, dass musste er sich eingestehen. Ich liebe sie immer noch, durchfuhr es ihn schmerzhaft. Die Erkenntnis kommt spät… hätte ich es ihr doch nur ins Gesicht gesagt…

Geräuschvoll ließ sie den Löffel fallen und gähnte noch einmal herzhaft.

„Uaaah… und was machen wir jetzt, Captain Squall?“ fragte sie mit einem spöttischen Unterton. Aus seinen Gedanken gerissen, blickte er sie an.

„Ich bin kein Captain. Aber du kannst mich mit Vizedirektor anreden.“

Beide mussten lächeln. Dann wurde er wieder ernst.

„Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Zuerst müssen wir mehr über diese Stadt herausfinden. Und dann…“ Hilflos seufzte er. „Keine Ahnung. Irgendwas wird sich ergeben.“

„Na gut“, sagte sie und erhob sich schwunghaft. Nun endlich schien sie wirklich wach zu sein. Fröhlich schlenderte sie auf die Tür und zu und drehte sich um.

„Was ist los? Wir sind hier nicht auf Urlaub, hast du das schon vergessen?“ sagte sie lachend und zwinkerte ihn an.
 

Sie setzten ihren Stadtrundgang vom Vortag fort. Nun kamen sie in einen Stadtteil, hinter dem sich eine niedrige Bergkette aufzutürmen schien. Dichte Wälder waren in der Ferne erkennbar, und schließlich standen sie vor einem hohen Eingang, der direkt in den Berg führte. Förderanlagen führten in sein Inneres. Interessiert betrachteten sie die Anlage. Auf dem Platz vor dem Eingang befanden sich einige Straßenhändler. Einen von ihnen sprach Squall an.

„Was ist das für eine Höhle da vorne?“

Der Händler, ein fetter Seek, schenkte ihm einen mitleidigen Blick.

„Und da heißt es, ihr Archadianer wäret so gebildet… ich bin zwar kein Fremdenführer, aber lasst es euch gesagt sein: das sind die Lhusu-Minen. Dort drinnen werden Maginite gefördert, das wichtigste Exportgut unseres kleinen Staates. Die schuften richtig hart da drin, da werde ich schon müde, wenn ich nur dran denke…“ Gähnend lehnte er sich zurück und blinzelte in die Sonne. Squall bedachte ihn noch mit einem Kopfschütteln, dann gingen sie weiter, um sich den gewaltigen und kunstvoll verzierten Stolleneingang näher anzusehen.

Breite Treppen führten hinab und in die Dunkelheit der Minen. An einem Brunnen vor der Treppe lehnten einige Arbeiter und unterhielten sich. Offenbar machten sie Pause, während andere wiederum die Treppen hinabgingen, um ihre Schicht zu beginnen. Der Stolleneingang wurde flankiert von aufmerksamen Wachen in dem warmen Klima angepassten Rüstungen. Eine Weile verfolgten sie das Geschehen, bis etwas geschah. Zuerst kamen mehrere Arbeiter aus der Mine und liefen zu den Wachen. Sie waren von Panik erfüllt, und Momente später liefen die Wachen mit ihnen in die Mine hinein.

„Schau mal… irgendwas passiert da“, sagte Tifa und deutete in Richtung Mineneingang. Dann hörten sie Schreie. Jetzt horchten auch alle umstehenden Arbeiter auf und legten ihre Arbeit nieder. Gespannt blickten alle zum Mineneingang. Weitere Schreie erklangen, und allmählich kam Unruhe in die Menge. Verwirrt blickten sich die Menschen auf dem Platz vor der Mine an. Dann rannten die ersten Arbeiter aus der Mine heraus. Sie schrien etwas unverständliches, doch daraufhin flohen auch alle anderen Leute von dem Platz. Unsicher blickten sich die beiden um. Dann ertönte ein tiefes, röhrendes Gebrüll. Beide wussten, dass es von keinem Menschen stammen konnte. Sie sahen sich an. Dann zog Squall sein Löwenherz hervor und klappte die Trommel auf. Er schielte in die Kammer und fand sechs Patronen vor, die sich immer wieder auf wundersame Weise erneuerten. Geräuschvoll ließ er sie wieder zu schnappen. Tifas Blick ruhte auf seinem.

„Denkst du, was ich denke…?“ fragte sie gedehnt, während um sie herum Chaos ausbrach. Er nickte nur, und sie streifte ihre schwarzen Handschuhe über. Dann setzten sie sich in Bewegung und gingen ungerührt an all den ihnen entgegen rennenden Menschen vorbei.
 

Die in die Enge getriebenen Minenarbeiter drückten sich in der Nische angsterfüllt aneinander. Sie wussten, dass sie ihnen keinen Schutz vor dem Ungeheuer bieten würde. Ihre einzige Hoffnung waren die herbeigerufenen Wachen, die es hoffentlich bezwingen würden-
 

„Aaaargh!!!“

Der Soldat schrie aus voller Kehle, als ihn der Ameisenlöwe mühelos mit einer seiner Klauen emporhob. Die anderen Soldaten attackierten das Ungeheuer mit ihren Schwertern von allen Seiten, doch die Angriffe verpufften an seinem Panzer. Immer höher hob er sein Opfer. Verzweifelt verfolgten die Wachen, wie ihr Kamerad direkt über den Schlund des Monsters gehoben wurde. Pure Panik stand in seinen Augen geschrieben, und schließlich ließ das Ungeheuer los. Kreischend stürzte er in den Rachen des Untieres. Geräuschvoll verspeiste er sein Opfer. In diesem Moment verließ die restlichen Wachen aller Mut, und sie rannten hinaus. Squall und Tifa wurden beinahe umgerannt von ihnen. Squall packte einen von ihnen gewaltsam an der Schulter.

„Was ist hier los, zum Diabolos?“ herrschte er ihn an. Der Mann, in dessen Gesicht nackte Angst Panik zu sehen war, stammelte:

„D-der Ameisenlöwe, e-er ist wieder da! Mein Gott, er hat ihn gefressen… einfach gefressen…“ Er verfiel in haltloses Gejammer, und Squall stieß ihn von sich. Dann wandte er sich dem Ungeheuer zu, das mitten im Gang stand.

Der Ameisenlöwe, ein insektenartiges Monster, ragte weit über ihnen auf. Er glich eher einer Heuschrecke, und seine Vorderbeine besaßen scherenartige Klauen, die er wie Greifhände benützte. Als sie vor ihm standen, gab er einen Rülpslaut von sich. Dabei spuckte er einen Helm aus, der davon rollte und bei Squalls Stiefeln liegen blieb.

Angewidert betrachtete er den schleimüberzogenen Helm, dann hob er den Blick. Er legte den Kopf in den Nacken, um das Untier, das hoch über ihnen aufragte, anzusehen. Es schüttelte seinen missgestalteten Kopf und röhrte abermals. Tifa und Squall sahen sich an- dann sprang jeder von ihnen auf die andere Seite, als das Monster mit seinen langen Kiefern auf sie herabfuhr. Verärgert blickte es nach links und rechts, wo jeder der beiden eine kampfbereite Pose eingenommen hatte. Dann stampfte es los- auf Squall zu.
 

Dieser sah sich einem tonnenschweren Ungetüm gegenüber, das mit Volldampf auf ihn zuraste. Er wartete ab- um dann im letzten Moment zur Seite zu hechten. Nicht ohne im Flug anzulegen und abzudrücken. Krachend ging das Löwenherz los. Vom Treffer erschüttert, kam das Untier zum Stehen. Noch wütender brüllend, wandte es sich wieder ihm zu. Diesmal beschleunigte es die Schritte seiner vielen Beine noch schneller, und Zweifel wuchsen in Squall, ob er wieder rechtzeitig würde ausweichen können-

Wie ein Blitz und kaum erkennbar rauschte sie heran. Schon stand sie hinter dem Monster, und Schläge aus dem Nichts schienen es zu treffen. Unwillig röhrend stoppte es und wandte sich um. Der Blick seiner ausdruckslosen Augen fiel auf eine Frau, die ihm mutig die Fäuste entgegenhielt. Fast schien er sie nicht als Bedrohung wahrzunehmen, bis sie ihn vom Gegenteil überzeugte. Leuchtende Auren umgaben ihre Fäuste und Füße, als sie eine Angriffsfolge auf ihn herabregnen ließ. Von den Treffern durchgeschüttelt, brüllte er auf. In einem Akt der Verzweiflung startete er einen Gegenangriff, der Tifa fast von den Beinen hob. Ihre Augen beschirmend, stand sie ihm gegenüber, während eine Energiewelle über sie hinweg rollte. Sie blinzelte zwischen zwei Fingern hindurch- und sah, wie Squall hinter dem Monster in die Luft stieg.

Der Ameisenlöwe breitete seine Klauen aus und ließ seinem Rachen einen Schwall glühender Energie entweichen. Tifa lehnte sich gegen die Angriffswelle, wie Squall sah. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, als er hinter dem Monster hochsprang. Das Löwenherz in beiden Händen, stürzte er auf den Ameisenlöwen zu. Schon fühlte er die Energie im Griff pulsieren. Das blaue Glühen, das diese Waffe immer umgab, wurde stärker. Schließlich holte er aus und schlug zu. Wie von zähem Wasser gebremst, kostete es ihn alle Kraft, den Streich zu führen. Mehrere Meter trennten ihn von dem Ungeheuer. Dann sauste seine Klinge durch die Luft, ohne das Monster zu berühren.
 

Ein Lichtblitz blendete Tifa. Eine Linie, gezogen aus grellem Licht, ging quer durch den Kopf des Monsters. Alles um sie herum schien zu erstarren- dann, Momente später, kam wieder Bewegung in ihre Wahrnehmung. Fein säuberlich durchtrennt, fiel eine Hälfte des monströsen Schädels ihr vor die Füße.
 

„Tatatata- tata- tatata!“

Verwirrt blickten sie sich um. Tifa kratzte sich am Kopf.

„Woher kommt nur immer diese Melodie nach einem Kampf…“ Squall erwiderte ihren Blick schulterzuckend, dann sah er wieder auf den besiegten Ameisenlöwen und legte seine Waffe über die Schulter. Tifa stützte die Hände in die Hüften. „Nicht schlecht. Wir sind ein gutes Team, nicht wahr?“

Er nickte langsam.

„Ja, kann man sagen. Danke für das vorhin.“

„Gern geschehen. Ich dachte schon, er würde dich als Dessert verspeisen.“

Dann sahen sie die Minenarbeiter, die sich vorsichtig dem verendeten Ameisenlöwen näherten.

„Ihr- ihr habt uns gerettet! Als nächstes hätte es sicher uns gefressen!“ sagte einer von ihnen erleichtert. Freudestrahlend umringten sie die beiden Kämpfer und drückten ihnen ihren Dank für die Rettung aus. Nun kamen auch weitere Wachen in die Mine und bestaunten die zwei Helden…

Ein wahrer Jubelkordon begleitete die beiden aus der Mine hinaus. Von allen Seiten wurden sie mit Dank und Gratulationen überschüttet. Fast war es ihnen unangenehm. Schließlich merkten sie, dass sie in eine bestimmte Richtung geführt wurden.

„Wo bringt ihr uns eigentlich hin?“ fragte Squall eine der sie flankierenden Wachen.

„Zu unserem Marquis Ondore natürlich! Ihr habt uns einen großen Dienst erwiesen, wisst ihr das nicht? Dieser schreckliche Ameisenlöwe hat die Arbeiter der Mine schon seit Wochen terrorisiert. Wir haben ihn sogar als Mob ausgeschrieben, doch keiner der Abenteurer war ihm gewachsen.“

Nun kamen sie zu einer Straße, an der sie schon am Tag zuvor vorbeigekommen waren. Soldaten flankierten den Zugang und gaben ihn nach kurzer Unterredung ihren Kameraden und den beiden frei. Und so betraten sie das Anwesen des Marquis von Bhujerba.
 

Ehe sie es sich versahen, brachte man sie in ein geräumiges Arbeitszimmer innerhalb des Anwesens. Breite Bücherregale säumten die Wände. Hinter einem Schreibtisch saß ein Mann fortgeschrittenen Alters. Sein gänzlich graues Haar stand in einer auffälligen Frisur gen Himmel. Der ernste Blick des Mannes haftete auf den Papieren vor ihm. Neben seinem Stuhl stand ein Gehstock bereit, wie ihnen auffiel. Eine der sie begleitenden Wachen näherte sich ihm respektsvoll und flüsterte ihm etwas zu. Sein Gesicht hellte sich auf während er ihm zuhörte. Auf ein Zeichen hin verließen die Wachen den Raum, und er wandte sich ihnen zu.

„Welch frohe Kunde!“ begann er mit einem breiten Akzent. „Der Ameisenlöwe, der schon so viel Angst und Schrecken unter den Minenarbeitern verbreitet hat, ist besiegt!“ Mit der Handfläche wies er ihnen Platz zu nehmen. Freundlich nickend taten sie das. „Nun, ich bin Halim Ondore, der Vierte, Marquis von Bhujerba. Nennt mir eure Namen, tapfere Kämpfer!“

Tifa war angesichts der ganzen Förmlichkeit etwas unwohl zumute. Mit Adeligen und Staatssachen hatte sie keinerlei Erfahrung. Zu ihrer Erleichterung nahm Squall die Sache in die Hand.

„Mein Name ist Squall Leonhart. Und meine Begleiterin ist Tifa Lockhart, ehrenwerter Marquis.“

An seinem Tonfall merkte man, dass er es gewohnt war mit wichtigen Personen zu sprechen.

„Lockhart und Leonhart… welch illustre Kombination? Jedenfalls schätze ich mich glücklich, dass ein so talentiertes Kopfgeldjägerpärchen unseren ansonsten so friedlichen Staat aufgesucht hat. Sagt, auf welche Weise habt ihr von dieser Mobjagd erfahren?“

Die beiden sahen sich unsicher an.

„Um ehrlich zu sein…“, begann Squall überlegend, „ …waren wir rein zufällig am Schauplatz. Wir wussten nichts von diesem Ameisenlöwen.“

Der Marquis hob erstaunt die Augenbrauen.

„Tatsächlich? Was für eine glückliche Fügung. Jedenfalls werdet ihr den Preis für diese Jagd bekommen. Einer meiner Mitarbeiter wird euch die 5000 Gil gerne auszahlen.“

„Fünftausend!!“ platzte es aus Tifa heraus. Soviel warf der 7.Himmel in einem ganzen Monat nicht ab. Von ihrer plötzlichen Regung erstaunt, blickte sie Ondore überrascht an. Eilig bedeckte sie ihren Mund mit der Hand. „Äh… ich meine, vielen Dank für… das, äh… Geld. Ähem.“

„Ihr habt es euch redlich verdient, Fräulein Lockhart“, sagte er charmant lächelnd. „Euer Liebreiz wird vielleicht noch durch euren Mut übertroffen, lasst euch das versichert sein.“

Tifa kämpfte gegen das Erröten an, und Squall verdrehte die Augen.

„Wir bedanken uns beide herzlich, Marquis Ondore. Ihr spracht von Aufträgen für die Jagd auf Monster… erlaubt ihr, wenn ich ein paar Fragen stelle?“

„Nur zu“, antwortete er mit einer offenen Geste. „Ich freue mich, euch helfen zu können, auch wenn mein Wissenstand nicht allzu groß ist darüber.“

„Wir sind nämlich wegen einem anderen Monster hier in… eurem Staat. Vielleicht könnt ihr uns helfen. Es trägt den Namen Gilgamesch.“

Squall, in Verhandlungssachen nicht unerfahren, wartete die Reaktion des Marquis ab. Tatsächlich bemerkte er eine subtile Änderung seiner Miene.

„Lasst mich überlegen… ja, wir hatten in der Tat ein Problem mit einer Person oder was auch immer es genau war, die unter diesem Namen bekannt ist…“

Er merkte sofort, dass dies ein dem Marquis unangenehmes Thema war. Vorsichtig überlegte Squall den nächsten Schritt-

„Wirklich?“ rief Tifa. „Sie wissen was über diesen Typ?“

Squall verdrehte die Augen. Sie macht alles kaputt, dachte er verärgert.

„Wie soll ich sagen… wir haben generell ein Monsterproblem in unseren Maginitminen“, erklärte der Marquis zurückhaltend. „Die Arbeit in den Minen ist gefährlich, und die Monstermutationen, bedingt durch die Strahlung, stellen eine ständige Bedrohung für den Abbau dar. Ich muss euch wohl nicht erklären, wie wichtig der Maginitabbau für unseren kleinen Staat ist.“

Tifa blickte den Marquis ratlos an, offenbar verstand sie nur Bahnhof. Hoffentlich hält sie ab jetzt den Mund, dachte Squall, der um ihre Informationsquelle fürchtete.

„Tja, wenn er ein Problem für euch darstellt, wir kümmern uns gerne darum. So diskret wie möglich, natürlich.“

„Ich weiß euer Angebot zu schätzen, aber… in dieser Angelegenheit könnt ihr uns nicht helfen, zumindest nicht momentan. Sollte sich das ändern, so wende ich mich gerne an sie beide. Wie gesagt, einer meiner Mitarbeiter wird euch nun die Belohnung überreichen. Wenn ihr mich nun entschuldigt, sicher versteht ihr, dass noch andere wichtige Angelegenheiten auch mich warten.“

Ondore erhob sich und begleitete sie betont höflich zur Tür.
 

„Die Sache stinkt“, sagte Squall nachdenklich. Mit den Händen schob er seinen Krug hin und her. Tifa hatte sich schon den zweiten geholt. Begeistert wischte sie sich den Schaum vom Mund nach einem tiefen Schluck.

„Aaah! Das ist köstlich, fast so gut wie in Edge-City. Kaum zu glauben, wir sind erst den zweiten Tag hier und schon reich!“

Erfreut klopfte sie sich auf die Tasche, in denen sie das Geld aufbewahrte. Squall blickte sie finster an.

„Hörst du mir nicht zu? Wir müssen mehr über diesen Gilgamesch herausfinden, das zählt momentan.“

Tifa machte ein schuldbewusstes Gesicht.

„Du hast ja recht.“

Im Gasthaus zur schwebenden Wolke war mittlerweile einiges los. Einheimische, aber auch viele Reisende waren dabei, hier zu Mittag zu speisen. Gleich einen Tisch weiter saß ein auffälliges Pärchen. Ihre Kleidung unterschied sich deutlich von der der Einheimischen und auch der meisten Auswärtigen. Als Squalls Blick auf die Frau fiel, klappte seine Kinnlade einen Moment runter. Tifa bemerkte es und drehte sich um. Auch sie bekam große Augen.

Die Frau war nur spärlich bekleidet. Ihre ‚Bekleidung‘ bestand aus schwarzem Leder und enthüllte mehr als sie bedeckte. Unmöglich hohe Absätze unterstrichen ihre aufreizende Ausstrahlung zusätzlich. Das Verwirrendste aber waren ihre Ohren- sie trug ‚Hasenohren‘, als käme sie direkt von Hugh Hefners Playboyvilla.

Der Mann neben ihr war weniger durch seine Erscheinung als durch sein Verhalten auffällig. Er redete unablässig, und das, während die Frau die meiste Zeit schwieg und nur hie und da etwas erwiderte. Sein selbstbewusstes Auftreten kam Tifa sofort bekannt vor. Oft genug hatte sie es bei geschichtenerzählenden Prahlhänsen in ihrem Lokal erlebt. Das Interesse der beiden blieb ihm nicht verborgen. Zwinkernd erwiderte er Tifas interessierten Blick.

„Mahlzeit, hübsches Fräulein! Auch auf der Durchreise?“ begann er in einem säuselnden Tonfall. Tifa hob eine Augenbraue.

„So kann man es nennen.“

„Ich bin übrigens Balthier Bunansa, selbstständiger Transportunternehmer. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Ich heiße Tifa Lockhart.“

Er nickte und lächelte dabei schelmisch.

„Sehr erfreut. Was dagegen, wenn wir uns zu euch gesellen?“

Noch bevor sie etwas erwidern konnte, saßen die beiden bereits an ihrem Tisch. Mit ausladenden Gesten machte er sie mit seiner Begleiterin bekannt.

„Das ist meine verehrte Copilotin, Fran vom Volk der Viera.“

Squalls Blick löste sich nur schwer von ihren unendlich langen Beinen und ihrem tiefen Ausschnitt. Ihr Gesicht, umrahmt von langem, schlohweißem Haar, blieb ernst und unbewegt.

„Ich bin Squall Leonhart…“, sagte er langsam und, äh, abgelenkt. Die Frau namens Fran nickte nur.

„Und nun, nachdem wir uns alle kennen: wie hat es denn euch hierher verschlagen? Ihr seid keine Touristen, nicht wahr?“

Von soviel unverhohlener Neugier überrascht, warfen sich Tifa und Squall vielsagende Blicke zu. Schließlich antwortete Squall.

„Wir sind… Kopfgeldjäger, genau. Wir sind beruflich hier.“

Der Mann namens Balthier pfiff durch die Zähne.

„Kopfgeldjäger, was? Ein aufregender Beruf, fast so aufregend wie Luftpirat, nicht wahr, Fran?“ rief er lachend. Die Viera neben ihm veränderte ihren Gesichtsausdruck nicht.

„Stimmt“, erwiderte sie mit ihrer auffallend rauen Stimme knapp.

„Ja, ja, als Kopfgeldjäger kommt man viel herum“, begann Balthier und lehnte sich auf seine Ellbögen. „Genau das schätze ich auch an meinem Beruf so sehr… die Freiheit, hinzugehen, wo man will. Ihr braucht nicht zufällig eine Transportgelegenheit?“

„Das könnte leicht möglich sein“, erwiderte Squall mit zu Schlitzen verengten Augen. „Sie kennen sich ja gut aus, nicht wahr? Immer auf Achse, da bekommt man einiges mit, stimmt’s?“

Balthier hob verlegen die Hände.

„Nun ja… das ist schon richtig. Gut informiert zu sein ist überlebensnotwendig in unserem Job, stimmt‘s, Fran?“

Wieder nickte die Frau mit steinerner Miene.

„Ja, wir brauchen eine Mitfahrgelegenheit“, gab Squall zu.

„Sehr gut“, antwortete Balthier und hob eine Augenbraue schelmisch. „Nur ihr beide? Und wo soll es hingehen?“

„Genau. Wo wollen wir denn hin?“ fragte Tifa und sah Squall an.

„Das steht noch nicht fest. Noch haben wir hier etwas zu erledigen. Sicher können sie uns auch etwas über die hiesige Monsterwelt sagen?“

Der selbstbewusst auftretende Mann musterte ihn skeptisch.

„Nur, dass ich sie mir lieber vom Leibe halte. Was möchten sie denn wissen?“

„Es geht um ein ganz bestimmtes Wesen… es nennt sich Gilgamesch.“

Balthier begann abfällig zu lachen.

„Ach, Gilgamesch…“

„Sie wissen etwas über ihn!?“ riefen Squall und Tifa synchron. Aufgeregt blickten sie ihn an. Er hob nur die Schultern.

„Nicht allzu viel. Nur, dass er dem Marquis auf der Nase herumtanzt. Die Maginitminen sind sein ein und alles, was sag ich, für ganz Bhujerba! Wären seine Exporte nicht so wichtig für die umliegenden Staaten, dann wäre dieser Zwergstaat nicht mehr als ein beliebter Ausflugsort.“

„Können sie das genauer erklären?“ fragte Tifa besorgt. „Was wissen sie über diesen… Gilgamesch?“

Balthier nickte langsam und lächelte geheimnisvoll.

„Ich dachte, ihr wärt die Kopfgeldjäger? Recht gut seid ihr ja nicht informiert.“ Er warf seiner Begleiterin einen belustigten Blick zu, doch die Frau mit den Hasenohren verzog keine Miene.

„Es ist wichtig“, betonte Squall mit Nachdruck. „Wir beide sind in eine ziemlich problematische Situation geraten durch diesen Gilgamesch. Wir müssen ihn finden.“

Mit einer unbedarften Geste überkreuzte er die Beine und lehnte sich gelassen zurück.

„Nun… außer dass dieser Scherzbold die Lhusu-Mienen unsicher macht und schon etlichen eurer Zunft entwischt ist, weiß ich rein gar nichts über diese Person.“ Er warf der Viera einen amüsierten Blick zu, die diesen mit einem schlichten Kopfnicken erwiderte. „Und dass diese… Person sich selbst in die geheimsten Bereiche der Mienen Zutritt verschafft, sehr zum Missfallen des guten Marquis Ondore.“

„Geheim? Was ist so geheim an diesen Mienen?“ fragte Tifa mit hochgezogener Augenbraue. Balthier blickte nach links und rechts, als befürchtete er belauscht zu werden. Dann beugte er sich vor und sah Tifa tief in die Augen.

„Ich habe nicht die ge-rin-gste Ahnung“, flüsterte er ihr zu. „Ich sagte ja, es ist geheim.“ Überlegen lächelnd lehnte er sich wieder zurück. Tifa blickte ihn finster an. Ihre Abneigung diesem Mann gegenüber wuchs.

„In Ordnung“, sagte Squall gereizt. „Sie möchten uns also nicht helfen. Wie sie wollen.“

Balthier hob die Hände.

„Ich kann euch jederzeit an jeden Ort von Ivalice bringen. Die ‚Strahl‘, mein Schiff, steht im Lufthafen bereit. Aber alles andere…“ Er lächelte sie an, aber es hatte etwas Kaltes, Abgebrühtes an sich. „Hören sie mir mal gut zu, Mister Kopfgeldjäger. Ich mische mich in ihren Kram nicht ein, und sie nicht in meinen. Wofür ich ihnen beiden enorm dankbar bin.“ fügte er mit blasierter Höflichkeit hinzu. „Also, wir sehen uns. Hoffentlich.“ Er erhob sich von seinem Platz, und die Viera tat es ihm gleich. „Komm, Fran. Ich glaube, die ‚Strahl‘ braucht eine kleine Überholung. Sie soll ja schließlich ‚jederzeit‘ einsatzbereit sein, nicht wahr?“ Er zählte ein paar Münzen aus einer Börse und warf sie lässig auf seinen Tisch. „Und ihnen beiden wünsche ich viel Erfolg bei eurer ‚Jagd‘.“ Er zwinkerte noch Tifa anzüglich zu, dann verließen die beiden das Gasthaus. Die beiden blickten ihnen finster nach.
 

„Was für ein Schleimscheißer“, murmelte Tifa, nachdem die beiden bei der Tür hinaus waren. Squall blickte sie überrascht an. „Ist doch wahr! Ich kenne solche Typen. Die glauben immer, sie könnten mit ihren Sprüchen und Gehabe Eindruck schinden. Die hab ich fast jeden Tag in meiner Kneipe. Ts…“, schnaubte sie verächtlich.

„Mag sein… wir werden ihn vielleicht noch brauchen. Immerhin eine Spur.“

„Hm?“ Aus ihrem Ärger gerissen, blickte sie ihn blinzelnd an.

„Das mit den Minen“, erwiderte Squall. „Ich dachte mir gleich, dass uns dieser Ondore etwas verheimlicht. Er mit seinem ‚Monsterproblem‘…“

„Und was machen wir nun?“

Er nickte bedächtig und warf ihr einen ernsten Blick zu.

„Wir werden seiner Mine noch einen Besuch abstatten. Aber diesmal einen gründlicheren.“
 


 


 

Wir unterbrechen hier nun für einen weiteren Handlungsstrang. Was ist die Steigerung von Dick und Doof? Richtig, Reno und Rude. Ich finde, die beiden haben sich einen eigenen Handlungsstrang verdient. Jetzt könnt ihr verfolgen, wie die beiden in dieses Epos hineingezogen werden. Dies beginnt, nachdem Cloud und seine Truppe das Tor durchschritten haben...
 


 


 

„Wir haben unseren Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt… müssen wir nur noch auf eine Antwort warten.“

Zufrieden wandte sich Rufus Shinra von dem erlöschenden Tor ab. In die umstehenden Techniker kam wieder Ruhe, und alles ging in seinem gewohnten Lauf weiter. Auch Professor Salvatori wollte sich wieder seinem üblichen Tagwerk widmen. Er zuckte zusammen, als ihn Rufus von der Seite ansprach.

„Ach, Professor. Kommen sie nachher in mein Büro, wir haben noch etwas zu besprechen.“

Rufus Shinra, der wie immer einen weißen Leinenanzug trug, verließ mit federnden Schritten das Labor. Salvatori blickte ihm nervös hinterher.

„Natürlich, Herr Shinra. Natürlich…“
 

Die Klimaanlage kühlte Rufus‘ Büro auf eine fast schon unangenehm niedrige Temperatur hinab. Nichtsdestotrotz schwitzte Salvatori. Mit fahrigen Bewegungen holte er ein Stofftaschentuch hervor und betupfte sich die Stirn. Rufus betrachtete den Bildschirm vor sich auf seinem riesigen Schreibtisch. Seinem Gesicht war Skepsis abzulesen.

„… die Protokolle der letzten Übermittlungen sind alles andere als eindeutig. Oder wollen sie das bestreiten?“

Sein durchdringender Blick traf ihn. Sein spitzbübisch wirkendes, von hellrotem Haar umrahmtes Gesicht ließ manchmal vergessen, dass man es mit einem durchtriebenen Konzernchef zu tun hatte, dessen Ehrgeiz einst selbst sein eigener Vater zum Opfer gefallen war.

„Nein, nein, Herr Shinra, keineswegs…“, erwiderte Salvatori eilig. „Wir haben aber allen Grund anzunehmen, dass ich und mein Team die Übertragung korrekt entschlüsselt haben. Mit größter Sicherheit“, fügte er nervös hinzu. Rufus nickte langsam und blickte ihn dabei gelassen an.

„Erfreulich zu hören. Denn sollte es nicht so sein, dann tragen selbstverständlich sie die Konsequenzen. Und auch ihr Team, versteht sich.“

„Natürlich, die… die Verantwortung. Derer bin ich mir bewusst“, sagte er und blickte zu Boden. Sein Gesicht spiegelte sich in dem frisch gebohnerten Marmorfliesen des riesigen Büros. Er kannte das alte Führungsbüro der früheren Konzernzentrale in Midgar nur von Fotos, aber das Neue glich dem Alten fast aufs Haar. Und sein Gesicht… es machte keinen glücklichen Eindruck.

„Das ist ausgezeichnet“, sagte Rufus und lächelte sogar dabei. Salvatori hob den Blick wieder und rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Dann will ich ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, jetzt, wo das geklärt wird. Sie können gehen.“

Der Professor erhob sich erleichtert, deutete eine Verneigung an und drehte sich um. Fast spürte er den gelangweilten Blick Rufus‘ in seinem Rücken, der ihm sagte Du bist ersetzbar. Als sich die automatische Türe hinter ihm schloss, atmete er tief aus.

Eine Weile ruhte Rufus‘ Blick auf dem Bildschirm. Seine Miene war unergründlich, und schließlich tippte er auf die Gegensprechanlage.
 

„Mann, ist das krank!“

Reno machte ein dummes Gesicht, was bei ihm einiges hieß. Rude knöpfte sich wieder die Hose zu, und ein breites Grinsen huschte über sein ansonsten ausdruckloses Gesicht.

„Wie findest du’s“, fragte er knapp. Reno schüttelte nur den Kopf.

„Also schön langsam übertreibst du es mit deinen Piercings, im Ernst, alter.“ Plötzlich wurde sein Blick magnetisch in eine andere Richtung gezogen. In diesem Moment betrat noch jemand anderes den Umkleideraum der Turks, und es war ein Neuzugang, der Reno schon vor Tagen aufgefallen war. Dieser Neuzugang trug einen schwarzen, förmlichen Anzug, wie alle anderen Turks auch. Nur dieser Turk hatte langes, blondes Haar, zu einem dichten Pferdeschwanz zusammengebunden. Die Frau, sie hieß Melva oder so ähnlich, öffnete ihren Spind. Reno aktivierte seinen oberlässigen Schlenderschritt und ging auf sie zu.

Als sie die Spindtür wieder schloss, kam dahinter Reno und sein breitestes Grinsen zum Vorschein. Lässig lehnte er an der Spindwand und hob eine Augenbraue.

„Hallo Melva. Wie war dein Tag?“

Sie blickte ihn mit einer Mischung aus Ungeduld und Mitleid an.

„Nicht halb so hart wie eurer. Und ich heiße Malvi“, antwortete sie seufzend. Dann wandte sie sich zu gehen. Eilig folgte ihr Reno.

„He, warte mal, Malvi! Ich meine- also, du bist ja erst seit kurzem bei den Turks, und, na ja- “

Sie machte plötzlich kehrt und schaute ihn direkt an. Reno wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Und was?“

„Na ja, wir könnten, also, wir sollten uns besser kennenlernen! Wegen dem Zusammenhalt im Team und so, du weißt schon.“

Die Frau stützte die Hände in die Hüften und legte den Kopf schief.

„So ist das also. Ich verstehe…“

„Ja, cool, oder? Wir könnten ja was trinken gehen oder sowas, oder mach halt `nen Vorschlag!“

Malvi verschränkte die Arme und musterte ihn amüsiert.

„Ich weiß nicht recht… zum Schluss wird er eifersüchtig.“

Sie deutete mit dem Kinn auf Rude, der mit unbewegter Miene die Szene verfolgte. Renos ungläubiger Blick folgte dem ihren. Lachend deutete er auf Rude.

„Wie? Also- das ist ein Scherz, oder? Oder was meinst du- “

„Na ja, zumindest lässt er schon die Hosen vor dir runter“, sagte sie lächelnd und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Renos fassungsloses Gesicht sprach Bände.

„A-aber, das war nicht, ich meine, er hat mir nur sein neuestes Piercing gezeigt, sonst nichts!“

„Na dann, bis morgen…“, sagte Malvi und ging. Reno wollte noch einen Spruch anbringen, doch die Tür fiel schon hinter ihr zu. Rude trat näher und stand nun neben ihm. Sein wie immer grimmiger Blick war auf die Tür gerichtet. Reno schüttelte langsam den Kopf.

„Soll ich dir was sagen, Rude? Die machen sich lustig über uns! Über uns, kannst du dir das vorstellen?“ sagte er verächtlich schnaubend. „Über die beiden legendären Turks, die den Shinra-Konzern schon gegen Gefahren verteidigt haben, als die noch zur Grundschu- “ Er zuckte zusammen, und Rude blickte zur Decke. Aus den Lautsprechern erklang blechern eine Durchsage:

„Reno und Rude, sofort in die Forschungsabteilung kommen, ich wiederhole SOFORT!“

Reno ließ den Kopf hängen und pfiff durch die Zähne.

„Wie’s aussieht, wird das heute ein längerer Tag. Wäre sowieso nichts mit Bräute anbaggern geworden. Gehen wir, Kumpel…“

Reno stapfte in seiner unnachahmlich ungelenken Art los, und Rude folgte ihm mit steifen Bewegungen.
 

„Wenn der doofe Aufruf nicht gekommen wäre, ich hätt‘ sicher bei der Alten gelandet, todsicher!“

Rude nickte und antwortete in seiner abgehackten Art.

„Bestimmt. Die hattest du schon in der Pfanne.“

„Klar, Kumpel. Gegen meinen patentierten Reno-Charme sind die Bräute einfach machtlos!“

Lachend und seinem Partner auf die Schulter klopfend, betraten sie die Forschungsabteilung der W.R.O.

Schon von weitem sahen sie ihren direkten Vorgesetzten. Er trug denselben schwarzen Anzug wie sie. Langes, schwarzes Haar fiel über seine Schultern, und sein ernster Blick haftete auf einem Klemmbrett, dass er konzentriert betrachtete.

„Yo, Boss. Da wären wir“, rief Reno lässig und salutierte mit zwei Fingern.

„Wo wart ihr solange“, antwortete er leise, ohne von seinem Klemmbrett aufzusehen. Rude stellte sich mit verschränkten Händen vor ihn hin, während Reno herum hampelte und sich schließlich den Nacken nach einer weiblichen Wissenschaftlerin verdrehte.

„Gibt es einen Auftrag, Tseng?“ fragte Rude ernst. Tseng hob den Blick und sah Reno, der eine Wissenschaftlerin anflirtete. Die Frau verdrehte empört die Augen, und Reno hob die Schultern.

„Wenn ich nun euer beider Aufmerksamkeit bekomme…?“, begann Tseng in einem gereizten Tonfall. Reno drehte sich eilig um und rieb sich verlegen den Nacken.

„Äh… klar, Boss. Bin schon ganz Ohr.“

„Es geht um folgendes: ihr wisst ja von dem Dimensionstorprogramm und wie wichtig es für die W.R.O. ist. Wir haben eine heikle Mission für euch. Es hängt eine Menge davon ab HÖRST DU ZU RENO!?“

Sein Kopf fuhr herum. Erschrocken blickte er seinen Chef an, der ihn giftig ansah.

„Ähem, klar… wird nicht wieder vorkommen“, räusperte er sich.

„Dessen bin ich mir sicher“, knurrte Tseng. Dann sprach er normal weiter, wenngleich der Ernst in seiner Stimme ahnen ließ, wie wichtig die Sache war. „Es gibt ein technisches Problem, was die Torsteuerung betrifft. Jemand wird durch das Tor gehen und diesen“, er zeigte ein kleines Gerät vor und reichte es dann Rude, „Transmitter mit sich führen. Durch ihn wird das Koordinatensystem auf einen neueren Stand gebracht.“

„Bin schon gespannt, wer diesen miesen Job machen muss“, flüsterte Reno zu Rude und stieß ihn mit dem Ellbogen grinsend an. Erstaunt blickte Rude seinen Kollegen an. Dass Reno nicht der Hellste war, wusste er, aber das… ?

„Das werdet ihr beide sein.“

Das Grinsen auf Renos Gesicht erstarb langsam. Seine Augen wurden groß.

„Wir beide…? Durch das Tor?“ Tseng nickte, und Reno schluckte einen Kloss hinunter. „Und wie kommen wir wieder zurück?“ fragte er unsicher.

„Macht euch keine Sorgen. Nach kurzer Zeit werden wir ein Tor in die andere Richtung öffnen, sobald die Messungen abgeschlossen sind.“

„Na, wenn das so ist…“ Reno nickte eifrig und schaute mit gespielter Selbstsicherheit Rude an. „Ist doch kein Problem… das machen wir glatt. Ähem.“

Tseng nickte zufrieden.

„Also gut. Spätestens morgen werdet ihr wieder hier sein, und die Überstunden zählen doppelt, denkt daran.“

Renos Gesicht hellte sich wieder auf.

„Na wenn das so ist!? Komm, Rude, altes Haus! Die coolen Turks greifen ein!“

Zu ihrer charakteristischen Musik(vorstellen oder aufdrehen!) stolzierte er auf das bereits laufende Tor zu. Lässige Gesten nach links und rechts austeilend, durchschritt er den Ereignishorizont. Rude blieb noch kurz stehen, richtete sich Krawatte und Sonnenbrille im Spiegelbild auf der Oberfläche des Dimensionstores, und trat dann ebenfalls durch.
 

Als sich der Strudel aus Licht und Schall wieder geschlossen hatte, trat Rufus Shinra neben Tseng. Der Chef der Turks runzelte die Stirn, während Rufus zufrieden lächelte.

„Es läuft alles nach Plan. Manchmal… muss man eben ein paar Bauern opfern.“

Tseng antwortete nicht. Rufus klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, dann wandte er sich zu gehen. Tseng blieb noch eine Weile stehen und betrachtete das leere Tor. Und zum ersten Male seit dem Beginn seiner Karriere bei den Turks fühlte er so etwas wie Schuld.
 

„Uäaaah…“

Benommen betrachtete Reno sein Mittagessen, das auf dem Wasser dahintrieb. Dann richtete er sich wieder auf und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. Die Sonne blendete ihn, als er aufs Meer hinausblickte. Dann richtete er den trüben Blick zu Rude, der neben ihm am Rande des Piers saß.

„Das will ich auch hoffen, dass die Überstunden doppelt zählen… wo zum Teufel sind wir überhaupt?“

In Rudes Sonnenbrille spiegelte sich die hochstehende Sonne. Langsam schüttelte er den Kopf.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte er knapp und holte pflichtbewusst das Gerät hervor. Ratlos betrachtete er die leere Anzeige. Reno winkte schnaubend ab und erhob sich.
 

Reno war schon ein paar Mal in Junon gewesen, und das hier erinnerte ihn daran. Es war eine Hafenstadt, das war gewiss. Sie befanden sich in einer Arkade, von der man aus das Meer gut überblicken konnte. Zu ihrer Rechten führte ein Steg zu einem hohen Turm, der die Stadt überragte. Am gesamten Pier hingen Schiffe vertäut.

Die Arkade, die offenbar in das Stadtinnere führte, war ziemlich belebt. Menschen und fremdartige Wesen gingen auf und ab. Sie alle trugen Kleidung, die an das heiße Klima angepasst war, und tatsächlich wurde Reno bald heiß in seinem schwarzen Anzug. Ächzend machte er sich sein Hemd noch weiter auf.

„Die Gegend ist sicher nicht schlecht für ´nen Urlaub, was meinst du, Rude… Rude?“ Sein Kompagnon saß nach wie vor am steinernen Rand des Piers und versuchte, aus dem Apparat schlau zu werden. „Was ist? Schauen wir uns die Gegend ein bisschen an?“

„Wir haben einen Auftrag“, murmelte Rude in seinen dünnen Bart hinein. „Wir müssen… irgendwas messen…“

„Ach, vergiss das dumme Ding“, seufzte er. „Das wird schon von allein funktionieren! Glaubst du, die schicken uns mit kom-pli-zier-ter Technik los?“ fragte er spöttisch lachend und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. Rude sah das ein und steckte das Gerät in die Innentasche seines Jacketts. „Die halten uns doch schließlich nicht für- “ Reno stoppte mitten im Satz und verzog das Gesicht. „ –für… blöd? Hm, egal, schauen wir, was diese Stadt zu bieten hat.“
 

Staunend schlenderten sie die Hafenpromenade entlang. Sie sahen echsenartige Wesen, die ‚Bangaas‘ genannt wurden und Kisten schleppten. Und fette, schweineartige Kreaturen, die Handel in den Straßen trieben und ‚Seeks‘ genannt wurden. Öfters begegneten ihnen Seemänner auf Landgang, die ganz dem Klischee des gängigen Piraten entsprachen. An den Gürteln, die ihre weiten Pluderhosen hielten, hingen lange Messer oder auch Pistolen. Ihre Gesichter waren von Sonne und Wetter gegerbt, und auf ihren polierten Glatzen spiegelte sich die Sonne.

„He, kuck dir das an!“ kicherte Reno und deutete auf einen der Seefahrer. „Der hat dieselbe Frisur wie du! Wahrscheinlich, damit die Vogelkacke besser abläuft, he, he…“

Reno amüsierte sich köstlich auf Kosten des raubeinigen Seemannes. Bald zog er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich und sah sich von mehreren finsteren Gesellen umringt, die seine Sprüche gar nicht komisch fanden.

„Hör besser auf“, flüsterte Rude seinem spöttisch lachenden Kameraden zu. „Du bringst uns in Schwierigkeiten.“

„Ach was“, winkte Reno kichernd ab, „vergiss nicht, wir sind Turks, die Leute fürchten sich vor uns, hi, hi…“

Der erste der Männer zog ein blitzendes Messer. Seine Miene ließ keinen Zweifel an seiner feindseligen Absicht.

„Ihr vermaledei´n Fischköppe… euch in Streif´n schnei´n, das werd´n wir jetzt dun!“

Langsam wurde auch Reno der Ernst der Lage bewusst. Sein Lachen schlief ein. Rücken an Rücken stand er mit Rude nun inmitten eines halben Dutzend Piraten.

„Ich glaube, die haben noch nie was von den Turks gehört…“, murmelte Rude.

„Dann wollen wir das ändern“, knurrte Reno. Mit einer flüssigen Handbewegung holte er seinen Viehstab hervor. Sirrend glitten die Teile auseinander. Elektrische Entladungen umspielten knisternd seine Spitze. Fast synchron tat Rude es ihm gleich. Dann stürzten sich die Piraten auf sie.
 

Geschmeidig tauchte Reno unter dem Hieb des Entermessers hindurch. Während einer schnellen Drehung zog er ihm den Viehstab über seinen haarlosen Kopf. Ächzend ging der Pirat zu Boden, während er sich bereits dem Nächsten widmete. Funken sprühten, als Reno die Hiebe des kurzen Säbels parierte. Mit gefletschten Zähnen attackierte ihn der wütende Seemann erneut, bis Reno eine Lücke in seiner Deckung fand. Mit einer Hand fing er die Schwerthand seines Angreifers ab, mit der anderen drückte er ihm den Viehstab in die Nierengegend. Reno lachte hämisch, während der Seemann das Gesicht vom Schmerz gepeinigt verzog. Als er abließ, stürzte der Pirat zu Boden und zuckte immer noch unter dem Stromschlag. Die letzten beiden Angreifer gingen vorsichtiger vor. Abwartend umkreisten sie ihn mit gezückten Haumessern.

„Das fängt an, Spaß zu machen“, knurrte Reno und ließ seinen Viehstab von einer Hand in die andere tanzen. Die Piraten beobachteten das ihnen völlig unbekannte Ding unsicher. Fies lachend schwenkte er es ihnen vor dem Gesicht hin und her. Auf Knopfdruck ließ er die elektrische Ladung darin knistern, und die Piraten zuckten erschrocken zusammen. Diesen Moment der Verwirrung nutzend, holte er schreiend aus. Die Finte wirkte, und Reno traf die beiden nebeneinanderstehenden Piraten nacheinander mit einem Links-Rechts-Kung-Fu-Tritt an den Schläfen. Stöhnend gingen sie zu Boden.

Eilig drehte er sich um, doch Rude war ebenfalls schon fertig mit seinen Widersachern. Von seinem elektrisch geladenen Viehstab an empfindlichen Stellen getroffen, lagen sie auf dem Boden verstreut und wanden sich vor Schmerzen. Reno reckte den Daumen triumphierend hoch. Rude nickte als Antwort. Dann stellten sie sich nebeneinander auf. Rude verschränkte die Arme, und Reno legte sich lässig den Viehstab über die Schulter.

„Darf ich vorstellen…“, begann er höhnisch grinsend, „Wir sind die Turks!“

@

Zufrieden überblickte er die Menge an geschlagenen Gegnern, die sich mit verzerrten Gesichtern schmerzende Körperteile hielten. Langsam kamen die ersten wieder auf die Beine.

„Hm… jetzt aber schnell weg, bevor die wieder aufstehen.“

Eiligen Schrittes verließ er die Seitengasse. Rude folgte ihm, nicht ohne noch einem gerade aufstehenden Piraten einen Tritt zu verpassen.
 

Die Möwen kreisten am blauen Himmel über der Hafenstadt, und frische, salzige Meeresluft füllte ihre Lungen. Reno streckte tief atmend seine Arme aus.

„He, dieser Auftrag ist ja der reinste Urlaub. Hier könnte man´s aushalten.“

„Nicht schlecht, die Gegend“, brummte Rude, was bei ihm mit begeisterter Zustimmung gleichzusetzen war. Schließlich kamen sie zu einem großen Platz, der das belebte Zentrum der Uferpromenade bildete. Von weitem sahen sie eine Taverne, vor der Leute im Freien saßen und das schöne Wetter genossen. Reno stieß seinen Kollegen mit dem Ellbogen an.

„Weißt du was, Rude? Vom Prügeln bin ich durstig geworden! Jetzt gehen wir erst mal einen heben.“

„Wir sind aber im Dienst“, entgegnete dieser trocken.

„Ach was. Unser Boss ist weit weg, die merken nichts davon. Ich lade dich auch ein!“

So hatte er ihn überzeugt, und gemeinsam betraten sie die Taverne mit dem Namen ‚zum weißen Strand‘.
 

Die Gäste dieser Kneipe waren hauptsächlich Seeleute, aber auch andere Menschen, die ihr Leben eher an Land verbrachten. Durch großzügige Fenster sah man auf das Meer hinaus, dessen Anblick hier genauso prachtvoll war. Zielstrebig steuerten sie einen freien Tisch an. Rude setzte sich etwas steif hin und legte die Hände in den Schoss, während sich Reno linkisch auf seinen Stuhl fallen ließ. Lässig hängte er einen Arm über die Lehne und sondierte die Umgebung nach Bedienpersonal. Schnell wurde er fündig.

„He, Thekenschwester! Bring uns doch zwei Bier!“ rief er einer herum sausenden, jungen Frau zu. Sie registrierte die Bestellung nickend. Dann fiel Renos Blick auf eine Frau, die sich an den Tisch neben ihnen setzte. Ihre Aufmachung war sehr freizügig und enthüllte mehr als sie verbarg. Das Auffallendste waren aber ihre Hasenohren. Renos Kinnlade landete eine Etage tiefer.

„Hey, Bunny! Ich darf dich doch so nennen, oder?“ fragte er frech. „Schließlich siehst du ja auch so aus!“

Reno verwickelte die Viera in ein anzügliches Gespräch, und nur die Weltfremdheit dieser Rasse erklärte, dass sie ihn nicht nach kurzer Zeit ohrfeigte. Währenddessen wanderte Rudes Blick durch den Raum. Und blieb schließlich an der Eingangstür hängen, wo sich eine Gruppe schlechtgelaunter Seemänner sammelte. Einige unter ihnen kamen ihm bekannt vor. Besonders die mit den blauen Flecken…

„Und dort, wo du herkommst… Dieses Kaff Eruyt oder so… die sehen wirklich alle so aus wie du“, gluckste Reno lüstern. Die Viera nickte ernst.

„Ja. Ich trage unsere überlieferte Stammestracht. Ist das so ungewöhnlich in deinen Augen…?“

„Na ja, ungewöhnlich vielleicht nicht, viele Frauen ziehen sich so an, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, he, he…“ Rude tippte ihm auf die Schulter, was dieser völlig ignorierte. „Und es leben wirklich keine Männer bei euch? Ich glaube, ich weiß, wo ich meinen nächsten Urlaub verbringe, he, he WAS IST DENN RUDE? Siehst du nicht, dass ich hier wichtige Nachforschu- “ Rude ergriff seinen Nacken und drehte sein Gesicht in Richtung der Tür. Die Gruppe wütender Männer hatte sie entdeckt. Einer von ihnen deutete mit dem Zeigefinger auf sie, worauf sich die ganze Gruppe in Bewegung setzte. Reno schluckte.

„Dat sin se! Jetz mach´ma die enen Kopp kürzer!“

Zielstrebig marschierte die aufgebrachte Menge auf sie zu. Diesmal waren es zu viele, dass war ihnen augenblicklich klar. Hektisch sahen sie sich nach einem Fluchtweg um. Plötzlich stellte sich die Kellnerin der Menge in den Weg.

„He, Leute! Ihr könnt doch nicht den Laden kaputtschlagen!“

„Ne, ne, Kindchen. Wir mach´n nur die zwe Knallköppe alle, dann gehen ma´ wieder“, erklärte der Anführer verständnisvoll. Die Kellnerin dachte kurz nach, dann gab sie den Weg frei.

„In Ordnung. Aber macht halt keine Möbel kaputt.“

Mit großen Augen verfolgten die beiden, wie die Gruppe rachsüchtiger Männer sie einkreiste und alle möglichen Waffen zog. Der Weg zur Tür war versperrt.

„Ob es weit runter geht unter den Fenstern?“ fragte Rude mit einem bangen Unterton in seiner sonst so beherrschten Stimme. Reno sprang auf.

„Das werden wir gleich herausfinden! Lauf, Rude!!“ Beide stürmten in panischer Angst los in Richtung der Fenster. Doch dann kam Reno noch einmal ins Bild und zwinkerte der Viera zu. „Ich besuch dich mal in deinem Dorf, versprochen“, säuselte er ihr schmeichlerisch vor. Dann setzte er die kopflose Flucht fort.

Glücklicherweise gab es einen Kai gleich unter den Fenstern. So blieb ihnen der Sturz ins Meer erspart. Nachdem sie sich aufgerappelt hatten, blickten sie nach oben. Etliche wütend funkelnde Augenpaare blitzten sie an. Reno zog triumphierend eine Grimasse, wurde aber im nächsten Moment von Rude fortgezogen, als die ersten ihrer Verfolger begannen, aus den Fenstern zu klettern.

Die Leute auf der Hafenpromenade blickten den beiden Männern finster nach, die bei ihrer Flucht alles anrempelten, was nicht rechtzeitig auswich. Wenige Momente später kamen ihre Verfolger nach, und denen wurde schon allein wegen ihrer Zahl ausgewichen.

Mit quietschenden Schuhsohlen kamen sie zum Stehen. Vor ihnen endete die Pier ins Meer. Sie konnten nicht weiter, und hinter ihnen kam bereits die Menge der Verfolger näher. Hektisch wandten sie sich um.

„Verdammt! Was jetzt…“ Fieberhaft überlegend blickte Reno sich um. Dann fiel ihm eines der Schiffe auf, das im Begriff war abzulegen. „Das ist es! Komm, schnell!“ rief er und packte Rude am Ärmel.
 

Ratlos schauten sich die Seemänner um. Die Pier war hier zu Ende, von den beiden war jedoch keine Spur. Sie blickten noch nach allen Richtungen ins Wasser, doch auch dort schwamm niemand. Nach einer Weile gaben sie die Suche auf und kehrten um.
 

„Sieh dir diese Deppen an“, gluckste Reno, während sie sich durch eine Luke den sich entfernenden Hafen ansahen. „Solche Schwachköpfe. Die wären wir los.“ Zufrieden streifte er sich die Hände ab. Dann drehten sie sich um- und sahen sich mit der Mannschaft dieses Schiffs konfrontiert.

„Ei, ei, was ha´m wir denn hier? Ein paar blinde Passagiere?“ sagte einer von ihnen. Rude und Reno hoben dümmlich dreinschauend die Schultern. „Ich globe, ich we´ß, wer die nächsten Tage Kartoffeln schälen wird, ha, ha, ha…“

Die restliche Mannschaft stimmte ins Gelächter ein, und den beiden schwante ihr Schicksal.
 


 

Was ist eigentlich mit Cid und Shera passiert, die ja mit Denzel und Marlene in Edge-City zurückgeblieben sind? Lest weiter und erfahrt es...
 


 

„Ich hab ein mieses Gefühl bei der Sache“, sagte Cid und wollte sich eine Zigarette anstecken. Shera, die hinter dem Tresen des 7.Himmels stand und den Geschirrspüler einräumte, hob den Zeigefinger.

„Wenn du rauchen willst, dann geh bitte nach draußen, ja?“

Cid hielt das Feuerzeug schon in der Hand und starrte sie überrascht an.

„Und warum zur Hölle soll ich nach draußen gehen?“

Seine Frau schüttelte den Kopf und deutete mit dem Kinn in Richtung der beiden Kinder, die im Gastraum spielten. Cid verdrehte die Augen und erhob sich ächzend. An der offenen Tür stehend, zündete er sich schließlich seinen Sargnagel an und machte einen tiefen, genussvollen Zug.

„Aaah. Das macht die Lunge so wunderbar frei. Wie ich sagte, ich habe ein mieses Gefühl. Diese Arschlöcher von der- “

„CID!!“ zischte sie ihn an und ließ einen Topf geräuschvoll fallen. Verwundert hob er als Reaktion die Schultern. „Schimpf doch nicht so vor den Kindern!“

Marlene und Denzel blickten erschrocken von ihrem Spiel auf. Cid verdrehte die Augen und machte dann ein gespielt betroffenes Gesicht.

„Liebe Kinder, vergesst, was der gute Onkel Cid so alles sagt, ja?“

Die beiden sahen sich arglos an, dann wandten sie sich wieder ihrem Spiel zu. Als Shera mit dem Einräumen des Geschirrspülers fertig war und er sich rumpelnd in Bewegung setzte, ging sie zur offenen Tür, wo ihr Mann in aller Ruhe qualmte.

„Musst du immer so fluchen?“ flüsterte sie verärgert. Er blickte sie ratlos an.

„Ja. Wieso fragst du? Ich bin schließlich Cid Highwind. Ein richtiger Mann flucht eben.“

Sie schüttelte nachsichtig den Kopf.

„Manchmal denke ich, ich hätte dich mitsamt deiner Erfindung abstürzen lassen sollen.“

„Aber das hast du nicht“, erwiderte er grinsend. „Weil du eben einen richtigen Mann zu schätzen weißt“, sagte er selbstzufrieden und machte einen tiefen Zug an seinem Glimmstängel.

„Richtiger Mann oder nicht, die zwei lernen diese Wörter noch früh genug. Du musst sie ihnen nicht jetzt schon beibringen.“

Cid blinzelte in die Abendsonne, die über Edge-City versank.

„Bei mir lernen sie eben was fürs Leben.“ Dann wurde er wieder ernst. „Ich hoffe, dass sie heil zurückkehren.“ Shera horchte auf. In diesen Worten glaubte sie etwas herausgehört zu haben, was bei diesem Mann echten Seltenheitswert hatte: Mitgefühl und echte Anteilnahme.

„Ja, das hoffe ich auch…“, erwiderte sie betrübt.

„Sonst haben wir nämlich die beiden Bälger am Nacken, auch wenn sie ja ganz- “

„CID! Was fällt dir ein!?“ Zornig fiel sie ihm ins Wort. Mit einer derartigen Insensibilität hätte sie eigentlich rechnen können.

„Was ist jetzt schon wieder?!“ schnauzte er sie an. Sie funkelten sich gegenseitig wütend an, bevor die Anspannung wieder aus der Situation wich. Brummend wandte er sich ab und holte eine neue Zigarette hervor. Shera blickte schmollend zu Boden. Sie wusste genau, er würde nicht den ersten Schritt machen und sich entschuldigen.

„Ich will auch, dass sie heil zurückkehren“, begann sie versöhnlich, nachdem sie tief durch geatmet hatte. „Aber sollte… sollte etwas Schlimmes geschehen, dann kümmern wir uns um die beiden. Das sind wir Barret und den anderen schuldig.“

Cid wandte ihr den Rücken zu. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, was er in diesem Moment dachte. Geräuschvoll atmend drehte er den Kopf hin und her, was bei ihm bereits die Andeutung eines Entgegenkommens war.

„Sie werden zurückkehren. Bestimmt. Ich trete ihnen sonst in ihre verdammten Ärsche.“

„Das hoffe ich ja auch, aber- “

„Kein Aber, Weib. Die kommen zurück, oder ich schleife sie persönlich am Kragen hierher. Und außerdem ist mein Schiff kein Kindergarten.“

Erneut fühlte Shera die Hitze der Wut in sich hochsteigen, doch sie hatte bereits Übung darin, sie zurück zu kämpfen. Das hatte sie in den Jahren mit ihm gelernt.

„Dein Schiff? Du vergisst, wer einen guten Teil davon zusammengeschraubt hat“, tadelte sie ihn und blieb trotzdem beherrscht. Er drehte sich nun wieder zu ihr um.

„Na gut, es ist unser Schiff“, gab er knurrend zu. „Aber wir brauchen darüber gar nicht zu palavern, denn Cloud wird zurückkehren. Ansonsten reiße ich diesen Typen von der gottverdammten W.R.O. die Ärsche auf. Darauf kannst du einen lassen, verflucht.“ Im hohen Bogen spuckte er den abgebrannten Zigarettenstummel in die Gosse und holte eine neue Kippe hervor. Sheras Wut über seine unüberlegten, verletzenden Bemerkungen schwand, als sie sein spitzbübisches Lächeln sah. In das hatte sie sich damals verliebt, als sie noch seine technische Assistentin gewesen war, damals, als sie für Shinra ein Raumfahrzeug entwickeln sollten. Und dieses Lächeln war es auch, das sie immer wieder über seine Torheiten hinwegsehen hatte lassen.

„Ach, Cid… du alter Holzkopf“, sagte sie und umarmte ihn. Er tätschelte ihr den Rücken und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ohne die Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen, versteht sich. Irritiert roch sie den Zigarettenqualm in ihrem Gesicht. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Du wirst dich wohl nie än- “

Beide stoben auseinander, als ein Knall die Luft zerriss. Mit den Händen bedeckten sie ihre Augen. Als sie sie sinken ließen- sahen sie sich von Ungeheuern umringt. Vierbeinige Raubtiere, deren Körper mit Schuppen und Stacheln bedeckt waren. Zischend und geifernd näherten sie sich den beiden. Cid und Sheras Augen wurden riesig.

„Verflucht nochmal, was sind das für- “ Bevor er noch den Satz vollenden konnte, sprang das erste Ungeheuer auf sie zu. Es visierte genau Shera an- „Neeiin!!“ Cids Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung, als er innerhalb von Sekundenbruchteilen seine Lanze, den ‚Venusgesang‘, hervorzog und Shera zur Seite stieß. Das geifernde Maul voller spitzer Zähne bewegte sich- für sein Gefühl- in Zeitlupe auf ihn zu. Mit beiden Händen riss er die Lanze hoch. Das Wesen stürzte mit dem Kopf voran auf die Spitze der Lanze, und sie trat knirschend an seinem Hinterkopf aus. Kaum war dies geschehen, zerfiel das Wesen zu schwarzem Staub. Fassungslos stand er da und betrachtete seine Lanze. Dann wandte er sich an Shera, die langsam auf die Beine kam.

„Schnell, geh rein zu Denzel und Marlene!“ schrie er. Sie nickte nur kurz und rannte dann an ihm vorbei. Dann drehte Cid sich um und sah, wie die Wesen ihn einkreisten. Sie kamen ihm sofort bekannt vor. Es waren dieselben wie damals, als-
 

„Kommt, ihr beiden!“

Die Waisenkinder sahen sie ratlos an, als Shera sie an den Händen nahm. Ihre Gedanken liefen heiß.

Was war das…?

Monster, hier in der Stadt?

Cid, er braucht vielleicht meine Hilfe-

„Was ist los, Tante Shera“, fragte Marlene leise, die ihre Angst offenbar spürte. Verwirrt sah sie die beiden Kinder an.

„Ich weiß es nicht, wir müssen jetzt- “

Alle drei erschraken zutiefst, als ein schwerer Gegenstand gegen die geschlossene Tür krachte.
 

„Elendes Scheißding!!“ fluchte Cid, nachdem er das Untier aufgespießt und gegen die Fassade des 7.Himmels geknallt hatte. Wieder zerfiel es zu Staub. Als er sich umwandte, erschrak er. Dies war noch nicht oft in seinem Leben vorgekommen, doch jetzt hatte er allen Grund dazu. Kaum, dass er die ihm einkreisenden Monster besiegt hatte, kamen neue- und zwar aus Öffnungen im Raum, die sich aus dem Nichts auftaten und Untiere ausspuckten. Es wurden immer mehr. Wütend spuckte er die Zigarette aus. Von allen Seiten von fauchenden, angriffslustigen Bestien umgeben, ging er langsam rückwärts. Bis er mit dem Rücken die Eingangstür der Kneipe berührte. Ohne den Blick von der immer größer werdenden Monsterschar zu nehmen, klopfte er mit der freien Hand gegen die Tür. „Lasst mich rein, verflucht!!“
 

Shera öffnete die Tür vorsichtig, und Cid schlüpfte hindurch. Sofort begannen die beiden, alle Tische im Raum vor die versperrte Tür zu schieben. Angsterfüllt schauten ihnen die beiden Kinder zu.

„Was ist das da draußen, Onkel Cid?“ fragte Denzel verängstigt, während er sich an Marlenes Hand festhielt.

„Nichts, wovor ihr euch fürchten müsst“, antwortete Cid wenig glaubwürdig, während er mit Shera weiterhin Möbel vor die Tür verfrachtete. Schließlich war der Eingang vollkommen verrammelt. Das schrille Gebrüll der Ungeheuer drang von draußen herein. Nervös betrachteten sie die Barriere.

„Woher sind diese Viecher nur gekommen!?“ fragte Shera aufgelöst. Cid schüttelte langsam den Kopf und zündete sich eine neue Zigarette an. „Ich habe keine Ahnung, verflucht. Es sind jedenfalls dieselben wie damals…“

Fassungslos blickte sie ihn an.

„Was meinst du damit?“

„Du weißt schon, als dieser Punk, Kadatsch oder wie er hieß… er hat dieselben Viecher herbeigerufen.“

Shera wandte sich den Kindern zu, die zu weinen begonnen. Sie versuchte, sie zu trösten, mit wenig Erfolg.

„Aber… er wurde doch besiegt, oder kann es sein- “

„Ausgeschlossen“, knurrte Cid und nahm seine Lanze wieder zur Hand, die er weggelehnt hatte. Die Tür erzitterte unter den Angriffen der Ungeheuer, und die Barrikade davor schien das Unvermeidliche kaum aufzuhalten. „Wir müssen hier weg. Diese verfluchten Monster kommen bald durch. Hinauf in den ersten Stock!“
 

Links und rechts hielt sie eines der Kinder an der Hand und stürmte die Treppe hinauf. Cid folgte ihnen, und kaum hatten sie den ersten Stock erreicht, hörten sie auch schon, wie die Barrikade durchbrochen wurde. Entsetzt wandte Cid sich um und sah, wie die Untiere durch die Kneipe strömten und auf den Treppenaufgang zurasten.

„Lauft aufs Dach, verdammt! Ich komme nach!“

„Aber was wirst du- “

„Lauf und stell keine Fragen, verflucht nochmal!!“ schrie er sie an, und sie setzte sich in Bewegung.
 

Marlene und Denzel weinten bitterlich, als Shera mit ihnen die Treppe aufs Dach hinauf lief. Oben angekommen, sah sie sich um. Die Ruhe, die über Edge-City hing, war geradezu bedrückend und stand so völlig im Gegensatz zu dem Terror, der sie so plötzlich ereilt hatte. Ängstlich lauschte sie in den Treppenabgang hinab. Das Kreischen der Monster und Kampflaute waren zu hören. Sie wagte nicht daran zu denken-

Langsam näherte sie sich dem Rand des Daches. Die Kinder drückten ihre Augen zu und schluchzten. Als sie in die Tiefe blickte, sah sie, wie sich ‚Durchgänge‘ aus schwarzem Licht öffneten- um das Gebäude herum, aber… Ihre Augen wurden groß. Eine verzweifelte Träne lief ihr über die Wange, und ihre Brille beschlug sich. Kalter Schweiß trat ihr an die Stirn.
 

Nicht nur um ihr Gebäude- nein, in der ganzen Stadt geschah es. Von der Ferne hörte sie verzweifelte Schreie. Autoreifen quietschten. Glas splitterte. Menschen flohen. Ordnungskräfte und Soldaten brüllten überrumpelt durcheinander. Vereinzelte Schüsse ertönten. Selbst am Himmel sammelten sich dunkle Wolken und verdichteten sich zu Toren, die Höllengestalten ausspien.

Das Ende der Welt brach an.
 

„Nimm das, Scheißungeheuer!!“

Kreischend verendete das Monster, als Cid ihm seine Lanze in den Leib stieß. Er war ein Meister mit dieser Waffe- doch die Gegnerschar nahm kein Ende. Zähneknirschend trat er den Rückzug an, während die Biester aus der Hölle den Flur füllten.

Atemlos stürzte er aus der Tür. Er warf sie hinter sich zu und versperrte sie, auch wenn er wusste, dass es zwecklos war. Shera stand mit den Kindern am Rande des Flachdachs und beobachtete fassungslos, wie die Stadt im Chaos versank. Cid stellte sich neben sie hin und stützte sich auf seine Lanze. Fast fiel ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel.

„Heilige Scheiße… !!!“

Monster, gleich jenen, die sie überfallen hatten, füllten die Straßen. Menschen flohen in Panik vor den aus dem Nichts auftauchenden Kreaturen. Der Straßenverkehr kam zum Erliegen. Aus allen Richtungen drangen die Schreie fliehender Menschen. Dann holte sie ein anderes Geräusch in die Wirklichkeit zurück. Und diese war grauenhaft.

Krachend flog die Tür aus den Angeln, und die Ungeheuer strömten auf das Flachdach. Marlene und Denzel drückten sich an Shera und wimmerten leise. Die Frau warf einen flehenden Blick zu Cid, der mit zu Schlitzen verengten Augen die feindliche Übermacht betrachtete. Dann holte er aus seiner Jacke ein Gerät hervor. Seelenruhig drückte er ein paar Knöpfe.

„Cid… was machen wir jetzt…“

Er überhörte ihre verängstigte Stimme und blickte zum Himmel. Dann reckte er einen Arm empor. Die Sonne verdunkelte sich, doch diesmal nicht von den plötzlich aufziehenden Wolken.
 

Die ‚Shera‘ schwebte über dem Gebäude. Das Dröhnen ihrer Aggregate übertönte das Knurren und Zischen der Ungeheuer auf dem Dach. Cid hielt weiterhin seine Hand in die Luft, als würde er das Schiff beschwören. Zischend lösten sich Raketen aus dem Rumpf des Schiffes, beschrieben wirre Kreisbahnen- und schlugen schließlich direkt vor ihnen auf dem Dach ein!

Die Vier hielten sich die Arme vors Gesicht, als sie die Druckwelle der Detonation überrollte. Als sich der Rauch verzog, sahen sie den Treppenaufgang in Trümmer liegen. Alle Ungeheuer waren vernichtet. Immer noch klammerten sich die beiden Kinder wimmernd an Shera, als sich das Schiff langsam herabsenkte. Cid steckte die Fernbedienung wieder ein und rannte auf die Rampe zu, die aus dem Bauch des Schiffes herausglitt. Als sie das Dach berührte, blieb er bei ihr stehen und winkte ihnen zu.

„Kommt schon, verdammt! Wir müssen weg!“
 

In Windeseile besetzte Cid die Steuerzentrale des Schiffes, während Shera die Kinder in ihren Räumlichkeiten unterbrachte. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass sie wohlauf waren und sich einigermaßen beruhigt hatten, ging sie zu Cid in den Kontrollraum.

Er stand ernst am Steuerrad und horchte den Funkverkehr ab. Auf allen Kanälen herrschte Aufruhr. Notrufe und Alarme überlagerten sich ständig, und es war kaum möglich, sinnvolle Information herauszufiltern. Außer, dass Edge-City im Chaos versank. Fassungslos trat Shera an die Sichtfenster des Kontrollraums. Die Straßen waren mittlerweile fast menschenleer. Kolonnen von verlassenen Fahrzeugen blockierten die Straßen, in denen nun die aus dem Nichts herbei geströmten Ungeheuer herrschten. An manchen Stellen erblickte sie Ordnungskräfte, die sich verzweifelte Gefechte mit den Monstern lieferten.

„Was geht hier vor…“, murmelte sie verstört. „Cid, was passiert mit dieser Stadt? Was ist hier los?“

Er schüttelte nur den Kopf und konzentrierte sich weiterhin auf den Funkverkehr. „Ich habe keine Ahnung, verflucht“, flüsterte er. Seine Zigarette war mittlerweile runter gebrannt, nur noch der Filter hing schlaff in seinem Mundwinkel, als schien dies die letzte Konstante in einer zusammenbrechenden Welt zu sein…

Shera wandte sich wieder ab von ihm und sah auf die Stadt hinab. Das Schiff schwebte langsam über die Häuserblocks dahin, scheinbar ohne Ziel.

„Cid, wo fliegen wir eigentlich hin? Cid, rede mit mir!“

„Hä?“ Er horchte auf. Dann schaltete er das Funkgerät ab. „Ist sowieso zwecklos… wohin? Ich habe keine gottverdammte Ahnung! Diese Mistviecher… sie scheinen überall in der Stadt zu sein.“

So furchtbar es klang, Shera konnte ihm in Gedanken nur zustimmen. Dann fiel ihr Blick auf etwas.

„Da! Da unten! Siehst du das?“

„Hm?“ brummte er, und zog das Steuerrad herum.

„Da, auf dem Dach da unten!“
 

Sie warf die Tür hinter sich zu und presste sich atemlos dagegen. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Allmählich zog Schwärze vor ihren Augen auf, und sie kämpfte mit aller Macht dagegen an. Vor fünf Minuten war sie noch bei ihrer Arbeit gesessen, und jetzt waren alle ihre Kollegen tot. Aus dem Nichts waren sie aufgetaucht und hatten das Gebäude gestürmt. Sie wähnte sich in einem Alptraum, als das erste Monster seine Klauen in die Brust eines ihrer Kollegen geschlagen hatte. Fast unwirklich war es ihr erschienen, als sein hellrotes Blut an die Wand gespritzt war. Der Schrecken hatte sie erstarren lassen. Hätte sie nicht ein anderer Kollege von ihrem Stuhl gestoßen, sie wäre nun auch tot. Die Angst hatte ihre Beine mit Bleigewichten versehen, trotzdem hatte sie es geschafft, sich in das oberste Stockwerk zu retten. Keinen Moment hatte sie es gewagt, sich umzudrehen. Sie hatte nur das Trampeln der Ungeheuer gehört und die Tür hinter sich zugeschlagen. Und nun lehnte sie an ihr und versuchte, zu Atem zu kommen.

Eine heftige Erschütterung warf sie beinahe zu Boden. Kreischend wich sie von der Tür zurück, die sich an mehreren Stellen nach ihnen wölbte. Mit schreckensgeweiteten Augen begriff sie, dass die Untiere jeden Moment durch die Tür brechen würden. Hellwach vor Panik und Todesangst blickte sie sich um. Schließlich fiel ihr gehetzter Blick auf eine Leiter, die zu einer Falltür führte.

Mit unsicheren Schritten taumelte sie über das Flachdach. Sie zitterte am ganzen Körper, wie ihr nun auffiel. Das Pochen ihres Herzes wurde nur übertönt von den Schüssen und Sirenen, die durch die Stadt hallten. Ihr Blick glitt über Straßen, aus denen Rauchsäulen aufstiegen, über ganze Herden von Monstern, die nun über Edge-City herrschten.

„Nein…“, stammelte sie tränenerstickt. „Das… kann nicht wahr sein…“ Ein dumpfes Knirschen riss sie aus ihrer Lethargie. Die Falltür flog in hohem Bogen durch die Luft. Eines der Monster zwängte sich durch die Luke, und bald war es hindurch. Die anderen folgten ihm und bewegten sich geifernd und zischend auf sie zu. Verzweifelt rang sie nach Luft. Hier konnte sie nicht mehr fliehen, höchstens sich vom Dach stürzen und so einen leichteren Tod finden. Ihre Lungen weigerten sich, weitere Luft aufzunehmen, und sie schloss die Augen. Sie hörte noch das Klacken der Klauen auf dem Betonboden- dann warf sie eine Druckwelle zu Boden.

Hustend rang sie nach Luft. Als sich der Rauch legte, sah sie die zu Staub zerfallenden Leiber der Ungeheuer. Und dann schwebte ein Luftschiff auf sie herab. Mit einem Arm schirmte sie ihre Augen gegen den aufgewirbelten Staub ab, als das Schiff auf dem Dach landete.
 

Shera wickelte die geschockte junge Frau in eine Decke ein. Marlene und Denzel beobachteten sie neugierig. Dann reichte sie ihr eine Tasse Earl Grey, Cids Lieblingsteesorte. Mit zitternden Händen nahm sie die Tasse und flüsterte ein schwaches ‚Danke‘. Shera musterte sie aufmerksam, ob sie auch wirklich unverletzt war.

„Wie heißt du, mein Kind“, fragte Shera sie in einem fürsorglichen, ja mütterlichen Tonfall, obwohl der Altersunterschied zwischen ihnen vielleicht zehn Jahre betragen mochte.

„Ich bin Anne. Anne Almasy. Kann ich mich… irgendwo hinlegen?“ fragte vorsichtig.

„Sicher, Anne. Ich bin übrigens Shera Highwind. Komm mit“, erwiderte Shera und führte sie in ein freies Quartier.
 

Die Frau setzte sich dort aufs Bett. Die Decke, die Shera ihr gegeben hatte, hielt sie fest als würde sie frieren. Ihr leerer Blick haftete an der gegenüberliegenden Wand.

„Brauchst du sonst noch irgendwas?“ fragte Shera freundlich, doch Anne schüttelte nur langsam den Kopf. „Gut. Ich sehe dann wieder nach dir. Am besten, du ruhst dich jetzt aus.“

Sie wandte sich schon zu gehen, als Anne noch etwas sagte.

„Ich… ich habe mich noch gar nicht bedankt. Für die Rettung und so.“

Sie erwiderte den unsicheren Blick der jungen Frau wohlwollend.

„Ist schon in Ordnung. Es wird alles wieder gut, und jetzt versuch zu schlafen.“
 

Leise schloss sie die Tür hinter sich. Ihre eigenen Worte gingen ihr nochmal durch den Kopf, als sie in Richtung der Brücke ging.

Es wird alles wieder gut… das kann ich ja selbst nicht glauben. Aber vielleicht zumindest sie…
 

„Ist die Kleine in Ordnung?“ fragte Cid mit einem leisen Anflug von Sorge. Shera nickte.

„Ja, es geht ihr den Umständen entsprechend gut.“ Dann ging sie wieder zu den Sichtfenstern. Unter ihnen wütete immer noch das Chaos, das Edge-City verschlungen hatte. „Das ist schrecklich… Können wir denn nichts tun? Vielleicht können wir noch mehr dieser Kreaturen vernichten!“

Cid schüttelte brummend den Kopf.

„Schön wär’s. Wir haben nicht genügend Raketen, um alle diese Biester zu erwischen.“ Dann nahm er die Zigarette aus dem Mund, was seine Aussprache gleich deutlicher werden ließ. „Darum muss sich schon das verfluchte Militär kümmern. Nur eine Armee kann die Stadt zurückerobern.“

„Schrecklich…“, murmelte Shera.

„Verflucht! Was ist das!?“

Sie wandte sich zu Cid um. Dieser starrte nun fassungslos den Radarschirm an.

„Was ist denn jetzt wieder?“ fragte sie und ahnte das Schlimmste. Cids geweitete Augen glitten vom Radarschirm zum großen Sichtfenster des Kontrollraums. Shera folgte seinem Blick. Dann sah sie es ebenfalls.
 

Ein geflügeltes Monster hielt direkt auf sie zu. Es war von derselben schwarzen, geschuppten Erscheinung wie die kleineren, nur eben… größer. VIEL Größer. Stacheln bedeckten einen großen Teil seines monströsen Leibes, und gezackte Schwingen ließen es behände durch den Luftraum über Edge-City gleiten. Und es ging auf Kollisionskurs mit der ‚Shera‘…
 

Hektisch riss Cid das Steuerrad herum. Shera musste sich festhalten, als das Schiff in Schräglage ging. Enge Bögen beschreibend, flog das Schiff eine Schleife. Doch das fliegende Untier verfolgte sie problemlos. Verzweifelt klammerte sich Shera an einer Reling an.

„Greif es mit den Raketen an, Cid!“

„Geht nicht“, knurrte er genervt. „Die Bordraketen treffen nur unbewegliche Ziele. Wir müssen ausweichen!“
 

Elegante Ausweichmanöver fliegend, glitt die ‚Shera‘ über die Stadt dahin. Doch der geflügelte Angreifer hielt locker mit. Das Ungeheuer war beinahe so groß wie das Schiff selbst. Es beschleunigte, bis es auf derselben Höhe war. Das Stahlskelett des Schiffes ächzte, als ein Prankenhieb des Monsters die Hülle traf.
 

Cid wurde durch die Erschütterung fast von den Beinen gefegt. Mit letzter Kraft hielt er sich am Steuerrad fest. Shera hing an der Reling und kreischte, als das Schiff bedrohlich schlingerte. Allen Ausweichmanövern zum Trotz wurde es immer wieder von Attacken getroffen. Fluchend griff Cid mit der freien Hand zu einer Konsole und öffnete einen Schutzdeckel. Darunter befand sich ein roter Schalter. Einen kurzen Moment zögerte er, dann legte er den Schalter um.
 

Eine blauglühende Aura umgab die Aggregate der ‚Shera‘. Es verstärkte sich und wurde schließlich gleißend weiß. Dann ging ein Ruck durch das Schiff, der es auseinander zu reißen drohte. Eine in die Länge gezogene Silhouette des Schiffes blieb zurück und verblasste langsam am Himmel über Edge-City.
 

Langsam kam Shera auf die Beine. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte ihn jemand an die Wand geschleudert. Leise Worte drangen an ihre schmerzenden Ohren.

„Hoffentlich ist ihr nichts passiert…“

Die Stimme klang verzagt, fast weinerlich. Das Seltsamste aber: sie gehörte Cid, dem sonst kaum eine Gefühlsregung entkam.

„Ich bin in Ordnung, so weit ich das bis jetzt sehe- “

Sie wandte sich um und sah Cid, dessen Miene sich aufhellte. Zufrieden checkte er die Anzeigen.

„Das Schiff ist in Ordnung, Gott sei Dank“, rief er erleichtert. „Ich habe den Beschleuniger nie wirklich getestet. Aber die Maschinen haben es gut überstanden.“ Fast zärtlich tätschelte er die Armaturen. Shera hob eine Augenbraue.

„Aha“, erwiderte sie verdrießlich. „Ja, und mir geht es auch gut, falls dich das interessiert.“

„Hm? Dir geht es gut? Schön zu hören. Mal sehen, wo wir sind.“

Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und warf einen Blick aus den Sichtfenstern. Sie waren nicht mehr über Edge-City, das sah sie sofort. Die Umgebung hatte sich drastisch verändert. Rote Sandsteinberge füllten nun das Panorama. Es kam ihr gleich bekannt vor.

„Das Tal des fallenden Sterns… Da können wir ja Nanaki einen Besuch abstatten. Ich muss sowieso die Maschinen zur Sicherheit nochmal überprüfen.“

Mit seinem bekannten fliegerischem Geschick landete er die ‚Shera‘ auf dem großen Platz vor der Siedlung in Cosmo Canyon. Sie hatten das ‚Tal des fallenden Sterns‘, wie Cosmo Canyon auch genannt wurde, schon mehrmals besucht. Die Behausungen, die auf fantasievolle Weise in den schroffen Sandstein gehauen waren, wirkten immer wieder aufs Neue beeindruckend. Kühne Leitern und steile Treppen verbanden die einzelnen Häuser miteinander, die sich wie Wespennester an den rötlichen Sandstein schmiegten. Dies war die Heimat von Nanaki und seinem Volk, das diesen Ort seit Zeitaltern beschützt hatte. Doch sein Volk war ausgestorben, und er der letzte Vertreter, auch wenn der Älteste dieses Ortes, der ehrwürdige Bugenhagen, einmal eine anders lautende Andeutung gemacht hatte. Doch auch er war mittlerweile zum Lebensstrom zurückgekehrt, und so blieb es ein Rätsel.
 

Die Bewohner des Canyons kamen aus ihren Häusern und sammelten sich am Hauptplatz, wo zu bestimmten Anlässen immer ein großes Feuer brannte. Wie auch damals, als die Truppe um Cloud mit den verbliebenen Mitgliedern von Avalanche den Sieg über Sephirot und die Rettung des Planeten gefeiert hatte. Jetzt wirbelte die Asche auf, als das Schiff sanft aufsetzte. Verwundert betrachteten die Menschen das Schiff. Aber gleichzeitig taten sie dies so gelassen und mit einer Ruhe, als könnten plötzliche Ereignisse gar nicht stattfinden an diesem friedlichen Ort mit seiner beinahe meditativen Atmosphäre.

Langsam surrte die Rampe heraus. Shera ging sie hinab und hielt dabei Marlene und Denzel an den Händen. Anne folgte ihnen vorsichtig und blickte sich misstrauisch um. Zu sehr stand sie noch unter dem Schock ihrer Erlebnisse. Als letzter verließ Cid das Schiff. Er überholte sie locker ausschreitend und klopfte ihr ihm Vorbeigehen auf die Schulter. Die junge Frau erschrak dabei und stürzte ob der Wucht dieser kameradschaftlichen Geste fast vornüber. Cid stützte sie und murmelte dabei ein unverständliches ‚t‘schuldiung‘. Sie erwiderte es mit einem verzogenem Gesicht. Cid nickte ihr zu und nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel.

„Hier sind wir in Sicherheit. Diese Leute sind etwas abgedreht, aber in Ordnung.“

Ein leises Lächeln hellte ihre immer noch verschreckten Züge auf.

„Das ist… gut. Oh, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Anne Almasy.“

Cid streckte ihr seine Hand entgegen, die immer noch in einem öligen, langen Handschuh steckte. Zaghaft ergriff die junge Frau sie.

„Sehr erfreut. Cid Highwind, Pilot und Erfinder.“

Der Zigarettenstummel hüpfte in seinem Mundwinkel auf und ab, und Anne ächzte leise unter dem Druck seiner starken Hand.

„Ich… möchte mich bedanken. Für meine Rettung.“ Stirnrunzelnd betrachtete sie ihre angeschwärzte Hand. Cid bemerkte dies und kramte in seiner Schenkeltasche nach einem Lappen.

„Ach, verflucht… jetzt habe ich dich ganz dreckig gemacht. Hier, wisch dich ab.“

Sie betrachtete argwöhnisch den vor Öl triefenden Lappen und schüttelte verlegen den Kopf.

„Danke, aber… ist nicht so schlimm. Ich wasche mich später.“
 

Als die Fünf den Platz betraten, teilte sich die Menschenmenge. Ein älterer, bereits ergrauter Mann kam auf sie zu.

„Ich heiße euch willkommen in unserem Tal. Wenngleich uns euer Besuch überrascht, so heißen wir euch auf jeden Fall willkommen, geehrte Retter des Planeten…“

Ältester Hargo, der nach dem Ableben Bugenhagens sein Amt übernommen hatte, hieß sie herzlich willkommen. Shera lauschte seiner umfangreichen Begrüßung geduldig, während Cid hinter ihr stand und dabei Grimassen zog, die Hargos umständliche Sprechweise nachäfften.

„Auch wir freuen uns, diesen heiligen Ort besuchen zu können und danken euch für eure Gastfreundschaft. Der Grund unseres Auftauchens… ihr habt noch nichts von Edge-City gehört? Von dem Angriff…?“

Bei dem Wort Angriff kam Unruhe in die Menschenmenge. Hargo blickte sie fragend an.

„Es dauert immer etwas, bis uns Nachrichten vom Rest der Welt erreichen…“ Er blickte sich vorsichtig um. „Am besten, wir besprechen dies in Ruhe. Seid solange meine Gäste“, fügte er lächelnd hinzu. Dann führte er sie die Treppen empor, die zum Observatorium führten, das über dem Cosmo Canyon thronte.
 

Die Behausung direkt unter der Sternwarte hatte sich seit damals kaum verändert. Vieles hier erinnerte an den weisen, gütigen Bugenhagen, dem der Planet mehr als alles andere bedeutete und dem er sein Leben gewidmet hatte.

Zusammen mit Hargo saßen sie an dem Küchentisch, der in irgendeiner Küche dieser Welt hätte stehen können, so normal wirkte alles. Ergriffen lauschte er Sheras Ausführungen, während Cid mit gelangweilter Miene daneben saß und ihr das Reden überließ. Immer wieder war er erstaunt, wie sie mehrere Sätze hinter einander aussprechen konnte, ohne ein einziges Mal zu fluchen. Marlene und Denzel saßen brav nebeneinander und schlürften den angebotenen Kakao. Anne saß neben Cid und starrte auf die Tischplatte. Selbst das bloße Anhören der Ereignisse bedrückte sie.

„Das ist schrecklich…“, flüsterte Hargo erschüttert. „Edge-City in der Macht von Monstern… Wie konnte das passieren?“ fragte er mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck.

„Wir wissen es nicht. Wir haben keine Ahnung…“

„Aber… was ist mit Cloud und den anderen? Sie sind nicht bei euch, wie ich sehe, aber ich hoffe, sie sind wohlauf!?“

Sheras Blick ging zu den Kindern. Sie überlegte, ob sie es noch komplizierter machen sollte.

„Es geht ihnen gut. Sie haben schon vor einer Weile die Stadt verlassen, aber… sie sind in Ordnung, seid versichert.“

„Das ist gut zu hören“, sagte er aufatmend. „Auch wenn wir nichts für Edge-City tun können außer zu beten, so nehmt doch unsere Gastfreundschaft solange in Anspruch, bis diese schlimme Sache vorüber ist.“

Gerade als Shera etwas erwidern wollte, bemerkte sie etwas. Leise Pfoten, die einen doch schweren Körper trugen, näherten sich ihnen. Erfreut wandten sich die Kinder um, und sogar Cid nahm seinen öligen Finger aus dem Ohr, das er gerade andächtig geputzt hatte. Anne hingegen erstarrte beim Anblick eines Löwen/Hundeverschnitts, der den Raum betrat. Sein Fell schimmerte dunkelrot, und sein rechtes Auge war vernarbt. Auf den linken Flanken prangten Tätowierungen, und das Ende seines Schweifes loderte in Flammen. Am auffälligsten war aber die Brosche, die er in seinem schwarzen Kopfhaar trug. Das Schmuckstück glänzte und schimmerte und bildete einen Kontrast zu seiner ansonsten eher düsteren Erscheinung.

„Wen haben wir denn hier…“, begann das Wesen mit seiner sonoren Stimme. Marlene und Denzel sprangen auf und umarmten es stürmisch, was es mit erstaunlicher Ruhe über sich ergehen ließ. Sie hatten keinerlei Angst vor dem gefährlich wirkenden Geschöpf. Anne schauderte es bei seinem Anblick.

„Nanaki… wie geht’s, altes Haus“, brummte Cid und nahm die Zigarette aus dem Mund. Auch Shera nickte ihm freundlich zu. Während ihn die Kinder eifrig streichelten, sprang er auf einen Stuhl und machte dort ‚Platz‘. Kichernd folgten sie ihm. Nanaki blickte in die Runde, bis sein Blick auf die entgeisterte Anne fiel.

„Ihr habt noch einen Gast mitgebracht? Mit wem habe ich die Ehre?“

„Oh, wie unaufmerksam von uns“, sagte Shera und machte ein verlegenes Gesicht. „Das ist Anne Almasy. Anne, das ist Nanaki, Setos Sohn.“

„Setos stolzer Sohn“, fügte Nanaki hinzu und deutete eine Verneigung an. Immer noch bearbeiteten die beiden Kinder sein Fell mit ihren Streicheleinheiten und machten sich schließlich an seiner Brosche zu schaffen. „Ach, bitte, Kinder. Lasst doch meinen ‚begrenzten Mond‘, wo er ist. Danke.“

„Er ist`n alter Kumpel von uns“, erklärte Cid. „Wir haben viel Scheiße zusammen durchgemacht, ihm kannst du ruhig trauen.“

„Cid!“ zischte Shera. „Die Kinder…“ Arglos zuckte er mit den Schultern.

„Übrigens… Wäre besser, wenn du den Leuten nicht zu viel davon erzählst. Du weißt schon, sie machen sich nur unnötige Sorgen.“

Hargo blickte Cid mit großen Augen an. Dann nickte er eifrig.

„Ja, natürlich… ihr habt vollkommen recht. Und außerdem… ist Edge-City ja weit weg. Uns droht also kaum Gefahr.“

Und wir haben den Planeten ja nicht zerstört, schien er gedanklich hinzuzufügen. Und das habt ihr nun davon, schien er ebenfalls sagen zu wollen. Cid nickte schief lächelnd zurück und wusste dabei genau, dass für diese Bedrohung räumliche Entfernung kein Hindernis war.

„Und außerdem… wir müssen etwas mit Nanaki besprechen“, fügte Shera hinzu. „Vielleicht beruhigt ihr derweil eure Mitbürger…?“

Nach einer Gedenksekunde schnallte Hargo den Zaunpfahlwink.

„Ja, das sollte ich wohl tun. Bevor noch Panik entsteht. Dann… lasse ich euch mal alleine.“

Ältester Hargo nickte ihnen noch freundlich zu, dann verließ er den Raum.
 

Sie hatten gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war. Das Sternenzelt, das sich über den Cosmo Canyon spannte, war atemberaubend und viel strahlender als über Edge-City, wo der Smog einen derartigen Anblick verhinderte.

Die beiden Kinder hingen am Geländer und blickten staunend zu den Sternbildern hinauf. Cid und Shera erklärten Nanaki all das, was sie Hargo verschwiegen hatten, also den Angriff des seltsamen Wesens auf Tifa und die Rettungsaktion, zu der Cloud und die anderen aufgebrochen waren. Im rätselhaften Gesicht Nanakis zeichnete sich aufkeimende Bestürzung ab.

„Das ist… entsetzlich. Was mag diese Kreatur mit Tifa angestellt haben?“

Anne stand etwas abseits und horchte unauffällig zu. Allmählich dämmerte ihr die erschreckende Erkenntnis, dass das Projekt, an dem sie im Auftrag der W.R.O. mitgewirkt hatte, damit in Verbindung stand. Sie wusste keine Details von dem Tor-Projekt, doch genug, um die Zusammenhänge zu erkennen. Und dann die Nacht, in der Tifa verschwand… Sie selbst hatte die Daten aufgezeichnet und dann zur W.R.O. weitergeleitet. Ein unbestimmtes Gefühl der Schuld begann sie niederzudrücken, obwohl sie nicht einmal genau wusste, weshalb. Sie beschloss, fürs erste nichts davon zu sagen.

„Zuerst dieses verdammte Ungetüm, und dann die Riesenscheiße in Edge-City“, stöhnte Cid auf. Wütend warf er eine abgebrannte Kippe übers Geländer in die Tiefe.

„Was wollt ihr jetzt tun?“ fragte Nanaki, und sein schwer deutbarer Blick ruhte auf ihnen. Shera seufzte tief.

„Wir können nichts für Cloud und die anderen tun, aber… auch wenn wir der Monsterplage nicht beikommen, so müssen wir zumindest versuchen, den Leuten in der Stadt zu helfen.“

„Darauf kannst du einen lassen“, sagte Cid, während ein Streichholz aufflammte. Er führte es zum Gesicht und entzündete eine neue Zigarette. Genussvoll blies er den Rauch in Nanakis Richtung, und dieser verdrehte sein verbliebenes Auge.

„Die Dinger gehen dir wohl nie aus“, hustete er. „Ich bin dabei. Das sind wir den Menschen schuldig. Auch wenn…“ Er warf einen Blick in die Tiefe. Vom Balkon des Observatoriums konnte man den Platz gut überblicken. Die Bewohner des Tals hatten sich dort versammelt und lauschten Hargos Erklärung. „…auch wenn nicht alle hier so denken.“

„Ich kann verstehen, wenn Hargo und auch andere Menschen hier Vorbehalte gegen die W.R.O., Edge-City und überhaupt alles aus der Hauptstadt haben, aber… wir müssen einfach etwas unternehmen“, fügte Shera in einem sorgenvollen Ton hinzu. Nanaki nickte.

„Du hast recht. Sie werden es vielleicht nicht verstehen, wenn ich mit euch gehe… aber ich werde es tun.“

So etwas wie ein Lächeln umspielte seine Raubtierschnauze. Cid nahm die Zigarette aus dem Mund und blies einen Rauchkringel in die klare Nachtluft.

„Na dann, treten wir diesen Mistviechern in den Arsch.“

@

Am nächsten Morgen standen sie früh auf, und niemand außer Hargo verabschiedete sie. Langsam und mit gedrosselten Aggregaten hob die ‚Shera‘ ab, um möglichst niemanden zu wecken. Mit unverhohlenem Bedauern blickte der Älteste des Cosmo Canyon dem Schiff nach, wie es sich langsam entfernte und immer kleiner wurde.

Cid stand am Steuerrad und blickte durch die großen Glasfenster in die Ferne. Wie immer hatte er eine Zigarette im Mund, die wie durch ein Wunder immer hinter seinem Ohr erschienen. Sein Gesicht hatte etwas Abwesendes, und er merkte es nicht, dass Anne die Brücke betrat. Verlegen trat sie zu ihm hin.

„Äh, Herr Highwind… fliegen wir wirklich zurück nach Edge-City?“

Noch einige Momente länger stierte er in Richtung Horizont, dann erschrak er. Fast wäre ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel gefallen.

„Ach, du bist’s. Nicht so förmlich, nenn mich einfach Cid.“

Spitzbübisch zwinkerte er ihr zu, und beinahe errötete sie angesichts seines herben Charmes.

„Gut, Cid… ist das eine gute Idee… ich meine, in die Stadt zurückzukehren?“

„Klar“, brummte er und nahm die Zigarette aus dem Mund. „Glaub mir, Kleines, ich kann mir auch was Lustigeres vorstellen. Aber irgendjemand muss diese Mistviecher vertreiben.“ Es herrschte mehrere Augenblicke lang Stille, bis Cid heftig mit der Faust auf das Steuerrad schlug. Anne zuckte zusammen. „Diese elenden Scheißbiester!! Haben glatt versucht, meine Shera aufzufressen! Schon allein deshalb muss ich was tun, verstehst du? Auch wenn ich noch nicht genau weiß, wa- “

Plötzlich blieb sein Blick am Radarschirm hängen. Sein Gesichtsausdruck wandelte sich von erstaunt über bestürzt und wurde schließlich zu einem finsteren fuchsteufelswild.

„Ist etwas passiert?“ fragte Anne schüchtern.

„Verfluchtes verdammtes Scheißungetüm!! Es lässt nicht locker…“ Er knirschte einen Moment mit den Zähnen, dann griff er zum Bordmikrophon. „Okay, alles, was kämpfen kann bewegt seinen Arsch aufs Aussichtsdeck, und das wären…“ Ein hilfloses Lachen überflog seine Züge. „… Nanaki und ich, so wie’s aussieht. Es sei denn, du kannst mit einer Waffe umgehen?“ Sein forschender Blick traf die eingeschüchterte junge Frau. Bange schüttelte sie den Kopf. „Dacht‘ ich mir.“ Mit einem Knopfdruck aktivierte er den Autopiloten und ging dann zur Tür.

„Was geschieht jetzt?“ fragte sie ängstlich. Cid holte seine Lanze hervor und bedachte sah sie mit zu Schlitzen verengten Augen an.

„Diesmal laufen wir nicht weg. Das Vieh will einen Tanz, und den kann es haben!“ Dann warf er die Lanze von einer Hand in die andere und verließ die Brücke.
 

Der in dieser Höhe heftige Wind zerrte an ihm, als er ins Freie trat. Auch Nanaki war schon dort. Shera und Anne beobachteten durch ein Fenster hindurch das Aussichtsdeck, wie die beiden Aufstellung bezogen.

„Was tun die beiden jetzt?“

„Sie werden kämpfen.“

Anne machte ein bestürztes Gesicht.

„Was, während des Flugs!?“

Shera nickte seufzend.

„Ja. Ist nichts Neues für die beiden.“
 

„Na los, komm schon, verfluchtes Scheißding“, knurrte Cid, während er sich nach allen Seiten umblickte.

„Nur Geduld“, erwiderte Nanaki, dessen einzelnes Auge aufmerksam die Umgebung beobachtete. „Es wird schon auftau- “

Dann geschah es. Die Sturmbö riss die beiden fast von den Füßen, als das drachenähnliche Wesen über den Rand des Schiffes emporschoss. Einen Sturmwind entfachend, schlug es mit den Flügeln und brüllte auf.

Anne stürzte an die Scheibe und blickte mit schreckensgeweiteten Augen hinaus.

„Mein Gott!! Was sollen wir jetzt tun!?“

„Zusehen, wie die beiden es fertig machen“, erwiderte Shera ungerührt.
 

„Wie in alten Zeiten…“ sagte Nanaki im Angesicht des gigantischen Gegners.

„Ja, wie in den verfluchten alten Zeiten“, murmelte Cid als Antwort und machte sich zum Angriff bereit. Das riesenhafte Ungetüm schwebte vor ihnen und gab röhrende Laute von sich. Nanaki duckte sich, dann schoss er empor. Eine Spur aus grünem Licht in der Luft hinterlassend, traf das Ungetüm, das schmerzerfüllt aufbrüllte. Zornig schlug es mit den Flügeln, als Nanaki bereits wieder neben ihm stand.

„Jetzt bist du dran“, rief er beiläufig zu Cid, der sich wie er gegen den Wind stemmte. Seine Zigarette brannte aber immer noch, und so zog er aus seiner bodenlosen Schenkeltasche eine Stange Dynamit heraus. Die Lunte begann zischend zu brennen, als er sie an die glühende Zigarette hielt. Dann holte er aus und warf. Die Stange Sprengstoff flog taumelnd auf das schwebende Wesen zu und detonierte beim Aufprall. Die Explosion erschütterte das Wesen heftig. Es begann am ganzen Körper zu zucken. Cid grinste schon triumphierend, als es zum Gegenangriff ansetzte. Es flatterte heran, und durch seine schiere Größe tauchte es das gesamte Aussichtsdeck in Schatten. Es holte mit seiner riesigen Pranke aus und fegte über das Deck. Die beiden versuchten noch, zur Seite zu springen, doch die Krallen streiften sie trotzdem.

Langsam kamen sie auf die Beine. Cid rieb sich schmerzende Stellen und fluchte leise. Nanaki schüttelte sein Fell aus machte sich wieder kampfbereit.

„Du elendes… verdammtes… verfluchtes SCHEISSDING!!“

Glühend vor Wut warf er die Zigarette weg und schrie aus Leibeskräften. Lichtstrahlen schossen aus dem Boden zu seinen Füßen. Dann sprang er.

Gebannt beobachteten Anne und Shera, wie Cid durch die Luft segelte. Mit der Lanze voraus landete er auf dem Kopf des fliegenden Monsters und rammte sie mit aller Kraft in seinen unförmigen Schädel. Das Ungeheuer tobte und versuchte ihn abzuwerfen. Doch Cid war hartnäckig und drückte die Lanze mit aller Kraft in die Wunde. Schon begann blaues Licht aus der Verletzung auszutreten. Verzweifelt versuchte die Kreatur ihn mit einer Klaue zu treffen, doch es war zu keiner koordinierten Bewegung mehr fähig. Ein letztes Mal zuckte es, dann erschlaffte es. Ein triumphierendes Grinsen zeichnete sich auf Cids Gesicht ab, das schnell zu einer Maske des Entsetzens wurde, als er merkte, dass er mitsamt dem Monster in die Tiefe stürzte. Im letzten Moment sprang er ab und rollte sich akrobatisch auf dem Aussichtsdeck ab. Alle anderen liefen zu ihm hin. Er wehrte allerdings sämtliche Versuche ab, ihm aufzuhelfen.

„Lasst das, verdammt! Bin doch kein alter Mann, verflucht…“ Schnaufend putzte er sich die Hose ab. „Das Mistding hätten wir erledigt.“ Geistesabwesend betrachtete er seine Lanze, als ihn Shera an der Schulter packte. Dann folgte er ihrem Blick. „Heilige Scheiße, was denn noch…!!!“

Fassungslos blickten sie in Richtung einer Öffnung im Raum, aus der schwarzes Licht herausströmte. Sie hatte sich direkt vor dem Schiff geöffnet und sog es nun mit aller Macht ein. Von Panik ergriffen rannten sie los. Doch kaum hatten sie die Tür zum Deck hinter sich geschlossen, verschlang die Öffnung auch schon das Schiff. Schockiert verfolgten sie von der Brücke aus, wie das Schiff unkontrollierbar durch einen Tunnel aus Schwärze und blitzenden Entladungen flog…

Cd3-Ra3

Ich grüsse alle Leser! Nun geht es weiter mit Clouds Truppe...
 


 

Als Cloud am nächsten Morgen erwachte, starrte er verwirrt an die Decke. Fremdartige Gerüche und andere Eindrücke drängten sich in seine Wahrnehmung. Irritiert blickte er sich in dem kleinen Raum um. Bis es ihm wieder einfiel.

„Ach so, die Tifa-retten-Geschichte…“, murmelte er, während er den Weg in seine Klamotten suchte.

Als sie zusammen in der Wirtsstube des ‚Sandmeeres‘ saßen, beobachtete Cloud seine Freunde. Aus seiner Zeit beim Militär wusste er, wie wichtig es war, auf die Verfassung seiner Mitstreiter zu achten. Barret saß da und schob die fremdartigen Speisen dieses Landes in sich hinein und kaute so energisch, als gelte es, auf diese Weise einen Feind niederzuringen. Hie und da warf er einem der anderen Gäste einen skeptischen Blick zu, wandte sich aber dann wieder dem Schlachtfeld in seiner Schüssel zu.

Yuffie wirkte gut gelaunt, so wie meistens. Scheinbar erfreute sie die Aussicht auf noch unbekannte Materia, die sie in diesem Land womöglich finden würden. Immer wieder zwinkerte sie Vincent zu, der die schelmischen Blicke aber selten erwiderte. Ja, Vincent…

Er wirkte abwesend und in sich gekehrt wie meistens, aber da war noch etwas. Vielleicht war es ihr Gespräch vom Vortag, aber vielleicht… hatte er auch eine Vorahnung. Die genetischen Veränderungen, die ihm einst Professor Hojo angetan hatte, hatten nicht nur seine Physis beeinflusst, sondern auch seine Wahrnehmung und seinen Instinkt. Sollten große Gefahren auf sie lauern, dann würde er es womöglich spüren. Bei Gelegenheit musst ich mit ihm reden, dachte Cloud. Vincents Gesicht wirkte enigmatisch wie eh und je. Hätte er eine bedrohliche Vorahnung, dann würde er sich schon rühren, aber andererseits… Cloud verscheuchte die beunruhigenden Gedanken. Das ist die unbekannte Situation, in die wir geraten sind, dachte er. Wir sind alle nervös, also lass dich nicht verrückt machen, tadelte er sich selbst.

Cloud bezahlte noch ihr Quartier, dann machten sie sich schon auf den Weg zum Klan Zenturio, der im Moment ihre heißeste Spur war. Diesmal machten die Bangaas beim Eingang freiwillig Platz, als sie eintraten.
 

„Aaah, da seid ihr ja, meine neuen Klanmitglieder, kupo!“ begrüßte sie Mont Blanc freudig, so dass sein Bommel hin- und her schwang. „Sicher seid ihr schon darauf gespannt, wie euer erster Kupoauftrag aussieht, richtig?“

Barret verdrehte knurrend die Augen und verschränkte die Arme. Cloud nickte.

„Wenn es uns Gilgamesch näher bringt, ist uns alles recht.“

Der Mogry schüttelte heftig den Kopf und klatschte in seine kleinen Hände.

„Aber, aber! Nicht so voreilig, kupo! Klanmitglieder reisen durchs ganze Land um ihn aufzustöbern. Erweist euch als würdig, und ihr bekommt eine Chance, kupo!“

„In Ordnung. Was sollen wir tun?“

„Jawohl, kommen wir zum Geschäft, kupo! Diese Mobhunt geschieht im Auftrag der Händler dieser Stadt. Eine wichtige Handelsroute verläuft zwischen Rozarria und Rabanastre, und zwar genau durch die Dalmasca-Westwüste, kupo! Und genau dort treibt ein Untier sein, äh… Unwesen eben! Aus Furcht vor diesem Geschöpf traut sich kaum noch eine Karawane in die Westwüste, und für den Handel in dieser Stadt ist das gaaanz schlimm, kupo…“

Barret schüttelte schnaubend den Kopf.

„Hat der keinen Schnellvorlauf? Er nervt, verdammt“, flüsterte er den anderen zu, und Yuffie musste kichern.

„…es wird Dexter genannt, dieses Kupountier. So sieht es aus.“

Der Mogry holte aus einer unsichtbaren Tasche ein abgegriffenes Pergament hervor, das eine dilettantische Zeichnung trug. Es zeigte eine wolfsähnliche Kreatur, deren Fell aus bunten Vielecken bestand.

„Aha… sieht wie ein Wolf aus. Und das Vieh ist so gefährlich?“ fragte Cloud argwöhnisch.

„Oh ja!“ bestätigte Mont Blanc aufgeregt. „Sehr kupogefährlich, seid dessen versichert! Und? Fühlt ihr euch diesem Auftrag gewachsen?“

Cloud wandte sich seinen Freunden zu, die ihn gleichgültig ansahen. Dann drehte er sich wieder zum Mogry um.

„Wir sind dabei.“

„Kuuupohervoooragend!!“ rief das Wesen und machte einen Luftsprung auf dem Geländer.
 

„Also ich bin nach wie vor dafür, dass wir den Knilch in die Mangel nehmen“, sagte Barret, während sie in Richtung des Westtores gingen. Er machte ein finsteres Gesicht und hielt sich einen Waffenarm.

„Aaach, Barret!“ ermahnte ihn Yuffie. „Man kann doch nicht immer alles mit Gewalt erreichen! Außerdem finde ich diese Mogrys echt süß. Findest du nicht auch, Vincent?“

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern.

„Na ja, gebraten schmecken sie sicher nicht schlecht, aber ob sie süß schmecken…“

Die anderen lachten. Yuffie stieß Vincent tadelnd an und bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick.

„Du kannst dir ja einen mitnehmen“, warf Cloud ein und grinste breit. Yuffies Gesicht hellte sich auf. Im selben Moment ärgerte Cloud sich über sich selbst.

Jetzt habe ich sie wieder auf eine Idee gebracht…

Dann wandte sie sich wieder Vincent zu und schenkte ihm einen erstaunten Blick.

„He… das war ja ein Scherz! Was ist denn mit dir los, Vincent?“

Er erwiderte ihren Blick ausweichend.

„Ist das so ungewöhnlich…? Nur weil ich dreißig Jahre in einem Sarg verbracht habe, heißt das nicht, dass ich jeglichen Sinn für Humor dort gelassen habe.“

Ihr Lächeln veränderte sich, und Vincent wurde unwohl zumute.

„Ich mag Männer mit Humor“, flüsterte sie ihm zu. Vincent blickte sich räuspernd zu Boden.

„Und außerdem war das ernst gemeint“, sagte er so leise, dass niemand ihn verstand.
 

Bald erreichten sie das Stadttor Richtung Westen und passierten es. Die Wachen in ihren aufwändigen Rüstungen warfen ihnen noch gelangweilte Blicke nach, und schließlich fanden sie sich außerhalb der Stadtmauern wieder. Ockerfarbene Sanddünen zogen sich bis an den Horizont dahin. Die Wüstenei wurde nur begrenzt von Sandsteinbergen, die sich in der Ferne abzeichneten. Die Sonne brannte unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel, und bald spürten sie feine Sandkörner in den meisten ihrer Körperöffnungen.

„Und wie sollen wir dieses verdammte Vieh jetzt finden“, schimpfte Barret und beschirmte seine Augen gegen die Sonne. Missmutig stapfte er hinter den anderen durch den Sand. Durch sein hohes Körpergewicht sank er bei jedem Schritt ein.

„Komm schon, ist doch schön hier“, flötete Yuffie vergnügt. „Und Sonnenbrand kannst du eh keinen bekommen, also warum beschwerst du dich, hi, hi…“

Yuffie kicherte, Barret fand das aber gar nicht komisch.

„Ich verbitte mir Witze über meine Rasse, kapiert?“

„Beruhigt euch, ihr beiden“, ging Cloud dazwischen. „Streitereien bringen uns nicht weiter. Yuffie, du machst dich nicht mehr lustig über unseren…“ Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. „…unseren ‚Bruder‘ hier, ähem, und du, Barret, beklagst dich nicht mehr über was, das eh nicht zu ändern ist.“ Der schwarze Riese warf ihm einen missbilligenden Blick zu und verschränkte dann murrend die Arme. „Und was dieses Vieh angeht, das machen wir so wie immer: wir laufen wie die Bekloppten im Kreis, in der Hoffnung, dass beim nächsten Zufallskampf der richtige Gegner auftaucht. Genialer Plan, nicht?“

Cloud nickte stolz, bis ihm Yuffie auf die Schulter tippte.

„Äh, Cloud… das hier ist kein Videospiel oder sowas. Glaubst du denn, das funktioniert?“

Bevor er noch etwas erwidern konnte, ertönte Wolfsgeheul aus allen Richtungen.
 

Alarmiert blickten sie sich um. Aus der vor Hitze wabernden Luft erschienen vierbeinige Gestalten aus allen Richtungen. Ihr langsamer, schleppender Gang ließ vermuten, dass selbst sie unter der Hitze litten. Squall nahm sein Schwert langsam vom Rücken.

„Sieht aus, als ob wir Besuch bekommen.“

Ohne Vorwarnung beschleunigten die Wölfe ihren Lauf, und innerhalb weniger Momente sahen sich die vier von einem knurrenden Wolfsrudel eingekreist. Barret ballte seine mechanische Faust, bevor sie sich zischend zur Makokanone entfaltete. Yuffie schwang ihren fünfzackigen ‚Conformer‘ im Kreis und Vincent streifte seinen Mantel mit einer schwungvollen Bewegung zurück, um seinen dreiläufigen Revolver freizulegen. Einen Moment lang sahen sich die nur mit geringer Intelligenz ausgestatteten Wölfe gegenseitig an, dann attackierten sie.

„Lästige Viecher“, murmelte Cloud, als sich der letzte besiegte Gegner auflöste. Surrend schlossen sich die Hälften seiner Waffe. Barret hielt seine dampfende Makokanone hoch.

„Wo wir dieses Dexter-Vieh finden, wissen wir immer noch nicht“, brummte er. „Verdammte Einöde…“

Yuffies Augen wurden groß. Ohne ihren Blick abzuwenden, packte sie den neben ihr stehenden Vincent am Umhang und zog daran. Er riss ihn ihr aus der Hand.

„Hör auf damit, du weißt doch, dass ich das nicht ausstehen- “ Dann sah er es ebenfalls. „Meine Güte…!“

„Was ist denn?“ Cloud erstarrte. „Verflucht, das muss es sein!“ Auch Barrets Blick traf nun das Ungetüm, das sich langsam auf sie zubewegte. Sie wunderten sich, wie dieses riesenhafte, auffällig gemusterte Geschöpf sich unbemerkt an sie heranschleichen hatte können. Es war mindestens viermal so groß wie einer der normalen Wölfe und überragte sie alle bei weitem. Musste wohl am langsamen Bildaufbau liegen(grins). Tatsächlich hatte es große Ähnlichkeit mit der Zeichnung, die ihnen Mont Blanc gezeigt hatte.

Schnaufende Geräusche von sich gebend, umkreiste es gemächlich die Gruppe, als wüsste es nicht so recht, was es mit dieser Ansammlung von Menschlein tun sollte.

„Das ist das Vieh. Holen wir es uns!“ rief Barret und eröffnete das Feuer. Hämmernd ging seine Makokanone los. Die Salven schienen das Untier jedoch kaum zu verwunden. Barret hörte auf zu schießen und starrte verwundert auf seine Waffe. Im selben Moment schwirrte Yuffies Conformer sirrend durch die Luft und streifte das Ungeheuer. Diesmal gab es ein wütendes Brüllen von sich und sträubte das Fell. Alle spürten die Zusammenballung magischer Energie in der Luft, und schon sahen sie sich von empor züngelnden Flammen umgeben.

Nachdem der Feuerzauber abgeklungen war, legte Vincent auf das Untier an und schoss. Wieder zuckte es verwundet zusammen. Cloud stürmte vor und versetzte ihm einen kraftvollen Hieb mit seinem mehrteiligen Schwert. Ein letztes Mal röhrte das Ungeheuer gequält auf, dann brach es zusammen. Zufrieden betrachtete Cloud den sich auflösenden Körper und hängte Hexagon auf die Schulter.

„Das wäre geschafft. Schauen wir, dass wir aus dieser Wüste kommen, bevor uns die Sonne noch das Gehirn aufweicht.“

Er wandte sich bereits zum Gehen, dann erstarrte er aber. Ebenso Yuffie und Barret. Sie schienen mitten in der Bewegung zu Salzsäulen erstarrt zu sein. Vincent starrte sie ungläubig an. Er trat näher an seine Freunde heran, doch sie gaben kein Lebenszeichen von sich. Verwundert berührte er sie, und sie fühlten sich an wie Statuen aus kaltem Stein.

„Versteinert? Wie ist das möglich?“ Er blickte sich um, doch es war kein Feind in Sichtweite. Eilig kramte er in seinen Taschen. „Schnell eine Goldnadel, sonst stehen wir alle vier hier bis uns jemand- “

„Das brauchst du nicht.“

Sein Mantel flatterte wie ein Fledermausflügel, als er blitzartig herumfuhr und mit seiner Waffe in die Richtung zielte. Doch da war niemand.

„Zeig dich… damit ich dir ein Loch im Pelz verpassen kann!“

Nichts regte sich außer dem Wabern der heißen Luft.

„Ich bin keine Bedrohung“, tönte die Stimme aus einer nicht feststellbaren Richtung.

„Ach ja? Was hast du dann mit ihnen gemacht?“

Langsam schwenkte er die Todesstrafe den Horizont entlang, doch nichts Lebendiges war im Visier zu sehen.

„Sie dort nach, wo ihr euren Gegner besiegt habt. Dort ist es.“

Vincents Laune wurde immer schlechter. Wenn es etwas gab, das er mehr hasste als unsichtbare Gegner, dann waren es Spielchen. Trotzdem schielte er in Richtung der Stelle, an der der Dexter zusammengebrochen war. Tatsächlich stand dort ein Gegenstand im Sand. Ohne die Waffe zu senken, näherte er sich vorsichtig der Stelle.

„Ich bin keine Bedrohung“, wiederholte die Stimme. „Ihr müsst eure Schutzgeister finden. Sonst habt ihr nicht genügend Macht.“

„Deine Besorgnis rührt mich“, murmelte Vincent voller Sarkasmus, während er sich dem Gegenstand näherte. „Sag bloß, du hast unsere Materia geklaut.“ Immer noch die Waffe angriffsbereit erhoben, ging er langsam in die Knie. Es sah aus wie eine… Wunderlampe? Verblüfft hob er sie auf.

„Es ist für dich bestimmt. Nur für dich, deshalb das mit deinen Freunden.“

„Was hast du mit ihnen angestellt“, knurrte Vincent.

„Sie sind wohlauf“, antwortete die Stimme, von der er beim besten Willen nicht sagen konnte, was für einer Art Wesen sie gehörte. „Ich habe nur die Zeit für sie angehalten. Wie auch für den Rest dieser Welt. Wie ich sagte, es ist nur für dich bestimmt.“

„Was soll das heißen? Antworte, Mistkerl!“ rief Vincent in die Wüste hinaus. Doch es kam keine Antwort mehr. Immer noch standen seine Freunde in der Bewegung erstarrt und völlig reglos in der Gegend herum. Seufzend betrachtete er die Öllampe aus glänzendem Messing. „Soll ich etwa dran reiben, damit ein guter Geist erscheint? Pah…“ Verächtlich schnaubend schüttelte er den Kopf. Dann steckte er den Revolver weg und begann mit dem Ärmel am Metall zu reiben. „Was für ein Schwachsinn- he?“

Rauch schoss aus der Öffnung der Lampe, und er warf sie weg. Der Strom schwarzen Qualms wurde immer stärker. Wie von einem Wirbelsturm angefacht begannen ihn die Schwaden einzukreisen. Verwirrt sah er sich um. Schließlich verfinsterte der Strudel aus dunklem Rauch sogar die Sonne.

Seine Umgebung hatte sich völlig verändert. Nicht nur der Himmel hing bedrohlich über ihm in ein Unheil verheißendes Grau getaucht, auch das Land selbst wirkte, als wäre alle Farbe daraus fortgewaschen. Dann hörte er es.

Aus allen Richtungen flatterten tiefschwarze Fledermäuse zusammen. Sie ballten sich zusammen und bildeten eine dunkle, stetig anschwellende Kugel aus purer Schwärze, die jegliches Licht zu verschlucken schien. Schließlich hing eine makellose Kugel aus verdichteter Dunkelheit über ihm am Himmel.

Dann tauchten aus der Unterseite der Kugel Krallen auf. Sie senkten sich aus der Kugel, und ihnen folgten rote, sehnige Beine. Bald war der gesamte Körper sichtbar. Vincents Augen wurden groß, und das war ziemlich lange nicht mehr passiert.
 

Die Gestalt schwebte vor ihm in der Luft, und über ihr immer noch die Zusammenballung dunkler Energie, aus der sie heraus gesunken war. Die Gestalt… sie war zu Teilen schwarz und rot. Ihre Vorderseite verbarg sie hinter einem Paar zusammengefalteter Flügel. Sie wirkte wie eine Mischung zwischen einer Fledermaus und einem… Teufel. Ruckartig schnellten die gezackten Schwingen auseinander. Fledermäuse flatterten nach allen Richtungen davon. Das Wesen reckte sich, als hätte es Ewigkeiten geschlafen. Langsam senkte es seinen knöchernen Kopf, von dessen Kinn ebenso wie der Oberseite lange Stacheln abstanden.

„Wer hat mich gerufen…“, sagte es gedehnt. Es klang, als spräche eine ferne Stimme durch ein staubiges Metallrohr, so hohl und alt dröhnte sie in Vincents Ohren.

„Ich, Vincent Valentine. Und wer zum Teufel bist du?“

Das Wesen begann zu lachen, und es klang wie rollende Blechfässer. Dann blitzten seine schwarzen Augen auf.

„Rrrichtig!“ zischte es. „Ich bin der Bote der Dunkelheit. Ich bin Diablos.“

Vincent seufzte und zog seine Waffe.

„Was willst du von mir?“

„Ich?“ Das Wesen tippte sich mit einer seiner bizarren Klauen an die breite, leuchtend rote Brust. „Es ist eher die Frage, was du von mir willst.“ Vincent machte ein fragendes Gesicht. „Na gut, ich helfe dir. Wenn du mich besiegst, dann verleihe ich dir meine Macht. Dann werde ich ein Teil von dir.“

Vincent blinzelte und blickte zu der unheimlichen Teufelsgestalt hinauf.

„Und du hast gar keine Angst vor mir?“

Nun lachte das Wesen schallend, und fast schien es, als würden dadurch die Wolken etwas auseinander getrieben.

„Du Narr!! Für was hältst du dich!? Alle lebenden Wesen fürchten mich! Und nun beginnen wir!!!“
 

Diablos hob seine Klaue, und der Ball aus Dunkelheit begann zu rotieren. Ein Summen ging damit einher, und mit zunehmender Geschwindigkeit wurde es immer höher, bis es Vincent in den Ohren schmerzte. Entladungen umzuckten die Kugel und Diablos Hand, als verbänden sich die beiden in diesem Moment. Dann warf Diablos die Kugel auf ihn hinab. Als versuchte sie an ihrem Platz festzuhalten, zog sie sich in die Länge, bis sie schließlich wie von einer Schleuder abgeschossen auf ihn herab raste.

Die Kugel schlug auf Vincent ein und begrub ihn völlig unter sich. Rotierend und mahlend bohrte sie sich in die Erde, auf der er eben noch gestanden hatte. Kryptische Symbole glühten auf ihrer Oberfläche auf, als sie im Erdboden versank. Ein dumpfes Dröhnen hallte durch das in Finsternis getauchte Land, als die Kugel den Erdboden mit purer Schwerkraft erfüllte.
 

Diablos hing über der Szene und lachte leise. Die Kugel war in der Erde versunken, und übriggeblieben war nur eine Schwade aus Dunkelheit. Dann erhob sich etwas aus der Dunkelheit, und Diablos verstummte augenblicklich. Ungläubig betrachteten seine schwarzfunkelnden Augen das sich erhebende Wesen. Es hatte kaum Ähnlichkeit mit dem Menschen, den er gerade mit der Kraft der Gravitation zerschmettert hatte.

„Wie ist das möglich…?“

Langsam richtete es sich. Zerfetzte Flügel standen von seinem Rücken ab, und es trug eine Maske mit langen roten Stacheln. Gelbe Augen leuchteten hinter der Maske hervor. Sein Herz schien blau zu glühen in seiner Brust. In der Hand hielt es eine lange, mehrläufige Waffe. Geräuschvoll sog es Luft ein, dann erhob es sich, bis es noch etwas höher als Diablos schwebte. Dann richtete es die Waffe auf ihn.

„Du magst der Teufel sein…“, raunte das Wesen, und die scharrende Stimme schien an der Oberfläche der Realität zu kratzen wie ein Metalldorn auf Glas. „Aber ich bin das Chaos!!!“

Dann feuerte es und schleuderte dem Teufel das Feuer der Hölle entgegen. Von glühenden Energiewellen getroffen, zuckte und krampfte Diablos hin und her.

„Nee…eeeiii…iiiiin!!“

Von all seiner Energie verlassen, sank Diablos zu Boden. Rasselnd ging sein Atem, während er auf den Knien lag. Chaos schwebte herab, und als er den Boden berührte, verwandelte er sich wieder zurück. Vor dem besiegten Wesen stand nun wieder der Mann von zuvor. Sichtlich erschöpft steckte Vincent seine Waffe weg. Erschüttert hob Diablos den Kopf.

„Wenn ich das gewusst hätte… was bist du?“

Vincent hob die Schultern.

„Nur ein fehlgeschlagenes Experiment. Was geschieht jetzt?“

Mit letzter Kraft erhob sich Diablos. Er hob die Hände zum in Dunkelheit getauchten Himmel.

„Seit Jahrtausenden ruhe ich in dieser Lampe. Jenem, der mich zu besiegen vermag, verleihe ich meine Kräfte.“

Leuchtende Partikel stiegen von seinem Körper auf und tauchten die Umgebung in ein warmes Licht. Überirdisches Klingen ertönte, und das Wesen zerfiel in pures Licht. Strahlen aus dichter Energie schlängelten sich leuchtenden Schlangen gleich durch den Raum und erreichten schließlich Vincent. Es traf ihn wie ein Schlag aus Hitze und Licht. Sein Körper krampfte sich zusammen, als sich Diablos Lebensenergie mit der seinigen vereinigte. Er wollte schreien, zu übermächtig war das Eindringen der fremden Macht in seine Seele, doch er brachte den Mund nicht auf. Schließlich sank er ächzend auf die Knie und atmete schwer.

Endlose Momente vergingen. Schließlich kam er wieder auf die Beine. Seine Umgebung war wieder die alte. Er stand nun wieder in der Wüste, und die Sonne brannte herab. Seine Freunde standen immer noch erstarrt da, doch er fühlte, wie sie langsam der Sog seiner Zeit erfasste.

Er hob die Hand und betrachtete seine Handfläche. Einen Moment bildete er sich ein, eine geflügelte Gestalt und einen Ball aus purer Schwerkraft in ihr zu erkennen.

„Was ist los, Vincent?“ fragte ihn Cloud. Vincent blinzelte verwirrt.

„Äh… nichts. Gehen wir.“

Cloud nickte ihm zu, und dann gingen die Vier zurück in Richtung Rabanastre. Drei von ihnen blieben aber wieder abrupt stehen, als sie Vincent der Länge nach in den Sand fallen sahen.
 

Zuerst nahm er seine Umgebung nur verschwommen war, doch eine kräftige Ohrfeige brachte ihn jäh und plötzlich wieder zurück in die Welt der Lebenden. Vincent setzte sich auf und warf Yuffie einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Was sollte denn das?“

„Na ja, sonst hättest du noch länger geschlafen. Außerdem wollte ich mich revanchieren“, fügte sie lachend hinzu. Vincent schüttelte den Kopf und wollte aufstehen, als Cloud ihn plötzlich an den Schultern packte und wieder zu Boden drückte.

„Was soll das? Ich bin Okay.“

„Nein, bist du nicht“, sagte Cloud streng und sah ihn dabei ernst an. „Du hattest nur mehr einen einzigen Trefferpunkt! Kannst du uns das erklären? Das waren doch nicht diese Wölfe!?“

Vincent wich seinem forschenden Blick aus und sah Barret, der mit verschränkten Armen hinter Cloud stand und einen breiten Schatten auf sie warf. Dann fiel sein Blick auf Yuffie, die neben ihm kniete und ihn besorgt anschaute.

„Wir wollen nur wissen, was dich so schlimm verletzt hat“, fragte sie in einem versöhnlicheren Tonfall. Vincent seufzte lang gezogen, dann begann er zu erklären.
 

Cloud hatte sich alles ohne eine Miene zu verziehen angehört. Barret hatte ein wütendes Gesicht gemacht, seine Makokanone entfaltet und die Umgebung abgesucht, ohne Ergebnis natürlich. Yuffie wirkte schockiert und legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter, was selbst Vincent in diesem Moment nicht störte. Nachdem er geendet hatte, ließ sich Cloud immer noch nichts anmerken. Seine blauschimmernden Augen fixierten Vincent ernst, aber ansonsten ausdruckslos.

„Dich hat also ein mächtiges Wesen attackiert, während wir alle ‚eingefroren‘ waren. Und dann hat es sich mit dir… vereint?“ Vincent, der immer noch im Sand saß, nickte langsam. „Und warum in alles in der Welt hast du nichts davon gesagt? Wenn du nicht fast tot umkippst, merken wir nichts davon!“

Vincent stand auf und putzte sich den Sand von seinem purpurfarbenen Umhang.

„Es ging nur mich etwas an“, erwiderte er knapp. „Wie die Stimme gesagt hat.“

„Es geht eben nicht nur dich was an!“ fuhr ihn Cloud an, und beinahe berührten sich dabei ihre Nasenspitzen. Vincents blutrote Augen hielten seinem aufgebrachten Blick stand. Langsam verengten sie sich zu Schlitzen.

„Du bist hier nicht bei SOLDAT. Du gibst hier keine Befehle“, entgegnete Vincent leise, aber nicht ohne Schärfe. Bevor sich die beiden noch niederstarren konnten, ging Yuffie dazwischen.

„Jetzt hörst schon auf, ihr beiden!“ sagte sie und drängte sich zwischen die Streithähne. „Ihr benehmt euch wie Schuljungs, wisst ihr das!?“ Vincents kalter Blick ging etwas zur Seite. Cloud schnaubte trotzig. „Du benimmst dich nicht mehr wie ein Feldwebel, verstanden, Cloud Strife? Und du, Vincent Valentine…“ Sie wandte sich an ihren heimlichen Schwarm und musste fast lächeln. Sie beherrschte sich aber und blieb ernst. „…du sagst beim nächsten Mal etwas, wenn es dir schlecht geht, kapiert?“ Vincents Blick pendelte einen Moment lang zwischen Cloud und ihr. Dann nickte er seufzend. Yuffie grinste breit, dann wandte sie sich an Cloud. „Und du, Cloud? Hm?“ Der Angesprochene hielt die Arme verschränkt und blickte trotzig in die Ferne. „Komm schon, Stachelkopf!“

„Okay“, antwortete er gedehnt.

„Na prima. Vertragt ihr euch jetzt wieder?“ Beide lösten ihre angespannten Mienen auf und bejahten. „Hervorragend!“ rief Yuffie. „Wir sind ein Team, oder? Und nur gemeinsam sind wir stark!“

„Ist der Spruch von den verdammten Power-Rangern oder was“, höhnte Barret, der von seinem Rundgang zurückkam. Yuffie warf ihm einen empörten Blick zu. Bevor sie noch etwas erwidern konnte, sprach Cloud weiter.

„Sie hat aber recht. Ich gebe zu, ich habe überreagiert. Aber es ist wichtig, Vincent, dass wir wissen, was mit den anderen los ist. Du bringst sonst nicht nur dich in Gefahr.“

„Ja, ich hätte etwas sagen sollen… verzeiht mir.“

„Ach, ist doch halb so schlimm“, krähte Yuffie, noch bevor Cloud etwas erwidern konnte. Dieser verdrehte einen Moment lang die Augen.

„Wie auch immer… was immer mit dir passiert ist, es hat dir offenbar soweit nicht geschadet. Sollte irgendeine Veränderung auftreten, dann rühr dich sofort.“

Vincent nickte.

„Das werde ich tun.“

„Gut…“ Clouds Blick ging in die Runde. „Dann… sehen wir zu, dass wir zurück in die Stadt kommen.“
 

Als ihre Gruppe das Hauptquartier des Zenturio-Klans betrat, trafen sie einige Blicke, die ihr Erstaunen nur schwer verbergen konnten. Offenbar hatten nicht wenige nicht damit gerechnet, dass diese völlig unbekannten ‚Greenhorns‘ von ihrem ersten Auftrag zurückkehren.

Mont Blanc, der Anführer des Klans, begrüßte sie ebenso überschwänglich wie er sie verabschiedet hatte. Er überhäufte sie geradezu mit Gratulationen und prophezeite ihnen eine aufstrebende Karriere in seinem Klan. Es war fast schon verdächtig, wie begeistert er war. Cloud ließ all das über sich ergehen. Von dem ‚Zwischenfall‘ erwähnte er nichts, und irgendwie war Vincent froh darüber.

Während Cloud mit Mont Blanc sprach und auch ihre Bezahlung entgegen nahm, stand Vincent hinter den anderen und blickte gedankenabwesend zu Boden. Das tat er auch sonst oft, doch jetzt… war es anders. Seit seinem ‚Tod‘ und der dreißig Jahre später erfolgenden Auferstehung hätte er nicht gedacht, dass ihn noch etwas aus der Fassung bringen könnte. Und doch war es geschehen. Dieses Wesen, was immer es gewesen war… es mochte eine Art Aufrufmateria sein, was auch immer… doch Materias rüstete man aus und legte man wieder weg, wie normale Ausrüstungsgegenstände. Doch heute war etwas anderes geschehen. Es war nun in ihm, und er konnte es nicht mehr rückgängig machen. Seine Freunde verstanden nicht, was passiert war, und er noch weniger. Aber er fühlte die Anwesenheit von etwas in seinem Inneren. Es war ähnlich wie mit Chaos, nur fremdartiger. Fast musste er lächeln. Ich habe schon einen Teufel im Leib… da kommt es auf einen weiteren auch nicht mehr an, dachte er kopfschüttelnd.
 

Vincent bekam gar nicht mehr mit, wie Cloud bereits einen neuen Auftrag empfing. Er entschied, ihn auf den nächsten Tag zu verschieben. Zwar hatte er die Aussicht, die entscheidende Jagd auf die Kreatur Gilgamesch übertragen zu bekommen, und sie durften sich diese Gelegenheit auf keinen Fall wegschnappen lassen. Doch er wusste, dass er Rücksicht auf Vincent nehmen sollte. Ihr Ziel war wichtig, sehr wichtig sogar… doch es ging nicht nur um Tifa. Er musste sie alle heil zurückbringen.
 

Der Tag verging, und es wurde Abend. Vincent hatte sich sogleich in sein Quartier zurückgezogen, und auch Yuffie war schnell verschwunden. Und so saßen Cloud und Barret an einem Tisch im ‚Sandmeer‘ vor einem Krug von dem Zeug, das die Leute hier tranken. Und Barret tat das, was alle Männer in seinem Alter taten, wenn nichts anderes zu tun war. Er wärmte Geschichten aus der guten alten Zeit auf. Cloud saß da und hörte nur mit einem Ohr zu. In Gedanken war er bei Tifa und während er seinen halbvollen Krug hin und her schob, fragte er sich, was er wirklich für sie empfand…

„Ich sag’s dir, Bruder, dieser Zug hat verdammt noch mal keine Bremsen, und wir fahren sooo lang mit ihm, bis wir bei der Haltestelle sind, ich sag’s dir, Mann…“

„Hm?“

Cloud hob den Blick. Barret runzelte die Stirn.

„Hörst du zu, verdammt? Oder rede ich hier mit meinem Krug?“

„Tut mir leid, Barret. Ich habe an Tifa gedacht… wo sie wohl ist…“

„Ah, Tifa. Ich versteh schon. Ein ganz schöner Mist ist das. Aber wir regeln das, vertrau mir, Spikey! Ich lass Tifa nicht im Stich, komme, was wolle. Schon damals, verdammt, das waren Zeiten, ich und Tifa bei Avalanche…“

Barret gestikulierte überschwänglich und in seinen Augen leuchtete der Glanz der alten Zeiten auf. Cloud saß ihm gegenüber, stützte das Kinn auf eine Hand und sah ihn an. Seine Stimme wurde in seiner Wahrnehmung aber immer leiser, und wieder tasteten seine Gedanken weit weg, dorthin, wo Tifa sein mochte…
 

Vincent saß mit angezogenen Beinen auf dem Bett. Seine Augen fixierten die gegenüberliegende Wand, doch sie waren auf einen viel weiter entfernten Punkt gerichtet. Das Klopfen an der Tür brauchte eine Weile, bis es zu ihm durchdrang. Er wollte es ignorieren, doch ein Teil von ihm wollte etwas anderes. Es erstaunte ihn beinahe selbst, als er „Herein“ sagte.

Langsam öffnete sich die Tür. Yuffie schob vorsichtig den Kopf durch den Türspalt. Ihr Gesicht war ungewöhnlich ernst.

„Darf ich reinkommen?“ fragte sie trotz seiner unmissverständlichen Aufforderung. Vincent sah sie an und nickte. Behutsam schloss sie die Tür und setzte sich an den Rand des Betts. „Ich wollte schauen, wie es dir geht. Bist du sicher, dass du in Ordnung bist?“

Ihr Gesicht drückte aufrichtige Anteilnahme aus und auch eine Herzenswärme, vor der selbst er sich kaum verschließen konnte.

„Nein. Bin ich nicht.“ Sie erschrak, was ihn veranlasste, das Gesagte abzuschwächen. „Es ist nicht so, dass ich gleich tot umfalle oder sowas. Aber irgendwas ist passiert mit mir, da draußen…“

Ihre Miene drückte tiefe Besorgnis aus.

„Vielleicht sollten wir zu einem Heiler oder so gehen…“

Vincent winkte seufzend ab.

„Und dem dann meine Geschichte auftischen? Der empfiehlt mich höchstens einer Klapsmühle. Nein, ich bezweifle, dass das eine Bedrohung für mich ist. Das Wesen… wie soll ich sagen… es war mir nicht feindlich gesinnt. Es war eher so… als ob es gewartet hätte. Und froh war, dass es jemand gefunden hat. Vielleicht wird es uns sogar nützen eines Tages.“

Yuffie nickte langsam und sah ihn dabei an. Nur schwerlich konnte er den Blick von ihr abwenden.

„Gut. Solange es dir nicht schadet.“

„Ich hab schon ganz andere Sachen überstanden. Sephirot, den Meteor, Tifas Kochkünste…“

Nun mussten beide lachen.

„Aber Bier ausschenken kann sie gut“, sagte Yuffie mit dem Brustton der Überzeugung. Vincent nickte eifrig, und es kam einer der seltenen Momente, in denen er lächelte. Von dem Moment beflügelt, berührte sie seine Hand. Er zog seine schnell weg, und das Lächeln erstarb.

„Vielleicht gehst du besser“, sagte er und wich ihrem Blick aus.

„Es tut mir leid, wenn ich- “

„Dir braucht nichts leid zu tun“, unterbrach er sie. „Das hat es mir lange genug“, fügte er flüsternd hinzu. Dann blickte er sie wieder an. Und in seinen Augen war etwas zutiefst verletzliches. „Meine ‚Sünde‘… noch kann ich sie nicht loslassen. Aber irgendwann…“

Yuffie stand auf und tat so, als würde sie sich ihre Weste abputzen.

„Ich verstehe. Ist okay, wirklich.“ Eine leise Melodie summend schlenderte sie zur Tür. Bevor sie sie hinter sich schloss, warf sie ihm noch einen Blick zu. „Du warst ziemlich lang allein. Und ich verstehe, warum. Aber wenn du es nicht mehr sein willst… na ja… gute Nacht, Vincent.“

„Gute Nacht, Yuffie.“

Dann schloss sie die Tür geräuschlos hinter sich. Vincent war wieder allein. Und wieder umfing ihn die düstere Welt seiner schwermütigen Gedanken.

Alleine…

Würdest du es gutheißen, Lucrezia…?
 

Das Gasthaus ‚zum Sandmeer‘ war bereits mit Leben gefüllt, als sie ihr Frühstück zu sich nahmen. Wegen der Ereignisse des Vortages hatten sie es sich erlaubt, etwas länger zu schlafen.

„Und, wie geht’s dir heute, Vincent?“ fragte Cloud als eines der ersten Dinge. Vincent, der Mühe hatte, das Frühstück über den hohen Kragen hineinzulöffeln, brummte als Antwort.

„Hervorragend. Die zwei Teufel in meiner Seele vertragen sich ausgezeichnet miteinander. Das ist aber auch ein unpraktisches Kostüm…“ Genervt öffnete er die Schnallen seines Umhanges, die sich bis zu seiner Nasenspitze hinaufzogen. Die anderen lachten leise.

„Ja, ich frage mich auch manchmal, was sich die Programmierer bei unseren Outfits gedacht haben“, meinte Cloud. „Fühlst du dich jedenfalls bereit für einen weiteren Auftrag? Ich weiß noch nichts Näheres darüber, aber laut dem Mogry soll es ‚etwas‘ gefährlicher werden als beim ersten Mal.“

Klappernd ließ Vincent seinen Löffel auf den Tisch fallen.

„Ich bin bereit, allem was sich uns in den Weg stellt, ein Loch im Pelz zu verpassen. Zufrieden?“

Cloud nickte lachend.

„So gefällst du mir schon besser. Euch beide brauche ich ja nicht zu fragen, oder?“ sagte er zu Yuffie und Barret. Der schwarze Riese zeigte sein grimmigstes Lächeln und wog seinen mechanischen Arm in der anderen Hand. Yuffie zog ihren Conformer hervor, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf, zum Entsetzen der um sie herum sitzenden Gäste. Dann erhoben sie sich alle gleichzeitig und ließen vier wackelnde Stühle zurück.

Vincents Umhang bauschte sich effektvoll auf, als die Vier mit entschlossenen Mienen und nebeneinander gehend das Gasthaus verließen. Unbedarfte Bürger wichen eingeschüchtert zurück, als die ‚Helden von Midgar‘ durch die Straßen schritten.
 

„Da seid ihr ja, kupo! Ich habe euch schon erwartet!“

Honigsüß wie immer und auf dem schmalen Geländer herum hüpfend empfing sie Mont Blanc im Hauptquartier des Klans Zenturio.

„Mann, das Ding nervt. Hat der nichts anderes zu tun, als auf dem Geländer herumzustolzieren“, brummte Barret leise. Einstweilen nahm Cloud den Auftrag entgegen.

„…eure Belohnung wird nicht klein sein, von eurem Renommee innerhalb des Klans ganz zu schweigen, kupo. Aber für die Einzelheiten müsst ihr die Frau selbst aufsuchen. Sie heißt Mirha und wohnt in der Unterstadt. Wendet euch an sie und erweist dem Klan Ehre! Kupo!“

Cloud nickte seufzend.

„Wir kümmern uns darum. Es gibt nicht zufällig schon etwas Neues über… Gilgamesch?“

Der Mogry grinste spitzbübisch, soweit dies sein Mausgesicht zuließ.

„Ihr seid ja sehr zielgerichtet, kupo, das muss ich schon sagen! Übt euch in Geduld. Je höher euer Rang im Klan steigt, desto höher sind eure Chancen auf Spe-zial-auf-träge.“ Das letzte Wort betonte er besonders. „Um aber eure Neugier fürs Erste zu stillen… es gibt einige Hinweise auf Gilgamesch, aber noch nichts Konkretes. Erfüllt einfach weiter eure Aufträge, kupo. Seid versichert, ihr werde an euch denken, wenn es soweit ist!“
 

Als sie die Unterstadt von Rabanastre betraten, kam ihnen die muffige Luft mit Abwasseraroma fast frisch vor gegen die sengende Hitze in der Oberstadt. Cloud und Barret gingen vorn und fragten Passanten nach einer Mirha. Yuffie und Vincent gingen hinter ihnen. Vincent trug nun seinen Umhang offen, es war selbst ihm zu heiß geworden.

„Sieht doch gleich viel besser aus“, bemerkte Yuffie. Vincent schaute sie argwöhnisch an.

„Findest du?“

„Klar!“

„Die Hitze ist aber auch wirklich drückend. Vor allem in dem Lederfummel.“ Er deutete auf seine ausgefallene Kleidung.

„Ach ja, wegen gestern…“, begann Yuffie zögernd.

„Was ist damit?“

„Ich, äh… wie gesagt, du kannst jederzeit- “

Sie stoppten abrupt. Offenbar hatten sie ihre Auftraggeberin ausfindig gemacht. Sie umringten die Frau, die sichtlich erleichtert über ihr Auftauchen war. Yuffie war aus dem Konzept, als alle ihre Aufmerksamkeit der verängstigten Frau schenkten. Wenngleich sie sowieso nicht genau wusste, was sie eigentlich sagen wollte…
 

„Bitte noch einmal, aber diesmal langsamer und schön der Reihe nach“, sprach Cloud beruhigend auf die aufgelöste Frau ein. Ein Kind klammerte sich an sie und starrte sie mit großen Augen an.

„Was soll ich sagen, es ist so furchtbar, er hatte solche Angst, nicht wahr?“ Besorgt blickte sie zu dem Kind hinab und streichelte es am Kopf. Dann wandte sie sich wieder Cloud zu. „Der kleine Digg hat nur noch geweint, einen halben Tag habe ich gebraucht, um ihn einigermaßen zu trösten. Werdet ihr den Auftrag annehmen?“ Flehend blickten sie die vier an.

„Natürlich. Also, noch mal von vorn: das Ding soll ein ‚Todesabt‘ sein? Was ist das?“

„Etwas ganz, gaaanz schreckliches! Ein Geist, geformt aus den schlechten Gewissen der Toten! Jener Toten, die beim Bau der Kanalisation umkamen und nun immer ihre Kinder vor Augen haben, die sie zurückgelassen haben!“

Cloud und Barret sahen sich an. Es war nicht zu übersehen, dass sie am Geisteszustand dieser Frau zweifelten, aber Auftrag war Auftrag.

„Okay…“, erwiderte Cloud gedehnt. „Und wo finden wir diesen… ‚Geist‘?“

„In der Garamscythe-Kanalisation. Gleich da vorn durchs Tor, in dem Hinterhof! Dort findet ihr eine Tür, die in sie hinab führt.“
 

Schnell fanden sie die Tür. Sie führte sie über eine lange Treppe hinab. Doch statt der erwarteten Dunkelheit fanden sie sich in einem helleren Licht wieder als in der Unterstadt.

„Wooow“, murmelte Yuffie, und auch die anderen waren beeindruckt. Hier unten, tief unter der Stadt, gab es nicht einfach eine Kanalisation. Es waren vielmehr hell erleuchtete Hallen und Korridore, deren aufwändige Verzierungen einen starken Kontrast bildeten zu der ärmlichen Unterstadt, die sie soeben verlassen hatten. Schmiedeeiserne Tore wiesen den Weg in die anderen Bereiche der Kanalisation, und beinahe wirkten die hohen Räume wie ein unterirdischer Palast.

„Ganz schöner Aufwand für das Wegspülen von Kacke“, knurrte Barret und legte den Kopf in den Nacken. „Typisch für diese reichen, monarchistischen Säcke. Das Volk hungert, aber Hauptsache die Kanalisation ist prächtig. Ts…“, schnaubte er verächtlich.

Langsam gingen sie in der Halle umher. An einem Ende kamen einem Wasserfall gleich die Abwässer von einer Mauer runter, teilten sich auf mehrere Ströme auf und verschwanden schließlich hinter geschmiedeten und kunstvoll verschnörkelten Gittern. Cloud lauschte dem gleichmäßigen Plätschern, das in diesen hohen Räumen gespenstisch wiederhallte.

„Na gut. Hier wären wir also. Ob es hier Zufallsgegner gibt?“ Er wandte sich zu Yuffie um, die ihn ratlos anschaute. „Vielleicht taucht das Ding ja ähnlich schnell- “ Plötzlich entglitten Yuffie ihre Gesichtszüge. Fassungslos starrte sie Cloud an. Vincent und Barret waren mittlerweile am anderen Ende der Halle und bekamen nichts davon mit. „Was ist, Yuffie? Warum siehst du mich so entgeistert an?“ Yuffie deutete mit dem Zeigefinger auf ihn und öffnete den Mund. Vor Schreck kam jedoch nichts heraus. Cloud tippte sich auf die Brust. „Was ist mit mir? Ist es meine Frisur? Tut mir leid, aber die bekomm ich nicht mehr weg. Vor allem wegen diesem dämlichen Toaster bei uns im 7.Himmel, der jedesmal- “

„Ich meine nicht deine verdammte Frisur!“ brach es plötzlich aus Yuffie hervor. „Ich meine den verdammten Geist hinter dir!!“

Clouds Gesicht schlief ein. Langsam drehte er sich um. Tatsächlich schwebte hinter ihm eine mehrere Meter hohe, teilweise durchsichtige Erscheinung in der Luft.

Sie war länglich wie eine Kerze, und an den Enden schien Rauch auszutreten. Zwei Arme mit langen, durchsichtigen Klauen tanzten auf und ab, und in der Mitte trug es ein einzelnes, bösartiges Auge.

„Heilige Scheiße“, murmelte Cloud und riss sein Schwert vom Rücken. Sofort ging er in Angriffsposition. Dann attackierte er das Wesen, doch das Schwert ging durch den Geist hindurch, als wäre es gar nicht da. Ein schrilles, bösartiges Lachen erklang. Wütend betrachtete Cloud sein in diesem Falle nutzloses Schwert, bevor er laut rief:

„Hey, Leute, ich könnte eure Hilfe gebrauchen!“
 

In Windeseile kamen die anderen herbeigelaufen und nahmen die Aufstellung ein. Barret reagierte als erster.

„Mal sehen, wie dem Freak das schmeckt!“

Er streckte seinen Arm empor, und schon sammelte sich magische Energie um ihn. Das Feld verdichtete sich, und als der Spruch einsatzbereit war, schleuderte er ihn dem Wesen wie eine Bowlingkugel entgegen. Blitze umzuckten das Geisterwesen, als der Blitzra-Spruch es traf. Das Wesen schüttelte sich und kreischte auf. Momente später sauste der Conformer durch die Luft und das Wesen, ohne Schaden anzurichten. Yuffie schaute verdutzt.

„Ich sagte doch, Waffen können es nicht treffen“, schimpfte Cloud nach hinten. Yuffie hob die Schultern und streckte ihm trotzig die Zunge heraus. Dann war Vincent an der Reihe. Er konzentrierte sich und sammelte die notwendige Energie in seiner rechten Hand. Als er bereit war, streckte er sie aus und bewegte geräuschlos die Lippen. Er hielt kurz inne, als er sah, wie das Wesen seine durchsichtigen Klauen peitschengleich verwendete und damit Barret und Cloud attackierte. Dann fletschte er die Zähne und sprach den Spruch fertig.

Das Wesen schien seine Gegner zu verhöhnen, als es schrille Laute ausstieß und mit seinen durchscheinenden Klauen umher fuchtelte. Als es den aufziehenden Wind spürte, verstummte sein boshaftes Gekreische. Ängstlich blickte es sich um, als der Sturm es einhüllte. Aus dem Sturm wurde schließlich ein tosender Orkan, der seinen geisterhaften Körper einer Wolke gleich beinahe zerriss. Dann wurde es wirklich wütend.

Wie von Sinne prügelte es auf die ihm am nächsten Kämpfer ein. Peitschengleich knallten seine Klauen auf Barret und Cloud herab. Schmerzerfüllt duckten sie sich unter den Attacken. Yuffie sah das mit an und fasste einen Entschluss.

„Wenn nicht jetzt, wann dann…“, flüsterte sie zu sich selbst. Dann schloss sie die Augen und begann uralte Worte zu murmeln. Vincent legte versuchsweise auf das Wesen an, doch sein Projektil schlug auf der dahinterliegenden Wand ein, ohne das Wesen zu verwunden. Yuffie öffnete ihre Augen wieder und sprach etwas lauter weiter. In ihren ausgebreiteten Händen sammelte sich gleißende Energie. Golden leuchtenden Partikel rasten aus allen Richtungen auf sie zu und konzentrierten sich zwischen ihren Handflächen. Aufkommender Wind wirbelte ihr Haar auf und das ihrer Freunde um sie herum. Ein Tosen hallte nun durch die Halle, dessen Ausgangspunkt Yuffie selbst zu sein schien. Ihre Lippen bewegten sich schneller und die Worte wurden lauter. Doch man hörte kaum etwas von der arkanen Formel, als das Rauschen des Soges stärker wurde und das Licht in ihren Händen die anderen fast blendete. Ihre Stimme schwoll an und das letzte Wort mochte ‚Flare‘ gewesen sein…
 

Die Energiekonzentration zwischen ihren Händen verschwand augenblicklich und tauchte dort auf, wo das Wesen war. Grelle Strahlen schossen in alle Richtungen, so dass die Vier ihre Augen bedeckten mussten. Ohrenbetäubendes Grollen dröhnte durch ihre Gehörgänge, als sich die Energieansammlung in einer feurigen Explosion entlud. Die Erde unter ihren Füßen erzitterte, und kleine Brocken fielen von der Decke der Halle.
 

Als Barret die Hand vor Augen wegnahm, stürmte er sofort los. Wütend brüllend rannte er auf das Wesen zu und holte mit seiner glühenden Makokanone aus. Doch zu spät merkte er, dass das Wesen bereits besiegt war. Fast geriet er ins Straucheln, als er durch das sich auflösende Wesen hindurch rannte. Und dann stolperte er doch. Fluchend sprang er auf. Ein Stein lag in seinem Weg, über den er gestolpert war. Eigentlich etwas völlig nebensächliches, aber aus irgendeinem Grund zog dieser simple Stein seine Aufmerksamkeit auf sich. Er trat näher und hob den Stein auf. Seine Oberfläche war die eines gewöhnlichen Kiesels, und doch konnte er kaum den Blick von ihm abwenden.

„Es ist für dich bestimmt. Nur für dich.“

Barret ließ in einer Bewegung den Stein fallen, schwenkte herum und zielte mit der Makokanone in die Richtung, in der er die Stimme vermutete. Doch da war nichts.

„Hä!?“ Dann verfinsterte sich seine Umgebung. Alles war mit einem Schlag in pure Dunkelheit getaucht. Erschrocken zielte er mit seiner Armkanone in alle Richtungen. „Was soll das, verflucht!“ schimpfte er. Allmählich fühlte er Panik in sich aufsteigen, was ihm schon eine Weile nicht mehr passiert war. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er erkannte grob behauene Steinfliesen unter seinen Stiefeln. Dann sah er Wände aus demselben, verwitterten Material. Wo immer er war, es war nicht mehr die Kanalisation.

Ringsum herrschte vollkommene Stille. Wie in einem Grab, dachte er schaudernd. Dann sah er eine Erhebung vor ihm in der Finsternis. Aus schmalen Spalten in der Decke fiel schwaches Licht auf so etwas wie einen steinernen Tisch. Vorsichtig kam er näher. Seine Hand strich über die Steinplatte, auf der sich zentimeterdick der Staub abgelagert hatte.

„Cloud!! Yuffie!! Vincent!!“ rief er währenddessen in die Finsternis, doch außer dem Echo antwortete niemand. Dann bemerkte er, was es war, das er da berührte. Es war kein Tisch. Es war ein Sarg.

„Verdammt!“ fluchte er und wich zurück. Ein großer, marmorner Sarkophag bildete den Mittelpunkt des finsteren Raums, der in der Tat ein Grab war. Barret, der immer schon etwas abergläubisch war, blickte sich nervös um. „Wo zum Teufel bin ich hier gela- “ Erschrocken fuhr er herum, vom Geräusch berstenden Felsens alarmiert. Zur linken des Sarges brach etwas aus dem Boden heraus. Zuerst konnte er es im aufgewirbelten Staub nicht klar erkennen, doch dann legte sich der Staub- und ein aufrecht gehender, blauer Stier kam zum Vorschein. Die Gestalt war etwas kleiner als Barret selbst. Es trug einen Brustharnisch und hielt einen Hammer(oder sowas XD) in der Hand. Mit einem Huf versuchte er hustend die Staubschwaden zu vertreiben. Dann fiel sein Blick auf Barret, der ihn ungläubig anstarrte.

„Aha, wir haben Besuch?“

„Du verdammter Freak kannst ja sprechen…“, murmelte Barret fassungslos.

„Das mit dem Freak will ich überhört haben“, erwiderte das gehörnte Wesen und putzte sich mit seinen Hufen ungeschickt den Staub vom Harnisch. „Mein Name ist übrigens Secreto.“

„Secreto, verstehe. Ich bin Barret und erstens was ist das hier für eine verdammte Freakshow zweitens was meinst du mit WIR? Gibt es hier noch mehr so ‚Narren‘ wie dich?“ schnauzte ihn ein schlechtgelaunter Barret an. Das Wesen namens Secreto richtete seinen stiergleichen Kopf auf ihn und blitzte ihn mit tiefliegenden Augen an.

„Die dicke Lippe wird dir noch vergehen. Und das war jetzt keine Anspielung auf deine afro-amerikanische Abstammung. Erstens ist das hier das Grab des unbekannten Königs. Und zweitens… Brüderchen?“ Das letzte Wort flötete er, soweit es seine kuhähnlichen Sprechwerkzeuge möglich machten. Bevor noch Barret etwas erwidern konnte, brach auf der anderen Seite des Sarges ein ähnliches Wesen aus dem Boden. Doch dieses war wesentlich größer. Prustend schüttelte es Steine und Staub von sich, dann wandte es sich an das erste Wesen.

„Was gibt’s, Secreto? Wer hat uns geweckt?“

„Dieser kleine Mensch hier, Brüderchen“, erwiderte der Angesprochene und deutete mit seinem Hammer auf Barret. Brüderchen wirkte komisch, schon alleine weil das ‚Brüderchen‘ mehr als doppelt so groß war wie er selbst. „Es wurde auch Zeit, dass uns jemand weckt, findest du nicht auch, Minotaur?“

Minotaur, der einen seiner Größe angepassten Hammer trug, schüttelte unwillig den Kopf.

„Wenn’s denn sein muss. Ich glaube aber, dass wir ihn problemlos zerquetschen“, brummte er.

„Sei dir da nicht so sicher“, sagte Secreto lachend. „Kannst du dich an den einen Typen erinnern… wie hieß er gleich… genau: ‚Mister T‘! Der sah auch so aus, und mit dem war nicht gut Kirschen essen!“

Minotaur holte röhrend mit seinem Hammer aus und schlug auf den Boden, so dass durch die Erschütterung kleine Teile von der Decke fielen.

„Schluss mit dem Geschwafel! Jetzt geht’s zur Sache!!“

Nun begannen beide ihre Waffen in einer abgestimmten Choreografie zu schwingen. Schließlich rissen sie sie gleichzeitig empor, und wie durch einen Sog flogen vor ihnen Staub und Steine in die Luft.

„WIR SIND DIE BRÜDER!!!“ brüllten sie im Chor, dass es Barret in den Ohren schmerzte. Mit zusammengebissenen Zähnen entfaltete er seine Makokanone, während Secreto und Minotaur ihn finster lachend einkreisten…
 


 


 

Wir blenden weg und schauen, wie es mit Rinoa und ihrer Truppe weitergeht...
 


 


 

Ihre Schritte hallten von den hohen Wänden wieder, die den schmalen Korridor säumten. Fast war im Halbdunkel die Decke des Gangs nicht erkennbar. Die nahen Wände, die nicht zwei Personen nebeneinander erlaubten, sorgten zusätzlich für klaustrophobische Gefühle. Am Ende des Gangs erwartete sie eine glatte Wand. Bevor noch jemand etwas äußern konnte, glitt sie dumpf grollend und wie von Geisterhand hinauf. Dahinter erwartete sie ein runder Raum, der von gelblichen Kristallen in ein fahles Licht getaucht wurde. In der Mitte fanden sie eine Plattform vor, in dessen Zentrum ein mysteriöser Apparat stand. Zwischen dem Boden und der Plattform entdeckten sie einen Spalt, durch den Luft hindurch zog. Irvine beugte sich hinab und spähte durch den Spalt in die Tiefe.

„Da geht’s ganz schön runter. Scheint ein Aufzug oder sowas zu sein.“

Seufzend erhob er sich und schob sich seinen Hut über die Stirn. Währenddessen begutachteten die anderen den Apparat auf der Plattform. An seiner Oberseite glühte eine Kugel in bläulichem Licht.

„Xell, was sagst du dazu?“ fragte Rinoa mit gerunzelter Stirn. Xell Dincht spuckte in die Hände und schlug sie zusammen. Das Geräusch hallte aus der Tiefe zurück, als befände sich ein großer Hohlraum unter ihnen.

„Lasst mich nur machen“, sagte er und fingerte an der Vorrichtung herum.
 

Rinoa und Irvine sahen ihm mit verschränkten Armen zu. Xell hing als Zeichen seiner Konzentration die Zunge aus dem Mundwinkel, während er sich an dem Apparat zu schaffen machte. Selphie stand etwas abseits und nahm einen großen, gelb leuchtenden Kristall in Augenschein, der am Rande der Plattform stand. Ihr Gesicht spiegelte sich in seinen Facetten und warf es vielfach zurück. Gedankenversunken betrachtete sie ihr Spiegelbild, das auf seltsame Weise verzerrt war.

„Du, Irviiine…“

„Was gibt’s“, fragte er, während er Xell beobachtete, der sich Mühe gab, seine Planlosigkeit zu verbergen.

„Dieser Stein hier ist komiiisch…“

„Ich weiß“, seufzte Irvine. „Vieles in dieser Welt ist komisch.“

„Ja“, erwiderte sie genervt, „das hier ist aber anders. Ich haaabe das Gefühl, dass dieser Stein… meine Erinnerung haben will!“

Irvine blickte auf und verzog das Gesicht.

„Was meinst du damit?“

„Na ja, ich weiß nicht wiiie ich es beschrei- “

Plötzlich machte die Plattform einen Ruck und setzte sich in Bewegung. Xell, der fast noch mehr überrascht war als die anderen, fiel auf seinen Hintern. Selphie sprang eilig auf die Plattform, die nun in die Tiefe sank. Schulterzuckend blickte sie Irvine an. Dieser nickte nur, während Xell stolz die Arme verschränkte.

„Na, hab ich das nicht wieder gut hingekriegt? Gut, dass ich einige Zeit in der Werkstatt in Balamb gearbeitet habe.“

Irvine blickte empor, wo das runde Loch, das zuvor noch die Plattform ausgefüllt hatte, langsam in der Dunkelheit verschwand.

„Ja… jetzt fahren wir womöglich direkt zur Hölle“, murmelte er kaum hörbar.
 

Nach Momenten, in denen sie dem gleichmäßigen Rollen des archaischen Apparates gelauscht hatten, stoppte er schließlich. Er saß nun auf einer Erhebung, um die sich ein kreisförmiger Gang in die Tiefe wand. Vorsichtig und auf alle Anzeichen von Gefahren achtend, folgten sie ihm in die Tiefe hinab.

Die Wände schienen aus dem rohen Gestein herausgearbeitet zu sein. Erst an der tiefsten Stelle des Gangs fanden sie wieder Merkmale menschlicher Baukunst. Ein Portal, verziert mit altertümlichen Symbolen, wies den Weg in einen hohen Saal. Staunend betraten sie ihn und erkannten, welch Pracht diese Gemäuer vor Zeitaltern geschmückt hatte. Nun war dies nur noch zu erahnen. Die einst wohl leuchtenden Farben der Wandgemälde und Fresken waren jetzt alle in ein einheitliches Grau getaucht, das der unerbittliche Zahn der Zeit hinterlassen hatte. Unter ihren Füßen sahen sie zerbrochene Marmorfliesen, die vor langer Zeit lebhaft gemusterte Mosaike gebildet haben mussten. Jetzt lagen die meisten zerbrochen und ihrer wertvollsten Bestandteile geplündert da.

„Waaahnsinn, ein unterirdischer Palast!“ ächzte Selphie.

„Ich frage mich, wie groß die Anlage wohl noch ist“, sagte Irvine angesichts der Ausdehnung dieser Halle. Rinoa kniff die Augen zusammen und spähte in das Halbdunkel, das ein Erkennen des nächsten Raums fast unmöglich machte.

„Es scheint hier nur einen Weg zu geben“, murmelte sie, während sie langsam auf das weiterführende Portal zuging. Jeder ihrer Schritte warf ein Echo von den Wänden zurück, und es klang beinahe anklagend. So, als zürne dieser unterirdische Palast jedem, der es wagte, ihn zu betreten.

Plötzlich stoppte Rinoa und hob die Hand. Auch Irvine bemerkte etwas. Xell wollte schon fragen: „Was ist de- “, als ihm Irvine die Hand auf den Mund legte. Als Irvine seine Hand wieder wegzog, kam sein verdutztes Gesicht zum Vorschein. Seine Mimik fragte Was sollte das eben? Irvine legte den Zeigefinger an die Lippen. Dann deutete er in die Richtung, in die sie gehen wollten.

Hoch und bedrohlich ragte das Portal vor ihnen auf. Es erreichte fast die Decke, die bereits von Dunkelheit verborgen wurde. So sehr sie ihre Augen anstrengten, was dort auf sie wartete, blieb ungewiss. Dann hörte auch Xell das Geräusch. Sein Gesicht änderte sich von verdutzt über alarmiert zu finster grinsend. Geräuschvoll ließ er die Knöchel in seinen Schlangenlederhandschuhen knacken. Rinoa drehte sich um und flüsterte:

„Ich glaube, da vorne ist was.“

Nun wurde das Zischen lauter, und auch das Geräusch, das sie als ‚Flattern‘ bezeichnet hätten, verstärkte sich. Klirrend sprangen die Klingen von Rinoas Waffe heraus, und auch die anderen holten ihr ‚Werkzeug‘ hervor. Und tatsächlich tauchte eine Gestalt in dem Portal auf. Es schien ein Kobold zu sein, der mit seinen kunstvoll geformten Flügeln langsam durch die Gegend flatterte und dabei zischende Laute von sich gab.

Fast etwas enttäuscht ließen sie ihre Waffen sinken. Dieses Wesen wirkte nicht sonderlich bedrohend.

„Na ja… wer will ihn übernehmen“, fragte Irvine beiläufig. Mit einem Schlag verstärkte sich das Zischen. Hinter dem einzelnen Wesen tauchten nun dutzende dieser Spezies auf!

„Ich glaube, die haaaben hier ein Familientreffen“, bemerkte Selphie. Und dann stürzten sie sich auch schon in die Schlacht.
 

Die Wesen waren schwach, höchstens lästig, aber eben verdammt viele. Jeder von ihnen war beschäftigt, sie sich vom Leibe zu halten. Rinoa benutzte ihren Shooting Star als Schild, um die Attacken der Kobolde abzuwehren. Dann und wann öffnete sie ihre Deckung, um mit gezielten Hieben eines der Wesen auseinander zu hacken. Kreischend fielen die besiegten Monster zu Boden, doch schon drängten neue nach.

Irvine stand konzentriert da und feuerte mit seinem sechsschüssigen S.A.A. Revolver auf die heranstürmenden Kreaturen. Einer nach dem anderen fiel, denn bei ihm war jeder Schuss ein Treffer. Doch der Ansturm wollte nicht abreißen, und allmählich bekam er Probleme mit dem Nachladen. Immer mehr in die Ecke gedrängt, sah er sich zu drastischeren Maßnahmen gezwungen.

„Na gut, ihr habt es so gewollt“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sein Mantel wallte hoch, und hervor kam seine linke Hand, in der er nun den Exeter hielt. Lichtstrahlen brachen aus dem Boden unter seinen Füßen hervor. Die Schar der Monster, die ihn nun eingekreist hatte, erstarrte. Die beiden bewaffneten Hände vor dem Gesicht überkreuzt haltend, rief er: „Dann zeige ich euch mal, was ich dazu gelernt habe!“

Dann sprang er hoch und drehte sich um, so dass er mit dem Kopf nach unten auf seine Gegner hinabblickte. Wie ein Wirbelwind begann er im selben Moment zu rotieren. Aus seinen beiden Waffen sprühte ein stählernes Gewitter auf seine hilflosen Feinde hinab. Als er nach dem Kopfüber-Salto wieder landete und hinter ihm etliche der Kobolde in ihre Bestandteile zerfielen, richtete er sich auf und hielt die Waffen vor der Brust überkreuzt. Lautstark lachte er, als er so in zwei Richtungen gleichzeitig feuerte. Dann zielte er mit dem Revolver nach vor und dem Exeter nach hinten. Wieder drang das Hämmern seiner unnatürlich schnell schießenden Waffen durch die antike Halle.

Von allen Seiten drängten nun die Kobolde auf ihn ein, doch ohne genau hinzusehen, mähte er sie innerhalb kürzester Zeit nieder. Rinoa, Selphie und Xell blieb nichts anderes übrig, als das Spektakel aus Projektilen und Feuer gebannt zu beobachten. Schließlich verstummte das maschinengewehrgleiche Bombardement. Ringsum zerfielen getroffene Feinde.

Irvine hob den Exeter hoch und pustete den Qualm aus dem noch immer glühenden Lauf. Die anderen umringten ihn ungläubig staunend.

„Nicht schlecht, was? Hat mir mein Kumpel Dante gezeigt.“ Zufrieden grinsend ließ er den Revolver auf dem Zeigefinger rotieren, um ihn dann in seinem Holster verschwinden zu lassen.
 

Das unterirdische Bauwerk begann sich nun in kleinere Räume aufzugabeln. Räume in derselben archaischen Architektur hatten nun teilweise vier Türen, die zu weiteren Räumen führte. Bei jeder Gabelung verharrten sie, um sich ihren bisherigen Weg einzuprägen. Von unbestimmten, hohlen Geräuschen abgesehen, die aus den Tiefen dieses Labyrinths zu kommen schienen, war es hier ruhig.

Während Rinoa und Selphie an der Spitze gingen, folgten ihnen Irvine und Xell.

„Du hast mir ja kaum welche übriggelassen“, klagte er. Irvine, der sein Gewehr über die Schulter gelegt trug, schob sich lachend den Cowboyhut über die Stirn.

„Tja, manchmal schieße ich schneller als mein Schatten. Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich mich natürlich zurückgehalten“, witzelte er. Rinoa warf ihnen einen tadelnden Blick zu.

„Reißt euch zusammen! Es werden noch genügend Gegner auftauchen, so dass ihr euch nicht mehr streiten müsst“, schimpfte sie leise. Irvine und Xell sahen sich verdutzt an.

„Was hat sie denn“, flüsterte Xell schulterzuckend. Irvine schüttelte nur den Kopf.
 

Wieder standen sie an einer Tür, und Selphie schob sie vorsichtig einen Spalt auf. Mit angehaltenem Atem spähte sie durch den Spalt. Ihre Augen wurden groß, und sie schloss die Tür wieder. Hinter ihr standen ihre Freunde mit gezogenen Waffen.

„Was war da? Noch mehr Kobolde?“ fragte Rinoa, die ihr am nächsten stand. Selphie schüttelte den Kopf.

„Keine Kooobolde. Bangaas!“

Sie sahen sich an. Offenbar waren sie nicht die einzigen Kopfgeldjäger hier unten.
 

„Und was jetzt?“ flüsterte Xell. „Also ich bin dafür, dass wir rein stürmen und denen was auf die Nuss geben!“ sagte er leise und schlug sich mit der Faust auf die Handfläche.

„Nicht so voreilig, du Hitzkopf“, bremste ihn Irvine ein. „Vielleicht lassen die ja mit sich reden…?“

„Wohl kaum“, bemerkte Rinoa ernst. „Sie sind wegen des Geldes hier und nicht um zu diskutieren. Denen ist alles zuzutrauen.“ Den leisen Seitenhieb auf den Beruf der SEEDs ignorierten die drei angesichts der angespannten Lage nachsichtig. Rinoa warf wieder einen Blick zur Tür und atmete tief durch. „Wir gehen rein. Womöglich suchen die dasselbe Monster wie wir. Wir dürfen es uns nicht wegschnappen lassen. Wenn es sein muss… mit Gewalt. Die würden es nicht anders mit uns machen, da bin ich mir sicher.“

Rinoas entschlossene Miene erstaunte die anderen doch etwas. Sie war bereit, alles zu wagen, daran hatten sie nun keinen Zweifel mehr. Damals, als sie Squall und den Garden verlassen hatte, hatte sie zerbrechlich und zaghaft gewirkt. Doch das war Vergangenheit. Sie hielt den Griff ihrer auf dem Unterarm festgeschnallten Waffe so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Die Klingen des Shooting Stars blitzten im Halbdunkel. Dann stieß sie die Tür auf.
 

Die Gruppe von Bangaas, es waren drei, drehten sich wie ein Mann um. Sie hatten Lanzen als Waffen und schienen sich in diesem Moment über den weiteren Weg beratschlagt zu haben. Ihr Anführer kam ihnen gleich bekannt vor.

„So sieht man sich also wieder“, begann der Bangaa mit seiner schnarrenden Stimme, der sich in dem Gasthaus damals als ‚Colonel‘ vorgestellt hatte. Rinoa und die SEEDs bauten sich vor ihnen auf. Die Waffen hielten sie gesenkt, aber gleichzeitig einsatzbereit. Der Colonel kam selbstbewusst auf sie zu und fürchtete scheinbar keinen Angriff. „Ich hoffe, ihr findet hier wieder alleine raus. Wir hätten nämlich keine Zeit, euch den Weg zu weisen“, sagte er abfällig lachend, und seine Kameraden stimmten in sein spöttisches Gelächter ein.

„Mit Sicherheit“, erwiderte Rinoa knapp, die ihm genau gegenüber stand. Ihr Blick war hart wie Beton.

„Na dann…“, sagte der Colonel und breitete die Arme aus, „passt auf euch auf, wenn ihr heimgeht. Hier lauert nämlich so manche Gefahr auf… unerfahrene Kopfgeldjäger“, fügte er grinsend hinzu. Rinoa verschränkte die Arme vor der Brust, als könne ihre Waffe ihr Auftreten unterstreichen.

„Wir haben nicht vor zu gehen“, sagte sie mit fester Stimme. Der Bangaa, der offenbar etwas anderes erwartet hatte, blitzte sie wütend an.

„Was soll das heißen?? Wir waren zuerst hier! Wir haben das Recht, hier zu jagen, so lautet der Codex!!“

Rinoa begann, mit der Fußspitze auf den Boden zu tippen.

„Uns interessiert euer Codex nicht. Für uns ist es WICHTIG. Für euch geht es ja nur ums Geld, also geht uns aus dem Weg.“

Mit einer Mischung aus Faszination und Anspannung verfolgten die SEEDs wie auch die beiden anderen Bangaas das Kräftemessen der beiden. Der Colonel schien nicht mit solchem Widerstand gerechnet zu haben.

„JEDER Kopfgeldjäger hält sich an den Codex, er ist heilig, verdammt!!“ schrie das Wesen fast und gestikulierte wütend. Rinoa hielt dem stand.

„Wir sind keine Kopfgeldjäger. Und jetzt verschwindet endlich“, sagte Rinoa leise, aber mit zunehmender Schärfe.

„Was? Keine Kopfgeldjäger?“ fragte der Bangaa und klang dabei fast gelangweilt. „Ihr seid bloß… Glücksritter und Abenteurer?“ Er sah seine Kameraden an, die pflichtschuldig mit ihm mit lachten, auch wenn sie nicht ganz so überzeugt wirkten. „Wenn das so ist… was spricht dann dagegen, dass wir euch einfach die Kehlen durchschneiden und hier liegen lassen?“ fragte er voller boshafter Erheiterung. Eine Sekunde später hatte er Rinoas Armklingen am Hals.

„Das hier“, zischte sie ihm zu. Seine Kameraden stürzten vor und drohten mit ihren Lanzen. Irvine zog seine Waffen und zielte auf beide gleichzeitig.
 

Rinoa blickte sich ganz langsam um. Von links und rechts ragten scharf aussehende Lanzenklingen in ihr Gesicht. In einem konnte sie sogar ihr vages Spiegelbild erkennen. Hinter ihr erahnte sie Irvine, der mit dem Exeter und dem Revolver die beiden Bangaas ins Visier nahm. Kann er sie erledigen, bevor die mich in Streifen schneiden?, fragte sie sich, während ein Schweißtropfen auf ihrer Stirn entstand.

Der Colonel, der angesichts der überdimensionalen Rasierklingen an seiner schuppigen Kehle bisher wie erstarrt da stand, rührte sich keinen Mucks. Nach endlosen Momenten schließlich begann er leise zu lachen. Rinoa blickte ihn verstört an.

„Hör auf damit, verdammt!“ schrie sie und drückte ihm die Klingen fester gegen seine reptilienartige Haut. Für einen Moment kamen die Klingen vor ihren Augen in Bewegung, bis sie eine Handbewegung des Bangaas stoppte.

„Tut nichts“, sagte er langsam. Seine Kameraden atmeten hörbar tief durch. „Tja, kleine Lady… was machen wir jetzt?“ Ihre Blicke ruhten ineinander. Jeder versuchte zu ergründen, was der andere dachte…

„Es gibt zwei Möglichkeiten“, flüsterte Rinoa, „die erste wäre ein Blutbad, das wir beide sicher nicht überleben. Die zweite lautet: ihr verschwindet.“

Wieder lachte der Colonel auf, doch er verstummte bald wieder. Sein nervöser Blick pendelte zwischen Irvine, der die zwei Schusswaffen ruhig wie eine Statue auf seine Begleiter gerichtet hielt, und Rinoa, in deren eiskaltem Blick er las. Noch einen Moment lang schaute er ihr in die Augen.

„Nehmt die Waffen runter“, sagte er gefasst. „Wir verziehen uns.“ Seine Kameraden schienen ihren Ohren nicht zu trauen. Ungläubig starrten sie ihren Anführer an. „Ihr habt schon richtig gehört. Wir ziehen uns zurück.“ Die beiden senken tatsächlich ihre Waffen, und so tat es auch Rinoa. Der Colonel machte einen Schritt zurück und rümpfte seine Echsenschnauze. Dann ging er an den Vier vorbei, und seine Kameraden folgten ihm. Irvine hielt seine Waffen leicht gesenkt, bis die drei den Raum verlassen hatten. Dann atmeten alle erleichtert auf.
 

„Boss, das versteh ich nicht“, begann einer der beiden Bangaas. „Wieso haben wir- “

„Fang nicht mehr an davon“, schnauzte er ihn an, während sie den Weg aus dem Sohen-Höhlenpalast hinaus antraten. Wütend schüttelte er den Kopf. Lange genug war er in diesem Geschäft, um die Augen von jemand zu erkennen, der nichts zu verlieren hat…
 

„Da haben wir ja noooch mal Schwein gehabt“, seufzte Selphie, nach dem die Tür mit einem steinernen Hallen zugefallen war. Irvine blickte über seine Schulter hinweg zur Tür. Seine Waffen hielt er immer noch in der Hand. Xell begann in der Luft herum zu boxen.

„Hättest du gleich gesagt, dass wir die Typen in die Pfanne hauen, dann hätte ich gleich- “

Irvine ging an ihm vorbei auf Rinoa zu, und etwas in seinem Auftreten ließ Xell verstummen. Die junge Frau atmete tief durch. Jetzt erst merkte man ihr die Anspannung an, die sie bei der Konfrontation mit den Kopfgeldjägern um jeden Preis hatte verbergen müssen.

„Danke, dass ihr richtig reagiert habt. Ich wollte denen eine Chance geben, heil aus der Sache rauszukommen“, sagte sie in Richtung Xell, aber eigentlich mehr zu sich selbst. Irvine steckte seine Waffen weg und fixierte sie kalt.

„Ja, wir haben richtig reagiert. Hätten wir das nicht, dann wäre ein Teil unseres Trupps wahrscheinlich tot.“

Sein Blick war ihr unangenehm, sie fühlte sich angegriffen.

„Ja… was willst du mir damit sagen?“ erwiderte sie mit leicht zittriger Stimme. Selphie und Xell bemerkten die Anspannung zwischen den beiden und tauschten vielsagende Blicke.

„Ich will dir damit sagen, dass dein Verhalten unprofessionell war. Du stürmst hier rein und markierst die große Amazone! Sowas spricht man mit seinen Kameraden vorher ab.“

Rinoa wollte etwas erwidern, doch irgendwie gehorchte ihr ihre Zunge nicht. Die Auseinandersetzung eben hatte sie so sehr angestrengt, dass sie keine Kraft in sich für eine weitere fühlte.

„Na und?“ erwiderte sie schließlich lauter als beabsichtigt. „Was für einen Plan hattet ihr denn?“ fügte sie hinzu. Sie klang nun beinahe wie ein trotziges Kind vor einem Wutausbruch. Im selben Moment schämte sie sich für ihre Worte.

„Ich hatte keinen Plan in dem Moment“, sagte er leise und mit schmalen Augen zu ihr. „Du hattest einen, und wir haben ihn ohne nachzudenken umgesetzt. Es ist gut gegangen, nicht zuletzt wegen dir“, fügte er hinzu, doch die Schärfe in seiner Stimme machte klar, dass es kein Lob war. „Und jetzt sind diese Leute unsere Todfeinde. Und alle anderen aus ihrer Zunft ebenfalls. Die haben offenbar einen Ehrenkodex, und du weißt scheinbar nicht, was es bedeutet, einen zu brechen.“ Voller Unwillen hörte sie sich seine Predigt an. Innerlich fühlte sie Zorn hochkochen. „Geordnete Systeme haben einen Ehrenkodex. Wer dagegen verstößt, wird zum Feind aller. Diese Kopfgeldjäger haben einen- “

„So wie auch ihr SEEDs?“ unterbrach sie ihn und klang provokanter als beabsichtigt.

„Ja, genau“, zischte Irvine, und die Konfrontation spitzte sich zu. Kopfschüttelnd ging Xell auf sie zu. Sie hatten lange genug zugesehen. „Aber das kannst du wohl nicht verstehen…“, fügte er leise und mit einem Hauch Enttäuschung hinzu. Xell stand nun bei den beiden und legte Irvine die Hand an die Brust. Er verzog das Gesicht, ein deutliches Zeichen, wie sehr ihm diese Auseinandersetzung zwischen seinen Freunden missfiel. Gleichzeitig wusste er, dass dieser Konflikt beigelegt werden musste, und durch diesen Zwiespalt zögerte er noch, die beiden zu trennen.

„Weil ich kein SEED bin, richtig?“ erwiderte Rinoa, deren Augen feucht wurden. „Weil ich nicht so… klar und militärisch denken kann wie ihr, richtig?“

„Nun kommt schon, Leute…“, meldete sich Xell nun, und er klang etwas hilflos. „Wir hatten alle ziemlichen Stress. Jetzt beruhigt euch wieder, in Ordnung?“

Irvines kalter Blick traf Xell, der ihn immer noch mit einer Hand zurückhielt, und traf dann wieder Rinoa.

„In Ordnung“, sagte er in einem beinahe schon beiläufigen Ton. „Du hast von uns allen das naheste Verhältnis zu Squall. Zumindest war es einmal so.“ Als Zeichen der Deeskalation machte er einen Schritt zurück, und Xell ließ seine Hand sinken. „Du führst uns an, denn du kennst ihn wahrscheinlich am besten von uns. Aber keine Alleingänge mehr. Wir sind ein Team. Und als solches gehen wir auch vor.“

Rinoa wollte etwas sagen, doch Irvine hatte sich schon abgewandt. Mit der linken kratzte er sich am Hinterkopf, während Rinoa ihn mit tränennassen, wütenden Augen anblickte. Xell legte ihr kameradschaftlich die Hand auf die Schulter.

„Was ist los mit dir, Rinoa“, flüsterte er ihr in einem verletzt klingenden Tonfall zu. „Wir haben doch alle dasselbe Ziel, oder?“

Sie blickte ihn trotzig und kalt an, doch der mühsam aufrecht gehaltene Widerstand schmolz. Schließlich fiel sie ihm zu seiner Verwunderung um den Hals.

„Ich habe Angst um ihn“, schluchzte sie in seine Schulter hinein. Tröstend tätschelte er ihr den Rücken. „Ich will ihn nicht verlieren…“

Dann löste sie sich von seinem Hals. Unendliche Traurigkeit stand in ihren Augen.

„Das wollen wir auch nicht“, sprach Xell leise und sanft zu ihr wie ein Vater, der ein Kind tröstet. „Wir müssen zusammenhalten, dann finden wir ihn, bestimmt.“ Er lächelte sie aufmunternd an. Sie wischte sich die Tränen ab und ließ sich von seiner Miene anstecken.

„Also gut… es tut mir leid, Irvine“, sagte sie in seine Richtung. Er stand immer noch mit dem Rücken zu ihr. Selphie stand etwas betreten neben ihn, als er sich umdrehte. „Ich habe über eure Köpfe hinweg entschieden. Das wird nicht mehr vorkommen.“

Irvines Miene lockerte sich auf.

„Und ich… ich wollte dich damit nicht verletzten.“

„Du hattest schon recht“, erwiderte sie und ging auf ihn zu. „Ich habe ein bisschen einen Dickkopf, und, na ja… es schadet manchmal nicht, wenn… wenn mir jemand die Meinung geigt.“

„Also, vertragt ihr euch wieder?“ rief Selphie und lief herbei. Ihr erwartungsvoller Blick sprang zwischen den beiden hin und her. Rinoa und Irvine nickten seufzend, worauf Selphie einen Luftsprung machte. „Na eeendlich! Wenn wir nicht fest zusammenhalten… sind wir verloren“, fügte sie geknickt hinzu. Dann lächelte sie wieder, und die anderen konnten nicht anders, als es ihr gleich zu tun.
 

Nachdem alles geregelt war, entschlossen sie sich, weiter zu gehen. Wenngleich nun erhöhte Vorsicht vonnöten war, denn eines war klar: sie hatten sich einen neuen Feind gemacht.

Wieder veränderte sich die Umgebung. Das kunstvoll verzierte Mauerwerk wich immer mehr natürlichen Höhlenwänden, in die dies alles einmal gebaut worden war. Auch wurde die Umgebung feuchter, wie sie an der Luft merkten. Von weitem hörten sie sogar Wasser plätschern, das sich seinen Weg durch finstere Schächte bahnte. Farblose Schlingpflanzen, die offenbar ohne das Licht der Sonne wuchsen, hingen tropfenden Vorhängen gleich an den grob behauenen Wänden.

Nun übernahm Xell die Spitze. Gleich hinter ihm folgte Selphie, die ihren Dreisegmentstab zusammengelegt in der rechten hielt. Irvine und Rinoa bildeten das Schlusslicht. Sie hatte das Gefühl, noch etwas sagen zu müssen.

„Irvine… wegen vorhin, da- “

Er winkte nur ab.

„Ist schon okay. Wir sind alle ziemlich angespannt. Da kann sowas passieren. Ich habe mich auch etwas daneben benommen.“

Rinoa nickte seufzend.

„Ja… beim nächsten Mal finden wir gemeinsam eine Lösung. Dann werde ich nicht einfach meinen Dickkopf durchsetzen- “

Sie stoppte abrupt, als sie sah, wie Xell die Hand hob. Das Rauschen des Wassers wurde lauter, und sie kamen nun in einen Bereich, in dem die unterirdischen Ströme das Gestein so weit ausgehöhlt hatten, das der Fels kleinen Brücken gleich die Wasserläufe überspannte. Ihr Weg führte seit kurzem stetig bergan, und hinter einer kleinen Aufwölbung fiel der Fels steil nach unten, wo im Dunkeln ein schmales Rinnsal plätscherte.

Xell ging in die Knie und legte sich schließlich in den Schutz des aufgewölbten Felsens. Die anderen taten es ihm gleich, und schließlich lagen sie nebeneinander in Deckung und beobachteten seine Entdeckung.

„Sieht aus wie ein Stahlgigaaant“, flüsterte Selphie.

„Das muss das Ding sein, von dem dieser Baldore gesprochen hat“, meinte Irvine. „Ist kleiner als die Stahlgiganten unserer Welt. Sollte nicht so ein Problem sein.“

„Wir müssen trotzdem aufpassen“, warnte Rinoa. „Wer weiß, was der drauf hat.“

Das Wesen hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit den Stahlgiganten. Sein grobschlächtiger Körper hatte ebenso keinen Kopf, sondern nur eine bedrohlich wirkende, blutrote Zeichnung, die wohl ein Auge imitieren sollte. Verkrüppelte Flügel standen Hörner gleich von seinem Rücken ab. Und in der gepanzerten Hand hielt es eine mit Stacheln übersäte Keule, an der noch Blut zu kleben schien…

„Das Ding ist sicher faustdick gepanzert. Ich schlage folgendes vor: einer zieht seine Aufmerksamkeit auf sich, und die anderen attackieren es von der Rückseite. Das sollte uns einen schnellen Sieg ermöglichen“, meinte Irvine.

„Und wer soll sich dem Ding in den Weg stellen?“ fragte Xell erheitert. Alle sahen ihn wortlos an. Er verdrehte die Augen. „Okay, okay. Der, der fragt, ich weiß schon…“
 

Das Wesen schlich mit erstaunlich leisen Schritten durch die lichtlose Höhle. Seine massiven Füße machten kaum Geräusche, nur hie und da fuhr es herum, als fühlte es sich von unsichtbaren Feinden gehetzt. Die verfluchte Seele, die diese kopflose Kreatur mit teuflischen Leben erfüllte, war voller Angst und Hass. Niemals versiegende Energien, die es wohl bis in alle Ewigkeit durch die finsteren Gänge des Höhlenpalastes treiben würden… tauchte da nicht ein blonder, vorwitziger Faustkämpfer vor seiner nichtexistenten Nase auf.

Xell kam geradewegs auf den Riesenfürsten zu und nahm sogleich die Haltung eines Boxers ein. Das Wesen erstarrte und gab ein unmenschliches Geräusch von sich, das sich mit Worten kaum wiedergeben ließ. Auf jeden Fall drückte es einerseits Erstaunen aus, dass es jemand direkt herausforderte, und andererseits Wut, die diese Kreatur wohl allem Lebenden gegenüber empfand.

Geräuschvoll schnaufend legte Xell los. Er malträtierte einen unsichtbaren Gegner mit Jabs, Geraden und Aufwärtshaken. Fassungslos stand der Riesenfürst vor ihm. Wie Cassius Clay zu seinen besten Zeiten tänzelte Xell nach links und rechts, vor und zurück.

„Yeah, ich flatter wie ein Schmetterling und steche wie eine Biene, hast du gehört, du hässliches- Woha!!“

Nur seiner blitzschnellen Beinarbeit war es zu verdanken, dass er der herab sausenden Keule entgehen konnte. Sofort setzte das Wesen nach und rannte ihm erstaunlich flink nach.

Rinoa und die anderen sahen mit einer gewissen Belustigung, wie die unheimliche Höllenkreatur Xell hin und her jagte. Sie sahen, wie die beiden sämtliche Gänge und Pfade dieses einem Labyrinth ähnlichen Teils dahin rasten. Meistens rannte das Wesen Xell nach, manchmal war es umgekehrt, und einige Male schienen sie überhaupt die Orientierung verloren zu haben. Als Xell sich wiedermal ihrer Position im Schweinsgalopp näherte und das Wesen mit erhobener Keule ihm folgte und dabei keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigte, gingen sie in Kampfposition.

„Ich glaube, Xell hat jetzt genug Spaß gehabt. Angriff!!“
 

Auf Irvines Kommando ging es los. Sie standen dem Wesen genau im Rücken. Bevor es noch reagieren konnte, landeten sie ihre Attacken. Selphie holte einem Wirbelsturm gleich mit ihrem Dreisegmentstab aus und ließ ihn schnalzend auf die Kreatur herab sausen. Rinoa bohrte dem Wesen ihre Armklingen in den metallähnlichen Körper, und Irvine feuerte aus allen Rohren. Xell, der immer noch im Stand lief, während die Angriffe seiner Freunde auf den Riesenfürsten niederprasselten, wagte es kaum sich umzudrehen. Schließlich warf er während seines auf-der-Stelle-laufens einen Blick über seine Schulter und sah, dass das Monster fast besiegt war.

„He, lasst mir auch was übrig!“ rief er und machte auf der Stelle kehrt. Er ballte beide Fäuste, und gelbes Licht schoss aus dem Boden um ihn herum. Dann rannte er, eine Staubwolke hinterlassend, auf das bereits wankende Wesen zu. Kurz davor sprang er in die Luft und holte im Flug mit der Faust aus. Der Sog eines Tornados schien von seiner Faust auszugehen, und als er ins Leere schlug, schien sich die ganze Luft um ihn zu entzünden. Mehrere Meter schwebte er so über dem Wesen und sammelte in einer gleißenden Aura um seine Faust Energie, bis die Schwerkraft wieder die Herrschaft über ihn errang. Hinter dem Wesen landete er auf den Füßen. Die Wucht drückte ihn in Richtung Boden, als seine Faust den festen Felsen unter ihm traf. Die Energiekonzentration hatte sich nun auf den Riesenfürsten übertragen und detonierte effektvoll. Das Monster verglühte inmitten eines Feuerballs, als er sich aufrichtete, den Daumen emporreckte und sein unwiderstehliches Zahnpastalächeln zeigte.

„Viel Spaß mit dem ‚Meteor Bullet‘“, sagte er breit grinsend, während das Wesen hinter ihm sich kreischend in eine Wolke aus auseinanderstobender Energie verflüchtigte.
 

„Das war ja nicht so schwierig“, meinte Rinoa und betrachtete die seltsame Materia, die ihnen Auguste Baldore mitgegeben hatte. Sie glühte kurz auf, und zwar genau in dem Moment, als sich das letzte Stäubchen des Ungeheuers verflüchtigt hatte. Xell kam mit stolzgeschwellter Brust auf sie zu.

„Na, was sagt ihr zu meinem Spezialangriff?“

Irvine legte sich seufzend das Gewehr über die Schulter.

„Abgesehen davon, dass das Ding sowieso schon so gut wie besiegt war… nicht übel.“

„Nicht übel?? Das war Spitzenklasse. Ihr hättet es ja nur mich machen lassen brauchen“, sagte er mit in die Hüften gestützten Händen.

„Und warum bist du dann weggelaufen?“ fragte Selphie kichernd. Xells selbstbewusste Miene schwand, und er wurde sogar etwas rot.

„Warum ich- äh, aber, das war doch der Plan… oder?“

Nun mussten alle lachen. Nur Xell kratzte sich verlegen dreinschauend am Hinterkopf.
 

Selphie stiegen beim Lachen die Tränen in die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatte sich etwas verändert. Ihre Freunde bewegten sich nicht mehr, sondern standen starr da wie Statuen. Verwundert ging sie auf sie zu- um nach wenigen Schritten an einer unsichtbaren Wand abzuprallen. Stöhnend hielt sie sich ihre schmerzende Nase.

„Was ist denn das jetzt?“ fragte sie sich näselnd. Fassungslos betastete sie die die glatte und warme Oberfläche, die ihren Weg abschnitt. Mit den Händen verfolgte sie die durchsichtige Barriere, bis sie wieder im Kreis angelangt war. Sie war gefangen.

„Irviiine!! Rinoooa!! Xeeell!!“

Alles nützte nichts. Ihre Freunde standen regungslos da und reagierten auch nicht auf ihre Zurufe. Sie fand keinen Ausweg aus ihrem unsichtbaren Gefängnis, und auch Hieben ihrer Waffe hielt die Oberfläche stand. Schließlich sackte sie verzweifelt zu Boden.

„Was mach ich jetzt… denk nach, Selphie…“, flüsterte sie sich selbst zu. Dann fiel ihr ein Gegenstand auf dem Boden auf. Etwas glänzte auf dem sonst mattgrauen Felsboden. Sie ging zu der Stelle und fand zu ihrer Überraschung einen Anhänger mit einem leuchtend roten Stein. Er war in eine kunstvolle Goldfassung gefasst und hing an einer ebenfalls goldenen Kette. Sie ließ das Schmuckstück vor ihrem Gesicht baumeln. Der Glanz des roten Steins fesselte sie und lenkte sie sogar von ihrer misslichen Lage ab. Immer tiefer versank ihr Blick in den spiegelnden Facetten des Rubins…

Plötzlich fuhr sie herum. Ein Geräusch, als ob sich jemand an die Oberfläche graben würde, alarmierte sie. Und tatsächlich tat sich ein Loch hinter ihr im Boden auf. Sie hielt immer noch in der linken das Schmuckstück, während sie mit der rechten ihre Waffe zog.

Dann hielt ein seltsames Wesen seine Schnauze vorsichtig aus dem Loch. Es war von schreiend türkisener Farbe und hatte zwei dunkle Glubschaugen. Lange Ohren standen von seinem Kopf ab, und auf der Stirn trug es einen… leuchtend roten Stein, wie auf dem Schmuckstück. Verwirrt betrachtete Selphie das Juwel in ihrer Hand- das in diesem Moment zu Staub zerfiel. Nahezu gleichzeitig sprang das Wesen aus dem Loch und schwebte vor ihr in der Luft. In der Tat sah es aus wie ein Kaninchen, das jemand in einen türkisenen Farbtopf getaucht und mit einem Rubin an der Stirn versehen hatte.

„Es ist für dich bestimmt. Nur für dich.“

Die Stimme schien von überall und nirgendwo gleichzeitig zu kommen. Jedenfalls nicht von dem putzigen Wesen. Verunsichert sah sie sich um. Dann wandte sie sich dem Wesen zu.

„He, du! Du bist doch…“ Sie überlegte. Es kam ihr bekannt vor, ohne Zweifel. Die türkisene Farbe, der rote Rubin auf der Stirn… sie kannte dieses Wesen. Es war wohl kein Feind, aber was dann? „Selphie… erinnere dich gefälligst!“ tadelte sie sich selbst, aber es schien, als würde eine schwere Hand ihre Erinnerung bedecken, als wäre dieser Teil ihrer Vergangenheit verschüttet. Es gab Gerüchte, wonach die Verwendung der ‚Guardian Forces‘ das Gedächtnis nachhaltig beeinträchtigte, und das war auch der Grund gewesen, warum Selphie und ihre späteren SEED-Kameraden lange Zeit keine Erinnerung an ihre gemeinsame Vergangenheit in Edeas Waisenhaus hatten. Aber das hier… es war wie verflixt. Die Erinnerung schien nur einen Millimeter entfernt, und doch unerreichbar fern… „Was bist du?“ fragte sie leise und ging auf das niedliche Wesen zu. Es schwebte vor ihr und schaute sie mit ausdruckslos mit seinem niedlichen Gesicht an. Vorsichtig streckte sie die Hand danach aus.

„Ich kenne dich doch… Aua!!“ Wie vom Blitz betroffen, fiel sie auf den Hintern. Das Wesen zischte nun bösartig. Kleine Blitze schienen von ihm auszugehen. Der Stein auf seiner Stirn funkelte, während es begann, Selphie zu umkreisen. „Was soll das…“, murmelte sie, während sie sich schmerzende Stellen rieb. Sie nahm ihre Waffe zur Hand und nahm eine Verteidigungsposition ein, konnte aber kaum glauben, mit diesem eben noch so putzigen Wesen kämpfen zu müssen. „Was wiiillst du von mir?“ rief es, aber es kam keine verständliche Antwort. Stattdessen zuckte ein weiterer Blitz auf ihre Position zu. Sie sprang rechtzeitig zur Seite, und der Blitz schlug auf leerem Boden ein. Erschrocken blickte sie an die Stelle. Dann verdüsterte sich ihre sonst immer fröhliche Miene. „Na gut… wenn es sein muuuss…“

In Erwartung einer weiteren Attacke tänzelte sie umher, ohne den Blick von dem sie langsam umkreisenden Wesen zu nehmen. Sie wartete den richtigen Zeitpunkt ab, dann schwang sie ihren Dreisegmentstab. Ihre Augen wurden groß, als sie mit ansah, wie die Waffe wirkungslos durch das Wesen hindurch schlug.

„In Ordnung… nimm das!!“

Sie ballte ihre Fäuste, die die Waffe umklammert hielten, und konzentrierte sich auf ihr Ziel. Es brauchte nur wenige Momente, dann war der Zauber gesprochen. Die Dunkelheit des Raumes begann das Wesen anzuziehen und zu verschlucken. Es wurde in Selphies Augen immer kleiner, als es durch eine Öffnung in die Weiten des Universums gezogen wurde. Kampfbereit beobachtete sie die Wirkung des Meteorzaubers, der sein Opfer in den Außenbereich des Sonnensystems versetzte, um es dort einem Schauer von steinigen Geschossen aus den Tiefen der Galaxie auszusetzen. Es war einer der stärksten Zauber überhaupt, und Selphie hatte keine Zweifel, dass er das Wesen zerschmettern würde.

Immer tiefer versank die Kreatur in dem Raumriss, durch den die Sterne auf die Höhle, in der sie waren, hinableuchteten. Doch dann- glühte der Rubin auf der Stirn des rätselhaften Wesens auf. Der Vorgang stoppte. Selphies Gesicht wurde zu einem großen Fragezeichen. Dann verschwand die kalte Finsternis des Raums um das Wesen- und begann sie selbst einzuhüllen!

„Was? Was ist daaas?? Doch nicht etwa… Reflek…!!“

Ihre Worte verloren den Klang, als sie die beißende Kälte des luftleeren Raums um sich spürte. Nur mehr durch eine kleine Öffnung sah sie auf die Höhle hinab, in der sie eben noch gestanden hatte. Jetzt hatte sie keinen Boden mehr unter ihren Füßen, nur noch die Leere des Weltraums. Um sie herum funkelten tausende Sterne, doch dafür hatte sie keinen Blick- sie spürte bereits das Heranrauschen eines kosmischen Bombardements. Eines Geschoßhagels aus Fels und Eis, den sie selbst entfesselt hatte. Die ersten Meteore rasten an ihr vorbei, und sie spürte den Sog aus Sternenstaub und Eispartikel, der sie dabei streifte.

„Es ist nicht echt, es ist nicht echt…“, murmelte sie leise und hektisch in sich hinein. Sie wusste, dieser Zauberspruch war nur eine Illusion. Er machte seinem Ziel glauben, wirklich im Weltall zu sein und das Opfer eines Meteorhagels zu werden. Und diese Illusion war so echt, dass die Opfer wahrhaftig daran starben. Und das durfte ihr nicht passieren…

„Neeeiin!!“

Der erste Meteor traf sie voll, und die Schmerzen waren sehr real. Verzweifelt duckte sie sich auf den Boden und hielt die Arme über den Kopf. Das Dröhnen des Meteorhagels wurde unerträglich in ihren Ohren. Sie schrie auf, als sie die nächsten trafen. Schlag um Schlag prasselte auf sie ein, und bald verlor sie das Bewusstsein…

Ächzend kroch sie auf den Knien herum. Der Boden unter ihren Händen und Füßen fühlte sich beruhigend echt an, soweit sie überhaupt etwas spüren konnte. Ihr Kopf fühlte sich an wie in Stücke geschlagen. Sie versuchte aufzustehen, doch ihr aus dem Lot geratener Gleichgewichtssinn machte es denkbar schwer. Langsam kam sie auf wacklige Beine. Ihr war klar, dass sie fast umgekommen war. Der Meteorzauber ihrer Stärke hätte selbst starke Monster ausgelöscht, und nur ihrer herausragenden Widerstandskraft hatte sie zu verdanken, dass sie noch am Leben war. Noch. Denn sie fühlte ihre Lebensenergie entweichen. Wenn sie nicht bald einen Heilungszauber erfahren würde, dann wäre ihr Leben verwirkt…

„Du… kleines… Miiiststück!“

Wütend blickte sie aus glasigen Augen das kleine Wesen an, das immer noch über ihr schwebte und sie ausdrucklos ansah. Wieder sammelten sich Blitze um seine Konturen, und sie ahnte, dass sie einen Treffer nicht überleben würde. Dem Angriff auszuweichen versuchen war auch keine Option mehr. Sie hatte alle Mühe, sich auf ihren Beinen zu halten. Gerade, als das Wesen mit einer Geste eine neuerliche Blitzattacke ankündigte, fasste sie einen blitzschnellen Entschluss. Sie setzte alles auf eine Karte… und sprach Ultima gegen sich selbst.
 

Kaum hatte ihre Handbewegung geendet, erstrahlte sie bereits von Innen. Ultima war der stärkste Zauberspruch überhaupt; es hieß, nichts könne diesen Angriff überleben. Schon einige Male hatte sie diesen Spruch verwendet. Immer in Zeiten höchster Not, den Ultima, die Kraft aus den Atomkernen, war für die SEEDs von größter Bedeutung. Es war weniger ein Kampfmittel, sondern mehr Quelle ehrfurchtgebietender Energie. Jeder Elite-SEED besaß Ultimazauber, die seine Fähigkeiten an die Grenze des Möglichen trieben. Doch diese Fähigkeiten würde sie nicht mehr brauchen, wenn sie tot war…

Das Licht wurde heller und schließlich gleißend. Es erhellte nun die ganze Höhle, deren gespenstische Ausdehnung nun erst sichtbar wurde. Damit einher ging eine Hitze, die vom Schmelzen der Atomkerne und der darauffolgenden Kernfusion herrührte. Panik stieg in Selphie hoch, als sie realisierte, dass sie im Zentrum einer Nuklearexplosion stand. Zweifel an ihrer Entscheidung vermischten sich mit aufkeimender Todesangst in ihrem von Grauen durchfluteten Verstand. Verzweifelt presste sie die Augenlider aufeinander, als sie das nukleare Feuer zu verschlingen drohte-
 

-und dann abrupt stoppte! Schlagartig erlosch das alles versengende Höllenfeuer aus den Tiefen zerfallender Atomkerne, um dann einen Moment später auf ihrem Gegner aufzuleuchten. Angst, ihre Verletzungen und der Schrecken dieses unerwarteten Kampfes lähmten ihren Geist, doch ein kleiner Teil von ihr empfand Erleichterung. Sie sank auf die Knie und ließ den Kopf Richtung Boden sinken, als die Ultimadetonation erfolgte.
 

Die Schockwelle erschütterte den gesamten Sohen-Höhlenpalast. In allen Teilen fielen Trümmer von der Decke. Monster rannten verwirrt und aufgeschreckt umher.
 

Ein Lichtblitz, heller als tausend Sonnen, brannte die Konturen des Wesens an die Wand. Eine Flammenkorona entfaltete sich auf majestätische Weise und wogte nach allen Richtungen davon wie eine Flutwelle aus flüssigem Feuer. Die darauffolgende Finsternis wirkte nach diesem Inferno aus Licht, Glut und einer nuklearen Feuersbrunst umso bedrückender.
 

Regungslos lag sie auf der Seite. Ihr Dreisegmentstab lag wie achtlos weggeworfen neben ihr. Es herrschte Stille und Dunkelheit. Das Wesen war weg, zumindest seine physische Form. Ihre Freunde standen immer noch da, unfähig zu jeglicher Bewegung. Und über ihr schwebte der Geist von Karbunkel, dessen Körper in seine atomaren Bestandteile zerrissen worden war.

Doch das spielte keine Rolle. Die Schutzmächte kommen aus einer anderen Welt, die sich so sehr von der unseren unterscheidet, dass jeder Versuch einer Beschreibung scheitern muss. Und manchmal kommen sie in unsere Welt. Zeitweise freiwillig, doch meistens, wenn sie gerufen werden. Wobei es für sie keine Rolle spielt, wer sie ruft und zu welchem Zweck. Sie kommen in diese Welt, und wenn ihre Lebensenergie verbraucht oder ihre Körper zerschmettert sind, kehren sie wieder zurück. Doch nicht so dieses Wesen hier. Es fühlte keinen Schmerz mehr, und es hatte auch keinen Körper mehr, der so etwas empfinden konnte. Doch es hatte eine Aufgabe, die es in dieser Welt erfüllen musste, das fühlte es genau. Und diese Aufgabe war untrennbar mit diesem Mädchen in dem gelben Kleid verbunden. Und so sank die Seele Karbunkels auf ihren geschwächten, aber immer noch lebensfähigen Körper hinab. In einem warmen Licht glühten die beiden auf, als sie eins wurden…
 

Leise und dumpf klangen die Rufe ihrer Freunde in ihrem benebelten Bewusstsein. Undeutlich spürte sie durch ihre tauben Gliedmaßen Berührungen. Jemand hob sie hoch, jemand anders berührte ihr Gesicht. Einmal glaubte sie aus dem Augenwinkel ein Gesicht wahrzunehmen. Das Gesicht eines Freundes. Ein Gesicht, das Besorgnis und auch Angst ausdrückte. Dann, das wärmende Gefühl eines Heilzaubers. Mit ihm kam eine Ahnung von Geborgenheit in ihren dahindämmernden Verstand.

Der Boden schwankte unter ihr. Verschwommene Bilder zogen an ihr vorbei, als würde sie sich bewegen. Und manchmal hörte sie eine leise, vertraute Stimme, die ihr sanft und beinahe flehend ins Ohr flüsterte…
 

„Verlass mich nicht. Halte durch“, flüsterte Irvine der bewusstlosen Selphie zu, als er sie auf den Armen trug. Er versuchte den Schock zu verdrängen, doch es war nicht leicht. Eben noch hatten sie ihren Sieg über das Ungeheuer gefeiert, und dann, nur Augenblicke später fanden sie die junge Frau ohnmächtig und mit schweren Verbrennungen am Boden liegend. Xell hatte die nähere Umgebung abgesucht, während er und Rinoa sie in die Welt der Lebenden zurückgeholt hatten. In der Eile hatte er nichts entdeckt, und so flohen sie nun so schnell wie möglich aus dem Höhlenpalast.

Xell lief vor ihm, und Rinoa bildete die Nachhut. So schnell er konnte, lief er mit ihr auf seinen Armen. Immer wieder sprach er leise zu ihr, in der Hoffnung, sie würde antworten oder zumindest aufwachen. Mit aller Macht kämpfte er die aufkeimende Angst in sich nieder. Ihr Beruf war gefährlich, das war ihm von Anfang an klar gewesen. Auch bestand immer die Möglichkeit, dass auf einem gemeinsamen Einsatz einen von ihnen etwas zustoßen konnte. Doch das hier… war etwas völlig anderes gewesen. Aus heiterem Himmel und ohne die geringste Vorwarnung war sie attackiert worden. Wer immer das getan hatte, er hatte keine Spur hinterlassen. Die Plötzlichkeit dieses verstörenden Ereignisses machte ihm schlagartig klar, wie leicht er einen seiner Freunde verlieren konnte. Oder auch die Frau, die er liebte. Tränen liefen über sein Gesicht, als er die Augenlider zudrückte. Sie waren fast draußen, fast in Sicherheit. Und endlich sahen sie wieder Tageslicht…
 

Zurück in der Altstadt von Archadis, verlangsamten sich ihre Schritte und auch ihre Herzschläge. Betroffen blickten Rinoa und Xell auf Selphie, die immer noch nicht bei Bewusstsein war. Irvine starrte abwesend zu Boden, während er flankiert von seinen Freunden den Weg ging.

Mehrere umstehende Personen sahen ihre Rückkehr aus dem Sohen-Höhlenpalast mit leichtem Erstaunen. Man sah den Vier an, dass sie Schlimmes hinter sich hatten. Und so spürten sie in den Blicken der Leute auch eine gewisse Genugtuung. Ihr habt euer Glück gesucht, schienen die hämischen Blicke zu flüstern. Und gefunden habt ihr das Grauen, wie schon so viele vor euch, schienen sie sagen zu wollen.
 

Zurück im Gasthaus der Brüder Gandsch, legte Irvine die junge Frau auf ihr Bett. Noch einmal prüften sie genau, ob sie auch wirklich alle Verletzungen geheilt hatten. Und plötzlich schlug sie die Augen auf.

„Da seid ihr ja… warum habt… ihr nicht…“, hauchte sie schwach. Irvine legte den Zeigefinger an seine Lippen.

„Sag nichts… spar deine Kraft… später kannst du… alles er… erzählen…“

Rinoa hörte das unterdrückte Schluchzen in seiner Brust und deutete Xell, mit ihr den Raum zu verlassen. Wortlos gingen sie und ließen die beiden allein.
 

Rinoa saß eine Weile in ihrem Zimmer. Xell war sich „die Füße vertreten“, wie er sagte. Bewegung war für ihn die beste Möglichkeit, den unerklärlichen Vorfall zu verarbeiten. Sie hingegen blieb im Gasthaus und dachte angestrengt nach. Sie ging im Geiste alle Ungeheuer durch, die sie in ihrem Leben schon bekämpft hatte. Sie kam auf eine enorme Zahl, doch es fand sich keines, das einen so plötzlichen Überfall tätigen und ohne jede Spur wieder verschwinden konnte. Noch eine Weile zerbrach sie sich den Kopf, bis sie es satt hatte und ebenfalls raus musste.

Auch wenn ihr nicht danach war, so entschied sie sich, Auguste Baldore aufzusuchen. Gedankenversunken lief sie durch die belebten Straßen von Archadis, deren Trubel und Pomp sie im Moment nicht im Geringsten beeindruckten. Schwer wog die Aufzeichnungsmateria in ihrer Tasche. Einen Moment lang erwog sie die Möglichkeit, dass das Ganze eine Falle gewesen sein konnte, doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Warum wäre dann nur Selphie angegriffen worden, und warum hatte der unsichtbare Angreifer sein Werk nicht zu Ende gebracht? Fragen über Fragen, doch sie fand keine Antworten. Schließlich stand sie in dem Cafe, in dem sie am Morgen den Auftrag erhalten hatten.
 

„Ah, da sind sie ja, verehrtes Fräulein Rinoa!“ begrüßte sie Auguste Baldore, der nun allein am Tisch in dem Straßencafe saß. „Nehmen sie doch Platz“, wies er sie freundlich an. Sie nahm das Angebot an. „Ich hoffe doch, dass auch ihre Freunde wohlbehalten zurückgekehrt sind?“ fragte er, als er ihre bedrückte Miene bemerkte. Rinoa nickte, schüttelte dann aber den Kopf.

„Ja… ich meine, nein, nicht ganz. Wir haben das Ding erledigt, dass sie uns gezeigt haben… aber dann…“

Zuerst fiel es ihr schwer, es zu erzählen, doch mit der Zeit kam es immer flüssiger aus ihr heraus. In allen Details schilderte sie ihre Erlebnisse, nur die Konfrontation mit den Kopfgeldjägern sparte sie wohlweislich aus. Baldore lauschte ihr aufmerksam.

„Das ist… faszinierend! Bitte verstehen sie mich nicht falsch, meine Sorge gilt natürlich ihrer Freundin, der ich eine schnelle Genesung wünsche, aber… von einem derartigem Vorfall höre ich zum ersten Male, seien sie versichert.“ Seufzend schüttelte er den Kopf. „Zu gern würde ich zur Aufklärung dieses… Vorfalls beitragen, ja, ich würde mit Freuden dieses mysteriöse Ungeheuer als Mobjagd ausschreiben, doch ohne Beschreibung… ist das natürlich problematisch.“

Rinoa fühlte sich unwohl. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, den Mann dafür zu hassen, dass er sie auf diesen Auftrag geschickt hatte. Aber seine Anteilnahme klang ehrlich, und letztendlich war sie selbst es gewesen, die dazu gedrängt hatte… Schnell wechselte sie das Thema.

„Ja, das ist… es geht ihr ja schon besser. Übrigens… gibt es vielleicht Neuigkeiten von- “

Der begeisterte Monsterforscher kam ihr zuvor.

„Ja, da fällt mir ein- es ist wirklich ein grandioser Zufall- tatsächlich gibt es zum ersten Male seit langem Indizien zu der Kreatur Gilgamesch!“ sagte er mit vor Enthusiasmus geweiteten Augen. Rinoa schnellte vor und hätte beinahe ihre Kaffeetasse umgeworfen, die ihr in der Zwischenzeit gebracht worden war.

„Echt!? Sie wissen, wo er ist?“

Auguste Baldore nickte langsam und lächelte geheimnisvoll.

„Ich habe heute von einem meiner Informanten einen ziemlich konkreten Hinweis bekommen. Und da ihr euch als sehr talentiert erwiesen habt, werde ich diese Neuigkeit mit ihnen teilen.“
 

„Ich bin in Ordnung, eeehrlich! Sagt mir lieber, ob euch das Diiing nicht an etwas erinnert.“

Sie alle saßen im Kreis um Selphie herum. Mittlerweile hatte sie sich einigermaßen erholt und saß fröhlich auf einem breiten Lehnstuhl in dem Luftschiff. Inzwischen hatte sie ihnen berichtet, woran sie sich erinnern konnte. Als Rinoa den Lenker des Fahrzeugs, das als Taxi innerhalb des Stadtgebiets fungierte, mit ihrem Reiseziel angesprochen hatte, hatte dieser nur den Kopf geschüttelt. Als sie ihm dann die 3000 Gil unter die Nase gehalten hatte, wandelte sich seine Meinung schnell.

„Nein… tut mir leid“, antwortete Rinoa ratlos. „Es kommt auch mir irgendwie bekannt vor, aber… ich kann im Moment nicht sagen, was es sein könnte.“

„So’n komischer Feind. Friert uns ein, um dann dich anzugreifen“, sagte Xell verärgert. Dann schlug er sich mit der Faust auf die Handfläche. „Also ich hätte das Ding- “

„Vielleicht hat es ja was mit dem Colonel und seinen Kumpanen zu tun“, mutmaßte Irvine und unterbrach damit den hitzköpfigen Kampfsportler. Rinoa spürte sofort wieder Schuldgefühle in sich aufsteigen. Noch bevor sie sich eine Antwort überlegen konnte, meine Selphie: „Das glaube ich weniger. Nein, das ergiiibt keinen Sinn. Es hätte uns alle angreifen können… hat aber dann nur mich…“ Nachdenklich blickte sie zu Boden.

„Wie auch immer, wir müssen in Zukunft noch vorsichtiger sein“, sprach Irvine weiter. „Diesmal ist es ja nochmal gutgegangen.“ Sein Blick streifte Rinoa, und sie glaubte, einen leisen Vorwurf darin auszunehmen.

Die anderen fläzten auf den bequemen Sesseln und Lederbänken herum, der das Innere des kleinen Schiffes wie einen Salon wirken ließ. Rinoa stand gedankenversunken an einem der kleinen Bullaugen und sah, wie eine graubraune Einöde an ihnen vorbeizog.

„Rinoa…“

Sie erschrak leicht, und als sie sich umdrehte, stand Irvine vor ihr.

„Ja?“

„Ich wollte sagen… dass ich dir keinen Vorwurf mache. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, so wäre das wohl in jedem Fall passiert. Ich gebe dir daran keine Schuld.“

Rinoa atmete auf.

„Das bedeutet mir viel…“, erwiderte sie zaghaft. „Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob es richtig war, schon aufzubrechen- “

„Die Spur ist vielversprechend“, unterbrach er sie. „Meiner Meinung nach können wir diesem Baldore vertrauen. Wir müssen die Gelegenheit nutzen. Selphie hat mir versichert, dass sie in Ordnung ist.“

„Gut… dieser Ort, Nabudis, soll gefährlich sein. Der Fahrer wollte uns erst gar nicht hinfahren. Aber wenn wir dort diesen Gilgamesch finden können, dann… dann…“ Ihre Stimme stockte. Irvine legte ihr aufmunternd die Hände auf die Schultern.

„Wir werden ihn finden. Auf keinen Fall verlasse ich diese Welt ohne unseren Mr. ‚nicht wirklich‘. Versprochen.“

Die Anspielung auf Squall und sein warmherziges Versprechen ließen sie wieder lächeln. Er nickte ihr noch aufmunternd zu, dann ging er wieder zu Selphie. Seufzend zog Rinoa das Gerät aus der Tasche, das ihnen Dodonna mitgegeben hatte, damals, bei Anbruch dieser Reise. Es sollte die Gegenwart eines Tores anzeigen, dass ihnen die Rückkehr ermöglichen könnte. Doch bis jetzt war die Anzeige leer geblieben. Und wenn schon, dachte sie, ohne ihn kehre ich nicht zurück…
 

„Weiter fliege ich nicht ran, nicht für alles Geld der Welt“, rief ihnen der Fahrer zu, als sie alle ausstiegen. „Die Mystkonzentration ist zu stark, nichts kann über Nabudis fliegen. Lebt wohl“, sagte er eilig, und schon wendete er das Schiff. Verdutzt blickten sie ihm nach, und bald verschwand es in einer Staubwolke am Horizont. Dann blickten sie sich um. Der feste Boden der sandigen Ebene um Archadis herum ging hier allmählich in eine nebelverhangene Sumpflandschaft über. Dichte Schilfgewächse wurden von riesigen Insekten umflattert. Irrlichter aus Sumpfgas glühten wie Gespenster im Dickicht auf, und durch den Dunst erkannten sie schemenhaft die Umrisse ihres Ziels, das ihnen Auguste Baldore als möglichen Aufenthaltsort der Kreatur Gilgamesch verraten hatte. Die Hauptstadt der Toten, Nabudis.

TS2-RR2

Da wären wir wieder! Zuerst einmal Gratulation an alle, die diese Geschichte verfolgen. Ich hoffe, es hat euch bis jetzt gefallen. Jetzt stricken wir das Schicksal von Squall Leonhart und Tifa Lockhart weiter, die ja in dem lieblichen Städtchen Bhujerba strandeten. Begleitet sie auf einem Stück ihres Weges...
 


 

„Und was machen wir nun?“

Er nickte bedächtig und warf ihr einen ernsten Blick zu.

„Wir werden seiner Mine noch einen Besuch abstatten. Aber diesmal einen gründlicheren.“

„Ob wir da was finden?“ fragte Tifa leise sich selbst. Squall blickte nachdenklich auf seinen Krug.

„Einen Weg hier weg… oder zumindest eine Spur. Wir warten bis es dunkel ist. Dann schleichen wir uns hinein.“ Mit einem Zug leerte er seinen Krug, dann verließ er den Gastraum. Tifa blickte ihm hinterher. Nun saß sie alleine am Tisch. Schulterzuckend leerte sie ihren Krug, dann ging sie ebenfalls.
 

Als sie in die Tür trat, saß er auf dem Bett und betrachtete einen kleinen Gegenstand in seiner Hand. Sie lehnte sich am Türstock und stützte eine Hand in die Hüfte.

„Warum läufst du einfach weg?“ Er schaute von seiner Hand auf und machte ein verdutztes Gesicht. „Eine Dame einfach so sitzen lassen… was ist das für ein Benehmen…“, sagte sie in einem nicht ganz ernsten Tonfall und ging auf das Bett zu. Schwungvoll ließ sie sich auf ihre Hälfte fallen. Squall hatte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Gegenstand, einen Anhänger an einer Kette, gerichtet. „Was ist das?“ fragte sie und streckte den Kopf zu ihm rüber. Er reagierte auf ihre Neugier mit Argwohn.

„Nichts.“

„Sieht aber nicht gerade nach nichts aus!“ erwiderte sie lachend. „Nun zeig schon!“ Seufzend reichte er ihr den Anhänger. Vorsichtig nahm sie ihn in die Hand. Es war ein silberner Löwenkopf, dessen Mähne wie Flammen loderte. „Das ist schön. Ein Geschenk von deiner Freundin?“

„Nein, den Anhänger habe ich schon immer gehabt.“ Abrupt nahm er ihn ihr aus der Hand und hängte ihn sich wieder um den Hals. Tifa hob eine Augenbraue.

„Hm… und was machen wir jetzt?“

„Wir warten“, antwortete Squall und zog die Beine an. Sein Blick schien ins Leere zu gehen.

„Warten? Wie langweilig… gehen wir doch wieder raus! Ich versteh eh nicht, warum du so plötzlich abgehauen bist.“

„Die vielen Leute… das behagt mir nicht. Ich bin lieber alleine“, erwiderte er und zog die Beine noch enger an den Körper. Tifa bedachte ihn mit einem skeptischen Blick.

„Das ist seltsam. Jeder ist doch gern unter Leuten.“

„Ich bin nicht JEDER“, entgegnete er trotzig.

„Okay, okay… aber gehst du nicht gerne aus, in Kneipen und so?“

Squall schwieg einen Moment, bevor er antwortete.

„Früher waren wir öfter im ‚Balamb-Fisch‘ in der Stadt. Rinoa wollte immer dorthin…“ Die harmlose Erinnerung stieg hoch, und sofort spürte er den stechenden Schmerz. „Aber seit wir nicht mehr zusammen sind… war ich nicht mehr dort. Ich habe viel zu tun als Vizedirektor. Ich bin froh, wenn ich mich abends ausruhen kann.“

Tifa nickte langsam.

„Ich führe seit Jahren eine Bar, zuerst in Midgar, und dann in Edge-City. Ich mag es, die ganze Nacht wach zu sein und Dinge zu erleben“, sagte sie in einem schwärmerischen Tonfall. „Cloud gefällt das weniger…“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Meistens trinkt er dann zu viel und lehnt dann nur noch in einer Ecke rum… dass ihr Männer immer solche Muffel sein müsst!“ rief sie mit gespieltem Ärger und stieß Squall mit dem Ellbogen an. Sie lachte fröhlich, aber er schenkte ihr nur einen entgeisterten Blick. Dann starrte er wieder ins Leere. Tifa verschränkte die Arme und atmete geräuschvoll aus. „Nicht leicht, mit dir ein Gespräch in Gang zu bringen.“

„Du kannst jederzeit wieder rausgehen“, erwiderte er trocken. „Sicher lehnen an der Theke draußen noch so ein paar… wie hieß er gleich… ‚Balthier‘-Typen rum.“

„Pah, der…“, schnaubte sie. „Solche Leute kann ich nicht ausstehen. Halten sich selbst für das Größte, ts… ich hoffe, wir müssen nicht fliegen mit ihm.“

„Das kann gut möglich sein. Dieser Kontinent schwebt, wenn du erinnerst. Aber du kannst auch gern springen.“

Zuerst machte sie ein verwirrtes Gesicht, dann lachte sie los. Wieder stieß sie ihn mit dem Ellbogen an.

„He, das war ja ein Scherz! Ich bin sicher, deine Freunde lieben deinen Humor“, sagte sie nicht ohne Sarkasmus. „Äh… falls du welche hast“, fügte sie vorsichtig hinzu.

„Ja, ich habe welche“, antwortete er, wobei es aber nicht sonderlich erfreut klang.

„Echt? Erzähl mir von ihnen!“

Squall seufzte lautstark und verdrehte die Augen.

„Was du alles wissen willst! Du bist ja fast… wie…“ Ihre Nasenspitzen kamen sich nahe, sehr nahe sogar. Dann wich er zurück. „…wie Rinoa.“ Tifa blinzelte verwirrt. Hätte dieser Moment der Nähe noch eine Sekunde länger gedauert, dann hätte sie ihn… Was soll das, dachte sie aufgebracht. Du kennst ihn gar nicht. Und warum zum Teufel zieht es mich immer zu so verklemmten Typen…

„Sei doch nicht so“, murmelte sie versöhnlich. „Wir müssen noch ein paar Stunden warten, bis es dunkel ist. Und ich kenne hier niemanden. Ich hab ja hier… nur dich.“

Ihre Stimme schaffte es, sein Herz aus Stein aufzuweichen. Er atmete geräuschvoll aus, bevor er zu erzählen begann.

„Meine besten Freunde… sie sind mit mir in einem Waisenhaus aufgewachsen. Auch wenn wir uns eine Weile nicht daran erinnern konnten… das lag an den Kopplungen, die können das Gedächtnis beeinträchtigen. Jedenfalls… wollte ich eigentlich keine Freunde haben. Irgendwie hat es sich aber so ergeben. Manchmal besuche ich sie.“

Tifa wartete, es kam aber nichts mehr. Sie richtete einen fragenden Blick auf ihn.

„Und? Wie geht’s weiter?“

„Hm?“

„In Reden halten bist du nicht besonders gut, was?“ sagte sie seufzend. Sie legte sich auf die Seite, zog die Beine an und kuschelte sich in ihr Kopfkissen. „Erzähl mir mehr von Rinoa. Die Frau interessiert mich, die dich Klotz erweichen konnte.“ Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Tut mir leid. Vergiss das mit dem Klotz, war nicht so gemeint. Wie habt ihr euch denn kennengelernt?“

Squall schüttelte in einem Anflug der Verzweiflung den Kopf.

„Vorher lässt du mir eh keine Ruhe… es war auf einem Ball. Der Abschlussball unseres SEED-Jahrgangs. Sie war dort wegen einem Auftrag, was ich damals noch nicht wusste. Sie hat mich zum Tanzen aufgefordert.“

Tifa umarmte das Kissen und setzte sich auf.

„Nein! Sie hat dich zum Tanzen aufgefordert? Was für eine verkehrte Welt! Sollte das nicht der Mann tun?“ sagte sie kichernd. Squall bemühte sich ihre Erheiterung zu ignorieren und erzählte weiter.

„Später gingen wir eben gemeinsam auf einen Auftrag. Es ist viel passiert…“

Tifa legte sich mit dem Kissen vor der Brust auf den Bauch und wippte gespannt mit den Füßen hin und her.

„Wie seid ihr zusammengekommen? Und wann habt ihr euch das erste Mal geküsst?“ fragte sie erwartungsvoll. Squall fühlte sich fast in die Enge getrieben. Seufzend begann er nachzudenken.

„Einmal mussten wir sie versiegeln… wegen ihrer erwachenden Hexenkräfte… sie schwebte im All draußen… und ich hatte plötzlich furchtbare Angst, sie zu verlieren…“ Mit einem Male kam ihm die Erinnerung plastisch vor Augen. Die Esthar-Raumstation… Die Versiegelungskammer, in der sie vielleicht für alle Zeiten gefangen gewesen wäre… und sein völlig irrationaler Plan, sie da raus zu holen. Etwas, das man nur aus Liebe tun kann. „Ich hab sie da rausgeholt, aber nach einer Weile wurde der Sauerstoff in unseren Raumanzügen knapp. Zum Glück tauchte ein herrenloses Schiff auf. Dort drinnen, auf dem Pilotensessel… sie saß auf meinem Schoss und wir küssten uns…“ Einen Moment hing er der süßen Erinnerung nach von ihrer Umarmung und ihren sanften Lippen… bis sein Blick wieder auf Tifa fiel, die das Kissen an sich drückte und ihn schmachtend ansah.

„Das ist so… romantisch! Hach…“

„Findest du“, räusperte er sich verlegen.

„Klar! So mitten im Weltall, mit all den Sternen… nur ihr beide…“

„Und ein paar Propagatoren, die uns fressen wollten“, warf er ein, aber sie überhörte es.

„Ich wünschte, ich hätte mit Cloud einmal so eine romantische Szene gehabt…“ Sie warf ihm einen Blick zu, der ihm unangenehm war.

„Was ist das… für ein Band, da, an deinem Oberarm?“ fragte er in erster Linie zur Ablenkung.

„Das Band? Wir alle tragen es. Ich meine… Cloud und unsere Freunde, die wir Sephirot besiegt haben. Es ist eine Erinnerung an Aeris.“

„Aeris?“

„Ja… sie war die letzte vom ‚alten Volk‘. Sie wurde… Sephirot hat sie umgebracht. Und trotzdem war sie es, die den Planeten gerettet hat. Durch ihre Kraft…“ Schwermütig blickte sie ins Leere. Die Stille wurde selbst Squall unangenehm. „Das ist schon eine Weile her… und deine Narbe?“

„Welche Narbe?“

Sie verdrehte die Augen.

„Na, die über deiner Nase!“

„Ach, die… die hab ich vom Training.“

„Beim Training? Wie trainiert ihr denn?“ fragte sie ungläubig.

„SEEDs trainieren immer mit richtigen Waffen und unter realen Bedingungen- “

„Ja, ja, so genau wollt ich es gar nicht wissen. Lass uns von was Interessanterem reden… von Beziehungen, genau! Warum habt ihr euch denn getrennt?“

Squall blickte sie hilflos an.

„Ich bin ja nur froh, dass du nicht neugierig bist…“ Er seufzte tief. „Tja… irgendwie haben wir uns auseinander gelebt. Ich glaube, sie kam mit meinem Beruf nicht klar. Sie wollte ein friedlicheres Leben… und so ist sie halt gegangen.“

„Und du hast gar nicht versucht, sie zurückzuholen?“

„Doch, hab ich.“

„Und was ist passiert?“

„Dieser Gilgamesch tauchte auf, und dann bin ich hier aufgewacht.“

„Oh.“ Tifa machte ein betretenes Gesicht. „Jedenfalls, sollten wir zusammen deine Rinoa treffen, dann lege ich ein gutes Wort für dich bei ihr ein, versprochen.“
 

Auch wenn wieder das dumpfe Gefühl des Verlusts in ihm hochstieg, das ihn wie ein Phantomschmerz an vergangene Zeiten erinnerte… so fühlte er sich nun doch etwas besser. Es war ihm schon immer schwer gefallen, sich anderen zu öffnen und zu erzählen, was in seiner Gefühlswelt vorging, doch nun hatte er es getan, und das einer Frau gegenüber, die er erst seit einem Tag kannte. Wenn er so in ihre Augen sah, dann spürte er eine Erleichterung wie schon lange nicht mehr. Ihre Augen… kastanienbraune Augen, wie Rinoa. Wenn er blinzelte, dann sah er sie vor sich. Das unbestimmte Gefühl der Fremdheit, das er sein Leben lang mit sich herumtrug und ihn auf seine Umgebung so distanziert wirken ließ… in diesem Augenblick spürte er es nicht mehr. Es war fast so wie damals… als das Feuerwerk über der Glaskuppel des Balamb-Gardens buntleuchtende Muster in den schwarzen, sternenübersäten Nachthimmel zeichnete, als er mit Rinoa diesen einen Walzer tanzte… als er sich zum ersten Male in seinem Leben verliebt hatte.

Er erschrak. Hastig schluckte er den plötzlich aufkommenden Kloß in seinem Hals hinunter. Tief atmend schloss er die Augen und schüttelte den Kopf.

Nein…

Das kann, das darf nicht sein…

„Alles in Ordnung?“ fragte Tifa vorsichtig. In ihren unergründlichen Augen schimmerte Besorgnis. Squall wollte ihrem Blick ausweichen, doch er konnte einfach nicht… „Einen Moment dachte ich, dir wird übel.“

„Ich bin… okay. Es ist alles… in Ordnung.“

Eilig stand er auf und ging zum Fenster. Mit fahrigen Bewegungen öffnete er es und sog tief die kühle Abendluft ein.

„Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“ hakte sie nach. „Sonst machen wir die Einschleichaktion halt morgen- “

„Nein, wir machen es heute“, unterbrach er sie verärgert. „Und hör endlich auf, mich zu fragen, wie es mir geht, verdammt!“ Seine Stimme wurde lauter als beabsichtigt. Tifas Blick wurde traurig. Im selben Moment bereute er seinen Ausbruch. Wütend auf sich selbst griff er sich an den Kopf. „Es tut mir leid… ich wollte dich nicht anschreien. Verzeih mir.“

Tifa blickte schwermütig auf die Bettdecke, dann stand sie auf und ging auf ihn zu. Squall merkte, wie ihm heiß wurde, trotz des offenen Fensters. Sie stellte sich neben ihn hin und schaute in den Abendhimmel über Bhujerba hinaus.

„Ist schon okay. Es ist ja auch keine leichte Situation, in der wir hier sind“, sprach sie langsam und bedächtig. Etwas sagte Squall, dass er gehen sollte, weg von ihr. Doch ein anderer Teil von ihm wollte das auf keinen Fall… „So weit weg von denen… die wir… lieben.“ Sie wandte sich ihm zu, und das Feuer in ihren traurigen Augen drohte den letzten Widerstand in ihm zu verzehren.

„Ja, das ist… ziemlich traurig…“, sagte er und berührte sie an der Schulter. Sie blickte auf seine Hand, dann wieder in sein Gesicht. Der Abstand zwischen ihnen schmolz, und ihre Hand tastete nach seiner Hüfte. Immer mehr versank er in ihren großen, braunen Augen, ihre Lippen kamen sich immer näher… dann drehte er den Kopf weg.

„Das ist falsch.“

Tifa seufzte tief, und ihr Atem zitterte dabei.

„Ja… du hast recht“, sagte sie und drehte sich um. Und so standen sie nebeneinander und blickten aus dem Fenster. Die letzten purpurroten Streifen der untergehenden Sonne waren nun verschluckt vom schwarzen Samt, der den Himmel über dem schwebenden Kontinent jetzt bedeckte, und die ersten Sterne glühten wie Lichter aufkeimender Hoffnung darin auf.
 

„Es ist nun dunkel. Wir sollten gehen.“

Tifa nickte langsam. Squall ging zur Tür, und sie blickte ihm nach. Im Türstock blieb er stehen und drehte den Kopf zur Seite.

„Das vorhin… wir sollten es vergessen.“

Tifas nachdenklicher Blick ging zu Boden.

„Und wenn… ich das nicht kann?“

„Du kannst es“, erwiderte er knapp und verließ den Raum. Festen Schrittes steuerte er den Ausgang des Gasthauses an, doch in seinem Inneren zweifelte er an seinen eigenen Worten.
 

Auf den Straßen von Bhujerba war es ruhig. Nur wenige Menschen waren unterwegs. Die beiden gingen so unauffällig wie möglich los in Richtung des Mineneingangs. Einige Gassen später begegneten sie patrouillierenden Wachen. Als Tifa sie von weitem sah, klammerte sie sich an Squalls Arm und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

„Was soll das“, zischte er.

„Wenn die uns für ein Pärchen halten, kommen wir ihnen nicht so verdächtig vor.“

Er verkniff sich weitere Bemerkungen, bis sie die beiden Soldaten passiert hatten. Erst als sie um die nächste Ecke bogen, ließ sie ihn los.

„Ich glaube nicht, dass sie uns aufgehalten hätten“, murrte Squall.

„Sicher ist Sicher. Wer weiß, wie genau die es mit ihrer Patrouille nehmen. Sag bloß, es war dir unangenehm?“

„Das nicht… aber wir müssen uns jetzt auf unsere Aufgabe konzentrieren“, antwortete er räuspernd. Tifa sah ihm hinterher. In ihr keimte vage Hoffnung auf. Vielleicht war er doch nicht so ein Eisblock, wie sie bisher angenommen hatte. Aber andererseits hatte er recht… was immer sie vorhatte, es musste warten.
 

Der Platz vor dem Eingang der Lhusu-Minen war erwartungsgemäß leer. Die Stände und Buden der Händler waren verwaist. Vorsichtig näherten sie sich der breiten Treppe, die zu dem Schacht ins Innere des Berges führte. Zwei Soldaten flankierten den Eingang, wie sie erspähten. Nebeneinander knieten sie in der Deckung des Brunnens.

„Was machen wir jetzt?“

„Hm… der Trick mit dem Pärchen wird hier jedenfalls nicht funktionieren“, meinte Squall seufzend. Angestrengt überlegend beobachtete er die beiden Wachen. Sie gingen vor dem Eingang langsam auf und ab, wirkten dabei aber aufmerksam. Die ganze Zeit sondierten sie ihre Umgebung. Dieser Balthier hat mit der Wichtigkeit dieser Mine wohl nicht übertrieben, dachte er. „Wir könnten warten, bis sie aufs- he! He, wo willst du hin?“ zischte er ihr hinterher, doch sie war schon weg.

Fassungslos beobachtete er, wie sie schnurstracks und mit unsicheren Schritten auf die Wachen zuging. Als sie sie bemerkten, glitten ihre Hände sofort zu ihren Schwertgriffen.

„Halt, wer da!?“ rief einer von den beiden. Tifa verschränkte die Arme auf dem Rücken und blickte sich hilflos um. Als sie erkannten, dass es eine Frau war, lockerten sie ihre Haltung.

„Ich glaube… ich habe mich verirrt“, sagte sie in einem unschuldigen Tonfall. Squall griff sich an die Stirn. Nein, nicht der Trick, dachte er kopfschüttelnd.

„Ist ein bisschen spät, um alleine spazieren zu gehen“, sagte die andere Wache und ging auf Tifa zu. „Wie leicht kann da einer jungen Frau was passieren, ha, ha“, lachte er gönnerhaft. Die beiden standen nun vor ihr, und ihre Körperhaltungen verrieten, dass sie mit keinen Angriff rechneten.

„Ich bin auf Urlaub hier, und ich finde mein Hotel nicht mehr. Sie können mich nicht zufällig zurückbegleiten?“ fragte sie honigsüß.

„Tut mir leid, Fräulein, normalerweise gerne, aber wir können hier nicht weg.“

„Ihr müsst die ganze Nacht vor der Mine aufpassen?“

Sie gab ihrer Stimme einen dümmlichen Klang. Squall verdrehte die Augen und verließ die Deckung. Er wusste, was gleich kommen würde. Vielleicht konnte er es verhindern.

„Ja, hübsche Frau, wir müssen aufpassen, dass sich hier niemand rein schleicht. Sollte das passieren, dann bekommen wir ernste Probleme“, sagte einer von ihnen und lachte verhalten. Der Blick des anderen richtete sich auf eine durch die Finsternis nur undeutlich erkennbare Gestalt. Es war Squall, der ungeniert die Treppe hinunter spazierte.

„He, ich glaube, dein Freund sucht dich schon.“

Tifa drehte sich kurz um und wandte sich dann wieder an die Wachen.

„Tatsächlich? Was für ein Glück! Und nun ist es Schlafenszeit!“

Die beiden Wachen sahen sich einen Moment lang ratlos an- bevor sie von blitzschnellen Kinnhaken gefällt wurden. Ihre Rüstungen klapperten, als sie zu Boden stürzten.

„Was sollte das, verdammt!“ rief Squall verärgert und blickte auf die bewusstlos geschlagenen Wachen. „Morgen ist ganz Bhujerba auf den Beinen und sucht uns! Was hast du dir dabei gedacht?“

„Das glaube ich weniger“, erwiderte Tifa gelassen und ließ ihre Fingerknöchel geräuschvoll knacken. „Welcher Soldat gibt zu, von einer Frau umgehauen worden zu sein? Und das, obwohl sie zu zweit waren? Sollte es eine Meldung dieses Vorfalls geben, so wird die Täterbeschreibung seeehr vage ausfallen, da bin ich mir sicher. Außerdem, hattest du eine bessere Idee?“

Von dieser umwerfenden Logik sprachlos, stand Squall mit offenem Mund da und sah, wie sie die Mine betrat. Dann schloss er den Mund wieder und folgte ihr kopfschüttelnd.
 

Die hohen, düsteren Hallen wirkten nun, da es Nacht war, noch bedrohlicher und ehrfurchteinflößender als bei ihrem ersten Besuch. Hier herrschte dieselbe Dunkelheit wie zuvor; sie schien nur jetzt noch greifbarer und dichter zu sein. Ihre Schritte, die lange Echos zurückwarfen, waren die einzigen Geräusche, die an ihre Ohren drangen, bis auf… ein unterschwelliges Mahlen, als würde der Fels selbst, dessen Inneres sie jetzt betraten, ihnen unendlich langsam etwas zuflüstern.

„Und wo suchen wir jetzt?“ fragte Tifa, mehr um die Stille zu durchbrechen.

„Immer gerade aus. Ich hoffe die Stollen sind nicht allzu verzweigt.“ Er warf ihr einen missmutigen Blick zu. „Und dass die zwei Soldaten nicht in Kürze aufwachen, um Alarm zu schlagen.“

„Das werden sie schon nicht“, erwiderte Tifa und winkte ab. „Meine Fäuste enthalten pures Schlafmittel“, fügte sie zwinkernd hinzu. Obwohl noch immer etwas verärgert über ihre spontane Initiative, konnte Squall nicht anders als zurück zu lächeln.

Bald kamen sie in den Hauptschacht, in dem mehrspurige Geleise tiefer in das Erdreich hineinführten. Drückend nahmen sie den Fels wahr, der sich über ihnen auftürmte, je tiefer sie in die Eingeweide dieses fliegenden Kontinents vordrangen. Plötzlich spürten sie einen frischen Lufthauch im Gesicht. Erstaunt blickten sie sich an.

„Wo kommt das her…“, fragte Tifa verdutzt.

„Keine Ahnung… vielleicht die Belüftung?“

Je weiter sie durch den verwaisten Schacht gingen, desto auffälliger wurde es. Und nicht nur die Luft veränderte sich. Auch die Dunkelheit wurde anders, irgendwie… klarer. Und als sie schließlich am Beginn der Brücke standen, merkten sie den Grund.

Tifas Augen wurden groß, und auch Squall erstarrte vor Verwunderung. Vor ihnen begann eine Brücke, über die die Geleise auf die andere Seite führten- wieder in den Berg hinein. Und unter der Brücke zogen vom Mondlicht erleuchtete Wolken vorbei und trieben über massige Kontinente und dunkelblaue Meere dahin. Die Aussicht war erschütternd schön, vor allem, da sie nach allen Seiten ging. Staunend angesichts dieses Wunders überschritten sie vorsichtig die Brücke. Über ihnen hing ein Firmament aus Stein, durch den sich die Schächte der Lhusu-Minen wanden, und unter ihnen lag eine ganze Welt in ihrer ergreifenden Schönheit zu ihren Füßen.

Gegen Ende der Brücke trat Tifa an das Geländer heran. Squall wollte sie schon zur Eile mahnen, doch aus irgendeinem Grund zögerte er. Dann trat er neben sie. Salzige Meeresluft durchflutete seine Lungen, als er in die Tiefe blickte. Die Lücken zwischen den vorbeiziehenden Wolken gaben die Sicht frei auf das Meer, und die Fluten schimmerten im Mondlicht wie silbriges Öl.

„Das ist… wunderschön“, flüsterte Tifa und konnte ihren Blick gar nicht abwenden. Squall nickte nur. Dann sah er sie an, und ihr Haar wallte in der kühlen Brise, die über die Brücke hinweg strömte. Und für einen Moment konnte er nicht sagen, was ihn mehr verzauberte.

„Wir… sollten gehen“, sagte er sich räuspernd. Tifa nickte. Dann wandte sie sich ab. Sie durchschritten das Tor auf der anderen Seite der Brücke, und die dumpfe Umarmung des kalten Felsen umfing sie wieder.
 

Allmählich wurden die Stollen enger. Von den Wänden glänzten nun immer mehr und intensiver die Schätze Bhujerbas herab: Maginit. Doch die beiden hatten dafür keine Augen.

„Und was jetzt?“

Sie standen an einer Gabelung. Der breitere Schacht mit den Schienen führte gerade weiter. Zur Seite verzweigte sich ein schmaler Gang, der nur noch zu Fuß begangen werden konnte. Squall kratzte sich am Hinterkopf.

„Hm… wenn ich ein Monster wäre, so wie dieser Gilgamesch… wo würde ich mich verstecken?“

Tifa wandte sich um und warf ihm einen ratlosen Blick zu.

„Hier drin werden wir uns verirren, wenn wir nicht aufpassen.“

Er drehte seinen Kopf zur Seite. Sein Blick fiel auf den Eingang an der Seite des Schachts.

„Ich schätze… ich würde dort hingehen, wo weniger los ist.“

Zielstrebig betrat er den Eingang, und Tifa folgte ihm schulterzuckend.

Der Gang mündete bald in Stufen, die sich steil emporwanden. Sie kamen vorbei an großen, rätselhaften Maschinen, die offenbar stillstanden und deren Zweck im Dunkeln blieb. Schließlich kamen sie in einen Bereich, der sich von allen bisherigen unterschied. Hier waren die Wände nicht sauber bearbeitet und abgestützt, hier ragte der rohe Fels hervor. Die unregelmäßigen Formen des Stollens verrieten, dass dieser Teil der Mine gerade erst erschlossen wurde. Das Funkeln der Maginite war hier noch intensiver. Scheinbar hatten die Arbeiter der Mine eine vielversprechende Ader freigelegt. Tifas Blick glitt über die in der Dunkelheit funkelnden Wände. Das Glitzern… es war fast wie… Eis.

„Brrr… hier ist es kalt“, sagte sie bibernd und rieb sich die bloßen Schultern. Squall wandte sich zu ihr um.

„Willst du meine Jacke haben“, fragte er und schlüpfte aus ihr heraus. Sie nickte dankbar. Er trat an sie heran und hielt ihr seine SEED-Uniformjacke hin. Sie glitt mit den Armen hinein, während er ihr dabei half. Als er die Jacke über ihre Schulter streifte, berührte er sie leicht. Er war ihr nun ganz nahe, doch anstatt zurückzuweichen, verharrte er hinter ihr. Sie blickte ihn über ihre Schulter hinweg an und flüsterte „Danke“. Er sah ihr in ihre braunen Augen- einen Moment lang glaubte er, in ihnen zu versinken. Sie senkte den Blick und ergriff seine Hand, die immer noch auf ihrer Schulter lag. Sie fühlte sich warm an und war für sie in diesem Moment ein Funken Geborgenheit in dieser drückenden Kälte, die der Berg ausstrahlte. Squall öffnete den Mund, wollte etwas sagen- dann hob sich sein Blick. Einen Moment glaubte Tifa eisigen Glanz zu erkennen, der sich in ihnen spiegelte- dann packte er sie und stieß sie grob zur Seite.

Polternd krachte sie auf den Boden. Ihre Knochen schmerzten, mit solcher Wucht hatte er sie zu Boden geschleudert. Verstört und irritiert schaute sie in seine Richtung- und erstarrte vor Schreck. Sie bekam gerade noch mit, sie ihn eine funkelnde Wolke blauer Eiskristalle traf. Dann erstarrte er, und aus seinen gefrorenen Zügen wich jedes Leben.

Nackter Terror griff nach ihrer Seele, als sie sich langsam von Squalls zu Eis erstarrter Gestalt abwandte. Sie hörte bereits das Sirren von zum Leben erwachter Todeskälte, doch dann sah sie es.
 

Elegant, ja grazil schwebte es etwa ein Dutzend Meter entfernt. Ihre Formen waren makellos, ja betörend. Lange, schlanke Beine, ausgeprägte weibliche Attribute und langes, wie unter Wasser wallendes Haar- Tifa konnte kaum den Blick abwenden. Doch das alles wurde in den Schatten gestellt von ihren Augen. Sie leuchteten aus einem berückend schönem Gesicht- und strahlten eine Kälte aus, die ihre Seele gefrieren ließ. Ein so tiefgründiges, erkaltetes Blau hatte sie noch nie gesehen.

Immer noch gelähmt vom Entsetzen kam Tifa langsam auf wackelige Beine. Das Wesen, das die Form einer Frau aus Eis hatte, fixierte sie kalt und emotionslos. Tifa atmete tief durch und hob die Fäuste. Über ihre Schulter hinweg sah sie Squall, der nunmehr aus Eis zu bestehen schien. Er hatte sie zu Boden gestoßen und das eisige Projektil aufgefangen- nun wurde es ihr klar.

Ihre Gedanken liefen Amok.

Er hat mich gerettet…!

Dieses Monster… warum greift es mich nicht an…?

Das ist doch…

„Shiva…“, sagte das Wesen, und seine violetten Lippen schienen sich mit geringer Verzögerung dazu bewegen. Frostiger Hauch wich aus ihrem Mund.

„Shiva? Aber… was… du bist doch eine Materia… was soll das…“, stammelte sie entsetzt. Dann dröhnte ihr eine Stimme in den Ohren.

„Dies ist deine Aufgabe. Bestehe sie und er wird leben.“

Ruckartig fuhr ihr Kopf herum. Die Quelle der Stimme war nicht auszumachen.

„Wer bist du? Zeig dich, verdammt! Was habt ihr mit ihm gemacht?“

„Bestehe die Aufgabe, und er wird leben. Versage, und ihr beide werdet auf ewig erstarren.“

Fassungslos und auch wütend blickte sie sich in der Höhle um. Außer ihr, Squall und dem Wesen war niemand zu sehen. Dann sah sie, wie der Eingang zu diesem Stollen sich mit rasch wachsendem Eis verschloss. Sie richtete ihren Blick wieder auf Shiva. Ihre Brauen senkten sich auf ihre Augen herab, und pure Entschlossenheit sprach aus ihnen.
 

Shiva hob eine Hand. Partikel aus dichter Kälte sammelten sich darum. Bevor sie noch eine weitere Attacke abfeuern konnte, stürmte Tifa vor. Sie bewegte sich so schnell, dass für einen Beobachter ihre Umrisse verschwommen gewesen wären. Ihre Faust schnellte vor, raste durch Raum und Zeit- und traf das Wesen aus Eis.

Ein kreischendes Geräusch von sich gebend, wankte Shiva zurück. Schnell fing sie sich wieder, und ewige Kälte umfing wieder ihre formvollendeten Züge. Tifa schüttelte stöhnend ihre Hand. Die Kälte schnitt in ihr Fleisch und raubte ihrem Handgelenk jegliches Gefühl. Doch dann dachte sie an ihr Schicksal, das mit dem von Squall eng verbunden war- würde sie fallen, wäre auch er verloren. Mit zusammengebissenen Zähnen setzte sie nach.

Sie wusste nun, dass jegliche Berührung mit der Göttin des Eises höchste Erfrierungsgefahr bedeutete. Und so schlug sie schnell und hart zu, zog aber ihre Fäuste jedesmal so schnell wie möglich wieder zurück, um die brennenden Schmerzen in Zaum zu halten. Die Angriffe schienen Shiva kaum zu beeinträchtigen, zumindest zeigte ihr eisiges Antlitz keine erkennbare Regung wie Schmerz oder Schwäche. Ihre Gegenangriffe waren für Tifa relativ langsam, und sie konnte ihnen ohne große Mühe ausweichen, doch alleine schon die Nähe ihrer vorbeischwirrenden Hände ließ sie beißende Kälte fühlen.

Mit der Kraft und dem Mut der Verzweiflung drängte sie das Wesen aus Eis zurück. Immer öfter landete sie Treffer, doch es war nicht klar, ob sie wirklich Schaden anrichteten. Sie kannte dieses Wesen. Damals hatten sie und die anderen in Junon von einer Frau namens Priscilla eine Materia bekommen, die pure Kälte ausstrahlte. Doch nie hätte sie gerechnet, dass dieses Wesen hier auftauchen und sie angreifen würde.

Gerade als Tifa einen heftigen Tritt gegen die Brust des Wesens landete, taumelten beide zurück. Shiva von der Wucht des Angriffes, und Tifa von dem massiven Widerstand, den sie entgegen brachte. Tifa atmete schwer. Dieser Kampf kostete sie immer mehr Kraft, doch das Wesen schien nicht zu ermüden. Lange würde sie dieses Tempo nicht mehr aufrecht erhalten können. Dann sammelte Shiva Energie für einen neuen Fernangriff. Tifa beugte die Knie und bereitete sich auf ein Ausweichmanöver vor- doch der Angriff kam viel zu schnell.

„Diamantstaub“, hauchte das Wesen, und das Wort, obwohl leise gesprochen, dröhnte in Tifas Ohren, so dass sie fürchtete, ihr Kopf könnte explodieren. Und schon fand sie sich in einer Wolke gefrierender Luft, die alles erstarren ließ. Heftig kämpfte sie gegen die zäher werdende Luft an, sie sie zu umschließen drohte. Immer stärker wurde die eisige Umarmung, der den Tod von ihr und auch Squall bedeuten würde…

Squall…

Je stärker der Zauber aus glänzenden Kristallen sie zu erdrücken drohte, desto stärker regte sich der Widerstand in ihrer Seele. Sie verlor diesen Kampf, das wurde ihr klar. Und gleichzeitig sprengte die Wut und die Verzweiflung darüber fast ihre Brust. Heimliche, verdrängte Gefühle quollen nun empor und bahnten sich einen Weg in ihren kurz vor dem Erfrieren stehenden Verstand. Sie wollte nicht verlieren, sie wollte IHN nicht verlieren. Doch… es war zu spät. Das Gebilde aus hochaufragenden Eiskristallen umschloss ihren Körper vollständig, und ihre Bewegungen kamen zum Stillstand. Durch die dicke Eisschicht konnte man undeutlich ihre letzten Gesichtsregungen erkennen. Shiva trat langsam näher und betrachtete regungslos ihre besiegte Gegnerin. Wie das Standbild einer Kämpferin mit erhobenen Fäusten stand Tifa da, unter einer meterdicken Eisschicht…
 

„Ich kann das nicht“, jammerte sie. Ihre Züge drückten Widerwillen und leisen Trotz aus, den er nicht dulden würde. Die Sonne brannte herab auf das Bergland um Nibelheim, und Meister Zangan zeigte wieder mal kein Erbarmen mit seiner Schülerin. Streng dreinblickend und mit verschränkten Armen stand er neben ihr. Sein von einem Vollbart umrahmtes Gesicht drückte unerbittliche Strenge aus.

„Du kannst es, Tifa, und falls doch nicht, dann wirst du es jetzt lernen. Noch einmal!“ herrschte er sie an.

Die kühle Luft hier oben in den Bergen linderte die drückende Hitze spürbar, und doch lief Tifa der Schweiß über den Körper. Missmutig und auch verzweifelnd blickte sie auf die dicken Holzbretter vor ihr. Sie steckten in einer Vorrichtung, die es erlaubte, sie schnell auszutauschen, doch bis jetzt war dies noch nicht notwendig geworden. In der Mitte hatte sich bereits eine Delle gebildet. Rote Flecken kündeten von ihren Anstrengungen. Ihre Hände zitterten. Blut tropfte von ihren zerschundenen Knöcheln.

„Ich sagte nochmal!“ wiederholte er lauter. Sie zuckte zusammen. Es gab Tage, da hasste sie ihren Lehrer, und dies war heute einer von ihnen. Schon einige Male hatte sie bereut, mit dem Studium der Kampfkünste begonnen zu haben.

Sie biss die Zähne zusammen und ballte die Faust. Mit der Kraft ihres Willens rang sie den Schmerz in ihren geschundenen Händen nieder und holte aus. Wieder krachte ihre Faust gegen die armdicke Holzwand, und wieder zog sie sie vor Schmerz ächzend zurück. Die Holzwand schien unbeeindruckt. Wieder ein Blutfleck mehr.

„So wird das nichts“, sagte Zangan streng und schüttelte den Kopf. Tifa blickte grollend an.

„Ich habe einfach nicht genug Kraft dafür. Und das Holz ist härter als meine Faust“, sagte sie leise.

„Es geht nicht um Kraft oder Härte! Du musst deine Energie, das Chi, bündeln!“

„Aber… ich habe es schon so oft versucht!“ entgegnete sie etwas lauter.

„Hör auf es zu versuchen und TU es! In deinem Geist muss die Faust das Holz zerschmettern! Wenn du daran zweifelst, dann wirst du immer wieder scheitern! Und jetzt nochmal.“

Wieder verschränkte er die Arme und blickte sie unter buschigen Augenbrauen erwartungsvoll an. Tifas Arme schmerzten fast so sehr wie ihre Fingerknöchel. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, es noch mal zu probieren.

Warum tat sie das? Sie hatte sich den Beruf eines Mönchs interessant vorgestellt, und auch in ihrer Tätigkeit als Bergführerin würde er ihr nützen, hatte sie sich gedacht. Oft genug zogen marodierende Banden und fiese Monster durch die Berge von Nibelheim, und so könnte sie sich und auch ihre Kunden vor Angriffen schützen. Die Verwendung einer Waffe war von Anfang an nicht in Frage gekommen. In den Bergen zählte jedes Gramm, und so wollte sie sich bei der Selbstverteidigung auf ihre Hände und Füße beschränken.

Mit zu Schlitzen verengten Augen betrachtete sie das Holzbrett. Starr und unnachgiebig stand es vor ihr. Es war so dick, dass es einer Gewehrkugel widerstanden hätte, und sie sollte es durchschlagen? Den ganzen Tag quälte Zangan sie nun schon mit dieser Aufgabe, und ihre Wut wurde immer größer. Wut auf sich selbst, wegen ihrer Torheit, diese Lehre begonnen zu haben, Wut auf ihren Meister Zangan, der weder Erbarmen noch Vernunft zu kennen schien.

Sie knurrte leise vor sich hin, und in ihrer Vorstellung erschien das Gesicht ihres Meisters auf der eingedellten, blutverschmierten Holzplatte. Sie fühlte, wie der Zorn in ihr hochkochte. Ihre Gelenke knirschten, als sie wieder eine Faust ballte. Leuchtende Partikel umschwebten ihre Faust, dann schlug sie zu.

Einen lauten Schrei ausstoßend, schnellte ihre Faust vor. Ein Lichtblitz glühte auf, und dann regnete es Holzsplitter. Die Druckwelle schleuderte ihren Meister und Mentor beinahe zu Boden. Ungläubig starrte er auf das einen halben Meter durchmessende, saubere Loch, in das sie ihre Faust hielt. Eine helle Aura umgab ihre Hand noch einen Moment, bevor sie erlosch. Auf Zangans Gesicht zeichnete sich ein breites Lächeln ab.

„Ich bin stolz auf dich, Tifa. Vergiss nicht: diese Lektion gilt auch für Gegner, auf die du stoßen wirst. Sie mögen stärker sein als du, oder auch härter. Doch nichts kann deinem geschärften Willen widerstehen. Wenn es dir gelingt, deinen Geist von Zweifel und Angst zu befreien, dann kannst du jeden Feind zerschmettern, egal, wie widerstandsfähig er ist. Diese Kraft ist tief in dir, vergiss das nicht…“
 

Diese Kraft…

Tief… in… mir…
 

Shivas Gesicht spiegelte sich auf der Eisoberfläche. Tifas Züge waren erstarrt, unter der dicken Eisschicht gefangen. Doch dann…

Lichtpartikel flimmerten im Eis auf. Sie sausten hin und her, wurden zwischen den Facetten des Eises hin und her reflektiert. Dann konzentrierten sie sich an einem Punkt. Shiva wich einen Schritt zurück.
 

In einer klirrenden Explosion stoben Trümmer von Eis nach allen Richtungen. Shiva bedeckte ihr Gesicht vor dem Bombardement scharfer Eiskristalle. Es war zwar ihr Element, doch da war noch etwas anderes. Die Entschlossenheit, die den undurchdringlichen Eispanzer gesprengt hatte. Als die Göttin der Kälte ihre Arme wieder senkte- sah sie eine vor Wut rasende Tifa, die wie ein Raubtier auf sie zu schnellte.

Die ersten Schläge konnte sie noch abwehren, doch dann packte Tifa einen ihrer eisigen Arme, und Dampf stieg von ihrer umklammernden Hand auf. Mit gefletschten Zähnen holte sie mit der anderen Faust aus, und Shiva konnte nichts tun als zu beobachten, wie die Faust in Zeitlupe auf sie zu kam.

Der Klang glich einem berstenden Eisberg. Licht und blaue Flammen traten aus, als Shivas Gestalt nach allen Richtungen auseinanderflog. Ein Wirbelsturm aus Kälte, Eiskristallen und blauer Glut fegte durch den Stollen. Dann, Momente später, war es zu Ende.
 

Tifas Atem hallte durch die Höhle. Ihre Gegnerin war verschwunden, besiegt. In ihrer Linken spürte sie ein paar Schneeflocken, die schnell zergingen. Außer einem kreisförmigen Haufen zerfließender Eiskristalle war nichts geblieben. Auch die Kälte verflüchtigte sich. Trotzdem zitterte sie, als sie sich umwandte.

Squall stand immer noch da und rührte sich nicht. Eilig lief sie zu ihm. Sein Gesicht war blass und immer noch kalt. Seine Haut fühlte sich steif an. Verzweifelt strich sie ihm über die Wange. Er reagierte nicht.

„Verflucht…“, presste sie unter Tränen hervor. „Ich habe doch gewonnen… warum…“ Sie legte eine Hand an seine Wange. Ihr tränennasses Gesicht näherte sich seinem, das immer noch erstarrt war. Ihre Lippen berührten ganz zart die seinen. Sie hauchte ihm ihren warmen Atem ein. Momente der Hoffnung verstrichen, doch nichts geschah. Und sie merkte nicht, dass eine durchsichtige, blauleuchtende Frauengestalt hinter ihr erschien…
 

Es fühlte sich an, als spaltete ein Eiszapfen ihr Rückgrat. Wimmernd vor Schmerz brach sie zusammen, als Shivas Geist gewaltsam in den ihren eindrang. Keuchend lag sie auf den Knien. Die Schmerzen, die ihr fast das Bewusstsein geraubt hatten, klangen langsam ab. Sie sah nichts außer Squalls unbewegliche Stiefel vor sich…

Dann rührten sie sich. Squall kniete sich zu ihr hinab und berührte sie an den Schultern. Ihr wirrer Blick traf seinen.

„Was ist geschehen? Wo ist sie hin?“

Tifa schüttelte nur den Kopf, und wieder liefen Tränen über ihre bebenden Wangen. Dann fiel sie ihm um den Hals.
 

Eine Weile hielt er sie so und spürte das Schluchzen in ihrer Brust. Schließlich löste sie sich von seiner Schulter und blickte ihn aus geröteten Augen an.

„Ich hatte Angst… dich zu verlieren…“, flüsterte sie tränenerstickt.

„Sag mir bitte, was passiert ist“, sprach er beruhigend auf sie ein. Sie schüttelte nur den Kopf. „Dieses Wesen… es sah doch aus wie- “ Er blickte über ihre Schulter hinweg und sah etwas. „Wir sollten besser verschwinden.“ In seiner Stimme war etwas Alarmierendes. Tifa wandte sich um und sah es ebenfalls.

Soldaten, jenen gleich, die sie am Eingang der Lhusu-Minen überwältigt hatten, strömten aus der anderen Richtung.

Tifa hob schon kampfbereit die Fäuste. Squall legte ihre eine Hand auf die Schulter und hielt sie zurück.

„Du hast heute genug Leute verprügelt. Wir müssen weg!“

Einen Moment blickte sie ihn widerstrebend an, doch dann folgte sie ihm.

Sie hörten die Schritte der sie verfolgenden Soldaten deutlich, als sie durch die Stollen eilten. Dem Geräusch nach waren es viele, und sie rannten so schnell sie konnten. Jetzt erst merkte Tifa die Erschöpfung des Kampfes, und sie hatte alle Mühe, ihm zu folgen. Seine Entscheidung war richtig gewesen, sie hätte nicht mehr die Energie für einen Kampf.

„Ich hoffe, die kommen nicht auch aus der anderen Richtung“, rief Squall ihr während des Laufens zu. Im nächsten Moment bogen sie um eine Ecke, und seine Befürchtung wurde wahr. Mehrere der Bhujerba-Wachen kamen ihnen entgegen. Knurrend zog er das Löwenherz.

„Wo kommen die nur so plötzlich her… bleib hier, ich erledige das!“ rief er ihr noch zu. Sie waren schon in der Nähe des Ausgangs. Hinter ihnen näherte sich bereits die Truppe, die so überraschend aufgetaucht war.

Mit ungelenken Bewegungen holten die Soldaten mit ihren Schwertern aus, und er erkannte sofort, dass es keine geübten Kämpfer waren. Mühelos parierte er ihre Angriffe, und nach wenigen Streichen mit der stumpfen Seite seiner Waffe lagen die Soldaten ächzend auf den Boden.

Tifa stand daneben und stützte sich auf ihre Knie. Sie rang nach Atem, sie konnte nicht mehr. Squall ergriff ihre Hand und zog sie hoch.

„Wir müssen weiter!“

Er blickte sie muteinflößend an, und sie schöpfte neue Kraft daraus. Ihr Atem ging pfeifend, als sie die Stufen zum Mineneingang hinauf liefen.
 

Ihre Schritte hallten über das Pflaster des nächtlichen Bhujerbas. Squall, der Tifa an der Hand mit sich zerrte, orientierte sich in aller Eile. Die Rufe der Soldaten hinter ihnen wurden allmählich lauter…
 

„Ich sag’s dir, das ist ein guter Job. Keine Gefahr, keine Aufregung… reichst du mir mal bitte den 16er Schlüssel?“

Die Viera stand mit ausdruckslosem Gesicht da und beobachtete ihn. Er lag unter einer der Turbinen, nur seine Füße und die geöffnete Hand waren sichtbar. Gemächlich kramte sie in dem Werkzeugkasten, bis sie das gewünschte Werkzeug gefunden hatte. Dann reichte sie es ihm.

„Danke, Fran. Wir könnten ja von unserer Belohnung problemlos leben… aber so ganz ohne fliegen, kannst du dir das vorstellen?“

Die Angesprochene stand mit verschränkten Armen da und nickte.

„Ja.“

„Hm?“ Das Liegewägelchen kam unter der Turbine hervor, und ein Mann mit ölverschmierten Händen kam zum Vorschein. „Ist das dein Ernst, Fran?“

„Du sagtest, wenn wir die Angelegenheit überleben, dann setzen wir uns zur Ruhe.“

Balthier stützte sich seufzend auf seine Knie.

„Ich weiß. Als ich das sagte, da… da schien mir die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt, ziemlich gering… warte, Fran! Wo läufst du hin?“

Hastig wischte er sich die öligen Hände ab und lief ihr hinterher.

Die aufgebrachte Viera stand nun auf der Rampe zum Flughafen. Die Angehörigen ihres Volkes zeigten Emotionen nur spärlich, und in dieser Hinsicht war sie keine Ausnahme. Ihre abweisende Haltung kam so gesehen einem Wutausbruch nahe.

„Fran. Nun komm schon. Ein Luftpirat geht nicht einfach so in Rente. Das müsstest du doch verstehen…“

Ruckartig drehte sie sich um und stützte ihre Hände in die Hüften.

„Du hast es versprochen. Aber du liebst dieses Schiff wohl mehr als mich…“

Schmollend drehte sie ihm wieder den Rücken zu. Er trat von hinten an sie heran und legte ihr die Arme um die Hüften und sein Kinn auf die Schulter.

„Aber Fran…“, flüsterte er ihr in ihr Hasenohr. „Die ‚Strahl‘ ist nur die zweitwichtigste Frau für mich auf der Welt, das solltest du doch wissen…“

Aufbegehrend löste sie sich aus seiner Umarmung.

„Wir hätten das Schiff damals Vaan überlassen sollen. Mit dem Geld von Ashelia könnten wir uns ein schönes, großes Haus- “

Beide erstarrten und blickten in Richtung des Werfteingangs. Zwei Personen kamen hereingestürmt, wobei die eine die andere praktisch an der Hand mit zerrte.
 

„Schnell! Wir müssen weg!“ rief Squall, als er die Rampe zu ihnen hinauflief.

„Ah, so sehen wir uns wieder, Mister… Leonhart? Und auch die entzückende Miss Lockhart…“

Er warf der schwer atmenden Frau einen zudringlichen Blick zu, woraufhin Frans Augen sich verengten.

„Wir haben keine Zeit. Wir müssen sofort starten!“ rief Squall. Balthier machte eine beruhigende Geste.

„Immer mit der Ruhe. Warum die Eile? Seid ihr etwa… in Schwierigkeiten?“

Noch bevor Squall etwas erwidern konnte, kamen die ersten Soldaten in die Werft geströmt. Sie deuteten auf das Schiff und schwangen ihre Schwerter. Balthier hob eine Augenbraue.

„Damit wäre die Frage beantwortet. Fran, bereite einen Eilstart vor!“ Die Viera nickte nur und lief ins Schiffsinnere. Balthier ging zum Rand der Luke und legte einen Hebel um. Surrend fuhr die Rampe hoch. Während die Soldaten auf die sich schließende Luke zuliefen, wandte er sich seelenruhig an die beiden. „Ihr könnt mir später erzählen, was ihr ausgefressen habt, aber in jedem Fall erhöht dies den Fahrpreis.“ Lächelnd drehte er sich um und ging in Richtung Cockpit, während die ersten Soldaten die sich schließende Rampe erreichten und mit ihren Schwertern dagegen schlugen.
 

Tifa und Squall folgten dem Korridor, und er führte sie direkt zum Cockpit des Schiffes. Ganz vorne saßen Fran und Balthier bereits auf den Pilotensesseln und machten alles für den Start bereit. Durch die Glaskuppel sahen sie, wie wild gestikulierende Soldaten das Schiff einkreisten.

„Hauptaggregat…“

„Bereit.“

„Nebenaggregate…“

„Bereit.“

„Beschleunigungsinfusoren…“

„Nicht bereit.“

Balthier schüttelte nachdenklich den Kopf, während in der Werft eine Sirene aufzuheulen begann.

„Fran, Fran. Ich dachte, du hast bessere Neuigkeiten für mich.“

„Die Überholung ist unvollständig. Wenn wir die Infusoren jetzt aktivieren, fliegt die ‚Strahl‘ auseinander- “

„Ja, mein Schatz, du hast mich schon überzeugt. Nun, dann muss es auch so gehen…“

Ruckartig setzte sich das Schiff in Bewegung. Langsam rollte es auf ein offenes Tor zu. Die Soldaten wichen vor den erwachenden Triebwerken zurück. Dann ertönte ein Brummen, und das Tor begann sich zu senken. Wieder hob Balthier geringschätzig eine Augenbraue. Dann tönte eine Stimme aus dem Funkgerät.

„‘Strahl‘, hier spricht die Flughafenleitung Bhujerba. Sie haben keine Erlaubnis zum Start, ich wiederhole: sie haben KEINE Erlaubnis zum Start. Deaktivieren sie ihre Triebwerke und- “

„Wie aufdringlich“, schnaubte Balthier und stellte das Funkgerät ab. „Was immer ihr getan habt: Freunde habt ihr euch hier keine gemacht“, sagte er zu Squall, der hinter seinem Pilotensitz stand und besorgt auf das sich schließende Tor blickte.

„Schaffen wir das noch? Es ist gleich unten“, gab er zu bedenken. Balthier nahm das Steuer in die Hand und legte mehrere Schalter um. Dröhnend gewannen die Triebwerke an Kraft.

„Keine Sorge, Jungchen. Wir schaffen das, denn… ich bin der Held dieser Geschichte, und ihr wisst doch, was man über den Helden sagt? Er wird NIE erwischt.“
 

Feuerspeiend brüllten die Triebwerke der ‚Strahl‘ auf und machten dem Namen alle Ehre. Soldaten wurden durch die Druckwelle davon geschleudert, als das Schiff durch den sich verengenden Spalt hindurch schoss und glühend den Nachthimmel durchbohrte.

„Na bitte. Ging sich locker aus. Fran, vergiss nicht darauf: Bhujerba fürs erste von der Liste der ansteuerbaren Flughäfen streichen.“

Die Viera nahm ein Klemmbrett zur Hand, die eine Reihe Namen listete. Mit einem Stift machte sie einen Strich quer über ‚Bhujerba‘. Der Großteil der Namen war bereits durchgestrichen, wie Tifa sah. Dann fiel Frans Blick auf eine blinkende Anzeige.

„Wir bekommen Gesellschaft.“

„Tatsächlich?“ Balthier machte ein verwundertes Gesicht. Dann drehte er sich zu den beiden um. „Ihr habt nicht zufällig Halim Ondores geliebten Spazierstock entwendet?“ Die beiden sahen sich ratlos an.

„Nein, das nicht. Wir waren in den Lhusu-Minen. Wegen Nachforschungen“, erwiderte Squall schulterzuckend.

„Du heiliger Maginit! Das erklärt einiges. Fran, wann erreichen sie uns?“ Bevor noch die Viera etwas erwidern konnte, erschütterte ein Treffer das Schiff. Tifa und Squall konnten sich nur Mühe auf den Beinen halten. „Schnallt euch besser an, ihr beiden! Das wird jetzt eine etwas ruppige Fahrt.“ Ein weiterer Treffer schüttelte den Rumpf durcheinander. Die beiden kamen stolpernd auf den Sitzen hinter Fran und Balthier zum sitzen und schnallten sich eilig an. Im nächsten Moment führte die ‚Strahl‘ bereits ein Rollenmanöver durch, dass alles und jeden, der nicht fest verzurrt gewesen wäre, quer durch das Schiff geschleudert hätte.

„Fran, was ist mit den Infusoren? Bitte erzähl mir was Aufmunterndes“, fragte Balthier, während er turbulente Ausweichmanöver flog. Durch die Glasfront sahen Tifa und Squall, wie leuchtende Geschosse sie links und rechts überholten.

„Beschleuniger nach wie vor außer Funktion. Es ist zu riskant“, entgegnete die Viera ungerührt. Wieder traf ein Geschoss das Schiff, und Funken sprühten aus den Armaturen.

„Riskanter als abgeschossen zu werden wohl kaum. Dann haben wir wohl nur noch eine Option“, knurrte ihr Pilot. Dann flog er eine langgezogene Schleife. Sie verloren nun rasch an Tiefe, und bald brachen sie durch die Wolkendecke hindurch. Am Horizont erkannten sie eine dichtbewaldete Küste, auf die sie nun zuhielten. „So was von hartnäckig. Die Schäden am Schiff stelle ich euch in Rechnung“, bemerkte Balthier trocken, während das Schiff weiteren Treffern durch gewagte Flugmanöver entging.

„Wenn wir noch Gelegenheit bekommen, eine Rechnung entgegenzunehmen, soll es mir recht sein“, erwiderte Squall, der festgezurrt hinter ihm saß.

„Ich tue mein Bestes.“

Der Küstenstreifen kam rasch näher, und schließlich rasten sie in geringer Höhe über Baumwipfel hinweg. Die Viera neben ihm blickte ihn an, und zum ersten Male zeigte sich so etwas wie Besorgnis auf ihrem Gesicht.

„Du willst doch nicht… nach Nabudis?“

„Wollen nicht, meine teuerste Fran. Aber die Flotte des Marquis zwingt mich förmlich dazu.“ Wieder krachte es, als ein Treffer den Rump erschütterte. Balthier biss die Zähen zusammen. „Wenn ihr beiden euch schon den Unmut eines ganzen Landes zuziehen wolltet, so hättet ihr damit zumindest warten können, bis wir mit den Wartungsarbeiten fertig gewesen wären. Festhalten!“

Unvermittelt riss er das Steuer hoch. Das Schiff schoss fast senkrecht empor. Die kleineren Jäger hatten Mühe, dieses Manöver mitzugehen. Eine Weile befanden sie sich im Steilflug, dann begannen die Triebwerke auszusetzen. Zuerst stotterten sie, dann verstummten sie ganz.

„Was ist das? Das klingt nicht gut“, sagte Tifa mit besorgter Miene.

„Das ist die Myst. Sie ist stark in dieser Gegend, kein Flugschiff kann es überfliegen.“

„Außer es hat einen ‚Himmelstein‘, einen seltenen Nethizit. Dumm, wenn man ihn beim Kartenspielen verliert.“ In der Stimme der Viera klang ein leiser Vorwurf nach.

„Ich hätte auch nicht gedacht, dass wir ihn nochmal brauchen. Sieht aus, als wären wir unsere Verfolger los.“

Nun herrschte Ruhe. Der Geschosshagel hatte aufgehört. Kein anderes Schiff war mehr in Sichtweite.

„Und jetzt?“ fragte Tifa mit gerunzelter Stirn.

„Jetzt, meine verehrte Dame, suchen wir uns ein gemütliches Plätzchen zum Landen. Kann aber etwas holprig werden.“ Ungläubig starrten die beiden durch die Frontscheibe. Der gesamte Horizont schien zu kippen, und der Wald unter ihnen kam rasch näher. „Fran, Deltaflügel ausklappen. Wir brauchen die volle Gleitfähigkeit.“

Die Viera nickte nur und legte mehrere Schalter um. Während das Schiff antriebslos auf den darunter liegenden Urwald zu schwebte, verkrampften sich Tifa und Squall in ihre Sitze.

Die Baumwipfel kamen rasch näher, und bald hörten sie das Streifen der Baumkronen an der Unterseite des Schiffes. Dann durchbrachen sie das Laubdach. Heftige Schläge erschütterten nun das Schiff, und die beiden beteten, dass sich kein dickerer Baum in ihre Landeschneise verirren möge. Der Durchflug durch Unterholz und kleinere Bäume zeigte bald Wirkung, und die ‚Strahl‘ stand still.
 

Hustend fächelte sich Balthier den Dampf vom Gesicht weg, der von den Armaturen des Cockpits aufstieg. Dann löste er kopfschüttelnd seinen Sicherheitsgurt.

„Alle in Ordnung?“ fragte er in einem beiläufig klingenden Ton. Squall und Tifa blickten sich an. Dann antwortete Squall. „Ich denke schon…“

„Gut. Wenigstens ihr. Denn mein Schiff ist NICHT in Ordnung! Ich hoffe stark, eure Finanzen reichen aus, um mir den gesamten Schaden- “

„Es reicht, Balthier“, unterbrach die bis jetzt schweigsam gewesene Viera ihn in seinem beginnenden Wutanfall. „Wir haben überlebt“, sagte sie in einem ruhigen, aber eindringlichen Tonfall zu ihm. „Das ist im Moment am Wichtigsten.“

Balthier starrte sie einen Moment ungläubig an und rang offenbar mit seiner Fassung, dann ließ er seine erhobenen Handflächen auf die Lehnen seines Sitzes fallen.

„Ja. Du hast wohl recht, Fran.“ Dann stand er auf und ging ohne ein weiteres Wort zu verlieren nach hinten. Tifa und Squall blickten ihm hinterher.

„Dieses Schiff bedeutet ihm viel“, begann Fran zu erklären. „Er ist etwas aufgebracht. Habt Verständnis mit ihm.“

„Wegen der Schäden… wir haben 5000 Gil, wenn das reicht?“ fragte Squall vorsichtig.

„Nicht ganz“, erwiderte Fran lächelnd. Es war zum ersten Male, dass sie eine Gefühlsregung gezeigt hatte, fiel ihnen auf. „Behaltet das Geld. Die Königin von Dalmasca schuldet uns ohnehin noch einen Gefallen. Ihr Reich ist nicht weit entfernt, von dort werden wir Hilfe bekommen.“
 

Balthier lief um das Schiff herum und begutachtete die Schäden. Immer wieder schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. Von seiner üblichen Gelassenheit war nicht mehr viel zu merken. Fran und die beiden standen in geringem Abstand und beobachteten das Geschehen.

„Es tut mir leid, dass wir euch in solche Schwierigkeiten gebracht haben“, sagte Squall mit ehrlichem Bedauern.

„Wir waren schon in bedeutend Schlimmeren. Ihr brauchtet Hilfe, das allein war wichtig.“

„Hm… ich frage mich, warum wir gleich von einer ganzen Flotte verfolgt wurden“, meinte Tifa. „Okay, wir waren in den Minen, obwohl es verboten war, aber gleich so ein Aufgebot? Seltsam…“

„Es lag wohl nicht nur an euch“, erwiderte Fran mit einem wissenden Blick. „Ihr müsst wissen, wir waren nicht immer ehrliche Transportunternehmer. Lange Zeit haben wir als Luftpiraten gearbeitet.“

„Gearbeitet?“ fragte Squall ungläubig. „Äh… wie auch immer.“

„Es mag nicht die ehrenvollste Arbeit sein, aber wir haben immer nur reiche Menschen ausgeraubt. Jene, die mehr als genug besaßen.“

Squall nickte langsam.

„Na ja… bei den Armen hättet ihr eh nicht viel gefunden“, murmelte er kaum hörbar.

„Jedenfalls sind wir ziemlich bekannt, müsst ihr wissen“, fuhr Fran fort, die trotz ihrer großen Ohren diese Bemerkung überhört zu haben schien. „Und wenn ein ehemaliges Piratenschiff in aller Eile und ohne Erlaubnis abhebt, nun… der Flottenkommandant von Bhujerba hat sich wohl seinen Teil gedacht.“ Balthier lief immer noch um das Schiff herum und rüttelte verzweifelt an verbogenen und geborstenen Teilen des Schiffes. „Ihr lasst ihn vielleicht besser alleine. Er wird damit schon fertig.“

Die beiden beobachteten ihn, wie er kopfschüttelnd um das Schiff lief.

„Wir machen am besten einen kleinen Spaziergang“, sagte schließlich Squall. „Vielleicht hat er sich bis dahin abgeregt.“

Die Viera nickte ihnen zu.

„Eine gute Idee. Gebt aber acht. Die Myst ist stark hier, es gibt hier gefährliche Monster.“

„Wir passen schon auf uns auf“, sagte Tifa zwinkernd.
 

Obwohl es noch Nacht war, schien es hier nicht richtig dunkel zu sein. Eine seltsame Stimmung waberte durch die Luft, wie eine Art leuchtender Nebel. Manchmal schienen sich sogar die Konturen der Umgebung in ihm wieder zu spiegeln.

„Seltsamer Ort hier“, sagte Tifa nach einer Weile und durchbrach damit die Stille. „Ich habe mich noch gar nicht bedankt bei dir.“ Plötzlich blieb Squall stehen und schlug sich an die Stirn. Tifa drehte sich zu ihm um. „Was ist los?“

„Das sollte ich dich fragen“, gab er bekümmert zur Antwort. „Die Bruchlandung muss mich durcheinandergebracht haben. Ich hätte dich doch längst fragen sollen, was passiert ist in der Höhle!“

„Aber… das macht doch nichts. Ich bin auch durch den Wind, man stürzt schließlich nicht jeden Tag mit einem Flugschiff ab.“

„Trotzdem…“, erwiderte er beharrlich. „In meinem Beruf als Befehlshaber kann ich mir keine Momente der Verwirrung leisten.“

Schuldbewusst starrte er an ihr vorbei in die Ferne. Sie ging auf ihn zu.

„Aber das ist doch nur menschlich. Jeder ist mal verwirrt…“ Sie sah ihm in die Augen, aber er wich ihrem Blick aus.

„Dieses Ding… das uns angegriffen hat. Erzähl mir, was passiert ist.“
 

Und so gingen sie durch einen nebligen Urwald, der sich langsam lichtete. Der Untergrund wurde sumpfig unter ihren Füßen, und die Vegetation schwand zugunsten einer Marschlandschaft. Aus dem Nebel schälte sich langsam eine Ansammlung Ruinen heraus…

„Und du bist dir sicher, dass es sich Shiva nannte?“

Tifa nickte betrübt.

„Aber… wie ist das möglich?“ Wütend schüttelte er den Kopf. „Da steckt sicher dieser Gilgamesch dahinter…“ Squall verschränkte die Arme und schien angestrengt nach zu denken. Tifas Blick wanderte derweilen über die Sumpflandschaft, in der sie sich mittlerweile befanden. Schließlich blieb ihr Augenmerk an einer Brücke hängen, die zu einer Reihe verfallener Gebäude führte. Neugierig lief sie auf die Brücke. Squall blickte von seinen Gedanken auf.

„He, Tifa! Wo läufst du hin?“ Seufzend folgte er ihr. „Wir sollten besser zurückgehen. Schließlich wissen wir gar nicht, was das hier für ein Ort ist…“ Tifa lehnte am steinernen Geländer und blickte fasziniert in das trübe dahin schwappende Wasser, auf dessen Oberfläche dichter Dampf tanzte. „Hörst du mir nicht zu? Diese Frau hat uns gewarnt, hier könnten alle möglichen Monster- “

Kaum, dass er das Wort zu Ende gesprochen hatte, und schon geschah es. Ein Wesen tauchte aus dem trüben Wasser auf, und trotz seiner Größe sprang es behände auf die Brücke. Die beiden wichen erschrocken zurück. Noch nie hatten sie ein derartiges Wesen gesehen. Es glich eher einem Apparat denn einem Lebewesen. Seine Oberfläche wirkte wie aus Metallplatten zusammengesetzt. Sein Körper war länglich spitz wie ein Turm. Es bewegte sich auf zwei ‚Säulen‘ fort, die es wie Beine hin und her schwang. In der Mitte seines Körpers gab es eine Öffnung, aus der wie aus einem Hochofen ein grelles Feuer loderte.

„Bleib zurück!“ rief Squall und schob Tifa weg. Mit der anderen Hand zog er seine Waffe und ging in Angriffsposition.

„Aber- “

„Kein Aber“, schnitt er ihr das Wort ab. „Den übernehme ich.“

Tifa nickte und ging langsam rückwärts. Hinter ihr lag der Eingang zu den schaurigen Ruinen. Der andere Weg zurück ans Land war durch das Wesen abgeschnitten.

Squall wollte gerade zu einem Angriff ausholen, als ihn das Licht aus dem Zentrum des Wesens blendete. Mit einer Hand beschirmte er sein Gesicht.

„Verflucht… was soll das…“

Das Licht wurde noch greller, dann schien es ihn zur Gänze einzuhüllen. Einen Moment lang glaubte er, keinen Boden unter den Füßen mehr zu spüren, dann dröhnte eine ihm völlig unbekannte Stimme durch seinen Kopf.

„Dies ist nur für dich bestimmt…“
 

„Hä?“

Dieser Gedanke füllte seinen Kopf zur Gänze aus, als er sich an einem völlig veränderten Ort wiederfand. Es war kein Sumpf mehr, und das Wesen von vorhin war auch verschwunden. Stattdessen dröhnte ein harter Gitarrenriff an seine Ohren.

Er stand in einer dunklen Halle. Vor ihm sah er eine tobende Menschenmenge. Sie war um eine Bühne versammelt, auf der eine Band spielte. Völlig fassungslos ließ er seine Gunblade sinken. Gerade noch bekam er die erste Zeile des Songs mit: „Maybe I’m a Lion…“

Total perplex näherte er sich der Menge, die im Takt des Heavy Metals auf und absprang, der auf der Bühne gespielt wurde. Bunte Stroboskopblitze sorgten für die düstere Atmosphäre, die für sein solches Konzert passend war. Von Tifa war keine Spur. Er sah nur tobende Zuhörer, die voll mit der ohrenbetäubenden Musik mitgingen. Dann schaute er genauer auf die Bühne. Die Band bestand aus einem Gitarristen, einem Bassisten, dem obligatorischen Schlagzeuger sowie zwei Keyboardern, von denen ihm einer gesondert auffiel. Er hatte langes, schwarzes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar. Auf seiner Nase ruhte eine Brille, und er hatte einen Oberlippenbart. Auf seinem Keyboard erkannte Squall undeutlich einen Schriftzug.

„‘The… black… Mages‘?“ las er leise. „Nie gehört…“

Dann fiel sein Blick auf den Bassisten, der einen langen Mantel trug. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen, so dass man es nicht erkennen konnte. Argwöhnisch blickte er sich in der Halle um. Es gab keine erkennbaren Ausgänge.

Er hatte sich noch immer nicht von der Überraschung erholt, an einem so unerwarteten Ort aufzutauchen, als plötzlich die Musik verstummte. Er drehte sich wieder zur Bühne um.

„Yeah, Leute… eine tolle Stimmung, echt!“ begann der Bassist mit der Kapuze vor dem Gesicht ins Mikrofon zu sprechen, und eine schrille Rückkopplung pfiff in Squalls Ohren. „Schön, dass ihr so zahlreich gekommen seid. Auch wenn wir eigentlich nur für einen besonderen Gast spielen…“ Die Stimme kam Squall irgendwie bekannt vor, er konnte aber beim besten Willen nicht sagen, woher. Dann teilte die Menge sich vor ihm und er wusste, wer gemeint war. „Und zwar für… Squall Leonhart, unseren Ehrengast heute, yeah…“ Der Mann zeigte mit dem Finger auf ihn, und Applaus brandete auf. Squall blickte sich unbehaglich um. Er ahnte, dass irgendetwas Unangenehmes auf ihn zu kam. Dann lüftete der Bassist seine Kapuze, und schlagartig wusste Squall, was los war…

„Damit hast du nicht gerechnet, was, Kumpel?“

Der Mann lachte ihn an und zeigte dabei weiße Raubtierzähne. Sein Kopf war der… eines Löwen. Sein Fell war blau. Ansonsten hatte er die Gestalt eines Menschen. Squall schloss langsam die Augen und griff an seinen Anhänger, den er an der Brust trug.

Griever…

„Genau! Schön, dass du dich an mich erinnerst!“ sagte das Mensch-Löwenwesen und hängte sich die Bassgitarre ab. Dann schlüpfte er aus seinem Mantel und warf ihn weg. Zum Vorschein kam ein ziemlich muskulöser Oberkörper.

„Was soll das Ganze? Wo bin ich hier? Und wo ist Tifa?“

Der Mann sprang mit einem eleganten Satz von der Bühne und ging federnden Schrittes auf ihn zu.

„Fragen, Fragen, Fragen… du hast dich nicht geändert, Squall.“

Er merkte nun, wie die Menschenmenge einen Kreis um sie bildete. Von allen Seiten blickten die Menschen ihn ausdruckslos an und zeigten, dass sie ihn nicht gehen lassen würden.

„Griever… ich habe dich besiegt. Du kannst nicht hier sein.“

„Mich besiegen?“ erwiderte er lachend und tippte sich auf die Brust. „Du kannst dich nicht selbst besiegen, Junge! Und deshalb bleibe ich dir auch erhalten, he, he…“

Langsam umkreiste ihn Griever und ließ ihn keinen Moment aus den Augen.

„Was willst du von mir?“ fragte Squall knurrend.

„Was ich von dir will? Es sieht eher so aus, als würdest du etwas von mir wollen. Sonst wärst du nicht hier, he, he…“

Sein höhnisches Gelächter begann an Squalls Nerven zu zerren. Angriffsbereit hob er seine Gunblade. Im Moment später löste sie sich in Luft auf. Fassungslos starrte er seine leeren Hände an.

„Aber, aber! Das lassen wir schön weg. Sonst wäre es doch unfair, oder, Squall?“ Kaum, dass er von seinen leeren Händen aufblickte, da traf ihn schon die Faust des Wesens mitten im Gesicht. Ächzend fiel er nach hinten.

„Was ist los, mein kleiner Squall? Deine Reflex-Werte waren doch immer so gut, ha, ha…“

Tänzelnd wie ein Boxer umrundete er ihn, während er mit zusammengebissenen Zähnen auf die Beine kam. Kaum, dass er stand, folgte schon der nächste Hieb. Diesmal war er gefasst und wehrte ihn ab.

„Du willst kämpfen? Okay! Ich hab dich schon einmal geschlagen, ich werde es wieder tun!“

Nun drang Squall auf Griever ein und traktierte ihn mit einer schnellen Abfolge von Fausthieben. Sein Gegner parierte alle Attacken und grinste dabei auch noch. Dann ging er zum Gegenangriff über. Ein schneller Tritt seiner Lederstiefel an Squalls Schienbein ließ ihn in die Knie sinken. Dann traf ihn eine harte Linke am Wangenknochen. Stöhnend fiel er hin.

„Was ist mit unserem großen Helden, hä? Dem Retter des Gardens…“ Knurrend packte er ihn am Hemd und zog ihn hoch. Ohne dass er es verhindern konnte, landete Griever mit der Rechten mehrere Treffer in seiner Magengrube, während er ihn mit der linken am Hemd festhielt. Ein Kniestoß ließ ihn schließlich zu Boden gehen.

Squall wälzte sich keuchend am Boden. Alles drehte sich um ihn herum. Regungslos starrten ihn die Zuschauer an, während Griever um ihn im Kreis tänzelte und Verspottungen vom Stapel ließ. Mühsam kam er auf die Knie und hustete Blut. Breit grinsend kam der Löwenmann auf ihn zu und packte ihn am Kragen. Genüsslich holte er zu einem Schlag mitten in Squalls Gesicht aus- als plötzlich sein Grinsen erstarb. Es wurde zu einer verkniffenen, höchst schmerzhaften Grimasse.

„Ich bin noch nich‘ am Ende“, keuchte Squall und spuckte Blut aus. Seine rechte Hand befand sich zwischen Grievers Beine und quetschte dort eine SEHR empfindliche Region zusammen. Er ließ aus, und Griever ging langsam in die Knie. Dabei hielt er sich mit beiden Händen die besagte Region. Nun umkreiste Squall ihn.

Mit einem Ärmel wischte er sich das Blut aus dem Gesicht. Dann versetzte er Griever einen Tritt gegen den Kopf, so dass dieser vornüber stürzte. Ächzend kämpfte er sich hoch, doch zuvor trat Squall ihm gegen die Rippen. Er rollte davon, und nun spuckte auch er Blut. Das höhnisch lachende Gesicht Grievers war nun von Hass verzerrt. Schneller als erwartet kam er auf die Beine und rannte auf Squall zu. Dieser durchschaute die von Zorn geprägte Attacke und wartete seelenruhig ab. Im letzten Moment fing er den Tritt seines Gegners ab und lud ihn sich auf die Schulter. Mit einer kraftvollen Aufwärtsbewegung schleuderte er ihn davon. Krachend schlug er auf den Boden auf.

Schon etwas angeschlagen kam Griever wieder auf die Beine. Aus seinen Zügen glühte Entschlossenheit, als er abermals angriff. Squall wehrte die nun umso heftigeren Attacken nur mit Mühe ab. Schließlich konnte er einen Gegentreffer landen. Daraufhin packte Griever ihn an der Schulter und wollte ihn zu Boden reißen. Squall reagierte schnell genug und stemmte sich dagegen. Dann packte er seinen Kontrahenten mit beiden Händen am Nacken und versetzte ihm einen heftigen Kopfstoß. Der Aufprall war härter als erwartet, und er kippte beinahe um.

Als er wieder klar sah, stand Griever vor ihm. Sein blaues Fell war struppig. Er blutete aus einer großen Platzwunde am Kopf. Aber in seinen Augen leuchtete immer noch Angriffslust. Wild röhrend stürmte er auf ihn zu. Squall konnte nicht schnell genug reagieren, und so packte er ihn an der Hüfte und riss ihn zu Boden.

Griever drückte ihn mit dem Schultern zu Boden und versuchte eine Hand freizubekommen, um ihm einen vernichtenden Schlag zu versetzen. Squall wehrte sich nach Leibeskräften gegen den über ihm knieenden Gegner. Schließlich schlang er seine Beine um seine Hüften und drückte zusammen. Griever brüllte auf vor Schmerz, bevor durch den Druck die Luft aus seinen Lungen entwich. Dann rollte Squall sich zur Seite und drückte ihn wiederum zu Boden. Die bis jetzt teilnahmslosen Zuschauer begannen zu jubeln und ihn anzufeuern. Alles um ihn herum wurde zu einem aufheizenden Hexenkessel der Gewalt. Die Schmerzen und der Geschmack des Blutes in seinem Mund machten ihn rasend. Und nun kniete er über seinem Opponenten, die Faust zum Schlag erhoben. Griever lag unter ihm und atmete schwer. In seinem blutverschmierten Löwengesicht war keine Regung mehr zu erkennen. Der Lärm der Zuschauer dröhnte ihn Squalls Ohren.

„Töte ihn! Töte ihn!! Töte ihn!!!“

Schwer atmend, hielt er immer noch die Faust erhoben. Er brauchte nur zuzuschlagen. Ein direkter, kraftvoller Hieb auf seine Nasenwurzel würde den Knochen brechen und die Bruchteile direkt in sein Hirn treiben. Es war ein schneller und schmerzloser Tod. Der Anblick eines zerschmetterten Schädelknochens war nicht schön, aber Squall erinnerte sich gut an seine SEED-Ausbildung.

„Na los…“, hustete Griever. Squall zögerte. Dann ließ er die Faust sinken und stand auf. Die Menschen um ihn herum skandierten immer noch lautstark „Töte ihn!“ Squall wandte sich um und brüllte.

„Seid still, verdammt!“

Schlagartig verstummten alle. Griever erhob sich langsam. Mit einer zitternden Hand wischte er sich das Blut aus dem Gesicht.

„Warum hast du es nicht getan?“

Squall blickte ihn mit müden Augen an.

„Weil… ich mich nicht selbst besiegen kann…“

Plötzlich brach Griever in lautstarkes Gelächter aus. Als sich Squall umsah, verschwanden die Zuschauer. Dann die Bühne, die Halle… schließlich standen sie inmitten leerer Schwärze. Griever hörte auf zu lachen.

„Du hast recht. Du hast gezeigt, dass du wahrhaft stärker bist als ich…“

Er nickte langsam, und dann stürmte er ohne Vorwarnung los. Squall war zu erschöpft, um auszuweichen. Und so hechtete Griever geradewegs auf ihn zu- um in seiner Brust zu verschwinden. Squalls Anhänger glühte ein letztes Mal auf, dann wurde alles dunkel…
 

Als er zu sich kam, spürte er am Rande seines Bewusstseins, wie ihn jemand über den Boden schleifte. Dann hörte er Mauern einstürzen. Schließlich verebbte der Lärm, und eine Frau beugte sich über ihn. Ihre Augen… waren kastanienbraun. Wie die Augen… von Rinoa…
 


 


 

Puh... was für ein Kapitel! Wir wollen den beiden eine Pause gönnen und schauen einstweilen, was eigentlich mit dem Stolz von Shinra, den beiden Elite-Turks passiert ist. Lest weiter...
 


 


 


 

„Wenn ich noch einmal im Leben Kartoffeln essen muss, dann kotze ich mich an.“

Mit einem Gesichtsausdruck, der am ehesten noch der blumigen Metapher ‚angefuckt‘ gerecht wurde, feuerte Reno die so eben geschälte Kartoffel auf den Haufen. Zu den Zigtausend anderen. Dann schob er sich symbolisch den Zeigefinger in den Rachen und streckte die Zunge heraus. Rude saß neben ihm und schälte mit stoischer Ruhe seine Kartoffel. Wo Reno angewidert und völlig lustlos ungefähr die Hälfte jeder Kartoffeln wegschnitt, ging Rude mit großer Sorgfalt vor. Erst als sie von allen Seiten rund und glatt war, legte er sie vorsichtig zu den anderen. Dieses bedingungslose Pflichtbewusstsein machte ihn seit Jahren zu einem unverzichtbaren Mitglied der Turks, und nun eben zu einem gewissenhaften Helfer in der Kombüse eines Schiffes. Argwöhnisch schaute ihm Reno zu.

„Ich könnte fast glauben, diese Idiotenarbeit macht dir Spaß“, ätzte er höhnisch. Rude blickte von seiner Arbeit nicht auf, bei der er wie immer seine Sonnenbrille trug.

„Ist eine gute Arbeit“, erwiderte er knapp, immer noch ins Schälen vertieft. „Man muss nicht viel denken.“

„Tja, dann bist du wohl geboren dafür“, sagte Reno leise. Dann ging sein gelangweilter Blick durch den Raum, in dem sie saßen. Außer Küchengeräten, schiefen Schränken und einem winzigen Bullauge gab es hier nichts. Und Kartoffeln natürlich. Dann wanderte sein Blick zur Tür, die zum Deck führte. Und auf dem sich ein gutes Dutzend bewaffneter und nicht sonderlich freundlicher Seemänner befand. „So ein Mistkahn… mir tut immer noch alles weh von letzter Nacht. Wie kann man nur in einer Hängematte schlafen!“

„Ich habe gut geschlafen“, gab Rude zur Antwort. Reno tippte sich an die Stirn.

„Na klaaar! Willst du nicht vielleicht anheuern bei denen? Von der Frisur her passt du optimal hier her.“ Reno grinste über seinen Scherz, aber Rudes Gesicht verfinsterte sich noch mehr als sonst. Reno erkannte das Warnzeichen und zog es vor, seine eh schon sehr ausgeprägte Geduld nicht weiter zu belasten. „Ich bin aber immer noch dafür, dass wir uns auf die Beine stellen und ein bisschen die Möbel gerade rücken“, fügte er hinzu und machte ein trotziges Gesicht dabei.

„Negativ“, brummte Rude. „Sie sind deutlich in der Übermacht. Hast du Regel 7 aus dem Handbuch der Turks vergessen?“

Reno verdrehte die Augen und wackelte seufzend mit dem Kopf.

„Ja, ja… ‚Regel Nummer 7 besagt: nur angreifen, wenn der Sieg gewiss ist oder eine schnelle Fluchtmöglichkeit besteht‘, ich weiß…“ Gelangweilt griff er sich eine Kartoffel und hackte murrend die Seiten weg, während Rude Millimeter für Millimeter seiner Knolle von der Schale befreite. Plötzlich ging die Tür auf. Reno hob die Hand vors Gesicht, um sich gegen das grelle Licht abzuschirmen. Rude hatte dank seiner Gläser keine Probleme. Einer der Seemänner erschien in der Tür.

„Uf mit euk, ihr Waschlapp’n. Endstation!“ bellte er sie an.
 

Sie hatten einen Hafen erreicht, wie sie nun sahen. Reno blinzelte in die Sonne, die vom Himmel brannte. Das Schiff lag an einer belebten Pier vor Anker. Ein reges Kommen und Gehen an Schiffen herrschte hier. Dann wanderte sein Blick weiter auf die Stadt. Sie war zum Land hin nach allen Richtungen von einer massiven Stadtmauer umgeben. Landeinwärts herrschte Wüste. Die Stadt selbst wurde überragt von einem turmartigen Gebilde, das in den Himmel ragte und wohl so eine Art Palast beherbergte. Dann stieß ihn der Seemann unsanft in den Rücken.

„Weidergeh‘n, du Qualle!“ schimpfte er, und Reno warf ihm einen giftigen Blick zu. Von zwei Seemännern eskortiert, gingen sie den Landungssteg hinunter, während die restliche Crew bereits dabei war, die Ladung zu löschen. „Da wär’n wir, ihr Leichtmatros’n. Dat is‘ Nalbina. Laut Seefahrerrecht setz’n wir euch im nächs’n Hafen aus, und dat wäre hier.“ Reno seufzte gelangweilt und steckte die Hände in die Hosentaschen.

„Na toll. Sollen wir uns vielleicht noch bedanken für die Überfahrt?“

„Pass bloß auf, du Fischkopp! Noch’n Wort, und- “

Reno hob beschwichtigend die Hände und setzte eine Unschuldsmiene auf.

„Oh Verzeihung! Wie unhöflich von mir… da fällt mir ein, wir haben uns ja noch gar nicht richtig vorgestellt, nicht wahr, Rude?“ Er zwinkerte ihm zu, und sein langjähriger Partner kapierte sofort. Reno tat so, als würde er sich an der Brust kratzen und griff dabei in sein Jackett. „Darf ich vorstellen… wir sind die Turks!“ sagte er erwartungsvoll grinsend. Der glatzköpfige Seemann schnaubte verächtlich.

„Und? Was kümmert mich dat?“

„Und ihr… seid am Arsch!!“ grollte Reno. Synchron holten er und Rude ihre Viehstäbe hervor. Sekundenbruchteile später jagten Elektroschocks durch die Körper der beiden Seemänner, ausgehend von empfindlichen Stellen. Die beiden verpassten den sich vor Schmerz auf dem Boden windenden Männern noch einige Tritte, dann rannten sie los, bevor noch jemand anderes der Crew etwas von dem Vorfall mitbekam.
 

Nachdem sie sicher waren, dass keiner der Crewmitglieder die Verfolgung aufgenommen hatte, verlangsamten sie ihre Schritte. Schwer atmend stützte Reno sich auf seine Knie. Dann richtete er sich lachend wieder auf.

„Denen haben’s wir‘s gegeben, was, Rude, altes Haus!“

Er hob die Handfläche, sein Partner schlug ein. Dann sahen sie sich um. Sie standen mitten auf einem belebten Marktplatz. Ringsum gab es Stände und Läden, in denen Händler lautstark ihre Waren anpriesen. Dazwischen drängte sich ein dichtes Gewühl von Menschen, Bangaas und Seeks. Und über all dem ragte die Nalbina-Festung in den Himmel, warf aber durch den hohen Stand der Sonne kaum Schatten auf den heißen Sandstein, aus dem die Stadt gebaut war.

„Und was machen wir jetzt“, fragte Rude ernst. Reno warf ihm einen ratlosen Blick zu und kratzte sich am Kopf.

„Keine Ahnung, Mann… Rufus hat doch gesagt, dass sie ein Tor öffnen, damit wir zurück können, oder?“

Rude nickte knapp.

„Ja… aber wo? Ich glaube, wir sollten dorthin, wo wir gelandet sind… in dieses ‚Plafond-heim‘, oder wie es hieß…“

„Quatsch“, bellte Reno und winkte verächtlich ab. „Noch einmal auf so ein Schiff und zwei Tage durch die Gegend schippern? Bloß nicht! Und außerdem… bin ich mir sicher, dass dieses Tor-Dingsda etwas mit dem Dingsa-Gerät zu tun hat, das sie dir gegeben haben.“ Reno zeigte auf seine Jackettasche, und Rude zog das rätselhafte Gerät heraus. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die nach wie vor leere Anzeige. „Und was steht drauf? Steht drauf ‚kehrt zu eurem Ausgangspunkt zurück‘?“

Rude schüttelte langsam den Kopf. Probeweise schüttelte er das Gerät und klopfte drauf, doch die Reaktion war dieselbe.

„Nichts.“

„Siehste? Solange wir das Ding dabei haben, ist es egal, was wir tun…“ Seufzend fächelte er sich Luft zu und öffnete sein Hemd noch weiter. „Mann… hier ist es ja noch heißer als in der anderen Stadt. Wie hältst du das nur aus?“

Verwundert schaute er Rude an, der nach wie vor sein Jackett hochgeschlossen trug mitsamt der obligatorischen Krawatte. Reno hegte die Vermutung, dass er den Anzug nicht einmal zum Schlafen ablegte. Letzte Nacht hatte er es jedenfalls nicht getan. Rude räusperte sich nur und kontrollierte den Sitz seines Krawattenknotens.

„Gut. Shinra wird sich schon was dabei gedacht haben, bei dem Gerät. Aber was machen wir jetzt?“

„Na ja, sehen wir uns die Gegend ein bisschen an. Und was zum Futtern, genau! Nach zwei Tagen bei Wasser und Kartoffeln brauche ich jetzt unbedingt was anderes.“

Schon stürzte er sich ins Getümmel. Rude folgte ihm zögernd.

„Die Kartoffeln waren doch nicht schlecht“, murmelte er dabei.
 

Bald erblickte Reno einen Stand, der die verschiedenen kulinarischen Genüsse dieses Landes anbot. Kartoffeln waren keine zu sehen, und so kostete er sich durch das Angebot. Der Händler, ein listig dreinschauender Bangaa, sah ihm interessiert zu, wie er sich den Magen vollschlug. Rude hatte sich ebenfalls etwas genommen und betrachtete es immer noch skeptisch.

„Ihr beide… ihr seid reisende Abenteurer, richtig?“ fragte der Bangaa.

„So was in der Art“, sagte Reno mit vollem Mund.

„Das glaube ich gerne“, erwiderte er grinsend. „Ich habe euch vorher beobachtet. Als ihr hier ankamt.“

Beinahe verschluckte sich Reno bei der Erwähnung. Doch schnell fand er seine Coolness wieder.

„Ja… wir haben uns bei der Gelegenheit über den schlechten Zimmerservice während der Überfahrt beschwert.“

„Seid ihr da sicher?“ lachte der Bangaa. „Die Piraten aus Balfonheim nehmen normalerweise keine Reisenden mit. Wart ihr nicht eher… blinde Passagiere?“ Reno ließ den Bissen sinken und schaute ihn finster an. Beschwichtigend hob der Bangaa die Hände. „Ich mache euch keinen Vorwurf! Im Gegenteil, ich freue mich, dass es mal jemand diesem Piratenpack gezeigt hat. Schon öfter haben mich die bei Geschäften übers Ohr gehauen.“

Renos Gesicht hellte sich nach dieser Anerkennung auf. Stolz nickend wandte er sich an Rude.

„Tja, man darf sich von so Gesindel nicht alles gefallen lassen, stimmt’s, Rude?“

„Mein Name ist übrigens Luccio, der Händler! Und ihr beide seid…?“

„Meinen Kumpel kennst du ja schon. Ich bin Reno, und wir sind die…“ Wie auf Kommando griff Rude bei dem Stichwort nach seinem Viehstab. Reno blickte ihn warnend an und schüttelte eilig den Kopf. „Äh… vergiss es. Ja, wir sind Abenteurer, die durchs Land ziehen. So kann man es sagen, jawohl.“ Wieder biss er herzhaft in seine Leckerei hinein. Rude betrachtete noch eine Weile seine Portion und sah sich dann nach einer diskreten Möglichkeit um, sie zu entsorgen.

„Wenn das so ist… ich hätte einen Job für euch. Seid ihr interessiert?“

Reno wurde hellhörig.

„Tatsächlich?“

„Ja. Ich werde mein nächstes Lager in den Mosphoran-Bergen aufschlagen. Ich will mich aber keiner Karawane anschließen, da die unverschämte Gebühren verlangen. Deshalb suche ich ein paar Abenteurer, die mir Geleitschutz geben können. Und ihr könnt euch mit Händen und Füßen wehren, das habe ich gesehen.“

„Hm…“, machte Reno und biss noch einmal ab.

„Ich zahle natürlich mit harten Gil, keine Frage.“

Reno kaute vor sich hin. Rude tippte ihm auf die Schulter.

„Klingt nicht uninteressant… wie weit ist es denn bis zu diesen… ‚Phosphor-Bergen‘?“

„Das Mosphoran-Gebirge liegt etwa einen Tagesmarsch entfernt. Besonders in den Bergen selbst gibt es viele Monster, aber mit denen werdet ihr locker fertig, da habe ich keine Zweifel.“

Rude tippte immer noch auf Renos Schulter, was dieser gekonnt ignorierte.

„Und was springt für uns dabei raus?“

„Ich gebe euch 500 Gil pro Nase, wenn ich und meine Ware unbeschadet dort ankommen. Natürlich sorge ich auch für eure Verpflegung.“

Angesichts der ganzen Köstlichkeiten vor seiner Nase, die ihnen die nächsten Tage kostenlos zur Verfügung stehen würden, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Rude griff ihm an die Schulter, doch Reno winkte nur ab.

„Wir sind dabei! Wann geht es los?“

„Wunderbar!“ rief Luccio und klatschte in die Hände. „Gleich morgen früh baue ich meinen Laden ab, und dann marschieren wir los!“
 

Reno besiegelte die Abmachung mit einem Handschlag. Rude stand nur daneben und blickte teilnahmslos und ernst drein wie meistens. Nebeneinander schlenderten sie durch den Markt. Die Sonne sank, und die Luft wurde angenehm kühl im Vergleich zur Hitze des Tages.

„Das kommt mir sehr verdächtig vor“, begann Rude nach einer Weile.

„Glaubst du, der bescheißt uns? Das will ich ihm nicht raten, sonst bekommt der meinen Viehstab dorthin, wo die Sonne niemals- “

Rude blieb abrupt stehen und packte ihn an der Schulter.

„Hör mir mal zu! Er hat uns GIL versprochen, ist dir das nicht aufgefallen?“

Reno machte ein verdutztes Gesicht und hob die Schultern.

„Ist doch gut so. Nur für Fressalien hätte ich’s nicht gemacht…“

Verzweifelt über die lange Leitung seines Partners schüttelte Rude den Kopf und atmete geräuschvoll aus.

„Denk doch nach, Reno! Wir sind hier… wer weiß wo, eine andere Welt oder sowas… und die haben dasselbe Geld wie wir?“

„Ist doch praktisch. Wenn man auf Urlaub herkommt, zum Beispiel.“ Reno klopfte ihm auf die Schulter, schenkte ihm sein unvergleichliches Lächeln und ging weiter. Rude gab seufzend auf und folgte ihm.
 

Trotz intensiver Suche erwiesen sich alle Gasthäuser von Nalbina als überbelegt. Und so suchten sie sich einen Platz in einer verlassenen Schaustellerbude am Markt. Die Nachtluft war erfrischend, und der Sandstein, aus dem der Boden überall bestand, strahlte angenehme Wärme aus. Und so lagen sie nebeneinander auf einem Stapel zurückgelassener Planen und starrten in den sternenübersäten Nachthimmel über der nabradianischen Wüste, in der Nalbina lag.

„Das erinnert mich an damals…“

„Hm…“, antwortete Rude, der schon fast eingeschlafen war. Seine Sonnenbrille hatte er jetzt in seinem Jackett verstaut.

„Damals… ich weiß gar nicht, ob ich dir das schon mal erzählt habe… ich stamme übrigens aus Kalm, wusstet du das?“

Rude brummte automatisch zustimmend. Es war schon öfter vorgekommen, dass die beiden auf Nachteinsätzen waren, in denen Reno seinem Ruf als Quasselstrippe mehr als gerecht wurde. Rude hatte gelernt zu schlafen UND ihm gleichzeitig zuzuhören. Oder zumindest diesen Eindruck zu vermitteln.

„Hm…“

„Ich wollte einfach nur diesem Kaff entfliehen und das wahre Leben kennenlernen. Und das habe ich auch schnell, und zwar als Penner und Herumtreiber in den Slums von Midgar, unter der ‚verrottenden Pizza‘… bis ich dann eines Tages Tseng bei einer Schlägerei aufgefallen bin. ‚Willst du nicht Turk werden‘, hat er mich gefragt. Und so hat es angefangen“, erzählte er seufzend und voller Wehmut. Rude neben ihm begann leise zu schnarchen. „Bis dahin habe ich oft unter freiem Himmel geschlafen, so wie jetzt. So viele Sterne hab ich aber nie gesehen. Entweder weil die ‚Platte‘ drüber war oder wegen dem Smog. Schön, nicht?

Rude machte ein zustimmendes Geräusch, um dann laut auf zu schnarchen. Wieder seufzte Reno wehmütig.

„Ja, das waren Zeiten… und wie war das eigentlich bei dir? Hast ja auch nie was von früher erzählt…“ Reno blickte zur Seite und sah, dass er bereits tief schlief. Er hob eine Augenbraue, senkte sie dann aber wieder. „Na dann… gute Nacht, Rude.“

Rude brummte reflexartig etwas zurück, dann schloss auch Reno die Augen.
 

Am nächsten Morgen suchten sie pünktlich Luccio auf. Er hatte bereits seine gesamte Handelsware auf einem Karren verladen und mit einer Plane verzurrt. Erwartungsvoll blickte er die beiden an.

„Kann es los gehen? Wenn wir uns beeilen, erreichen wir die Berge, bevor die größte Nachmittagshitze einsetzt.“

„Aber immer“, antwortete Reno gewohnt lässig.

„Nun… nicht nur ich brauche Schutz, wie ich bereits erwähnt habe“, begann Luccio zu umschreiben. „Auch meine Ware natürlich, ähem.“

Sein Blick fiel auf die beiden. Renos Blick hingegen fiel auf den schweren Karren. Und dann auf Rude. Hinter seiner Sonnenbrille verzog dieser unmerklich das Gesicht.
 

„Ja, das macht das Leben eines Abenteurers erst lebenswert, nicht wahr, Rude? Das weite Land… unbekannte Gefahren… ungeahnte Schätze…“ Reno, der lässig seinen Viehstab auf der Schulter trug, deutete mit einer theatralischen Geste in die Ferne, und Luccio, der einen Sack auf dem Rücken trug, nickte zustimmend.

„Ja, ganz super…“, ächzte Rude, der den Karren ziehen musste, was auf dem sandigen Untergrund keine leichte Aufgabe war. „…ungeahnte Mühen, vielleicht…“

„Ach ja… vergiss nicht, mich zu erinnern, dass ich dich mal ablöse“, sagte Reno in einem kameradschaftlichen Ton und klopfte dem ächzenden Rude auf die Schulter.

„Ganz bestimmt nicht“, stöhnte Rude, als er den Karren wieder mal über einen im Weg liegenden Stein zerren musste.

Nach allen Richtungen erstreckte sich die dalmascanische Ostwüste, so weit ihr Auge reichte. Nur gelegentlich wurde sie gesäumt von schroffen Sandsteinformationen, an denen schon seit Zeitaltern der Wind nagte. Die Ödnis dieses Landstriches wurde nur manchmal von Dornenbüschen und umherstreunenden Cockatricen unterbrochen. Reno verscheuchte diese rundlichen Tiere problemlos mit ein paar Fußtritten. Rude stellte bei diesen willkommenen Pausen ächzend den schweren Karren ab. Reno fragte dann jedesmal, ‚ob es denn noch ginge‘. Doch bevor der mit Worten nicht allzu schnell reagierende Rude etwas sagen konnte, reckte Reno nur grinsend den Daumen hoch, um eilig den Weg fortzusetzen. Bis es ihm zu viel wurde.

Mit verschränkten Armen und einem nur durch seine Sonnenbrille gedämpften finsteren Blick stand Rude nun vor ihm. Der Karren hing an einer besonders sandigen Stelle fest.

„Hättest du doch gleich was gesagt“, sagte Reno kopfschüttelnd und ging lässig schlendernd auf den Karren zu. Vor dem Schiebebügel blieb er stehen und spuckte sich effektvoll auf die Handflächen. Dann packte er den Bügel und zerrte an ihm, ohne zu grinsen aufzuhören. Doch der Karren rührte sich nicht. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst, und er biss die Zähne aufeinander. Er begann vor Anstrengung zu zittern, und es dauerte eine Weile, bis der Karren wieder in Bewegung war. Schnaufend bewegte er sich an Rude vorbei. Dieser lächelte vorsichtig, was bei ihm einem Lachkrampf gleichkam.

„So ist das eben… mit dem weiten Land.“

Mit fröhlicher Miene ging er an Luccios Seite voraus, während Reno am Karren hing und ihm ungläubig hinterher sah.
 

Der Tag verging, und die Landschaft veränderte sich. Allmählich ging es bergan. Man erkannte das schon alleine daran, dass sich die beiden die Aufgabe nun teilten. Der zweifellos kräftigere Rude zog nun wieder den Karren, während Reno schob. Die Wüstenei ließen sie nun hinter sich und kamen auf den Pass, der das Mosphoran-Gebirge durchschnitt. Es war ein relativ breiter Pfad, der aber eben bergauf ging. Links und rechts türmten sich die merkwürdigen Gesteinsformationen auf, für die dieses Gebirge bekannt war. Einsam stehende Felsnadeln, schroffe Überhänge und massive Gebirgsstöcke aus braunrotem Stein wechselten sich ab. Nur spärlich war die Vegetation, die aus flach am Boden wachsenden Kräutern und palmenähnlichen Büschen bestand.

Luccio ging voran, während die beiden sich mit dem Karren abmühten.

„Ich würde euch ja gerne helfen“, behauptete Luccio, „aber jemand muss die Umgebung im Auge behalten. Die Monster hier sind nicht ungefährlich, das kann ich euch sagen…“

Von dieser so offensichtlich nicht ehrlichen Aussage aufgeregt, ließ Rude den Bügel des Karrens los. Sonst war er kaum aus der Reserve zu locken, doch nach einem Tag voller Plackerei kam er sich schon vor wie Sisyphos, nur dass er statt einer Steinkugel einen Karren hatte, was aber nicht weniger mühselig war. Reno, hinter dem Karren, hatte plötzlich alle Mühe, das Zurückrollen zu verhindern. Stöhnend stemmte er sich gegen den Karren. Rude wollte schon Luccio gegenüber seinen Unmut äußern, als der Karren wegzurollen drohte. Schnell griff er wieder zu, und Luccio drehte sich gerade um, als das alles passierte.

„Habt ihr Schwierigkeiten mit dem Karren?“ fragte er arglos. „Ich gebe zu, ich habe in Nalbina eine Menge Ware gebunkert, die ich dort oben verkaufen mö- “

Er erstarrte mitten im Satz. Ein durchdringendes Heulen wurde von den Felswänden hin und her geworfen. Von Furcht ergriffen, wandte er sich nach allen Seiten um.

„Was ist denn jetzt wieder“, ächzte Reno genervt. Dann horchte auch er auf. Mit der freien Hand tastete er nach einem Stein, den er unter das Rad des Karrens legte.

„Das ist ein… Humbaba!“ rief Luccio ängstlich. Wie ein in die Enge getriebenes Tier blickte er sich um.

„Ein Humba-was?“ fragte Rude. Luccio begann heftig zu gestikulieren.

„Das ist ein Riesenvieh! Sieht aus wie ein Wolf, aber geht auf zwei Beinen und ist viel größer!“

„So wie das Ding… da drüben?“ fragte Reno und verzog das Gesicht. Hinter einem Felsen kam eine Kreatur hervor, auf die Luccios Beschreibung relativ gut passte. Fast dröhnte die Erde unter seinen Schritten, als es näher kam.
 

Es besaß tatsächlich große Ähnlichkeit mit einem Wolf. Seine raubtierartige Schnauze beherbergte Reihen von scharfen Zähnen, die zweifelsohne zum Zermalmen von Knochen und Fleisch gedacht waren. Seine Vorderklauen benützte es wie Hände. Ungelenk, aber auch nicht gerade langsam, stapfte es auf den Hinterläufen aufrecht auf sie zu. Dann riss es das Mal auf und röhrte markerschütternd los. Durch das Echo schien es, als sei eine ganze Herde versammelt.

Rude drehte sich um. Reno und Luccio sah er nicht mehr, und als er sich wieder umwandte, stand der Humbaba direkt vor ihm. Rude, der es nicht gewohnt war, vor irgendetwas, das ihm in den Straßenschluchten von Midgar oder Edge begegnete, zurückzuweichen, blieb kerzengerade stehen. Und doch musste er den Kopf in den Nacken legen, um dem Ungetüm in die Augen zu sehen.

Der gewaltige Brustkorb des Ungeheuers bewegte sich auf und ab, als es scheinbar überlegte, was dies sein konnte. Offenbar hatte es sich in seinem bisherigen Dasein nur flüchtender Beute gegenüber gesehen. Und so war dies eine neue Erfahrung. Rude richtete sich die Krawatte, dann zog er seinen Viehstab hervor. Die Waffe wirkte lächerlich winzig im Vergleich zu den riesigen Pranken des Monsters. In der Tat war der Viehstab, die Hauptwaffe der Turks, keine sonderlich starke Angriffswaffe. Man musste sie nur an den richtigen Stellen einsetzen, das wusste Rude nur zu gut.

Mit einer blitzschnellen Bewegung stieß er dem Humbaba den Elektroschocker in die Magengegend. Britzelnd entlud sich der Stromschlag, doch das Wesen schien unbeeindruckt. Probleme ahnend, blickte Rude an dem massigen Körper empor. Dann holte das Wesen mit einer Klaue aus. Der Hieb schleuderte Rude mehrere Meter nach hinten.

Stöhnend vor Schmerz rappelte er sich auf. In seinem Gesicht hing noch ein Überrest der zerbrochenen Sonnenbrille. Mit aufgebrachter Miene betrachtete er den abgebrochenen Bügel. Ein lauter Schrei lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Humbaba.

Wild schreiend hing Reno am Nacken des Monsters. Offenbar war er von einer erhöhten Stelle das Untier angesprungen. Nun hing er am Hals des riesigen Viehs und trotzte den Abschüttelungsversuchen. Mit Müh und Not bekam er eine Hand frei und langte nach seinem Viehstab. Schließlich gelang es ihm, ihn hervorzuziehen. Mit letzter Kraft drückte er ihm das Ende gegen den Hals. Vor Schmerz aufbrüllend schüttelte es Reno ab wie ein lästiges Insekt. Doch offenbar hatte er wirklich eine empfindliche Stelle erwischt, denn der Humbaba ging in die Knie. Rude fletschte die Zähne und holte eine neue Sonnenbrille hervor.

Er ergriff seinen Viehstab mit beiden Händen und holte im Laufen aus. Mit aller Kraft ließ er die Waffe gegen den Kopf des Ungeheuers prallen. Im selben Moment entlud sich die elektrische Ladung auf seiner empfindlichen Kopfpartie, und das Wesen stürzte zu Boden. Schwer atmend beobachteten sie, wie sich das besiegte Wesen auflöste. Hinter einem Felsen kam nun auch Luccio zögernd hervor. Argwöhnisch betrachtete er die Stelle, an der das Monster verendete.

„Das ging ja noch mal gut“, sagte er hörbar aufatmend. Er stellte sich zwischen die beiden und klopfte ihnen anerkennend auf die Schultern. „Ich wusste, dass ich mich auf euch verlassen kann. Wirklich gut gema- der Karren!!“

Entsetzt deutete er auf den Karren. Der Stein unter dem Rad hatte sich gelöst, und der Karren machte sich selbstständig. Reno und Rude rannten eilig los.
 

„Na endlich…“, stöhnte Reno und richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Als er seine Hände in den Rücken stützte und ihn durchbog, ertönten knackende Geräusche. Sie hatten ihr Ziel erreicht, wie es aussah. Zumindest ging es nicht mehr bergauf.

Sie standen nun mitsamt ihrer beschwerlichen Fracht auf einem Hochplateau, das malerisch umrahmt von den ringsum aufragenden Felswänden lag. Dichtere Vegetation als auf ihrer bisherigen Strecke untermalte den einladenden Eindruck. Blühende Büsche und sogar einige Bäume säumten den großen Platz. Sie waren nicht die einzigen Ankömmlinge, wie sie sahen. Schon andere Händler hatten hier ihr Lager aufgeschlagen, um vorbeikommende Reisende mit Gütern aller Art zu versorgen.

Als sie den Karren an einen freien Platz am Rande des ebenen Gebietes schoben, kamen sie an Ansammlungen verwegen aussehender Männer und Bangaas vorbei. Sie alle trugen Rüstungen und Waffen, und es waren offensichtlich keine Händler. Abschätzig musterten sie die Neuankömmlinge, um sich dann wieder ihren heftigen Diskussionen zu widmen.

„Das sind Kopfgeldjäger“, sagte Luccio fast flüsternd, als sie sie passierten. „Geht denen lieber aus dem Weg. Für Geld bringen die jeden um.“

Reno stieß Rude lachend an, der nun wieder den Karren zog.

„So wie wir Turks“, scherzte er. Schließlich erreichten sie einen unbesetzten Platz, an dem Luccio begann, seinen Stand zu errichten. Doch zuvor wandte er sich an die beiden.

„Ihr habt eure Sache gut gemacht. Hier ist eure Bezahlung.“

Er hielt Reno einen gefüllten Beutel hin. Dieser ergriff ihn und langte hinein.

„Diese Kopfgeldjäger… was tun die so“, fragte er, während er eine der Goldmünzen mit den Zähnen prüfte.

„Das sind zwielichtige Gesellen. Sie warten an Orten wie diesen auf Auftraggeber. Das können zum Beispiel…“ Luccio überlegte, während er die Plane vom Karren zog. „…Händler sein, die seltene Handelsgüter suchen, die nur bei gefährlichen Monstern zu finden sind. Oder Forscher, die rare Spezies suchen und katalogisieren.“

Mit einem klimpernden Geräusch verschwand der Beutel in Renos unergründlichen Taschen.

„Das wäre doch eine Arbeit für uns, oder, Rude?“

Dieser ließ seinen sonnenbebrillten Blick über den Platz schweifen.

„Möglich. Wir sind aber immer noch im Auftrag der W.R.O.“

Luccio blickte von den Stangen auf, mit denen er seinen Stand errichten wollte.

„W.R.O.? Was ist denn das?“

„Äh, nichts“, antwortete Reno eilig. „Na ja… brauchst du noch unsere Hilfe?“

„Danke, ihr zwei, aber hier bleibe ich fürs erste. Aber ihr könnt euch natürlich melden, wenn ich wieder den Weg ins Tal antrete. Dann ist es mit dem Karren auch viel leichter“, sagte er grinsend.
 

„Ich glaube, wir sollten einfach nur den Karren ziehen. Von wegen Leibwächter“, brummte Rude, während sie einen Rundgang auf dem Platz machten.

„Tja, er hat unsere Qualitäten halt erkannt“, antwortete Reno abwesend. Rude warf ihm einen skeptischen Blick zu.

„Hörst du eigentlich zu?“

„Genau, den werden wir fragen!“

Er deutete auf einen Bangaa, der im Zentrum der Aufmerksamkeit der größeren Ansammlung von Kopfgeldjägern stand. Er gestikulierte lebhaft, während alle zuhörten.

Rude wollte noch etwas sagen, doch Reno ignorierte ihn und ging schnurstracks auf die Menschenmenge zu.
 

„He, Leute! Darf ich mal…“ Smarte Blicke austeilend drängte er sich durch die Menge der Kopfgeldjäger. Rude folgte ihn mit einer Mischung aus Loyalität und der Gewissheit, dass er sie beide wieder in Schwierigkeiten bringen würde. „Danke fürs Durchlassen, Kumpels. Hey, Boss!“ rief er dem Bangaa in der Mitte zu. Dieser bemerkte den Störenfried einen Moment später.

„Was willst du?“ knurrte dieser.

„Ihr seid doch… Kopfgeldjäger, oder?“ fragte Reno vorwitzig. Rude stand nun hinter ihm und richtete sich nervös die Krawatte.

„Hast du einen Auftrag für uns? Wenn oder was sollen wir erledigen?“

Reno hob beschwichtigend die Hände.

„Nein, nein, kein Auftrag. Ihr sucht doch immer fähige Leute, oder?“ Er lachte in die Runde, erntete aber nur verständnislose Blicke. Dann verdrehte er seufzend die Augen. „Die wären wir hier. Wenn ihr uns gut bezahlt, leisten wir auch wertvolle Arbeit.“ Selbstbewusst verschränkte er die Arme. Die Kopfgeldjäger sahen sich schmunzelnd an.

„Pech für euch. Mein Jagdring braucht im Moment keine neuen Mitglieder“, erwiderte der Anführer brüsk. „Und wenn es so wäre, dann würde ich sicher nicht nach zwei so halben Portionen wie euch suchen“, fügte er lästernd hinzu. Alle begannen zu lachen, mit Ausnahme von Reno und Rude natürlich.

„Was… ? So `ne Frechheit. Das brauchen wir uns von einer aufrecht gehenden Eidechse und ihrem verlausten Gefolge nicht sagen zu lassen.“
 

Die Steine knirschten unter ihren Schuhen, als sie den Pfad hinab hetzten. Dicht hinter sich hörte Reno den pfeifenden Atem seines langjährigen Partners. Und ein Stück weiter das Trampeln einer aufgebrachten Menge.

„Sind sie… noch hinter uns… her?“ fragte Reno zwischen den einzelnen keuchenden Atemzügen.

„Ich dreh… mich jetzt… nicht um“, erwiderte Rude atemlos.

Die Ansammlung rauer Burschen hatte ziemlich empfindlich auf sein loses Mundwerk reagiert, wie sie feststellen mussten. Im Angesicht der Übermacht hatten sie die Flucht vorgezogen, doch offenbar wollten ihre Verfolger nicht so schnell aufgeben und die Drohungen von vorhin wahr machen.

Sie waren den erstbesten Weg davon gestürmt, und dieser führte sie nun die andere Seite des Passes bergab. Über verwinkelte Pfade und abschüssige Steinbrücken liefen sie talwärts, mit einer wütenden Meute im Nacken.
 

Reno hatte bereits das Gefühl, es wäre seine Lunge und nicht seine Zunge, die ihm beim Mund hinaushing. Er fiel fast hin, als er seine Schritte verlangsamte. Schmerzhaft keuchend stützte er sich auf seine Knie, als ihn Rude überholte. Schwindelig vor Anstrengung warf er einen Blick nach hinten. So weit er von hier aus den Bergpfad überblicken konnte, sah er niemanden.

„He, Rude… du kannst stehen bleiben“, schnaufte er. Sie waren nun auf einer Brücke, die eine tiefe Schlucht überspannte. Auf der anderen Seite veränderte sich das Gesicht des Landes völlig.

Rude kam zum Stehen und drehte sich um. In seinen Augen blitzte Zorn auf, und das selbst durch seine Sonnenbrille. Mit weiten Schritten kam er auf Reno zu, der immer noch außer Atem war.

„Das war ja knapp, Junge…“, murmelte dieser kopfschüttelnd, als ihn Rude plötzlich am Kragen packte.

„Ja, das war knapp! So knapp, wie ich dir eben fast den Hals umgedreht hätte!“

Renos entgeisterter Blick spiegelte sich auf seinen Gläsern.

„He, Mann!? Was is‘ los?“

„Was los ist? Ich sag dir, was los ist! Seit wir hier sind, bringst du uns in Schwierigkeiten! Zuerst die Sache mit den Piraten, und jetzt das!“ Schnaubend ließ er seinen Kragen los. Verwirrt schauend richtete Reno ihn sich wieder. „Wir sind hier nicht mehr in Edge, kapierst du das nicht? Du kannst nicht mehr zu den Leuten hingehen und sie anmachen! Die kennen hier keine Turks, und wir haben hier auch keinen Shinra-Konzern im Rücken oder sonstwen…“ Verächtlich schnaubend nahm er seine Sonnenbrille ab und wischte mit dem Ärmel den Staub von den Gläsern. Reno blickte perplex zu Boden.

„Aber… das… ich meine…“ In einer hilflosen Geste hob er die Arme und ließ sie seufzend wieder fallen. „Es tut mir leid… ich mach‘ wirklich nur Unsinn…“ Verdattert starrte er ins Leere und begann zu schluchzen. „Ich… ich bin für gar nichts gut! Alles mache ich falsch…“ Rude schüttelte genervt den Kopf.

„Jetzt hör schon auf…“

„Und immer hab ich dich reingezogen!!“ rief er heulend und schlug sich selbst gegen den Kopf.

„Hör gefälligst auf zu flennen!“ herrschte ihn Rude an. Wenn es etwas gab, das mehr nervte als Reno, dann war es ein jammernder Reno. Gequält seufzend ging Rude auf seinen Partner zu. Irgendwie musste er diesen Anfall von Selbstmitleid beenden.

„Ich hab das nicht so gemeint…“

Noch bevor er reagieren konnte, fiel ihm Reno um den Hals. Mit angewidertem Gesichtsausdruck ließ Rude diese sentimentale Geste über sich ergehen und klopfte ihm vorsichtig auf die Schulter. Dann endlich ließ er ihn wieder los.

„Danke, Rude“, sagte dieser schniefend. „Du bist mein bester Freund…“

Leider, dachte Rude.

„Ja, ja… und jetzt reiß dich zusammen.“

Und so gingen sie schließlich weiter, ans andere Ende der Brücke.

„Rude?“

„Ja?“

„Ich kann mich nicht erinnern, dass du mal so viele Sätze hintereinander gesagt hättest… he, nicht hauen! Ich hör schon auf!“
 

„Hm… komische Gegend“, murmelte Reno. Auf der anderen Seite der Brücke begann dichter Wald. Turmhohe Urwaldriesen ragten in einen dunstigen Himmel und bildeten einen lebhaften Kontrast zu der kargen Felslandschaft des Mosphoran-Gebirges. Das dichte Blätterdach tauchte alles in fahles, grünliches Licht. Breite Holzbrücken führten zwischen den mächtigen Stämmen der uralten Bäume hindurch. Ein Boden war in der düsteren Tiefe nicht erkennbar. Für die beiden, die die längste Zeit ihres Lebens im grauen Großstadtmoloch verbracht hatten, eine denkbar ungewohnte Situation.

„Und wohin jetzt? Das ist das reinste Labyrinth“, sagte Rude ratlos, als sie wieder einmal zu einer Gabelung kamen. Reno blickte sich unschlüssig um.

„Zurück ist wohl keine so gute Idee… dort oben sind wir ja jetzt eher unbeliebt“, sagte er grinsend, doch sein Partner hatte inzwischen den Rest seines ohnehin kargen Humors verloren.

Sie blickten zum Himmel. Das Licht wurde mit der Zeit noch düsterer, als es durch die Filterung der Laubdächer ohnehin schon war. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Reno gähnte lautstark.

„Also ich bin dafür, dass wir einen Platz zum Pennen suchen. Wird eh bald dunkel.“

Rude merkte, dass er durch seine Sonnenbrille nicht mehr allzu viel sah und stimmte ihm zu. Ohne zu überlegen, entschieden sie sich für eine Richtung und gingen weiter.

„He, was ist das? Sieht aus wie eine Hütte…“

Reno deutete auf eine moosüberwachsene Hütte, die am Rande des Holzsteges lag.

„Vielleicht wohnt da jemand“, erwiderte Rude skeptisch.

„Das werden wir gleich herausfinden“, sagte Reno zwinkernd und ging voraus.
 

Vorsichtig steckte Reno seinen Kopf zur Tür herein. Dann blinzelte er verdutzt. Die Hütte hatte tatsächlich einen Bewohner, aber einen, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Mit hochgezogener Augenbraue näherte er sich dem schlafenden Geschöpf.

Es sah aus wie eine überdimensionale Maus in schrillen Klamotten. Über seinem Kopf hing ein roter Bommel, der sich im Takt seiner Schnarchlaute hin und her wiegte. Als Reno das Geschöpf eine Weile anstarrte, erwachte es plötzlich. Heftig gähnend setzte es sich auf und erwiderte Renos verwunderten Blick.

„Was bist du für ein Vieh…?“

„Ich?“ fragte das Wesen mit piepsender Stimme und tippte sich mit seiner winzigen Hand an die Brust. „Ich bin natürlich ein Mogry, kupo! Was für eine seltsame Frage!“

„Ein Mogry, so, so…“ sagte Reno nickend und zog seinen Viehstab hervor. „Was immer du bist, du kannst draußen schlafen.“

„Was, ich soll hier raus, kupo!?“ empörte sich das putzige Wesen. „Ich habe das Tor zur Phon-Küste repariert, da habe ich mir doch- “

Schrill quietschend raste das Wesen an Rude vorbei, der gerade die Hütte betrat. Reno stand grinsend vor ihm und hielt noch den knisternden Viehstab in der Hand. Rude verschränkte finster dreinschauend die Arme. Mit einer Unschuldsmiene hob Reno die Schultern.

„Was ist? Hab ihn nur ein bisschen gekitzelt, hi, hi…“
 

Nach einer unruhigen Nacht inmitten eines ständig raschelnden, gurrenden oder sonst welche Laute produzierenden Urwaldes setzten sie ihren Weg fort. Längst hatten sie die Orientierung verloren und liefen ohne zu überlegen über Gabelungen des hölzernen Weges. Wenigstens mussten sie keinen Hunger leiden, denn immer wieder kamen sie an Büschen mit schmackhaften Früchten vorbei. Schließlich standen sie irgendwann vor einer lianenüberwucherten Ruine, in deren teilweise eingestürztes Mauerwerk ein düsterer Gang führte.

Argwöhnisch betrachtete Rude das verfallene Gemäuer, das über die Zeit hinweg fast schon mit dem es umgebenden Wald verschmolzen war.

„Da rein? Ich habe kein gutes Gefühl…“

Reno, der an einer roten Frucht kaute, ging arglos an ihm vorbei und in die Ruine hinein.

„He, warum nicht? Vielleicht gibt’s was wertvolles da drin.“

Kopfschüttelnd blickte Rude ihm nach, wie er in dem finsteren Gang verschwand. Und dann folgte er ihm, wie immer…

C&Sh2

Einen schönen Gruß an alle Leser! Diesmal geht es weiter mit Cid und seinem Schiff, das ja durch einen Spalt in der Realität in eine andere Welt gezogen wurde. Ratet mal, wo wir nun sind…
 


 


 

Wie jeden Tag packte Samuel seine Angelsachen ein. Feinsäuberlich ordnete er Köder, Haken und natürlich seine Pfeife samt Tabak, bevor er das Haus verließ. Mit der Rute unter dem Arm und seinem Angelkoffer in der freien Hand blinzelte er in die Sonne. Es versprach, ein schöner Tag zu werden.

Nur wenige Wolkenfetzen trübten den perfekten Himmel an diesem Morgen. Leise pfeifend ging er den Weg aus auf einem Erdwall angehäuften Stahlplatten entlang. Wie er sah, war sein Nachbar schon länger wach und versuchte wieder mal, die verschiedenen Windräder auf seinem Dach zu reparieren. Samuel winkte ihm zu.

„Guten Morgen, Grease Monkey! Wieder mal Ärger mit den Windrädern?“

Der Angesprochene sah von seiner Arbeit auf dem Dach seiner bizarren Behausung auf. Die Ärmel weit über seine öligen Unterarme aufgekrempelt, winkte er mit einem Schraubenschlüssel.

„Ja, ja… ich glaube, ich muss alle ersetzen!“ antwortete er lachend. Kopfschüttelnd und mit einem fröhlichen Gesicht ging Samuel weiter. Die Windräder auf Grease Monkeys Haus erzeugten keinen Strom, im Gegenteil, sie verbrauchten auch noch welchen. Doch das spielte keine Rolle, denn die gewaltige Solaranlage im Zentrum ihrer Enklave erzeugte mehr Strom, als alle nutzlosen Maschinen dieser Welt würden verbrauchen können. Es war eben sein Hobby, augenscheinlich zwecklose Maschinen zu bauen und zu warten. Jeder hier hatte ein Hobby, und dies war das der meisten. Samuel hingegen angelte, und auch wenn er keinen einzigen Fisch fing, so blieb doch immer ein Gefühl der Zufriedenheit in ihm zurück am Ende eines Tages.

Das gewaltige Rund, das nur aus Spiegeln und Voltaikzellen bestand, schimmerte wie glühendes Gold in der Morgensonne. Samuel folgte den Schienen, die direkt an der riesigen Anlage vorbeiführte. Die dicke Rostschicht verriet, dass schon seit langem kein Zug mehr über sie hinweg gerollt war. Wie jeden Tag bestaunte er einen Moment die imposante Solaranlage, bevor er den Weg Richtung Meer einschlug.

Auch wenn ‚Weg‘ wohl das falsche Wort war. Denn die gesamte Enklave war AUF dem Meer erbaut. Auf aufgeschütteten Fundamenten hatte visionärer Ingenieursgeist eine Stadt errichtet, auf dem die vielleicht klügsten Köpfe dieser Welt nun ihr Dasein friedlichen und damit in den Augen der Regierungen dieser Welt meist nutzlosen Aufgaben widmete. Und das genau war der Grund gewesen, warum diese Stadt entstanden war.

Sein Weg führte vorbei an rostigen Türmen und Ölförderanlagen, die schon seit langem nicht mehr in Betrieb waren. Steil wanden sich Treppen an den Türmen und Silos empor, und Samuels Atem wurde schwer. Dieser Weg, den er jeden Tag mehrmals zurücklegte, hielt ihn gesund und in Form, davon war er überzeugt. Und so nahm er die Mühsal gerne auf sich.

Schließlich stand er auf dem höchsten Punkt der Stadt und überblickte zufrieden das Meer, das sich nach allen Seiten erstreckte. Nur nach zwei Seiten hin durchschnitt eine scharfe Linie die makellose, blaue Fläche. Es waren die Schienentrassen, die vor dem großen Krieg erbaut worden waren. Nun waren sie nicht mehr als Mahnmäler machtpolitischen Größenwahns.

Die Kräne und Ausleger ragten weit übers Meer hinaus. Samuel bemühte sich, nicht nach unten zu sehen. Obwohl er diesen Weg schon so oft gegangen war, die saugende Tiefe nach allen Seiten machte ihm immer noch zu schaffen. Er fühlte eine gewisse Erleichterung, als er seinen Liegestuhl und den daneben stehenden Sonnenschirm erreicht hatte. Diese standen am Ende eines Auslegers und boten einen perfekten Platz zum Angeln, eine entsprechend lange Angelschnur vorausgesetzt. Zufrieden schnaufend stellte er den Koffer mit dem Angelzeug ab und legte die Rute daneben hin. Dann begann er mit der wichtigsten Vorbereitung für einen gelungenen Angeltag: er entzündete seine Pfeife.
 

Genüsslich und in Zeitlupe bewegte er das Streichholz auf seine mit Tabak gefüllte Pfeife zu. Im letzten Moment stoppte er. Zögernd schielte er über das Ende der Pfeife hinweg. Blitze zuckten durch die Luft.

Blitze? An einem fast wolkenlosen Sonnentag? Dann geschah es…
 

Die Blitze wurden heftiger und rissen ein schwarzes Loch in den blauen Himmel. Reflexartig ließ Samuel alles fallen und rannte los. Der gewaltige Schiffsbug, der aus dem Himmel selbst zu wachsen schien, bewegte sich unerbittlich auf ihn zu. Hinter sich hörte er das Knirschen von sich verbiegenden und verwindendem Metall, als er den Ausleger entlang stürmte. Er wagte es nicht, auch nur einen Moment über seine Schulter zu blicken. Das brauchte er auch nicht, denn in der nächsten Sekunde überholte ihn das riesige Ding und knickte dabei die anderen Kräne und Ausleger am Rande der Ölförderanlagen ab wie trockene Äste. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als die Treppe bei den Silos hinab stürmte. Über seinen Kopf hinweg flogen geborstene Metallteile. Alles um ihn herum versank in einem Inferno aus knirschendem Metall und brechenden Stahlträgern. Im letzten Moment warf er sich auf den Boden, als ein Teil der Anlage auf ihn herabstürzte.
 

Er hatte großes Glück gehabt. Eine stabile Verstrebung hatte ihn davor bewahrt, von der oberen Plattform des Treppenbereichs zerquetscht zu werden. Vorsichtig kroch er unter dem Haufen Schrott hervor. Das ‚Ding‘ war nun zum Stillstand gekommen, war gebremst worden von den Silos, in denen es jetzt mit dem Vorderteil drin steckte. Ungläubig starrte Samuel auf den elegant geschwungenen Rumpf empor, der ihn um ein Haar zermalmt hatte. Und irgendwie kam ihm diese Situation bekannt vor. Schon einmal hatte er so was erlebt. Mit einer zittrigen Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn und murmelte kopfschüttelnd: ‚Willkommen in Fisherman’s Horizon…‘
 

Missmutig öffnete er den Notausstieg unterhalb der Pilotenkanzel. Stirnrunzelnd warf er einen Blick ins Freie. Seufzend kaute er auf seiner Zigarette herum.

„So eine verfluchte Scheiße…“

Es waren nicht mehr als zwei Meter auf festen Boden, und so sprang er raus. Knurrend stützte er die Hände in die Hüften und besah kopfschüttelnd den Schaden am Schiff. Dann tauchte Shera in der Luke auf.

„Und? Wie sieht’s aus?“

„Beschissen. Das gibt ´ne Menge Ausbeularbeit.“
 

Immer wieder derbe Flüche ausstoßend, lief er auf den zerbeulten Ölförderanlagen hin und her. Inzwischen half Shera Anne und den Kindern aus dem Schiff heraus. Zögernd blickten sich die Vier in dieser ihnen unbekannten Welt um. Vor allem der glänzende Ozean erregte ihr Erstaunen. Cid hatte aber nur Augen für die Schäden an seinem geliebten Schiff. Irgendwann tippte Shera ihm auf die Schulter.

„Was ist, verflucht“, brummte er sie an. „Was ist denn?“ bellte er, als sie ihn ein zweites Male an der Schulter berührte. Dabei nahm er nun endlich den Blick von der zerknautschten Außenhülle des Schiffes und blickte sie an. Sie wiederum schaute in die andere Richtung, in die er sich nun ebenfalls wandte. Nun klappte seine Kinnlade hinunter, doch seine Zigarette blieb wie durch Zauberkraft an ihrer angestammten Stelle im Mundwinkel. Sie fiel nur in wirklich bedrohlichen Momenten zu Boden.

„He, Leute“, begann er vorsichtig zu der Menschenschar, die sich um sie herum versammelt hatte. Etwas verlegen kratzte er sich im Nacken. „Das mit eurem… Dingsa, das war keine Absicht. Ich hoffe, es ist nicht zu viel kaputt…“

Nun erst richtete er sein Augenmerk auf das Gebilde, in das sie nach ihrem unfreiwilligen Dimensionssprung hinein gekracht waren. Es war eine Ansammlung von Fördertürmen und Siloanlagen, die zusammen so etwas wie eine im Meer schwimmende Stadt bildeten.

Die Menschen, die sich auf mühevolle Weise den Weg über die teilweise eingestürzten Treppen bahnten, wurden immer mehr. Nicht ohne Sorge ließ Cid seinen Blick über die Leute schweifen, doch auf keinem ihrer Gesichter konnte er Feindseligkeit erkennen, sondern nur Erstaunen und auch Neugier. Marlene und Denzel rückten näher an Anne heran, der selber nicht ganz wohl zumute war. Es gab eine Schrecksekunde, als Nanaki aus der Luke sprang. Die Menschen wichen zurück, als sie ihn sahen. Doch schnell merkten sie, dass er keine Bedrohung darstellte. Er zog es vor, einstweilen zu schweigen. Bis jetzt hatten diese Leute genügend Überraschungen erlebt. Ein sprechender Wolf-Löwe hätte da noch gerade noch gefehlt. Cid wollte schon etwas sagen, als sich eine Person aus der Menge herauslöste und auf ihn zu kam. Es war ein Mann mittleren Alters, der ein leger sitzendes Hawaiihemd und eine weite Bermudahose trug. Und dazu Sandalen, wodurch er den perfekten Gegensatz zu Cid ihm gegenüber mit seiner straff sitzenden Armeehose und den wuchtigen Stiefeln bildete.

„Ich begrüße euch. Mein Name ist Dobe, ich bin der Bürgermeister dieser Siedlung hier. Braucht ihr unsere Hilfe…?“

Der Mann blickte Cid mit einer Mischung aus Erstaunen und Mitleid an. Er nahm seine Zigarette aus dem Mund und hob eine Augenbraue.

„Ich bin Cid Highwind. Das hier ist Shera, meine Frau, Marlene, Denzel…“ Er deutete auf die Angesprochenen, bis er zu Anne kam. Bei ihr musste er einen Moment überlegen.

„Anne“, sagte sie leise. Er schnippte mit den Fingern und verzog das Gesicht.

„Genau, das ist Anne. Ich merke mir diese verfluchten Namen so schwer… also, wo zum Teufel sind wir hier überhaupt?“

Der Bürgermeister blinzelte, und die Leute um sie herum begannen zu tuscheln.

„Ihr… ihr seid hier in Fisherman’s Horizon, natürlich! Habt ihr noch nicht gehört von unserer Stadt?“

„Nein, verflucht, habe ich nicht. Ach ja, wegen dem Schaden…“ Geräuschvoll ausatmend blickte er auf die zerstörte Ölförderanlage, in die sich die ‚Shera‘ gebohrt hatte. Bürgermeister Dobe folgte seinem Blick und winkte dann lächelnd ab.

„Ach, das? Das macht nichts, das passiert… öfters. Seid unbesorgt, die Anlage ist schon lange nicht mehr in Betrieb. Und wir können sie problemlos reparieren, das machen wir sogar gerne. Aber kommt doch mit. Gerne bieten wir euch unsere Gastfreundschaft an.“

In einer einladenden Geste breitete er die Arme aus, doch Cid zögerte.

„Die sind in Ordnung“, flüsterte ihm Shera zu. Er brummte nur als Antwort. „Oder willst du etwa hier bei deinem Schiff Wurzeln schlagen?“ Herausfordernd blickte sie ihn an und ging los, bevor er noch etwas erwidern konnte. Fassungslos sah er ihnen hinterher. Shera, Anne, Nanaki und die Kinder folgten dem Bürgermeister. So manch vorwitziger Zeitgenosse wagte es sogar, Nanaki übers Fell zu streichen, was sich dieser anstandslos gefallen ließ. Nur Cid blieb noch stehen und verfolgte mit sichtlichem Unbehagen, wie sich die Bewohner dieses Ortes seinem Schiff näherten.

„Dieses Luftschiff… ist faszinierend!“ sagte einer von ihnen anerkennend. „Ein solches Modell habe ich noch nie gesehen. Ist es aus Esthar?“ fragte er freundlich lächelnd.

„Ich kenne kein verdammtes Esthar“, brummte Cid. „Ich habe es selbst gebaut.“ Trotz seiner Skepsis hörte man aus seinen Worten einen gewissen Stolz heraus. Sein Blick pendelte nun zwischen seinem Schiff, das sich von immer mehr Bewunderern umringt sah, und der Gruppe um Shera und Dobe, die sich entfernten. Er focht nun einen inneren Konflikt aus, was ihm wichtiger war.

„Kommen sie ruhig“, rief Dobe ihm lachend zu. „Ihrem Schiff wird nichts passieren, im Gegenteil.“

Er knurrte missmutig, wie um die Leute zu verscheuchen, schließlich folgte er aber dann doch den anderen.
 

Und so kamen sie zu der gewaltigen Photovoltaikanlage, die das Zentrum von FH bildete. Eine Aussparung in den Spiegelbatterien bildete einen Pfad zu einem abenteuerlich aussehenden Gebäude in seinem Zentrum. Der Ingenieur in Cid war wahrhaft verblüfft angesichts dieses Gebildes, das so offensichtlich aus den verschiedensten, zweckfremden Maschinenteilen zusammengebaut war und doch einen harmonischen Gesamteindruck bot. Bei der Tür blieben sie stehen.

„Dies ist mein Haus. Bis euer Schiff wieder flugtüchtig ist, beherberge ich euch gerne.“

Shera nickte dem Bürgermeister dankbar zu und kam dem Murren ihres Mannes damit zuvor, der nur ungern sein Schiff allein ließ.

„Wir nehmen euer Angebot gern an. Ich hoffe nur, wir machen euch nicht noch mehr Umstände…?“

„Keineswegs“, erwiderte er freundlich und hielt ihnen die Tür auf. „Wir haben gern Gäste. Fisherman’s Horizon war schon immer eine Zuflucht des Friedens in einer unruhigen Welt.“
 

Sie kamen in den Hauptraum des Gebäudes, und Cids Ressentiments schwanden schnell. Das gesamte Haus war eine umgebaute Maschine, die nur mehr den Zweck hatte, ein behagliches und praktisches Heim zu bieten. Angesichts der vielen technischen Details, die in die Struktur des Hauses eingefügt waren, nahm er sogar die Zigarette aus dem Mund. Man merkte gleich, dass er sich hier Zuhause fühlte, und für einen Moment vergaß er vielleicht sogar sein Schiff.

„Darf ich vorstellen, das ist Flo, meine Gemahlin.“

Nun begrüßte sie eine blonde Frau, deren Kleidung eine interessante Mixtur aus femininem Kleid und praktischem Schlosserkittel bildete. Die Angesprochene verneigte sich höflich.

„Bevor wir es vergessen… mein Name ist Nanaki.“

Die beiden erstarrten und blickten ihn fassungslos an. Dobe rang nach Worten.

„Sie… können ja sprechen! Sind sie… eine Art Moomba?“

Nanaki schüttelte seinen schwarzen Haarschopf.

„Nicht das ich wüsste. Aber meine… Besonderheit sollte unter uns bleiben.“

Die beiden nickten eifrig.

„Ja.. natürlich. Ist vielleicht besser so.“ Fast flüsternd bat Dobe seine Frau darum, ihnen allen Tee zu reichen, dann bot er ihnen allen Platz auf auf dem Boden verstreuten Kissen an.

„So… nun erzählt doch, wie es euch hierher verschlagen hat“, forderte er sie freundlich auf. Marlene und Denzel begannen das fremdartige und zugleich faszinierende Haus mit großen Augen zu erkunden. Nanaki rollte sich auf dem Boden ein. Anne saß mit angezogenen Beinen da und fühlte sich sichtlich unwohl, trotz des anheimelnden Ambientes. Cid und Shera blickten sich an und überlegten, was sie ihm erzählen sollten. „Ihr seid jedenfalls nicht von der galbadianischen Armee, richtig?“ fragte er mit einem leicht bangen Unterton.

„Und wenn’s so wäre?“ brummte Cid, und Shera verdrehte seufzend die Augen.

„Nun, ich nehme es nicht an. Ihr seid nicht wie galbadianische Soldaten gekleidet, und auch, dass ihr Kinder bei euch habt, spricht dagegen.“

„Was soll dann dieses verdammte Galbadi-Dingsda sein?“ fragte Cid, während er von Flo eine Tasse Tee entgegennahm. Er brummte ein ‚Danke‘, dann roch er an der Tasse. Sein Gesicht hellte sich augenblicklich auf. „Ich will verflucht sein… Earl Grey! Meine Lieblingssorte!“

Dobe nickte ihm mit einer Mischung aus Erleichterung und Fassungslosigkeit zu.

„Das heißt, dass er den Tee sehr zu schätzen weiß“, klärte ihn Shera auf. „Die Wahrheit ist…“ begann sie seufzend, „wir sind von sehr weit weg.“

„Etwa vom Trabia-Kontinent?“

„Nein, noch weiter…“

„Ich verstehe nicht ganz…“, erwiderte Dobe stirnrunzelnd.

„Wir verstehen es auch nicht“, meinte Shera und begann, die Geschichte von Anfang an zu erzählen. Von ihrer überstürzten Flucht aus Edge bis hin zum Dimensionstor.
 

Bürgermeister Dobe hörte gebannt zu, und nach einer Weile gesellte sich seine Frau zu ihnen, die ebenfalls ihren Ausführungen lauschte. Als Shera geendet hatte, blickten sich die beiden fassungslos an.

„Ich weiß, dass das ziemlich verrückt klingt, aber- “

„Nein, nein… wir kennen eine Theorie, die von Paralleldimensionen handelt“, beruhigte sie Dobe. „Einer unserer klügeren Köpfe hat sie erdacht, doch…“ Kopfschüttelnd stand er auf und ging auf die breite Glasfront zu, von der man aus die Sonnenkollektoren überblicken konnte. Sein nachdenklicher Blick glitt über sie hinweg in die Ferne. „Aber sie bestätigt zu sehen… das ist schwer zu verarbeiten, wenn ihr versteht.“

„Das heißt- sie glauben uns?“

Er wandte sich wieder Shera zu.

„Ich habe keinen Zweifel an eurer Geschichte. Jemand, der eine gewisse Zeit bei uns verbracht hat, sein Name ist Martine Dodonna… er hat diese Theorie gegründet und auch in diese Richtung geforscht. Es war alles sehr theoretisch, und manche haben gelächelt über seine astrophysischen Modelle, aber offenbar hatte er recht…“

„Wo finden wir den Typen“, meldete sich Cid zu Wort.

„Dodonna? Er arbeitet seit einiger Zeit im Balamb-Garden.“

Cid sprang plötzlich hoch, so dass Flo leicht erschrak.

„Dann müssen wir zu ihm hin! Wo ist dieser Bimbam-Garden?“

„Der Balamb-Garden? Auf der Insel Balamb natürlich.“

Cid verdrehte die Augen und verschluckte fast seine Zigarette. Es gelang ihm aber dann doch, seine Beherrschung wieder zu gewinnen. Dobe deutete die Zeichen richtig und holte ein schuhkartongroßes Gerät herbei. Als er auf einen Knopf an der Seite drückte, entstand ein langsam drehendes Hologramm darüber. Gebannt versammelten sich Cid, Shera und Nanaki darum.

„Das ist eine geographische Ansicht unserer Welt. Wir sind… hier.“ Er bewegte seinen Zeigefinger in das Hologramm, in die Mitte des großen Ozeans. Dann bewegte er seinen Finger nach oben und hinterließ Wellen in dem Hologramm, wie auf einer Wasseroberfläche. Er stoppte bei einer kleinen Insel, die zwischen zwei wesentlich größeren Kontinenten wie eingeklemmt schien. „Das ist die Insel Balamb. Der Garden ist dort stationiert. Er ist aber nicht immer dort. Dank eines bemerkenswerten Mechanismus ist er mobil.“

Bürgermeister Dobe machte ein stolzes Gesicht auf diese akkurate Erklärung hin, aber Cid schüttelte nur verdrossen den Kopf.

„Na großartig… was ist das überhaupt für ein Laden?“

„Der Garden? Er bildet Kadetten zu Söldnern aus. Ihre ursprüngliche Bedeutung war der Kampf gegen Hexen, die sie viele- “

„Erspar mir den Geschichtsunterricht. Die bilden also Soldaten aus?“

„Äh, ja, also, um genau zu sein, Söldner. Das heißt, sie sind nicht an Regierungen gebunden, sondern arbeiten für jeden, der sie bezahlt.“ Cid starrte mit zusammengekniffenen Augen auf das Hologramm und versuchte sich, einen Reim auf all diese Informationen zu machen. „Ich weiß, das klingt schlimm…“, begann Dobe seufzend. „Aber wir haben sie bereits kennengelernt. Sie sind vor Jahren genau so in unsere Stadt gekracht wie ihr, wisst ihr das?“ erzählte er erheitert. Dann wurde er wieder ernst. „Es sind keine schlechten Menschen. Sicherlich, wir lehnen Gewalt strikt ab. Es ist unsere Überzeugung, dass man Probleme nur durch diskutieren aus der Welt schaffen kann“, sagte er mit überzeugter Stimme. Cid schnaubte abfällig.

„Tatsächlich? Und die Einstellung hat euch nie in die Schei- “ Rechtzeitig traf ihn Sheras Ellbogen in die Rippen. „ -in Schwierigkeiten gebracht?“

Dobe nickte schwermütig.

„Doch… das hat es allerdings. Damals, als die SEEDs hier waren, da- “

„Wer verflucht sind die wieder?“ fuhr Cid dazwischen. Shera stieß ihn erneut an.

„Unterbrich ihn nicht dauernd. Wir sind hier zu Gast, denk daran“, zischte sie ihm zu. Herrje, dachte sie, bevor Cid Highwind Manieren lernt, trennt er sich eher von seinem Schiff…

„Die, äh… SEEDs sind die Elitetruppe der Gardens. Es sind die voll ausgebildeten Kadetten, nachdem sie die Anschlussprüfung abgelegt haben… jedenfalls, ich erinnere mich genau: die galbadianische Armee wollte FH besetzen, doch glücklicherweise kamen die SEEDs um ihren Anführer Squall Leonhart und halfen uns gegen sie. Es war das erste Mal, dass auf dem Boden unserer Stadt Blut vergossen wurde. Und hoffentlich auch das letzte Mal…“

„Wie kann man nur ‚Squall‘ heißen“, lästerte Cid kopfschüttelnd. Abermals zischte ihm Shera zu. Dann wandte sie sich wieder an Dobe.

„Das heißt also, man kann mit denen reden?“

„Ja. Sie arbeiten zwar für jeden, doch meistens setzen sie sich für die gerechte Sache ein.“

„Sehr gut“, sagte Cid und schlug sich auf den Oberschenkel. „Dann können wir den Brüdern ja eine Stippvisite abstatten und fragen, wie wir wieder zurückkommen. Vorher müssen wir nur die ‚Shera‘ flicken…“, murmelte er besorgt.

„Macht euch keine Sorgen. Meine Mitbürger haben sich dessen sicher schon angenommen. Es sind alles hervorragende Mecha- “

Er konnte den Satz nicht vollenden, bevor Cid aufsprang und Flüche ausstoßend aus dem Haus lief. Shera stand seufzend auf und folgte ihm, um das Schlimmste zu verhindern.
 

Knurrend und nervös von einem Fuß auf den anderen tretend stand Cid vor seinem Schiff und beobachtete, wie bereits eine Heerschar an Leuten an allen Ecken und Enden Reparaturarbeit leisteten. Shera stand neben ihm. Eine Hand lag auf seiner Schulter, mehr um ihn festzuhalten als ihn zu beruhigen.

„Es sind alles Techniker und Forscher, die hier leben. Euer Schiff ist bei ihnen in besten Händen“, versicherte ihm nochmals Bürgermeister Dobe. „Das Reparieren von Maschinen ist unsere liebste Beschäftigung. Oft bauen wir Maschinen nur aus dem Grund, sie nachher reparieren zu können.“

Shera versuchte weiterhin, beruhigend auf ihn einzuwirken. Der griesgrämige Pilot hatte aber alle Mühe, sich zu beherrschen. Er erkannte wohl, dass es kundige Hände waren, die an seinem Schiff arbeiteten, und doch bereitete es ihm beinahe körperliche Schmerzen, fremde Schraubenschlüssel an seiner geliebten ‚Shera‘ zu sehen. Am liebsten hätte er selbst gleich mit den Reparaturen begonnen, doch so fühlte er sich gezwungen, alles genau zu überwachen, was mit der zumindest zweitwichtigsten ‚Frau‘ in seinem Leben geschah.
 

Mit verschränkten Armen spazierte Anne auf der runden Plattform, auf der das Haus des Bürgermeisters stand, im Kreis. Der Anblick von tausenden reflektierenden Spiegeln war atemberaubend. Doch er konnte sie nicht über ihre nagenden Selbstzweifel hinwegtäuschen. Sie hatte ihre Arbeit in einem ausgelagerten Büro der W.R.O. voller Zuversicht begonnen. Wenige Tage später waren all ihre Kollegen tot, und ein unsagbares Unheil über die Stadt hereingebrochen. Und sie wurde den Gedanken nicht los, dass sie etwas damit zu tun hatte. Das Verschwinden dieser Frau namens Tifa, das Projekt, für das sie gearbeitet hatte… und die Höllenkreaturen, die in die Stadt einfielen. Konnte das alles nur Zufall sein? Sie versuchte, es sich einzureden. Doch es gelang nicht…

Gedankenversunken drehte sie ihre Runden auf der Plattform. Trotz des Sonnenscheins fröstelte es sie.

„Darf ich ihnen Gesellschaft leisten?“ Anne erschrak, als Nanaki neben ihr stand. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie er sich ihr genähert hatte. Noch etwas mitgenommen, sah sie ihn an mit furchtsamen Augen an. „Ich kann auch wieder gehen, wenn sie- “

„Nein, nein. Bleiben sie nur. Warum sind wir eigentlich so förmlich… ich bin Anne.“

Zerstreut, wie sie war, streckte sie ihm die Hand entgegen. Peinlich berührt zog sie sie gleich wieder zurück. Nanaki nickte nur freundlich.

„Freut mich. Ich bin Nanaki, aber das weißt du ja schon.“

„Äh, ja… ich bin nur… noch nie einem Wesen wie dir begegnet.“

„Das ist nicht verwunderlich“, sagte er langsam und ging auf den Rand der Plattform zu. Dort nahm er ‚Platz‘. Zuerst wollte sie allein sein, letztendlich war sie aber froh über diese plötzliche Gesellschaft, und setzte sie sich neben ihn hin. „Ich bin wahrscheinlich der letzte Vertreter meiner Rasse.“

Sie ließ die Beine über den Rand der Plattform baumeln.

„Das ist traurig. Das tut mir leid für dich.“

Er nickte wohlwollend.

„Das muss es dir nicht. Ich habe gute Freunde. Ich fühle mich nicht einsam.“

„Ja, ich verstehe. Aber… ich könnte mir nicht vorstellen, der letzte Mensch zu sein, auch wenn andere Wesen um mich sind.“

Nanakis unergründliches rotes Auge schien den Horizont abzusuchen.

„Ich habe gelernt, damit zu leben… doch ich spüre, dass auch dich etwas bedrückt. Möchtest du darüber sprechen?“

„Nein, ich bin in Ordnung. Mit mir ist alles okay.“

Sie sprach diese Worte voller Überzeugung, doch ihre Augen sagten etwas anderes.

„Du bist ein liebenswerter Mensch, das spüre ich“, erwiderte Nanaki und hob eine Pfote zu einer Geste. „Deshalb brauchst du mir nichts vorzumachen. Du kannst ruhig ehrlich sein.“

Anne fühlte sich ertappt. Innerlich rang sie einen Moment mit ihren Schuldgefühlen, die wie Blei auf ihren Brustkorb drückten. Dann schüttelte sie den Kopf und senkte den Blick auf ihre Knie.

„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten“, flüsterte sie leise. Nanaki nickte nur. Sie rieb sich die Schultern, obwohl sich mittlerweile die Sonne in all ihrer Kraft auf die Stadt lehnte. „Du hast sicher schon vom Shinra-Konzern gehört?“

Ein Anflug unangenehmer Erinnerungen huschte über Nanakis Raubtiergesicht. Dann atmete er geräuschvoll aus.

„Ja… das kann man sagen…“

„Naja, offiziell gibt es ihn nicht mehr. Die W.R.O. ist die Nachfolgeorganisation, obwohl kaum ein Unterschied ist. Jedenfalls… ich habe für die W.R.O. gearbeitet.“

„Das mache ich dir nicht zum Vorwurf. Viele Menschen arbeiten in irgendeiner Form für Shinra, oder eben die W.R.O., weil sie von irgendwas leben müssen- “

„Das ist es nicht“, unterbrach sie ihn, und aus ihrer Stimme sprach schwelende Verzweiflung. „Das, was mit Edge-City passiert ist, und mit dieser Tifa… ich war an diesen Experimenten beteiligt.“ Sie wandte sich von Nanaki ab, als würde sie sich schämen. Dieser warf ihr einen erstaunten Blick zu.

„Bist du sicher? Die W.R.O. betreibt viele Forschungsanlagen, es muss nicht sein, dass- “

„Doch, es ist so“, brach es aus ihr heraus. „In der Nacht, als diese Tifa verschwunden ist, habe ich das Signal des Übertritts aufgezeichnet. Und am nächsten Tag, bevor… bevor alles…“ Ihre Stimme versagte, sie begann zu schluchzen. „… wir haben… alles aufgezeichnet“, stammelte sie weinend, „und jetzt… sind alle meine Kollegen tot…“ Unwillkürlich umarmte sie den neben ihr ‚sitzenden‘ Nanaki, und er legte ihr tröstend eine Pfote auf den Rücken.

„Du hättest es nicht verhindern können. Diese Leute sind sehr mächtig.“

Sie löste sich von ihm und blickte ihn mit geröteten Augen an.

„Aber… ich hätte… sie warnen können, es hätte… nicht so schlimm kommen müssen…“

Wieder weinte sie in Nanakis Fell hinein, und er tat sein bestes, sie zu trösten.
 

Noch eine Weile saßen sie so da, dann begleitete er sie ins Haus des Bürgermeisters. In der ihnen zugewiesenen Kammer legte sie sich ins Bett. Bald schlief sie ein, und Nanaki betrachtete die schlafende Frau. Seine Gedanken begannen zu kreisen.

Zuerst Shinra, und jetzt W.R.O…

Es hat sich nichts geändert.

Wir hätten sie vernichten sollen, als Gelegenheit dazu war…

Schon wieder soviel Leid und Unglück.

Zu dem Bedauern gesellte sich bald Zorn hinzu. Er verließ die Kammer mit der nun friedlich schlafenden Anne und hoffte, dass sie ihre Ängste wenigstens nicht bis in den Schlaf verfolgen würden.

Er trat ins Freie und trabte ziellos dahin. Schon lange hatte er keinen Zorn mehr verspürt. Seit dem Sieg über Sephirot und seiner Rückkehr in den Cosmo Canyon hatte er ein friedliches Leben geführt, das so wenig Ähnlichkeit mit seinem bisherigen gehabt hatte. Am Sterbebett seines Ziehvaters Bugenhagen hatte er ihm versprochen, das ‚Tal der fallenden Sterne‘ und seine Bewohner zu schützen, wie auch einst sein Vater Seto. Und tatsächlich betrat er oft die Höhlen unterhalb des Canyons, die zu jenem Felsvorsprung führten, auf dem sein versteinerter Leib die Zeiten überdauern würde. Dann stand er vor ihm, seinem wirklichen Vater, und bat ihn um Weisheit. Um Weisheit und Kraft, sich seiner als würdig zu erweisen.

Er hatte gehofft, an diesem friedlichen Ort mit den Dämonen seiner Vergangenheit abschließen zu können. Seine Absicht war es gewesen, sich dem Studium des Planeten zu verschreiben. Er wollte die Arbeit seines Ziehvaters fortsetzen. Er wollte nie mehr kämpfen, und doch hatte er es wieder getan. Und nun existierte eine neue Bedrohung, und sie schien aus derselben Quelle hervorzugehen. In diesem Moment fragte er sich, ob so etwas wie Verzeihung überhaupt möglich war in einer Welt, in der sich das gleiche Unrecht auf ewig wiederholen zu schien. Fast verzweifelte er an dieser Frage, und auch all die spirituelle Weisheit, die ihm sein Ziehvater vermittelt hatte, konnte an seinem inneren Konflikt nichts ändern.

Einige der Anwohner beobachteten ihn erstaunt, als er so durch ihre Stadt spazierte. Er löste jedoch keine weitere Aufregung aus. Scheinbar waren die Bewohner dieses Ortes außerordentliche Ereignisse gewohnt. Schließlich kam er zu einem verfallenen Bahnhof, unter dessen teilweise eingestürztem Dach Schienenstränge in die Ferne führten, in die seit langem kein Zug mehr fuhr.

Nachdenklich betrachtete er diesen Ort. Obwohl er mehr noch als alle anderen Orte hier Verfall und Vergänglichkeit symbolisierte, fühlte er sich hier auffallend wohl. Als ob hier sein Geist Ruhe finden konnte. Und so saß er auf einem Bahnsteig, durch dessen Beton tiefe Risse zogen. Sein Blick glitt über rostige Schienenstränge und herumliegende Trümmer hinweg. Ja, er würde wieder in den Kampf ziehen, allen Gelübden zum Trotz. Seine Freunde, die Menschen, brauchten ihn. Und vielleicht würde es ihm selbst wahren Frieden schenken. Vielleicht würde er sich auch auf ewig in diesem Teufelskreis verlieren. Der eine Sephirot wird besiegt, der nächste Schurke taucht wieder auf, dachte er verzweifelt. Was war das für eine Welt, in der Frieden kaum möglich schien und höchstens als Unterbrechung zwischen zwei Krisen diente?

Er musste lachen. Niemand hörte ihn hier. Sie waren in einer anderen Welt, weit weg von der Ihrigen. Und sie wussten nicht mal, wie sie zurückkehren konnten. Vielleicht würden sie auch hier bleiben, als Gestrandete zwischen Raum und Zeit. Er musste an Annes Worte denken.

‚Ich könnte mir nicht vorstellen, der letzte Mensch zu sein…‘

Wieder wollte er lachen, doch es blieb ihm bitter ihm Halse stecken. Vor seinem Tod hatte Bugenhagen etwas Seltsames zu ihm gesagt, er sagte:

‚Vielleicht findest du eines Tages eine Gefährtin…‘

Möglicherweise hatte er ihm nur Mut machen wollen, doch seine Worte hatten immer einen Funken Wahrheit enthalten. Doch es war zwecklos gewesen. Jahre hatte er damit verbracht, ihre Welt zu erforschen. Gefunden hatte er alles Mögliche, doch niemanden von seiner Art. Selbst Professor Hojo hatte es gewusst und auf seinem Käfig vermerkt, als er damals Gefangener der Forschungsabteilung von Shinra gewesen war.

Letztes lebendes Exemplar.

Diese drei sachlichen Worte konnten die Bitterkeit und den Schmerz, der manchmal in ihm hochstieg, nicht im Ansatz ausdrücken. Sicher, er hatte gute Freunde gefunden. Echte Freunde, wie sie selten waren. Und im Cosmo Canyon, seiner Heimat, war er hochgeachtet. Doch all das konnte eines nicht ersetzen… er wusste selbst nicht was. Nur undeutlich konnte er sich an seine Eltern erinnern, die einzigen seiner Art, denen er je begegnet war. Selbst dem fast schon allwissenden Bugenhagen war es nicht gelungen, das Rätsel des Verschwindens seiner Rasse zu lösen. Eine weitere Erinnerung stieg in ihm hoch… an jemanden, der sein Schicksal geteilt und es wesentlich tapferer getragen hatte.

Aeris…

Die letzte vom alten Volk. Ihr Lächeln hatte ihnen allen immer Mut gemacht, egal, wie verzweifelt die Lage gewesen war. Selbst kurz vor ihrem gewaltsamen Tod hatte sie noch gebetet, als hätte sie geahnt, schon bald mit ihrem verschwundenen Volk wieder vereint zu sein.

Sie war tot, und als Erinnerung an sie trugen sie alle rote Bänder, in derselben Farbe wie ihr Kleid. Nie hatte man ihrem ätherischen Wesen so etwas wie Traurigkeit angemerkt. Ich bin nicht wie sie, musste er sich eingestehen. Vor ihm lag ein Leben, das wohl noch Jahrhunderte dauern würde, und er würde es allein verbringen…
 

Der Tag verging, und die Gastfreundschaft der Menschen hier ließ nichts zu wünschen übrig. Sogar Cid Highwind ließ sich dazu bewegen, sein Schiff mit den eifrig daran arbeitenden Bewohnern dieses friedlichen Orts allein zu lassen. In Bürgermeister Dobe fand er einen Gesprächspartner, der ebenso gut wie er in Technik und Konstruktionswesen bewendet war wie er. Fast vergaß er zu fluchen, als die beiden bis spät in die Nacht über die technischen Details seines Schiffes fachsimpelten. Shera, seine Frau, brachte Marlene und Denzel bald ins Bett, wo sie ermüdet von den vielfältigen Eindrücken der letzten Tage schnell einschliefen. Auch Anne tauchten nicht mehr auf, und so nahmen sie an, dass sie ebenfalls schon schlief.

Als Nanaki zum Haus des Bürgermeisters zurückkehrte, sah er durch ein Fenster, wie Dobe und seine Frau gebannt Cid zuhörten, der mit Händen, Füßen und auch einigen Flüchen ihnen den technischen Standard in seiner Welt darlegte. Ansonsten fiel ihm auf, dass die Bewohner dieser Stadt ihnen nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenkten. Nanaki hatte fast erwartet, dass eine Menschentraube sich hier drängen würde, um die Besucher aus einer anderen Welt zu begutachten. Doch offenbar hatte diese Tatsache das Haus des Bürgermeisters nicht verlassen, und auch der arme Tropf, den sie bei ihrer ‚Ankunft‘ fast zermalmt hatten, hatte an ihrem plötzlichen Auftauchen nichts Ungewöhnliches gefunden. Und so waren sie wohl nicht mehr als Reisende, die die Kontrolle über ihren Flugapparat verloren hatten. Umso besser, dachte er.

Noch eine Weile blickte er mit seinem einzelnen Auge zu dem ihm so fremden Sternenhimmel empor. Auf ihrer Heimatwelt kannte er jedes Gestirn und jedes Sternbild. Oft genug hatte er das Firmament durch Bugenhagens Teleskop betrachtet, doch hier war alles anders. Hätte er die Forschungsunterlagen aus dem Observatorium im Cosmo Canyon hier gehabt, vielleicht hätte er sogar anhand der Konstellationen die Position dieses Planeten im Verhältnis zu ihrer Heimatwelt berechnen können. Dann musste er schmunzeln, denn wahrscheinlich befand sich dieser Planet nicht einmal im selben Universum. Er suchte sich einen Platz auf der von der Sonne immer noch aufgewärmten Plattform und rollte sich ein. Er konnte es nicht leiden, in Häusern zu schlafen. Jede Nacht verbrachte er vor dem Observatorium unter dem Sternenzelt, und hier wollte er es nicht anders machen.
 

Als Cid am nächsten Tag schon in aller Frühe zu seinem geliebten Schiff lief, fiel ihm ein weiteres Male beinahe die obligatorische Zigarette aus dem Mundwinkel. Nicht einmal ans Fluchen dachte er, als er die ‚Shera‘ in geringem Abstand zu der Stadt über dem Meer schweben sah. Sie war wieder intakt, soweit er das sehen konnte. Und sie funktionierte.

Der Bürgermeister, seine Frau und eine Abordnung der Männer und Frauen, die das Schiff repariert hatten, verabschiedeten sie. Es war offensichtlich, dass sie den Bewohnern dieses Ortes mit ihrem ‚Unfall‘ mehr Freude als Umstände gemacht hatten. Trotzdem kramte Cid vor dem Start in seinen Taschen.

„Ist wirklich toll von euch, was ihr alles getan habt, mit dem Schiff und so, aber… viel Geld haben wir nicht, um- “

Dobe hob die Hand und schüttelte lachend den Kopf.

„Nein, nein, betrachtet euch als unsere Gäste, und das in jeder Hinsicht. Es war uns eine Ehre, euch helfen zu können und dieses wunderbare Fluggerät reparieren zu dürfen.“

„Na ja, dann… nochmals danke für alles.“

Shera, die Kinder und Anne schüttelten den Anwesenden voller Dankbarkeit die Hände, und Cid zog sogar seinen öligen Handschuh dabei aus. Selbst Nanaki, den die meisten immer noch für ein normales Tier hielten, bekam mehr Streicheleinheiten ab, als ihm recht war. Doch er ließ es über sich ergehen, und bald entschwand die ‚Shera‘ den Blicken der Menschen von FH, die ihr noch lange hinterher sahen.
 

„Also…“ Während des Fluges schielte Cid immer wieder auf die Karte, die ihnen der Bürgermeister mitgegeben hatte. Mit Hilfe des Bordkompass, der in einen massiven Sockel in der Mitte des Steuerraums eingelassen war, steuerte er die Insel Balamb an. Eigentlich diente er ursprünglich nur als nostalgische Dekoration, eine Hommage an die Zeiten, als mutige Männer in Segelschiffen die Meere erkundeten und die Magnetnadel die einzige Möglichkeit zur Navigation bei schlechter Sicht war. Und so war es eine wunderbare Ironie, dass er nun, in einer ihnen fremden Welt, wieder seine Aufgabe erfüllen konnte.

Marlene und Denzel klebten mit den Nasenspitzen an der Glasfront des Steuerraums und starrten fasziniert auf das unter ihnen dahinziehende Meer. Anne hatte sich in eine Kabine zurückgezogen, ebenso Shera, und so leistete außer den beiden Kindern nur Nanaki dem Piloten Gesellschaft.

„Wann werden wir dort sein?“ fragte Nanaki beiläufig.

„Ziemlich bald. Geht aber nicht schneller“, brummte er missmutig. „Ohne das Navigationssystem will ich lieber nicht Vollgas geben. Sonst krachen wir wieder sonstwo rein.“

Bald kam in der angepeilten Richtung tatsächlich eine Insel in Sicht, die zwischen zwei Kontinenten lag. Nur undeutlich zeichneten sich ihre Küstenlinien am dunstigen Horizont ab. Umso klarer dafür erblickten sie nun die kleine, längliche Insel, an deren Nordseite sich ein imposanter Gebirgszug abzeichnete. Cid flog eine Schleife um den Sandstrand an der Südseite. Dabei hielten sie nach dem Objekt Ausschau, das ihnen Dobe beschrieben hatte. Enttäuscht fanden sie nichts, und auch als sie im Tiefflug über die grasbewachsene Ebene dahin rasten, bemerkten sie nichts dergleichen. Wütend kaute Cid auf seiner Zigarette herum.

„Verfluchter Mist, verfluchter… wo könnten die Typen sein…?“

„Da unten war doch eine kleine Stadt, dort an der Küste. Wir könnten ja fragen“, meinte Nanaki. Cid wollte etwas erwidern, doch dann wurde sein Blick auf den Radarschirm gezogen, der etwas anzeigte.

„He… da ist noch etwas unterwegs. Sagte dieser Dobe nicht, dieses Garden-Ding kann fliegen? Vielleicht sind sie das ja. Kommen jedenfalls genau in diese Richtung.“
 

Er riss das Steuer herum und hielt genau auf die schneebedeckte Bergkette zu. Im letzten Moment zog er die ‚Shera‘ hoch. Nanaki und die Kinder hatten Mühe, das Gleichgewicht zu halten, als das Schiff um ein Haar die schneebedeckten Gipfel streifte. Im Norden fiel das Gebirge schroff ab, und es befand sich nun nur mehr das Meer unter ihnen. Cid beschleunigte, und bald kam das Objekt in Sicht. Es hatte die Form eines Schneckenhauses. Seine Oberfläche war bunt bemalt, und unter ihm kreiste ein kreuzförmiger Ring, der scheinbar von magnetischen Kräften in der Schwebe gehalten wurde. Vor allem aber war es riesig, viel größer als die ‚Shera‘. Es war fast so groß wie eine Stadt. Ehrfurchtgebietend schwebte es wie ein Wal der Lüfte knapp über der Wasseroberfläche dahin.

„Ich brat mir ´nen Storch…“, flüsterte Cid fasziniert. Dann flog er einen weiten Bogen und hielt danach direkt auf das fliegende Gebilde zu. Fast im Sturzflug steuerten sie es nun an.

„Was hast du vor, Cid“, fragte Nanaki, dem allmählich unwohl wurde.

„Wir werden dort landen, auf dem Ding“, brummte er. „Ich werd´ sicher nicht warten, bis sie stehen bleiben.“
 

Die Kadetten der SEED-Akademie saßen an diesem sonnigen Morgen im Innenhof des Gardens. Es wurde gelacht und gescherzt, und irgendwo dazwischen verspeisten sie ihre Lunchpakete, die sie für den weiteren Unterreicht stärken sollten. Mit einem Male senkte sich ein Schatten auf die Szene. Er wurde immer größer, und die ersten Kadetten blickten empor.
 

Quistis Trepe schreckte hoch, als ein Kadett die Tür zu ihrem Büro aufriss. Atemlos stand er vor ihr.

„Frau Quistis, Ma’am, das müssen sie sich ansehen! Direktor Cid ist auch schon dort!“

Bevor sie noch fragen konnte, was überhaupt los war, war er schon wieder weg. Eilig sprang sie auf und folgte ihm.

Als sie durch das Tor in den Außenhof des Balamb-Garden trat, klappte ihre Kinnlade hinunter. Sämtliche Kadetten, die eben noch ihre Pause auf dem Hof verbracht hatten, standen nun im Kreis- um ein Flugschiff, das im Hof gelandet war, und dabei etliche Bänke und Tische zertrümmert hatte. Eine Heerschar von Schüler und Kadetten stand da und bildete eine Phalanx um das Schiff. Jeder von ihnen hatte seine Waffe gezogen, die sie laut Vorschrift immer bei sich tragen mussten, um sich so an ihr Gewicht zu gewöhnen. Und so ragte um das Schiff herum ein Wald aus Schwertern, Lanzen, Kampfstäben und allen möglichen anderen Mordinstrumenten empor. Surrend senkte sich eine Rampe aus dem Bauch des Schiffes, und alle Kadetten machten sich kampfbereit, um einen eventuellen Invasor zurückzuschlagen. Einen Hof voller SEED-Kadetten anzugreifen wäre dasselbe, wie die Hand in einen Bienenstock zu stecken- oder schlimmer. Viele dutzend Augenpaare fixierten die Person, die lässig die Rampe herunter schlenderte. Direktor Kramer stand in einer der hinteren Reihe, um so den besten Schutz zu haben. Trotzdem stellte er sich auf die Zehenspitzen, um mehr sehen zu können. Quistis stand nun neben ihm.

„Was ist hier los, Herr Direktor? Was ist das für ein Schiff?“

Nervös griff er sich an seine Brille.

„Ich weiß es nicht, Frau Trepe. Noch nicht.“
 

Die Gestalt hatte kurzes, blondes Haar. Auf der Stirn trug sie eine Pilotenbrille. In der rechten hielt sie locker eine Lanze, die der Mann aber offenbar eher der Vollständigkeit halber trug denn für einen Angriff. Und im Mundwinkel hing- natürlich- eine Zigarette.

Cid Highwind stand nun am Fuß der Rampe und sah sich einer Hundertschaft von kampfbereiten Kadetten gegenüber. Mit der rechten stützte er sich auf seine Lanze, mit der linken nahm er sich die Zigarette aus dem Mund und blies eine Qualmwolke hinaus. Mit abschätzigem Blick musterte er die Kadetten. Dann schüttelte er schnaubend den Kopf.

„Ts… sind ja noch alle grün hinter den Ohren. Wer ist hier der Erwachsene, der auf euch aufpasst?“

Diese Unverfrorenheit angesichts der Übermacht aus jungen, aber bereits gut trainierten Kadetten ließ so manche Kinnlade herabsinken. Dann drängte sich Direktor Kramer durch die Menge. Quistis folgte ihm dicht hinterher.

„Ähem…“ Inmitten seiner kampfbereiten Kadetten stehend, richtete sich Direktor Kramer noch einmal die Brille, bevor er auf den seltsamen Mann zu trat. Quistis wich nicht von seiner Seite. „Ich bin der Direktor dieser Einrichtung. Mein Name ist Cid Kramer, und wer sind sie?“

Während der Vorstellung des untersetzen Mannes mit der roten Weste, der langweiligen Krawatte und der Buchhalterbrille begann der ANDERE Cid lautlos zu fluchen.

„Du heilige Scheiße… ich heiße genauso! Cid Highwind, sehr erfreut!!“

Ein Raunen ging durch die Menge, und etliche Waffen machten eine plötzliche Bewegung, als der Mann ihrem Direktor eine in einem öligen Handschuh steckende Hand entgegenstreckte. Die Kadetten hielten die Luft an und waren bereit, den Mann in Streifen zu schneiden. Nach kurzem Zögern ergriff der Direktor die Hand. Fast hob es ihn vom Boden, als die beiden von Statur und Erscheinung höchst unterschiedlichen Männer sich die Hände schüttelten.
 

Nachdem die friedliche Absicht geklärt war, trauten sich auch Shera, die Kinder und Nanaki heraus. Besonders er sah sich vielen argwöhnischen Blicken gegenüber, bis sie ihnen erklärten, dass er KEIN Monster war.

Eine Eskorte wachsamer Kadetten begleiteten sie in Direktor Kramers Büro. Für alle Fälle hielten sie ihre Waffen bereit. Und schließlich waren sie alle in Direktor Kramers Büro.

Er saß hinter seinem breiten Schreibtisch, während die ‚Besucher‘ auf Stühlen vor ihm saßen. Hinter jedem von ihnen standen zwei Kadetten bereit, für den Fall der Fälle. Quistis stand neben Kramer und verfolgte alles aufmerksam.

„Also gut, Herr… Highwind“, begann Direktor Kramer gedehnt und faltete die Hände auf dem Schreibtisch. „Ich nehme an, sie hatten einen guten Grund, im Pausenhof dieser Akademie mit ihrem Schiff zu landen. Und der wäre?“

Der andere Cid holte eine Zigarette hervor und zündete sie sich unter den strengen Blicken seiner Bewacher an. Dann blies er den ersten Zug geräuschvoll hinaus.

„Das ist eine echt abgefahrene Geschichte. Also… “
 

Einige Minuten später zeichnete sich eine Mischung aus Erstaunen und Unglauben auf dem Gesicht des Direktors ab.

„Und sie erwarten im Ernst, dass ich ihnen das glaube?“

Cid Highwind zog sich eine neue Zigarette hinter dem Ohr hervor, wo sie immer auf wundersame Weise aus dem Nichts erschienen.

„Klar“, war seine schlichte Antwort. „Und jetzt wollen wir mit diesem Dodonna-Typen reden. Er muss wissen, wie wir wieder zurückkommen.“

„Angesichts der Tatsache, dass wir ein gutes Verhältnis zu den Bewohnern von Fisherman’s Horizon haben, will ich ihrer Bitte nachkommen.“

Seufzend sprach er in ein Gerät auf seinem Schreibtisch. Nach kurzer Zeit kam ein Mann mit hohen Geheimratsecken und einem von Sorgenfalten zerfurchten Gesicht in das geräumige Büro. Er trug einen weißen Laborkittel mit dem Symbol des Garden. Verwundert betrachtete er die ‚Gäste‘ im Vorbeigehen, und Nanaki knurrte unwillkürlich, als er seinen Laborkittel sah. Direktor Kramer winkte ihn an sich heran, und die beiden begannen sich flüsternd miteinander zu unterhalten. Mit der Zeit wurden Dodonnas Augen immer größer.

„Das sind sie also?“ war der erste verständliche Satz. Alle horchten auf. Dann ging Dodonna wieder um den Schreibtisch herum und betrachtete sie fasziniert, wie ein Forscher seltene Insekten. Besonders Cid Highwind blickte ihn finster an, während er sie umrundete. „Ich hatte also recht! Gestern noch haben wir in der MD-Ebene eine Schwankung im Quantenfeld registriert, aber wir waren uns nicht sicher… sie sind bei Fisherman’s Horizon aufgetaucht, stimmt das?“ Sein Blick pendelte zwischen Direktor Cid und dem Piloten Cid. Beide nickten, nur der Pilot fügte ein „Verflucht, ja“ hinzu.
 

Direktor Kramer und Martine Dodonna standen nun auf der Steuerplattform an der höchsten Stelle des Garden, wo SEED Nida am Steuer stand und den Garden lenkte. Die ‚Gäste‘ waren unter Bewachung in leeren Quartieren untergebracht.

„Ist es möglich, dass diese Leute aus derselben Welt kommen wie das Wesen, das Squall entführt hat?“

In Cid Kramers Stimme klang echte Besorgnis wieder, während er auf das Meer hinausblickte.

„Das bezweifle ich. Die Signaturen, die wir gestern aufgezeichnet haben, unterscheiden sich von denen aus dem Schumidorf. Sicher ist nur, dass sie auf dieselbe Weise herüber gewechselt haben.“

Jetzt wandte sich Kramer direkt an Dodonna und blickte ihn streng an.

„Warum habe ich von ihrer Beobachtung nichts erfahren? Ich hätte sofort darüber informiert werden sollen“, sagte er mit leichtem Groll im Unterton. Dodonna räusperte sich, bevor er antwortete.

„Die Messergebnisse waren nicht so eindeutig, ich meine, im Nachhinein passt es mit unseren Daten zusammen“, erklärte er etwas verlegen.

„Gibt es noch etwas, das sie herausgefunden haben?“

„Nun ja… es ist schwierig, Prognosen zu treffen…“

„Raus mit der Sprache. Und verschonen sie mich mit wissenschaftlichem Kauderwelsch.“

Martine Dodonna seufzte besorgt, bevor er antwortete.

„Die Feldstruktur der Quantenebene wird instabiler, wenn unsere Geräte richtig gemessen haben. Einiges deutet daraufhin… dass sich in naher Zukunft noch mehr Übergänge öffnen könnten.“

Das Gesicht des Direktors veränderte sich von ernst zu alarmiert.

„Und… was bedeutet das für uns?“

„Schwer zu sagen“, erwiderte Dodonna kopfschüttelnd. „Wir wissen nicht mal, zu wie vielen Welten Verbindungen entstehen können, oder was dann hindurch kommt.“

Mit dieser neuen Tatsache konfrontiert, atmete Cid Kramer geräuschvoll aus.

„Können wir irgendwas dagegen tun?“

Dodonna schüttelte den Kopf.

„Das ist ein Naturphänomen, auf das wir keinen Einfluss haben. Wenn es wieder passiert, können wir es nicht stoppen. Wir können es leider nicht einmal genau voraussagen.“

„Na gut. Wir könnten die Regierungen verständigen“, überlegte Direktor Kramer laut. „Aber was sagen wir dann? ‚Wundert euch nicht, wenn sich irgendwo schwarze Löcher auftun‘ Lächerlich.“ Sorgenvoll den Kopf schüttelnd, nahm er seine Brille ab und rieb sich die Augen. Dann setzte er sie wieder auf. „Wie auch immer. Können sie mit den vorhandenen Daten diese Leute in ihre Welt zurückschicken?“

„Ja, nach eingehender Analyse der Signatur könnte ich mit großer Genauigkeit ihre Heimatwelt bestimmen.“

„Sehr gut. Tun sie, was notwendig ist, damit wir diese Leute zurückschicken können.“
 

Cid und seine Mitreisenden hatten mittlerweile Quartiere in einem leerstehenden Trakt des Gardens bezogen. Immer noch standen Kadetten bereit, um sie zu bewachen. Cid Highwind lehnte an einem Türstock und beobachtete die pflichtbewusst wachestehenden Kadetten argwöhnisch. Nach einer Weile kam eine blonde Frau in einer ähnlichen Uniform den Gang entlang. Ihr Haar hing in zwei langen Strähnen links und rechts ihres Gesichts herab, und sie trug eine Brille. Die Kadetten salutierten vor ihr, wie Cid auffiel. Sie war ausnehmend hübsch, wie Cid auffiel.

„Mein Name ist Quistis Trepe. Ich habe eine Nachricht von unserem Direktor für sie.“

Cid begann übers ganze Gesicht zu grinsen und nahm sogar die Zigarette aus dem Mund.

„Sind sie nicht das hübsche Ding, das uns schon vorher im Hof draußen empfangen hat?“

„Ja, das war ich“, erwiderte sie sich räuspernd. Cid grinste immer noch breit, was erst schwand, als Shera aus einem Raum kam und sich zu ihnen dazu gesellte. „Es geht um ihre Rückkehr. Unsere Forscher verfügen über eine Technologie, die sie zurückbringen kann.“

„Das ist ja wunderbar“, rief Shera. „Endlich eine gute Nachricht.“

„Ja, sie werden verständigt, bis es soweit ist. Bis dahin sind sie unsere Gäste.“

Quistis nickte ihnen noch zu, dann machte sie wieder kehrt. Cid betrachtete bewundernd ihren A… ihre Kehrseite, während sie sich entfernte. Bis er Sheras mahnenden Blick auf sich fühlte, woraufhin er pfeifend in die Luft starrte.
 

Dodonna saß wieder in seinem Labor in der MD-Ebene. Gedankenversunken starrte er auf einen Bildschirm. Diagramme und Wellenlinien tanzten darauf herum. So sehr er auch versuchte, die Ursache dieser Ereignisse zu entdecken, er und seine Kollegen waren bisher erfolglos. Dieses Phänomen war ein einziges Rätsel…

Ein anderer Forscher berührte ihn an der Schulter. Aus seinen Gedanken gerissen, blickte er auf den Ausdruck, den derjenige auf den Tisch vor ihm legte. Er überflog den Ausdruck und schaute dann seinem Mitarbeiter in das besorgte Gesicht. Im nächsten Moment sprang er auf und lief los.
 

„Können sie das Gebiet nicht genauer eingrenzen?“

Dodonna stand nun vor einer Karte in Kramers Büro und deutete auf den Centra-Kontinent.

„Leider nicht. Aber die Messdaten sind…“ Er schüttelte fassungslos den Kopf. „…viel höher als alles andere, das wir bisher gemessen haben. Fest steht, irgendwas wird passieren. Und zwar hier.“ Er deutete auf ein großes Gebiet, das ziemlich genau den riesigen Krater auf dem Centra-Kontinent umfasste. Direktor Kramer rieb sich das Kinn.

„Die Gegend ist weitgehend unbesiedelt. Bis auf Edeas Waisenhaus… es liegt zwar am anderen Ende des Kontinents, aber…“ Kurz noch starrte er auf die Karte und Dodonna, dann begann er über seine Fernsprechanlage Befehle auszuteilen. Wenige Minuten später war Quistis beim ihm im Büro. Aufmerksam hörte sie ihm zu.

„…bis auf weiteres ist jeder Unterricht aufgehoben. Es gilt Alarmbereitschaft für alle, auch für die Unterstufen.“

„Auf was sollen wir uns vorbereiten?“ fragte sie nach einer Weile. Kramer schüttelte nur den Kopf.

„Das wissen wir nicht, das ist ja das Problem. Vielleicht geschieht gar nichts, aber vielleicht erleben wir auch einen Angriff. Es darf keine Panik entstehen, aber Dodonna hält es für möglich, dass sich ähnliches bei uns abspielt, wie in der Welt unserer Besucher.“

Quistis nickte langsam.

„Wir müssen diese Information weiterleiten.“

„Das ist bereits geschehen. Ich habe Nida angewiesen, Funksprüche an die verschiedenen Regierungen abzugeben.“

„Und wie haben sie reagiert?“

„Wie befürchtet. Das galbadianische Militär glaubt an einen Trick, mit dem wir ihre Truppenbewegungen beeinflussen wollen. Das Außenamt von Esthar hat uns zumindest nicht ausgelacht. Aber ernstgenommen auch nicht.“

„Großartig…“, flüsterte Quistis. „Wenn sich bei uns so etwas wiederholt- “

„Dann wäre das eine Katastrophe, ich weiß“, vervollständigte sie der Direktor. „Ich weiß nur nicht, wie ich die beiden Großmächte unserer Welt dazu bringen soll, auf einen Verdacht hin ihre Streitmächte zu mobilisieren. Squall könnte sicher auf Präsident Laguna einwirken… doch er ist nicht hier. Auf jeden Fall werden wir zuerst dort sein… und tun, was notwendig ist. Wir brauchen jetzt jeden Kämpfer, den wir mobilisieren können.“

„Dann sollten wir einen Zwischenhalt in Balamb einlegen“, bemerkte Quistis kryptisch.
 

Brausend und Staubschwaden aufwirbelnd kam der Garden vor den Toren der Stadt Balamb zum Stehen. Aus einer Öffnung raste ein Geländewagen heraus und hielt auf die Stadt zu. Gelenkt wurde er von einem Kadetten. Auf dem Beifahrersitz saß Quistis und fragte sich, wie sie ihren alten Bekannten überzeugen könnte…
 

Als die Tür zum ‚Balamb-Fisch‘ aufschwang, drehten sich alle Gäste um. Was sie sahen, waren zwei Personen in der Uniform des Garden. Also nichts Ungewöhnliches an diesem Ort, und so drehten sie ihre Köpfe wieder zurück. Nur eine Person begann zu grinsen…

Quistis und ihr Chauffeur gingen genau auf den Tisch dieses Mannes zu. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gästen war er allein. Als er die beiden auf sich zukommen sah, lehnte er sich zurück, schlug die Beine übereinander und breitete seine Arme auf der Rückenlehne der Bank aus.

„Na sieh mal einer an… meine ehemalige Lieblingsausbilderin“, murmelte er höhnisch. Quistis baute sich vor ihm auf und verschränkte die Arme. Der Kadett neben ihr erkannte den Mann. Fast wollte er sich daraufhin hinter Quistis verkriechen.

„Dein Vermieter hat uns gesagt, du wärst hier anzutreffen“, sagte sie kalt. Der Mann musterte sie von Kopf bis Fuß. Dann wies er ihnen den Platz zu.

„Setzt euch doch. Ich lade euch auch ein.“

Zögernd setzten sie sich zu ihm. Der Kadett an ihrer Seite wagte es kaum, seinen Blick zu erwidern. In Schülerkreisen war diese Person eine Legende.

Im negativen Sinne.

„Was verschafft mir die Ehre?“ fragte er freundlich. Dann wurde er wieder ernst. „Ehrenwerte SEEDs sollten sich nicht mit jemanden wie mir abgeben. Wie sieht das denn aus“, sagte er kopfschüttelnd. Quistis hatte alle Mühe sich zu beherrschen.

„Ich habe gehört, du arbeitest… freiberuflich. Für jeden, der dich anheuert.“

Der Mann nickte.

„Was bleibt mir anderes übrig. In eurem Garden bin ich ja nicht mehr willkommen. Und in Galbadia habe ich auch keinen allzu guten Eindruck hinterlassen.“

„Na dann… möchte ich dich anheuern.“

Den gelassenen Gesichtsausdruck des Mannes streifte für einen Moment tiefste Bestürzung. Dann begann er schallend zu lachen. Quistis bemühte sich, die Fassung zu bewahren.

„Du? Du willst mich… anheuern?“ Das letzte Wort flüsterte er fast, und jegliche Erheiterung war aus seinem Gesicht verschwunden. Nun lehnte er sich nach vorn auf den Tisch. Aus seinen blauen Augen stach pure Kälte. „Wozu braucht ihr mich? Ihr habt doch euren… Squall, den Helden des Garden.“ Die letzten Worte spuckte er förmlich aus. Jetzt lehnte sich auch Quistis nach vorn. Ungerührt erwiderte sie seinen Blick.

„Wir stehen vor einer schwierigen Situation. Wir… wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können. Auch deine.“ Die letzten Worte kosteten ihr sichtlich Überwindung. Der Mann lehnte sich wieder zurück. So, als wäre nichts geschehen, griff er nach seinem Glas und nahm einen tiefen Schluck. Dann stellte er es wieder ab und legte den Kopf schief.

„Ich brauche den Garden nicht. Und der Garden braucht mich nicht. Wenn du gekommen bist, um dich über mich lächerlich zu machen, Quistis… dann hättest du dir den Weg ersparen können. Mehr, als ich es schon selbst getan habe, schaffst du es auch nicht.“ Dann setzte er eine gelangweilte Miene auf. Quistis wurde ungeduldig.

„Das war also dein letztes Wort?“ Der Mann nickte und strich sich gedankenverloren über eine Narbe oberhalb seines Nasenrückens. „Na gut… wie du willst. Wenn du dich weiterhin in Selbstmitleid suhlen willst… bitte, ich hindere dich nicht daran. Komm, wir gehen.“

Sie stand auf, und der Kadett folgte ihr. Zielstrebig ging sie zur Türe, und der Kadett an ihrer Seite drehte sich im Gehen verstohlen um. So erhaschte er noch einen Blick auf den Mann im grauen Mantel. Dieser warf ihm einen überheblichen Blick zu, worauf sich der Kadett eilig wieder umdrehte. Die Tür schwang hinter ihnen in der Angel, und er blickte ihnen hinter her. Der Mann seufzte tief und rieb sich die Augen. Dann ergriff er sein Glas und trank es in einem Zug leer. Die Waffe, die unter dem Tisch lehnte, zur Hand nehmend, stand er auf und ging los. Im Vorbeigehen warf er ein paar Münzen auf die Theke, ohne dem Wirt Beachtung zu schenken. Dann legte er sich die Gunblade über die Schulter und stieß mit dem Fuß die Tür auf. Einige der Gäste blickten ihm hinterher, und in ihren Blicken war Erleichterung zu spüren.

„He, ihr da!“ rief er ihnen nach. Quistis und der Kadett wandten sich um. Lässig schlenderte er mit seiner Waffe auf der Schulter auf sie zu. Sein grauer Mantel bauschte sich dabei effektvoll auf. „Zuerst reden wir über die Bezahlung, kapiert?“
 

Diesmal saß Quistis am Steuer des Geländewagens, und der Mann neben ihr. Der ihr zugeteilte Fahrer musste mit der Ladefläche vorliebnehmen.

„Ich komme ja eigentlich nur deshalb mit, weil ich Sehnsucht nach Squall habe“, sagte er, während sie auf den startbereiten Garden zurasten. Und seine Worte troffen vor Sarkasmus.

„Ihn wirst du vergeblich suchen. Er ist nicht mehr im Garden“, sagte Quistis und ließ damit die Bombe platzen. Gespannt wartete sie auf seine Reaktion.

„Das ist ein Scherz, oder?“ fragte er. Zum ersten Male klang ein Hauch Unsicherheit in seiner Stimme mit. Quistis nickte.

„Nein, leider nicht.“ Innerlich rieb sie sich die Hände. Sie musste sich beherrschen, nicht zu grinsen.

„Was ist mit ihm passiert? Sag bloß, er ist den Monstern in der Übungshalle zum Opfer gefallen“, lachte er und zeigte wieder puren Sarkasmus. „Und jetzt braucht ihr meine Hilfe, weil ihr ohne hin nichts hinbekommt“, fügte er vor Selbstzufriedenheit finster strahlend hinzu.

„Du hast dich nicht verändert, Cifer Almasy. Und genau deshalb hole ich dich auch.“

Cifer nickte lächelnd, doch als er den Sinn dieser Worte zur Gänze erfasste, erstarb sein Lächeln. Er blickte sie von der Seite an, als sie durch eine Rampe in den Bauch des Garden hineinfuhren.
 

Als sie auf dem zugewiesenen Parkplatz im Parkdeck des Garden hielten, erwartete sie bereits Direktor Kramer. Schwungvoll stieg Cifer aus und verstaute seine Waffe unter seinem Mantel. Vor dem Direktor blieb er stehen. In seinem Blick war keine Regung zu deuten.

„Cifer Almasy…“, sagte er langsam. „Auch wenn einiges passiert ist, so möchte ich sie trotzdem willkommen heißen im Garden.“

Cifer drehte sich zu Quistis um und schaute erheitert.

„Na, dass ich das noch erleben darf! Schon allein deshalb hat sich dieser Trip ausgezahlt.“ Dann wandte er sich wieder dem Direktor zu und salutierte auf SEED-Art. Angesichts dieser Provokation blieb Kramer ruhig und gefasst. „Freue mich, wieder hier zu sein, Sir“, zischte er zackig. „Aber auf meinen Bruder im Geiste, Squall, habt ihr nicht besonders gut aufgepasst, wie ich höre? Was ist dem mit ihm passiert?“

„Folgen sie mir, Almasy. In meinem Büro werde ich alles erläutern.“
 

Wie sie so durch die Gänge schritten, trafen sie eine Menge erstaunte Blicke. Jeder hier wusste von Cifer Almasy und seiner Rolle im Hexenkrieg. Er war sogar Bestandteil des Unterrichts, was die Gefahren der Verlockungen der Macht betrifft.

„Ah, wieder zuhause“, spottete er und atmete dabei tief ein. Surrend brachte sie der Aufzug in Kramers Büro. Durch ein Fenster bemerkten sie, dass der Garden mittlerweile wieder in Bewegung war.
 

Cifer lümmelte auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch herum, während ihm Kramer ihren Wissensstand erläuterte. Dabei gab er sich Mühe, nicht zu interessiert zu wirken, wiewohl ihn die Ereignisse fesselten.

Am Ende der Ausführungen nickte er langsam.

„So, so… das Ende der Welt steht also bevor. Und was genau soll ich da für euch tun?“

„Auch wenn Disziplin nie ihre Stärke war, so waren sie doch immer ein talentierter Anführer und Kämpfer. Und das brauchen wir womöglich bald sehr dringend. Ich biete ihnen einen Platz in unserer Truppe an für die Dauer dieser Krise. Wir werden sie entsprechend entlohnen, das versteht sich von selbst.“

Cifer blickte ihn eine Weile an, ohne zu antworten. Dann stand er plötzlich auf.

„Gut, ich bin dabei. Ich mache den Job. Kann ich wieder mein altes Zimmer haben?“ fragte er finster lächelnd.
 

Direktor Kramer und Quistis Trepe standen wieder auf der Brücke und sahen in der Ferne den öden Centra-Kontinent näherkommen. Eine schroffe Landschaft, bestehend aus Felsen und Wüste, kam in ihr Blickfeld.

„Warum waren sie sich eigentlich so sicher, dass er mitkommen würde?“

„Die Verbindung zwischen ihm und Squall ist stärker, als er sich eingestehen will“, antwortete Quistis und blickte in die Ferne. „Er wird ihm bis ans Ende der Welt folgen, wenn es sein muss.“

Mit einer Mischung aus Erleichterung und Besorgnis blickte der Direktor in ihr ausdruckloses Gesicht. Innerlich fragte er sich, ob dies die Zahl ihrer Probleme verringern oder eher erhöhen würde…
 

Mit einem selbstbewussten Grinsen streifte Cifer durch die Gänge seiner ehemaligen Schule. Dabei genoss er die verwunderten Blicke der Kadetten. Zu seinem großen Bedauern waren alle seine ehemaligen Klassenkameraden außer Quistis durch diesen Höllenapparat verschwunden. Zu gerne hätte er den ‚Hasenfuß‘ ein bisschen provoziert. Er musste sich eingestehen, dass ihr endgültiges Verschwinden ihn ehrlich betrüben würde. Diesen befremdlichen Gedanken von sich stoßend, bog er in den Gang ab, in dem er früher gewohnt hatte. Dabei fiel sein Blick auf ein seltsames Wesen, das aus einer der Türen kam. Es wirkte wie eine Mischung aus Löwe und Wolf, und sein Fell war leuchtend rot. Es hatte nur ein Auge, und das Ende seines Schweifes schien in Flammen zu stehen. Verwundert blieb er stehen.

„Was ist das hier?“ rief er verwundert. „Seit wann laufen hier Monster frei rum?“ Er wollte schon seine Gunblade ziehen, als das Wesen auf ihn aufmerksam wurde. Es kam auf ihn zu und begann zu seinem Erstaunen zu sprechen.

„Ich bin kein Monster, Mensch. Nicht mehr als du.“

Cifer hob eine Augenbraue.

„Ein sprechender Quahl, nicht zu fassen…“

Das Wesen begann leise zu knurren.

„Mein Name ist Nanaki, du törichter Mensch. Und wer bist du?“

„Ich bin Cifer Almasy, ehemaliger Musterschüler dieses Ladens, aber…“ Er schüttelte ärgerlich den Kopf. „…warum diskutiere ich überhaupt mit einem Vieh?“

Nanaki fletschte nun die Zähne. Cifer holte seine Gunblade hervor und deutete mit ihr auf das Wesen. Kurz vor der Eskalation kam Cid Highwind aus dem Raum.

„Was ist hier los, verflucht?“ rief er und ging dazwischen. Cifer senkte seine Gunblade.

„Wer immer sie sind, achten sie besser auf ihr Haustier“, erwiderte Cifer und verzog das Gesicht. Cid baute sich vor ihm auf, bis er ihm den Qualm seiner Zigarette genau ins Gesicht atmete.

„Hör mal zu, Bürschchen: erstens ist Nanaki das Haustier von niemanden. Und zweitens fängt hier niemand Zoff an, kapiert? Sonst kriegst du es mit mir zu tun.“

Cifer wich keinen Millimeter zurück. Trotz der kaum verhohlenen Drohung war ihm der Mann schlagartig sympathisch. Er hätte nicht erwartet, hier jemanden zu begegnen, der sich nicht von seinem forschen Auftreten einschüchtern ließ. Es war für ihn zur Selbstverständlichkeit und auch zur Qual geworden, dass ihm alle aus dem Weg gingen und dann hinterrücks tuschelten: ‚ja, so ist Cifer nun mal, dieser Tunichtgut`. Wie oft hatte er sich gewünscht, dass ihm jemand wahrhaft Paroli bat und ihn für voll nahm. Und nicht nur als lästige Erscheinung sah, die man nur lang genug ignorieren musste, um sie los zu werden. Das hatte bisher nur Squall getan, wie er sich gestehen musste… Ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus.

„Nichts für ungut. Mein Name ist Cifer Almasy“, sagte er und streckte ihm die Hand entgegen. Cid musterte ihn argwöhnisch und ergriff die Hand.

„Cid Highwind“, brummte er als Antwort. Dann beugte Cifer sich zu Nanaki hinab.

„Ich wollte ihnen nicht zu nahe treten. Bitte sehen sie mir meine schlecht gewählten Worte nach.“

Nanaki akzeptierte die Entschuldigung und nickte ihm zu. Dann ging Cifer schnurstracks auf sein früheres Zimmer zu und ließ die beiden zurück. Verdutzt schauten sie ihm nach.

Er betrat den Raum und fühlte sich wieder sofort zu Hause. Der Länge nach ließ er sich auf das Bett fallen. Zufrieden starrte er an die Decke.

Oh ja, ich werde alles tun, was sie wollen. Und am Ende werde ich dich finden, Squall. Sie werden mir dafür danken und mich beglückwünschen, diese Heuchler. Und dann… bekomme ich meine Rache.

Cd4

Hallo geehrte Leserschaft! Es geht wieder mal weiter, und zwar mit Cloud und seinen Mitstreitern. Sie waren zuletzt in der Kanalisation unterhalb von Rabanastre auf Mobjagd, als ihnen etwas sehr eigenartiges passierte…
 


 

Nun begannen beide ihre Waffen in einer abgestimmten Choreografie zu schwingen. Schließlich rissen sie sie gleichzeitig empor, und wie durch einen Sog flogen vor ihnen Staub und Steine in die Luft.

„WIR SIND DIE BRÜDER!!!“ brüllten sie im Chor, dass es Barret in den Ohren schmerzte. Mit zusammengebissenen Zähnen entfaltete er seine Makokanone, während Secreto und Minotaur ihn finster lachend einkreisten.

Sein Blick pendelte zwischen den beiden Wesen hin und her. Es war offensichtlich, dass sie ihn in die Zange nehmen wollten. Schon hörte er ihre Hufe auf dem Steinboden scharren. Dann rannten beide zugleich brüllend los.

Ein Hechtsprung bewahrte ihn davor, zwischen den von dicken Knochen und spitzen Hörnern versehenen Köpfen der zwei Kreaturen zermalmt zu werden. Er hörte es nur dumpf krachen, als er eilig wieder auf die Füße kam. Sofort riss er seine Makokanone herum und eröffnete das Feuer. Das Hämmern des Geschützes in seinem Arm wurde untermalt von seinem lauten Schreien. Das Flackern der Plasmastöße warf kaltes Licht auf die Höhlenwände. Durch den plötzlichen Wechsel zwischen hell und dunkel sah er nichts vor sich, er hielt einfach drauf, bis seine Kanone zu rauchen begann. Erst als die Überhitzungsautomatik die Waffe zum Stehen brachte, verebbte der Sturm aus Feuer und Energie.

Atemlos blickte er in die Dunkelheit. Außer einer Ansammlung massiver Löcher in der gegenüberliegenden Wand sah er nichts. Hektisch wandte er sich nach allen Richtungen, doch von seinen Angreifern war keine Spur.

„Wo zum Teufel seid ihr zwei Rindviecher…“, murmelte er, während er mit seiner feuerbereiten Waffe den Raum absuchte. Langsam schwenkte er den Lauf der Makokanone, bis er sie sah. Doch da war es zu spät.

Der Größere der beiden Stierwesen packte den Boden vor ihm und riss ihn auf. Barret wollte schon schießen, doch als der Boden unter ihm Schräglage bekam, hatte er alle Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Tiefes Grummeln aus dem Erdinneren, begleitet von einem massiven Erdstoß, warf ihn zu Boden. Fassungslos sah er mit an, wie das Wesen ein kreisförmiges Stück Felsen aus dem Boden riss- das, auf dem er drauf lag! – und es gen Himmel schleuderte…
 

Die Beschleunigung drückte ihn zu Boden. Er raste einem Himmel entgegen, der gar nicht da sein durfte. Graue Wolken schien er zu durchstoßen, als er immer höher aufstieg. Mit letzter Kraft kam er auf die Beine, als allmählich die Beschleunigung abnahm. Schließlich stand er wieder aufrecht und blickte sich verwirrt um. Er schien weit über dem Erdboden in einem trüben Himmel zu schweben mitsamt seiner steinernen Plattform. Dies dauerte wenige Momente- dann setzte der unweigerliche Sinkflug ein. Unerbittlich zerrte die Schwerkraft an dem steinernen Rund, das Minotaur aus dem Boden gerissen hatte. Barret ging in die Knie, um nicht wieder zu Boden gerissen zu werden. Verzweifelt überlegte er, wie er den Sturz aus dieser Höhe überleben sollte- als eine Vision vor seinen geweiteten Augen erschien. Es war wie ein kleiner Bildausschnitt, der das Geschehen weit unter ihm im Felsengrab zeigte. Dort sah er die beiden Wesen- wie sie Schere-Stein-Papier spielten. Der Größere wählte Stein- der Kleinere Papier. Eine Miene des Entsetzens breitete sich über das Stiergesicht des größeren aus, dann packte ihn der kleinere- und schleuderte ihn in den Himmel über sich.

Von einem Moment zum nächsten hatte die Wirklichkeit Barret wieder. Noch einmal überschaute er nach allen Richtungen die steinerne Plattform, die mitsamt ihm vom Himmel fiel- dann sprang er.
 

Meter um Meter entfernte er sich von dem steinernen Untergrund unter seinen Füßen. Alles lief nun in Zeitlupe ab, ebenso das Entfalten seiner Makokanone. Langsam stieg er empor, als es geschah. Genau im richtigen Augenblick zielte er und feuerte. Minotaur brach durch die Steinplattform hindurch und flog genau in Barrets Visier. Er erwischte eine volle Breitseite und löste sich in pure Energie auf. Dann normalisierte sich der Ablauf der Zeit wieder, und Barrets Sinkflug begann.
 

Secreto beschirmte sich die Augen, als er in den Himmel über sich starrte. Die ersten Trümmer landeten neben ihn. Dann sah er etwas Größeres auf sich zukommen.

„Brüderchen, wo warst du sola- “

Doch es war nicht Minotaur, der da vom Himmel fiel. Es war ein stinksaurer Barret.
 

„Aaaaargh!!!“

Laut schreiend raste er auf den Boden zu. Nun gab es nur mehr eine Möglichkeit, nicht als Fleck in der Landschaft zu enden. Er richtete seine Makokanone genau in Richtung Erde und stellte sie auf maximale Energie. Dumpf dröhnend glühte sie auf, bevor sie einer Rakete gleich einen Feuerstrahl Richtung Boden sandte. Der Schub war enorm, und Barret landete relativ sanft.

Hustend putzte er sich den Staub von der Kleidung. Mehr als ein paar blaue Flecken hatte er nicht davongetragen, als er vom Schub seiner nach unten gerichteten Kanone abgebremst zwischen den Trümmern der Felsscheibe gelandet war. Als er nach oben blickte, war der zuvor noch existierende Himmel verschwunden. Dunkler Stein bildete wieder die Decke.

Nun herrschte wieder die einem Grab angemessene Stille. Nichts konnte er hören außer seinem eigenen, immer noch beschleunigten Herzschlag. Er hielt immer noch seine Makokanone offen, als ein leichter Lichtschein seine Aufmerksamkeit erregte. Als er sich umdrehte, wollte er schon schießen. Im letzten Moment senkte er die Waffe aber wieder.

Die zwei Wesen standen wieder vor ihm, doch nun waren sie durchsichtig und strahlten blasses Licht aus. Glühende Partikel stiegen von ihnen auf, als würden sie langsam zerfallen.

„Er hat’s wirklich geschafft.“

„Ich hab’s doch gesagt, Brüderchen. Den dürfen wir nicht unterschätzen.“

Die Stimmen der beiden klangen nun nicht mehr volltönend und brummig, sondern hohl und nachhallend, als könnte der erste Windstoß ihre Worte vertragen.

„Nun müssen wir zurück in unsere Welt“, sagte der größere langsam. Der kleinere, Secreto, schüttelte den Kopf.

„Nein, Brüderchen. Wir haben noch eine Aufgabe.“

„Und was soll das sein?“

„Ich weiß es auch nicht… aber er wird uns dorthin führen.“

Secreto zeigte mit einem Huf auf Barret, dann marschierten sie los. Von der unheimlichen Szene gebannt, sah er mit an, wie die beiden Wesen auf ihn zu und dann durch ihn hindurch gingen. Ratlos betrachtete er seinen Körper, von dem nun dieselben glühenden Partikel aufstiegen…
 

„Barret? Alles in Ordnung?“

Er begann zu blinzeln, als Cloud mit der Hand vor seinem starren Gesicht herumfuchtelte. Dann schüttelte er panisch den Kopf und wich vor ihm zurück.

„Scheiße, verflucht! Was war das für eine Freakshow, verdammt!?“

Cloud und die anderen sahen sich verwirrt an.

„Dieser Geist war ganz schön zäh, aber sonst- “

„Nein, verdammt! Das meine ich nicht!“ rief er heftig gestikulierend. „Ich meine die zwei Rindviecher! Sie konnten sprechen, und sie haben mich angegriffen, verdammt!“

Seine Freunde tauschten argwöhnische Blicke. Barret verzweifelte.

„Ihr müsst mir glauben! Ich bin doch kein Narr!?“

Vincent, der mit verschränkten Armen etwas abseits stand, hob langsam den Blick vom Boden.

„Hat eine Stimme gesagt… ‚es ist für dich bestimmt‘?“

Alle Blicke richteten sich auf ihn. Barret ballte die Faust.

„Ja, Mann. Woher weißt du das?“

Langsam ging Vincent an ihm vorbei. Sein Haar wallte, obwohl hier unten Windstille herrschte. Yuffie musste seufzen.

„Weil es bei mir dasselbe war. Zuerst die Stimme… dann der Kampf.“

Cloud machte ein alarmiertes Gesicht. Seine Brauen senkten sich auf seine Augen herab.

„Schon wieder…? Und wieder bei einem Auftrag von diesem… kommt, schnell. Dieser Spuk muss aufhören!“
 

Im Laufschritt verließen sie die Kanalisation. Fast wären sie an der Frau mit dem Kind vorbeigelaufen. Cloud stoppte abrupt. Erwartungsvoll blickte sie Mirha an.

„Sie können beruhigt sein. Das Ding wird ihrem Sohn keine Angst mehr einjagen.“

Cloud strich dem kleinen Digg über den Kopf.

„Au ja! Dann kann ich wieder mit meinen Freunden da unten spielen!“ rief er begeistert. Cloud nickte ihm freundlich zu. Dann wandte er sich wieder an Mirha.

„Sagen sie… außer diesem Geist, ist sonst noch was seltsames da unten in letzter Zeit passiert?“

Die Frau überlegte kurz.

„…nein, nicht das ich wüsste. Es gibt natürlich verschiedene kleinere Monster da unten, aber keines, das für Kopfgeldjäger wie euch gefährlich werden könnte. Was ist euch denn passiert?“

Cloud blickte nachdenklich zu Boden, dann schüttelte er den Kopf.

„Nichts. Vergessen sie es. Ach ja, passen sie gut auf ihren Sohn auf.“

Dann ließen die Vier die ratlose Frau mit ihrem Kind zurück.
 

„Du meinst, er hat uns diese Ungeheuer auf den Hals gehetzt?“ fragte Yuffie, während sie mit weiten Schritten das Klanhauptquartier ansteuerten.

„Es kann kein Zufall gewesen sein. Zuerst die Sache mit Vincent, und jetzt hat es Barret erwischt.“

„Aber… wieso sollte er das tun?“

„Ich habe keine Ahnung. Das werden wir ihn nun fragen.“

„Dabei war er doch so knuddelig…“, meinte Yuffie betrübt.
 

Cloud stieß die Tür zum Hauptquartier des Klan Zenturio auf. Mehrere Mitglieder drehten sich zu ihnen um. Zielstrebig marschierten sie die Treppe zu ihrem Anführer hinauf. Mont Blanc erwartete sie bereits freudig.

„Großartig! Ihr habt den Auftrag kupoerfüllt, vermute ich!?“ rief er und klatschte in seine kleinen Hände. Cloud packte den kleinen Wicht am Kragen seiner geschmacklosen Jacke und hob ihn vom Geländer runter. Wie auf Kommando glitten in diesem Moment etliche Waffen aus ihren Halterungen. Barret und Vincent zogen zugleich ihre Schusswaffen und hielten die alarmierten Klanmitglieder in Schach. Yuffie zog ihren Conformer, blickte ihn ratlos an- und bemühte sich dann, ein ebenso entschlossenes Gesicht wie ihre Freunde zu machen.

„Es hat sich ausge-kupo-t, verstanden? Und jetzt raus mit der Sprache, warum hast du es auf uns abgesehen?“ Der zierliche Mogry baumelte hilflos in seinem Griff. Mehrere der Umstehenden versuchten sich ihnen mit erhobener Waffe zu nähern, blickten dabei aber immer in einen der Läufe von Barret oder Vincent. Cloud riss sein Schwert vom Rücken und hielt die auseinandersurrende Klinge dem Mogry vors Gesicht. Angsterfüllt schaute er zwischen den Hälften der Waffe hindurch. „Noch einen Schritt näher und ich mache ihn kürzer als er ohnehin schon ist!“ drohte Cloud, und tatsächlich erstarrten alle kampfbereiten Klanmitglieder. Dann wandte er sich wieder Mont Blanc zu. „So, ich jetzt will ich ein paar Antworten!“

„Ich weiß kuponicht, von was ihr sprecht!“

„Ich spreche davon, dass bei unseren letzten beiden Aufträgen fast einer von meinen Freunden drauf gegangen wäre!“

Der kleine Mogry schüttelte sich in Clouds Griff.

„Dieses Geschäft ist nun mal gefährlich, das solltet ihr wissen- “

„Das waren nicht unsere Zielobjekte, da war noch etwas! Zuerst ein riesengroßer Teufel, dann zwei sprechende Rindviecher! Davon war keine Rede!“

„Ich- ich weiß nicht, was ihr wollt! Lasst mich runter, und ihr habt noch eine kupochance, hier heil wieder rauszukommen!“

Vincent, der mit der ‚Todesstrafe‘ die Klanmitglieder auf seiner Seite in Schach hielt, drehte den Kopf leicht zur Seite und flüsterte: „Wir verschwenden hier unsere Zeit. Er sagt die Wahrheit, ich spüre es.“

Cloud rümpfte die Nase. Dann disponierte er um.

„Also schön… wir wollten sowieso unser Beschäftigungsverhältnis beenden. Und als ‚Abfertigung‘ wollen wir nur eine kleine Info: Wo-ist-Gilgamesch?“ knurrte er ihn an. Mont Blanc schwankte zwischen Wut und der Angst vor dem riesigen Schwert vor seiner Nase. Er schien beides gegeneinander abzuwägen. „Mach schon! Sonst… schneide ich dir deinen Bommel ab!“ Der Mogry erschrak zutiefst.

„Nein!! Alles, nur das kuponicht… also gut. Ich weiß nicht, wo Gilgamesch ist, aber unsere neueste Spur führte nach… Nabudis.“

„Mehr weißt du nicht?“ fragte Cloud ernst. Mont Blanc blickte zitternd in sein Spiegelbild auf der Klinge.

„Wirklich nicht, kupoehrenwort!“

„Na gut…“ Cloud nickte langsam. Dann sah er sich um. Sie waren immer noch umzingelt von einer Heerschar erfahrener Kämpfer. Noch konnten Barret und Vincent sie in Schach halten, aber wohl nicht mehr lange. Sein spontaner Einfall hatte sie in diese Situation gebracht, und jetzt brauchten sie einen genauso spontanen Einfall, der ihre Flucht aus dem Gebäude ermöglichen würde.

„Vincent, Yuffie, Barret… auf mein Zeichen…“, flüsterte er leise. Yuffie tippte ihm auf die Schulter.

„WAS sollen wir auf dein Zeichen machen?“ fragte sie arglos. Cloud verzog seufzend das Gesicht, dann warf er den Mogry auf die nächststehenden Kopfgeldjäger. Diese ließen ihre Waffen fallen, um den durch die Luft segelnden Mont Blanc aufzufangen. Dann schwang sich Cloud über das Geländer in die Tiefe. Seine Freunde folgten ihm auf den Fuß.

Noch in der Landung schlug er mit der flachen Seite seines Schwertes ein Klanmitglied bewusstlos. Dann stürmte er in Richtung Tür. Nach links und rechts schwang er dabei sein Schwert, um Angreifer abzuhalten. Mehrere der aufgebrachten Klanmitglieder stoppten erst, als Kugeln von Barret oder Vincent vor ihren Füßen einschlugen.
 

Atemlos hetzten sie durch die Stadt. Nach einer Weile blieben sie stehen und drehten sich um. Es war ihnen niemand gefolgt, und so tauchten sie unauffällig in der Menge unter.
 

„Alles in Ordnung, werter Mont Blanc?“ Vorsichtig setzte der Bangaa, der ihn aufgefangen hatte, den Mogry auf dem Boden ab. Verärgert stieß er die helfenden Hände von sich.

„Ja, ja! Mir ist nichts passiert, kupo…“

„Sollen wir sie verfolgen, Meister?“ fragte einer der um ihn Herumstehenden.

„Nein, lasst sie. Sie sind sicher schon dabei, die Stadt zu verlassen.“

„Warum habt ihr sie nach Nabudis geschickt?“ fragte einer der offenbar beschränkteren Mitglieder seines Klans. „Wir wissen doch gar nicht, wo Gilgamesch ist.“

Mont Blanc putzte sich seufzend seine Jacke vom Staub ab und marschierte zu seinem geliebten Geländer.

„Die sollen ruhig glauben, dass er dort ist.“ Mit einem Satz sprang er auf das Geländer und begann mit den Armen zu rudern. Fast wäre er auf der anderen, tieferen Seite runtergefallen, doch dann fing er sein Gleichgewicht wieder. „Diese Narren gehen jetzt wohl wirklich nach Nabudis, kupo. Sie mögen stark sein, aber gegen die Monster dort haben sie keine Chance. Kupo.“
 

„Und was jetzt? In dieser ‚Nachbarschaft‘ haben wir uns ja jetzt ziemlich unbeliebt gemacht“, brummte Barret und wog seinen Waffenarm in der Hand.

„Wir müssen nach Nabudis, wo immer das ist“, erwiderte Cloud trocken.

„Hier können wir jedenfalls nicht mehr bleiben“, meinte Vincent. „Nicht nach deiner überstürzten Aktion. Das hätte uns allen den Hals kosten können.“

Cloud blieb stehen und wandte sich an Cid. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Was hättest denn du gemacht? Hattest du eine bessere Idee? Wenn ja, dann ist es jetzt etwas spät dafür- “

Yuffie spürte die drohende Auseinandersetzung und schob sich zwischen die beiden.

„Fangt nicht schon wieder an! Sonst… bekommt ihr es mit mir zu tun!“ Grummelnd blickte sie beide an. Clouds Gesichtsausdruck verlor an Schärfe. Er atmete tief durch.

„Schon gut. Vincent hat nicht ganz unrecht. Vielleicht habe ich vorhin überreagiert, aber…“ Voller ohnmächtiger Wut schüttelte er den Kopf. „Schlimm genug, dass Tifa weg ist… aber ich werde keinen von euch verlieren. Das schwöre ich.“ Sein Gesicht hellte sich auf. Er lächelte vorsichtig. „Seid mir nicht böse, dass ich immer das Kommando an mich reiße… aber schließlich bin ich der einzige S.O.L.D.A.T. hier von uns.“

Vincent verschränkte die Arme. Dann umspielte ein ganz leises Lächeln seine Lippen.

„Und… ehemaliger Turk zählt nicht?“

Dann war der Bann gebrochen. Cloud klopfte ihm fröhlich auf die Schulter.

„Tut mir leid, Vincent. Beim nächsten Mal höre ich auf dich.“

Vincent nickte nur, und für seine Verhältnisse strahlte er geradezu.

„Schön, dass ihr euch wieder vertragt“, knurrte Barret genervt. „Wir brauchen aber trotzdem einen Plan. Sonst trommeln die noch ihre ganzen ‚Brüder‘ zusammen und machen uns die Hölle heiß.“

Cloud wurde wieder ernst.

„Du hast recht. Wir brauchen jemanden, der uns so schnell wie möglich aus der Stadt und nach Nabudis bringt, wo immer das sein soll. Und jemanden, der keine Fragen stellt…“

Seine drei Freunde saßen an einem Tisch im ‚Sandmeer‘ und beobachteten die Tür. Cloud stand an der Theke und befragte den Wirt nach einer Transportmöglichkeit, die ihren Anforderungen entsprach. Er nickte lebhaft, wie Yuffie und die anderen sahen. Dann deutete er in Richtung eines Tisches, an dem ein junger Mann und eine ähnlich junge Frau saßen. Cloud schaute in die Richtung, und sein Gesicht zeigte Skepsis. Nichtsdestotrotz ging er der Empfehlung nach.
 

„Das ist gemein!“ kreischte das Mädchen und schnappte nach einem Gegenstand, den der junge Mann ihr offenbar vorenthielt. Er amüsierte sich sichtlich, bis er den Schatten über sich bemerkte. Als er sich umdrehte, sah er einen Mann in dunkler Kleidung mit abstehenden, blonden Haaren vor sich. Seine Augen leuchteten blau…

„Ja? Was kann ich für sie tun?“ fragte er und bemühte sich, seiner Stimme einen ernsthaften Klang zu geben.
 

Cloud musterte ihn argwöhnisch. Dieser junge Bursche sollte im Besitz eines Schiffes sein und damit alles Mögliche transportieren, hatte zumindest der Wirt behauptet. Er hatte helles, wohl von der Sonne ausgebleichtes Haar, eine kurze Stupsnase und große, arglose Augen. Das Mädchen neben ihm hatte ebenfalls helle Haare, doch ihr Gesicht machte einen erwachseneren Eindruck als das seine.

„Ist dein Name… Vaan? Der Wirt hat mich dich empfohlen.“

Der Bursche begann übers ganze Gesicht zu strahlen. In diesem Moment hätte er wohl eine Banane quer essen können, wenn es solche Früchte in Rabanastre geben würde.

„Ja, das bin ich! Luftpirat und Abenteurer, stets zu Diensten! Ob es um die Rettung in Not geratener Prinzessinnen, oder auch ganz gewöhnlicher Leute geht, oder um die Suche nach seltenen- “

„Ja, ja, ist schon gut“, bremste ihn Cloud ein. „Nein, wir retten niemanden. Wir wollen nur aus der Stadt raus, meine Freunde und ich.“

Die Mundwinkel des Burschen sanken etwas.

„Ja, äh… ist auch recht. Ach ja, das ist Penelo, meine Partnerin.“

Er zeigte auf das Mädchen, und sie deutete eine Verneigung an.

„Schön“, bemerkte Cloud trocken. „Mein Name ist Cloud Strife. Wie schnell kannst du starten?“

Der Bursche namens Vaan blickte seine Partnerin groß an. Dann wanderte sein Blick wieder zu Cloud.

„Wie? Jetzt?“

Cloud verdrehte die Augen.

„Nein, nächstes Jahr. Natürlich jetzt. Geht es nun oder nicht?“

„Ja, ja, sicher, es ist nur so… wir haben natürlich viele Anfragen für Transporte, aber… sie haben natürlich Vorrang!“
 

Cloud und die anderen folgten den beiden durch die Stadt. Die ganze Zeit über neckten sie sich gegenseitig. Man konnte vermuten, dass sie Geschwister oder zumindest miteinander aufgewachsen waren.

„Ob das eine gute Idee ist…“, überlegte Barret. „Die sind doch noch grün hinter den Ohren.“

„Wir werden sehen“, seufzte Cloud.
 

„Ist das nicht großartig? Unsere ersten Kunden!“ tuschelte Vaan zu Penelo. „Da darf nichts schief gehen. Mann, ist das aufregend!“

„Solange du in der Aufregung nicht wieder die Steuerkontrollen verwechselst, kann nicht viel passieren. Und jetzt gib mir wieder meinen Glücksmaginit zurück!“ fauchte sie ihn an.@ Endlich gelang es ihr, ihm den Gegenstand zu entreißen. Triumphierend steckte sie ihn ein. Der junge Mann war nur kurz davon irritiert, als sein Blick etwas erspähte. Dann senkte er ihn zu Boden. In der belebten Straße, die sie entlang gingen, kamen ihnen zwei der allgegenwärtigen Wachen in ihren aufwändigen, den ganzen Körper verdeckenden Rüstungen entgegen. Vaan rempelte einen von ihnen an.

„Bitte verzeiht, Herr!“

„Pass doch auf, du Lump!“

Der Soldat machte eine drohende Geste, während der junge Mann sich unterwürfig verneigte. Dann winkte er verächtlich ab, und die zwei Soldaten gingen wieder ihres Weges. Vaan drehte sich mehrmals unauffällig um, bis die beiden außer Reichweite waren. Dann zog er grinsend einen Geldbeutel hervor. Die junge Frau an seiner Seite warf ihm einen tadelnden Blick zu.

„Ich hab dir doch gesagt, du sollst das lassen“, zischte sie ihm zu.

Die beiden führten sie zu einer Lagerhalle in einer eher heruntergekommenen Gegend. Gemeinsam schoben die beiden ein rostiges Tor auf, das nur widerwillig den Weg freigab. Schließlich stand das Tor offen und gab den Blick frei auf das Innere der Halle. Voller Enthusiasmus liefen die beiden um das ‚Ding‘ herum, das etwas verloren in der Mitte der Halle stand. Es schien ein Luftschiff zu sein, zumindest so etwas Ähnliches. Stolz schwang sich der junge Mann namens Vaan in das Cockpit hinein.

Cloud und seine Freunde näherten sich skeptisch. Das Vehikel schien auf den ersten Blick gerade genug Platz für zwei Personen zu bieten. Es machte auch ansonsten einen eher fragilen Eindruck.

„Wo wollt ihr überhaupt hin?“ fragte die junge Frau, die ihr Partner als Penelo vorgestellt hatte.

„Nach Nabudis“, antwortete Cloud beiläufig, während er prüfend gegen die metallene Flanke des Flugapparats klopfte.

„Nach… Nabudis?“ Ihr Gesicht verriet Besorgnis.

„Ja. Gibt’s da ein Problem?“

Penelo tauschte mit Vaan einen skeptischen Blick.

„Allerdings. Die Gegend ist mysthumwölkt, wie jeder weiß. Wir können nicht bis dorthin fliegen.“

Cloud seufzte genervt und griff in seine Tasche.

„Okay, Leute. Spart euch die Spielchen. Wir zahlen euren Preis, ihr müsst ihn nicht mit irgendwelchen Sprüchen extra hochtreiben.“

Penelo erhob beschwichtigend die Hände.

„Nein, nein, sie verstehen mich falsch! Von wo seid ihr, dass ihr nichts über Mysth wisst?“

„Von ziemlich weit weg. Und das geht euch auch gar nichts an. Also, wo ist das Problem?“

„Die Mysthkonzentration ist sehr stark dort“, erklärte Penelo geduldig. „Kein Luftschiff, das nicht über spezielle Nethizite verfügt, kann dieses Gebiet überfliegen. Wir können in der Nähe landen, den Rest müsst ihr zu Fuß gehen.“

„Ich versteh nur Bahnhof“, brummte Barret zu Vincent.

„Ich glaube, sie haben Angst vor diesem Ort“, erwiderte dieser nachdenklich.

„Na schön. Bringt uns so nahe wie möglich dorthin, einverstanden?“

Penelo und Vaan nickten synchron.

„Na dann, alles einsteigen!“ krähte die junge Frau fröhlich.

„Und wo bitte? In der Nussschale haben ja nur Kinder Platz“, nörgelte Barret und warf einen missmutigen Blick auf die hintere Sitzreihe, die ursprünglich kaum für vier Personen gedacht war.

„Das geht schon, nur keine Sorge“, bestätigte Vaan. „Wir haben… schon oft vier Leute da hinten sitzen gehabt, nicht wahr, Penelo?“

Die Frau sah ihn einen Moment ratlos an, dann nickte sie eifrig.

„Äh… klar, sicher. Schon oft. Ist bequemer als es aussieht.“

Knurrend und mit verdrehten Augen zwängte Barret seinen massigen Körper in das Vehikel. Ihm folgten Cloud, Vincent, und als letztes die schlankste von ihnen, Yuffie. Doch trotz allen Schieben und Drücken schien kein Platz mehr zu sein. Letztendlich schwang sich Yuffie auf Vincents Schoß, was dieser mit einem Schnaufen quittierte.

„Ich hoffe, ich bin nicht zu schwer“, kicherte sie. Vincent seufzte lautstark.

„Nein… wird schon gehen.“

Dann schloss Penelo die Tür und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Die beiden legten verschiedenste Schalter um und prüften dabei alle Funktionen vor dem Start. Dann hob das Schiff unter lautem Brausen ab- um Sekunden später wieder auf dem Boden hart aufzusetzen.

„Hm… wir sind ETWAS schwer… Penelo, ich brauche mehr Saft.“

Die Angesprochene nickte seufzend und legte dann weitere Schalter um. Das Triebwerk wurde noch lauter und klang eindeutig gequält. Beim nächsten Versuch kamen sie tatsächlich vom Boden weg und entschwebten schließlich durch die große Öffnung im Dach der Halle.
 

Sie gewannen an Höhe, und nun konnten sie zum ersten Male die ganze Stadt überblicken. Was vorher nur ein Wald von hohen, buntverzierten Häusern war, bot sich ihnen jetzt als prächtige Stadt dar, in dessen Zentrum ein gewaltiger Palast thronte, der alles überragte. Yuffie drückte sich die Nase am Glas platt.

„Wow…“

„Was ist das für ein riesiger Kasten da drüben“, fragte Barret und deutete auf den Palast.

„Das ist der königliche Palast von Rabanastre“, erklärte Vaan.

„Wohnt da diese komische Königin, die das Volk in der Unterstadt vergammeln lässt?“ knurrte Barret verärgert.

„Sie meinen Königin Ashelia? Na ja, so schlimm ist wieder auch nicht“, erwiderte Penelo und tauschte mit Vaan einen belustigten Blick.

„Da denken die Bewohner der Slums aber anders. Ich hab mit ihnen geredet“, bekräftigte Barret.

„Ihr dürft nicht alles ernst nehmen, was die Bewohner der Unterstadt so erzählen“, erklärte Penelo, während Vaan sich auf das Steuern des Schiffes konzentrierte. „Das Nörgeln gehört für sie zum Alltag. Sie leben freiwillig dort unten. Sicher ist es nicht so schön dort unten, dafür zahlen sie aber auch keine Steuern. Das wird vom Königshaus geduldet.“

„Hm…“, grummelte Barret mit Blick auf den imposanten Palast.

„Gibt es eigentlich auch einen König?“ fragte Yuffie.

„Nein…“, antwortete Penelo. „Ihr Mann starb im Krieg. Seither ist sie allein geblieben.“

„Wie traurig. Wenn ich Königin wäre, dann würde ich mir im ganzen Reich den tollsten Mann aussuchen und ihm befehlen, mich zu heiraten“, sagte sie kichernd. Dabei warf sie einen verstohlenen Blick zu Vincent, auf dessen Schoss sie hockte. Dieser drehte nur den Kopf weg.

„Was ist das…“, fragte Cloud ungläubig staunend und zeigte auf ein turmhohes Objekt, das bei weitem höher war als jedes Gebäude der Stadt. Es stand etwas außerhalb der Stadt in einem kleinen See. Ungewöhnlicherweise wurde es nach oben immer breiter, schien aber trotzdem stabil dazustehen.

„Das? Das ist praktisch unser Wahrzeichen, die Bahamut.“ Bei dem Namen zuckten alle Vier unwillkürlich zusammen und tauschten vielsagende Blicke miteinander. „Es ist jetzt ein halbes Jahr her… in dem Krieg zwischen Archadis und dem Widerstand- sagt bloß, ihr wisst nichts davon?“ Cloud schüttelte den Kopf. „Hm… ihr müsst wirklich von weit weg sein. Jedenfalls, das archadianische Reich hat die Rebellen bekämpft, und das hier über Dalmasca. Die Bahamut, ihr größtes Schiff, sollte ihnen den Sieg sichern. Es konnte aber zerstört werden, und wäre dabei um ein Haar auf die Stadt gestürzt. Mutige Menschen konnten das aber verhindern…“ Sie sahen nicht, wie ein wehmütiger Ausdruck in seinen Augen aufleuchtete. „Jedenfalls steht es seitdem dort. Man hat die Flugaggregate wieder in Stand gesetzt, damit es so stehen bleibt. Ein beeindruckender Anblick, nicht wahr?“

Keiner antwortete, denn sie alle starrten fasziniert auf das senkrecht stehende Gebilde, das fast so groß war wie der frühere Shinra-Turm in Midgar.

Bald ließen sie die Stadt hinter sich, und ein mächtiger Gebirgszug kam näher. Je näher sie kamen, desto größer wurden ihre Zweifel, ob sie genügend Höhe zum Überfliegen erreichen würden.

„Diese Berggipfel… sollten wir nicht etwas höher fliegen?“ fragte Cloud vorsichtig.

„Ähm, das geht sich schon aus“, antwortete Vaan mit einem nervösen Unterton in der Stimme.

Tatsächlich schienen die Spitzen der Felstürme bald zum Greifen nah. Sie erwarteten schon, ein Scharren an der Unterseite ihres fliegenden Vehikels zu hören. Doch nichts dergleichen geschah, und nach einigen ebenso beeindruckenden wie auch beängstigenden Tiefblicken ließen sie den Gebirgszug hinter sich. Auch Vaan und Penelo atmeten hörbar auf, wie sie merkten.

„Seht ihr das nebelige Sumpfgebiet da vorn? Das sind die Nabreus-Sümpfe. Weiter als bis an ihren Rand können wir nicht fliegen.“

„Wie weit ist es dann noch?“ fragte Cloud, der verzweifelt versuchte, zwischen Barret und Vincent etwas Platz zum Strecken seiner halb eingeschlafenen Glieder zu bekommen.

„Ach, nicht weit“, antwortete Vaan. „Vielleicht eine halbe Stunde zu Fuß. Es geht mich ja nichts an… aber was habt ihr dort vor? Seid ihr vielleicht… Kopfgeldjäger?“

„Es geht dich tatsächlich nichts an“, erwiderte Cloud brüsk. „Aber zu deiner Beruhigung: wir sind tatsächlich Kopfgeldjäger“, log er.

„Interessant! Für welchen Klan arbeitet ihr? Etwa für den Klan Zenturio?“ fragte Vaan ungeniert nach.

„Äh, nicht mehr. Wir haben dort… gekündigt. Jetzt sind wir freiberuflich unterwegs.“
 

Langsam kam das Ziel näher, und das gleichmäßige Surren kombiniert mit der Beengtheit an Bord schaffte bei allen Vier ein schläfriges Gefühl. Irgendwann lehnte sich Yuffie zurück und damit an Vincents Brust an.

„Das stört dich doch hoffentlich nicht“, flüsterte sie. Vincent schüttelte langsam den Kopf.

„Nein… ist kein Problem.“

Das Gefühl der Nähe war zuerst befremdlich für ihn. Er überlegte sich, wie lange es her war… über dreißig Jahre, fiel ihm ein. Die drei Jahrzehnte in einem Metallsarg hatten ihn verändert, kein Zweifel. Doch die Erinnerung war noch immer tief in ihm- und in diesem Moment lebte sie auf, ob er es wahrhaben wollte oder nicht. Lucrezia hatte sich auf dieselbe Art an ihn angeschmiegt, auch wenn dies in einem vorigen Leben geschehen war, wie es ihm schien. Doch mit der Zeit gewöhnte er sich daran, an den gleichmäßigen Rhythmus ihres Atems, an ihre Wärme- und fragte sich gleichzeitig, ob er nach alldem wieder zurückkehren würde wollen in die Einsamkeit der Shinra-Villa. Oder ob nicht doch ein anderes Leben jenseits seiner ‚Sünde‘ möglich war. Und ob nicht selbst seine Sünde eines Tages vergeben sein konnte…
 

Einige Zeit später gingen sie in den Landeanflug über. Der Boden quatschte wässrig unter dem Flugschiff. Als sie hinaussprangen, standen sie bis zu den Knöcheln im Schlamm. Verärgert betrachtete Barret den Morast auf seinen Stiefeln.

„Was für ´ne Scheißgegend…“

Knurrend ließ er den Blick über die Landschaft schweifen. Der dichte Nebel begrenzte die Sicht enorm. Hohe Schilfgewächse und schwimmende Wasserpflanzen bestimmten die Vegetation. Übergroße Insekten schwirrten zwischen den wuchernden Gewächsen umher. An manchen Stellen leuchtete verbrennendes Sumpfgas auf, was die düstere Atmosphäre noch verstärkte.

Cloud bezahlte Vaan mit ihrem restlichen Geld. Dieser steckte die Summe erleichtert ein.

„Die Ruinen von Nabudis liegen in dieser Richtung“, erklärte Vaan und deutete in den undurchdringlichen Nebel.

„Einen Moment- Ruinen?“ fragte Barret verblüfft. Vaan machte ein skeptisches Gesicht.

„Ja. Was dachtet ihr?“

„Warst du schon mal da?“ wollte Cloud näher wissen. Vaan nickte.

„Allerdings…“

„Was kannst du mir über diesen Ort erzählen?“

Der junge Mann sah ihn schief von der Seite an.

„Für Kopfgeldjäger seit ihr ja nicht besonders gut informiert… Nabudis war früher mal die Hauptstadt von Nabradia. Aber ein missglücktes Experiment hat die Stadt ausradiert.“ Mit beiden Händen deutete er eine gewaltige Explosion an. „Seither leben dort nur mehr Monster, und zwar ziemlich gefährliche… aber ihr seht mir eh aus wie Leute, die sich zu wehren wissen. Na dann, viel Glück“, rief er ihnen noch zu. Im nächsten Moment zog er die Tür zu, und das Schiff hob vom Sumpfboden ab. Um seine Last erleichtert, verschwand es schnell aus ihren Augen. Nachdenklich blickten sie in die Richtung, in der es verschwunden war.

„Großartig… da wären wir nun“, brummte Barret kopfschüttelnd. Dann setzten sie sich in Bewegung, und bei jedem ihrer Schritte schmatzte der aufgeweichte Boden. Ständig mussten sie auf Sumpflöcher achten, und so kamen sie nur langsam voran. Bis sich nach einiger Zeit eine verfallene Ruine, die abgebrochen Zähnen gleich unheilvoll in den trüben Himmel ragte, aus dem Nebel schälte…
 


 

„Das… klingt sehr beunruhigend.“

Eine volle Stunde hatte er nun den Ausführungen von Doktor Bakajan gelauscht. Seine Miene hatte nur wenig über sein Inneres verraten, so wie er auch sonst sich nicht viel anmerken ließ. In seiner Position hatte er gelernt, seine Gefühlsregungen zu verbergen.

„Auch wenn vieles sich im spekulativen Bereich befindet, so müssen wir doch handeln“, erwiderte er nickend.

„Was schlagen sie vor, Doktor?“

Sein nachdenklicher Blick ging aus dem Fenster. Sie waren weit über den Dächern von Archadis. Nur der Kaiserpalast war noch höher als das Gebäude des Draklor-Laboratoriums.

„Für den Moment empfehle ich die Entsendung vertrauenswürdiger Männer. Wir müssen uns vor Ort ein Bild machen. Erst dann können wir die Tragweite dieser Ereignisse genauer abschätzen, eure Hoheit.“

Er nickte dem Doktor zu, als Zeichen, dass das Gespräch nun beendet war. Mit tiefen Verbeugungen verabschiedete er seinen Kaiser.
 

Von allen Seiten flankierten ihn Gardesoldaten, als er das Draklor-Laboratorium verließ. Während der Aufzug aus dem obersten Stockwerk in die Tiefe surrte, schmiedete er bereits einen Plan.
 

Auf einen Wink ließen ihn seine Bewacher alleine in dem geräumigen Büro, das schon vor ihm sein Vater und davor etliche Generationen des Hauses Solidor als Amtssitz verwendet hatten. Er machte sich noch ein paar Notizen, dann betätigte er die Gegensprechanlage. Dabei beorderte er eine bestimmte Person in sein Büro.

Nach diesem Gespräch atmete er geräuschvoll aus. Mit seinen noch jungen Jahren lastete bereits das Gewicht des Kaisertitels auf seinen schmalen Schultern. Doch es gab keine andere Möglichkeit zum Erhalt des Hauses Solidor, nicht nach dem Tod seines Vaters und… seines Bruders, Vayne.

Mit auf dem Rücken verschränkten Armen überblickte er die Silhouette der Stadt Archadis. Die vielen Menschen, die hier lebten, hatten keine Ahnung, was ihnen möglicherweise bevorstand, und das war auch besser so, befand er. Gedankenverloren starrte er aus dem breiten Panoramafenster, als sich die Tür öffnete.

Er drehte sich um, und ein Mann in der Rüstung der kaiserlichen Richter stand vor ihm. Er ging ehrerbietend in die Knie.

„Nein, bitte erhebt euch. Diese Förmlichkeit können wir uns ersparen, wenn wir unter uns sind.“

„In Ordnung, eure Hoheit. Ihr habt mich rufen lassen.“

„Ja, ich brauche euch für eine wichtige Mission. Ich war vorhin im Draklor-Laboratorium. Dort habe ich leider schlechte Neuigkeiten erfahren.“

Die Gestalt, deren Gesicht von dem charakteristischen Helm der Richter Archadis‘ verborgen wurde, kam einen Schritt näher.

„Um was geht es? Der Frieden mit Rozarria hat doch Bestand?“

„Das ist es nicht, seid unbesorgt. Es geht… um Nabudis. Die Wissenschaftler des Draklor-Laboratoriums beobachten ohne Unterlass die Mysth-Konzentration an diesem unheilvollen Ort, wie ihr sicherlich wisst.“

Der Richter nickte.

„Ja, eure Hoheit. Davon habe ich gehört.“

Larsa Solidor begann langsam seinen Schreibtisch zu umrunden.

„In letzter Zeit gibt es beunruhigende Beobachtungen. Die Mysth scheint in Aufruhr, und Doktor Bakajan kann nicht sagen, warum.“

„Nabudis ist ein verfluchter Ort, eure Hoheit. Ich weiß dass, ich war schon dort. Es könnte alles Mögliche oder aber auch gar nichts bedeuten.“

„Ich weiß“, erwiderte Larsa langsam. „Deshalb möchte ich euch schicken. Ihr habt die meiste Erfahrung, ihr kennt diesen Ort. Wir brauchen jemanden, der vor Ort erkundet.“

„Ich werde es tun, eure Hoheit“, tönte es blechern aus dem gehörnten Helm. „Verlasst euch auf mich.“

Larsa Solidor nickte ihm noch einmal zu, dann entfernte sich der Richter nach einer tiefen Verbeugung.
 


 


 

Anmerkung des Autors: Bei den Dreharbeiten zu diesem Kapitel wurden keine Mogrys verletzt oder gequält.

Brennpunkt Nabudis ~ der erste Akt

Es ist soweit: wir nähern uns dem vorläufigen Höhepunkt der Geschehnisse. Wir befinden uns in Nabudis, der Stadt der Toten. Allmählich spitzen sich die Ereignisse zu, und es gibt einige unerwartete Konfrontationen. Ach ja, ein gewisser Jemand, der nicht aus dem Final Fantasy-Universum stammt, hat einen kleinen Gastauftritt. Wer ihn errät, dem widme ich das nächste Kapitel ;-)
 


 


 

„Weiter fliege ich nicht ran, nicht für alles Geld der Welt“, rief ihnen der Fahrer zu, als sie alle ausstiegen. „Die Mystkonzentration ist zu stark, nichts kann über Nabudis fliegen. Lebt wohl“, sagte er eilig, und schon wendete er das Schiff. Verdutzt blickten sie ihm nach, und bald verschwand es in einer Staubwolke am Horizont. Dann blickten sie sich um. Der feste Boden der sandigen Ebene um Archadis herum ging hier allmählich in eine nebelverhangene Sumpflandschaft über. Dichte Schilfgewächse wurden von riesigen Insekten umflattert. Irrlichter aus Sumpfgas glühten wie Gespenster im Dickicht auf, und durch den Dunst erkannten sie schemenhaft die Umrisse ihres Ziels, das ihnen Auguste Baldore als möglichen Aufenthaltsort der Kreatur Gilgamesch verraten hatte. Die Hauptstadt der Toten, Nabudis.
 

Der vollgesogene Boden gab bei jedem ihrer Schritte schmatzende Geräusche von sich. Zudem mussten sie bei jedem Schritt auf Sumpflöcher achten, die sich nur durch die darauf schwimmenden Seerosen und Wasserpflanzen verrieten. Plötzlich hörten sie einen lautstarken Fluch von Xell Dincht. Überrascht drehten sie sich um. Sie sahen, wie er mit einem Bein bis zum Knie in einem Schlammloch steckte. Nur mit Mühe konnte er den Fuß wieder herausziehen.

„Brauchst du Hilfe?“ fragte Irvine, doch Xell winkte nur ab.

„Ach was, ich komm schon raus aus dem Dreckloch… so eine Scheiße“, fluchte er leise, als er seinen nun nicht mehr blitzblauen, sondern eher dunkelbraunen Turnschuh ansah. „Die kann ich nachher wegschmeißen“, murmelte er kopfschüttelnd, bevor er wieder den anderen folgte.

Nach kurzer Zeit wurde der Boden wieder fester, und sie liefen nicht mehr bei jedem Schritt Gefahr, im Morast zu versinken. Nun erhöhte sich auch ihr Tempo, und nach kurzer Zeit standen sie vor einer Brücke, die über einen trüben Flusslauf direkt zu einem Eingang in die Ruine führte. Ein hohes Tor bildete den Eingang, und es wirkte wie ein gähnendes Maul, bereit jeden zu verschlingen, der es zu durch schreiten wagen würde.

„Also gut…“, sagte Rinoa leise zu sich selbst und setzte den ersten Fuß auf die Brücke. Hinter sich hörte sie die Schritte ihrer Freunde, und sie gaben ihr etwas Mut. Seit nicht ganz einer Woche waren sie nun in dieser Welt, und dies war nun die erste konkrete Spur von Squall… oder eigentlich seinem Entführer. Inständig hoffte sie, etwas zu finden, irgendein Lebenszeichen von ihm… etwas, das ihr den Mut und die Kraft geben würde, weiter zu suchen. Dieses ganze Unternehmen kostete ihr mehr Energie, als sie zeigen wollte, ja durfte. Sie musste stark sein, musste den anderen ein Vorbild sein. Und gleichzeitig schüttelte sie über sich selbst den Kopf.

Es sind SEEDs, die brauchen keine Vorbilder.

Schon gar nicht so eines wie mich.

Wem wollte sie etwas beweisen? Den anderen wohl kaum, die wussten, was zu tun war. Sich selbst? Sie hatte ihn aus freien Stücken verlassen, hatte sich ein Leben ohne ihn vorstellen können, doch nun… war sie bereit, alle Grenzen zu überschreiten, um ihn zu finden. Die Situation mit den Kopfgeldjägern im Sohen-Höhlenpalast hatte ihr das deutlicher vor Augen geführt, als sie bereit war, zuzugeben. In diesem Moment hatte sie ihr persönliches Ziel höher eingestuft als die Sicherheit ihrer Freunde- wie hatte es so weit kommen können? Nach der langen Zeit im Schumi-Dorf, in der sie nichts getan hatte außer ihrem neuen Hobby, dem Malen, nachzugehen, befand sie sich nun in einer Phase des Hochdrucks, wie sie sie schon eine Weile nicht mehr erlebt hatte. Zuletzt… sie erinnerte sich. Es war, als sie die Timber-Eulen, die kleine Widerstandsgruppe, angeführt hatte. Auch zu jener Zeit hätte sie ihrem Ziel alles geopfert, selbst ihre guten Freunde innerhalb der Rebellengruppe. Und tatsächlich hatte sie einmal aus sicherer Entfernung mit angesehen, wie mehrere Mitglieder der Timber-Eulen öffentlich hingerichtet wurden. Der damalige Präsident von Galbadia, Vincer Deling, hatte höchstpersönlich mit einer Waffe auf die bereits toten Verurteilten geschossen. Ihre Freunde hatten das mit Abscheu und Schrecken mit verfolgt, doch Rinoa war ruhig geblieben. So ruhig, wie eine Anführerin es sein musste. Vielleicht zu ruhig? Würde sie den Tod ihrer Freunde, Irvine, Xell und Selphie, ebenso regungslos miterleben?

All diese Fragen gingen ihr durch den Kopf, während sie an der Spitze ihrer kleinen Gruppe diese Brücke überschritt. Mit jedem Schritt schienen ihre Füße schwerer zu werden, als schleppe sie das Gewicht der Verantwortung mit ihnen. Fast war sie erleichtert, als sie die andere Seite erreichten.

Irvine drehte sich um.

„Selphie, worauf wartest du? Ist das was?“

Die Angesprochene beugte sich über das Geländer der Steinbrücke und starrte in das trübe, zäh dahin fließende Wasser. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Nein… hab ich miiir wohl nur eingebildet.“

Dann folgte sie eilig den anderen, die das verfallene Gebäude betraten. Als sie weg war, begann das Wasser sich zu kräuseln…
 

Mit angehaltenem Atem ließen sie ihre Blicke vom Boden bis zur Decke empor wandern. Dies musste ein Palast gewesen sein, vor langer Zeit. Edler Marmor und Halbedelsteine bildeten die Intarsien, die fast jeden Quadratmeter hier bedeckten. Reich verzierte Säulen stützten die prachtvollen Decken, die über ihnen hingen. An verschiedenen Stellen war das Mauerwerk von kunstvoll heraus gemeißelten Fenstern durchbrochen. Doch durch diese Fenster fiel kein Licht mehr herein, und durch diese Hallen schritt kein Herrscher mehr.

Stattdessen tanzten nun Irrlichter wie riesige Glühwürmchen durch die verfluchten Gänge. Jetzt erst merkten sie, dass der um sich greifende Sumpf auch das Fundament dieses früheren Palasts angegriffen hatte. Das ganze Gebäude hing leicht schief, wie sie an den sich in den Ecken ansammelnden Brackwässer merkten. Der Geruch von Fäulnis und Verfall war hier drin noch schlimmer wie draußen; es roch nach Tod.

„Wu-huu…“, sagte Xell und atmete geräuschvoll aus. „Was für ´nen schräger Kasten…“

„Sieht unbewohnt aus“, meinte Irvine. „Na ja, von Monstern vielleicht abgesehen. Sonst kann sich hier niemand wohlfühlen.“

Ihre Schritte hallten von den Wänden wieder, das einzige Geräusch außer dem unablässigen Tropfen des Wassers, das überall eindrang. In wenigen Jahren würde dies alles von Wasser überflutet sein, so vermuteten sie.

Vorsichtig durchstreiften sie die Gänge, bis sie vor ein hohes Tor kamen. Die Torflügel standen weit offen, als hätte sie jemand vorsorglich geöffnet. Dahinter erstreckte sich ein weiter, annähernd quadratischer Saal. Kurz zögerten sie, dann traten sie ein.

Fast verloren kamen sie sich vor in der Mitte dieses imposanten Saals, der außer einigen Bruchstücken, die von der Decke gestürzt waren, nichts enthielt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals erkannten sie ein Tor ähnlich dem, durch das sie diese Halle betreten hatten.

Sie waren dabei, den Saal zu durchqueren, als Xell ein Geräusch hinter sich hörte. Es klang wie ein… fiepen? Verwirrt drehte er sich um.

„Was ist denn das?“ Ungläubig staunend rieb er sich die Augen. In diesen düsteren Gewölben hätte er alles Mögliche erwartet- aber nicht das. Das Wesen, das das Geräusch erzeugt hatte, war winzig. Es schien nur aus Fellknäueln und Federn zu bestehen. Es reichte ihm gerade mal bis zu den Kniescheiben und hatte zwei große, schwarze Knopfaugen. „Na du bist ja putzig“, sagte Xell und beugte sich zu dem lustig hin und her hüpfenden Wesen hinab. „Hast du auch einen Namen?“

Das Wesen hielt inne, als würde es überlegen, dann setzte es seinen fröhlichen Tanz fort.

„Fury“, flötete es mit seiner Piepsstimme. Xell hob eine Augenbraue.

„Fury? Seltsamer Name für so einen niedlichen Knilch wie dich. He, Leute, schaut mal, was ich- “

Als er sich umdrehte, schienen seine Freunde wie in der Bewegung erstarrt. Sie reagierten nicht.
 

Xells ungläubiger Blick wanderte zurück zu dem drolligen Wesen. Immer noch hüpfte es hin und her, als versuchte es, ihn damit zu hypnotisieren. Und tatsächlich schaffte er es nicht mehr, den Blick von dem putzigen Geschöpf abzuwenden. Seine Bewegungen, sein auf und ab schwingendes Fell- und Federkleid verschwammen vor seinen Augen zu einer milchigen Masse, in deren Strudel er immer mehr versank…
 

„Xell Dincht, sie sind nun an der Reihe!“

Er schrak hoch, als ihn jemand an der Schulter berührte. Er schaute hoch und sah jemanden in einem altertümlich wirkenden, schwarzen Gewand, der ihn ernst ansah. Er selbst saß auf einer Bank, wie er nun merkte. Diese stand am Rande eines annähernd runden Raums. Wie mit einer kleinen Verzögerung, drangen nun die restlichen Geräusche in sein Bewusstsein. Er hörte Rufe, Pfiffe, Händeklatschen. Nun wanderte sein Blick die Tribünen empor, die sich über mehrere Stockwerke zu allen Seiten des Raums hochzogen. Diese waren überfüllt mit Menschen, die winkten, schrien und anfeuerten. Dann sah er das Rund, das das Zentrum des Raumes bildete. Es war ein von Matten bedeckter Kreis, an dessen Rand mehrere Personen, gleich der, die ihn gerade angesprochen hatte, saßen. Stoisch betrachteten sie, wie mehrere Helfer in weißer Kleidung einen Mann aus dem Rund trugen. Er lag auf einer Bahre und rührte sich nicht. Ein Arm hing schlaff von der Bahre herab, und die Helfer beeilten sich, ihn wegzuschaffen.

„Worauf warten sie?“ fragte ihn die Person. Tausend Fragen tobten durch seinen Kopf, zu viele, um sie auf einmal zu stellen. Als er sich wie automatisch erhob, sah er, dass er kein Hemd mehr trug. Seine Brust war schweißnass, als ob er sich gerade eben noch ziemlich angestrengt hatte. „Sie sind an der Reihe. Sie sind im Finale“, sagte die Person und klopfte ihm auf die Schulter. Sein Blick drückte Bedauern aus.

„Hä…? Was für ein… Finale? Wo bin ich hier, verflucht?“

„Das kommt von den Schlägen. Keine Sorge, in ein paar Tagen funktioniert ihr Gedächtnis wieder einwandfrei. Vorausgesetzt, sie überleben diesen Kampf.“

Dann schob er ihn förmlich in Richtung des Runds, wo eine Person wartete. Sie war es offenbar gewesen, die den reglosen Mann auf der Bahre in ihren bemitleidenswerten Zustand versetzt hatte. Völlig perplex ging er los. Das Toben der Zuschauer wurde immer lauter, fast schmerzte es ihn in den Ohren. Und wie zwischen all den Stimmen, die johlten, anfeuerten und jubelten, hörte er fünf gespenstisch klare Worte heraus.

Dies… ist… für… dich… bestimmt.

„Was? Was heißt das? Spinne ich jetzt oder was?“

Als er das Rund betrat, hörte er seine eigenen Worte kaum. Dann verstummten schlagartig alle Zuschauer. Verwirrt sah er sich um. Dann erhob sich der mittlere der seltsam gewandeten Personen vom Rand des Kreises und begann zu sprechen.

„Dies ist nun das Finale dieses ehrwürdigen Turniers. Ihr beide werden nun kämpfen, und der Sieger soll den Preis erhalten… die Stahlkrone!“

Seine Stimme erzitterte beim letzten Wort, und ein andächtiges Raunen ging durch die überfüllten Zuschauerränge. Xell schüttelte den Kopf. Dies war wie ein Traum… nur realer. Dann wandte er sich zu seinem Gegner um.

Er stand mit verschränkten Armen vor ihm. Wie er trug er nur eine Hose, sein Oberkörper war bloß. Er hatte schwarzes Haar, das in einem seltsamen Spitz nach hinten weg stand und in Strähnen über sein ernstes Gesicht herabhing. Über seinen Augen hingen lange, dunkle Augenbrauen. Das rechte Hosenbein seiner langen, schwarzen Hose war mit Flammen verziert. An Händen und Füßen trug er rote Schützer, wie bei Kickboxern üblich. Auf der linken Schulter hatte er eine Tätowierung, und überhaupt kam er Xell seeehr bekannt vor.

„He, du kommst mir bekannt vor. Klar, jetzt weiß ich es, du bist J- “

Bevor Xell weitersprechen konnte, attackierte ihn der schwarzhaarige Mann auch schon. Blitzschnell und präzise waren seine Angriffe, und in kürzester Zeit sah Xell sich ernsthaft bedrängt. Aufwärtshaken, gestreckte Schläge und niedrige Tritte gegen seine Beine prasselten auf den SEED herab. Schließlich, als er alle Hände voll zu tun hatte, die genauso schnellen wie kraftvollen Handtechniken seines Widersachers abzuwehren, traf ihn ein wischender Tritt an den Beinen. Es zog sie ihm weg wie nichts. Krachend schlug er auf dem Mattenboden auf.

Benommen blickte er hoch zu dem Kämpfer, der mit erhobenen Fäusten und funkelnden Augen vor ihm stand. Xell wollte gerade ächzend aufstehen, als sich seine Augen weiteten. Sein Gegner holte aus und ließ seine rot behandschuhte Faust auf die Stelle herab sausen- an der Xell einen Sekundenbruchteil zuvor noch gelegen war. Mit den Füßen nach hinten rollte er sich zurück und stemmte sich mit den Händen zu einem umgekehrten Purzelbaum ab. Fassungslos sah er, wie die Faust seines Gegners eine tiefe Delle in den Mattenboden geschlagen hatte. Er traute seinen Augen nicht, doch es schien ihm, als würden rötliche Blitze seine Fäuste um zucken.

„He!! Das ist gegen die Regeln! Wenn jemand am Boden liegt, dann darf man ni- “

Wieder ließ der kräftige, junge Mann ihm keine Gelegenheit zum Ausreden. Sofort setzte er stürmisch nach deckte Xell mit einem Hagel an Schlägen und Tritten ein. Je öfter der SEED seine Attacken parierte, desto kraftvoller und schneller schienen sie zu werden. Dann geschah es.
 

Xells Deckung wurde durchlässig, und der schwarzhaarige Kämpfer nutzte eine Öffnung in seiner Deckung. Für einen Moment schien die ganze Welt still zu stehen, ein Moment, in dem wieder rötliche Blitze seine Fäuste umzuckten. Der Mann duckte sich, holte schreiend aus- und überrollte Xell förmlich.

Wie ein Dampfhammer raste er auf ihn zu. Schneller, als sich für gewöhnlich ein Mensch bewegen konnte, traf er ihn mit der ausgestreckten Faust. Die Wucht war enorm, Xell flog durch die ganze Arena und krachte schließlich gegen die Tribünenverkleidung. Schlaff wie eine Puppe rutschte er zu Boden und rührte sich nicht mehr. Gleißende Blitze umzuckten seinen Gegner, als er sich nach dieser vernichtenden Attacke triumphierend aufrichtete.

Der Mann blickte noch kurz auf den regungslosen Xell, dann reckte er die Arme empor und ließ sich feiern. Die Menge jubelte dem frischgebackenen Champion zu. Einer der Kampfrichter stand auf, um den Turnierpreis zu holen.

Der Mann fortgeschrittenen Alters stand nun vor dem schwarzhaarigen Kämpfer. Von einem roten Samtpolster hob er eine Krone. Sie war aus mattgrauen Metall und von unscheinbarem Design, doch man konnte dem jungen Mann ansehen, welche Bedeutung dieser Gegenstand für ihn hatte. Mit sichtlicher Rührung und Erleichterung nahm er die Krone entgegen. Sein Blick war voller Bewunderung und Ehrfurcht, als seine Finger über das Metall glitten.

„Du bist der rechtmäßige Sieger dieses Turniers. Du hast dich als der beste aller Kämpfer aus allen Welten erwiesen. Dir gebühren die Ehre und der Preis, die Stahlkrone. Niemals vergessen wird der Name Ji- “

Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge. Die Kampfrichter und der junge, schwarzhaarige Mann blickten sich verwirrt um. Alle tuschelten und deuteten in eine Richtung. Und zwar an die Stelle, an der mehrere Männer in weißer Kleidung Xell abtransportieren wollten.

„Uargh…“ Stöhnend prallte der Sanitäter von der Wand ab. Xell hatte ihn von sich gestoßen, und auch die anderen Sanitäter wichen vor ihm zurück. Mit zitternden Fäusten kam er auf die Beine, und das nach einer Attacke, die einen Stier erledigt hätte. Knurrend hob er seinen Kopf. Alle in der Arena erschraken, als sie seine glühenden Augen sahen. Fassungslos und verblüfft sahen sich die Kampfrichter an.

„Bleibt, wo ihr seid“, rief der älteste von ihnen Xell zu. In seiner Stimme klang Erstaunen, aber auch Verunsicherung mit. „Der Kampf ist vorbei, ihr habt verloren. Die Regeln besagen dies“, sagte er im Brustton der Überzeugung. In diesem Moment legte ihm der schwarzhaarige Kämpfer die Hand auf die Schulter.

„Nein, ist er nicht“, sagte er gelassen. Der Kampfrichter sah ihn erstaunt an.

„Aber laut den Turnierregeln- “

Dann drückte er dem verblüfften Mann die Stahlkrone in die Hand.

„Noch habe ich das nicht verdient“, sagte er lächelnd. Dann wandte er sich von dem Kampfrichter ab- und Xell zu, von dessen Fäusten aufzusteigen begann.
 

Brüllend rannten sie aufeinander zu. Die Arena erzitterte bis in ihre Grundfeste, als die beiden aufeinander prallten. Blitze umzuckten sie, als sie miteinander rangen. Die Zuschauer, die zuvor noch jeden Treffer lautstark kommentiert hatten, hingen nun sprachlos und gebannt an den Rängen.

Wieder wollte der junge, ungestüme Kämpfer seine vernichtenden Kombinationen vom Stapel lassen, doch diesmal war Xell schneller. Er packte beide Fäuste seines Gegners und trat zu. Ächzend ging er in die Knie, als sämtliche Luft seinen Lungen entwich. Dann zog Xell ihn wieder an sich heran und packte ihn mit erstaunlicher Leichtigkeit. Er lud ihn sich auf die Schulter, und seine Augen glühten auf. Leuchtende Buchstaben flimmerten vor den Augen der fassungslosen Zuschauer auf. Sie sagten…

METEOR STRIKE…

Eine Staubwolke hinterlassend, löste Xell sich mitsamt seiner Last vom Boden. Wie ein Geschoss stieg er auf, und fast erreichte er die Decke des mehrgeschossigen Raums. Am höchsten Punkt angekommen, drehte er sich mitsamt seinem Gegner und schleuderte ihn in die Tiefe.

Zuerst schlug der schwarzhaarige Kämpfer auf dem Boden auf, dann landete Xell auf den Füßen neben ihm. Die Erschütterung ließ kleine Bruchstücke von der Decke rieseln, und im Boden hatte sich ein Krater aus zerrissenen Matten und gebrochenen Balken gebildet.

Schwer atmend richtete Xell sich auf. Seine immer noch glühenden Augen richteten sich auf den Krater im Boden. Sämtliche Augenpaare in der Arena waren schreckensgeweitet und auf die Vertiefung gerichtet. Dann ertönten Geräusche, Lebenszeichen. Was in aller Welt konnte das überlebt haben…?
 

Eine finstere, schuppige Klauenhand erreichte den Rand des Kraters. Ihr folgte ein knurrendes Wesen aus der Hölle. Xells Augen wurden groß.

Das Wesen war fast völlig schwarz, mit verzerrten Mustern bedeckt und trug ein paar dunkle Dämonenschwingen auf dem Rücken. Aus dem mit spitzen Eckzähnen versehenen Mund drang Qualm heraus, und seine Augen leuchteten glutrot hinter den Haarsträhnen hervor. Das Einzige, was an die Menschlichkeit dieses Wesens erinnerte, war die Hose, deren rechtes Bein immer noch das Flammenmuster trug.

Diabolisch fauchend ging das Wesen auf Xell los. Er schien nicht verletzt, sondern eher noch an Stärke gewonnen zu haben. Schwarze Federn aus seinen Flügeln flatterten durch den Raum, während die beiden kämpften. Xell legte nun alle Kraft in seine Attacken, doch selbst direkte Treffer an Körper und Kopf schienen das Wesen kaum zu beeinträchtigen.

Gerade schien Xell die Oberhand zu gewinnen und deckte das Teufelswesen mit einer vernichtenden Kombination ein. Der abschließende Tritt gegen den Kopf ließ das Wesen mehrere Schritte zurücktaumeln- doch es fing sich augenblicklich wieder. Bevor Xell noch den Schwung seiner letzten Begegnung abgefangen hatte, traf ihn sein Gegner wieder. Mehrere wuchtige Aufwärtshaken in Folge ließen ihn zu Boden gehen. Ächzend wälzte er sich auf den von schwarzen Federn bedeckten Matten hin und her, während sich alles um ihn herum drehte.

Das Wesen streckte seine Arme empor und schlug mit den Flügeln, doch niemand jubelte. Selbst die Kampfrichter schienen sich verstecken zu wollen angesichts dieses diabolischen Spektakels. Die Augen des Wesens glühten rot auf, als er sich langsam im Kreis drehte und sich bereits als Sieger fühlte. Bis Xell wieder in sein Blickfeld kam- und zu einem Schlag ausholte.

Seine Faust traf ihn direkt ins Gesicht. Doch wie zuvor schien das Wesen kaum Schmerzen zu spüren. Xell ging mehrere Schritte zurück. Dann legte er seine Fäuste an die Hüfte und sammelte Energie. Als sich eine Säule aus Wind und Licht um ihn bildete, wich das Teufelswesen zurück.

Ein Sog erfasste nun alles im Raum. Nun brach endgültig Panik aus. Die Kampfrichter rannten schreiend weg. Auf den Zuschauerrängen herrschte der reinste Tumult. Überstürzt und voller Panik flohen die Menschen, während der Sog Trümmer und Bruchteile im Kreis tanzen ließ. Der Sog breitete sich wie ein Tornado aus und erfasste schließlich das Wesen. Wie ein Sturmwind zerrte er an seinen Flügeln und rupfte büschelweise Federn aus. Das Wesen wollte sich wehren, doch der Sog wurde stärker. Letztendlich begann er, Teile aus seiner Oberfläche herauszureißen. Dunkle Partikel stoben durch den verwüsteten, nun bis auf die zwei Kontrahenten menschenleeren Raum. Die Farbe des Wesens änderte sich, als käme unter seiner Oberfläche ein anderes zum Vorschein. Es krampfte und wand sich, bis es endgültig verwandelt war.

Nun hatte es keine Flügel mehr, aber dafür monströs große Muskeln. Gebückt kauerte es da. Auf seinem Kopf thronten nun lange Hörner, und aus seiner raubtierhaften Schnauze schien das Feuer der Hölle heraus zu leuchten. Der Sog legte sich, und die zuvor noch im Raum tanzenden Trümmer fielen zu Boden.

Xell blickte kampfbereit seinen veränderten Gegner an. Dieser scharrte mit seinen nunmehr riesigen Klauen auf dem Boden, doch Xell kam ihm zuvor. Mit glühenden Augen betrachtete er seine rechte Faust, die sich entzündete. Strahlen gleißenden Lichts traten zwischen den Fingern seiner geballten Faust hervor. Dann rief er…

„Das ist mein… endgültiger Himmel!!!“

Wie von einem Katapult abgeschossen raste er los. Eine Flammenspur auf dem Boden hinterlassend, schoss er auf das Wesen zu und durch es hindurch.
 

Ein Beobachter im Weltraum hätte eine leuchtende Staubwolke gesehen, die den Planet umrundete…
 

Bei seiner mit Abstand stärksten Attacke erreichte er fünf Prozent der Lichtgeschwindigkeit und umrundete den Planeten in direkter Linie, ohne auf irgendwelche materiellen Hindernisse Rücksicht zu nehmen. Und so erreichte er wieder die Arena. Hinter ihm klaffte eine Schneise der Verwüstung, und als er das Gebäude traf, wurde es in Zentimeter große Stücke pulverisiert. Wie von der Wucht einer nuklearen Druckwelle erfasst, stieg eine Silhouette mit den Umrissen des Gebäudes langsam hoch, um sich in der darauffolgenden Sturmbö in alle Richtungen zu verflüchtigen. Und so blieb nichts übrig als eine kahle Ebene, in der sein Gegner besiegt zu Boden sank.
 

Xell putzte sich die Handschuhe ab, als ihm ein Gegenstand vor die Füße rollte. Neugierig hob er ihn auf. Es war die Stahlkrone, die als einziger Gegenstand das Inferno des ‚Final Heaven‘ überstanden hatte. Zufrieden lächelnd setzte er sie sich auf. Dann stieß er sie mit dem Finger an, so dass sie etwas schief auf seinem Kopf hing. Voller Genugtuung stützte er die Hände in die Hüften und betrachtete das Schlamassel, das er angerichtet hatte. Das Wesen war besiegt- oder?
 

Langsam erhob es sich, doch sein Körper blieb liegen. Es war eine durchsichtige Silhouette seiner materiellen Erscheinung, die nun auf ihn zu wankte. Xell hob eine Augenbraue.

„Hast du noch immer nicht genug?“

Die Stimme des Wesens klang seltsam hohl, während es langsam auf ihn zuging.

„Das war… nicht ich… ich habe mir… die Erscheinung… nur geborgt…“

„Ich versteh kein Wort. Wo bin ich hier überhaupt? Und warum hast du mich angegriffen?“

„Du kennst… mich… mein Name… ist…“

Langsam wich Xell vor der geisterhaften Erscheinung zurück. Leuchtende Partikel stiegen von dem Wesen auf, als würde es zu Licht zerfallen.

„Was zum Teufel… was willst du?“

Jetzt erst sickerte die Erinnerung langsam durch. Etwas hatte sie blockiert die ganze Zeit, doch nun schoss es ihm ein. Die letztendliche Erscheinungsform seines Gegners war-

„… Ifrit… du musst… dich doch… erinnern…“, ächzte das Wesen.

Langsam hob Xell sein überraschtes Gesicht.

„Du bist… Ifrit, genau! Aber was machst du hi- “

Unvermittelt beschleunigte das Wesen und rannte auf ihn zu. Xell konnte nur noch seine Augen bedecken, als alles um ihn herum in Flammen aufzugehen schien. Er spürte die Hitze im Gesicht, dann verlosch es. Und wieder kehrte Dunkelheit ein…
 

Er spürte ein leichtes Brennen auf der Wange. Langsam öffnete er die Augen. Sein Blickfeld gewann an Schärfe, und schließlich sah er Rinoa, die sich über ihn beugte. Sie sah ihn besorgt an.

„Hast du zu wenig gefrühstückt, dass du uns einfach so einen Schwächeanfall bekommst?“ fragte eine Stimme außerhalb seines Blickfeldes. Es war Irvine, und er klang belustigt. Xell fuhr hoch und sah sich verwirrt um.

„Ist er… weg?“

„Wer?“ fragte Rinoa.

„Ifrit! Er war gerade da und hat mit mir geredet!“

Rinoa, Selphie und Irvine warfen sich entsetzte Blicke zu.

„WAS?? Bist du dir sicher?“ fragte Rinoa alarmiert nach. Xell nickte heftig und begann in die Luft boxend umher zu tänzeln.

„Ja, verdammt! Zuerst war da dieses kleine Vieh, dann war ich wo anders, und dann tauchte dieser Typ in einer Arena auf und wir kämpften- “

Irvine packte den hektisch umher springenden und schattenboxenden Xell an der Schulter und hielt ihn fest.

„Jetzt hat mal die Füße still! Erzähl langsam und der Reihe nach, was passiert ist.“
 

Betroffen hörten sie seinen etwas wirren Bericht. Mit Händen und Füßen gestikulierte er dabei, und so bizarr die geschilderten Ereignisse auch waren, so zweifelten sie doch nicht an seinen Worten.

„Es sieht aus, als wären die Guardian Forces irgendwie hier gelandet…“, überlegte Rinoa. „Aber warum erscheinen sie auf so seltsame Weise? Warum greifen sie uns an?“

Die vier Freunde warfen sich ratlose Blicke zu.

„Zumindest ist diiir nicht viel passiert dabei“, sagte Selphie mit einem bitteren Lächeln.

„Ja, verdammt… ich hatte mehr Glück als du“, erwiderte Xell und rieb sich nachdenklich den Nacken.

„Vielleicht ist dieser Ort wirklich verflucht“, mutmaßte Irvine. „Zuerst in diesem seltsamen unterirdischen Palast, und dann hier… vielleicht lauern uns nur irgendwelche verrückten Gegner auf. Womöglich hat das sonst keine Bedeutung.“

„Könnte sein…“, murmelte Rinoa. Dann wurde ihr Blick ernst. „Was immer es ist, wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten. Wenn jemand von euch etwas Ungewöhnliches beobachtet, dann schreit sofort. Ab jetzt herrscht höchste Alarmstufe.“

Nach diesen eindringlichen Worten an ihre Freunde setzten sie ihren Weg fort. Von nun an blieben sie dicht zusammen, und bevor sie diesen düsteren Saal verließen, warf Xell noch einen misstrauischen Blick über seine Schulter…
 


 

Als er zu sich kam, spürte er am Rande seines Bewusstseins, wie ihn jemand über den Boden schleifte. Dann hörte er Mauern einstürzen. Schließlich verebbte der Lärm, und eine Frau beugte sich über ihn. Ihre Augen… waren kastanienbraun. Wie die Augen… von Rinoa…
 

Erschüttert betrachtete sie sein Gesicht. Es war mit Blutergüssen übersät. Blut lief aus seinem Mundwinkel. Verstört betastete sie seine Verletzungen. Hektisch kramte sie in ihren Erinnerungen. Das Ungeheuer war aufgetaucht, sie wollten fliehen… doch dann war Squall ohne ersichtliche Ursache zusammengebrochen. So schnell sie konnte, hatte sie ihn gepackt und in das Innere des Gebäudes gezerrt. Dann hatte offenbar das Ungeheuer den Eingang zerstört. Übereinander liegende Trümmer versperrten nun das Tor. An ein Durchkommen war nicht mehr zu denken.

Sie zog ihn vorsichtig in eine Ecke, wo sie nicht ganz so schutzlos waren. Behutsam bettete sie den immer noch bewusstlosen jungen Mann an einer trockenen Stelle. Dann zog sie seine Uniformjacke, die sie die ganze Zeit getragen hatte, aus und deckte ihn damit zu. Langsam kämpfte sich drückende Angst in ihr Bewusstsein hoch. Sie waren hier ganz allein. Der Rückweg war verschlossen. Selbst wenn Fran und Balthier sie suchen würden, sie konnten sie nicht finden. Sie wusste nichts über diesen Ort, und wenn sie auch noch ihn verlieren würde… dann wäre sie ganz allein.

Tief durchatmend schluckte sie die aufsteigenden Tränen hinunter und besann sich auf das unmittelbar Notwendige. Sie breitete ihre Hände über seinem Gesicht aus und schloss die Augen. Leise und konzentriert murmelte sie den einzigen Zauberspruch, den sie ohne Materia verwenden konnte. Tatsächlich glühten ihre Handflächen in einem sanften Grün auf. Das Glühen übertrug sich auf sein Gesicht. Erleichtert beobachtete sie, wie die Blutergüsse langsam verschwanden. Überglücklich lachte sie auf über das Gelingen des Zaubers. Das Geräusch hallte von den hohen Wänden wieder, und sie fuhr erschrocken herum. Dann wandte sie sich wieder dem immer noch bewusstlosen Mann zu. Seine Züge waren ruhig, als würde er nur schlafen, was sie inständig hoffte. Mit dem Zeigefinger zeichnete sie seine Narbe über dem Nasenrücken nach. Plötzlich glaubte sie eine Bewegung in seinen Zügen zu erkennen. Ganz nahe hielt sie ihr Ohr an seinen Mund. Sie konnte aber nichts verstehen, und als sie ihn wieder ansah, glaubte sie eine Bewegung seiner Lider zu erkennen. Ihre Gesichter waren sich nun ganz nahe. Der Schrecken der sich überstürzenden Ereignisse hatten sie aufgewühlt, und sie wollte nicht mehr gegen den plötzlichen Impuls ankämpfen.

Und so küsste sie ihn.
 

Die Zeit schien stehen zu bleiben, und mit einem Male waren all die Angst und die Unsicherheit fort. Sie spürte die Wärme seiner Lippen, und schließlich auch seine Hand, die sich zärtlich auf ihren Nacken legte. Als sie sich wieder voneinander lösten, hatte er seine Augen immer noch geschlossen. Dann hörte sie die ersten Worte seit seinem Erwachen aus seinem Mund.

„…Rinoa…“

Schallplattenquietschen. Peinlich berührt richtete sie sich auf, und auch Squall blickte sie nun verwirrt an. Tifa räusperte sich verlegen.

„Bist du in Ordnung?“ fragte sie, weil ihr sonst nichts einfiel. Squall setzte sich auf und betastete sein Gesicht.

„Ja, glaube ich zumindest… das war Griever.“

„Hm?“ Squall stand auf und ging auf den nun unter Trümmer verschütteten Eingang zu. Tifa folgte ihm. „Wer war das? Was ist überhaupt passiert?“

„Griever ist eine Guardian Force… und zugleich ein Teil von mir“, flüsterte er und tastete nach seinem Anhänger. Dann wandte er sich wieder zu Tifa um und begann zu erklären.
 

„Das hört sich an wie… wir nennen sowas Aufrufmateria. So wie auch Shiva.“

Squall ging auf und ab. Sein ernstes Gesicht drückte große Anspannung aus.

„Shiva… dieses Wesen gibt es auch in meiner Heimatwelt. Aber wie kommt es hierher?“

Tifa zuckte mit den Schultern.

„Ich habe keine Ahnung…“

„Es muss etwas mit diesem Gilgamesch zu tun haben. Das Ganze ergibt aber keinen Sinn…“ Grübelnd ging er wieder auf und ab, dabei ließ er den Anhänger zwischen seinen Fingern kreisen. Schließlich stoppte er abrupt und sah sich um. „Im Moment können wir nichts ändern. Zuerst müssen wir einen Weg hier raus suchen.“ Mit Gewalt drängte er die Verwirrung zurück, und der Stratege in ihm gewann wieder Oberhand. Er ging los und ließ die ratlose Tifa zurück.

„He… warte auf mich!“

Sie folgte ihm, und er wandte sich ihr zu.

„Wer weiß, was noch alles auf uns hier lauert. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“

„Ja, aber…“ Das, was sie eben noch sagen wollte, blieb ihr im Halse stecken. Verzweifelt rang sie nach Worten. „Vorher… dachtest du… dachtest du, dass ich… deine Rinoa bin?“

Offenbar hatte sie einen wunden Punkt erwischt, denn ein Anflug von Unsicherheit huschte über sein Gesicht.

„Es sind… deine Augen. Sie sind so… ähnlich.“ Er wandte sein Gesicht ab, als befürchtete er, es könnte mehr verraten als er bereit war, zuzugeben. „Wir sollten das vergessen. Wir müssen uns jetzt konzentrieren… damit wir hier heil rauskommen.“

Dann ging er los. Tifa blickte ihm hinterher und schüttelte den Kopf. Über die Welt, über sich selbst. Was erwartete sie überhaupt? In diesem Moment fiel es ihr schwerer als je zuvor, ihre Gefühle und Gedanken zu ordnen. Sie gab sich selbst einen Stoß; was immer sie ihm sagen wollte, was immer sie selber wollte, es würde warten müssen.
 


 

Das Landungsschiff schwebte wie ein zum Zupacken bereiter Raubvogel herab. Seine Triebwerke wirbelten den dichten Nebel über den Nabreus-Sümpfen auf. Die Schilfpflanzen bogen sich unter den Turbulenzen, und schon klatschte die Ausstiegsrampe in den feuchten Morast. Schwere Stiefel dröhnten auf dem Metall, als die Besatzung ausbootete. Massive Rüstungen bedeckten ihre gesamten Körper, kein Gesicht war zu erkennen. Routiniert führten sie ihre Waffen und deckten das Schiff nach allen Richtungen. Die Läufe ihrer Kanonen zielten in die trüben Nebelschwaden, als der letzte von ihnen das Schiff verließ.

Seine Rüstung unterschied sich von denen der anderen. Er war kein imperialer Elitesoldat wie die anderen, die die stählerne Speerspitze der archadianischen Armee bildeten. Er war ein Richter. Er führte auch keine Schusswaffe mit sich, sondern ein gigantisches Schwert, das am Rücken seiner Rüstung befestigt war. Sein wallender Umhang bauschte sich auf, als er zwischen seine Männer trat. Diese deckten nach wie vor mit ihren Waffen das Schiff. Sein gehörnter Helm, der eine abschreckende Grimasse darstellte, drehte sich langsam nach allen Richtungen.

„Gelände gesichert. Bereit zum Vorrücken, Sir.“

„In Ordnung, Gunner Biggs. Biggs, Wedge, ihr kommt mit mir. Die anderen bewachen das Schiff.“

Es erklang ein synchrones ‚Ja, Sir‘, und schon setzten sie sich in Bewegung. Die beiden Soldaten flankierten den Richter. Zielstrebig steuerten sie die Ruinen von Nabudis an.
 

Einige Schritte mussten sie durch knietiefes Wasser waten, dann standen sie an einer Stelle, an der ein breiter Riss im Mauerwerk den Zugang zu den Ruinen freigab. Biggs und Wedge sicherten wieder das Gelände, während der Richter nachdenklich die verfallenen Gebäude betrachteten, die das Grab von so vielen Menschen geworden waren, und die nun nur mehr Monstern als Heimstatt dienten. Hätte man sein Gesicht sehen können, so wäre ein Anflug düsterer Erinnerung erkennbar gewesen. Doch so setzte er sich einen Moment später wieder in Bewegung und betrat nach seinen Männern die Ruine.
 

Der Richter schritt aufrecht durch die verfluchten Hallen, während seine Männer mit ihren Waffen in alle Richtungen zielten. Er kannte diesen Ort; er war schon mal hier gewesen. Doch die Wiedersehensfreude hielt sich in Grenzen. Viele verdrängte Erinnerungen kamen hoch, und er wollte sich hier nicht länger aufhalten als notwendig. Im Gehen holte er das Gerät hervor, das ihm die Forscher des Draklor-Laboratoriums mitgegeben hatten. Die Bedienung war automatisch, er musste es nur in das Innerste der Ruinen bringen, wo die Forscher bedrohliche Vorgänge vermuteten. Er wusste nicht näher, um was es ging, doch das von diesem Ort nur Übel ausging, daran hatte er keinen Zweifel.

Bald drei Jahre war es nun her, dass Richter Zecht auf den Auftrag hin von Doktor Cidolfus Demen Bunansa den Mitternachtssplitter hierher gebracht hatte, um einerseits seine Wirkung zu testen und andererseits womöglich den Krieg zwischen Archadis und Nabradia zu einem schnellen Ende zu bringen. Das Ende war sogar sehr schnell gewesen und hatte die Stadt fast vollständig zerstört. Was aber noch schlimmer war, der künstliche Nethizit hatte dieses Gebiet auf alle Zeiten für Menschen unbewohnbar gemacht. Die Myststrahlung ließ nur noch entstelltes, der Natur spottendes Leben zu. Seufzend steckte er das Gerät wieder weg.

Immer tiefer drangen sie in dieses lebensfeindliche Labyrinth vor, und schließlich kamen sie an eine Weggabelung.

„Welchen Weg jetzt, Sir?“ fragte einer der beiden Soldaten. Der Richter überlegte. Außer seinen Erinnerungen gab es nicht viel, worauf man sich stützen konnte. Während er die beiden Möglichkeiten gegeneinander abwog- kam ein Wesen um die Ecke.

Praktisch gleichzeitig hoben die beiden Soldaten ihre Waffen. Im selben Moment ließen sie sie wieder sinken, denn das Geschöpf wirkte alles andere wie gefährlich.

„He, was ist denn das?“ fragte einer von ihnen amüsiert und ging auf das Wesen zu. Es reichte ihnen gerade bis zu den Knien und bestand hauptsächlich aus Fellknäueln und Federn. Mit großen schwarzen Kulleraugen betrachtete es neugierig und furchtlos die Besucher. Dabei fiepte es leise.

Der Richter erstarrte. Er kannte dieses Wesen, doch… das war unmöglich…

„Ist der kleine Kerl putzig“, meinte Wedge und beugte sie zu dem lustig auf und ab hüpfenden Wesen hinab. Biggs streckte seine Hand nach der niedlich aussehenden Kreatur aus. Dann fiel es dem Richter ein. Zu spät…

„Erschießt es, SOFORT!!“ brüllte er. Bevor noch einer der beiden reagieren konnte, geschah es auch schon. Ein durchdringendes Röhren erklang, und im nächsten Moment starrte Biggs schockiert auf den blutigen Stumpf, der seine Hand gewesen war. Das Wesen hatte sie ihm trotz seiner geringen Größe abgebissen. Biggs begann hysterisch zu schreien, als das Blut bei jedem Herzschlag aus dem Stumpf sprudelte. Wedge taumelte rückwärts und hob wie in Trance seine Waffe. Als das Hämmern der automatischen Waffe durch die Korridore von Nabudis hallte, nahm der Richter sein Schwert vom Rücken.

„Stirb, du Monster!!!“ brüllte Wedge, doch die Projektile erwiesen sich als wirkungslos. Starr vor Schrecken musste er mit ansehen, wie das unscheinbare, kleine Wesen seinen Kameraden ansprang und ihn zerfleischte. Seine Rüstung schützte ihn nicht, und Sekundenbruchteile später war Biggs nur noch eine unkenntliche, blutige Masse. Mit vor einsetzenden Wahnsinn geweiteten Augen hob Wedge wieder die Waffe und feuerte, bis sein Magazin leer war. Dann hatte ihn das Wesen erreicht, und sein Geschrei verstummte schlagartig.

Der Richter war nicht schnell genug. Schon hatte das Wesen ein großes Loch in die Brust von Wedge gebissen, als er es mit seinem Schwert attackierte. Er schwang es mit aller Macht, doch das Wesen wurde nur davon geschleudert, aber nicht sichtbar verletzt. Aus dem Winkel seines Helms sah er noch wie der sterbende Soldat zusammenbrach. Eine letzte Fontäne aus seiner geöffneten Brust vergießend, starb er.
 

Nun sah er sich dem Wesen ganz allein gegenüber. Immer noch hüpfte es auf und ab. Hätte es nicht gerade zwei Männer auf grausame Weise getötet, man hätte es als ‚knuddelig‘ bezeichnet. Der Richter umfasste den Griff seines Schwertes fester, während das Wesen wieder zu fiepen begann.

„F… Fu… Fury!“ fiepte es unablässig. Dem Mann lief es kalt den Rücken hinunter. Sein schlimmster Verdacht war nun endgültig bestätigt. Nun begann ihn das Wesen zu umkreisen, als überlegte es, von welcher Seite es anfangen sollte, ihn aufzufressen. Der Mann fasste sich ein Herz und attackierte.

Entweder gelang es dem Wesen, seinen Hieben auszuweichen oder sie zeigten kaum Wirkung. Allmählich wuchs die Verzweiflung in dem Mann, denn es war abzusehen, dass das Wesen mit ihm spielte. Schließlich entschied er sich zum Äußersten, zu seiner letzten Rettung angesichts eines übermächtigen Gegners.
 

In diesem Moment raffte er alle Energiereserven zusammen, die er in seinem Geist finden konnte. Oft schon hatte er dies in der Vergangenheit getan, und das war es, was ihn von gewöhnlichen Menschen unterschied. Er konnte auf die Myst zurückgreifen und sie nutzen. Auch wenn es ihn an den Rand seiner Kräfte führte…

Der Boden unter ihren Füßen, die buntverzierten Wände, die Decke- alles verschwand in diesem Moment. Übrig blieben nur der Richter und sein unheimlicher Feind. Er hatte die Gestalt eines harmlosen Hasos, doch hinter der niedlichen Erscheinung verbarg sich ein uraltes Wesen von tiefster Grausamkeit. Ein Wesen, das er besiegt geglaubt hatte.

Um sie herum war nur mehr Leere, als er die Hände aneinanderlegte. Er spürte, wie ihn die Myst kraftvoll durchfloss. Dann streckte er die Arme aus, und ein Schwall aus dunkler Energie überrollte das Wesen. Das Wort ‚Schattenstoß‘ blitzte in seinen Gedanken auf, als eine Sturmflut vernichtender Kraft über seinen Gegner und durch ihn hindurch schoss.

Doch das war nicht genug, wie er wusste. Immer noch stand sein gespenstisch kleiner Gegner vor ihm. Selbst starke Monster hätte dieser Angriff erledigt, doch bei ‚Fury‘ war das etwas anderes.

Ein weiteres Male legte er die Hände aneinander. Er sammelte Energie für den nächsten Angriff, während sein Gegner handlungsunfähig vor ihm in der Schwärze schwebte. Dann holte er aus. Mit beiden Fäusten schlug er in die Luft vor sich. Dann holte er zum entscheidenden Schlag aus. In diesem legte er alle Myst, die er fassen konnte. Und tatsächlich verließ eine Druckwelle seine ausgestreckte Faust, raste durch den leeren Raum und erreichte das Wesen. Im nächsten Augenblick begann es zu implodieren, und der ganze es umgebende Raum schien auf es zuzustürzen. Tosend brach die Realität auseinander und begrub das Wesen in einem Inferno aus verbrennender schwarzer Materie. Als sich der ‚Quasar‘ legte… war das Wesen immer noch nicht besiegt.

Von Schrecken erfüllt, starrte er auf das Wesen. Nichts hätte das überleben dürfen, doch ‚Fury‘ war eines der stärksten Monster gewesen, dem er je begegnet war, und so konnte er nur hoffen, dass seine allerletzte Attacke es vernichten würde.

Der Mann streckte beschwörend beide Arme aus, und hinter ihm erschien in der Leere ein Bündel rot glühender Schwerter. Sie tanzten durch den Raum und bildeten einen Kranz aus glühenden Klingen hinter ihm. Er vollführte mehrere Bewegungen mit den Armen, und die Schwerter formierten sich. In einer Reihe rasten sie im Kreis und bildeten schließlich eine drohende Phalanx aus vorwärts gerichteten Spitzen um ihn herum. Auf seinen Befehl hin schossen sie los und trafen das Wesen von allen Seiten. Dutzendfach durchbohrt, war von dem Wesen nichts mehr zu sehen außer einem Knäuel glühender Klingen. Immer mehr glühten sie auf und wechselten ihre Farbe von Rot über Gelb und schließlich zu Weiß, als sie in einem gewaltigen Lichtblitz explodierten. Der Feuersturm tobte mehrere Momente lang und verschluckte schließlich alles um ihn herum…
 

Die Realität von Nabudis hatte ihn wieder, und der Richter sank ächzend auf die Knie. Er hatte alle Kraft verbraucht und konnte sich nicht einmal mehr auf den Beinen halten. Alleine schon den Kopf zu heben, kostete ihn übermenschliche Anstrengung. Sein Helm schien in diesem Moment tonnenschwer zu sein.

„F… Fu… Fury!!!“ fiepte es bedrohlich. Nun war es zu Ende, das wusste er. Er hatte all seine Spezialangriffe auf das Wesen geschleudert, doch es war nicht besiegt. Langsam hüpfte es auf ihn zu…

Brennpunkt Nabudis ~ der zweite Akt

Es geht weiter in den Ruinen von Nabudis. Die Lage spitzt sich zu, und unerwartete Ereignisse lauern auf unsere Helden…
 


 


 

Die Realität von Nabudis hatte ihn wieder, und der Richter sank ächzend auf die Knie. Er hatte alle Kraft verbraucht und konnte sich nicht einmal mehr auf den Beinen halten. Alleine schon den Kopf zu heben, kostete ihn übermenschliche Anstrengung. Sein Helm schien in diesem Moment tonnenschwer zu sein.

„F… Fu… Fury!!!“ fiepte es bedrohlich. Nun war es zu Ende, das wusste er. Er hatte all seine Spezialangriffe auf das Wesen geschleudert, doch es war nicht besiegt. Langsam hüpfte es auf ihn zu…
 

Immer näher kam das Monster… das Monster, das er und seine Freunde damals besiegt hatten. Gemeinsam hatten sie all ihre Macht aufbieten müssen, um es zu vernichten. Es hätte ihm klar sein müssen, dass er im Alleingang chancenlos gegen diese mystische Bestie war, die im winzigen Körper eines Haso gefangen war. Schließlich stand es dicht vor ihm. Es fiepte nun nicht mehr, und er sah dem sicheren Tod ins Auge…

„He… seht euch das mal an!“

Der Richter drehte den Kopf in die Richtung, in der er die Stimme gehört hatte. In seinem Helmwinkel sah er mehrere Personen auf sich zu kommen.
 

Cloud tastete nach seiner Waffe, als er den Mann in der Rüstung sah. Vor dem auf dem Boden knienden Mann sah er ein kleines Wesen, das entfernte Ähnlichkeit mit einem Hasen hatte. Plötzlich begann der Mann heftig zu gestikulieren.

„Tötet es! Schnell!!“ schrie er, und seine Worte klangen blechern und auch verzweifelt durch seinen gehörnten Helm. Die vier sahen sich verdutzt an.

„Was? Das kleine Ding?“

„Es hat meine Männer getötet! Macht schon, verdammt!!“

Jetzt erst sahen die vier die verstümmelten Leichen, die etwas abseits lagen. Alarmiert zogen sie synchron ihre Waffen.

Das Ungeheuer namens Fury verlor das Interesse an seinem wehrlosen Opfer und raste auf die Vier zu, in denen es interessantere ‚Ziele‘ sah. Sofort legten Vincent und Barret ihre Waffen an und feuerten. Greller Geschosshagel blitzte in den düsteren Ruinen auf, doch das Wesen ließ sich davon nicht aufhalten. Im letzten Moment sprangen die beiden auseinander, als es durch ihre Reihen stürmte. Es beschrieb einen Bogen und griff erneut an. Yuffies Konformer sirrte durch die Luft und streifte es, doch auch das beeinträchtigte es nicht merklich.

„Kleines Miststück, jetzt brenne ich dir was auf den Pelz!!“ brüllte Barret und stellte sich dem Monster in den Weg. Seine Makokanone erglühte, als er mit voller Energie feuerte. Seine Augen wurden groß, und nur ein Hechtsprung zur Seite rettete ihn vor der Attacke. Der ‚Federball‘ raste unbeirrt weiter. Vincent zielte einen Moment, dann schoss er auf das vorbeilaufende Wesen. Nun rannte es direkt auf Cloud zu.

In geduckter Haltung und mit gezogenem Schwert erwartete Cloud das unscheinbare, aber äußerst widerstandsfähige Monster. Er wartete und wartete… dann sprang er hoch. Er holte weit aus und vollführte den ‚Kraftschlag‘. Drei blaue Energiewellen pflanzten sich sternförmig in Richtung seines Angreifers fort und rissen tiefe Furchen in den Steinboden. Nun erst stoppte das Wesen. Es wand sich mehrmals, als es alle Kraft verließ, dann verendete es und löste sich leuchtende, aufsteigende Partikel auf.
 

Beunruhigt betrachtete Cloud die Stelle, an der das Wesen eben sich noch befunden hatte. Noch nie hatte er erlebt, dass ein so harmlos wirkendes Wesen so aggressiv attackierte und soviel einstecken konnte.

„Ich danke euch.“ Er drehte sich um, und der Mann in der fremdartigen Rüstung kam auf sie zu. Die anderen flankierten Cloud, und obwohl das Ungeheuer besiegt war, hielten sie immer noch ihre Waffen erhoben. In ihren Gesichtern konnte man das Misstrauen der Person in der Rüstung gegenüber ablesen. Diese griff sich an ihren Helm und nahm ihn ab. Zum Vorschein kam das Gesicht eines Mannes Mitte Dreißig. Er hatte schulterlanges, blondes Haar und einen schmalen Backenbart. Und über seinem linken Auge zog sich eine lange, auffällige Narbe über seine Stirn. Seine Augen wirkten müde und wurden von Sorgenfalten umrahmt, als hätten sie bereits zu viel gesehen in ihrem Leben. „Ich bin Richter Basch von Ronsenburg. Ich verdanke euch mein Leben.“

Cloud hängte sich sein Schwert wieder über den Rücken und ging auf den Mann zu. Mit schmalen Augen musterte er ihn.

„Mein Name ist Cloud Strife. Sie sind ein Richter? Nun, das hier ist kein Gerichtssaal.“

Abwartend verschränkte er die Arme. Der Mann namens Basch klemmte sich den Helm unter den linken Arm.

„Für die Richter von Archadis ist ganz Ivalice ihr Gerichtssaal. Von wo seid ihr, dass ihr das nicht wisst?“

Cloud nickte langsam und hob eine Augenbraue.

„In Ordnung, Richter Basch… ich weiß wirklich nicht, was für Typen ihr Richter seid, oder wo Archadis ist. Und es interessiert mich auch nicht. Falls sie wegen der Sache mit dem Klan hier sind, dann haben sie genau zehn Sekunden, um wieder zu verschwinden.“

Sein Gegenüber hob beschwichtigend die Hände.

„Ich versichere ihnen, ich bin nicht wegen euch hier. Was immer ihr getan habt, das betrifft nicht meinen Aufgabenbereich.“

„Gut“, erwiderte Cloud knapp. „Was war das für ein Ungeheuer? Sowas habe ich noch nie gesehen.“

„Das war ‚Fury‘“, begann er zu erklären. „Ein uralter, bösartiger Geist in der Hülle eines Haso. Er erfüllt diesen Körper mit sagenhafter Stärke und unbedingtem Vernichtungswillen. Es ist uralt, und wurde von mächtigen Weisen in diese Stadt gebannt. Aber das seltsamste ist…“ Der Mann drehte sich um, als suche er irgendwas. „…das wir dieses Wesen schon besiegt hatten. Es hätte nicht mehr existieren dürfen.“ Die letzten Worte flüsterte er fast, und dabei streifte sein Blick über die alten Gemäuer, als erwarte er noch mehr Überraschungen. Dann schüttelte er den Kopf, wie um düstere Vorahnungen zu vertreiben. „Ihr seid Kopfgeldjäger, vermute ich?“

Die Vier sahen sich unschlüssig an.

„Ja, so ist es“, antwortete Cloud schließlich.

„Ich möchte mich euch anschließen. Ich habe eine wichtige Aufgabe hier, und meine Männer…“ Er blickte in die Richtung, wo ihre zerstörten Leiber lagen. „Dieser Auftrag duldet keinen Aufschub. Es wird auch nicht zu eurem Schaden sein. Archadis wird sich erkenntlich zeigen, wenn ihr mich unterstützt.“
 

Die Vier steckten die Köpfe zusammen.

„Ich trau dem Typen nicht. Ich traue keinen Bullen, und einem Richter schon gar nicht!“ knurrte Barret.

„Er spricht die Wahrheit“, meinte Vincent. „Zumindest glaubt er an das, was er sagt, das spüre ich.“

„Genau. Und zu fünft haben wir bessere Chancen, falls da noch mehr so gruselige Gegner sind“, warf Yuffie ein. „Und außerdem finde ich ihn süß“, fügte sie kichernd hinzu.

„Also gut“, seufzte Cloud. „Barret ist dagegen, ihr zwei seid dafür. Ich finde, wir sollten darauf eingehen. Der kennt sich hier sicher besser aus als wir. Und ein weiteres Schwert kann auch nicht schaden.“ Barret verzog das Gesicht. „Aber wir dürfen ihn natürlich keinen Moment aus den Augen lassen. Es besser, wir haben ihn im Blickfeld, als wenn er in dieser Ruine rumschleicht.“ Auf dieses Argument hin glättete sich Barrets Miene.

„Einverstanden.“
 

„In Ordnung. Sie können uns begleiten. Aber zuerst wollen wir wissen, was sie vorhaben.“

Die gefasste Miene des Mannes geriet unter Anspannung. Offenbar überlegte er, wie viel er erzählen sollte.

„Ich bin im direkten Auftrag von Kaiser Larsa Solidor hier“, begann er schließlich. „Dieser Ort ist mystverseucht, wie ihr wissen werdet. Ich wurde geschickt, um Messungen vorzunehmen. Unsere Forscher beobachten diesen Ort. Die Sicherheit meines Landes hängt davon ab.“

Clouds Menschenkenntnis sagte ihm, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Für den Moment konnte er aber leben damit, solange nicht Vincents geschärfter Instinkt etwas anderes sagte. Er nickte in Zeitlupe.

„Gut. Dann will ich auch ehrlich sein. Wir suchen jemanden. Eine Kreatur, die sich Gilgamesch nennt.“

Die deutliche Reaktion des Mannes überraschte ihn.

„Gilgamesch?“

Fast lachte er. Cloud stellte sich dicht vor ihn.

„Sie wissen etwas über ihn??“

„Nicht mehr, als dass ich schon einmal gegen ihn gekämpft habe.“

„Wo war das?“

Nun standen alle vier dicht um ihn im Kreis.

„In den Lhusu-Minen, auf Bhujerba. Er ist nachher geflohen, ich weiß also nicht, wo er jetzt sein könnte.“

„Lhusu-Minen? Was ist das, verflucht noch mal, schon wieder?“ fragte Barret verärgert. Der Mann namens Basch hob eine Auenbraue.

„Was seid ihr für seltsame Vögel? Ihr wisst nichts über die östlichen Länder, und auch eure Kleidung ist seltsam… seid ihr aus Rozarria?“

Sein Gesicht verriet nun offenen Argwohn. Die Vier wechselten vielsagende Blicke.

„In Ordnung, Basch von Rosenberg oder wie sie heißen. Auch wenn sie es wahrscheinlich nicht glauben werden… aber wir sind nicht aus diesem Land. Und auch nicht aus dieser Welt.“

Die Miene des Mannes wechselte von misstrauisch zu erstaunt.

„Wenn ihr wirklich Kopfgeldjäger sein, dann habt ihr einen ungewöhnlichen Humor.“

„Sind wir nicht. Wir suchen diesen Gilgamesch. Er hat eine sehr gute Freundin von uns entführt.“

„Entführt? Das kann ich mir kaum vorstellen…“, sagte er lachend. Cloud ging noch dichter auf ihn zu, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Nun war jeder Spaß zu Ende.

„Es ist aber passiert“, zischte er leise. Dann trat er wieder einen Schritt zurück. Seine Miene blieb aber finster. „Wir MÜSSEN ihn finden. Er ist unsere einzige Spur, die zu Tifa führen kann.“

Basch legte den Kopf schief und musterte ihn skeptisch.

„Alles, was ich über Gilgamesch weiß, ist dass er sich damals gern in den Lhusu-Minen herumgetrieben hat. Ich habe gegen ihn gekämpft, und nachher floh er. Soweit ich weiß, wurde er dort seither nicht mehr gesehen. Er sammelt Waffen, aber entführt keine Leute. Zumindest bisher.“

Clouds stechender Blick verlor an Schärfe, und er wandte sich ab. Verloren blickte er zu Boden. Die Aussage des Mannes hatte einen wunden Punkt in ihm berührt, das musste er sich eingestehen. Es war wohl doch mehr als ihre Freundschaft und ihre gemeinsame Vergangenheit, die ihn auf diese Reise geführt hatte. Schnell schob er den Gedanken wieder zur Seite. Er atmete tief durch, bevor er weitersprach.

„Können sie sich vorstellen, dass er jetzt hier ist?“

Der Mann zuckte mit den Achseln.

„Schwer zu sagen. Er taucht auf und verschwindet wieder, und das oft an weit voneinander entfernten Orten. Er muss eine besondere Art des Reisen kennen.“

„Allerdings“, erwiderte Cloud bitter lachend. „Auf diese Weise ist er in unsere Welt gekommen und hat uns angegriffen. Tifa verschwand dabei…“ Wieder schmerzte ihn die Erinnerung an seine Sandkastenliebe, die später nur noch eine Freundin für ihn war. Auch wenn sie vielleicht mehr gewollt hatte… und er nicht gewagt hatte, es ihr zu geben… Er schüttelte missmutig den Kopf. Solche Gedanken durfte er jetzt nicht zu lassen. Jetzt musste er stark sein und alles tun, was zu ihrer Rettung notwendig war. „Wir müssen ihn finden…“, sagte er, und es klang fast flehend. Basch nickte langsam.

„Wenn ihr mir behilflich seid, dann werde ich meine Verbindungen nutzen. Ich kann nichts versprechen, aber… ich werde es versuchen.“

Ein leises Lächeln erschien in dem bisher so ernsten Gesicht. Für einen Moment spürte Cloud einen Hoffnungsschimmer.

„Einverstanden. Wir helfen ihnen, und sie unterstützen unsere Suche.“

Die beiden besiegelten dieses Abkommen mit einem Handschlag, bevor sie die letzte Ruhestätte seiner beiden Untergebenen verließen.
 


 

Renos Zunge wand sich in seinem Mundwinkel hin und her, während er das Schloss der Schatzkiste mit der Spitze seines Taschenmessers bearbeitete. Rude stand ein paar Schritte entfernt und beobachtete argwöhnisch ihre gespenstische Umgebung.

„Hab ich doch gewusst, dass hier drinnen Reichtümer warten…“, murmelte er, während er hochkonzentriert versuchte, das Schloss zu knacken.

„Ich glaube, wir haben uns verirrt“, sagte Rude niedergeschlagen. Reno war einfach ohne zu überlegen in die Ruine gelaufen und hatte auf keine der Gabelungen geachtet, an denen sie vorbeigekommen waren. Auch sah hier drinnen alles sehr ähnlich aus, und Rude konnte bereits nicht mehr den Weg zurück ausmachen.

„Ach was… wir finden hier schon raus“, bemerkte Reno beiläufig. „Aber zuerst knacke ich dieses Di- “ Er erschrak, als tatsächlich der Riegel aufsprang. Hoffnungsvoll öffnete er die Truhe. Rude griff sich an seine Sonnenbrille und zog sie sich langsam von der Nase. Gierig griff Reno in die Truhe.

„Heeey, was ist… das?“

Sein eben noch von Vorfreude erhelltes Gesicht verwandelte sich in ein einziges Fragezeichen. Dann griff er in die kleine Truhe und zog einen unmöglich langen Gegenstand heraus.

„Äh… Reno?“

„Sieht nicht gerade wertvoll aus…“, seufzte Reno, als er den weißen Speer aus der Truhe nahm. Er hatte Spitzen an beiden Enden, und es war etwas eingraviert. Er pustete den Staub weg und las verschnörkelte Buchstaben.

„…‘Zodiak Speer‘… hä?“

„Reno, wir sind nicht mehr allein!“

Rude blinzelte über den Rand seiner Sonnenbrille. Er hatte sich doch nicht geirrt. An mehreren Stellen sah er flimmernde Umrisse, die sich auf sie zu bewegten. Und dann wurde die erste Kreatur sichtbar. Wenige Momente später alle anderen ebenfalls. Sie waren klein, grün, trugen Atemmasken auf dem Gesicht und fuchtelten mit bedrohlich aussehenden Waffen herum.

„Ja, ja… sag bloß, du hast ein Gespenst entdeckt…“, knurrte Reno, während er den seltsamen Gegenstand betrachtete. Rude stand neben ihn und starrte auf die Übermacht der kleinen, aber angriffslustig wirkenden Gestalten. Grob packte er ihn an der Schulter und riss ihn herum. „Was soll da- “ Fassungslos sahen seine geweiteten Augen die Übermacht, die sich unsichtbar angeschlichen und sie nun umzingelt hatte. Vor Schreck ließ er den Speer fallen. Scheppernd landete er vor ihren Füßen.
 

„Äh… hallo, Leute“, stammelte Reno schief grinsend. „Ich hoffe, wir kommen nicht ungelegen… wir gehen auch gleich wie- “ Im selben Moment wandten sie sich zur Flucht. Doch auch in der anderen Richtung waren sie von den Bagnamus umzingelt. Von aufsteigender Panik erfüllt, zogen sie ihre Viehstäbe. Angesichts der Vielzahl ihrer Gegner wirkten sie ziemlich nutzlos. Rude hielt dem am nähersten stehenden Bagnami den Stab vor die Nase. Dieser beäugte ihn neugierig- bis ihn der Elektroschock traf. Von der zischenden Entladung erschreckt, kam Aufregung in die Menge der kleinen, aber gefährlichen Wesen. Die beiden nutzen diese Schrecksekunde zur Flucht und rannten los.
 

Irvine, der mit seiner Waffe im Anschlag die Spitze übernommen hatte, deutete den anderen, stehen zu bleiben. Vorsichtig lugte er um die Ecke, während seine Freunde angespannt hinter ihm warteten. Die bedrückende Stimmung, die in diesen Ruinen herrschte, war körperlich spürbar. Es roch hier nach Tod. Ihr Chauffeur hatte nicht übertrieben, hier mussten schreckliche Dinge passiert sein. Die Gemäuer waren wie ausgestorben, kein menschliches Lebenszeichen war mehr zu finden. Was immer hier geschehen sein mag, es hatte entweder die Bewohner dieses Ortes zu einer panikartigen Flucht veranlasst- oder sie spurlos verschwinden lassen.

Irvine drehte den Kopf. Er war sich sicher gewesen, eben noch eilige Schritte gehört zu haben. Oder hatten diese verwünschten Gemäuer seinen Sinnen wieder mal einen Streich gespielt? Jegliche Zweifel schwanden, als er zwei Gestalten um eine Ecke biegen sah, die direkt auf sie zuliefen.

„Da kommt jemand“, zischte er. Rinoa stand dicht hinter ihm.

„Vielleicht wieder Kopfgeldjäger?“

Irvine zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Wir werden es gleich wissen.“

Er trat aus dem Schatten heraus und zog zugleich seinen Revolver. Mit den beiden Waffen in der Hand erwartete er die beiden Männer, die direkt auf ihre Position zukamen.

„He Leute, wir wollen keinen Ärger- “

Verdutzt sah er, wie sie achtlos und hektisch an ihm und den anderen vorbeiliefen. Xell streckte die Hand aus und packte einen der Männer an der Schulter. Sein kraftvoller Griff brachte den Mann fast augenblicklich zu Stehen. Er trug einen schwarzen Anzug und hatte eine Glatze. Xells verwundertes Gesicht spiegelte sich in seinen Sonnengläsern.

„Lass los, Punk“, schnauzte ihn der glatzköpfige Anzugträger an.

„Zuerst verratet ihr uns mal- “

Schon sah Xell eine in einem Lederhandschuh steckende Faust auf sich zu rasen. Flink wich er dem Schlag aus und packte mit der anderen Hand den Arm. Mit einem Judo-Manöver verdrehte er ihm das Schultergelenk. Der Mann ächzte knurrend, während Xell ihn so in Schach hielt. Gerade wollte er die Frage neuerlich an den glatzköpfigen Mann richten, als er einen Gegenstand auf sich zu surren hörte. Im letzten Moment duckte er sich unter dem Viehstab des zweiten Mannes drunter durch. Sein zweiter Angreifer hatte langes, knallrotes Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hinab hing. Ohne sein Opfer loszulassen, schickte Xell seinen zweiten Angreifer mit einem Halbkreistritt zu Boden. Scheppernd rollte der Viehstab davon.

Irvine wollte schon die beiden Männer verfolgen, als er sah, wovor sie davon gelaufen waren. Eine Horde kleiner, grüner Angreifer stürmte durch den Korridor. Sie schwenkten dabei alle möglichen Waffen, und ihr Geschrei ließ keinen Zweifel an ihrer feindlichen Absicht. Konzentriert zielend legte er mit beiden Waffen an. Rinoa und Selphie, die ebenfalls die Gefahr erkannt hatten, flankierten ihn mit gezogenen Waffen.
 

Der Mann mit der Sonnenbrille war außergewöhnlich stark. Es gelang ihm, sich aus Xells Haltegriff zu befreien. Mit wuchtigen Schwingern attackierte er ihn, doch der SEED war schneller. Behände wich er den Schlägen aus- bis er sich plötzlich selbst in einer Umklammerung fand. Der rothaarige Mann war wieder auf den Beinen und hielt ihn nun von hinten fest.

„Los, Rude! Polier ihm die Fresse!“ rief er seinem Kameraden zu. Dieser zog grinsend seinen Viehstab hervor. Entladungen umzuckten seine Spitze. Bereit zum Zuschlagen ging er auf die beiden zu. Er holte aus- und traf seinen Kameraden.

Im letzten Moment vollführte Xell nämlich eine abrupte Bewegung und riss seinen Widersacher zur Seite. Stattdessen traf nun der Elektroschocker Reno, der schreiend zusammenzuckte. Dann ließ er seinen Ellbogen nach hinten sausen und traf den Rotschopf mitten im Gesicht. Stöhnend ging dieser zu Boden. Dann wandte er sich wieder dem Glatzkopf zu, der wieder seinen Elektroschocker schwang.

Abwartend umkreisten sie sich, bis der Glatzkopf wieder angriff. Xell wich dem Stoß mit dem Elektroschocker aus und umklammerte seinen Waffenarm. Mit der Handkante traf er das Handgelenk, worauf der Viehstab zu Boden fiel. Dann packte er den Arm mit beiden Händen und warf den Glatzkopf mit einem schwungvollen Wurf durch den Raum.
 

Irvines Waffen blitzten abwechselnd auf. Dumpf hallten die Schüsse durch den Korridor. Viele der Wesen starben noch bevor sie die drei erreichten. Den Rest erledigten Selphie und Rinoa im Nahkampf. Immer höher türmten sich die Leiber der besiegten Bagnami…
 

„Ich hab ihn!“ brüllte Rude. Von hinten hielt er Xell umschlungen, und es schien, als würde sich der SEED aus diesen kräftigen Armen nicht so schnell herauswinden können. Verzweifelt riss er hin und her, doch Rudes muskulöse Arme ließen ihm keinen Ausweg. Reno kam schwer atmend auf die Beine und wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das aus seiner Nase lief. „Schlag dem Wicht die Schnauze ein, schnell!!“ befahl Rude, der spürte, dass der blonde Kampfsportler sich bald mit einem akrobatischen Manöver würde befreien können. Reno ließ geräuschvoll die Knöchel knacken, während er vor den beiden stand.

„Darf ich vorstellen, du Arsch…“, knurrte er, „… wir sind die Turks- “

Doch in diesem Moment war es schon zu spät. Xell trat Rude mit aller Kraft auf den Fuß, worauf dieser seinen Griff lockerte. Diesen Moment nutzte er, um den Glatzkopf in den Schwitzkasten zu nehmen. Schreiend sprang er hoch und umfasste den verdutzten Reno mit den Füßen am Kopf. Ächzend griff dieser an die Beine, die ihn zu erwürgen drohten. Ein gewaltiges Drehmoment auslösend, vollführte Xell eine Rolle und schleuderte so alle beide katapultartig von sich. Die Turks überschlugen sich und landeten krachend auf dem harten Boden der Tatsachen. Eine elegante Drehung später stand Xell mit erhobenen Fäusten vor den sich vor Schmerz auf dem Boden windenden Turks.
 

„‘Shinra Electrical Power Company…‘ “, las Rinoa auf einem der beiden Viehstäbe. Der Schriftzug prangte unter einem Logo am Griff des Elektroschockers, das aus einem auf der Spitze stehenden, roten Quadrat bestand. Dann richtete sie den Blick wieder auf die beiden Gestalten, die vor ihnen auf dem Boden saßen. Irvine hielt sie mit dem Exeter in Schach. Xell und Selphie standen mit verschränkten Armen daneben und betrachteten die beiden seltsamen Gestalten misstrauisch. „Also gut. Wer seid ihr und warum habt ihr uns angegriffen?“ fragte sie in einem ernsten Tonfall.

„Wir haben nicht angegriffen“, brummte der Glatzkopf mürrisch. „Der blonde Idiot hat mich angefasst.“

Xell ballte wütend die Faust.

„Pass bloß auf, Glatzkopf, sonst- “

Rinoa legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Dann verhörte sie die beiden weiter.

„Wie auch immer. Wer seid ihr und was macht ihr hier?“

Rude richtete sich trotzig seine Sonnenbrille.

„Wir sind die Turks, und wir beantworten keine Fragen.“

Xell musste lachen.

„Aber das hast du doch gerade!“

Verwirrung blitzte hinter den getönten Gläsern auf. Die beiden Anzugträger sahen sich konsterniert an. Dann schüttelte der Rotschopf den Kopf.

„Ich bin Reno, und das ist mein Kumpel Rude. Und wer zum Teufel seid ihr?“ fragte er resigniert. Die SEEDs stellten sich mit Namen vor, zuletzt war Rinoa dran.

„…und ich bin Rinoa Heartilly. Ich will auch nicht verschweigen, warum wir hier sind. Wir suchen eine Kreatur namens Gilgamesch. Ihr habt nicht zufällig von ihr gehört?“

Nach diesen Worten klappte Rude das Kinn herab, und Reno begann schallend zu lachend. Verwirrt sahen sich die Vier an.

„Ihr sucht diesen Gilgamesch?“ brachte Reno prustend hervor. „Dann zieht euch besser ´ne Nummer und stellt euch hinten an. Denn Cloud und seine Kollegen sind ebenfalls hinter ihm her.“ Lachend schüttelte er den Kopf, als Xell an ihn herantrat und unsanft am Kragen hochzog.

„Ihr wisst von diesem Monster? Woher seid ihr überhaupt? Und wer verdammt nochmal ist dieser Cloud?“

Xell schüttelte den Turk halb aus seiner Kleidung. Dieser grinste nur wie irr.

„Scheint ja gerade in Mode zu sein, diesem Typen nachzujagen, hi, hi…“

Der SEED schüttelte ihn noch heftiger, bis Selphie an ihn herantrat um ihn zu stoppen. Dann erhob sich Rude und begann zu erklären. Aufmerksam und ungläubig staunend hörten sie die Geschichte der Turks…
 

„Ihr seid also ebenfalls durch so ein Tor hierhergekommen. Nur aus einer anderen Welt als wir…“, stellte Rinoa stirnrunzelnd fest. Rude nickte. Reno grinste nur noch vor sich hin und murmelte wirres Zeug. Er war offenbar mit der Situation überfordert.

„Ja. Wir sollten nur irgendwas messen, dann wollten sie uns zurückholen. Aber wir… kamen in Schwierigkeiten“, sagte er und warf dabei einen vorwurfsvollen Blick auf den verwirrten Reno, „wodurch wir schließlich hier landeten. Weiter wissen wir nichts.“

Rinoa nickte langsam.

„In Ordnung… und ihr wisst nicht zufällig, wo dieser Cloud Strife nun ist?“

Rude bewegte seinen kahlgeschorenen Kopf ruckartig von links nach rechts.

„Nein. Irgendwo in dieser Welt, mehr kann ich nicht sagen.“
 

Die Vier beratschlagten sich, während Irvine immer noch ein Auge auf die beiden hatte.

„Was machen wir jeeetzt mit denen?“

„Ich sage anbinden und verschimmeln lassen!“

„Das werden wir nicht tun, Xell… vielleicht sind die uns noch eine Hilfe.“

„Willst du sie etwa mitnehmen?“

„Warum nicht? Immer noch besser, als wenn sie hier auf eigene Faust rumschleichen und auf dumme Ideen kommen. So haben wir sie im Blickfeld. Ich glaube ihnen die Geschichte. Die sind nicht freiwillig hier, die wollen nur zurück. Ich glaube, dass sie uns helfen werden.“
 

Die Turks schienen sofort einverstanden mit ihrem Vorschlag. Die Aussicht unbekannter Bedrohungen in diesen düsteren Ruinen bewog sie wohl dazu, und so setzten sie den Weg gemeinsam fort. Nichtsdestotrotz behielten sie die beiden ständig im Auge. Ihre Viehstäbe waren offensichtlich keine sonderlich starken Waffen, und so hatten sie sie ihnen wieder ausgehändigt. Reno hatte sich wieder einigermaßen beruhigt und unterhielt sich locker mit Selphie, während Rude einsilbig wie immer war.

„Wie sieht es deeeen aus in eurer Welt?“ fragte sie neugierig. Reno fuhr sich in einer lässigen Geste durch seinen Pferdeschwanz und begann mit Händen und Füßen zu erklären. Gebannt hörte sie ihm zu. Irvine ging hinter ihnen, den Exeter immer noch in der Hand und beobachtete die beiden argwöhnisch.

„…und wir zwei, mein Kumpel und ich, wir sind richtig große Nummern bei der W.R.O., also ohne uns läuft praktisch gar nichts in dem Laden“, behauptete er selbstbewusst.

„Und warum haben sie euch beeeiiide dann hierhergeschickt?“ fragte Selphie kichernd. Nun wurde Reno etwas verlegen.

„Äh… na ja, dieser Auftrag… ist eben sehr wichtig. Das konnten nur wir, und so mussten wir los. Aber wenn meine Leute das Tor wieder geöffnet haben, dann zeige ich dir gerne Edge-City. Dort geht echt die Post ab, glaub mir, Baby!“

Angesichts seiner plumpen Anmache wurde Selphie rot und kam aus dem Kichern gar nicht mehr heraus. Irvines Miene wurde immer finsterer. Xell stieß ihn mit dem Ellbogen an.

„Furchtbar, nicht wahr?“

Irvine nickte knurrend.

„Ja, ich hätte ihn gleich erschießen sollen“, flüsterte er zurück.

„Er ist fast so ein Schleimer wie du früher warst“, meinte Xell augenzwinkernd. Irvine verfolgte, wie Reno seine angetraute Frau anbaggerte und nickte grollend- dann blinzelte er und erfasste den Sinn dieser Worte voll. Schon wandte er sich aufgebracht zu Xell um, doch dieser suchte bereits das Weite.
 

Skeptisch blickten sie in das trübe Wasser, das am Fuß dieser Treppe in der Dunkelheit schwappte. Wie sie nun sahen, waren die unteren Bereiche dieser Ruine überschwemmt, was ihren Weg ziemlich einschränkte. So folgten sie dem einzig möglich Pfad ins Innere von Nabudis. Je weiter sie in das verlassene Gemäuer vordrangen, desto unheimlicher wurde ihnen zumute. Die drückende Stimmung war greifbar und brachte nach einer Weile sogar Reno zum Schweigen. Es war ihnen, als flüsterten ihnen die Wände unablässig zu. Verlasst diesen Ort, schienen sie sagen zu wollen. Bedrohlich neigten sie sich über ihnen und schienen fast die Decke auf sie herabstürzen lassen zu wollen. Monstern begegneten sie keinen, aber es wäre ihnen lieber gewesen, irgendwas hätte diese drückende Stille durchbrochen, und wenn es nur weitere Gegner gewesen wären.

„Ob der alte Baldore uns die Wahrheit gesaaagt hat“, flüsterte Selphie verzagt.

„Das will ich ihm raten“, erwiderte Irvine, der seinen Exeter schussbereit auf der Schulter trug. „Wenn der uns umsonst dieses Spukschloss hat besuchen lassen, dann lese ich ihm die Leviten.“
 

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee war…“

Rude drehte sich um. Er traute seinen Ohren nicht, die behaupteten, Reno hätte das gerade gesagt. Ungläubig blickte er ihn über den Rand seiner Sonnenbrille an.

„Aber… das war deine Idee!“

Reno hob die Schultern und blickte sich unbehaglich um.

„Ja, ja, ich weiß. Man kann sich ja irren, oder?“

„Willst du jetzt etwa wieder umdrehen?“

Eilig schüttelte er den Kopf.

„Nein, ich meine… bloß nicht, es gibt womöglich noch mehr von diesen… Kreaturen, diesen hässlichen.“

„Wäre auch keine gute Idee. Mit denen- “, er deutete auf die SEEDs, die ein paar Schritte neben ihnen gingen, „sind wir besser dran. Die haben was drauf“, musste er anerkennen.

„Hoffentlich genug…“, flüsterte Reno. Am Ende des Korridors sahen sie ein hohes Tor. Die Flügel standen offen, als erwarte sie jemand. Plötzlich erklang ein hohes Piepen aus Rinoas Tasche. Alle blickten sie an.

„Wer ruft denn jetzt schon wieder an“, scherzte Xell, doch niemand lächelte auch nur. Die Atmosphäre hier unten raubte ihnen zunehmend auch den Humor. Rinoa kramte in ihren Taschen, bis sie das Gerät hervorzog, dass ihnen damals bei ihrer Abreise Doktor Dodonna überreicht hatte.

„Ach, das Ding. An das habe ich ja gar nicht mehr gedacht.“

Alle scharten sich um sie herum, auch die beiden Turks.

„Was is´n das?“ fragte Reno blinzelnd.

„Dieses Gerät soll Übergänge zwischen den Welten anzeigen…“, murmelte Rinoa, während sie die Anzeige studierte.

„Toll! Heißt das, wir können wieder zurück?“ jubelte Reno. Er erntete aber nur vorwurfsvolle Blicke.

„Vielleicht“, meinte Rinoa zerstreut. „Laut der Anzeige… sollte das… Tor, oder was auch immer…“ Ihr Blick hob sich, bis sie in Richtung des offenen Durchgangs vor ihnen schaute. „…dort drin sein.“ Sie wagte es nicht, weiter zu sprechen. Man konnte nichts erkennen in der Finsternis hinter dem Durchgang, aber nicht nur auf Rinoa wirkte dieses Tor wie ein geöffneter Schlund. Reno schluckte hörbar.

„Na ja, worauf warten wir dann“, begann er und lachte dabei gezwungen, um sich Mut zu machen. Doch schnell saß die Furcht wieder in seiner Stimme. „Es kann ja nichts passieren… oder?“

Sie alle waren wie erstarrt angesichts des offenen Tores. Es war, als würde sie eine dunkle Vorahnung festhalten und an jeglicher Bewegung hindern. Schließlich gelang es Rinoa als erste, sich los zu reißen. Die bedrohliche Ausstrahlung ihres Weges drückte sie genau so wie die anderen nieder, doch es war der Gedanke an Squall, der sie den so schweren nächsten Schritt machen ließ. Ich muss ihm helfen, sagte sie sich immer wieder vor. Ich muss ihm helfen…

Selbst als sie die Schwelle überschritten, erkannten sie noch immer nichts in der Dunkelheit. So, als würde der Raum einfach im Nichts enden. Gespenstische, graue Schwaden zogen durch die Schwärze. Die Gruppe blieb stehen, nur Reno latschte weiter.

„Und? Wo ist jetzt das Tor, das uns nach Hauuuuu!!“

Er ruderte wie wild mit den Armen. Rude sprang nach vor und packte ihn am Kragen. So verhinderte er im letzten Moment, dass sein Freund und Kamerad in die bodenlose Tiefe stürzte, die wenige Meter nach der Schwelle zu diesem Raum vor ihnen gähnte.

Reno lehnte schwer atmend an der Wand, während die anderen den Abgrund begutachteten. Durch die Dunkelheit war kein Boden ersichtlich. Xell begann in seinen Taschen zu kramen, bis er eine Münze fand. Er hielt sie über den Abgrund und ließ sie fallen. Dann bildete er mit der anderen Hand einen Trichter um sein Ohr. Dann lauschte er. Und wartete. Und wartete. Und wartete…

„Hm…“ Sie sahen sich seufzend an. Es war noch immer kein Geräusch zu hören. „Scheint ja ziemlich tief zu sein. Und weiter geht es auch nicht…“ Und deutlich sahen sie rechts von sich einen Vorsprung gleich dem ihrigen, der ebenfalls durch ein Tor zu betreten war. Doch er war zu weit weg, um ihn zu erreichen. „Wir sollten wohl umdreh- “

Bei dem folgenden Geräusch erschraken alle. Es waren die Torflügel gewesen- die nun hinter ihnen wie von Geisterhand bewegt zugefallen waren. Xell rannte sofort los und warf sich gegen die mächtige Tür. Dann trommelte er mit den Fäusten dagegen- ohne Erfolg. Als er sich umdrehte, zeigte sein Gesicht Mutlosigkeit- was bei ihm noch nie vorgekommen war.

„Wir sitzen in der Falle…“, sagte er leise und ballte die Faust.
 


 

Dann ging er los. Tifa blickte ihm hinterher und schüttelte den Kopf. Über die Welt, über sich selbst. Was erwartete sie überhaupt? In diesem Moment fiel es ihr schwerer als je zuvor, ihre Gefühle und Gedanken zu ordnen. Sie gab sich selbst einen Stoß; was immer sie ihm sagen wollte, was immer sie selber wollte, es würde warten müssen.

Sie folgte ihm. Seine Schritte waren weit und selbstsicher. Nichts verrieten sie über sein Inneres, das doch auch so aufgewühlt sein musste wie ihr Inneres. Zumindest hoffte das ein Teil von ihr. Sie beschleunigte ihre eigenen Schritte, um zu ihm aufzuschließen.

„Squall?“

„Was ist“, erwiderte er knapp und genervt.

„Bitte sei ehrlich.“

„Bei was“, erwiderte er wieder, ohne sie dabei anzusehen.

„Liebst du sie noch?“

Nun blieb er abrupt stehen. Sein Blick ging verloren in die Ferne, als streife ihn eine wehmütige Erinnerung. Deutlich sah sie die Narbe auf seiner Stirn. Doch die Narben auf seiner Seele konnte sie nur erahnen.

„Ich weiß es nicht“, flüsterte er kaum hörbar. „Ich denke immer noch oft an sie… aber ob ich sie noch liebe…“ Wieder tasteten seine Finger nach dem Anhänger, der vor seiner Brust baumelte. „Ein Teil von mir will sie zurück haben… aber ein anderer… hat sie schon aufgegeben.“ Geräuschvoll einatmend ging er weiter. Tifa lenkte ihre Schritte neben seine. „Du hast mich doch gefragt, warum wir uns getrennt haben. Weißt du noch?“

Der Klang seiner Stimme überraschte sie. Sie hatte nicht erwartet, nach der abweisenden Reaktion noch etwas von ihm über dieses Thema zu hören.

„Ja… du hast gesagt, es wäre wegen deinem Beruf.“

„Ja, das habe ich mir lange Zeit eingeredet. Aber der wahre Grund… ist wohl ein anderer.“

„Willst du darüber reden?“ fragte sie vorsichtig. Squall atmete tief durch. Eine gewisse Erleichterung zeigte sich auf seinem Gesicht.

„Nachdem ich es ihr vielleicht nie mehr selbst werde sagen können… warum nicht. Wir beide sind sehr unterschiedlich, wie ich dir schon gesagt habe. Sie ist als Tochter eines Offiziers und einer Sängerin in einer großen Stadt aufgewachsen. Ich hingegen in einem Waisenhaus am Arsch der Welt. Als ich ein paar Jahre alt war… verschwand meine Schwester. Der einzige Mensch, der mir damals wirklich etwas bedeutet hat.“ Innerlich musste er lachen. So oft hatten die Leute um ihn herum versucht, mit ihm über seine Probleme zu reden, doch immer hatte er abgeblockt. Es schien ihm als bittere Ironie, dass es ihn erst ans andere Ende des Universums hatte verschlagen müssen, ohne große Hoffnung auf Rückkehr, damit er sich einem fremden Menschen öffnen konnte. Ja, ihr gegenüber konnte er sich öffnen. Und eigentlich war sie ihm nicht mehr fremd… „Damals habe ich mir geschworen, immer allein zu recht zu kommen. Das hat mich geprägt…“ Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich habe mich oft gefragt, warum sie sich überhaupt in mich verliebt hat. Sie ist so anders… so offen den Menschen gegenüber. Sie hat kein Problem, jemanden zu zeigen, was sie für ihn empfindet.“ Ich rede ja wie ein Wasserfall, dachte er schmunzelnd. Wenn die anderen mich so erleben könnten…

„Ich kann sie verstehen“, sagte Tifa nickend. „Man muss nicht unbedingt in allen Dingen übereinstimmen, um sich lieben zu können. Manchmal suchen wir im anderen genau das, was uns fehlt…“ Ihre Gedanken wanderten zu Cloud, doch sein Bild wurde verdrängt… von einem anderen. Von seinem. „Du hast auch deine Qualitäten. In deiner Nähe fühlt man sich… beschützt.“ Er warf ihr einen aufgehellten Blick zu. „Und man weiß, dass du einen nicht im Stich lässt.“

„Findest du?“

„Ja“, hauchte sie und nickte dabei.

Dann sagte keiner der beiden mehr etwas. Vieles blieb unausgesprochen im Raum, vieles, dass sie bewegte. Doch beide hatten das Gefühl, bereits zu weit gegangen zu sein. Obwohl die Personen, die ihnen am wichtigsten waren, weit entfernt und unerreichbar waren, plagten sie trotzdem Schuldgefühle. Doch ihre Herzen wollten nichts davon wissen, wollten einfach umarmt werden von demjenigen, dem es genau so schwer fiel, sich die eigenen Empfindungen einzugestehen. Und so drängten sie es zurück und verschoben es auf eine ungewisse Zukunft, die vielleicht nie kommen würde. Sie durchquerten düstere Korridore, finstere Hallen und teilweise eingestürzte Treppenhäuser, ohne noch etwas darüber zu sagen. Bis sie vor einem Tor standen. Einem Tor mit geöffneten Türflügeln. Dahinter erwartete sie schwarze Leere…
 


 

„Sie sind also ein richtiger Adeliger?“ fragte Yuffie kichernd. Der Mann namens Basch nickte verlegen.

„Zumindest stamme ich von einer alten Familie ab, ja.“

„Und sie kommen aus… Archadis, sagten sie?“

„Ich bekleide das Amt eines Richters von Archadis, aber ursprünglich komme ich aus Landis, einem kleinen Land westlich von hier.“

„Das ist seeehr interessant…“

Mit Argwohn beobachteten die anderen, wie sich Yuffie angeregt mit dem Fremden unterhielt. Sie hatte für sich persönlich offenbar schon alle Vorbehalte über Bord geworfen. Cloud und auch die anderen waren nach wie vor nicht bereit, ihm den Rücken zuzuwenden.

„Sie himmelt ihn ja richtig an“, brummte Barret ärgerlich. „Sie sollte sich lieber in Acht nehmen.“

Vincent, der neben ihm ging, wollte schon zustimmen. Doch dann sagte er lediglich „Sie muss wissen, was sie tut“. Ihn selbst beunruhigte die Regung in seinem Inneren aber sehr wohl, auch wenn er das nicht zeigte. Deutlich spürte er den Impuls, sie vor der möglichen Gefahr schützen zu wollen. Natürlich, sie alle waren Freunde und hatten gute wie schlimme Zeiten miteinander überstanden. Aber dies war… mehr. Fast erschauderte er, als längst vergessene Regungen in ihm langsam erwachten. Dieses Mädchen aus Wutai… etwas an ihr war anders. Wenn er den Blick von ihr abwandte, so sah er sie immer noch vor sich. Momente später erschien ihm dann Lucrezia vor Augen… aber nicht um zu mahnen, so wie sie es früher immer getan hatte, um ihn an seine ‚Sünde‘ zu erinnern. Und auch gegen diesen Eckpfeiler seiner wiedergeborenen, dunklen Seele regte sich Wiederstand. War er denn wirklich ‚sündig‘? Hatte nicht Lucrezia ihn mit Professor Hojo betrogen? Hatte nicht sein eigener Sohn, Sephirot, sich gegen ihn gewandt und sogar versucht, Vatermord zu begehen? War nicht von jedem Menschen in dieser Welt ein Teil ‚sündig‘? Und war es nicht Zeit, längst vergangene Dinge dem Strudel des Vergessens anheim fallen zu lassen? All das ging ihm durch den Kopf, während sie dem Mann in der auffälligen Rüstung folgten, der sie durch dieses Labyrinth aus finsteren Korridoren, verfallenen Hallen und überfluteten Treppenhäusern führte…
 

„Das ist… seltsam.“ Richter Basch von Ronsenburg kniete am Rande eines Abbruchs, der sich quer durch den Raum erstreckte und den Blick in bodenlose Tiefe freigab. Auch der Rest des steinernen Bodens wirkte, als würde er bald wie der Rest einstürzen. Cloud und auch die anderen wirkten sichtlich unwohl. Seufzend richtete er sich auf. „Das muss erst vor kurzem passiert sein. Die Gemäuer sind nicht sehr stabil… wir müssen einen anderen Weg nehmen.“

„Wo wollen wir überhaupt hin?“ fragte Cloud nach.

„Ich muss ins Zentrum dieser Anlage. Ich hatte gehofft, den kürzesten Weg nehmen zu können, doch er ist versperrt.“

„Und was ist, wenn wir diesen Gilgamesch nicht finden können?“ fragte Barret aufgebracht. „Wo sollen wir dann suchen?“

„Die archadische Armee hat Stützpunkte in ganz Ivalice. Seid unbesorgt, wenn er irgendwo auftaucht, werden sie es erfahren, dafür sorge ich.“

Richter Basch wandte sich ab und ging den Korridor zurück bis zur letzten Gabelung. Barret rollte mit den Augen und ballte seine mechanische Faust.

„In ganz Ivalice, na großartig… das wird ja die reinste Schnitzeljagd!“ Sein Groll nahm überhand. Wütend knurrte er die Dunkelheit um sich an. „Gilgamesch, du Scheißkerl!! Komm raus aus deinem Loch!!!“ brüllte er und entfaltete seine Makokanone. Cloud packte ihn an der Schulter und versuchte ihn zu beruhigen.

„Hör auf mit dem Quatsch, so hilfst du ihr nicht!“ sprach er eindringlich auf ihn ein. Barret wich seinem Blick aus brummte Unverständliches. „Barret! Sieh mich an!“ Nur widerwillig richtete der einen Kopf größere Schwarze seinen zornigen Blick auf ihn. „Ich mache mir genauso Sorgen um Tifa wie du. Aber wir müssen uns konzentrieren, verstehst du? Es darf nichts schief gehen, klar?“

Langsam entspannten sich seine Züge. Schließlich nickte er zähneknirschend.

„Ja… du hast verdammt recht, Mann.“

„Gut“, erwiderte Cloud und schlug ihm kameradschaftlich auf die breite Schulter. „Wir holen sie zurück. Gemeinsam schaffen wir das, okay?“

Ein Lächeln umspielte seine groben Züge.

„Okay, Spikey.“

„In Ordnung. Gehen wir.“
 

Und so setzten sie ihren Weg fort. Cloud ging nun vorn bei Basch, während Vincent und Yuffie ein Auge auf dem nervlich angegriffenen Barret hatten.

„Ich will eurem Kameraden sicher nicht das Vertrauen absprechen“, begann Basch nach einer Weile leise, „ihr kennt ihn wohl gut genug. Aber werden wir uns auf ihn verlassen können, falls…“

„Auf Barret? Aber sicher“, antwortete Cloud überzeugt. „Der hat bereits genug Scheiße überlebt, glauben sie mir. Er macht sich nur große Sorgen um Tifa, es geht ihm sehr nahe. Auch wenn sein ruppiges Äußeres täuscht, er hat durchaus Gefühle.“

„Er und diese Frau Tifa… es geht mich nichts an, aber waren sie…“

Cloud verstand seine Vermutung.

„Die zwei? Nein, das nicht. Sie sind eher wie Geschwister. Sie haben gemeinsam eine Rebellenorganisation gegründet, und auch zwei Waisenkinder aufgezogen. Sie sind eine Familie“, sagte er langsam nickend. Eine Familie, hallte es in seinem Inneren wieder. Hättest das nicht du für Tifa sein sollen?, fragte ihn eine unangenehme Stimme. Eilig schob er sie weg.

„Ich verstehe… das kann einen nahe gehen, wahrhaft. Gefühle können einen stärken im Kampf, aber genauso auch schwächen. Ich hatte ein ähnliches Erlebnis, vor etwas mehr als einem halben Jahr… ich will sie aber nicht langweilen damit.“

„Nein, nein“, erwiderte Cloud rasch, dem alles lieber war als die drückende Stille dieser toten Stadt und Barrets leises, unablässiges Fluchen. „Erzählen sie ruhig.“

„Einer meiner besten Freunde, die ich je hatte, sein Name war Vossler Azelas… das Schicksal wollte es eines Tages, das wir gegeneinander kämpften. Dabei hatten wir immer die gleichen Ideale. Aber unterschiedliche Wege zu ihrer Verwirklichung.“ Er lachte, aber es klang bitter und freudlos. „Glauben sie mir, es gibt nichts Schlimmeres, als gegen Menschen zu kämpfen, die einem etwas bedeuten.“

Cloud nickte schwermütig.

„Das ist mir nicht fremd. Das ist ebenfalls schon eine Weile her, aber… einst gab es jemanden, den ich von tiefstem Herzen bewunderte. Ich wollte so werden wie er, mehr als alles andere in meinem Leben. Einige Zeit später… musste ich ihn im Kampf töten.“ Die Erinnerung war nach wie vor lebendig, und er musste einen großen Kloß hinunterschlucken.

„Das klingt furchtbar.“

„Dieser Mensch… er war nicht mehr er selbst. Er war vollkommen wahnsinnig und hat schreckliche Dinge getan. Zuerst richtete sich sein Hass gegen seine Feinde. Aber dann… hasste er schließlich die ganze Welt, einfach alles. Es war wohl letztendlich Erlösung für ihn.“

Zu bitter waren für beide die aufsteigenden Erinnerungen, und so sprachen sie nichts mehr auf ihrem weiteren Weg. Stattdessen ließen sie sich von der Schwere bedrücken, die nicht nur aus dem Gewicht der steinernen Hallen über ihnen resultierte. Es war eher so, dass dieser Ort selbst jegliche Gefühle von Hoffnung und Zuversicht aus ihnen herauszuquetschen versuchte. Cloud richtete den Blick nur mehr zu Boden, während Basch sie durch die Ruinen führte. Trotz der gebotenen Wachsamkeit vermied er es, die Wände und Decken dieses verfluchten Ortes zu betrachten. Es war ihm so, als würden sie ihn verspotten und sich über die langsam aufkeimende Furcht in ihnen lustig machen. Und so kamen sie schließlich zu einer hohen, offenstehenden Tür, hinter der sich ein Raum der geschwärzten Leere befand. Der Boden brach ab ins Nichts und schien sich in einem Vakuum der Farben und des Lichts zu verlieren…
 


 

Irvine und Xell untersuchten die Tür gründlichst, doch es war weder ein Schloss noch ein anderer Mechanismus zu erkennen. Probehalber gab Irvine einen Schuss auf sie ab, doch außer einer angerußten Stelle hinterließ der Treffer keine Wirkung.

„Versuchs doch mal mit deiner Pulsarmunition“, schlug Xell vor. „Die putzt doch alles aus dem Weg!“

„Ja, und uns gleich mit. Wir müssten in Deckung gehen können, dann könnte ich es versuchen. Aber so sprengen wir uns selbst in die Luft.“

Xell ließ niedergeschlagen den Kopf hängen. Irvine betrachtete seine Waffe und überlegte, ob ein Versuch mit der explosiven Pulsarmunition zu verantworten wäre.

Selphie stand am Rand der Plattform, unter der sich nur dunkle Leere zu erstrecken schien. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte etwas auf der daneben liegenden Plattform zu erkennen. Bis sich dort etwas bewegte…

„Hey, Leute, seeeht euch das mal an!“ rief sie aufgeregt. Alle kamen herbeigelaufen, nur die beiden Turks lehnten weiterhin gelangweilt links und rechts des verschlossenen Tors.

„Das… das ist doch…“, stammelte Rinoa. Ihre Stimme begann zu zittern, Tränen stiegen in ihre Augen. „Squall!!!“ schrie sie so durchdringend, dass ihren Freunden neben ihr die Ohren klingelten.
 

Squall fuhr ruckartig herum, als er ihre Stimme hörte. Einen Moment glaubte er, sein Geist würde ihm einen Streich spielen, doch dann erfasste er, dass dies real war. Er rannte an den linken Rand der Plattform- und wäre um ein Haar in die bodenlose Tiefe gestürzt. Gerade noch fing er sich, dann rief er zurück.

„Rinoa? Rinoa!! Ich bin hier!!“ Er winkte mit beiden Armen. Dann sah er sich um. Sein entschlossener Blick traf Tifa, die verwirrt neben ihm stand. „Ich muss zu ihr!“ rief er und rannte zum Tor. Dieses fiel genau in diesem Moment zu, und er prallte schmerzhaft dagegen. Ungläubig staunend blickte er an den hohen Torflügeln empor, dann stemmte er sich mit aller Kraft dagegen. Doch es war vergebens. Leise fluchend lief er wieder zum Rand der Plattform. „Rinoa, hörst du mich? Ich kann hier nicht weg! Was passiert hier??“
 

„Oh nein…“, wimmerte sie und hielt sich die Hand vor den Mund. Bitteres Schluchzen erschütterte ihre Brust, als sie die Ausweglosigkeit ihrer Situation erkannte. Neben ihr standen ihre Freunde und redeten aufgewühlt durcheinander, doch sie hörte das gar nicht mehr. Es war das Schlimmste, das sie sich vorstellen konnte. Die ganze Zeit ihrer Suche schon hatte sie sich vorgestellt, ich endlich zu finden. Und nun war es geschehen, in dem Moment, in dem sie es am wenigsten erwartet hatte. Er war ihr nun so nahe wie seit seiner Entführung nicht mehr- aber es trennte sie ein tiefer Abgrund, und sie wusste nicht, wie sie diesem Ort entfliehen könnte.
 

Tifa sah mit an, wie Squall etwas zu den Menschen auf dem daneben aus der Wand wachsenden Vorsprung rief. Squall achtete gar nicht mehr auf sie, offenbar kannte er diese Leute und war völlig bestürzt von ihrem Auftauchen an diesem düsteren Ort. Bis sich in diese Rufe eine Stimme mischte, die sie kannte… die ihren Namen rief. Erschrocken wandte sie sich in die Richtung, aus der sie Clouds Stimme hörte.
 

„Tiiifaaa!!“ Fassungslos starrte Cloud auf die Frau, die sie die ganze Zeit gesucht hatten. Plötzlich drehte sie sich um. Zuerst sah sie ihn an, als wäre er ein Geist, dann erwiderte sie seine Rufe. Barret, Vincent und Yuffie standen gebannt daneben. Plötzlich erklang ein schrilles Piepen aus Clouds Tasche, dem er aber in diesem Moment keine Aufmerksamkeit schenkte. Er merkte gar nicht, wie Vincent das PHS, das ihnen Professor Salvatori auf ihre Reise mitgegeben hatte, aus seiner Tasche zog.
 

„Lauft weg!! Schnell!!“ schrie Tifa verzweifelt, doch Cloud und die anderen winkten und riefen nur zurück. Sie ahnte förmlich, was passieren würde und fiel vor Verzweiflung auf die Knie. „Lauft weg, bitte…“, schluchzte sie jämmerlich.
 

Während die anderen versuchten mit sich mit Tifa zu verständigen, betrachtete Vincent nachdenklich das Gerät namens PHS. Auf dem nun zum Leben erwachten Bildschirm tanzten Linien auf und ab und zeigten gigantische Ausschläge an. Noch bevor er den genauen Sinn dieser Signale erfassen konnte, ertönte ein dumpfes WUMM! neben ihnen. Es war das Tor, und nun war es geschlossen.
 

Rufe hallten durch den leeren, finsteren Raum, und in ihnen allen klang Verzweiflung mit. Die Suche war zu Ende, wie es aussah, doch ein unüberwindlicher Abgrund trennte die Menschen, die bereit waren, alles für den anderen aufs Spiel zu setzen, voneinander. Und die Tore in diese Welt der Schwärze waren verschlossen, und keine irdische Macht schien sie öffnen zu können.

Das ganze Durcheinander wurde erst unterbrochen, als ein feines Vibrieren an ihre Wahrnehmung drang. Es wurde stärker, und bald hatte es die Aufmerksamkeit aller. Sie verstummten nun und sahen sich um. Jeder für sich versuchte die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen, doch sie blieb undurchdringlich. Dann begann es.
 

Wie nachglühende Konturen, eingebrannt in die Netzhaut eines Auges, das auf eine grelle Lichtquelle gerichtet war, erschien er. Sie wurden deutlicher und gewannen an Substanz. Schließlich zeichneten sich die Umrisse deutlich gegen die ewige Schwärze im Hintergrund ab. Die Blicke von dreizehn Personen aus drei verschiedenen Welten richteten sich auf die Erscheinung, und allen standen die Münder offen. Nur ein einziger sagte etwas ganz leise. Es war Squall Leonhart.

„Das ist es doch…“

Die Erinnerung brannte ihn plötzlich wie heißer Stahl in seinen Gehirnwindungen. Als ihn der Sog verschlang, der ihn in diese Welt gespült hatte, nach seinem Kampf gegen das Wesen Gilgamesch, da hatte er es gesehen… wie ein Alptraum war es an ihm vorbeigezogen, eine riesige Statue… ein Wesen aus Marmor und Stein… kalte, ausdruckslose Züge… und die hallende Stimme, die von Endgültigkeit und Verderben kündete.

Ich warte auf euch…
 

„Ich habe auf euch gewartet“, schallte die Stimme nun durch den Raum, und ihre Wucht riss sie fast von den Beinen. Wie eine Sturmbö fegte sie über sie hinweg und dröhnte bis in ihre Knochen hinein. Mit den Händen beschirmten sie ihre Gesichter vor der Welle aus purer Macht, die von der Erscheinung ausging. Entsetzt sahen sie sich an. Sie verstanden die Welt nicht mehr, doch wie automatisch zogen sie in einer Geste der Ausweglosigkeit ihre Waffen.

Langsam schwebte die Erscheinung auf sie zu, und erst allmählich erfassten sie ihre schiere Größe. Weit ragte sie über ihnen auf. Sie schien aus gebändertem Marmor zu bestehen und wirkte wie gemeißelt, würden nicht langsame Bewegung von der Lebendigkeit dieses Ungetüms zeigen. Die Züge des Gesichts hatten einen friedlichen, fast freundlichen Ausdruck auf ihrem steinernen Antlitz.

Niemand sagte etwas, zu erschüttert waren sie. Es war Cloud, der die folgende Stille durchbrach. Er trat an den Rand ihres Vorsprunges und legte den Kopf in den Nacken, um zu der Erscheinung aufblicken zu können.

„Was zur Hölle bist du?“

Seine Stimme verhallte verloren im endlosen Raum. Die marmornen Augen schienen zu rollen und richteten sich schließlich auf Cloud.

„Du weißt es nicht, nicht wahr?“ sprach es, und wieder war es ihnen, als würde sie eine greifbare Welle der Abscheu überrollen. Cloud stemmte sich dagegen, und als sie verebbte, konterte er.

„Sonst würde ich ja nicht fragen.“

Nun begann das Wesen zu lachen. Ihre Ohren schmerzten, und ihre Knochen selbst begannen zu vibrieren, so kam es ihnen vor.

„Ich weiß aber, was du bist. Was IN dir ist.“

Wieder stemmte sich Cloud mit zusammengebissenen Zähnen gegen den Sturmwind seiner Worte an, dann herrschte Stille. Verwirrt sah er sich um. Dann wanderte sein Blick zu seinen Füßen, unter denen sich ein Kranz aus Licht bildete.

„Was ist das schon wieder…“, murmelte er. Seine Freunde schrien auf, als er ein Stück vom Boden abhob. Ohne dass sie es verhindern konnte, schwebte er auf den Abgrund zu. Der nicht mehr vorhandene Boden unter seinen Füßen fühlte sich ganz normal an, trotzdem fand er sich Momente später ein Stück weit von dem Vorsprung entfernt, von dem aus seine Freunde bestürzt beobachteten, wie er über dem Abgrund schwebte.

Nun war er der Erscheinung ganz nahe. Deutlich konnte er die Oberfläche erkennen. Tatsächlich sah sie aus wie gemaserter Marmor, aus dem jemand eine riesenhafte Skulptur gemeißelt hatte. Nur dass diese Statue lebendig und mit großer Macht ausgestattet war.

@

Mit vor Schrecken verzerrten Gesichtern und voller ohnmächtiger Wut sahen Clouds Begleiter und Freunde, wie die fremde Macht ihn davon trug. Auch Tifa lief zum Rand des Vorsprungs und starrte fassungslos auf den Mann, der ihr vielleicht mehr bedeutete als irgendjemand sonst. Das Gefühl, nichts für ihn tun zu können, zerriss sie fast.
 

Entgeistert wanderte Clouds Blick an der Gestalt empor. Er wusste nun, wie sich eine Ameise im Schatten eines Schuhs fühlen musste, der sich langsam und unerbittlich auf sie herabsenkte. Dann traf ihn ein stechender Schmerz, wie ein Blitzschlag, der seine Gedankengänge mit grellem Licht erfüllte. Eine Macht tastete in sein Bewusstsein, in seine Erinnerung und forschte brutal in den Tiefen seiner Persönlichkeit. Ächzend und mit zusammen gepressten Augenlidern sank er auf die Knie.

„Das ist es also“, lachte eine Stimme hohl und boshaft in seinem Kopf. „Das, wovor du am meisten Angst hast…“ Er glaubte, sein Kopf würde jeden Moment zerspringen. Dann ließ jäh der Schmerz nach. Überrascht öffnete er die Augen.

Die marmorne Oberfläche vor ihm begann zu erstrahlen. Dann tauchte ein Stiefel aus dem Licht auf. Er fand Halt auf unsichtbarem Untergrund, und dann trat der Rest der Person heraus. Clouds Atem stockte, mit zitternden Fingern umklammerte er sein Schwert. Seine geweiteten Augen starrten ungläubig auf-
 

Den Alptraum.
 

Alles in ihm kreischte auf. Längst verheilt geglaubte Wunden brachen auf. Um ein Haar wäre ihm sein Schwert aus der Hand gefallen, als er auf ihn zuschritt. Im nichtvorhandenen Wind wallte sein langes, silberfarbenes Haar. Und sein Blick strotzte vor Arroganz und auch Wahnsinn, so wie damals… wie damals…
 

Sephirot.
 

„Nein… das ist… nicht möglich…“, stammelte Cloud und schüttelte dabei verstört den Kopf.

„Cloud… lange nicht gesehen“, säuselte seine sonore Stimme, während seine grünleuchtenden Augen ihn finster lächelnd musterten. Sein überlanges Schwert, Masamune, hielt er locker in der Rechten. Wie versteinert stand Cloud da in einer kampfbereiten Pose… und doch war er in diesem Moment zu keiner Gegenwehr fähig. Hektisch schaute er mit starrem Blick geradeaus, während ihn sein toter Erzfeind langsam umkreiste. „So leicht wirst du mich nicht los. Ich habe immer noch eine Aufgabe zu erfüllen.“ Sein mit Schnallen besetzter Ledermantel bauschte sich effektvoll auf, während er ihn umrundete. Seine Stimme… sie war so echt. Alles ihn Cloud schrie, dass dies nicht möglich war, dass dies nur eine Halluzination sein konnte, hervorgerufen durch das rätselhafte Wesen… und doch WUSSTE er, dass dies Sephirot war.
 

Ein jäher Aufschrei ging durch die Menschen, die wussten, er diese Person war. Ohnmächtig vor Wut schüttelte Tifa den Kopf. Tränen der Verzweiflung liefen ihr übers Gesicht. Dies alles war wie ein grauenhafter Traum, der nicht enden wollte. Zitternd überlegte sie, was sie tun sollte, was sie unternehmen konnte… etwas, dass in ihrer Macht stand.

In ihrer Macht.

Blaue Eiskristalle umschwirrten ihre geballte Faust.
 

Sirrend sauste Masamune auf Cloud herab, doch mit Hexagon parierte er zähnefletschend.

„Oh“, hauchte Sephirot. „Du wehrst dich ja.“

„Warum auch nicht“, schrie ihm Cloud entgegen und schwang seine Waffe gegen ihn. Sephirot wich behände aus, und Cloud wusste, dass er im Moment nur spielte mit ihm. Endlich aus seiner Erstarrung erwacht, drang er weiter mit wuchtigen Hieben auf ihn ein, doch der Kämpfer, der sich fast zum Gott gemacht hatte, parierte seine Attacken einhändig. Sein silbernes Haar wallte durch die sie umgebende Dunkelheit wie Strähnen geronnenen Lichts.

Klirrend trafen ihre Waffen aufeinander, doch während Cloud bereits schwer atmete, erzählte sein Widersacher seelenruhig seine Pläne.

„Du bist erst der Anfang, Cloud… wenn ich dich vernichtet habe, dann werde ich mit diesem Planeten den Kosmos durchreisen, wie es schon meine Mutter getan hat…“

„Du… wiederholst dich!“ zischte Cloud, als er wieder eine wuchtige Attacke ins Leere gehen ließ. „Es gibt keine Jenova-Zellen mehr… und auch dich gibt es nicht mehr!“ schrie er und ließ eine wuchtige Schlagfolge auf ihn herabregnen. Mit beiden Händen umfasste Sephirot sein Masamune. Funken sprühten in alle Richtungen, als Stahl auf Stahl traf. In die Enge getrieben, wich er zurück. Zum ersten Mal seit langem- seit damals, als Sephirot die Unterlagen im Keller der Shinra-Villa entdeckte, Cloud erinnerte sich- zeigte sich Unsicherheit auf seinem ansonsten vor Überheblichkeit und Arroganz glühenden Gesicht.

„Was redest du da…“, entgegnete er, und es hörte sich an, als bräche eine andere, zweite Stimme durch den Klang seiner Worte.

„Du bist… verdammte Geschichte!“ Blitzschnell zog Cloud eine weitere Klinge aus seinem mehrteiligen Schwert. Sephirot parierte gerade einen Hieb, als Cloud mit der zweiten Waffe angriff. In der letzten Sekunde wich Sephirot zurück, und die vorbeisausende Klinge schlitzte seinen Mantel auf. Fassungslos starrte er auf den Schnitt in seinem wallenden Ledermantel, als würde ihm in diesem Moment seine eigene Sterblichkeit bewusst. Dann hoben sich seine leuchtendgrünen Augen und richteten sich auf Cloud, der mit einer Waffe in jeder Hand schwer atmend vor ihm stand.

„Ich bin… Geschichte?“

In seiner Stimme klang nun aufrichtige Verwirrung. Der Kämpfer mit zwei erhobenen Waffen ihm gegenüber schien ihn weniger Sorgen zu machen als die allmählich dämmernde Erkenntnis.
 

Tifa biss die Zähne zusammen. Sie erhob ihre geballte Faust, und blaue Partikel tanzten um sie herum. Sie langte bis in die tiefste Tiefe ihrer Seele, um Kraft zu finden, um Cloud zu retten… Mit einem Male fühlte sie gewaltige Energie in sich hochsteigen, die sie sich nicht erklären konnte. Das Glühen wurde stärker, und bald war sie völlig eingehüllt von einer Aura der Kälte und der Stärke. Squall wich mit großen Augen zurück, als sich überlebensgroß eine Kontur über ihr abzeichnete… die Umrisse einer Frau, die wie die Erweiterung ihres Körpers über ihr aufragte. Einer Frau aus Eis.

Tifa fand sich inmitten einer durchsichtigen Erscheinung, die wie eine Verlängerung ihrer Gliedmaßen funktionierte. Jede Bewegung ihrer eigenen Arme ahmten die riesigen Arme aus blauem Licht nach. Der Torso schien aus dem Boden zu wachsen und ragte über ihr auf. Dann erkannte sie die Erweiterung ihrer selbst…

Shiva, die Göttin der Kälte.
 

Das völlige Chaos herrschte in ihrem Verstand, doch sie erkannte das Wesen. Es war die Frau, gegen die sie in den Lhusu-Minen gekämpft hatte. Die sie fast zu Eis hatte erstarren lassen. Die danach mit ihr verschmolzen war. Die ihr nun gewaltige Kraft verlieh!

Von neuer Zuversicht erfüllt, holte sie weit aus. Und genau so tat es der Leib aus blauem Licht, der sie vergrößert umgab. Eine Faust aus purer Kälte ballte sich. Es war, als bewegte sie sich durch eine zähe Flüssigkeit, als sie zuschlug. Doch dann entlud sich die Energie, und ihre verlängerte Faust, die sie sich mit der Göttin Shiva teilte, traf das entfernte Wesen. Die daraus resultierende Druckwelle warf alle Anwesenden zu Boden, außer ihr. Das Wesen begann zu kollabieren.
 

„Nein…! Ich… ich…“ Sephirot fiel auf die Knie und stützte sich auf sein Schwert. Das Wesen hinter ihm wurde von Erschütterungen zum Erzittern gebracht, und Cloud sah sich erschrocken um. „… ich… ich… werde nie… nur eine Erinnerung sein…!“ stammelte Sephirot, und seine Stimme wurde brüchig, ja durchlässig für Regungen der Unsicherheit.

„Du wiederholst dich schon wieder“, entgegnete Cloud, während um sie herum die Welt einzustürzen begann.
 

Tifas blaue Über-Aura blickte gleich ihr in Richtung des Wesens. Hoffnung huschte über ihr Gesicht. Hoffnung, dass dieser Alptraum enden möge.
 

Die Gruppe um Rinoa kroch auf den Knien herum und versuchte, an irgendetwas Halt zu finden, während ihr Vorsprung jeden Moment auseinander zu brechen drohte…
 

Vincent versuchte aufzustehen, was durch die Beben, die nun durch das Gemäuer jagten, fast unmöglich war. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Barret, Yuffie und Basch ebenfalls gegen den zitternden Boden um ihr Gleichgewicht kämpften. Dann wurde er plötzlich von einer unwiderstehlichen Macht auf die Füße gerissen. Schnurgerade stand er da. Dann betrachtete er seine Faust, die rot erglühte.

Völlig verstört beobachteten Barret, Yuffie und auch Basch, wie eine durchsichtige, rotglühende Gestalt aus dem Boden um Vincent wuchs. Die Gestalt hatte Hörner und lange Klauen. Bis zur Taille wuchs sie aus dem Boden und schien eine Verlängerung von Vincents Körper zu sein. Die Erscheinung aus rotem Licht, in dessen Kern Vincent war, machte jede seiner Bewegungen mit. Und genauso warf sie den Arm zurück wie Vincent, der zu einem Schlag ausholte. Wie in Zeitlupe bewegten sich seine klein anmutende Faust und seine riesige aus Licht auf den vor ihnen schwebenden Gegner zu. Dann beschleunigte sie jäh und traf die statuenartige Erscheinung tosend. Donnerhall dröhnte in ihren Ohren.
 

Das marmorne Gesicht zuckte. Bruchstücke fielen aus den starren Zügen heraus und verschwanden in der Dunkelheit. Die ganze Welt schien nun zu zittern, als gebäre sie unter Schmerzen eine neue.
 

„Ich… ich bin noch nicht besiegt. Noch lange nicht!“ dröhnte es durch den endlosen Raum. Mit einem Male schwand die Dunkelheit, und helles Licht erstrahlte. Als die Menschen auf den Vorsprüngen sich umwandten, fanden sie ihre Umgebung völlig verändert. Die Tore hinter ihnen, die Mauern- nichts war mehr da. Nur noch der Boden unter ihren Füßen, der im Nichts hing. Und das gigantische Wesen, das vor ihnen in einem Kosmos aus Licht schwebte.
 

Cloud beschirmte seine Augen gegen das jähe Licht. Er machte sich keine Sorgen mehr um Sephirot oder seinen Gegner- dies war das Ende der Welt, das wusste er.
 

„Ich könnt mich nicht besiegen. Noch nicht. Noch… seid ihr… nicht vollständig“, hallte es durch ihre Köpfe, ihre Gedanken, durch jede Faser ihres Seins. Längst schon schien die Stimme keinen Ausgangspunkt mehr zu haben, sondern war ein Teil dieses Chaos aus Licht, Erschütterung und ohrenbetäubenden Dröhnen…
 

Cloud hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Kein Licht mehr vor Augen, keine Zeit mehr in seinen Gedanken, nur noch nichts…
 

Ein Gesicht. Viele Gesichter. Fremde. Vertraute. Geliebte…

Eine Straße in den Slums. Viele Menschen, der reinste Moloch. Und… Blumen. Eine Blumenverkäuferin. Blumen? Hier in den Slums?
 

Cloud? Hörst du mich, Cloud?
 

Schnee. Ein schneebedeckter Pass. Vielleicht bei Nibelheim, vielleicht woanders. Ein Freund. Ein S.O.L.D.A.T. Kein gewöhnlicher Infanterist wie er. Oh ja, bei S.O.L.D.A.T. …
 

Wo bist du, Cloud? Ich habe dich solange gesucht…
 

Die Straße rumpelt. Rumpelt unter dem Lastwagen. Er war gelb, weißt du noch? Gelb… Die Straße nach Midgar. Wir sind Freunde, nicht wahr? Freunde… Ich fange neu an. Ganz neu. Werde vielleicht Söldner. Für jeden, der mich bezahlen kann… Und was wirst du tun, wenn… wenn wir in Midgar sind?
 

Cloud… du hast es versprochen. Du kommst, wenn ich in Schwierigkeiten bin. Weißt du das nicht mehr?
 

Ein Schuss. Viele Schüsse. Blut. Alles voller… Blut. Sie haben uns erwischt. Lauf, Cloud, lauf!! Zu spät. Nein… das.. es ist… meine Schuld… meine… Schuld… Gute Nacht, Zachary Fair.
 

Du warst da für mich. Nur das zählt.
 

Das Schwert. Es ist… so schwer. Es ist zu groß für mich. Aber ich werde es tragen. So wie du bei S.O.L.D.A.T. Ja, wie bei S.O.L.D.A.T. … Ich war bei S.O.L.D.A.T. Nicht wahr, Zack? Wir… waren bei S.O.L.D.A.T. …
 

Siehst du? Es ist alles… in Ordnung, Cloud.
 

Nichts ist in Ordnung. Du bist tot, Zack ist tot… und es ist meine Schuld… meine Schuld… MEINE SCHULD!!!
 

Clouds Augen sprangen auf. Er schwebte im Nichts… Alles war voller Licht… War er… tot? Nein, wenn man tot ist, hat man keine Schmerzen mehr. Und die hatte er. Langsam nahm seine Umgebung wieder Konturen an. Über sich sah er einen bedeckten Himmel voller Wolken. Jeder Knochen schmerzte ihn, als er versuchte, aufzustehen. Undeutlich sah er jemanden auf sich zu laufen. Stimmen drangen an sein Ohr. Jemand hielt ihn.

„Schaut, er ist wach! Cloud, bist du in Ordnung? Cloud?“

Es war Yuffie, die ihn festhielt. Vincent stand mit verschränkten Armen daneben. Etwas weiter weg stand jemand in einem braunen Mantel und einem seltsamen Hut.

„Was ist- “ Seine Zunge klebte am Gaumen fest. Nur mühsam bekam er sie feucht, um richtig sprechen zu können. Verwirrt schaute er Yuffie in die Augen. „Was ist passiert…“, ächzte er, während sie ihm hoch half.

„Ich weiß es nicht, wirklich nicht! Auf einmal machte es Bumm! und wir waren hier. Sieht nicht nach dem Sumpf aus, den wir vorher durchquert haben.“

Ratlos blickte er sich um. Es war eine graubraune Steinwüste, in der sie nun standen. Keine Spur mehr von der Sumpflandschaft, durch die sie die Ruinen erreicht hatten.

„Er weiß, wo wir sind“, sagte Vincent leise und deutete auf den Mann mit dem Hut, der etwas abseits stand und in die Ferne blickte.

„Wer ist das?“ fragte Cloud.

„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte Vincent nachdenklich. „Aber er war vorher in den Ruinen. Und er ist von hier, glaubt er zumindest.“

Von den ganzen Eindrücken verstört, drehte Cloud sich langsam im Kreis.

„Ach ja, du solltest noch etwas wissen“, begann Yuffie eilig, Mit einem Male stand auch Vincent neben ihn und hielt ihn an der Schulter fest. Perplex blickte Cloud auf seine Hand.

„Es ist noch jemand hier“, flüsterte Vincent, und Cloud erschauderte beim Klang seiner Stimme. Dann fiel sein Blick auf einen Mann, der in geringer Entfernung auf dem Boden saß. „Tu nichts Unüberlegtes. Er ist nicht das, wofür du ihn hältst.“

Cloud schüttelte den Kopf.

„Von was redet ihr überhaupt?“

Der Mann hatte langes, silbernes Haar. Sein Gesicht war zu Boden gerichtet, als würde er angestrengt nachdenken. Clouds Augen weiteten sich. Vincent und auch Yuffie wollten ihn festhalten, doch er lief schon los. Sie schrien ihm noch hinterher, doch Cloud war schneller. Im Laufen zog er eine kurze Klinge aus Hexagon, den Rest warf er weg. Bei dem Mann angekommen, stürzte er sich auf ihn und riss ihn zu Boden. Er sah in ein Paar verwirrte, grüne Augen und hob die Klinge. Bevor er zustoßen konnte, packte Vincents Hand seinen Unterarm. Clouds stechender Blick traf ihn.

„Lass mich los“, zischte er ihn an. „Ich bringe das Schwein jetzt um, endgültig!!“

In Vincents Augen lagen Ruhe und auch Traurigkeit, während sein eiserner Griff Cloud davon abhielt, Sephirot die Klinge in die Brust zu rammen.

„Nein, tu das nicht… Er ist mein Sohn. Und… er weiß nichts von alldem.“

„Was?? Was redest du da!?“ stieß Cloud wütend hervor.

„Ich weiß nicht, wie das möglich war… aber… er hat nach Zack gefragt. Er hat gefragt, ‚wo ist Zack?‘ “

Clouds Blick wanderte zurück zu Sephirot, der ihn fassungslos anstarrte. Sein Blick… war menschlich, wie er sich eingestehen musste. Cloud wich zurück, und Sephirot stand auf. Ratlos blickten sich die beiden an.

SqTi-12-1

Die Wachsamkeit der Elite-Gunner ließ keinen Moment nach. Immer noch patrouillierten sie in geregelter Formation um das Landungsboot. Monster, die sich zu nahe heranwagten, verendeten in gezielten Feuerstößen. Aufmerksam zielten sie in alle Richtungen in den undurchdringlichen Nebel. Ihr Kommandant war schon mehrere Stunden weg, doch sie würden tagelang ausharren, falls notwendig.

„Wie sieht’s aus da draußen?“ krächzte es im Helmmikrofon eines der Gunner. Anscheinend war dem Piloten langweilig, der ja nicht mehr zu tun hatte, als das Schiff startbereit zu halten.

„Unverändert. Wie schon vor einer halben Stunde.“

„Keine Spur vom Richter und den anderen?“

„Nein. Aber glaub mir, du erfährst es als erster, wenn ich was sehe.“

„Okay“, murmelte der gelangweilte archadianische Soldat ins Mikro und lehnte sich zurück. Aus den Sichtfenstern des Schiffes sah man nichts weiter als Nebel und ein paar Sumpfpflanzen. Wenig Abwechslung also. Und so ließ der Pilot wieder seine Gedanken kreisen. Nebenbei kontrollierte er im Minutentakt die Anzeigen der Triebwerke und aller Hilfsaggregate. Von Zeit zu Zeit erlaubte er es sich, die Augen zu schließen und zu dösen. Die brauchen eh noch eine Weile, dachte er gähnend…

„SCHNELL RAUS AUS DEM SCHIFF!!!“

Der Pilot schreckte hoch. Seine Ohren klingelten. Benommen löste er sich aus den Gurten und taumelte ins Freie. Wenn das wieder ein Scherz ist, dachte er, während er die Rampe hinunterlief, dann gibt es Tote.

Seine Kameraden sah er nicht, als er ins Freie trat. Verwirrt sah er sich um.

„Weg von dem Schiff, verdammt!“ hörte er in seinem Helm, sah jedoch in seinem Blickfeld niemanden. Dann- ging die Welt unter.
 

Eine Druckwelle aus Schlamm, Rauch und Metallteilen riss ihn von den Beinen und schleuderte ihn etliche Meter davon. Nur seiner massiven Rüstung hatte er es zu verdanken, dass die Explosion ihn nicht in mehrere Stücke gerissen hatte. Schlamm spritzte auf, als er landete. Von Panik erfüllt kroch er auf allen Vieren… wohin? Nur weg, das war der Gedanke, der seinen Verstand völlig beherrschte. Sein Blickfeld verengte sich auf die nächsten paar Meter…
 

Plötzlich stürmten seine Kameraden herbei und zogen ihn auf die Beine. Er war nicht fähig zu fragen, was passiert sei. Doch das, was er als nächstes sah, beantwortete alle Fragen. Und stellte noch mehr.
 

Heftige Windböen fegten den Nebel über den Nabreussümpfen weg. Doch es war kein frischer Wind. Dieser Wind war heiß. Und sein Ausgangspunkt war der Vulkan, der jetzt dort aus der Erde brach, wo zuvor noch die Ruinen von Nabudis standen.

Fassungslos standen sie nebeneinander und betrachteten erstarrt den Kegel, der sich in der Entfernung auftürmte. Geschmolzenes Gestein floss aus Rissen an seinen Seiten heraus und gelangte zischend in die umliegenden Sümpfe. Nun erst realisierte der Pilot, was passiert war. Während der Eruption hatte die Erde große Trümmer der Ruinen in den Himmel empor geschleudert. Einer dieser Trümmer hatte ihr Schiff getroffen. Nur der schnellen Reaktion seiner Kameraden hatte er sein Leben zu verdanken. Doch ihre Sorgen waren nicht bei dem Schiff, das nun zerschmettert und rauchend im Sumpf steckte, sondern bei ihrem Kommandanten, Richter Basch, der immer noch in den nun nicht mehr vorhandenen Ruinen war…
 


 

Ächzend schob er den Schweißerschild hoch, der seine Augen vor dem grellen Licht des Schweißbrenners und dem heißen Funkenflug schützte. Dann betrachtete er stirnrunzelnd die Schweißnaht, die nun ihr Schiff zusammenhalten sollte.

„Ist nicht gerade ein Kunstwerk. Sollte aber halten“, sagte er zufrieden und packte die Utensilien zum Schweißen wieder ein. „Wie sieht’s bei dir aus, Fran?“ rief er währenddessen. Aus einer geöffneten Luke kam Antwort.

„Die Aggregate laufen normal. Wir sollten starten können“, erwiderte sie in ihrer leicht unterkühlten Art.

„Na Bravo“, seufzte Balthier Bunansa und trug den Schweißbrenner zurück ins Schiff. „Jetzt müssen wir nur noch das Geld für die vollständige Reparatur auftreiben, dann sind wir aus dem Schneider.“ Missmutig ließ er das Werkzeug in die angestammten Laden fallen. „Von den beiden werden wir ja nicht viel Geld sehen.“

„Sieh es als gute Tat an“, sagte Fran, die jetzt aus dem Maschinenraum kam. Balthier hob eine Augenbraue und stützte die Hände in die Hüften.

„Von guten Taten kann ich mir aber nichts kaufen. Außerdem habe ich für dieses Leben schon mehr als genug gute Taten vollbracht“, fügte er murrend hinzu und räumte weiter das Werkzeug ein.

„Das ist es“, meinte Fran. „Königin Ashe schuldet uns ohnehin noch etwas. Ich bin mir sicher, dass sie uns aushilft, bis wir uns finanziell wieder rühren können.“

„Ach ja, die gute Ashe“, seufzte Balthier und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nachdenklich betrachtete er sein Hemd, dass voller Öl und Ruß war. Dann begann die Erde zu zittern. Die beiden sahen sich alarmiert an, dann liefen sie ins Freie.
 

Fran ließ den Schraubenschlüssel fallen, als sie es sah. Balthier stand der Mund offen. Eine Welle heißer Luft schwappte ihnen entgegen, als im Zentrum der Nabreussümpfe ein Vulkan ausbrach.

Ströme glühenden Gesteins flossen zischend durch den Sumpf, während ein feiner Ascheregen über sie niederging. Von Zeit zu Zeit fielen größere Brocken vom Himmel und schlugen krachend im Unterholz ein. Dort, wo man zuvor noch die Ruinen von Nabudis im Nebel vermuten konnte, türmte sich jetzt ein Kegel aus berstendem Gestein auf, aus dessen Flanken glühendes Gestein floss.

„Bei allen Göttern…“, stammelte Balthier. Dann schüttelte er den Kopf. „Wo sind die beiden eigentlich? Die sind doch nicht etwa- “
 


 

Er konnte nicht mehr sprechen, denken, fühlen oder sich auch nur bewegen. Er konnte nichts mehr. Existierte er überhaupt noch? Woran könnte er das erkennen? Das Licht… es war überall. In seinem Kopf, in seinem Körper, in seiner Seele… glühendheiß brannte es in ihm. Er versuchte die Hand auszustrecken. Vergeblich. Er versuchte die Augen zu öffnen. Vergeblich. Er konnte nichts mehr. Er versuchte sich an seinen Namen zu erinnern…

Squall…

Squall Leonhart.

SEED. Vizedirektor.

Verzweifelt versuchte er, seine Identität zurück zu erringen, bevor das Licht sie völlig auslöschen würde. Immer wieder sagte er es sich vor wie ein Mantra.

SEED. Vizedirektor. Kämpfer. Opfer. Sieger. Verlierer. Bezwinger. Unterlegener…

War das alles? War da nicht noch mehr?

SEED. Vizedirektor. Bezwinger… von Artemisia. Der Mann… in Rinoas Leben.

Ja. Endlich. Wie ein Ertrinkender in einem Sumpf, der ihn unbarmherzig in die Tiefe zog, klammerte er sich an diesen Strohhalm, an dem er sich vor dem Vergessen-werden retten konnte.

Die Bilder wurden klarer und zerfielen nicht mehr unmittelbar nach dem Erscheinen. Eine Anhöhe in der Alclad-Ebene. Nacht. Noch jemand war da. Ein wallender, grauer Mantel. Eine aufblitzende Klinge. Blut tropft aus seinem Gesicht. Blut auf seinen Händen, Blut auf dem Boden. Dann ging es weiter…

Eine Parade. Viele Menschen. Tänzer, die sich in rhythmischen Bewegungen krümmen. Dann der Wagen… mit ihr. Und ihm. Ihrem Hexenritter. Wieder verschwamm das Bild, und ein neues tauchte auf…

Kalte Sterne. Kalte Schwärze. Schwerelosigkeit. Eine rotes, herrenloses Raumschiff… und sie. Sie schwebt vor ihm. Doch… nein! Nein… das Glas… es bricht. Scherben taumeln durch die Schwerelosigkeit. Lippen ringen nach Luft. Und der Ring an ihrer Kette… er streckt die Hand nach dem Ring aus, doch bevor er ihn erreicht, verändert sich wieder alles…

Küste. Strand. Mauern. Das… Waisenhaus. Seine Mutter. Die Hexe. Und die Nachfolgerin. Sie kann nicht sterben… ohne ihre Kräfte weiter zu reichen. Und sie gibt sie weiter. An… Rinoa.

Rinoa.

Rinoa?

Dieser Name… In dem Moment, in dem er aus der trüben Oberfläche seines Bewusstseins auftauchte, löste er etwas aus in ihm. Mit einem Male war sein Wille wieder fokussiert, war seine Kraft wieder da. Und er begann zu kämpfen. Er kämpfte sich zurück an die Oberfläche…
 

Der sumpfige Boden schmatzte unter seinen Füßen, und wieder geriet er ins Straucheln. Wie ein gehetztes Tier überblickte er immer nur den Raum seiner nächsten Schritte. Bis er mit einer Person zusammenstieß.

Verwirrt sahen sie sich an. Der Mann vor ihm trug einen schwarzen Anzug, der nun großteils grau war vor Asche. Sie regnete vom Himmel, wie er nun bemerkte. Auch sein kahler Schädel war grau bestäubt.

„Wer bist du?“ fragte Squall, weil ihm nichts Besseres einfiel. Seine Stimme klang belegt und trocken. Der Mann verzog das Gesicht, als kostete ihn die Antwort zu viel Kraft. Dann hörten sie Rufe. Beide wandten sich um.

Mehrere Gestalten tauchten aus dem Ascheregen auf. Squall starrte sie an, bis er merkte, dass es drei Personen waren. Zwei davon stützten eine Dritte, die in ihrer Mitte ging oder eher hinkte. Squall beschirmte seine Augen gegen den Ascheregen. Einer der Personen trug eine metallene Rüstung. Die Person in der Mitte, die offenbar am Bein verletzt war, trug eine blaue Bermudahose und hatte stacheliges, blondes Haar. Und die dritte… war Tifa.

„Tifa!“ rief er und lief los. Der Mann neben ihm horchte auf und folgte ihm. Er lief neben ihr her während sie den verletzten Mann stützten. „Tifa… was ist passiert? Wir waren doch gerade noch- “

„Ich weiß es nicht“, erwiderte sie kopfschüttelnd. „Ich weiß nur, dass ich im Freien aufgewacht bin und diese zwei Männer in meiner Nähe waren.“

„Tifa…“, sagte nun der glatzköpfige Mann im verstaubten Anzug. Sie warf ihm einen mitleidigen Blick zu.

„Rude… wie bist du hierher gekommen?“

Squalls verwirrter Blick wechselte zwischen Tifa und dem Mann namens Rude.

„Du kennst ihn?“

„Oh ja“, erwiderte Tifa seufzend.

„Da sind meine Männer“, sagte der Mann in der Rüstung plötzlich. „Im Schiff können wir ihn besser verarzten, kommt!“
 

Die vier archadianischen Soldaten kamen ihnen im Laufschritt entgegen. Hektisch überhäuften sie ihren Kommandanten mit Fragen, doch dieser befahl ihnen nur, sich um den Mann zu kümmern. Während sie seine Wunde am Bein behandelten, erläuterte er ihnen in Kurzform die letzten Ereignisse. Die riesenhafte Erscheinung im Zentrum von Nabudis sparte er aber wohlweißlich aus.

„Ihr hättet das Schiff aber nicht alleinlassen sollen. Wir hätten euch schon gefunden“, wies er sie am Schluss seiner Erklärung zurecht. Einer der Soldaten schüttelte nur den Kopf.

„Es gibt kein Schiff mehr, Sir…“
 

Sie erzählten von dem Gesteinsbrocken, der das Schiff zerstört hatte. Seine Miene zeigte keine Regung.

„Ihr seid aber alle unverletzt?“ fragte er am Schluss. Die Männer nickten.

„Ja, Sir… aber was ist eigentlich mit Biggs und Wedge?“ fragte einer von ihnen vorsichtig, obwohl sie die bittere Wahrheit bereits ahnten. Basch senkte den Blick und atmete tief durch.

„Sie haben es nicht geschafft.“ Düstere Bedrückung senkte sich auf die Männer. Nebeneinander standen sie im Ascheregen des neugeborenen Vulkans und realisierten den Tod ihrer Kameraden. Eisiges Schweigen, nur zeitweise unterbrochen vom Mahlen ferner Nachbeben, beherrschte die Szene. Dann erhob Richter Basch wieder seine Stimme. „Los, Männer. Bewegung. Schauen wir, dass wir hier wegkommen, bevor noch mehr Felsblöcke herabregnen. Bewegung!“ Sein letztes, etwas lauteres Wort riss sie aus ihrer Lethargie. Sie halfen dem verletzten Mann auf die Beine und marschierten mit ihm los. Die Richtung war klar, weg von den Lavaströmen, die sich unweit von ihnen ihre Bahn zischend durch die Nabreussümpfe fraßen. Richter Basch wusste, dass auf diese Männer Verlass war. Sie waren gut ausgebildet, doch auch jung. In keinem Krieg hatten sie noch gekämpft, und der Tod naher Kameraden noch etwas Unbekanntes für sie. Bis jetzt.

Der Richter zog ein Funkgerät aus einer Tasche seiner Rüstung und wählte auf gut Glück verschiedene Frequenzen. Squalls Blick war immer noch etwas trüb. Langsam nur fand er den Boden der Realität wieder, und dann fiel sein Blick auf den Mann, der links und rechts von zwei Soldaten gestützt wurde. Seine Augen wurden weit, und er lief an seine Seite.

„Gottverdammt, Xell!!“

Dieser hob müde den Kopf und lächelte.

„Squall… wir haben dich… gesucht“, flüsterte er. Die Kraftlosigkeit dieser Worte erschütterte Squall. In seinen Erinnerungen strotzte der Kampfsportler nur so vor Energie, aber offenbar waren seine Verletzungen schlimmer als angenommen. Squall legte beide Hände auf seine Schulter.

„Xell… wo sind die anderen? Hast du sie gesehen?“ Seine Stimme stockte. Xell schüttelte langsam den Kopf.

„Ich weiß es nicht, Squall… tut mir leid.“

Seine Augen wurden groß, dann rannte er los. Weg von ihnen, und in Richtung der glühenden Eruption, die weiterhin Lavaströme ausspie. Die anderen blickten ihm ratlos hinterher.

„Rinoa!! Rinoooaaa!!!“ brüllte er aus Leibeskräften, während in Richtung der heißen Windböen lief. Tifa reagierte sofort und verfolgte ihn. Bald holte sie ihn ein und packte ihn am Arm. Er versuchte sich loszureißen, doch die junge Frau verfügte über erstaunliche Kräfte. „Lass mich los, verdammt!“ schrie er sie an. „Ich muss sie suchen!“

„Du findest da aber nichts!“ schrie sie zurück. Sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. „Wenn sie noch… sie sind wo anders, aber sicher nicht in dem Loch… voller Lava…“ Ihre Stimme wurde brüchig, und sie realisierte ihren eigenen Verlust. Squall blickte sie verzweifelt an. Immer wieder wandte er sich in Richtung der Magmaströme, die dem Riss in der Erde entwichen. Mehrmals setzte er zu einem Satz an, aber immer versagte seine Stimme. Tifa hielt immer noch seine Hand fest. Dann ging er auf sie zu. Sie umarmten sich und weinten. Die Schleusen des Schmerzes und der Trauer öffneten sich, und fast schien es, als könnte dieses Meer der Tränen die Glut aus der Erde zum verlöschen bringen. „Ich… ich habe auch Menschen da drin, die… die mir wichtig sind“, flüsterte sie tränenerstickt in seine Schulter. „Ich will auch nicht, dass… sie…“ Noch eine Weile standen sie so da, und die Lavaströme krochen langsam in ihre Richtungen. Schon spürten sie die Hitze auf der Haut. Dann setzten sie sich in Bewegung und folgten den anderen, die schon ungeduldig warteten.
 

„Ihr seid aber immer am richtigen Ort, das muss man euch lassen“, sagte Basch erleichtert zu Balthier. Aus purem Instinkt heraus hatte er die Bordfrequenz der ‚Strahl‘ gewählt, und ihr Pilot meldete sich umgehend. Nun standen sie beieinander und betrachteten das feurige Inferno am Horizont. Seine Männer versorgten gerade den verletzten Xell im Schiff. Tifa und Squall standen in geringer Entfernung und starrten auf das Schauspiel aus geschmolzenem Stein, das den Himmel eine unheimliche rötliche Färbung verlieh.

„Dass die beiden noch auftauchen, hätte ich nicht mehr gerechnet“, meinte Balthier kopfschüttelnd. „Was um alles in der Welt ist da drin passiert?“

Basch erwiderte müde seinen fragenden Blick.

„Das, mein Freund, ist eine lange Geschichte. Ist die ‚Strahl‘ startbereit?“

„Ja, das ist sie. Gerne nehme ich euch mit. Du willst wohl nach Archadis, vermute ich?“

„Allerdings. Larsa Solidor muss so schnell wie möglich hiervon erfahren.“

Seufzend ging Balthier los in Richtung Rampe. Basch folgte ihm.

„Ach, Archadis. Unschöne Erinnerungen habe ich an diesen Ort. Aber ich vermute, eine Gratisüberholung der ‚Strahl‘ ist als Verdienst nicht zu viel verlangt.“

„Nein, ist es nicht“, sagte Basch lachend und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter.

„Na dann, ich mache alles startbereit. Wenn unsere beiden Turteltäubchen auch einsteigen möchten…“ Er deutete in Richtung von Tifa und Squall.

„Ich kümmere mich um die beiden.“
 

„Wir werden das Gelände überfliegen. Wenn… vielleicht finden wir sie.“

Squall wandte sich zu ihm um. Einen Moment lang blickte er ihn mit leeren Augen an, dann nickte er. Dabei legte er eine Hand tröstend auf Tifas Rücken. Gemeinsam gingen sie zum Schiff. Basch warf noch einen nachdenklichen Blick auf das rötliche Flammenmeer, das immer mehr von den Nabreussümpfen verschlang.
 

Squall saß an der Liege, auf der Xell lag und vergewisserte sich über seinen Zustand. Die Heilmittel der Soldaten hatten ihre Wirkung getan, und er war außer Gefahr. Basch saß gegenüber und betrachtete sie mit Schwermut. Auf derselben Liege… war sein Bruder Noah gestorben. Er erinnerte sich genau. Und würde es wohl nie vergessen. Doch diese Geschichte würde ein erfreulicheres Ende haben. Zumindest dieser Teil, dachte er, als sein Blick auf die Frau namens Tifa fiel, die vorne bei Balthier und Fran stand. Ihre flehenden Augen konzentrierten sich auf den Boden, den sie in geringer Tiefe überflogen. Doch es bot sich ihnen überall dasselbe Bild. Allmählich kamen die Lavaströme zum Stillstand. Ihre Farbe verlosch langsam, während sie abkühlten. Doch Reste der Ruinen fanden sie nirgends, und auch keine Überlebenden.

Nach einer Weile ging Squall nach vorne zu ihr.

„Habt ihr schon irgendwas- “ Sie schüttelte den Kopf, und er bemühte sich um seine Fassung. Ruhig sprach er weiter und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber… wir sind doch auch nicht rausgelaufen. Wir waren einfach draußen. Wahrscheinlich war es bei den anderen genau so.“

Tifa wandte sich zu ihm um und blickte ihn mit geröteten Augen an.

„Ja, du hast wohl recht. Nur… wo sind sie?“ Ihre Stimme klang immer noch dünn und zerbrechlich. Squall erwiderte nichts, sondern nahm sie nur in den Arm. Balthier warf einen Blick zur Seite, dann gab er Fran ein Zeichen. Ihr zu liebe hatten sie das gesamte Gebiet mehrmals überflogen, obwohl kein Zweifel war, dass sie im Nahbereich dieser Flammenhölle nichts finden würden. Und so nahmen sie Kurs auf Archadis.
 

Tifa saß teilnahmslos auf einem Platz. Squall ging im Gang auf und ab und sah dabei immer wieder nach Xell. Nach einer Weile trat Basch auf ihn zu.

„Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen“, begann dieser förmlich. Squall sah ihn müde lächelnd an.

„Ach, ja. Mein Name ist Squall Leonhart.“

„Richter Basch von Ronsenburg, sehr erfreut. Lassen sie mich raten… sie sind aus einer anderen Welt?“

Ehrliches Erstaunen breitete sich auf Squalls Gesicht aus.

„Woher wissen sie das?“

„In den Ruinen ist mir eine andere Gruppe begegnet, die dasselbe behauptet haben. Sie waren ebenfalls in dieser… Kammer. So gesehen war es nahe liegend.“

„Und sie glauben uns?“

Basch seufzte tief.

„Nachdem, was ich heute gesehen habe, will ich nichts mehr ausschließen. Und die Frau?“

Sie schauten in Richtung von Tifa, die gedankenverloren aus dem Fenster blickte.

„Sie heißt Tifa Lockhart. Diese Leute da drinnen… sie waren wegen ihr hier. Sie haben sie gesucht.“

Basch hob die Augenbrauen.

„Ich verstehe. Das ist… sehr bedauerlich.“

„Ja… auch für mich.“ Squall ging an ihm vorbei, dann blieb er stehen. „Ich verstehe, was sie durchmacht. Denn diese anderen Leute… waren wegen mir hier“, sagte er mit dem Rücken zu ihm. Dann setzte er sich auf einen Platz auf der gegenüberliegenden Seite von Tifa. Er respektierte ihren unausgesprochenen Wunsch, alleine zu sein. Basch konnte nur vermuten, was in ihnen vorging. Dann ging er schließlich zu dem glatzköpfigen Mann, dessen schwarzer Anzug genauso grau vor Asche war wie ihrer aller Kleidung. Apathisch saß er da und starrte zu Boden.

„Alles in Ordnung mit ihnen?“

Der Mann sah auf. Seine Sonnenbrille hielt er in der Hand. Der Ausdruck in seinen Augen kündete von erstarrtem Schmerz.

„Ja“, erwiderte er knapp. Basch nickte langsam. „Mein Name ist Rude“, fügte er dann hinzu und setzte seine Sonnenbrille wieder auf. Die Bewegung wirkte wie ein Ritual, an das er sich verzweifelt klammerte.

„Nur Rude?“

„Nur Rude.“

„Okay. Ich bin Richter Basch von Ronsenburg, und wir sind bald in Sicherheit.“ Er zögerte einen Moment, dann sprach er weiter. „Hatten sie ebenfalls… Leute da drin?“ Rude nickte nur langsam. „Seien sie versichert, meine Regierung wird alles tun, um diesen Vorfall aufzuklären und diese Menschen ausfindig zu machen.“ Er nickte ihm noch zu, dann ließ er ihn wieder allein.
 

Tifas Blick hing regungslos in der Ferne. Sie blinzelte kaum, und ihr Geist war weit weg. Sie war zu erschöpft, um in Gedanken weiter zu forschen, wo Cloud und die anderen sein könnten. Und so ergab sie sich einer Mischung aus Müdigkeit und versiegter Trauer, die keine Tränen mehr hatte. Sie legte sich über ihre Seele wie eine schwere Decke, die einerseits Last bedeutete, andererseits aber auch linderndes Vergessen versprach. Verschwommen nahm sie nur den Horizont wahr, an dem ihre trüben Augen hingen. Die Geräusche ihrer Umwelt, das dumpfe Dröhnen der Triebwerke, die gedämpften Gespräche der Soldaten; das alles drang wie durch dicke Vorhänge nur an ihren erschöpften Geist. Erst als das Schiff an Geschwindigkeit verlor und in den Landeanflug überging, kam wieder Leben in ihre zähen, sich immer wieder im Kreis drehenden Gedanken. Sie blinzelte und rieb sich die trocken gewordenen Augen und sah nun, dass sie über eine riesige Stadt flogen. Gigantische Wolkenkratzer ragten in einen bewölkten Himmel. In der Tiefe erkannte sie Straßen, und kleinere Flugschiffe huschten durch die Zwischenräume der Hochhäuser wie emsige Insekten. Nun erblickte sie das Gebäude, auf dem sie landeten. Es war von ziegelroter Farbe und einfach nur riesig. Sie erinnerte sich an das alte Shinra-Hauptgebäude in Midgar. Dieses kam ihr ähnlich vor, auch wenn es sich in Farbgebung und Baustil deutlich unterschied. Denn es drückte genauso Machtanspruch und Überlegenheit aus.
 

Ein leichter Ruck ging durch das Schiff, als es aufsetzte. Dann sah sie durch das Bullauge mit an, wie sich die Plattform in das Gebäude hinein senkte. Der graue Himmel über ihnen schwand, als sich riesige Luken über ihnen schlossen. Statt dem durch die Wolken gefilterten Sonnenlicht fiel nun kaltes Kunstlicht in das Schiff.

Als sie in einer Gruppe das Schiff verließen, erkannte sie erst die Ausmaße dieses Hangars. Weitere Schiffe, zum Teil noch größer, standen hier drinnen und wurden umschwärmt von emsigen Technikern, die auf hochfahrbaren Rampen an ihnen arbeiteten. Sie wurden bereits erwartet. Der Mann, der sich ihnen als Basch vorgestellt hatte, unterhielt sich mit mehreren Soldaten in ähnlicher Uniform, bevor er sich wieder an die ziemlich mitgenommen wirkende Gruppe wandte. Die Soldaten flankierten den blonden Mann in der kurzen Hose, der nun einen dicken Verband an seinem Bein trug. Squall stellte sich zwischen sie, doch der Mann namens Basch versicherte ihm, dass sie ihn nur in ein Lazarett bringen würden, wo er gründlich untersucht werden würde. Er akzeptierte ihre Hilfe und ließ sie gehen.

„Dieser Unteroffizier wird euch allen Quartiere zuweisen. Sollte jemand medizinische Hilfe brauchen, wendet euch an ihn. Er wird in der Nähe sein.“

Dann verließ der Mann sie. Offenbar hatte er es eilig. Der erwähnte Unteroffizier führte sie aus dem Hangar. In einem Großraumlift fuhren sie in ein anderes Stockwerk. Sie vermochte nicht zu sagen, wie weit; nur dass es abwärts ging war sie sich sicher. Jedenfalls kam der Aufzug bald zum Halt. In einem langen, schmucklosen Gang fanden sie etliche Quartiere in einer Reihe. Der Unteroffizier wies sie ihnen zu. Es waren Wachen an den Enden des Korridors postiert, wie ihnen auffiel. Der Unteroffizier deutete ihre argwöhnischen Blicke richtig.

„Sie dienen eurem Schutz; und solltet ihr etwas brauchen, so könnt ihr euch rund um die Uhr an sie wenden.“

Er lächelte sie noch einmal freundlich an, was durch seine massive Rüstung wenig glaubwürdig wirkte. Dann ließ er sie allein. Unter den wachen Blicken der Soldaten bezogen sie ihre Quartiere.

Squall ließ den Blick durch den karg eingerichteten Raum schweifen. Ein Bett, ein Tisch, ein Schrank. Genau wie die Unterkunft zu seiner Zeit als Kadett im Balamb-Garden. Also wie Zuhause, dachte er bitter lächelnd, als er sich auf die überraschend bequeme Matratze sinken ließ. Falls wir was brauchen, rund um die Uhr, erinnerte er sich schnaubend an die Worte des Unteroffiziers. Damit wir nicht weglaufen, schon eher. Aber wo hätten sie auch hinsollen? Sie waren Gestrandete in einer Welt, die sie nicht kannten. Und die Menschen, die sie irgendwie gefunden hatten, und wahrscheinlich auch den Weg zurück kannten, waren-

Er verbot sich diesen Gedanken. Dann nahm er sich vor, Xell genau zu befragen. Noch wollte er auf seinen schlechten Zustand Rücksicht nehmen, aber dann würde er alles wissen wollen. Wie sie hierhergekommen waren, was sie über diesen Gilgamesch herausgefunden hatten. Oh ja, er würde ihn finden. Ihn, wegen dem all das passiert war. Und dann… würde er ihn töten.
 

Tifa lehnte am Türstock des Raumes und schlang die Arme um ihren Körper. Sie hatte früher schon ärmlich gehaust, aber dies war falsch, das spürte sie. Es war so… ohne Leben. Seit sie denken konnte, hatte sie andere Menschen um sich gehabt. In ihrer Kindheit Cloud… dessen Erinnerung sie nun peinigte. Vielleicht würde sie ihn nie wie- Nein. Mit aller Kraft schob sie diesen quälenden Gedanken von sich. Später dann… waren es zuerst Marlene und dann Denzel gewesen, mit denen sie auf wenig Platz, unter einfachen Verhältnissen, aber glücklich gelebt hatte. Und natürlich den oft grantelnden Barret und… Cloud. Wieder drang er in ihre Gedanken ein, und sie presste die Augenlider zusammen. Sie wollte nun alles, nur nicht allein sein…
 

Als Squall über seine Stiefelspitzen schielte, sah er Tifa in der Tür auftauchen. Mit der linken klopfte sie zaghaft an die offenstehende Tür, dann trat sie ein. Sie ging zu dem Tisch und lehnte sich darauf. Ihr Blick ging in die Ferne, als schaute sie bei einem Fenster hinaus. Doch hier gab es keine Fenster.

„Ich war schon in besseren Absteigen“, meinte Squall, um das Eis zu brechen. „Aber fürs erste… ist es okay.“

Tifa wandte sich zu ihm. Ihre Augen waren immer noch rot, und ihr Blick fragend.

„Was glaubst du? Ich meine… was mit ihnen passiert ist.“ Ihre Stimme klang leise, fast flehend. Squall setzte sich auf dem Bett auf. Er legte die Hände in seinen Schoss. Bevor er noch etwas erwidern konnte, kam sie ihm zuvor. „Bitte sei ehrlich. Ich will wissen, was du denkst.“

Er atmete tief durch, bevor er zur Antwort ansetzte.

„Ich soll ehrlich sein? Gut, ich bin ehrlich. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was mit ihnen passiert ist. Und ich will mir auch nichts vorstellen. Aber ich weiß eines. Ich bin ein SEED, und SEEDs glauben erst an den Tod ihrer Kameraden, wenn sie die Leichen mit eigenen Augen sehen. Vorher… gibt ein SEED seine Kameraden nicht auf. Ein SEED… gibt niemals auf.“ Die letzten Worte klangen beinahe beschwörend und so, als wären sie eher an ihn selbst gerichtet, denn an irgendjemand anders. Dann stand er auf. Noch mehr als starke Worte würde sie jetzt etwas anderes trösten. Und so ging er auf sie zu und umarmte sie. Sie vergrub ihren Kopf in seiner Halsbeuge und ließ den Tränen freien Lauf, jenen Tränen, die sie schon versiegt geglaubt hatte…
 

Kaiser Larsa Ferrinas Solidors stoischer Blick ruhte auf dem Bildschirm, auf denen die Datenauswertung Professor Bakajans Sonde erschien, die Richter Basch ins Innere von Nabudis mitgenommen hatte. Noch ergaben sie keinen Sinn für ihn, doch die ernste Miene des Professors ließ ihn schon etwas ahnen. Richter Basch war ebenfalls anwesend. Sonst war niemand in dem Trakt des Draklor-Laboratoriums. Professor Bakajan hatte all seine Mitarbeiter hinausgeschickt, ebenfalls ein Hinweis auf den Ernst der Situation. Was immer er ihnen eröffnete, es sollte im Moment nicht mehr Personen erfahren als unbedingt notwendig. Er tippte noch etwas auf der Tastatur, dann begann er zu erklären.

„Das hier… sind die Energieausschläge, die die Sonde registriert hat.“ Einen Moment lang starrte er wortlos auf den Bildschirm, als hätte er selbst Schwierigkeiten, es zu erfassen. Dann schüttelte er den Kopf. „Noch nie habe ich solche Spitzen gemessen, sie liegen teilweise außerhalb der Skala, unglaublich…“

„Was war das?“ fragte Basch von Ronsenburg ernst. „Dieses Ding…“

„Nun, ich kann ihnen nur sagen, was es nicht war“, antwortete er bitter lachend, „und zwar ein organisches Wesen, das seinen Ursprung in unserer Welt hat. Denn das ist es mit Sicherheit nicht.“

„Aber was dann?“

Wieder musste Bakajan lachen, aber es hatte etwas Verzweifeltes an sich.

„Ich kann beim besten Willen nichts Näheres über den Habitus dieser… Erscheinung sagen. Ich kann mich nur auf ihre Zeugenaussage und die Messwerte stützen, und die stellen mehr Fragen, als sie beantworten, um ehrlich zu sein…“

„Diese Menschen, die Richter Basch dort aufgelesen hat… haben sie etwas mit diesem Ding zu tun?“ fragte Larsa Solidor. Der Professor blickte ihn jäh an und hob den Zeigefinger.

„Nun… nicht direkt! Aber es gibt eine Verbindung. An diesen Menschen habe ich ähnliche Strahlensignaturen gemessen wie die Sonde enthält. Sicher ist das Energieniveau bei weitem geringer, aber… wie immer dieses… ‚Ding‘ in unsere Welt gekommen ist, diese Menschen sind es auf ähnliche Weise.“

„Dann glauben sie deren Geschichte?“ fragte Larsa etwas ungläubig. „Dass sie aus… aus anderen Welten hierhergekommen sind?“

„Durchaus“, erwiderte er und nickte eifrig. „Theorien zu parallelen Universen gibt es schon länger, aber es waren eben nur Theorien, gestützt auf ebenso theoretische Physik. Wir haben versucht, bestimmte instabile Teilchen nachzuweisen, deren Vorhandensein die elfdimensionale Quantenschaumtheorie bestätigen- “ Er hielt inne, als er die verständnislosen und verwirrten Blicke seiner Zuhörer auf sich spürte. „Nun, was ich sagen will… genau das haben wir gemessen, was sich mit den Theorien deckt. Deshalb gibt es für mich keine Zweifel.“

Richter Basch versuchte dies zu verarbeiten, mit wenig Erfolg.

„Kann das wieder passieren? Das so ein Ungetüm auftaucht und einen Vulkan ausbrechen lässt?“

Das eben noch vor Enthusiasmus glühende Gesicht des Professors wurde schlagartig ernst.

„An Orten, an denen die Myst so stark ist, ist das durchaus denkbar. Ich will ja keine Horrorszenarien bemühen, aber- “

„Seien sie ehrlich, Professor“, ermahnte ihn Larsa Solidor. „Droht unserem Land Gefahr? Oder… auch ganz Ivalice?“

Professor Bakajan seufzte tief, bevor er antwortete.

„Ein derartiges Ereignis kann ich nicht ausschließen“, sagte er langsam und nickte dabei. „So etwas könnte sich in der Tat wiederholen.“

„Was können wir dagegen tun? Irgendwie muss sich das doch verhindern lassen“, betonte Basch und ballte die Faust.

„Wir sind gerade dabei, dieses Phänomen zu erforschen. Ich kann nichts versprechen, aber wenn wir die strukturelle Zusammensetzung dieser Raum-Zeit-Portale erst analysiert und ihre physikalische- “

Mit einer Handbewegung stoppte Kaiser Larsa Solidor das Fachchinesisch des Professors.

„Ich verlasse mich in jedem Fall auf sie. Tun sie ihr bestes. So wie es aussieht, hängt nicht nur das Schicksal des archadianischen Reiches davon ab.“

Angesichts dieser Verantwortung schien dem Professor ein Kloß im Halse zu stecken. Mühsam schluckte er ihn runter und nickte dann eifrig.

„Ich und meine Kollegen arbeiten mit Hochdruck daran, seien sie versichert, eure Hoheit.“
 

In Begleitung eines Soldaten suchte Squall das Lazarett auf. Es war zwar schon spät, und er erkannte an Fenstern in einem Korridor, dass bereits Sterne am Himmel leuchteten, doch er wollte sich nicht zur Ruhe legen, bevor er sich von Xells Wohlergehen überzeugt hatte. Sie erreichten einen Trakt, in dem ein antiseptischer Geruch in der Luft die Anwesenheit von Ärzten und auch Patienten ankündigte. Der Soldat führte ihn wortlos zu einem Zimmer. Als er durch die Tür trat, setzte sich Xell auf seinem Bett auf und strahlte übers ganze Gesicht. Ein aussagekräftiger Blick Squalls brachte den Soldaten dazu, draußen zu warten. Dann ging er an sein Krankenbett.

„Hey, Squall! Geht es dir eh gut?“ legte er gut gelaunt los. Squall musste schmunzeln.

„Das sollte ich eigentlich dich fragen…“

„Ach das“, erwiderte er und warf einen Blick auf sein einbandagiertes Bein. „Das wird schon bald wieder. Ich bin mir sicher, morgen kann ich schon wieder- “ Er versuchte aufzustehen, doch ein stechender Schmerz beendete diesen Versuch. Squall hielt ihn und half ihm ins Bett zurück.

„Übertreib‘s nicht“, tadelte er ihn. „Erzähl mir lieber, was nach meinem… ‚Verschwinden‘ passiert ist.“
 

Mit Händen und dem einen gesunden Fuß heftig gestikulierend, beschrieb Xell die Ereignisse nach dem Vorfall im Schumidorf. Squall lauschte wortlos und aufmerksam, ohne eine Miene zu verziehen. Irgendwann schien Xell die Luft auszugehen, und er sagte wieder etwas.

„Das war unvernünftig. Einfach so dieses Tor zu benützen…“

Xells Augen wurden groß und er ballte die Faust.

„Wieso unvernünftig?? He, Mann, wir mussten doch was unternehmen. Wir lassen dich doch nicht im Stich!“

Squall nickte, doch sein Gesicht zeigte Ernst und auch Gram.

„Und Rinoa? Ich wette, es war ihre Idee.“

Mit einem Male wurde Xell die Tragweite dieser Entscheidung bewusst. Die Mission war anders verlaufen als geplant, völlig anders. Zwar hatten sie ihn nun gefunden, aber um welchen Preis…

„Ja, verdammt. Rinoa wollte sofort los, und wir haben keinen Moment gezögert, mit ihr zu gehen… das ist echt Scheiße, Mann, das sie… das es so gekommen ist.“ Niedergeschlagenheit machte sich auf dem sonst immer so fröhlichen Gesicht des SEED breit. „Aber du hättest das für uns auch getan. Wir mussten einfach…“

Squall verschränkte die Arme und richtete den Blick zu Boden. Er erinnerte sich nun wieder. Dies war einer der Gründe gewesen, warum er nie Freunde haben wollte. Es konnte ihnen etwas zustoßen, man konnte sie verlieren… und der Schmerz war dann schlimmer als die Einsamkeit. Und geschehen war dies alles… wegen ihm.

Dann fiel sein Blick wieder auf den betrübten Mann auf dem Krankenbett. Er erinnerte sich an seine angestammten Aufgaben als Anführer und beschloss, ihm etwas Aufmunterndes zu sagen.

„Was immer mit Irvine, Selphie und ihr passiert ist… wir werden sie finden. Diese Leute hier werden uns dabei helfen.“

„Echt?“ fragte Xell vorsichtig. Ein Hoffnungsschimmer kam in seinem Blick auf. Squall fiel es schon immer schwer, haltlose Dinge zu versprechen, doch heute hatte er einen guten Grund. Und er wollte diesen Funken der Hoffnung in Xell nicht verlöschen lassen.

„Bestimmt. Du musst nur gesund werden, dann starten wir die Suche.“

„Ja, Mann! Wir finden die anderen! Wir haben dich ja auch gefunden“, lachte er, und Squall lachte mit. Auch wenn ihm nicht im Mindesten danach zu Mute war.

@

Nach einer Weile war er gegangen. Er hatte ihr zugeflüstert, dass er nach seinem verletzten Freund sehen muss, und sie hatte nur genickt. Eine Weile hatte sie ihm hinterher gesehen, doch kein Gefühl des Vorwurfs war in ihr entstanden. Die engsten Freunde eines Menschen bedeuteten die einzige Heimat, die einen überall hin folgen konnte. Wenn man diese verlor, dann war man nirgends mehr zuhause…

Ihre Gedanken wanderten wieder zu Cloud, zu Barret und Yuffie, zu Vincent, zu Marlene und Denzel. Was hätte sie gegeben für ein Lebenszeichen, für irgendetwas, das diese lähmende Ungewissheit würde lindern können. Wie ein eingesperrtes Tier lief sie in dem kleinen Raum auf und ab. Dann legte sie sich aufs Bett und starrte an die Decke. Es war schon spät, und die Müdigkeit hing ihr bleiern in den Gliedern, doch schlafen konnte sie nicht. Wie ein Kreisel drehten sich die Gedanken aus Angst und vorsichtiger Hoffnung, aus der Furcht vor dem Schlimmsten und der Zuversicht, die ihren kämpferischen Charakter ausmachte, in ihrem Kopf, Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und verließ den kleinen Raum.

Die Soldaten warfen ihr aufmerksame und doch auch leere Blicke zu. Für sie war sie nicht mehr als ein Objekt, dass es zu bewachen galt. Ohne zu wissen, wo sie eigentlich hin wollte, verschränkte sie die Arme und blickte verhärmt zu Boden. Ihre Schritte hallten tonlos durch den Korridor, als sie einfach drauflos ging. Sie sah nicht auf- bis sie ihn hörte.

„Tifa.“

Sie hob den Blick.

„Rude…“

Der Turk hatte sich behelfsmäßig die graue Asche von seinem schwarzen Anzug geputzt. Immer noch sah er aber aus wie Obdachloser, der einen wohl einst schmucken Anzug gefunden und hineingeschlüpft war. Er trug auch seine Sonnenbrille- doch in diesem Moment nahm er sie ab und steckte sie in eine Innentasche seines Jacketts.

„Die werden uns doch nicht verhungern lassen. Ich wollte gerade sehen- “

Er stoppte mitten im Satz und blickte einen Moment zu Boden. In diesem Augenblick schien ein bestimmter Ausdruck durch seine Augen zu geistern. Tifa konnte ihn nicht recht zu ordnen, doch es kam ihr vor, bröckele die harsche Fassade des langjährigen Turk, und zwar nicht allmählich, sondern so, als fielen große Brocken plötzlich aus einem Mauerwerk. Und im nächsten Moment fing er sich wieder.

„Gibt es hier sowas wie eine… Kantine?“ fragte Tifa, weil ihr nichts anderes einfiel. Und weil sie ein paar Bissen Essen vielleicht ablenken würden.

Die beiden wandten sich an die Soldaten. Einer von ihnen begleitete sie mit sachlicher, unbeteiligter Miene in die darunter liegende Etage. Mit unbewegtem Gesicht wartete er vor der Türe, während sie sich bedienten. Eine nicht sonderlich gut gelaunte Küchenkraft servierte ihnen ein einfaches, undefinierbares Gericht, dass offenbar rund um die Uhr zu Verfügung stand und an das man deshalb wohl keine hohen Ansprüche stellen durfte. Und so saßen sie an einem der vielen, allesamt leeren Tische in dem ansonsten verwaisten Speisesaal.

Rude schaufelte das Essen begierig hinein, als wäre er kurz vor dem Verhungern. Tifa saß ihm gegenüber und stocherte darin herum. Zaghaft kostete sie davon.

„Warum haben sie euch auch durch geschickt?“

Mit kurzer Verzögerung hörte Rude auf zu löffeln- und blickte sie erstaunt an. Dann löffelte er weiter und beantwortete während des Kauens ihre Frage.

„Rufus hat es angeordnet. Wir sollten… irgendwas messen. Hiermit.“

Während des Essens zog er ein Gerät aus dem Jackett und warf es auf den Tisch. Tifa nahm es in die Hand und betrachtete die Rückseite. Es klang hohl, als sie dagegen klopfte. Nach kurzem Suchen fand sie einen Deckel. Als sie ihn öffnete- fand sie ein leeres Batteriefach.

„Hiermit?“

Sie hielt es ihm vor die Nase. Für einen Moment stoppte er mit Kauen und erstarrte. Dann nahm er es vorsichtig entgegen. „Das… Hm. Ich kenn mich nicht aus mit Elektronik. Nur mit Sprengstoff.“ Stirnrunzelnd steckte er es pflichtbewusst wieder ein. „Anordnung ist Anordnung“, sagte er schließlich und sprach weiter.

„Ja, ja… Anordnungen“, schnaubte Tifa und schob wieder einen Löffel voller Grütze in den Mund. Missmutig schluckte sie das Zeug hinunter. „Diese Anordnungen haben dich schon deinen Kollegen gekostet. Wie lange willst du noch so weiter machen?“

„Ich arbeite für Shinra. Und jetzt für die W.R.O.“, war seine lapidare Antwort. Sein Teller war fast leer, Tifas hingegen noch voll. Schön langsam spürte sie eine Wut in sich aufsteigen, die von Erschöpfung und Verzweiflung genährt wurde und nun einen ziemlich säuerlichen Cocktail abgab.

„Shinra, W.R.O…. das ist doch immer dasselbe! Siehst du nicht, wo das hinführt?“ Ihre Stimme wurde lauter als beabsichtigt, und Rude blickte von seinem Teller auf. Sein argloser Blick stachelte sie noch mehr an. „Diese Leute, denen Macht mehr bedeutet als… als Menschenleben… jetzt hast du Reno verloren, den einzigen Menschen, der einen Pfifferling um dich gibt! Und damals… haben sie dir Chelsea genommen! Hast du denn gar keine Selbstachtung?“ zischte sie ihn an. Rude Gesicht erstarrte, mehr noch als sonst. Ein Anflug von Verbitterung huschte über seine strengen Züge und um seine Augen herum.

„Lass Chelsea aus dem Spiel“, sagte er leise aber eindringlich. Die Schärfe wich langsam aus seinem Gesicht, und Tifa blickte verschämt auf die Tischplatte.

„Tut mir leid“, flüsterte sie. „Ich bin nur irgendwie…“ Sie schüttelte ratlos den Kopf. „Mich macht das alles fertig.“

„Reno wird wieder auftauchen“, sagte Rude und putzte sein Teller aus. Tifa blickte ihn überrascht an. „Wo immer er jetzt ist… er wird die Leute dort solange nerven, bis sie ihn zurückschicken. Kein Zweifel.“ Zum ersten Mal seit ihrem unerwarteten Wiedersehen lächelte er. Und es steckte sie automatisch an.

„Deine Zuversicht möchte ich haben“, sagte sie leise. Sie blickten sich noch eine Weile an, dann erhoben sie sich.

Sie beschlossen einen Verdauungsspaziergang zu machen. Der Soldat folgte ihnen auf Schritt und Tritt. Seufzend drehte sich Tifa flüchtig um.

„Wir haben einen richtigen Bodyguard“, schmunzelte Tifa.

„Denn brauchst du gar nicht. Warst schon immer eine tolle Frau. Eine, die richtig zuschlagen kann“, meinte er und richtete sich eine verstaubte Krawatte. Tifa lächelte. So unbeholfen seine Komplimente auch waren, sie fand sie… süß.

„Findest du?“

„Ja.“

Ein Kompliment… hatte sie sowas je von Cloud gehört? Sie konnte sich dessen nicht entsinnen. Und nun spürte sie erst, wie gut das tat, wie sehr es ihr gefehlt hatte… Mit einem Male spürte sie auch, wie die Last der vergangenen Ereignisse von ihr langsam abfiel und ihre Schritte leicht wurden.

„Sag einmal… hat es nach Chelsea eigentlich wieder eine Frau gegeben? In deinem Leben, meine ich.“

Rude antwortete nicht gleich. Die Bitterkeit der Erinnerung an diese Frau machte seine Zunge schwer.

„Ich habe viel zu tun und für sowas keine Zeit. Außerdem bin ich nicht gut darin. Reno ist da besser, der quatscht ständig Frauen an.“

„Und? Ist er erfolgreich?“

„Nein. Sie halten ihn meistens für einen Idioten.“

„So, so…“, erwiderte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wie die nur auf diese Idee kommen…“

Schließlich erreichten sie wieder ihre Quartiere. Unauffällig wie ein längst gewöhntes Möbelstück stand der Soldat hinter ihnen. Tifa seufzte.

„Tja… da wären wir. Danke, Rude.“

„Für was?“ fragt er verblüfft.

„Dafür… das du da warst“, erwiderte sie und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Rudes Augen wurden so groß, dass nicht einmal mehr seine Sonnenbrille sie hätte verdecken können. Sie lächelte ihn noch kurz an, bevor sie in ihrem Quartier verschwand und ihn auf dem Gang zurückließ.

@

Noch eine Weile saß er bei seinem Freund am Krankenbett, bis ihm einer der Ärzte zu verstehen gab, dass Xell nun Ruhe brauchte. Er nickte dem Arzt zu und verabschiedete sich von ihm. Sein Freund war nun wieder so zuversichtlich und hoffnungsvoll, wie er es von ihm kannte. In seinen Augen fand sich kein Zweifel daran, dass Rinoa und die anderen wohlauf waren. Fast war Squall froh, sein Krankenzimmer zu verlassen. Gern hätte er seine Fröhlichkeit und Zuversicht geteilt, doch es gelang ihm nicht. Zu sehr drückte ihn das Wissen, dass seine engsten Freunde diese gefahrvolle Reise wegen ihm unternommen hatten. Schon mehrmals waren SEEDs unter seinem Kommando umgekommen, und immer hatte er mit Fassung die Verantwortung getragen, doch hier… war es etwas anderes. Es waren eben nicht nur SEEDs, sondern seine Freunde. Und… Rinoa.

Hinter sich hörte er den gleichmäßigen Schritt seines ‚Aufpassers‘, als er zu seinem zugewiesenen Quartier zurückging. Ärger kochte ihn ihm auf, wegen… wegen allem eben. Wegen Rinoa, die wieder mal ihren Dickkopf durchgesetzt hatte, wegen seiner Freunde, die keine Anstalten gemacht hatten, sie davon abzuhalten. Und wegen dieses verfluchten Tages im Schumidorf, an dem dies alles begonnen hatte.

Er stand vor der Tür seines Quartieres. Der Soldat nahm pflichtbewusst seine Position am Ende des Korridors ein, gleich neben seinem Kameraden. Was für ein Witz, dachte Squall, im Garden befehlige ich eine Hundertschaft von SEEDs und SEED-Anwärtern, und hier werde ich bewacht wie ein Sträfling…

Seufzend lehnte er sich gegen die Tür. Sein übermüdeter Blick ging zum Boden. Er war erschöpft, doch in seinem Inneren war keine Ruhe. Derartige Verwirrung war ihm normalerweise fremd. Immer hatte es klare Richtlinien und Regeln in seinem Leben gegeben… doch seit jenem unseligen Tag lief alles aus dem Ruder. Und heute war es noch schlimmer geworden. Irgendein Impuls brachte ihn dazu, an die Tür zu klopfen. Tifas Tür.
 

Die Tür öffnete sich. Braune Augen, hinter Strähnen schwarzen Haars, blickten ihn an.

„Ja?“

Er wandte den Blick ab von ihr. Was willst du überhaupt hier?, fragte eine Stimme in ihm. Er beschloss, sie zu ignorieren.

„Kann ich reinkommen? Oder wolltest du schon schlafen?“

„Nein… ich meine, ich kann eh nicht schlafen. Komm doch rein“, erwiderte sie und hielt die Tür auf. Squall betrat den Raum, der von der Einrichtung her identisch mit seinem war. „Wie geht es deinem Freund?“

„Xell? Ganz gut. Er liegt auf der Krankenstation. Morgen ist er vielleicht schon wieder auf den Beinen.“

„Das freut mich. Sie haben uns also gesucht.“

„Hm?“

„Die Menschen, denen wir etwas bedeuten. Sie waren alle dort“, sagte sie traurig. Squall nickte langsam.

„Ja… ich hoffe, sie sind in Ordnung.“

Bedrückende Stille legte sich über den Raum. Bangende Gefühle zwischen Hoffnung und Furcht schoben sich in ihre Gedanken. Bis Squall die Stille durchbrach.

„Du hast dieses Wesen angegriffen. Wie hast du das gemacht?“

Tifa schüttelte verwirrt den Kopf.

„Was meinst du?“

„Na, dieses blaue Etwas… es kam aus dem Boden und war so wie du… nur größer. Weißt du nicht mehr?“

Sie ging in Gedanken an jenen Ort zurück, an dem die Konfrontation mit der Erscheinung stattgefunden hatte. Und an das, was mit ihr geschehen war, als sie Cloud in höchster Gefahr wähnte.

„Ich kann es nicht genau beschreiben… aber ich fühlte mich plötzlich so stark. Dieses Wesen aus den Lhusu-Minen, Shiva… sie war plötzlich in mir. So, als würde sie mir ihre Kraft leihen… als würde sie durch mich wirken.“

Squall lauschte ihr konzentriert. Welche Veränderung auch immer mit ihr passiert war, damals in den Lhusu-Minen, es hatte dieses Ereignis bewirkt. Das Wesen verschmolz damals mit ihr und war nun wieder hervorgekommen. Nachdenklich betrachtete er seine Hände und fragte sich, ob Griever auch in ihm war. Und irgendwann hervorkommen würde…

„Diese Wesen, die auch in eurer Welt existieren… für uns SEEDs sind sie auch eine Quelle der Macht und der Kampfstärke. Wir koppeln sie, und sie verleihen uns neue Fähigkeiten. Sie können auch für uns kämpfen, aber sie sind eben ein Teil der Ausrüstung. Und kein Teil von uns. Und jetzt ist dieses Wesen IN dir. Und auch mir… ist sowas passiert.“ Ratlos schüttelte er den Kopf. Tifa erwiderte verwirrt seinen Blick, und Furcht spiegelte sich in ihren Augen. „Was geschieht mit uns? Was hat das alles zu bedeuten?“

Tifa wusste keine Antwort. Sie wusste nicht, wo sie da rein geraten war. Sie wusste auch nicht, wo das alles hinführen würde. Innerhalb weniger Tage war ihr gesamtes Leben zusammengefallen wie ein Kartenhaus, das ein Windstoß erfasst hatte. Sie war weit weg von ihrer Heimat. Aber ihre eigentliche Heimat, ihre engsten Freunde, die Menschen, die ihr mehr bedeuteten als alles andere… deren Schicksal war ungewiss. Eine schneidende Angst ergriff sie, alles verloren zu haben und nirgends mehr Halt finden zu können. Mit einem Male fühlte sie sich einsam. Noch einsamer als damals, als Cloud in den Lebensstrom gefallen war und den Verstand verloren hatte. Die damalige Angst, ihn nie mehr so zu erleben, wie sie ihn gekannt hatte, war nicht so schlimm wie das, was sie jetzt spürte. Aus einem Impuls heraus ging sie auf Squall zu und umarmte ihn. Es erfolgte keine abwehrende Reaktion, wie sie erwartet hatte. Stattdessen erwiderte er diese schutzsuchende Geste und legte seine Arme um sie. Sie drückte ihr Gesicht in seine Schulter, als fände sie dort Schutz vor all den furchtbaren Dingen, die ihr Leben in den letzten Tagen zerstört hatten. Seine Nähe bot ihr all die Geborgenheit, die sie so sehr vermisst hatte, und wie automatisch fanden ihre Lippen zueinander. Von diesem Moment an verlor sie die Kontrolle- und wollte sie auch nicht mehr zurück erringen. All der Druck und die Angst entwichen wie durch ein Ventil. Sie war dankbar dafür und verfolgte wie aus einer Außenperspektive, wie ihr der Mann mit den braunen Haaren, die ihm wirr ins Gesicht hingen, die Kleidung abstreifte. Sie beobachtete die Szene und es kam ihr vor, als wäre es eine fremde Frau, die ihm sein Hemd über den Kopf zog und mit den Handflächen über seine Brust strich. Wie ein verschwommener Traum war es, als sie auf das schmale Bett in dem kahlen Raum sanken. In diesen Sekunden, die sich wie Ewigkeiten dehnten, verlor sie sich ganz in seiner leidenschaftlichen Umarmung. Sie wollte nur noch der Welt, in die sie ein bitteres Schicksal hineingeworfen hatte, entfliehen und etwas spüren, das nichts mit Leid oder Ungewissheit zu tunt hatte. Sie wollte IHN spüren, seine Nähe und seine Fürsorge. Immer tiefer versank sie in seinen Küssen und wollte es in diesem Moment mehr als jemals zuvor. Sein warmer, geschmeidiger Körper über ihr war wie ein Schutzschild, der sie vor den Unbilden einer kalten Welt schützte und den sie nur mehr festhalten wollte. Und die Wärme der Geborgenheit wurde zur Hitze der Leidenschaft und entflammte schließlich ihr Herz. Sie vereinigte sich mit diesem Mann, den sie erst wenige Tage kannte, der ihr aber schon soviel bedeutete. Der ihr Schutz und Zuflucht in einer fremden und abweisenden Welt bot. Ihre Finger krallten sich in seinen Nacken und seinen Rücken, während ihr Körper im Feuer der Lust erbebte…
 

Sie wusste nicht, wie lange sie schon geschlafen hatte, als sie an seiner Seite erwachte. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und so sah sie alles genau. Das Gesicht des Mannes neben ihr, dessen zu einem Mittelscheitel geformte Haare neckisch über sein Gesicht fielen. Sein Profil, das mit geschlossenen Augen auf dem Kissen neben ihr lag. Seine Brust, die sich im langsamen und gleichmäßigen Rhythmus seines Atems hob und senkte. Ihre Finger strichen über seinen Oberkörper und sie spürte seinen Herzschlag. Dicht aneinandergeschmiegt lagen sie in dem schmalen Bett und genossen die Wärme, die sie sich gegenseitig spendeten. Und so bildeten sie eine Oase der Geborgenheit für einander in einer Welt, die kaum Hoffnung versprach. Aber an die Zukunft wollte sie jetzt nicht denken. Nur den Moment genießen, der schon bald zur Vergangenheit werden würde. Doch gleichzeitig spürte sie, dass mit dieser Vergangenheit auch die Zukunft nicht mehr ihren vorgezeichneten Weg würde nehmen können. Seit langem hatte sie wieder das Gefühl, von einem Mann verstanden worden zu sein. Wie anders war dies alles, als was sie schon erlebt hatte. Seit ihrer frühen Kindheit war Cloud Strife ein Ziel ihrer Sehnsucht gewesen, doch nie hatte er ihre zurückhaltende Bewunderung erwidert. Viel zu sehr war er immer mit seinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen, um sich auf einen anderen Menschen voll und ganz einzulassen. Sie hatte das bereits akzeptiert und sich mit einem schwesterhaften Dasein an seiner Seite abgefunden. Auch Rudes zögerliche Annäherungsversuche damals, während ihres Krieges gegen Shinra und jetzt boten kein Fundament für… für was eigentlich? Was wollte sie? So oft hatte sie diese Frage an sich selbst gerichtet und doch nie eine klare Antwort formulieren können. Sie wollte jemanden, der ihr das Gefühl von Heimat, von Zugehörigkeit vermittelte, jemanden, der sich ihr ganz öffnete und in dessen Armen sie schwach sein konnte. Jemanden, bei dem sie die Rolle von Tifa, der Kämpferin vergessen konnte. Und jetzt hatte sie das starke Gefühl, dass dieser Jemand in genau diesem Moment an ihrer Seite lag. Sie wollte an kein Morgen mehr denken sondern nur noch diesen friedlichen Moment voller Zärtlichkeit festhalten. Und so schloss sie wieder die Augen mit dem Wunsch, diese Nacht möge niemals enden…
 

Nachdenklich betrachtete er seine Uniformjacke. Sie war ziemlich mitgenommen. Einiges hatte sie mitgemacht während der letzten Tage. Flecken und Risse im Stoff kündeten davon. Vom Glanz der Epauletten war nicht mehr viel übrig. Einen Moment lang musste er schmunzeln, als er sich daran erinnerte, wie er SEED-Anwärter wegen nicht ausreichend gepflegter Uniform zusammengestaucht hatte. Doch das war lange her, schien es ihm. Denn nun roch, nein, duftete die Jacke nach der Frau, der er sie erst vor kurzem gegeben hatte. Er drehte sich um. Immer noch schlief sie in dem schmalen Bett. Gegen seine Gewohnheit war er heute länger liegengeblieben und hatte ihre Nähe genossen. Doch ganz konnte er sein Pflichtgefühl auch nicht unterdrücken, und so war er nun auf. Eine angenehme Gedankenleere herrschte in seinem Kopf, während er sich ankleidete. Stattdessen spürte er ein Gefühl der Zufriedenheit wie schon lange nicht mehr. Das Vakuum, das Rinoa in ihm hinterlassen hatte… es war nun wieder gefüllt. Und das von einer Frau, die er erst seit wenigen Tagen kannte und die ein denkbar unwahrscheinlicher Zufall zu ihm geführt hatte.

Als er fertig angekleidet war, setzte er sich zu ihr ans Bett. Mit den Fingern strich er ihr sanft übers Gesicht. Behutsam ordnete er ihre langen, schwarzen Haare. Und er lächelte, was er schon lange nicht mehr getan hatte. Allmählich erwachte sie. Benommen blinzelte sie ihn an, dann setzte sie sich auf. Schlaftrunken lächelte sie zurück, und ihr Gesicht drückte tiefstes Wohlbehagen aus. Wortlos saßen sie beieinander und hauchten sich Küsse zu- als es an der Tür klopfte. Beide erstarrten. Dann erhob Squall seine Stimme.

„Was gibt’s“, fragte er ohne den Blick von Tifa zu wenden.

„Ich bringe Order von unserem Herrscher“, klang die Stimme des Soldaten von gestern dumpf durch die Tür. „Sie werden zu einer Versammlung gebeten, die in Kürze stattfindet. Wenn sie sich bitte darauf vorbereiten…?“

Squall seufzte tief.

„Hier hat man einfach keine Ruhe.“

„Ja, schon… aber letzte Nacht war doch schön“, hauchte sie ihm ins Ohr und umarmte ihn. Dann erhoben sich beide, und Tifa kleidete sich an.
 

Kurze Zeit später verließen sie den Raum und folgten den bereits wartenden Soldaten. Sie eskortierten sie in die höher gelegenen Labors in einen Versammlungsraum, in dessen Mitte eine große holografische Karte ihnen unbekannter Kontinente schwebte. Rude war ebenfalls schon da, wie auch Xell, der zwar noch einen Verband am Bein trug, aber ansonsten schon wieder hergestellt schien. Squall begrüßte ihn freudig, und Xell versicherte ihm „sich von einem Kratzer nicht aufhalten zu lassen“.

Ebenso im Raum war der Mann, der sich anderntags als Richter Basch von Ronsenburg vorgestellt hatte, sowie ein noch ziemlich junger Mann mit mittellangen, dunklen Haaren, der von mehreren schwer bewaffneten Wachen flankiert wurde. Als letzter betrat ein Mann den Raum, der über der Soldatenuniform einen weißen Laborkittel trug. Auch seine Gesichtszüge sprachen eher für einen Mann der Wissenschaft denn einen Kämpfer. Nachdem alle anwesend waren, erhob der junge Mann inmitten seiner Wächter die Stimme.

„Zuerst möchte ich um Vergebung bitten, dass ich mich nicht bereits gestern ihnen allen vorgestellt habe. Mein Name ist Larsa Ferrinas Solidor, Herrscher von Archadis. Aber als ihr Gastgeber wollte ich ihnen ausreichend Zeit zur Erholung zugestehen.“ Das kleine Grüppchen aus Squall und den anderen warf sich gegenseitig skeptische Blicke zu.

„Der ist ja fast noch ein Kind“, flüsterte Xell zu Squall.

„Ich hoffe, es geht ihnen soweit gut. Mein treuer Untergebener Richter Basch hat mir bereits einiges über sie und ihre… Geschichte erzählt“, fuhr er fort. „Und über das, was in Nabudis passiert ist.“ Er hielt Inne, als würde ein dunkler Schatten seine Gedanken streifen. „Wie dem auch sei… Professor Bakajan hat einiges herausgefunden, was auch für sie interessant sein wird.“

„Wissen sie, wo unsere Freunde sind?“ platzte es aus Xell heraus. Squall warf ihm ob seiner Impulsivität einen tadelnden Blick zu. „Eure, äh… Hoheit“, fügte er kleinlaut hinzu. Larsa Solidor wandte sich ihm zu.

„Das weiß ich bedauerlicherweise nicht, werter Herr Dincht. Aber zum Verbleib der anderen Personen, die in Nabudis waren, hat Professor Bakajan etwas zu sagen.“

Xell rieb sich verlegen den Nacken, und Larsa Solidor übergab mit einer Handbewegung das Wort an den Professor.

„Nun gut, also… meine Kollegen und ich haben die letzte Nacht unter Hochdruck die Daten ausgewertet, die Richter Basch gesammelt hat…“ Auf einer Apparatur vor dem Hologramm tippte er herum, und es veränderte sich. Nun zeigte es keine Anordnung von Kontinenten mehr. Stattdessen tauchte ein Durcheinander von Diagrammen auf und in der Mitte ein Grundriss eines Gebäudes. „Dabei haben wir ein korrelierendes Verhältnis zwischen der Instabilität der interdimensionalen Schranken- “

Larsa Solidor trat an den Professor heran und flüsterte ihm etwas zu. Dieser räusperte sich, bevor er weitersprach.

„Was ich sagen will… etwas ist aus einer anderen Welt in diese herübergekommen, zumindest für einen kurzen Moment. Und zwar auf ähnliche Weise, wie es auch ihnen gelungen ist.“ Wieder glühte Enthusiasmus im Gesicht des Professors auf. „So gerne ich auch von ihnen persönlich etwas mehr über diese Welten erfahren würde, so fehlt uns doch die Zeit dafür.“ Bei diesen Worten schwand die Begeisterung wieder, und er sprach ernst weiter. „Sie alle haben gesehen, was in Nabudis passiert ist. Auf uns noch unbekannte Weise hat ein mächtiges Wesen, an dessen Herkunft wir noch forschen, einen Riss im Kontinentalpanzer verursacht. Es gibt einen Zusammenhang mit der Mystkonzentration an diesem Ort, was uns auf etwas aufmerksam gemacht hat, und zwar- “

„Schön und gut, aber was ist jetzt mit unseren Freunden?“ fragte Xell ungeduldig. Aus dem Konzept gebracht, blinzelte ihn der Professor an.

„Äh, ja… da wollte ich gerade dazu kommen. Nun, meine Kollegen arbeiten bereits fieberhaft an einer Möglichkeit, derartige Tore anhand unserer Messdaten zu rekonstruieren, jedoch… was wollte ich jetzt sagen…“ Zerstreut blickte er auf das vor ihm schwebende Hologramm. „Genau, ja, das war es. Unseren Prognosen nach wird sich schon in Bälde ein weiteres Tor öffnen, wiederrum an einem Ort mit hoher Mystkonzentration.“ Er deutete auf das Hologramm, das ein in ein enges Tal versenktes Gebäude zeigte. „Die Zusammenhänge sind uns noch nicht klar, aber es klingt plausibel, dass, was immer durch dieses Tor verschwunden ist, durch ein ähnliches wieder durch kommen wird.“ Als Abschluss seines Vortrages lächelte er gekünstelt, erntete aber hauptsächlich ratlose Gesichter.

„Um auf den Kern der Sache zu kommen: es besteht die Gefahr, dass sich ein derartiges Ereignis hier wiederholt“, sprach nun Richter Basch weiter. „Das hier ist das Grab des Kaiser Raithwall. Nach Nabudis ist dies der Ort mit der höchsten Mystkonzentration in ganz Ivalice. Wenn die Messungen von Professor Bakajans Team korrekt sind, dann wird dieses Wesen, was immer es war, versuchen, dort in unsere Welt über zu treten.“

„Aus irgendeinem Grund ist es ihm in Nabudis nicht gelungen“, fuhr Bakajan fort. „Etwas scheint es behindert zu haben. Doch diesmal…“ Düstere Ahnungen zeichneten sich auf seinem Gesicht ab.

„Richter Basch wird unmittelbar aufbrechen“, sagte nun Larsa Solidor. „Euch kann ich nichts befehlen, aber… würdet ihr ihn begleiten?“ fragte er nun die vierköpfige Gruppe.

„Klar! Wenn wir die anderen dort finden“, rief Xell vorschnell aus.

„Das kann ich euch nicht versprechen, wenn gleich ich es euch wünsche“, erwiderte Larsa Solidor seufzend. Die Vier sahen sich an.

„Wenn die Chance besteht, bin ich dabei“, sagte Rude als erster.

„Ich bin für einen Versuch“, stimmte ihm Squall zu. Tifa sah ihn einen Moment an, dann nickte sie.

„Ich bin auch dabei.“

Kaiser Larsa nickte zufrieden.
 

„Seid ihr euch sicher, eure Hoheit? Ich halte das für keine so gute Idee.“

Die ‚Strahl‘ wurde wieder startklar gemacht. Letzte Nacht wurde sie nicht nur repariert, sondern auch von den unermüdlichen Technikern ein sogenannter ‚Himmelstein‘ aus dem Fundus des Draklor-Laboratoriums eingebaut, der ein Überfliegen von mystverseuchtem Gebiet würde möglich machen. Kaiser Larsa beruhigte Richter Basch mit einer Geste.

„Ich stimme Bakajan zu. Es muss eine Verbindung zwischen diesen Menschen und dem Phänomen geben. Sie werden mit euch gehen.“

Richter Basch atmete geräuschvoll aus, während die beiden aus der Entfernung beobachteten, wie bei der ‚Strahl‘ die letzten Startvorbereitungen getroffen wurden.

„Bei allem Respekt, eure Hoheit, aber wir wissen nichts über diese Leute, außer dem, was sie uns erzählt haben. Ich bin für seinen anderen Vorschlag. Es gibt immer noch hochkonzentrierten Nethizit in den Labors. Mit der ‚Strahl‘ könnten wir ihn über dem Grab abwerfen- “

„ –und ein zweites Nabradia erschaffen?“ unterbrach er ihn. „Nein, mein verehrter Basch, das kann ich nicht befürworten. Die Experimente mit künstlichem Maginit haben schon genügend Unheil über diese Welt gebracht. Außerdem ist nicht gesagt, dass wir damit nicht das genaue Gegenteil bewirken.“

„Ja… ihr habt wohl recht, eure Hoheit“, gab er zu.

„Ich vertraue euch und euren Fähigkeiten“, fuhr Larsa Solidor fort, „und habe keinen Zweifel, dass ihr diese Aufgabe erfüllen könnt. Vielleicht sind diese Leute wirklich der Schlüssel dazu.“ Sie beobachteten, wie die vierköpfige Gruppe in Begleitung einiger Soldaten das Schiff betrat. „Und sollte der Plan wirklich fehlschlagen… dann können wir immer noch auf den Nethizit zurückgreifen. Aber wirklich erst dann, wenn keine andere Alternative mehr bleibt.“

Richter Basch sah nun, dass alles bereit war. Nur noch er fehlte an Bord.

„Eure Hoheit.“

Larsa Solidor nickte dem salutierenden Richter zu, dann wandte sich dieser ab und ging zu dem Schiff. Brummend öffneten sich die Dachhälften des Hangars, und grelles Sonnenlicht fiel herein. Momente später erhob sich die ‚Strahl‘ vom Boden des Hangars und schwebte dröhnend empor. Über den Dächern von Archadis zündete sie schließlich ihre Triebwerke und schoss davon in Richtung des Horizonts. Larsa Solidors nachdenklicher Blick richtete sich auf den Himmel über Archadis, bis sich die Hangardachhälften wieder geschlossen hatten.

RiSeReBa~7~1

Sie konnte nicht einmal mehr ihre Hände sehen, die sie suchend und tastend ausstreckte. Langsam stolperte sie durch den milchigen Nebel, der sie wie eine durchlässige Wand zurückhielt und jeden ihrer Schritte verlangsamte. Der Boden unter ihren Schuhen fühlte sich abwechselnd weich wie Sand und dann wieder hart und schroff wie geborstener Fels an. Sie wagte es kaum zu atmen, als befürchte sie, jeden Moment könnte sich der Nebel zu einer alles erstickenden Flüssigkeit verdicken. Weit waren ihre Augen offen, in der Hoffnung, es möge sich bald etwas aus der undurchdringlichen Nebelsuppe heraus schälen. So statisch ihre Umgebung war, so aufgebracht waren ihre Gedanken.

Was ist das hier?

Wo sind die anderen?

Hat dieses… Ding uns hierher gebracht?

Sie versuchte zu rufen, aber der seltsame Nebel schien nicht nur jeden Lichtschein, sondern auch jeglichen Ton zu verschlucken. Und so tapste und stolperte sie weiter durch das ewiggleiche Weiß… bis ihre Hände auf Widerstand trafen.

Sofort klammerte sie sich an das Mauerstück, das aus dem Boden ragte, als wäre es der letzte Fixpunkt in einer aus den Angeln geratenen Welt. Schwer atmend lehnte sie sich mit der Stirn dagegen. Dann spürte sie einen Lufthauch. Erschrocken fuhr ihr Blick nach allen Richtungen. Der Lufthauch wurde stärker, und schließlich blies er den Nebel weg.
 

Nun erkannte sie ihre Umgebung. Einen Moment lang waren ihre Augen geblendet vom Sonnenschein, der diesen Ort durchflutete. Erstaunt blickte sie an den Ruinen empor, die ringsum sie in den blauen Himmel wuchsen. Dann begann sie zu rufen.

„Selphie!! Irvine!! Xell!! Squall, hört ihr mich!!?“

Doch niemand antwortete. Sie trat aus dem Schatten des Mauerwerks heraus und sah nun, dass sie in einer Stadt war. Einer Stadt aus Ruinen.
 

„Hallo!? Ist hier irgendjemand??“

Immer wieder formte sie mit Händen einen Trichter vor ihrem Mund und rief. Die Häuser ringsum um sie machten einen modernen Eindruck, doch allesamt waren sie verfallen und unbewohnt. Auf den Straßen türmte sich überall Schutt und Staub bedeckte zentimeterdick die Asphaltdecke der Straßen. Hin und wieder standen Autowracks verloren in den ansonsten leeren Straßen und Gassen. Sie kannte keine Stadt, die in einem solchen Zustand war. Am Himmel zog ein Schwarm Vögel vorbei, das einzige Zeichen von Leben in dieser verlassenen Stadt. Etwas knirschte unter ihrem Schuh. Sie bückte sich danach. Es war ein Verkehrsschild, das unter seiner dicken Staubschicht kaum noch erkennbar war. Irgendetwas hatte es zu Boden gedrückt. Mit der Hand wischte Rinoa die Staubschicht weg und versuchte die Buchstaben, die dabei zum Vorschein kamen, aneinander zu reihen.

„Highway… Sector… A-064…“ Langsam entzifferte sie die verwitterte Beschriftung. „… Midgar.“ Rinoa runzelte die Stirn. Diesen Namen hatte sie noch nie gehört. Plötzlich hörte sie eilige Schritte auf sich zu kommen. Schnell fuhr sie in die Höhe und drehte sich um. Dann lief sie der Person mit offenen Armen entgegen.
 

„Rinoa, da biiiist du ja“, rief Selphie und umarmte sie. Rinoa drückte sie an sich. Dann ließen sie sich wieder los.

„Was ist mit den anderen?“ fragte Rinoa als nächstes „Hast du Squall gesehen?“ fragte sie fast flehend. Selphie schüttelte traurig den Kopf.

„Tut mir leid, Rinoa, ich bin geraaade hier aufgetaucht. Zuerst war alles weiß und dann… war ich hier.“

Seufzend sah sie sich um. Dann wandte sie sich wieder an Selphie.

„Wenigstens haben wir uns gefunden. Die anderen… müssen dann auch hier irgendwo sein“, sagte sie mit fester Stimme, um ihnen und vor allem sich selbst Mut zu machen.

Gemeinsam irrten sie durch das Gewirr von Straßen und Gassen. Etwas Furchtbares musste hier passiert sein. Viele Häuser waren von herabgefallenen Trümmern beschädigt. An manchen Stellen hatten Pflanzen begonnen, die von ihren Einwohnern aufgegebene Stadt zurückzuerobern. Hin und wieder zeigte sich Grün, das um verbogene Stahlträger, an nacktem Mauerwerk und auf Schutthaufen zaghaft wuchs. Zigtausenden, wenn nicht Millionen von Menschen musste diese Stadt einmal Heimat gewesen sein. Schwer beschädigte Wolkenkratzer ragten in der Ferne wie abgebrochene Zähne in den Himmel.
 

„Was zur Hölle, verflucht- “, schimpfte er und zielte mit seiner Makokanone in alle Richtungen, nachdem sich der mysteriöse Nebel gelichtet hatte. Verwirrt blinzelte er in die Sonne. Dann ließ er die Kanone sinken und verzog das Gesicht.

„Ich will verdammt sein…“, knurrte er fassungslos, als er sich in seiner Umgebung orientierte. „Die verrottete Pizza…“

Fluchend und brummend lief er durch seine frühere Heimatstadt. Immer wieder widerholte er die Worte „das kann nicht sein, das kann unmöglich sein“ und rief dazwischen wieder nach seinen Freunden.

„Spikey, du Schwachkopf!! Wo steckst du!? Vincent!! Yuffie!! Wo zum Teufel versteckt ihr euch!?!“ Ein Geräusch in einer Seitenstraße ließ ihn abrupt stoppen. Sofort ging er mit seiner Makokanone in Anschlag und näherte sich der Geräuschquelle. Ein Mann mit langen, zu einem roten Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren stolperte mit erhobenen Händen über niedrige Mauerreste.

„Nicht schießen, ich bin’s, Reno! Euer Kumpel!“

Barret senkte die Kanone keinen Millimeter.

„Und warum nicht?“ knurrte er.

„Komm schon, ich bin nicht euer Feind!“ rief Reno und machte ein unglückliches Gesicht. Barret senkte seine Armwaffe und verdrehte die Augen.

„Aber du arbeitest für ihn. Was zum Teufel machst du hier?“

„Ich? Aber… ich war doch auch dort, in dem komischen Land, weißt du nicht mehr?“ Barrets Gesicht verwandelte sich in ein einziges Fragezeichen. „Ja, Mann! Rufus hat uns hinterhergeschickt, und dann waren wir in so’ner Stadt, Plafondheim oder wie die hieß, und dann waren wir auf einem Schiff mit so miesen Typen und dann waren wir in ‚ner Wüstenstadt und später in den Bergen und dann- “

„Sie haben euch uns hinterhergeschickt? Wieso?“ unterbrach Barret genervt seinen unkontrollierten Redefluss.

„Äh… was weiß ich? Ein Turk fragt nicht nach den Gründen“, erwiderte er schulterzuckend. „Na, jedenfalls waren wir dann in diesen grässlichen Ruinen und dann, dann fiel diese Tür zu und dieses Riesenmonster war da, und dann lief Cloud nach vor und- “

Der dunkelhäutige Riese lief auf den Turk zu und packte ihn an den Schultern.

„Du warst dort? Wo sind die anderen? Los, spuck’s aus, sonst…!“

Barret drohte mit seiner mechanischen Faust, und Reno duckte sich unter dem angedeuteten Schlag.

„Ich hab echt keine Ahnung, Mann…“, stammelte er hilflos. Barrets wütende Miene weichte sich etwas auf. Er ließ von ihm ab und sah sich um.

„Was immer passiert ist… es muss schlimm gewesen sein, wenn es geschafft hat, dich von Rude zu trennen…“, murmelte Barret, während er die Umgebung mit zusammengekniffenen Augen absuchte. Reno starrte ins Leere. Allmählich dämmerte ihm seine Situation.

„Rude…? Rude, wo bist du?“ begann er plötzlich zu rufen. Barret warf ihm einen Blick zu, gemischt aus Mitleid und Abscheu, dann ging er los. „He, wo läufst du hin?“ rief ihm ein verwirrter Reno nach. Barret winkte nur ärgerlich ab, ohne stehen zu bleiben oder sich umzudrehen. Renos Schuhe knirschten über den allgegenwärtigen Schutt, als er ihm nachlief.

„Rude… wo kann er nur hin sein“, murmelte Reno in sich hinein, während er neben Barret herlief. „Rufus hat doch… er hat doch gesagt, er holt uns zurück…“

Barret stoppte und wandte sich an denn verwirrten Turk.

„Hör auf mir nach zu laufen, verdammt!“ herrschte er ihn an. Reno starrte ihn nur ausdruckslos an. Als Barret schnaubend weiterging, folgte Reno ihm wieder.

„Sie haben gesagt, sie holen uns zurück… und dann bekommen wir einen freien Tag für die Überstunden!“ sagte er und begann zu lachen. Barret warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, denn es klang, als würde er allmählich den Verstand verlieren. „Wir beide, Rude und ich… sie haben uns doch nicht… im Stich gelassen!?“

Barret schüttelte den Kopf und spuckte geräuschvoll aus.

„Ihr wärt nicht die ersten, die Shinra verarscht hat.“

„Aber… aber… seit Jahren sind wir, ich meine… wir haben immer alles für Shinra getan! Und auch für die W.R.O.…“

„Leute wie Rufus geben einen Scheißdreck um ein paar Menschenleben, hast du das noch immer nicht kapiert?“

Reno schüttelte wirr den Kopf.

„Aber… aber… Rude, wo bist du!?“ begann er wieder zu rufen, und Barret bereute einen Moment lang, nicht gleich geschossen zu haben.
 

Gemeinsam schritten Rinoa und Selphie durch die Überreste einer wohl einst kolossalen Stadt. Wie Mahnmäler menschlicher Torheit ragten die verfallenen Gebäude in einen wolkenlosen Himmel. Oft waren nur noch die Stahlskelette der Bauten übrig. Zu den Füßen der einst stolzen Hochhäuser türmte sich der Schutt auf und versperrte die Sicht in das Innere der Bauten. Selphie streckte den Arm aus und zeigte auf etwas.

„Sieh dir maaal das an!“ rief sie. Rinoa folgte ihrem Zeigefinger und sah es ebenfalls. Im Zentrum dieser Stadt stand das höchste Gebäude von allen. Ein mehrere hunderte Meter langes Rohr ragte aus ihm heraus und zielte auf den Horizont. An mehreren Stellen stützten massive Träger das riesenhafte Ding. Es erinnerte es sie an eine gigantische Kanone.

„Was das wohl war…“, fragte Rinoa nachdenklich. Dann fuhr ihr Kopf herum. Die zwei Frauen warfen sich einen alarmierten Blick zu, dann folgten sie der Stimme, die sie eben gehört hatten.
 

„Das… das kann nicht sein, ich und Rude, wir waren doch immer zusammen…“, jammerte Reno vor sich hin. Schön langsam verlor Barret seine Geduld. Er packte den aufgelösten Turk am Kragen.

„Wenn du nicht gleich zu flennen aufhörst, dann- “ Er stoppte und drehte den Kopf zur Seite. Und zwar in Richtung der beiden Frauen, die am Ende der Straße standen. Langsam ließ er Renos Jackettkragen los.
 

„Wer sind die beiden?“ fragte Rinoa leise Selphie. Die junge SEED tastete nach ihrem Dreisegmentstab.

„Warte mal… der eine von beiiiden, der kleinere! Kannst du dich nicht mehr erinnern?“

„Der mit den roten Haaren?“ Selphie nickte eifrig.

Langsam gingen die beiden Frauen auf sie zu. Barret bewegte nervös seine mechanischen Finger. Reno stand nur neben ihm und schaute sich verwirrt um.

„He… dich kennen wir doch!“ riefen sie fast synchron. Reno tippte sich an die Brust. Dann blinzelte er perplex.

„Ach ja… ihr wart bei dem blonden Idioten, der uns verprügelt hat“, erwähnte er im Plauderton. Barret wandte sich aufgebracht zu ihm um.

„Du kennst diese Frauen??“ fragte er nervös. Reno nickte langsam, als ginge ihn das alles nichts an.

„Ja. Er war vorher mit uns in Nabudis.“

„Einen Moment mal“, unterbrach sie Barret und gestikulierte heftig. „Wollt ihr sagen, ihr wart auch in dem unterirdischen Kasten mit dem Riesenvieh??“

Selphie und Rinoa blickten sich einen Moment an, dann nickten sie gleichzeitig.
 

Jede der zwei Gruppen für sich erläuterte nun der anderen, was bis zu jenem Zeitpunkt ihnen wiederfahren war, wie sie in diese schreckliche Geschichte hineingeschlittert waren. Stück für Stück fügten sie das Puzzle zusammen, bis das Bild komplett war.
 

„Also…“, begann Rinoa vorsichtig, „eine Gestalt namens Gilgamesch hat unsere beiden Welten besucht und jemanden entführt. Ihr seid durch eine Firma namens Shinra, die ein entsprechendes Tor gebaut hat- “

„Sie heißt W.R.O.“, verbesserte sie Reno verzerrt grinsend. Rinoa warf ihm einen beunruhigten Blick zu.

„Der Haufen Arschlöcher heißt Shinra, und damit Basta“, walzte Barret über seine Meinung drüber. Reno beachtete das jedoch gar nicht, sondern fuhr mit seinem lautlosen Selbstgespräch weiter.

„Na gut… wie auch immer… diese Leute haben ein Tor gebaut, und durch das seid ihr durch gegangen, um diese Tifa zu finden.“

Barret ballte seine mechanische Faust und nickte energisch.

„Und wenn ich das richtig verstanden habe, dann war es bei euch ähnlich. Nur das euer Entführungsopfer Qualle heißt.“

„Er heißt Squall!“ berichtigte ihn Rinoa verärgert.

„T’schuldigung“, rülpste Barret.

„Aber was machen wir jeeetzt hier?“ fragte Selphie in die Runde.

„Ich weiß nicht, was ihr macht, aber ich fahre jetzt nach Edge-City“, sagte Barret klipp und klar.

„Aber… unsere Freunde… sie sind vielleicht hier irgendwo!“ gab Rinoa zu bedenken. Barret winkte ab.

„Hier droht ihnen keine Gefahr. Unser Spikey kann schon auf sich aufpassen, und bei deinem Freund Qualle- “

„Squall!!“

„Wie auch immer, der ist sicher auch kein Waschlappen. Aber in Edge warten zwei kleine Kinder auf mich, nach denen sehe ich jetzt, und damit Basta.“

Er wandte sich schon zu gehen, als Rinoa nochmals das Wort ergriff.

„Aber sollten wir sie nicht suchen?“

„Hier? In Midgar?“ Barret schnaubte amüsiert. „Kleine, du weißt nicht, wie groß diese Stadt ist. Wir könnten tagelang suchen, ohne sie zu finden. Wenn überhaupt, dann machen wir das mit meinem Hubschrauber. Der steht aber in Edge, und genau da fahre ich jetzt hin.“

„Was heißt hier ‚Ich‘? Du meinst wohl WIR“, erwiderte Rinoa und stützte selbstbewusst die Hände in die Hüften.
 

Und so führte Barret die beiden Frauen aus der Ruinenstadt Midgar heraus. Reno folgte ihnen in geringer Entfernung und murmelte Unverständliches vor sich hin. Von Zeit zu Zeit drehte sich Rinoa um.

„Was ist eigentlich mit ihm?“ fragte sie den dunkelhäutigen Mann. „Vorhin war er doch noch normal…“

„Ach, der. Seit er bei den Turks ist, hat er mit Rude zusammengearbeitet. Und jetzt, wo er weg ist, dreht er langsam durch. Musste ja so kommen.“

Rinoa nickte verstehend. Dann fiel ihr Blick wieder auf die zerstörten Häuser.

„Das alles hier… wie ist das passiert?“

Barret sah sie an und begann zu lachen- schnell erstarb sein Lachen aber wieder und wich einem ernsten Gesichtsausdruck.

„Das, Kleine, ist eine lange Geschichte.“

„Erstens sind wir eh noch ein Stück unterwegs“, entgegnete sie, „und zweitens heiße ich Rinoa und nicht Kleine.“

Barret grinste übers ganze Gesicht.

„Bist ‚ne toughe Lady. Das gefällt mir. Na gut, ich erzähl’s euch. Ist schon über zwei Jahre her… aber damals war das hier nicht so ein Sauhaufen, zumindest nicht ein so schlimmer. Jedenfalls wollte ich mit ein paar Kumpels ´nen Makoreaktor in die Luft sprengen, um eben diesen Shinra-Typen ans Bein zu pinkeln…“
 

Ihr Weg führte sie an verlassenen Ruinen, eingestürztem Gebäuden und anderen Überresten einer einst hochmodernen Stadt vorbei, bis sie durch ein Tor, dass sie durch eine ohnehin größtenteils eingestürzte Mauer führte, ins Freie kamen. In dieser Zeit erläuterte Barret die Geschichte von ‚Avalanche‘, von ihren Kampf gegen Shinra und schließlich Sephirot, der mit der Beinahe-Auslöschung von Midgar endete. Gebannt hörten sie zu, wie er mit Hilfe von vielen blumigen Metaphern wie ‚Scheiße‘ und ‚Arschlöcher‘ den Werdegang von ihm, Cloud, Tifa und den anderen beschrieb, wie das Schicksal ihre ehernen Bande zueinander geschmiedet hatte. Eben all die Ereignisse und Abenteuer, all die freudigen und auch schmerzhaften Erlebnisse, die sie zu dem gemacht hatten, was sie heute waren. Die zu jenem Tag führten, an dem diese Geschichte hier begann…

„So war das also… klingt sehr aufregend“, sagte Rinoa am Schluss, als er geendet hatte.

„Darauf kannst du einen lassen, Kle- ich meine, Rinoa.“

„Und dieser Sephirot ist sicher tot?“ fragte Selphie besorgt.

„Darauf kannst du ebenfalls einen lassen. Der alte Hurensohn ist mausetot. Brauchst nur unseren Spikey fragen, wenn wir ihn gefunden haben.“

In der Stimme des rauen, aber im Grunde warmherzigen Mannes schwang eine Zuversicht mit, die ihnen neuen Mut einflößte. Wenn sie ihm zuhörten, so schwanden alle trüben Gedanken, was ihre Zukunft oder das Schicksal ihrer Freunde betraf. Gut konnten sie sich vorstellen, dass er zu früheren Zeiten eine Gruppe von im Untergrund kämpfenden Ökoterroristen angeführt hatte. So ähnlich wie ich bei den Waldeulen, dachte Rinoa lächelnd. Aber wir hatten keinen so mächtigen Feind, erinnerte sie sich nachdenklich.

Sie marschierten eine Anhöhe hinauf, an deren Kamm eine Autobahn entlang führte. Kaputter Asphalt führte zu der Ruinenstadt, doch hier war die Straßenoberfläche in Ordnung. Nun sahen sie auch, wo sie hinführte. Zu einer Stadt in geringer Entfernung. Mitten auf der Autobahn standen mehrere Fahrzeuge herum.

„Das da vorne… ist daaas Edge-City?“ fragte Selphie arglos. Doch Barret schenkte ihr keine Beachtung, sondern lief auf die mitten auf der Autobahn stehenden Fahrzeuge zu.

„Hier stimmt was nicht“, grummelte er in sich hinein. Er warf einen Blick in die Fahrerkabine eines kleinen Lasters. Keine Spur von den Insassen. Überhaupt wirkten die Fahrzeuge, als hätte sie jemand wahllos mitten auf der Fahrbahn abgestellt und dann schleunigst verlassen. Bei allen standen die Türen offen, wie ihnen auffiel. Mit skeptischem Gesichtsausdruck klemmte sich Barret hinters Steuer. Sogar der Zündschlüssel war dort, wo er ihn vermutete. Brummend erwachte der Motor zu Leben.

„He, was ist daaas da!?“ rief Selphie und zeigte in Richtung der Stadt. Fliegende Kreaturen, weitaus größer als Vögel, kreisten über ihr, wie man mit zusammengekniffenen Augen ausmachen konnte. Auch stiegen mehrere Rauchfahnen aus der Stadt senkrecht empor. „Ist das nooormal?“

Barrets Augen weiteten sich.

„Nein, ist es verflucht noch mal nicht. Springt alle rauf, aber schnell!“

Rinoa und Selphie zwängten sich auf den Beifahrersitz neben Barret, während Reno auf der Ladefläche des kleinen, gelben Lasters Platz nahm. Und dann ließ Barret auch schon die Reifen quietschen.
 

Dank der bis auf wenige, ebenfalls verwaiste Fahrzeuge leeren Autobahn konnten sie mit Höchstgeschwindigkeit auf Edge-City zu rasen. Je näher sie kamen, desto deutlicher sahen sie, dass es keine Vögel, sondern fliegende Monster waren, die über der Stadt kreisten. Sie erkannten auch, dass die Rauchfahnen von Bränden stammen mussten. Schließlich erreichten sie die Stadt.

„Das darf doch nicht wahr sein…!“ stammelte Barret mit schreckensgeweiteten Augen. Es bot sich ihnen ein Bild des Schreckens.

Zerstörte Straßensperren. Brennende Autowracks. Und Leichen…

Barret schüttelte den Kopf und brachte nichts mehr außer tonlosen Flüchen heraus. Edge-City war ein Schlachtfeld, wie sie nun sahen. Irgendetwas musste mit Brachialgewalt über diese Stadt hereingebrochen sein, dem die Ordnungskräfte nicht Herr werden konnten. Sie alle erstarrten vor Entsetzen, als ihr kleiner Laster brennenden Barrikaden und toten Soldaten wie auch gewöhnliche Bürger ausweichen musste. Der Verkehr war zum Erliegen gekommen, und so raste Barret ohne jede Rücksicht auf Verkehrsregeln durch die verwüstete Stadt.

So weit sie auch in die Stadt vordrangen, es zeigte sich ihnen überall das gleiche Bild. Als wäre eine unerwartete Monsterschwemme über die Stadt hereingebrochen. Schließlich kam ihr Laster mit quietschenden Reifen vor einem Gebäude zum Stehen, an dem eine Tafel ‚zum 7.Himmel‘ verlautete. Barret sprang aus der Fahrerkabine und rannte durch die zerstörte Eingangstür. Rinoa, Selphie und auch Reno folgten ihm.

Fassungslos irrte er durch das verwüstete Lokal. Die Einrichtung war zertrümmert, doch das berührte ihn nicht. Immer wieder rief er „Denzel!! Marlene!! Cid!!“

Er folgte der Spur der Verwüstung und kam schließlich aufs Dach. Der Treppenaufgang war nur noch aus Trümmern, durch die er sich durchkämpfte. Als er das letze Bruchstück zur Seite gewuchtet hatte, sah er das Ausmaß des Schadens. Den Spuren nach musste das Dach bis vor kurzem gebrannt haben. Von hier oben sah er, dass die Verwüstungen die ganze Stadt betrafen. Und auch hier keine Spur von den Kindern.

„Neeeiiiin!!!“ brüllte er verzweifelt. Rinoa und Selphie betraten vorsichtig das verbrannte Dach und sahen das Chaos ringsum.
 

Rinoa und Selphie liefen zu Barret, der nun auf die Knie fiel. Wütend und außer sich vor Trauer und Verzweiflung schlug er mit seiner mechanischen Faust auf den verrußten Betonboden. Unverständliche Laute des Zorns verließen seinen Mund. Die beiden wollten ihm gerade hochhelfen, als er von selbst auf die Füße kam. Seine zu Schlitzen verengten Augen funkelten gefährlich. Die beiden Frauen blickten ihn eingeschüchtert an.

„Das… das alles ist die Schuld von diesem… Rufus!!“ Er spuckte diesen Namen förmlich aus. „Zuerst Sektor 7, und jetzt das… ich verdammter Idiot! Ich hätte ihm niemals trauen dürfen!!“ Dann stampfte er entschlossenen Schrittes an den beiden Frauen vorbei. Reno lugte vorsichtig zwischen den Trümmern des Treppenaufgangs hindurch. Er hatte alles mit angehört. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ging Barret vor Wut rauchend an ihm vorbei.

„Ich weiß, wie wir in das W.R.O.-Hauptgebäude reinkommen.“ Barret, eben noch in Fahrt wie ein unaufhaltsamer Güterzug, stoppte abrupt. Langsam drehte er sich zu dem Turk um. „Ich kenne alle Codes. Ich bringe uns rein“, sagte er und lachte dabei glucksend. Barret starrte ihn einen Moment lang ausdruckslos an, dann packte er ihn an der Schulter. Gemeinsam verließen sie das verwüstete Gebäude. Rinoa und Selphie folgten ihnen eilig.

Mit quietschenden Reifen und ohne jede Rücksicht auf Verluste raste der kleine gelbe Laster durch Edge-City. Reno saß auf der Ladefläche und pfiff ein lustiges Lied während ihrer Fahrt durch das apokalyptische Edge. Barrets Hände zerdrückten fast das Lenkrad. Aus seinem starren Blick leuchtete pure Entschlossenheit.

„Und was machen wir jetzt?“ fragte Rinoa vorsichtig.

„Diese verdammte Shinra-W.R.O.-was-auch-immer-Bande ausrotten, das machen wir“, erwiderte er finster knurrend. „Dieses miese Stück Scheiße von Rufus Shinra hat uns hindurch geschickt, und jetzt ist alles… verflucht!“ Wütend schlug er mit der Faust gegen das Armaturenbrett. Funken sprühten aus dem verbogenen Metall. Rinoa und Selphie hielten sich die Hände vor Augen in dem Moment. „Ich war so dumm, so verflucht dumm…“, fuhr er zähnefletschend fort. „Ich dachte tatsächlich, die hätten sich geändert… aber nichts hat sich geändert!!“ Immer wieder sahen sie Monster durch die Straßen streifen. Es waren schreckliche Kreaturen, schuppig wie Echsen und mit langen Klauen. Eines von ihnen lief ihnen direkt in den Weg. Barret hielt ungerührt drauf. Es krachte, und Überreste des Monsters flossen an der Windschutzscheibe herab. „Marlene… Denzel… wenn euch wirklich was passiert ist…“ Einen Moment lang bekam seine Stimme einen weinerlichen Klang, dann herrschte wieder purer Zorn in ihr. Abermals schlug er mit der Faust aufs Armaturenbrett. „In der Hölle wird er schmoren, dafür sorge ich!!!“ Vor einem hochaufragenden Wolkenkratzer kamen sie mit quietschenden Reifen zum Stehen.
 

Die Tür auf Barrets Seite flog knirschend aus den Angeln und rutschte funkensprühend über den Asphalt. Dann berührte sein Stiefel den Asphalt, und wenige Schritte später stand er vor der breiten Glastür, die in den Eingangsbereich des W.R.O.-Gebäudes führte. Reno und die zwei Frauen folgten ihm auf den Fuß. Der Turk zog eine Magnetkarte hervor und schob sie in einen Schlitz neben der Tür. Mit einem schrillen Piepen wurde sie wieder ausgeworfen. Er zog eine Augenbraue hoch.

„Seltsam… das haben sie geändert.“

Barret spuckte verächtlich aus. „Und wenn schon!!“ Dann entfaltete sich surrend seine Makokanone. Die anderen hatten nur wenige Sekunden um in Deckung zu gehen, dann hämmerte sie los. Glassplitter spritzten in alle Richtungen davon, während Barret brüllend die Tür zerschoss. Die anderen hoben gerade ihre Köpfe, als seine Schritte bereits durch Berge von Glas knirschten.

Die Eingangshalle, die von teurem Marmor dominiert wurde, war wie ausgestorben. Irritiert sahen sie sich um. Dann steuerte Reno einen der Aufzüge an. Die anderen folgten ihm. Auch dort versuchte er wieder seine Magnetkarte. Und tatsächlich öffneten sich die Türen.

„Bingo! Das galt also nur draußen, was für ein Glück“, lachte er mit einem Beiklang aufkeimenden Wahnsinns. Alle betraten den Aufzug. Surrend schlossen sich die Türen.

„Hey, Reno! In welchem Stockwerk finden wir das Miststück!?“ bellte Barret.

„In obersten natürlich. Im 65sten.“ Mit einem irren Grinsen tippte er die Zahl ein. Rinoa und Selphie warfen sich argwöhnische Blicke zu. Sie konnten nicht sagen, wer von beiden verrückter war im Moment. Fürs erste entschieden sie aber, bei ihnen zu bleiben.

Endlose Momente später, in denen sich nervtötende Fahrstuhlmusik mit Barrets unablässigen Knurren und Renos irrem Gekicher zu einer infernalischen Melodie vermischte, stoppte der Aufzug. Die Leuchtziffern zeigten die Zahl 63.

„Was zur Hölle…!“ fluchte Barret. Reno kratzte sich am Kopf.

„Hm… sie müssen meine Zugangsberechtigung reduziert haben…“

„Egal“, knurrte Barret und rannte aus dem Aufzug. Die anderen folgten ihm und sahen nicht, wie aufmerksame Überwachungskameras ihre Schritte beobachteten.
 

Barret rannte wie ein Irrer, blieb jedoch bald stehen. Er kannte sich hier drin nicht aus und musste wohl oder übel auf Reno warten.

„Wo geht’s hier zu den Treppen?“

Reno deutete auf eine von mehreren Glastüren, die in dem ganzen Korridor zu finden war. Es herrschte hier eine sterile Atmosphäre aus Marmor und Milchglaswänden, fast wie in einem Krankenhaus.

„Dort drin. Durch den Labortrakt kommt man ins Treppenhaus.“ Reno wollte schon loslaufen, als ihn Barret festhielt.

„Einen Moment noch. Eine Frage: warum hilfst du mir?“

Barrets vor Wut funkelnde Augen musterten den aufgelöst wirkenden Turk.

„Rude und ich… wir waren ein Team. Schon immer.“ Er lachte hilflos und traurig. „Er ist der einzige echte Freund, den ich jemals hatte…“ Mühsam unterdrückte er das Schluchzen. „Rufus hat uns auf diesen Auftrag geschickt… er hat gesagt, es wäre ganz leicht… und jetzt… jetzt ist Rude… er ist…“ Er schüttelte den Kopf, schloss die Augen und errang seine Fassung wieder. „Dafür wird er büßen. Wir haben seinem Vater gedient, und dann ihm… aber dafür… wird er büßen.“ Aus seinen letzten Worten quoll so viel Hass und Schmerz, dass selbst Barret verwundert die Augenbrauen hob. Dann nickte er langsam.

„Okay. Du bekommst deine Rache. WIR bekommen unsere Rache.“

Dann schritten sie Schulter an Schulter ihrem Ziel entgegen. Selphie und Rinoa folgten ihnen mit bangen Gesichtern.
 

In dem Labortrakt bot sich ihnen der selbe Anblick. Keine Menschenseele war zu sehen. Verlassene Schreibtische und Büros, soweit sie sehen konnten. Im Vorbeigehen registrierten sie einen riesigen, im Boden eingelassenen Lastenaufzug, der von massiven Stahlgittern umgeben war. Sie näherten sich der Rückwand des Großraumlabors. Eine Türe mit dem Symbol für ‚Notausgang‘ prangte dort. Darüber befand sich eine lange, gläserne Galerie, von der aus man das gesamte Labor überblicken konnte. Plötzlich tauchten dort oben zwei Personen hinter dem Glas auf. Sie alle blieben stehen. Barret hob wütend die Faust.

„Das darf doch nicht- Rufus!! Komm runter, du Stück Scheiße!!!“

Rinoa und Selphie sahen zwei Männer. Einer von ihnen trug einen komplett weißen Anzug und hatte blonde Haare, der andere war mit seinem Laborkittel und seiner zerstreuten Erscheinung eindeutig Wissenschaftler. Der Mann im weißen Anzug strahlte eine herablassende Arroganz aus, wie die beiden sie erst ein einziges Male erlebt hatten. Und zwar bei einem ‚guten‘ Bekannten von ihnen, der ebenfalls blondes Haar hatte…

„Sieh mal einer an. Damit habe ich nicht gerechnet“, schallte eine blecherne Stimme durch Lautsprecher in der Decke. Barret und Reno konnten sie aber eindeutig als die Stimme von Rufus Shinra identifizieren. Im nächsten Moment hoben sich dicke Stahlschotts aus dem Boden und blockierten den Eingang. Erschrocken wandten sie sich um.

„Was soll das“, rief Rinoa aufgeregt. Barret fackelte nicht lange. Surrend entfaltete sich seine Makokanone. Grell spiegelten sich die Schüsse auf dem Glas. Doch es hielt stand, und Rufus Shinra begann zu lachen. Bestürzt sah Barret, dass seine Waffe gegen das Panzerglas nichts ausrichtete.

„Dieses Labor ist besonders gut befestigt“, erklärte Rufus gutgelaunt klingend. „Und zwar aus einem bestimmten Grund.“ Ohne auf seine Ansprache zu hören liefen Barret und Reno los. Doch noch bevor sie den Notausgang erreichen konnten, schoben sich hier dieselben Stahlplatten vor die Tür. Wütend schlug Barret mit seiner mechanischen Faust dagegen. Das metallene Krachen hallte durch das Labor. „Hier finden nämlich Versuche mit den Kreaturen statt, die unter der Leitung des verehrten Professors Salvatori entstanden.“ Rufus deutete auf den Professor neben sich. Dieser wandte sich verlegen ab. Es war offensichtlich, wie unangenehm ihm seine Rolle in diesem Spiel war. Er vermied es, die Gefangenen direkt anzublicken.

„Rufus Shinra!!“ schrie nun Reno zu der Glasgalerie hinauf. „Sie… sie haben Rude auf dem Gewissen!“ Seine Stimme klang anklagend und auch verletzt. Doch der Erbe des Shinra-Konzerns hatte nur hämisches Lachen für einen seiner einst treuesten Untergebenen.

„Tja, Reno… manchmal sind Bauernopfer nötig. Bei der Gelegenheit möchte ich mich aber bei dir für deine langjährigen Dienste bedanken“, höhnte er. Reno platzte fast. „Das möchte ich nun tun… solange noch Gelegenheit dafür ist.“ Wieder lachte er vergnügt, und Salvatori neben ihm schien immer mehr zu schrumpfen angesichts des unwürdigen Schauspiels. „Professor…?“ Der Angesprochene reagierte fast widerwillig. Schließlich hantierte er auf eine Geste Rufus hin mit einer Fernbedienung.
 

„Was geschieht hiiier“, fragte Selphie verunsichert. Rinoa schüttelte den Kopf, während sie den vor Verachtung triefenden Ausführungen des ihnen fremden Mannes lauschte.

„Ich weiß es nicht. Aber- “ Neben ihnen erwachte der Lastenaufzug surrend zum Leben. Vibrationen waren unter ihren Füßen zu spüren. Etwas GROSSES kam nach oben. Rinoas Blick wurde zu einer Maske des Entsetzens. „Ich glaube, jetzt sind wir in Schwierigkeiten…“
 

„Komm runter, damit ich dir DAS hier in den Arsch schieben kann!!“ fluchte Barret. Voller ohnmächtiger Wut schwang er seine Makokanone gegen den so nahen, aber gleichzeitig auch unerreichbaren Feind. Rufus genoss diese Überlegenheit sichtlich.

„Darauf habe ich, um ehrlich zu sein, keine Lust. Apropos ehrlich…“ Rufus lachte leise in sich hinein, als er sich an die Geschehnisse betreffend einer Person namens Kadaj erinnerte. „Als ich damals sagte, es gäbe keine JENOVA-Zellen mehr, da habe ich wohl gelogen!“

Mit einer Mischung aus Verzweiflung und unbändiger Wut suchte Barret immer noch einen Weg aus ihrem Gefängnis. Doch alle Zugänge waren blockiert. Verwirrt horchte er auf bei diesen Worten.

„Hä!?“ bellte er und wandte sich wieder in Richtung Rufus.

„Das wäre ja zu schade gewesen, das vollständige Erbgut JENOVAS diesem Verrückten namens Kadaj zu übergeben. Ein paar haben wir aufbewahrt, und Professor Salvatori hat beeindruckende Arbeit geleistet. Nicht wahr, Professor?“

Die Plattform war nun fast oben. Salvatori, der noch immer kein Wort gesagt hatte, war es anzusehen, dass er lieber an jedem anderen Ort als hier gewesen wäre. Nun wandte auch Barret seine Aufmerksamkeit dem Lastenaufzug zu. Hinter massiven, fast säulenartigen Stäben pulsierte, schlängelte, rumorte… etwas. Barrets Augen wurden groß, als er das zischende und fauchende Wesen auf der Plattform sah. Rinoa und Selphie erstarrten vor Entsetzen.

„Darf ich vorstellen…“, frohlockte Rufus, und seine Stimme überschlug sich fast vor Vergnügen. „JENOVA-Ultima!!“ Triumphierend breitete er die Arme aus und grinste wie ein Wahnsinniger, als die dicken Stahlbarrieren im Boden verschwanden und den Blick freigaben auf das Ungeheuer. Es war fast so hoch wie der mehrere Stockwerke umfassende Raum. Dutzende Tentakel zuckten und schlugen nach allen Richtungen aus. Der in allen Rot- und Violetttönen schimmernde Körper war völlig verunstaltet und wucherte in alle Richtungen. Mit jedem Detail spottete diese Monstrosität den Formen der Natur.

Barrets Mund öffnete und schloss sich. Doch außer tonlosem Geflüster entwich ihm nichts. Ganz leise hörte man nur seine Worte: „Jenova…“ Schon mehrmals hatte er gegen dieses Monster außerirdischer Herkunft gekämpft, und immer war es ein Ringen mit dem Tod gewesen. Reno wich entsetzt zurück. Mit dem Rücken stieß er gegen die Stahlbarriere, die ihnen den Weg verschloss. Als er sich umwandte, sah er eine kleine Luke, eingelassen in das massive Metall. Ein kleiner Kartenschlitz war daneben zu erkennen. Alle Aufmerksamkeit ruhte auf dem gigantischen Monster, und so holte er seine Schlüsselkarte hervor.

„Wa-was ist daaas!!“ kreischte Selphie und klammerte sich an Rinoa fest. Diese brachte angesichts des scheußlichen Ungetüms keine Worte heraus. Zähnefletschend legte Barret mit seiner Makokanone an. Er schoss, bis die Läufe der hochentwickelten Waffe glühten, doch das schien das Monster nur noch wütender zu machen.

Wie ein Berg aus Fleisch und Tentakeln wucherte es in das Großraumlabor hinein und riss alles mit sich. Seine zahllosen Tentakel ergriffen alles, was sie zu fassen bekamen und warfen damit um sich. Schreibtische, Stühle, Schränke- alles wurde entweder unter der dahin kriechenden und unablässig mutierenden Masse verschluckt oder davon geschleudert. Mit Mühe wich Barret den umherfliegenden Trümmern aus und schoss unablässig. Etwas weiter hinten verschwand Reno in einer kleinen Luke, die sich hinter ihm sofort surrend schloss.

Rinoa und Selphie sprangen rechtzeitig auseinander, bevor ein Schrank genau in ihrer Mitte einschlug und krachend auseinanderbrach. Barret wich immer weiter vor der Monstrosität zurück, die bald das gesamte Labor auszufüllen drohte. Mit dem Mut der Verzweiflung schwang Selphie ihren Dreisegmentstab gegen das Ungeheuer, doch er prallte wirkungslos am pulsierenden, unverwundbaren Fleisch ab. Rinoa rammte ihre Armklingen in seine Oberfläche, doch auch dies zeigte keine Wirkung. Stattdessen erwischte sie ein Tentakelhieb, der sie quer durch den Raum schleuderte. Selphie schrie auf, als sie krachend gegen einen Wandschrank flog, der sie unter seinen Trümmern begrub. Dann wandte sich die Frau aus Trabia wieder JENOVA-Ultima zu, das nun mit seinen wuchernden und mutierenden Fleischmassen bald den gesamten Labortrakt ausfüllen würde.

An der Spitze des ansonsten undefinierbaren Körpers leuchtete ein grelles Licht auf. Lichtstrahlen schossen in alle Richtungen weg und bildeten einen Strahlenkranz um das Ungetüm. Barret und Selphie erstarrten; sie wussten, jetzt würde ein extrem starker Zauberspruch folgen.

Das gesamte Gebäude erzitterte. Alle Farben wurden umgekehrt. Weiß wurde zu schwarz, schwarz zu grellem Weiß. Dann durchfuhr ein Bombardement hochenergetischer Teilchen den gesamten Raum und röstete sie mit aggressiver Gammastrahlung. Ein Feuersturm alles verbrennender Magie durchflutete den Raum; die Wirkung des Spruches ‚Supernova‘…

Momente später war der verheerende Angriff wieder vorüber. Langsam und mit letzter Kraft kamen Selphie und Barret wieder auf die Beine. Geschwächt und entkräftet von der Wirkung des extrem starken Angriffszaubers hielten sie sich nur wankend auf den Beinen. Immer noch breitete sich JENOVA-Ultima in dem Raum aus und schien endlos zu wachsen.

Beide Kämpfer hielten sich nur mit äußerster Anstrengung auf den Beinen. Wieder erstrahlte der mit gewaltiger Zauberkraft erfüllte Teil des Ungeheuers. Eine weitere Attacke würde folgen, das wurde ihnen klar. Zu keiner Aktion, geschweige denn einem Angriff fähig, erwarteten sie das Ende… bis ES geschah.
 

Aus dem Boden unter Selphies Füßen wuchs eine durchsichtige, grün leuchtende Gestalt. Sie wurde größer und wuchs schließlich über Selphie hinaus. Wie eine Verlängerung ihres Körpers ragte sie über ihr auf. Es war ein Wesen mit putzigen, schwarzen Augen und einem leuchtend roten Rubin auf der Stirn, der heftig zu strahlen begann…
 

Wieder erzitterte der Boden unter ihren Füßen, und diesmal kam ein noch stärkerer Spruch. Alles wurde in ein fahles, glühendes Gelb getaucht, und Momente später waren sie nicht mehr im W.R.O.-Gebäude, sondern im Zentrum eines sterbenden Sterns. Superschwere Neutronenwolken hagelten in einem alles zerstörenden Gewitter auf sie nieder, als das Wesen den ‚Apokalypse‘-Spruch ausführte. Doch diesmal-
 

-wurde er reflektiert. Ohrenbetäubend heulte das aus JENOVA-Zellen entstandene Ungeheuer auf. Krämpfe schüttelten und durchzuckten seinen wuchernden Leib, als ihn die volle Wucht seines eigenen Zauberspruchs traf. Beißenden Gestank verströmend verbrannte sein Fleisch unter der harten Strahlung aus dem kollabierenden Kern des sterbenden Sterns. Schon begann es sich zurück zu ziehen, doch noch war es nicht besiegt. Barret hatte nicht mal mehr die Kraft, seinen Waffenarm zu heben- doch hinter ihm erschienen zwei durchsichtige Gestalten in der Form aufrecht gehender Stiere. Sie wandten ihre gehörnten Rindsköpfe zueinander und gaben sich mit erhobenen Hufdaumen das Okay-Zeichen. Dann schritten sie durch Barret hindurch auf das Monster zu und hoben ihre Streithämmer.

Vor dem Monster angekommen, begannen sie mit ihrem Schere-Stein-Papier-Spiel. Und wie immer verlor der Größere…
 

Die JENOVA-Mutation raste dem wolkenverhangenen Himmel entgegen. Der Boden unter ihr zersprang in tausend Trümmer, als Minotaur mit den Hörnern voran durch ihn hindurch raste. Krachend schlug JENOVA-Ultima wieder auf dem Boden der Tatsachen auf. Und dort wartete Secreto mit seinem Streithammer, den es mit Macht schwang…
 

Schrill stach das Gekreische der JENOVA-Mutation in ihren Ohren, als Secreto es heftig mit seinem Streithammer attackierte. Plötzlich ging die Stiergestalt mehrere Schritte rückwärts und blickte nach oben. Aus dem Nichts kam sein großer Bruder herabgestürzt. In einer Detonation aus Licht, Farben und Lärm traf es JENOVA-Ultima. Unkontrolliert zuckten die wenigen Tentakel, die weder verbrannt noch zerschmettert waren. Es wehrte sich mit aller Kraft gegen sein Schicksal, gegen seine Niederlage. Doch noch pulsierte die Kraft der außerirdischen Kalamität, Sephiroths ‚Mutter‘, durch seinen monströsen, mutierenden Leib. Die Brüder hatten ihre Energie verbraucht. Ihre Konturen wurden immer durchscheinender, bis sie schließlich verschwanden. Doch zuvor setzte das Ungetüm zu einer allerletzten Attacke an, die Barret und Selphie nicht überleben konnten…
 

Ächzend schob Rinoa die Trümmer beiseite und kroch aus den Überresten des Wandschranks, in den sie gedonnert war. Sie kämpfte sich auf die Beine- und erschrak. Alles um sie herum war mit einem Male dunkel. Nur vor ihr strahlte ein goldenes Licht. Ihre Augen weiteten sich, als sie das Geschöpf vor sich sah. Es glich einem Vogel, dessen Schwingen aus purem Gold zu bestehen schienen. Gelbe, goldene und purpurne Federn bildeten sein Federkleid. Noch nie hatte sie etwas Prächtigeres gesehen. Auch sein langer Schweif war mit goldenen und regenbogenfarbenen Federn besetzt. Der Vogel, der genauso groß wie Rinoa war, saß vor ihr auf dem Boden und bewegte langsam seine Flügel, die dabei in allen Farben schillerten. Rinoa trat näher. Sie musste ihre Augen mit der Hand beschirmen, so sehr blendete sie die goldene Aura dieses Wesens. In der Dunkelheit um sie herum konnte sie nur wenig erkennen. Das Labor war verwüstet, und ihre Freundin Selphie sowie der mysteriöse Schwarze mit dem Waffenarm standen in geringer Entfernung. Sie bewegten sich nicht; überhaupt schien alles wie erstarrt außer ihr und dem geheimnisvollen Vogel.

Es herrschte eine angenehme Leere in ihren Gedanken. Weder fragte sie sich, was mit den anderen passierte, noch wunderte sie sich über das Erscheinen dieses wundersamen Vogels. Es schien ihr alles… richtig zu sein, mehr nicht. Der goldene Vogel bewegte seinen Kopf hin und her, als würde er etwas suchen. Dabei gurrte er leise. Rinoa wollte seinen Kopf berühren, doch der golden leuchtende Vogel wich zurück.

„Ich tu dir nichts“, flüsterte Rinoa. Plötzlich erschallte eine Stimme, die von allen Seiten zugleich zu kommen schien.

„Dies ist für dich bestimmt…“

Erschrocken wandte sie sich um.

„Wer ist da?“ fragte sie unsicher. Doch niemand antwortete. Dann hörte sie ein gequältes Kreischen. Als sie sich wieder dem Vogel zuwandte, lag er regungslos auf dem Boden. Sein Glanz wurde schwächer, und bald würde sein Licht versiegen. Die Dunkelheit wich zurück, und allmählich drängte sich die Wirklichkeit wieder in ihr Bewusstsein. Eine Wirklichkeit, in der sie von der JENOVA-Mutation vernichtet werden würden, dämmerte es ihr undeutlich. Aus einem Impuls heraus griff sie in ihre Taschen und holte eine Phönixfeder hervor. Die Feder leuchtete auf, was Rinoa erstaunte. Das taten sie sonst nie, ging ihr durch den Kopf. Dann ließ sie sie fallen. Langsam sank die glühende Feder auf den leblosen Vogel herab. Ein Blitz blendete sie, als die Feder den Vogel berührte.
 

Durch die Zwischenräume ihrer Finger glühte das Licht noch hindurch, als sich der Vogel erhob. Er stieg empor und breitete seine Schwingen aus. Selbst noch durch ihre geschlossenen Lider nahm sie das überirdische Licht war, das er ausstrahlte. Als er heftig mit seinen Flügeln schlug, lösten sich zahllose goldene Federn und verwandelten den Raum in ein funkelndes Chaos. Als Rinoa die Hände vor ihren Augen senkte, sah sie den Vogel im Raum kreisen. Überall wo er entlang flog, senkte sich ein Nebel aus golden leuchtenden Partikeln herab. Ebenso auf Barret und Selphie. Langsam richteten sie sich auf, als neue Kräfte durch ihre ermatteten Glieder strömten. Dann flog der mysteriöse Phönix eine Schleife und steuerte direkt die JENOVA-Mutation an. Einen schrillen Ruf ausstoßend überzog der Vogel das Ungetüm mit einem Meer aus goldenen Flammen, das es endgültig verzehrte und zu einer schwärzlichen Masse verbrannte. Danach vollendete der Phönix die Schleife und flog direkt auf Rinoa zu, die ihr Gesicht mit Händen beschirmte-
 

„Was zum Teufel geschieht da!!“ schrie Rufus Shinra den Professor an. Dieser starrte ihn mit geweiteten Augen an und schüttelte den Kopf. „Sie sagten, diese JENOVA-Mutation wäre unbesiegbar!“

„Da-das dachte ich, ja…“, stammelte er. Rufus hatte die Vernichtung ihrer stärksten Biowaffe mit an gesehen und platzte nun fast vor Wut. Mit erhobener Faust drohte er dem Professor- als sich beide plötzlich in Richtung der einzigen Tür des Raums wandten. Dort lehnte jemand und klopfte sich mit einem Viehstab auf die Handfläche.

Salvatori erschrak zutiefst, aber Rufus reagierte geistesgegenwärtig. Er griff sich in sein weißes Jackett, um seine Schusswaffe hervorzuholen- doch Reno war schneller. Blitzschnell legte er die wenigen Schritte zurück und schlug seinem Boss- seinem ehemaligen Boss- die Waffe aus der Hand. Klappernd rutschte sie über den Boden. Der Professor schrie panisch auf, was ihm prompt einen Hieb mit dem Viehstab ins Gesicht einbrachte. Ächzend fiel er der Länge nach hin. Dann wandte sich Reno wieder seinem früheren Arbeitgeber zu. Dieser hob die Hände und lächelte.

„Aber Reno… tu nichts Unüberlegtes! Denk doch an unsere langjährige Zusammenar- “

Der Viehstab traf ihn im Gesicht. Stöhnend krachte er gegen die Glaswand hinter sich und sank zu Boden. Reno stand über ihm und fletschte die Zähne.

„Ich habe mir das sogar sehr gut überlegt, Herr Shinra!“

Die letzten beiden Worte spuckte er voller Verachtung aus. Rufus betastete die Platzwunde an seiner Stirn. Benommen betrachtete er seine blutverschmierte Hand.

„Aber… Reno…“, stöhnte er. Der Turk packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. Sein vor Wut verzerrtes Gesicht war der blutüberströmten Visage von Rufus nun ganz nahe. Er suchte nach passenden Worten, doch immer wieder zögerte er. Bis er zu sprechen begann.

„Wir… wir hätten alles für sie getan, verflucht! Ich und Rude… wir waren ein… ein Superteam…“ Reno kämpfte gegen die Rührung an, mit wenig Erfolg. Seine Stimme begann zu zittern. „Wir haben ihrem Vater die Treue geschworen, und dann ihnen… und so danken sie es uns? Hä??“ Wütend schüttelte er Rufus durch, der ihn mit trüben Augen ansah.

„Ihr beide… ts, was wisst ihr schon…“ Reno wollte etwas erwidern, doch es blieb ihm im Hals stecken. Immer noch hielt er ihn am Kragen, sonst wäre er wohl schon zu Boden gesunken. „Ihr wart nur… Figuren auf einem… Schachbrett“, murmelte er. „Ich habe euch benutzt… um ihn zufrieden zu stellen…“

„Was!? Was heißt das? Wieso wurden wir da durch geschickt? Wozu das Ganze?“ schrie Reno verzweifelt. Rufus begann zu lachen, was bei seinem blutüberströmten Gesicht sehr makaber aussah.

„Ihr wart nur… das chaotische Element… der unberechenbare Faktor… ich musste euch opfern, um… um…“

„Um was??“ schrie ihn Reno wieder an. Doch Rufus gab ihm keine Antwort, sondern lachte nur. Er lachte ihn aus, und Reno verlor jegliche Kontrolle.
 

Rinoa lief zu Barret und Selphie. Beide waren wohlauf und bei bester Gesundheit, was sie selbst erstaunte. Ratlos betrachteten sie die schwarze, stinkende Masse, die den größten Teil des Raums bedeckte. Als sie einen Schrei hörten, sahen sie zur Glasgalerie empor. Rufus stand dort mit dem Rücken zum Glas. Reno hielt ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Glaswand. Aus seinem Gesicht leuchteten Verzweiflung und Hass. Seine Züge waren verzerrt vor unbändiger Wut über den Verlust seines besten und vielleicht auch einzig wahren Freundes. Dann legte er seine Hände um Rufus‘ Kehle. Er wehrte sich verzweifelt, doch der vor Wut rasende Reno war letztendlich stärker. Den dreien blieb nichts anderen übrig als das schreckliche Schauspiel mit an zusehen. Die beiden Frauen wandten sich erschüttert ab. Barret lief zur Stahlbarriere und schlug wieder dagegen.

„Mach das Ding auf, verdammt! Hörst du mich nicht!?“

Doch Reno war in seiner Raserei nicht zu stoppen. Er ließ erst von Rufus ab, als dieser in seinem mörderischen Griff erschlaffte. Langsam ließ er den reglosen Körper zu Boden sinken. Der einst blütenweiße Anzug war nun blutbefleckt…
 

Mit zitternden Händen hob Reno die Fernbedienung auf. Momente später verschwanden die Stahlbarrieren surrend im Boden. Barret, Selphie und Rinoa liefen durch die Tür und zur Galerie hinauf. Dort fanden sie den bewusstlosen Professor, den leblosen Körper von Rufus Shinra- und Reno, der am Boden saß und weinte. Aus einem Impuls heraus trat Rinoa an ihn heran und ging neben ihm in die Hocke. Reno blickte sie mit tränennassem Gesicht an. Dann half sie ihm hoch. Sie nahm ihn in den Arm, ohne auf seine blutigen Hände zu achten. Er weinte sich an ihrer Schulter aus. Leise hörte sie seine Worte.

„Das bringt mir Rude auch nicht zurück…“, schluchzte er. Sie erwiderte nichts, sondern tröstete ihn nur mit ihrer Nähe. Selphie stand betreten daneben und legte dem verzweifelten Mann eine Hand auf die Schulter. Währenddessen trat Barret an Rufus‘ Körper und den immer noch bewusstlosen Professor heran. Auf dem Gesicht des früheren Shinra-Direktors schien eine Fratze der Überheblichkeit wie eingefroren. Schnaubend schüttelte er den Kopf.

„Großartig. Den können wir nichts mehr fragen.“ Er warf Reno einen vorwurfsvollen und auch ärgerlichen Blick zu. Dieser beruhigte sich allmählich und löste sich aus Rinoas Armen. Dankbar nickte er ihr zu, während er seine Fassung wiedergewann.

„Er hat es verdient“, sagte er und zog geräuschvoll durch die Nase auf.

„Klar. Das fällt dir nur zwei Jahre zu spät ein“, knurrte Barret. Wieder flammte Zorn in Renos Augen auf, und er ging auf Konfrontationskurs.

„Wegen ihm ist Rude- er hat ihn auf dem Gewissen!“ zischte Reno. Barret baute sich vor dem ebenso wütenden wie verzweifelten Mann auf.

„Ja, genauso wie meine Leute aus Sektor 7! Aber wir hätten ihm zumindest ein paar Fragen stellen können, verflucht!“

Nun gingen Rinoa und Selphie dazwischen und trennten die beiden Streithähne.

„Jetzt beruhigt euch gefälligst!“ beschwor Rinoa die beiden. „Wollt ihr euch vielleicht auch noch gegenseitig fertigmachen?“ Sie wollte noch mehr sagen, doch außer einem ernsten und auch enttäuschten Blick brachte sie nichts heraus. Barrets Miene entspannte sich etwas. Betreten wandte er sich wieder an Reno.

„Ich hatte mindestens so viel Grund ihn zu hassen wie du. Wenn wir aber herausfinden wollen, was mit den anderen ist, dann brauchen wir Antworten.“

Langsam begriff Reno die Reichweite seiner Tat. Bestürzung machte sich in seinem Gesicht breit, dann Resignation. Bedrückt blickte er zu Boden.

„Und was ist mit deeem?“ fragte Selphie und zeigte auf Salvatori, der langsam zu sich kam. Barret nickte langsam und ließ die Fingerknöchel seiner verbliebenen Hand knacken.
 

Als Salvatori die Augen aufschlug, stand die Welt Kopf. Oder eher er selbst? Er stöhnte, als wieder Leben in seine Glieder kam. Dann begriff er, dass er kopfüber an den Füßen aufgehängt hing. Ein raubtierartiges Brüllen machte ihn schlagartig wach.
 

„Wie gruselig…“, murmelte Rinoa bange, als sie in die Tiefe blickte. Renos Schlüsselkarte hatte ihnen den Zutritt zu einem weiteren Bereich des Labors verschafft. Hier waren in einzelnen Behältern die verschiedenen Resultate von Salvatoris Experimenten mit der Erbmasse von gewöhnlichen Monstern verwahrt. Die Behälter waren schachtartig in den Boden eingelassen. Und in einen dieser Behälter hing er nun- wenige Meter oberhalb einer abscheulichen Mutation mit mehr Zähnen, als es für natürlich entstandene Lebewesen angemessen gewesen wäre.

„He, was soll das??“ schrie er voller Panik. Als er nach oben blickte, sah er das Seil, an dem er baumelte sowie die Gesichter der vier Personen, die sich Zugang zum W.R.O.-Gebäude verschafft hatten.

„Wir stellen hier die Fragen“, knurrte Barret. „Deinen Chef können wir nichts mehr fragen, also bist du dran.“

„Holt mich hier raus!“ rief er verängstigt. Die Mutation unter ihm konnte zwar nicht besonders gut springen, war dafür aber umso hungriger.

„Sachte, sachte. Zuerst beantwortest du uns einige Fragen“, begann Barret. „Ist hier sonst noch jemand außer dir? Was ist überhaupt mit Edge-City passiert?“

„Das… das, äh…“ Salvatori stellte fest, dass es sehr schwer war sich zu konzentrieren, wenn man kopfüber in einem Monsterkäfig hing. „Es fing vor zwei Tagen an… es war schlimmer als wir befürchteten… die Stadt wurde evakuiert, wie auch die W.R.O….“

„Ihr habt es befürchtet?“ platzte es ungläubig aus Barret heraus. „Was habt ihr damit zu tun? Und sei ja ehrlich, sonst…“ Seine mechanische Hand umfasste das Seil, an den Salvatori baumelte.

„Nein! Nein!! Bitte nicht… ich sag alles, was ich weiß! Wir, wir… haben Signale aufgefangen, verschlüsselte Botschaften… sie kamen aus einer Paralleldimension… wir haben gelernt, damit zu kommunizieren, und haben nach den Anweisungen das Tor gebaut...“

„Hä? Mit wem habt ihr kommuniziert?“

„Das wissen wir nicht“, erwiderte Salvatori, in dessen Stimme Panik mitschwang. „Rufus war ganz begeistert davon, er versprach sich viel davon, u-und, dann…“

„Und was dann!?“ brummte Barret und rüttelte am Seil.

„Bitte nicht!! Es hat Rufus alles Mögliche versprochen… Macht und noch viel mehr… wir sollten nur verschiedene Maßnahmen setzen, u-um die Schranken zwischen den Dimensionen zu schwächen…“

„Also euch haben wir den ganzen Schlamassel zu verdanken“, knurrte Barret. Reno stand nur daneben und lauschte regungslos. „Was ist mit den anderen passiert? Wieso sind wir hier und sie nicht? Antworte!!“

„I-ich weiß es nicht, es sind schon so viel andere unvorhergesehene Sachen passiert… ich habe es Rufus gesagt, aber er wollte nicht hören… er dachte nur an die Versprechungen aus den Botschaften…“

„Was waren das für Botschaften genau?“

„E-es ging dabei um einen Übergang… es wollte hierher, u-und wenn wir das ermöglichen, da-dann hätte es mit uns sein Wissen geteilt…“

„Rufus der Mistkerl wollte also irgendein Freak aus einer anderen Welt hierherlassen, um mit ihm einen Deal zu machen?“ fragte Barret ärgerlich.

„J-ja, dafür war Rufus bereit, alles aufs Spiel zu setzen…“, jammerte der Professor. Barret schüttelte langsam den Kopf.

„Darum ging’s also nur… um noch mehr Macht für den Wahnsinnigen…“, murmelte er leise. Dann sprach er normal laut weiter. „Wie können wir unsere Leute zurückholen? Funktioniert euer Tor noch?“

Verzweifelt schüttelte Salvatori den Kopf.

„Nein, nein… es sind keine kontrollierten Reisen mehr möglich… die Dimensionsschranke ist schon viel zu instabil… ihr könnt es nicht mehr aufhalten, bald wird es abgeschlossen sein und nur mehr eine Dimension existieren…“

„Hä?? Ich versteh nur Bahnhof!“ bellte Barret.

„Die Welten werden verschmelzen… die Grenzen aufgehoben… schon sehr bald ist es soweit…“, klagte der verwirrte Mann am Seil in einem jammernden Singsang. Barret schnaubte verächtlich.

„Eure verdammten Experimente waren euch also wichtiger als die Leben von uns allen. Da weiß ich schon ein neues Experiment für dich, du Mistkerl!“ knurrte Barret finster. „Und zwar mit den Fressgewohnheiten deines Haustieres da unten!“ Er gab Reno ein Zeichen, und dieser zückte sein Klappmesser. Es blitzte auf im Licht der kalten Laborbeleuchtung. Salvatoris Augen wurden groß.

„N-nein, das könnt ihr nicht machen!! Neeeiiiin!!!“

Das Seil schnalzte nach unten, und Salvatori landete hart auf dem Boden. Barret und Reno wandten sich ab. Aus der Tiefe erklangen Schreie, danach nur noch geifernde und schmatzende Laute.

@

Rinoa und Selphie standen etwas abseits. Sie ahnten, was folgen würde und wollten nicht Zeuge von noch mehr Grausamkeit werden, auch wenn sie nachvollziehbar war. Zwar wussten sie nicht genau, welche Vergangenheit diese Männer verband, doch der tief sitzende Schmerz bei Barret und auch Reno war nicht zu übersehen. Es kam ihnen ungerecht vor; doch sie wussten nichts Näheres außer dem, was Barret ihnen zuvor erzählt hatte. Und so mischten sie sich in diese Vorgänge nicht ein.

„Saaag mal, Rinoa… hast du auch das gesehen, was ich gesehen haaabe?“

Aus den Gedanken gerissen blickte sie auf.

„Wie? Was meinst du?“

„Na, vorher… bei dem Kaaampf. Diese Wesen… die uns geholfen haben.“

Selphie machte ein bekümmertes Gesicht. Dann erinnerte sich Rinoa.

„Du meinst… ich weiß schon. Das war doch Karbunkel, oder?“

Selphies Gesicht hellte sich auf. Sie öffnete den Mund weit.

„Ja, genau!! Jetzt erinnere ich miiich wieder. Aber… was macht er hier?“ Ihr verwirrter Blick traf Rinoa. „Ich bin ihm in der Höhle begegnet. Wie ist das möööglich, Rinoa?“

Rinoa schüttelte langsam den Kopf und blickte unschlüssig in die Ferne.

„Ich weiß es nicht… vielleicht gibt es die ‚Guardian Forces‘ auch in anderen Welten. Hast du den Vogel gesehen? Ein Vogel, wie aus Gold?“

Selphie nickte eifrig.

„Ja, wer immer das war, er hat uns gereeettet. Er sah aus wie… wie Phönix, genau.“

„Phönix?“ Rinoas Blick drückte Verwirrung aus. Nur langsam gewann die Erkenntnis Oberhand. „Phönix… er ist jetzt in mir. Glaube ich zumindest.“

„Aber waruuum…?“ fragte Selphie zweifelnd. Dann fiel ihr Blick auf Barret und Reno, die auf sie zukamen. Rinoa drehte sich zu ihnen um.
 

„Seid ihr jetzt fertig?“ fragte Rinoa in einem nicht sonderlich freundlichen Ton. Barret nickte und wog seinen mechanischen Arm in der anderen Hand.

„Und ob. Diese Mistkäfer werden nie wieder jemanden etwas antun“, erwiderte er nicht ohne Genugtuung. Rinoas Blick wurde hart.

„Diese ‚Mistkäfer‘… waren Menschen“, sagte sie leise, aber eindringlich. Ein Anflug von Verwirrung überflog Barrets Gesicht. Dann ging er auf Rinoa zu und baute sich vor ihr auf. Die um einen guten Kopf kleinere Frau wich aber keinen Millimeter zurück.

„Diese… ‚Leute‘ hörten dann auf, für mich Menschen zu sein, als sie die ‚Scheibe‘ auf Sektor 7 haben fallen lassen. Und damit fast alle Menschen töteten, dir mir damals etwas bedeutet haben“, sprach der dunkelhäutige Mann ruhig, aber ernst. Hinter seinen betont gefassten Worten konnte man aber den Schmerz spüren. Rinoa hielt seinem eisigen Blick stand. Einige Augenblicke später wandte sich Barret von ihr ab. Mit dem Rücken zu ihr stand er da und atmete tief durch.

„Ich kann nur ahnen, was sie dir angetan haben“, begann Rinoa schließlich. „Aber ich weiß, wie es ist, Freunde zu verlieren.“

Barret wandte sich jäh um. „Was weißt du schon!?“ schrie er fast, und in seinen ernsten Augen standen Tränen, was alle erstaunte. Das hätten sie bei dem kraftstrotzenden Hünen als Letztes erwartet. Rinoa erwiderte traurig seinen Blick.

„Ich habe auch mal eine Gruppe von Rebellen angeführt… und eines Tages musste ich aus der Entfernung mit an sehen, wie… wie ein Mitglied hingerichtet wurde. Ich kann es nicht vergessen, egal wie viel Zeit vergeht.“

Barret schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen- schwieg dann aber doch. Lautlose Flüche ausstoßend wanderte sein Blick im Raum umher, als suche er Halt.

„Ich wollte dich nicht anschreien“, fing er leise zu erzählen an. „Aber…“ Fassungslos schüttelte der den Kopf und blickte zu Boden. „…sie haben mir alles genommen. Meine Heimatstadt Corel, meine Frau Myrna, meinen besten Freund Dyne… und jetzt auch noch Marlene und Denzel…“ Dann wich jede Schwäche aus seinen Zügen, und sie wurden wieder ernst. „Ich werde dafür sorgen, dass diese Leute sowas nie mehr jemanden antun können. Das habe ich geschworen, am Grab meiner Frau.“ Er ging los, in Richtung der breiten Glasfenster, von denen man aus Edge-City überblicken konnte. Dort blieb er stehen und lehnte sich gegen das Glas. Sein leerer Blick verlor sich in der Tiefe der Häuserschluchten unter ihm. Und so verbarg er seine Tränen vor den anderen.
 

Rinoa verschränkte die Arme und setzte ein betretenes Gesicht auf. Selphie legte ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter.

„Wie es aussieht, haben wir alle schon mal Freunde verloren“, begann Reno. Überrascht blickten die beiden Frauen ihn an. „Ist schon traurig... vor allem, wenn man nur einen hatte“, sagte er bitter lächelnd und zuckte mit den Schultern. Selphie hatte genug von all den bekümmernden Ereignissen und beschloss, ihn aufzumuntern.

„Ach was, du bist doooch kein schlechter Kerl“, begann sie fröhlich und klopfte ihm auf die Schulter.

„Findest du?“ fragte er vorsichtig.

„Klar, äh… ich kenne dich zwar noch niiicht wirklich, aber sicher hast auch du Seiten, die die Menschen um dich herum mögen“, sagte sie im Brustton der Überzeugung. Reno hob eine Augenbraue.

„Na ja, als Turk hat man halt nicht viele Freunde.“

Selphies Gesicht wurde ein Fragezeichen.

„Was ist ein Tuuurk?“

„Ein Turk? Na ja, das ist jemand der im Auftrag von Shinra, oder eben jetzt der W.R.O. Leute, die nicht parieren wollen einschüchtert oder verprügelt. Oder beides.“

Die junge Frau aus Trabia nickte langsam und machte ein skeptisches Gesicht.

„Aha. Jedenfalls… du findest sicher noch mehr Freunde in deinem Leeeben. Nur mit dem Verprügeln solltest du viiielleicht aufhören.“

Reno hob ratlos die Schultern.

„Aber das ist mein Beruf, ich hab doch nichts anderes gelernt…“

Seufzend verdrehte Selphie die Augen.
 

Barret wischte sich das Gesicht ab, als er Rinoa von hinten sich nähern hörte. Dann erst drehte er sich um.

„Ich wollte nicht, dass- “

Er unterbrach sie mit einer abwinkenden Geste.

„Ist schon okay. Du hast nicht ganz unrecht. Manchmal glaube ich, dass meine Rachsucht alles kaputt macht… alles, wofür meine Freunde gestorben sind. Schadet mir nicht, wenn mich manchmal jemand runterholt von meinem Trip“, sagte er, und ein vorsichtiges Lächeln zeigte sich auf seinem verhärmten Gesicht. Rinoa erwiderte es voller Zuversicht- dann wurden ihre Augen groß. Entsetzen kroch über ihre Züge, und Barret drehte sich schlagartig um. Sein Unterkiefer klappte herab.

„Verflucht, was- “

Nun stürmten auch Selphie und Reno heran und sahen es ebenfalls.
 

In der Ferne, über dem Meer, begann es. Eine Wand aus rotem Licht senkte sich vom Himmel herab und zerriss dabei die trüben Wolken, die über der aufgewühlten See hingen. Sie schoss hinab und traf die Wasseroberfläche. Nach allen Richtungen breitete sie sich aus, sie konnten nicht erkennen, wie weit. Wie ein waberndes Nordlicht, wie ein Vorhang aus flüssigem Feuer hing es herab und teilte das Meer. Dahinter war nichts mehr erkennbar. Fassungslos stemmten sie sich gegen die Glasfront und sahen mit an, wie die kilometerhohe Mauer aus pulsierender Röte näher kam. Das Meer schien an der Stelle zu verschwinden, wo es darüber hinweg zog. Wie eine Feuerwalze raste es auf die Küste vor Midgar und Edge-City zu. Schon tauchte das Phänomen den gesamten Landstrich in fahles, rotes Licht. Die Ebene um die beiden Städte verwandelte sich in einen Vorhof der Hölle. Niemand brachte ein Wort hervor, als das Phänomen schließlich langsamer wurde und wenige Kilometer vor Edge-City stoppte. Bedrohlich und warnend waberte der Vorhang aus roter Glut vor der Stadt. Er schien bis in das Weltall hinaus zu reichen und entspannte sich weiter, als ihre Augen erkennen konnten. Und hinter seiner Oberfläche, die sich wie brennendes Wasser kräuselte, sahen sie nicht das, was jeder gesunde Menschenverstand angenommen hätte. Nicht das Land, über das die senkrechte Wand aus rotem Licht hinweg gerollt war. Sondern-
 


 

Eine andere Welt.

C-8

Ein neues Kapitel ist fertig, und es ist das längste und spektakulärste bislang- hoffe, es gefällt euch ;-) Und gewidmet ist es dem ehrenwerten Mazaru, der die Identität von Xells mysteriösem Gegner aufgedeckt hat. Applaus für ihn! Und euch allen natürlich viel Spaß mit diesem Kapitel. Hier verfolgen wir den weiteren Weg der SEEDs und ihrer Gäste…
 


 


 

„Lass mich los“, zischte er ihn an. „Ich bringe das Schwein jetzt um, endgültig!!“

In Vincents Augen lagen Ruhe und auch Traurigkeit, während sein eiserner Griff Cloud davon abhielt, Sephirot die Klinge in die Brust zu rammen.

„Nein, tu das nicht… Er ist mein Sohn. Und… er weiß nichts von alldem.“

„Was?? Was redest du da!?“ stieß Cloud wütend hervor.

„Ich weiß nicht, wie das möglich war… aber… er hat nach Zack gefragt. Er hat gefragt, ‚wo ist Zack?‘ “

Clouds Blick wanderte zurück zu Sephirot, der ihn fassungslos anstarrte. Sein Blick… war menschlich, wie er sich eingestehen musste. Cloud wich zurück, und Sephirot stand auf. Ratlos blickten sich die beiden an.
 

Er musste seinen Hut festhalten. Der trockene Wüstenwind riss ihn ihm zeitweise fast vom Kopf, während er in die Ferne spähte. In seinem Kopf herrschte Klarheit. Es gab Fragen zu beantworten.

Wo sind wir?

Wie kommen wir hier wieder weg?

Nichts sonst störte seine klaren Gedankengänge. Weder das unbekannte Schicksal von Rinoa und den anderen, noch das mysteriöse Wesen, das sie in den Ruinen von Nabudis in eine Falle gelockt hatte. Fürs Erste waren sie in Sicherheit. Auch wenn er die Menschen nicht kannte, mit denen es ihn hierher verschlagen hatte, so waren sie zumindest nicht feindselig eingestellt. Noch wusste er nicht, welch seltsames Schicksal diese Leute ebenfalls in die Katakomben verschlagen hatte, in die ihre Spur ihn und die anderen geführt hatte. Doch diese Fragen hatten Zeit. Sein über die Jahre seiner Tätigkeit als Scharfschütze geschärfter Verstand musste jetzt die Orientierung herstellen.

Seine Umgebung kam ihm bekannt vor. Es war eine Steinwüste, bedeckt von braunrotem Sand. Im Dunst des Horizonts zeichnete sich etwas ab. Er kniff seine geübten Augen zusammen, bis er es erkannte.

„Das gibt’s doch nicht“, murmelte er. Dann erschrak er fast, als eine Person neben ihm auftauchte und seine Konzentration störte. Es war die junge Frau, die hier ebenso wie er aus dem Nichts aufgetaucht war. Sie hatte kurzes, schwarzes Haar. Ihre Kleidung bestand aus einem schwarz-weiß geblümten Top, einer schwarzen Weste und kniehohen Tennisschuhen. Sie hatte etwas burschikoses, war aber trotzdem ziemlich hübsch, wie er befand.

„Wissen sie, wo wir hier sind?“ fragte sie vorsichtig. Irvine Kinneas lächelte sie vertrauenerweckend an.

„Nicht so förmlich. Mein Name ist Irvine Kinneas, aber für dich natürlich Irvine.“

Zaghaft erwiderte sie sein Lächeln.

„Gut… ich heiße Yuffie. Yuffie Kisaragi.“

Er deutete eine Verneigung an.

„Yuffie… ein schöner Name.“ Dann wandte er sich wieder der trostlosen, einförmigen Landschaft um sie herum zu. „Nun, wenn mich nicht alles täuscht, dann sind wir hier in meiner Heimatwelt. Das da vorne“, er deutete Richtung Horizont, „sollten die Centra-Ruinen sein.“ Seufzend schob er sich seinen Hut über die Stirn. „In eurer Welt sind wir jedenfalls nicht mehr.“

„Das waren wir vorher auch nicht“, erklärte Yuffie nachdenklich. Irvine horchte auf. „Wir sind durch ein Tor in diese Welt gekommen. In die Vorherige, meine ich. Wir haben jemanden gesucht…“

Irvine blickte sie befremdet von der Seite an.

„Im Ernst? Ihr wart nicht von dort?“

Yuffie schüttelte den Kopf.

„Nein. Tifa, eine gute Freundin von uns, wurde entführt. Die Leute von der W.R.O. sagten, sie wäre dort.“

Dem Scharfschützen und Chocobo-Cowboy klappte der Unterkiefer herab. Dann entschied er das ebenfalls unter ‚später zu klärende Fragen‘ einzuordnen.

„Okay… und das da sind deine Freunde?“ fragte er und deutete auf die anderen. „Ihr scheint euch zu kennen.“

Yuffies Gesicht verdunkelte sich.

„Ja, bis auf den einen da.“

Sie deutete in Richtung Sephiroth, der immer noch verwirrt in der Gegend herumstand.

„Der Typ mit den langen Haaren und der Ledermontur?“

„Ja“, erwiderte Yuffie leise, aber zornig. Dabei ballte sie die Fäuste.

„Hm…“ Irvine registrierte dies und hob eine Augenbraue. „Was hat er denn auf dem Kerbholz?“

Das Mädchen aus Wutai blickte ihn finster an.

„Er ist ein Mörder“, knurrte sie und ging dann zu den anderen. Irvine griff sich an den Hut. Irritiert schaute er ihr nach und versicherte sich dann, dass er beide Waffen griffbereit hatte.
 

Wenn Blicke töten könnten… Cloud starrte Sephiroth an. Aus seinen Augen sprach Hass, aber auch Unverständnis. Sephiroth, dessen Gesicht so anders war, als sie es von ihren letzten Konfrontationen in Erinnerung hatten, erwiderte ihn verwirrt.

„Wo bin ich hier? Und wo ist Zack?“ fragte er mit einem drängenden, fast flehenden Unterton. Vincent wollte etwas erwidern, doch Cloud kam ihm zuvor.

„Zack? Der ist tot, verdammt“, brummte Cloud und spuckte in den Sand. Sephiroths Miene wurde noch verwirrter.

„Was?? Das kann nicht sein. Wir…“ Er entsann sich seiner letzten Erinnerung. „Wir waren auf dem Weg nach Nibelheim. Angeblich gab es dort Probleme im Makoreaktor. Wir… sollten das klären, das war unser Auftrag“, sagte er und nickte langsam, wie um seine Worte zu bekräftigen.

„Bullshit“, bellte Cloud. „Das ist alles längst vorbei. Du warst schon dort. Du hast deine Herkunft entdeckt, hast dann Nibelheim dem Erdboden gleich gemacht. Zack ist geflohen und wurde von Shinra-Truppen ermordet. Und so weiter, und so weiter…“ Fassungslos lachend wandte er sich ab und schüttelte den Kopf. Ziellos ging er ein paar Schritte und blieb dann stehen. Sephiroths Blick wanderte zu Vincent.

„Was ist das für ein Unsinn? Wer seid ihr überhaupt?“

Vincent verschränkte die Arme, senkte den Blick und begann zu erzählen.

„Nun, aus deiner Sicht… ist Cloud ein früherer Shinra-Soldat. Du bist ihm vielleicht schon begegnet. Er war ein Freund von Zacharias Fair, deinem Kollegen bei S.O.L.D.A.T. Und ich bin ein früherer Turk, wurde aber… gekündigt. Yuffie ist eine freiberufliche Ninjutsu-Meisterin aus Wutai, und den Typen mit dem Cowboyhut kenne ich nicht.“

Sephiroth nickte langsam und machte ein Gesicht, als hätte jemand versucht, ihm eine Wundererbse zu verkaufen.

„Alles klar… Du sagtest, du bist mein Vater. Was ist das wieder für eine Geschichte?“

Vincent schloss die Augen, als der Schmerz der Erinnerung in ihm hochstieg.

„Deine Mutter, Lucrezia Crescent… wir hatten etwas miteinander, damals- “

„Das ist lächerlich! Du bist kaum älter als ich, du kannst unmöglich mein Vater sein!“

„Ich habe dreißig Jahre in einem Sarg im Gefrierschlaf verbracht. In der Shinra-Villa in Nibelheim.“

Sephiroth lachte und breitete die Arme aus.

„Klar! Und ich bin Ramuh, Gott der Blitze!“ Dann wurde er wieder ernst. „Was immer ihr mit mir angestellt habt, ich werde es Shinra berichten. Und dann werdet ihr euch nirgends mehr auf dieser Welt sicher fühlen können!“

„Erstens gibt es Shinra nicht mehr“, erklärte Vincent seufzend, „und zweitens sind wir nicht mehr in unserer Welt.“

„Tatsächlich?“ fragte Sephiroth und hob die Augenbrauen. „Und was ist das hier sonst? Vielleicht ein Traum oder was?“ Er begann wütend zu gestikulieren, und seine weißgrauen Haare wallten dabei. „Wenn es ein Traum ist…“ Seine Züge verdunkelten sich, und er zog sein überlanges Masamune. „…dann kann ich ja einfach…!“ Er stürmte los, direkt auf Cloud zu, der immer noch mit dem Rücken zu ihnen stand. Niemand konnte reagieren. Schnell wie ein tödlicher Blitz schwang er die schlanke Klinge. Kurz bevor sie Cloud getroffen hätte- brach er zusammen.

Ein Würgen ging durch seinen Körper, das ihm jegliche Kraft raubte. Klirrend fiel sein Masamune zu Boden. Seine langen, weißgrauen Haare berührten den Sand, als er vornübergebeugt kniete und nach Luft rang. Als sein Blick auf seine zitternde Hand fiel, sah er ihre Konturen durchsichtig werden. Einen Moment lang verschwanden sie fast, bevor sie sich wieder verdichteten.

Cloud drehte sich um und sah ihn auf dem Boden knien. Alle Blicke ruhten auf dem Mann, dessen Umrisse für einen Moment durchscheinend wurden. Dann normalisierten sie sich wieder, und er stand langsam auf.
 

Mittlerweile hatten sie sich in Bewegung gesetzt. Irvine Kinneas führte sie an in die Richtung, in der er die Centra-Ruinen erblickt hatte. Nachdem dies ihr einziger Bezugspunkt in der endlosen Wüste des Centra-Kontinents war, wählten sie ihn als ihr Ziel.

Irvine, der mit dem Vorfall von vorhin eine weitere ungelöste Frage an den Rand seines Bewusstseins schob, ging neben Yuffie. Die Kargheit der Umgebung und die verstörenden Ereignisse der letzten Zeit bedrückten sie. Um sich davon abzulenken, verwickelte sie den Scharfschützen des Galbadia-Garden in ein Gespräch.

„Eure Welt hier… die sieht aber nicht überall so aus, oder?“

Irvine schüttelte lachend den Kopf.

„Nein, zum Glück nicht. Ist schon seltsam, dass wir gerade im ödesten Teil gelandet sind. Hier ist es ja noch öder als bei den Salzseen in Esthar…“, meinte er nachdenklich. Den Centra-Kontinent hatte er bis jetzt nur von Flugschiffen aus gesehen, von ihrem Abstecher zu Edeas Waisenhaus und den Geschehnissen nach der Zeitkompression, mal abgesehen.

„Esthar? Wo ist das schon wieder?“ fragte sie neugierig.

„Das ist einer der drei Kontinente unserer Welt“, erklärte er geduldig. Seine Waffe, den Exeter, trug er locker vor der Brust. Nicht nur wegen der hier vorkommenden Gegner, auch wegen dem Mann mit den langen, weißgrauen Haaren. Etwas stimmte nicht mit ihm, von den verwirrenden Geschichten der anderen Mal abgesehen. Vorhin hätte er sich fast in Luft aufgelöst, und auch als Ganzes kam er ihm verdächtig vor. Irvine konnte nicht genau sagen was, auf jeden Fall riet sein Instinkt ihn zu Vorsicht.

„Und was machen wir dann?“ fragte Yuffie und riss ihn aus seinen Gedanken. Er hob seinen Blick, der eben noch an seinen staubigen Stiefeln gehaftet hatte, unter denen Steine und Sand knirschten.

„Von dort aus sollten wir das Haus einer guten Bekannten von mir sehen. Ich weiß nicht, in welcher Richtung es liegt…“ Verdrossen blinzelte er zum Himmel. Trüber Dunst hüllte die Sonne ein, die hoch am Firmament stand. Himmelsrichtung ließ sich keine davon ableiten. „Aber von dort aus sollten wir es erkennen.“

„Diese Bekannte… erzähl mir von ihr“, verlangte sie lächelnd. Irvine begann das Gespräch mit dem aufgeweckten Mädchen zu genießen. Es lenkte ihm von all den Problemen ab und weckte auch ein bisschen den Schürzenjäger in ihm, den ihm selbst seine Angetraute nicht hatte hundertprozentig austreiben können.

„Sie heißt Edea und betreibt ein Waisenhaus dort“, erklärte er. Die Ruinen, die in erster Linie aus einem hohen Turm bestanden, der sich von verwitterten Mauerresten umgeben sah, kamen nur langsam näher. „Ich bin dort aufgewachsen, musst du wissen. Sie ist immer noch wie eine Mutter für mich…“, begann er zu erzählen.
 

„Ich habe eine Theorie“, sagte Vincent nach einer Weile und durchbrach damit die Stille. Cloud, der neben ihm durch diese sich nach allen Richtungen erstreckende Steinwüste ging, antwortete ohne den Blick von dem vor ihnen gehenden Sephiroth zu nehmen.

„Nur raus damit.“

„In den Ruinen… als dieses Monstrum auftauchte. Habe ich richtig gesehen, dass er direkt aus ihm herauskam?“

Cloud blickte ihn fragend an.

„Ja… was sollte das bedeuten?“

„Was immer das war… es hatte große Macht. Und Sephiroth ist tot, wie wir alle wissen. Wenn er nur ein Geist, ein Phantom ist?“

„Hm…“ Nachdenklich blickte Cloud wieder auf den vor ihnen dahin trottenden Sephiroth. Nach dem rätselhaften Ereignis hatte er kein Wort mehr gesprochen und war nur noch ohne eine Miene zu verziehen ihnen gefolgt. „Nach all den verrückten Sachen, die uns schon passiert sind… will ich das auch nicht ausschließen. Könnte schon sein.“

„Er hat versucht, dich zu töten… aber er konnte nicht. Als würde ihn etwas daran hindern.“

Wie so oft stoppte Vincent mitten im Kontext. Nach einer Weile blickte ihn Cloud fragend an.

„Und was kann das bedeuten, deiner Meinung nach?“

Vincent Valentine atmete tief durch und senkte den Blick zu Boden.

„Erinnerungen können sehr mächtig sein…“

Clouds ungeduldiger Blick lastete immer noch auf ihm.

„Worauf willst du hinaus?“

Mit seinen dunkelroten Augen erwiderte er seinen Blick, und fast lächelte er dabei.

„Alte Männer wie ich wollen auf gar nichts mehr hinaus. Wenn es sein soll, werden wir es herausfinden.“

„Danke, aber so genau wollte ich es gar nicht wissen“, schnaubte Cloud verdrossen. „Egal…“ Wieder traf sein Blick den abwesend wirkenden Sephiroth, und dann den Turm. Er schien der letzte gut erhaltene Rest der Ruinen zu sein. Wie ein Zeugnis vergangener Zeiten schälte er sich aus dem rötlichen Dunst, der das Land überzog.
 

Er hielt seine Gunblade ausgestreckt von sich, so wie er es immer getan hatte. Langsam und konzentriert ging sein Atem. Beide Füße standen fest am Boden wie Steinsäulen. Seine Knie bewegten sich ganz leicht auf und ab, während er über Kimme und Korn seiner Waffe blickte. Die zu dicken Bündeln zusammengerollten Strohmatten, die um ihn herum im Hof des Balamb-Garden verteilt standen, entschwanden aus seinem Bewusstsein. Er musste sich eingestehen, dass er eingerostet war. Zu lange hatte er seine Zeit in Kneipen und Spelunken verbracht, um seine Wunden zu lecken. Doch nun hatte er ein neues Ziel, und es erfüllte ihn mit Leben.

Seine Stiefel tanzten förmlich über den gewalzten Sandboden und zogen Schwaden von Staub hinter sich her. In seiner Hand erwachte Hyperion, seine Gunblade, zu Leben. Kreise und Bögen aus grünem Licht in der Luft hinterlassend, surrte sie, aberwitzige Manöver beschreibend, nach allen Richtungen. Immer wieder bremste er hart ab und schob mit den Stiefelsohlen den harten Boden zusammen, wenn er wieder die Richtung wechselte. Neues Leben durchströmte ihn, und es war so erquickend! Imaginäre Feindesscharen erstanden vor ihm, und er tanzte und schlug durch ihre Reihen wie ein entflammter Derwisch. Bis er… in der Mitte wieder zur Ruhe kam und Hyperion langsam senkte.
 

Einen tiefen Atemzug später sanken sämtliche Mattenbündel in etliche Teile zerschnitten zu Boden. Voller Genugtuung stützte er sich auf seine Waffe. Oh ja, ich bin zurück… dachte er verschmitzt. Bis sich jemand von hinten näherte.

„Na, wenn das nicht die stets perfekte Quistis Trepe ist“, sagte er vergnügt, ohne sich umzudrehen. Die Schritte kamen zu Halt.

„Wie wusstest du es?“ fragte die blonde Frau mit der Brille und der SEED-Uniform. Cifer Almasy lachte leise in sich hinein.

„Es ist die Unsicherheit in deinen Schritten. Darüber können auch deine schweren Stiefel nicht hinwegtäuschen.“ Er wandte sich zu ihr um und legte sich die Gunblade über die Schulter. Mit einer Mischung aus Arroganz und Charme blickte er sie an. Quistis räusperte sich und nahm sich zusammen. Er ist nicht mehr dein Schüler, sagte sie zu sich selbst, und du bist nicht mehr seine Ausbilderin. Wenngleich sie sich eingestehen musste, dass sie ihn schon immer auf eine verstörende Weise attraktiv gefunden hatte.

„Wie kommst du darauf?“ fragte sie betont selbstsicher.

„Na ja…“, begann Cifer und fing damit an, vor ihr auf und ab zu gehen. „Nach außen hin gibst du dich stark und selbstbewusst. Aber in deinem Inneren hast du nie überwunden, dass Squall Rinoa erwählt hat und nicht dich.“

Die letzten Worte stachen sie in der Seele, doch sie fasste den festen Entschluss, sich nichts anmerken zu lassen.

„Na und? Er liebt eben sie und nicht mich.“

Der bitterliche Geschmack dieser Worte wurde ihr erst nach dem Aussprechen so richtig bewusst. Verzweifelt rang sie um ihre mühsam aufrecht erhaltene Fassade. Cifer lachte leise.

„Klar, das stört dich gar nicht… genau das ist deine Schwäche, Quistis. Du lässt dich auf andere Leute ein. Und damit wirst du angreifbar.“

Nun hatte er eine Grenze überschritten. Quistis kam mit energischen Schritten auf ihn zu und baute sich dicht vor ihm auf. Unwillkürlich wich er einen halben Schritt zurück.

„Ich kann das wenigstens. Im Gegensatz zu dir. Deine letzten Freunde, Fu-jin und Rai-jin… bis in die Hölle wären sie dir gefolgt. Aber auch sie hast du vertrieben“, zischte sie ihn an. Ihre Gesichter kamen sich sehr nahe, und Cifer hatte Mühe, seine überlegen wirkende Miene aufrecht zu erhalten.

„Pah… diese Schwächlinge. Ich brauche sie nicht.“ Er kam ihr noch näher und sah seine eigene Spiegelung auf ihren Gläsern und auch in ihren eisblauen Iriden. „Ich brauche niemanden“, sagte er ihr voll Herablassung ins Gesicht. Dann wich er wieder zurück. Quistis rührte sich nicht. Allmählich bröckelte Cifers Fassade, und es wurde ihm unbehaglich zumute.

„Natürlich. Herr Cifer braucht niemanden, klar“, begann sie in einem leisen, scharfen Tonfall. „Du brauchst auch uns nicht. Denn ohne uns würdest du ja nur als Säufer enden, der den guten alten Zeiten nachtrauert. Und der ewig bedauert, von seinem großen Rivalen besiegt worden zu sein.“ Cifers gekünstelte Miene wurde durchlässig. Unbehaglich wechselte sein Blick zwischen ihren Augen. „Es mag sein, dass ich es nicht überwunden habe, dass Squall- “ Sie hielt Inne. Dann blinzelte sie, und ihr Tonfall wurde etwas sanfter, fast traurig. „Ich liebe ihn immer noch, auch wenn er mich nie lieben wird. Aber ich werde alles tun, ihn zurück zu holen. Das ist eigentlich der Grund, warum ich hier bin. Ich wollte dir klar machen, dass die Situation ernst ist. Das hier ist keine SEED-Aufnahmeprüfung, die du nach Herzenslust verbocken kannst. Das hier ist verdammter Ernst.“ Er sah mit an, wie ihre Augen feucht wurden. „Und sollte ich den Eindruck haben, du unterlässt irgendwas, das das Gelingen dieser Mission- “ Ihr versagten die Worte. Zurück blieb ein drohender Blick, der selbst bei Cifer Almasy Eindruck hinterließ. Dann wandte sie sich von ihm ab und ging mehrere Schritte. Sie wollte ihm nicht den Triumph des Anblicks ihrer Tränen gönnen.

„Wenn du mir misstraust… warum hast du dann mich geholt?“ fragte er, und jegliche Arroganz war aus seiner Stimme gewichen. Sie drehte sich wieder zu ihm um. Ihre Wangen waren noch feucht.

„Weil du ein hervorragender Kämpfer bist. Und weil du Squall nicht zurück lassen würdest. Schon allein deshalb nicht, um ihm deine Überlegenheit zu beweisen.“ Cifer wusste nicht, ob er sich bei diesen Worten geehrt oder eher lächerlich vorkommen sollte. Er legte großen Wert darauf, niemals überrascht zu wirken, doch jetzt war er es. Er steckte seine Waffe weg und ging auf sie zu.

„Quistis Trepe…“, flüsterte er, „Ich muss zugeben, du hast mich durchschaut. Ich bin wegen ihm hier. Ich kann nicht mehr in den Spiegel schauen, ohne ein letztes Mal mit ihm gekämpft zu haben.“ Seine Fassung schwand, und zum ersten Male war Quistis ehrlich beunruhigt. „Ich stand immer in seinem Schatten. ‚Squall, der Musterschüler…‘“, äffte er Direktor Cid nach. Dann lachte er bitter. „Ich muss mich ihm ein letztes Mal stellen. Das wurde mir klar, als ihr die Kneipe in Balamb verlassen habt. Sonst werde ich nie damit fertig.“ Sie sah ihn genau an und hatte das Gefühl, zum ersten Mal wirklich sein Gesicht zu sehen, und nicht irgendeine Maske. „Ich werde ihn finden, und dann werden wir kämpfen“, setzte er fort. „Entweder besiege ich ihn diesmal… oder er tötet mich besser. Dann habe ich nämlich keine Existenz verdient.“

Mit einem Male machte er einen so untypischen, verletzlichen Eindruck auf sie. Dass sie ihn so erlebte, war ihm sichtlich unangenehm. Doch es kam aus ihm heraus wie aus einer schwelenden Wunde, die sich seither nicht geschlossen hatte.

„Cifer… so muss es nicht sein“, begann sie in einem versöhnlichen Ton. „Du kannst auch einen anderen Sinn in deinem Leben finden- “

„Und welchen!?“ schrie er sie fast an. Von dem Gefühlsausbruch erschreckt, wich sie einen Schritt zurück. Doch Cifer wirkte nicht aggressiv, eher… schutzbedürftig. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so erlebt zu haben.

„Es gibt… noch etwas anderes... als immer nur… kämpfen“, sagte sie und ging auf ihn zu. Er wich nicht zurück, und so standen sie dicht voreinander. Ohne, dass er es willkürlich steuern konnte, wanderten seine Hände zu ihren Schultern. Er berührte sie, und sie ließ es geschehen. Sein Gesicht kam immer näher, und sie schloss die Augen. Ganz leicht öffnete sie ihre Lippen und glaubte schon, die Seinigen zu spüren-
 

Bis ihr Mobiltelefon schrill läutete.
 

Schlagartig öffnete sie die Augen. Cifer wandte sich von ihr ab und ging ein paar Schritte weg. Hastig kramte sie das Telefon hervor und verwünschte es für einen Moment. Sie klappte es auf, und auf dem Display stand: Direktor Cid Kramer. Dann führte sie es ans Ohr, und ihre Stimme hatte wieder den üblichen, pflichtbewussten Klang.

„Ja, hier Trepe. Ja. Ja, ich komme sofort.“

Dann klappte sie es zu. Sie wollte schon losgehen, wandte sich dann aber nochmal zu Cifer um.

„Wir erreichen die Centra-Ruinen in Kürze. Mach dich bereit.“ Etwas drängte noch ausgesprochen zu werden. Doch sie riss sich zusammen und setzte Prioritäten. Cifer, der mit dem Rücken zu ihr stand, nickte nur. Dann ließ sie ihn allein. Ihre Schritte verhallten, und er atmete geräuschvoll aus. Das Leder seiner Handschuhe spannte sich hörbar über seinen Knöcheln, als er sie zur Faust ballte.
 

Surrend fuhr der Aufzug hoch zur Brücke des Balamb-Garden. Oben angekommen, sah Quistis bereits Direktor Kramer neben Nida, ihrem Piloten, stehen.

Der Garden schwebte bereits über die Küstenregion des Centra-Kontinents hinweg. In der Nähe des Meeres bestand der Untergrund noch aus hellem Sand und einigen wenigen Klippen. Weiter landeinwärts wandelte sich die Scholle und zeigte nunmehr eine rostbraune, von Steinbrocken und größeren Felsen übersäte Wüste. Und direkt in ihrer Flugrichtung erblickten sie einen hohen Turm, umgeben von niedrigeren Ruinen. Im Gegensatz zu den ihn umgebenden Resten altertümlicher Bauwerke wirkte der Turm gut erhalten, so als ob der Zahn der Zeit es nicht gewagt hatte, ihm zuzusetzen.

„Wir erreichen das Zielgebiet in etwa fünfzehn Minuten, Direktor“, informierte Nida ihn. Cid Kramer nickte und begann dann, Anweisungen auszuteilen.

„Frau Trepe, stellen sie ein Team zusammen. Dodonna braucht genauere Daten, um weitere Prognosen erstellen zu können. Dieser Turm… waren sie nicht schon mal dort?“

Quistis‘ ernster Blick traf das nicht mehr allzu weit entfernte Bauwerk.

„Allerdings, Sir. Ich war damals mit Squall und den anderen dort. Wir waren auf der Suche nach Artefakten, nach etwas, das uns einen Vorteil gegenüber Artemisia verschaffen könnte.“

„Und? Wurden sie damals fündig?“

„Ja, wir fanden die Tombery-Materia dort. Aber sonst… gibt es dort nicht viel. Außer Tomberys eben.“

„Nun gut. Sie werden den Trupp anführen und dabei ständigen Funkkontakt mit mir und Dodonna halten. Sobald sie irgendwas Auffälliges registrieren, melden sie das.“

„Ja, Sir“, antwortete sie, während der Garden eine Schleife um den unheilvoll über die Steinwüste aufragenden Turm flog.

„Ich werde noch eine Abteilung SEEDs unter ihr Kommando stellen, das sollte alle Eventualitäten- “

„Direktor Cid! Schauen sie sich das an!!“ rief Nida plötzlich aufgeregt. Der Direktor und Quistis Trepe richteten ihren Blick auf den Bildschirm, auf den der Pilot aufgebracht deutete. „Da, bei den Ruinen! Die Aufklärungskameras haben das gerade- mein Gott, das ist- “

Alle drei blickten sich an, als hätten sie einen Geist gesehen. Dann stürmten der Direktor und der weibliche SEED in Richtung Aufzug.
 

Eine gewaltige Staubwolke aufwirbelnd, landete der Balamb-Garden unweit der Ruinen. Eine ganze Abteilung schwerbewaffneter SEEDs begleiteten Kramer und Quistis Trepe ins Freie. Eine disziplinierte Formation einhaltend, umzingelten sie die kleine Gruppe. Argwöhnisch sahen sich die vier Männer und die eine Frau den Elitekämpfern gegenüber. Ein Mann von ihnen lief aufgeregt in Richtung des Direktors. Als die SEEDs ihn erkannten, gaben sie wie ein Mann den Weg frei.

Cid Kramer nahm seine Brille einen Augenblick lang ab, da er seinen Augen nicht mehr traute. Auch Quistis machte ein äußerst überraschtes Gesicht.

„Irvine Kinneas!?!“

Atemlos kam er vor ihnen zu stehen.

„Jawohl, Sir, melde mich zurück“, sagte er fröhlich. „Leider ohne Squall… dafür mit… na ja…“ Etwas konsterniert warf er einen Blick über seine Schulter, wo sich seine vier Begleiter einer ganzen Kohorte SEEDs gegenüber sahen.

„Wie bist du- ich meine, warum- “, stammelte Quistis verwirrt. Irvine setzte sein typisches Lächeln auf.

„Das, liebe Quistis, ist eine lange Geschichte…“

„Wer sind ihre Begleiter?“ fragte der Direktor argwöhnisch und zeigte auf das kleine Grüppchen. Irvine wandte sich blinzelnd um.

„Ach ja, einen Moment…“ Dann lief er wieder zu ihnen.
 

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Cloud knurrend und tastete schon nach seinem Kombischwert. Irvine hob beschwichtigend die Hände.

„Bleibt alle ruhig, ja? Das sind meine Kumpels, die tun uns nichts!“

„Ach ja?“ erwiderte Yuffie zweifelnd, während sie in einen Wald von Klingen und Schusswaffen blickte.

„Ja, das sind die SEEDs vom Balamb-Garden. Das ist eine Militärakademie, die- “ Er stoppte, als er ihre ratlosen Gesichter bemerkte. „Na ja, ihr werdet schon sehen. Kommt einfach mit und verhaltet euch ruhig. Wir sind jetzt in Sicherheit.“
 

Nachdem Irvine Kinneas dem Direktor versichert hatte, dass keine unmittelbare Gefahr von den vier Personen ausging, gestattete er, dass sie den Garden betraten. Zur Sicherheit wurde jeder von ihnen von vier SEEDs eskortiert. Der Rest stand abwartend bereit. Im Vorbeigehen besah er sich die vier Personen im einzeln. Irvine stand neben ihm und klärte ihn über ihre jeweiligen Identitäten auf.

Als erster ging ein junger Mann mit wirren, blonden Haaren die Rampe hinauf. Er trug ein großes Schwert auf dem Rücken, von dem er sich offenbar um keinen Preis trennen wollte. Seine Augen leuchteten geradezu unnatürlich blau.

„Der Typ nennt sich Cloud Strife“, erklärte Irvine. „War früher Soldat bei einem Verein namens Shinra.“ Kramer nickte. Dann deutete er auf den nächsten.

„Und dieser hier?“

„Der heißt Vincent Valentinstag oder so ähnlich.“ Kramer hob eine Augenbraue. Dies schien ein sehr ungewöhnlicher Name zu sein für jemanden mit dieser Aufmachung. Er trug eine Art Lederoverall, der von einem zerfetzten, scharlachroten Umhang ergänzt wurde. Auch ein Teil seines Gesichts wurde davon abgedeckt. Besonders fielen ihm seine metallenen Schnabelschuhe auf, sowie der Metallhandschuh, den er auf der linken Hand trug. „Er ist wesentlich älter, als er aussieht… behauptet er zumindest.“

„Aha. Und das Mädchen?“

Nun fiel Irvines Blick auf die junge Frau, die den anderen, ebenso schwer bewacht, nachfolgte.

„Sie ist süß, nicht…?“ seufzte er. Direktor Kramer sah ihn stirnrunzelnd an.

„Irvine Kinneas!“

„Äh…“ Er schüttelte den Kopf und vertrieb alle ‚unpassenden‘ Gedanken. „Sie heißt Yuffie Kisaragi und ist Ninja oder sowas.“

„So, so… ich dachte, die gibt’s nur im Fernsehen. Und der letzte?“

Als letztes betrat der Mann mit den langen, weißgrauen Haaren die Rampe zum Garden. Über seiner schwarzen Lederkleidung trug er auffällige weiße Schulterschützer. Sein offener, mit vielen Schnallen besetzter Mantel wallte im Wüstenwind. Er sah sich um wie ein gehetztes Tier. Die Situation behagte ihm gar nicht, das war nicht zu übersehen.

„Sie nannten ihn Sephiroth“, meinte Irvine nachdenklich.

„Diese Leute kennen sich alle?“

„Oh ja…“, erwiderte er seufzend und schob sich mit dem Zeigefinger den Hut über die Stirn. „Auf den müssen wir gesondert achten. Einmal hätte er sich fast in Luft aufgelöst…“

Direktor Kramer blinzelte ihn ungläubig an.

„Wie bitte?“

„Ja, und die anderen haben immer davon geredet, dass er eigentlich tot sein sollte. Doktor Kadowaki sollte sich ihn mal näher ansehen.“
 

Wie eine Prozession marschierten die SEEDs mit ihren ‚Gefangenen‘ in den Garden hinein. Dicht dahinter folgten Irvine, Kramer und Quistis.
 

Cid Highwind hockte gelangweilt auf dem Geländer unter dem der Garden-eigene Fluss dahinplätscherte. Murrend besah er sich das Treiben der SEEDs um ihn herum, und von Zeit zu Zeit warf er abgebrannte Zigarettenstummel ins Wasser. Es schwammen schon etliche darin herum. Irgendwann näherte sich ihm ein Kadett mit ernster Miene und baute sich vor ihm auf. Er räusperte sich, und Cid hob eine Augenbraue.

„Ehrenwerter Herr“, begann der Kadett in einem betont höflichen Tonfall. „Ich darf mich ihnen in meiner Funktion als Ordnungsdienst des Balamb-Garden vorstellen.“

Cid nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel und spuckte auf den Boden.

„Und? Weiter?“

„Ähem… nachdem sie hier Gast sind, können sie es nicht wissen, aber im gesamten Garden herrscht Rauchverbot, ähem…“

Cid nickte langsam, warf seine fast runter gebrannte Kippe ins bis zu seinem Erscheinen hin saubere Wasser und zündete sich eine Neue an.

„Ja. Und weiter?“ fragte er, nachdem er eine große Qualwolke in seine Richtung geblasen hatte. Der Kadett begann zu husten.

„… auch ist es verboten, Unrat im Gewässer zu entsorgen, hust, hust…“

„Also, erstens sind meine Kippen kein Unrat, Jungchen“, erwiderte der alte Pilot gelassen, während der Kadett einen weiteren Hustenanfall erlitt. „Und zweitens rauche ich wann und wo ich will, kapiert?“ Der Kadett blickte ihn mit einer Miene an, als ob er dringendst auf eine Toilette müsste.

„Aber… aber…“

„Und jetzt zieh Leine, du verstellst mir die Aussicht“, brummte Cid Highwind. „Oder willst du den Kippen da unten Gesellschaft leisten?“

Der Kadett lief rot an, schüttelte heftig den Kopf angesichts solcher Unverfrorenheit und suchte dann das Weite. Cid Highwind blickte ihm amüsiert nach.

„Wer sagt’s denn. Du weißt eben, was gut für dich ist, Hosenscheißer…“, murmelte er. Bis sein Blick auf eine Gruppe SEEDs fiel, die vom Außendeck kamen. Sie schienen mehrere Personen zu bewachen. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, dann stürmte er los.

Die SEEDs bauten sich vor ihm auf, als er sich durchdrängen wollte.

„Geht mir aus dem Weg, verdammt!“

Doch er erntete nur ausdruckslose Mienen. Starke Hände packten ihn an den Armen und zerrten ihn weg. Er wehrte sich, doch die SEEDs waren zu kräftig. Auf ein Zeichen von Direktor Kramer hin blieben sie stehen.

„Wartet! Herr Highwind, hätten sie die Güte, mir zu erklären, was- “, wollte er verärgert fragen, doch sein Namensvetter unterbrach ihn aufgeregt.

„Das sind meine Kumpels, verdammt! Cloud, alter Sack! Was zum Teufel treibst du hier!?“

Der Angesprochene horchte auf und drängte gegen die SEEDs, die ihn aber sofort stoppten.
 

Nach kurzer Zeit gelang es ihnen, das Chaos zu ordnen. Unter den wachen Augen der SEEDs lief nun das Wiedersehen der Freunde ab.

„Wie geht es Marlene und Denzel?“ war eine der ersten Fragen von Cloud. Cid Highwind beruhigte ihn und erklärte ihnen, dass er, Shera und die beiden Kinder bereits die Gastfreundschaft des Garden genossen. Cloud war erleichtert, ebenso Yuffie und auch Vincent, auch wenn sich dieser nicht viel anmerken ließ. Nach dem die erste Wiedersehensfreude abgeklungen war, warf Cid einen argwöhnischen Blick hinter die Reihe SEEDs, hinter denen Sephiroth herumstand und immer noch den Eindruck eines eingesperrten Raubtieres machte. Der alte Pilot blinzelte- dann fiel ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel.

„Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt“, flüsterte er fassungslos, dann holte er seine Lanze hervor. Sofort umringten ihn SEEDs, um ihn in Schach zu halten. Auch Cloud hielt ihn zurück.

„Tu nichts unüberlegtes- “

„Was heißt hier unüberlegt, verflucht!!“ schnauzte Cid ihn an. „Entweder ist das Sephiroth oder ein verdammter Sephiroth-Imitator. In beiden Fällen mache ich ihn kalt!“

Cloud hatte alle Mühe, den aufgebrachten Mann in Zaum zu halten. Die SEEDs würden ihn erledigen, würde er hier drin einen Kampf anfangen, das war ihm klar.

„Cid! Cid!!“ beschwor er ihn, während der hasserfüllte Blick des Piloten immer noch auf Sephiroth ruhte. „Er hat keine Erinnerung! Er… er weiß von nichts.“

Cid wandte sich Cloud zu, der ihn immer noch festhielt.

„Hä??“

„Ich verstehe es selbst nicht“, sagte Cloud und schüttelte ratlos den Kopf. „Fang uns hier jedenfalls kein Blutbad an, verstanden?“

Cids Blick, der immer noch Schärfe ausstrahlte, wanderte von Cloud zu Sephiroth und wieder retour. Dann murmelte er etwas Unverständliches. Schließlich steckte er seine Lanze weg. Die Anspannung entwich aus der Situation, und die SEEDs senkten wieder ihre Waffen.

Der, um den sich alles gedreht hatte, ging nun auf die anderen zu. Die SEEDs machten Platz, ließen ihn aber nicht eine Sekunde aus den Augen. Der Mann mit den langen, weißgrauen Haaren bedachte Cid Highwind mit einem kühlen Blick.

„Ich dachte, du Arsch wärst tot“, äußerte Cid Highwind überraschend emotionslos. Sephiroth hob eine Augenbraue.

„Freut mich ebenfalls, sie kennen zu lernen.“
 

„Schön still halten“, befahl Doktor Kadowaki dem Kadetten, dessen Beinwunde sie behandelte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht saß er auf einer Liege, während sie das blutige Bein unter seiner zerfetzten Uniformhose verband. Immer wieder kam es vor, dass Kadetten die Kraft des Archeodinos unterschätzten, doch im Gegensatz zu vielen anderen Fällen, an den sich die Ärztin des Balamb-Garden erinnern konnte, war das Bein bei diesem Patienten noch dran. Als sie fertig war, besah sie zufrieden ihr Werk. „So, das war’s. Und nicht auf die Antibiotika vergessen. Diese Ungeheuer fressen ja alles Mögliche, manchmal sogar Schüler“, erklärte sie ihm mit einem sarkastischen Unterton. „Und drei Tage keinen Übungsraum betreten, verstanden?“

Der Kadett erwiderte ihr ernstes Gesicht mit einer unglücklichen Miene.

„Ja, hab ich, Frau Doktor.“

Dann stand er ächzend auf und humpelte aus der Krankenstation hinaus. Die Tür öffnete sich aber noch vorher, und mehrere bewaffnete SEEDs traten in das Lazarett.

„Noch mehr Verwundete? Was für ein Tag“, seufzte sie. Dann traten die SEEDs auf die Seite, und sie sah einen seltsam gewandeten Mann mit langen, silbergrauen Haaren. „Hm… Karneval ist doch schon vorbei. Oder kommen sie aus Esthar?“ Dann betrat auch Direktor Kramer das Lazarett, das mittlerweile ziemlich voll war.

„Doktor Kadowaki, hier haben wir einen, äh… speziellen Patienten. Ich möchte, dass sie ihn gründlich untersuchen“, sagte Direktor Kramer und schob sich die Brille auf der Nase hoch. Die Ärztin schaute wieder ihren unbekannten Patienten. Dann besann sie sich wieder auf ihre Profession.

„Na gut. Setzen sie sich mal hier her.“

Unter den wachsamen Augen der SEEDs begann sie mit der üblichen Prozedur. Direktor Kramer verließ das Lazarett wieder, nicht ohne sie mit einem ausführlichen Bericht über den Zustand dieser Person zu beauftragen.

„Schön weit den Mund auf… wie heißen sie eigentlich?“

„Efiro“, brachte er nur hervor, während sie mit einem Holzspatel seine Mandeln begutachtete.

„Verzeihung, das passiert mir öfter“, entschuldigte sie sich und nahm den Spatel aus seiner Gurgel.

„Mein Name ist Sephiroth“, wiederholte der Mann mit düsterer Miene. Immer wieder pendelte sein Blick zu den ihn umringenden SEEDs, doch ihre Aufmerksamkeit ließ keinen Moment nach. „Sie können sich diese entwürdigende Prozedur sparen. Ich war erst vor kurzem bei der monatlichen Untersuchung, die für alle Shinra-Mitarbeiter verpflichtend ist.“

„Und das hier… ist für mich verpflichtend“, entgegnete die Ärztin, während sie konzentriert mit einer kleinen Lampe seine Pupillen untersuchte.
 

Von einem Trupp der SEEDs eskortiert, wurden Cloud, Yuffie und Vincent in dem Trakt untergebracht, in dem auch schon Cid und die anderen Unterschlupf gefunden hatten. Während des Weges dorthin bestaunte er die Architektur dieses wundersamen Gebäudes. So etwas hatte er noch nie gesehen. Um wie viel anders waren die organischen, farbenfrohen Formen dieser Einrichtung im Vergleich zu den klaren, kalten Linien, wie sie in Midgar und Edge-City üblich waren. Fast kam ihm dies alles wie ein Traum vor… bis er Marlene und Denzel erblickte.

Vor Freude kreischend liefen sie ihm entgegen. Alle beide fielen ihm um den Hals und herzten ihn heftig. Er hob sie beide hoch und ging ein paar Schritte.

„Mann, seid ihr beide schwer geworden!“

Marlene lockerte ihre Umarmung und sah ihn mit großen, hoffnungsvollen Augen an.

„Cloud… wo ist Tante Tifa?“ Seine eben noch erheiterte Miene erstarrte. „Du hast versprochen, du bringst sie zurück…“ Nun sah er sich auch Denzels bekümmerten Blick gegenüber. Langsam schüttelte er den Kopf.

„Es tut mir leid, ich… ich habe sie nicht gefunden.“

Bitterkeit wuchs in den Augen der Kinder und entlud sich in einen Bach von Tränen. Nun kamen auch Shera Highwind, Nanaki und Anne hinzu. Betroffen verfolgten sie die Szene. Cloud brachte die beiden schließlich in ihr Zimmer.
 

„Es geht ihr gut, glaubt mir das. Ich konnte sie nicht herbringen, aber ich habe sie gesehen. Sie ist in Ordnung“, erklärte er geduldig den beiden Kindern, die auf dem Bett saßen und ihm mit traurigen Gesichtern zuhörten.

„Aber warum ist sie nicht hier“, fragte Denzel und drohte wieder in Tränen auszubrechen.

„Ich werde sie zurückbringen, das habe ich euch versprochen“, bekräftigte er seufzend. „Und das werde ich auch tun. Großes Cloud-Ehrenwort.“

Er zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln, und tatsächlich steckte es die beiden Kinder an. Shera Highwind, die neben ihm stand, legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Ist schon in Ordnung, Cloud. Ich kümmere mich um die beiden.“

Sie nickte dem müde wirkenden Mann zu, und er erhob sich. Noch einmal tätschelte er den beiden Kindern aufmunternd die Köpfe, bevor er sie mit Shera allein ließ. Draußen warteten bereits Nanaki und Cid.

„Hallo Cloud“, tönte Nanakis sonore Stimme. Er nickte ihm seufzend zu.
 

Im Nebenzimmer versammelten sich nun die fünf Freunde. Aufmerksam hörten sie der jungen Frau aus Wutai zu, die ihnen ihre Erlebnisse schilderten, die sich seit ihrer Reise durch das Tor zugetragen hatten. Nur Fallweise gab Vincent eine seiner raren Wortspenden dazu. Cloud saß nur da und blickte geistesabwesend zu Boden, während die anderen die Ereignisse der letzten Zeit besprachen. Immer noch lastete die Erinnerung an die traurigen Augen der beiden Kinder auf ihm. Ich habe es ihnen versprochen, dachte er wieder und wieder. Und jetzt stehe ich mit leeren Händen da…

Im Gegenzug beschrieb Cid Highwind das Chaos, das kurz vor ihrem ‚Verschwinden‘ aus ihrer Heimatwelt dort ausgebrochen war. Mit gepressten Tönen und einigen Flüchen malte er ein Bild des Schreckens, von den an allen Orten aus dem Nichts auftauchenden Ungeheuern, die Edge-City angegriffen und sie zur Flucht gezwungen hatten. Angesichts dieser düsteren Neuigkeiten legte sich eine bedrückende Stimmung über Cloud, Vincent und Yuffie. Gefangen in ihrer Ohnmacht saßen sie nur da, während die Stille im Raum nur von gelegentlichen Flüchen des Piloten unterbrochen wurde.

Schließlich erhob er sich und ließ die anderen allein. Keiner versuchte ihn aufzuhalten. Ohne sich umzudrehen verließ er den Raum.

Im Gang standen nach wie vor die einheitlich uniformierten SEEDs und bedachten ihn mit ausdruckslosen, aber aufmerksamen Blicken. Hilflos wandte er sich nach links und rechts. Er wollte nur weg, wollte nur allein sein.

Mit starrer Miene ging er los. Die Tür des danebenliegenden Quartiers öffnete sich plötzlich, und beinahe stieß er mit der Person zusammen, die aus ihr heraustrat.

„Verzeihung“, sagte er eilig- dann erstarrte er. Die junge Frau mit den kurzen, braunen Haaren und der Brille in ihrem immer etwas nervös wirkenden Gesicht kam ihm bekannt vor. „Ich kenne sie doch…?“

Aufregung und Verlegenheit rangen in ihren Zügen miteinander, bis sie antwortete.

„Ja, äh… in Edge-City, nicht wahr? Sie sind Cloud Strife, der Kurierfahrer- “

„Und sie sind Anne Almasy, von, äh…“ Er überlegte scharf. „…‘Shining Shore Computing‘! Stimmt’s?“

„Ja, genau“, erwiderte sie lächelnd. „Ihr Bekannter, Herr Highwind, hat er ihnen schon, ich meine- “

„Was mit Edge-City passiert ist? Ja, das hat er“, antwortete er betroffen.

„Nun… ich verdanke ihm mein Leben. Als es passierte- “

Ihr stockte die Stimme. Es fiel ihr sichtlich schwer, die schrecklichen Erinnerungen wieder aufzurollen. Cloud sah sich suchend um.

„Gehen wir ein Stück?“ fragte er schließlich. „Dann können sie es mir in Ruhe erzählen. Wenn sie wollen, natürlich nur.“

Sie richtete sich die Brille, wie um sich damit zu beruhigen, und nickte.

„Ja, warum nicht.“
 

„Nennen sie mich doch nicht immer Fräulein Almasy. Ich bin Anne“, erwiderte sie, als Cloud sie wieder siezte. In diesem Moment kam ihnen ein Mann mit kurzen, blonden Haaren, einem wallenden grauen Mantel und einer auffälligen Narbe oberhalb des Nasenrückens entgegen. Er schien auch in diesem Trakt zu wohnen. Offenbar hatte er ein paar Worte aufgeschnappt, denn nach dem Cloud und Anne ihn passiert hatten, blieb er stehen und schaute ihnen verwundert nach.

„Hä… ‚Almasy‘?“ murmelte er. Dann schüttelte er den Kopf und ging wieder seines Weges.
 

„Sie… ich meine, du kennst dich hier ja schon gut aus“, meinte Cloud, während sie ihn in den Außenhof des Garden führte. Durch den vom Direktor ausgerufenen Alarmzustand waren sie hier praktisch allein. Nur die ‚Shera‘ stand zwischen all den Bäumen und Pausenbänken und wirkte ziemlich deplatziert. „Woha…“, murmelte Cloud, als er zu dem Schiff aufblickte. „Das sieht ihm ähnlich, einfach hier zu landen.“

Anne ertappte sich dabei, wie sie ihn von der Seite anstarrte. Als er sich ihr wieder zuwandte, blickte sie eilig weg.

„Sie haben mich gerettet, mit dem Schiff“, erzählte sie zögernd. Dann wurden ihre Worte flüssiger. „Ich war im Firmengebäude, als… als es passierte. Ich flüchtete aufs Dach, es war so furchtbar… alle waren tot, und ich dachte schon… aber dann kam ihr Freund und landete, um mich mitzunehmen.“

Eine angenehm warme Brise wehte vom nahen Meer herüber, trotzdem fröstelte es Cloud bei ihrer Beschreibung. Zu lebendig war der Schrecken noch in ihrer Erinnerung, und er spürte dies deutlich durch ihre Worte. Unbehaglich sah er sich um. Anne richtete den Blick zu Boden, und er bekam das Bedürfnis, sie aufzumuntern.

„Wir bringen das wieder in Ordnung, sobald wir zurück sind.“ Sie hob ihr Gesicht, und ein banger Blick traf ihn.

„Kannst du das? Und wie?“ fragte sie leise, und Verzweiflung schwang in ihren Worten mit. Cloud atmete tief durch, bevor er antwortete.

„Wir sind ein eingespieltes Team. Wir werden diese Ungeheuer aus Edge vertreiben, wenn wir zurück sind. Versprochen.“

Im selben Moment schämte er sich der Haltlosigkeit dieses Versprechens. Doch in Annes Augen leuchtete neue Hoffnung auf, als wollte sie es um jeden Preis glauben. Und so bekräftigte er seine Aussage mit einem zuversichtlichen Nicken. Ein behutsames Lächeln wuchs auf ihren Lippen.
 

In aller Eile hatte er dem Direktor des Garden den bisherigen Verlauf ihrer Mission berichtet. Ihrer gescheiterten Mission, wie er sich eingestehen musste. Sie waren aufgebrochen, um Squall zu finden- und hatten alles verloren.

Gleich im Nachhinein hatte ihn Quistis gebeten, sie bei ihrem Auftrag in den Centra-Ruinen zu begleiten. Nicht der geringste Vorwurf war in ihren Worten zu spüren. Es war eher so, als wollte sie ihm zu verstehen geben, dass sie ihm nach wie vor vertraute. Auch nachdem er dabei versagt hatte, seine Kameraden zu schützen. Rinoa, Xell- und Selphie. Ihr Schicksal war unbekannt, und vielleicht würden sie sie nie wieder sehen. Eine Erkenntnis, die langsam in sein Bewusstsein fraß, als er auf dem Bett seines früheren Quartieres saß.

Es kam ihm vor, als wäre es gestern gewesen. Nach dem Reinfall mit dem Attentat in Deling-City damals konnte er keinen Schritt mehr in den Galbadia-Garden setzen. Der Balamb-Garden hatte ihn damals aufgenommen, kurz vor dem Beginn des Hexenkrieges. Nur kurze Zeit hatte er hier gewohnt, doch er hatte nur gute Erinnerungen daran. Im Gegensatz zum Galbadia-Garden, wo er als Schwerenöter und Maulheld verschrien war, begegneten ihm die Menschen hier ohne Vorbehalte. Auch hatte er hier seine zukünftige Frau kennengelernt. Selphie Tilmitt, ein aufgewecktes, manchmal naives, aber immer liebenswertes Mädchen. Und nun… hatte er sie verloren.

Hinter den Jalousien des Fensters der kleinen Kammer bewegten sich die Zweige der Bäume im Außenhof sachte im Wind. Das Grün glitzerte in der Sonne und warf farbige Schatten in den Raum. Er blinzelte in die goldenen Strahlen, nahm seinen Hut ab und legte ihn neben sich aufs Bett. Einen Moment riss es ihn, als ihn die Müdigkeit zu übermannen drohte. Er konnte nicht mehr sagen, wie lange er schon auf den Beinen war. 24 Stunden? Oder eher 48? Es fröstelte ihn trotz der angenehmen Temperatur, als er zum Wandschrank ging. Er öffnete ihn, und die Türen gaben den Blick frei auf eine Kleiderstange, auf der mehrere identische SEED-Uniformen hingen. Daneben war immer noch seine Waffensammlung. Nachdenklich glitt sein Blick über die Ansammlung matt glänzenden, tödlichen Stahls. Dann holte er den Exeter hervor.

Sein Atem zitterte, als sein Augenmerk über die verschnörkelten Verzierungen der edlen Waffe glitt.

Damit konnte ich sie nicht schützen…

Er stellte sie in einen leeren Platz des Ständers und schwor in diesem Moment, ihn nie wieder zu benützen. Dann schlüpfte er aus seinem Mantel und warf ihn achtlos auf den Boden. Mit beiden Händen griff er nach der schwersten und größten Waffe in seinem Arsenal, das er nie mehr zum Einsatz bringen wollte. Schwer wog die Waffe in seinen Händen. Ursprünglich als Scharfschützengewehr für übergroße Distanzen gedacht, war es aufgrund seines Gewichts und des enormen Rückstoßes als nicht praxistauglich eingestuft worden. Irvine besaß ein Exemplar aus purer Sammelleidenschaft. Achtlos hatte er es in dem Schrank im Balamb-Garden vergessen, damals, als er seine SEED-Karriere beendet hatte.

Er lehnte das Gewehr vom Typ ‚XR-Monster‘ im Kaliber .50 neben den Schrank. Statt dem Mantel zog er nun eine Trageweste an, die sämtlicher Spezialmunition Platz bot und schnellen Zugriff auf sie sicherte. Mit schnellen, routinierten Bewegungen verstaute er die Pulsarmunition in den Halterungen der Weste. Dann nahm er das Gewehr und verließ sein früheres Quartier. Sein Mantel, sein Hut und der Exeter… sie blieben zurück. Wie auch ein Teil seiner Vergangenheit.

Nur aus einem Grund hatte er kein SEED mehr sein wollen. Selphie Tilmitt hatte ihm die Augen geöffnet und gezeigt, was wahre Hingabe an einen einzelnen Menschen bedeutete. Die Schwere des Verlusts sickerte wie fauliges Brackwasser in seinen Verstand ein. Noch hatte er die Kraft, um diese erstickende Ahnung in puren Zorn umzuwandeln. Doch schon bald würde er die Tragik voll erfassen, und dann wäre er nur mehr ein Bündel Elend, das den Verlust eines geliebten Menschen betrauern würde. Nein, so will sie mich sicher nicht sehen, dachte er, während er seine energischen Schritte Richtung Parkdeck lenkte. Noch hatte er die Konzentration, eine Aufgabe wahrzunehmen. Später dann würde er noch trauern und sich verkriechen können, doch im Moment brauchten ihn seine Freunde. Er hatte nichts für Rinoa, Xell oder seine Frau tun können, und so sah er es als seine heilige Pflicht, zumindest noch einmal in seinem Leben seine verbliebenen Freunde nicht im Stich zu lassen.

Die in den Gängen patrouillierenden Kadetten warfen dem Mann mit dem zu einem Pferdeschwanz zusammen gebundenen Haaren und dem riesigen Gewehr skeptische Blicke zu, doch Irvine Kinneas merkte es gar nicht. In Gedanken war er ganz wo anders. Und zwar bei Selphie Tilmitt, seiner geliebten Frau, wo immer sie auch sein mochte in diesem Moment. Vielleicht bin ich schon bald bei dir, dachte er und ignorierte die einzelne Träne, die ihm über sein erstarrtes Gesicht lief.
 

Wie schon vorher besprochen, warteten Quistis und der Direktor im Parkdeck des Garden, von wo aus eine Rampe ins Freie führte. Beide schienen schon eine Weile zu warten, zeigten aber keinerlei Ungeduld. Quistis drehte sich zu ihm um, und ihr Gesicht zeigte Erleichterung.

„Irvine… ich bin froh, dass du mit kommst. Fühlst du dich auch bereit dazu?“

Er stützte sich auf seine Waffe und nickte. Cid Kramer kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Sind sie sicher, Irvine? Schließlich kommen sie gerade erst von einer aufreibenden Mission. Wir alle hätten Verständnis, wenn sie- “

„Es ist in Ordnung, Direktor“, unterbrach er ihn mit gefasster Stimme, in der unterschwellig seine innere Anspannung mit schwang. „Ich komme mit Quistis. Sie braucht nicht alleine zu gehen.“

„Nun… das wird sie sicher nicht“, erwiderte Kramer und räusperte sich. Irvine hob eine Augenbraue, bis er Schritte von hinten sich nähern hörte. Dann drehte er sich um. Seine Augen wurden groß.
 

Die Gunblade lässig über die Schulter gelegt, schlenderte Cifer Almasy auf das Parkdeck, als ginge es auf ein Picknick. Vor der Gruppe aus Quistis, Irvine und dem Direktor blieb er stehen und stützte sich auf seine Waffe.

„Na sowas… der Schürzenjäger ist auch da. Ich dachte, du wärst mit deinen Kumpels auf Sightseeing in einer anderen Dimension?“ Er lachte leise, und Irvine hatte Mühe, sich zu beherrschen.

„Und ich dachte, du baumelst schon längst an einem Galgen in Galbadia“, entgegnete Irvine gefasst und ohne sich etwas anmerken zu lassen. An seinem wunden Punkt erwischt, huschte eine Sekunde lang aufkeimender Jähzorn über Cifers Gesicht, bevor er wieder seine arrogante Fassade zurück erringen konnte.

„Tja, wie du siehst, sind eure geheimen Wünsche nicht wahr geworden. Hier bin ich nun, und komme mit euch mit. Ich hoffe, es stört dich nicht“, fügte er in einem herablassenden Tonfall hinzu. Direktor Kramer spürte den schwelenden Konflikt und ging schlichtend dazwischen.

„Meine Herren, ich darf sie daran erinnern, dass ein wichtiger Aufklärungsauftrag vor ihnen liegt. Deshalb befehle ich ihnen, ihre Differenzen fürs Erste beizulegen und sich auf das notwendige Teamwork zu besinnen.“

Wie so oft hatte seine Stimme die notwendige Autorität vermissen lassen. Innerlich ärgerte sich Cid Kramer darüber. Squall war es immer leicht gefallen, Befehle und auch Rügen zu erteilen. Er hatte etwas an sich gehabt, das den Kadetten und SEEDs Vertrauen und auch Respekt einflößte, erinnerte er sich.

„Schön gesagt…“, meinte Cifer sarkastisch. Dann kratzte er sich am Kinn und überlegte einen Moment. „Was habe ich denn mal zum Thema Teamwork gesagt…? Genau, ‚Teamwork bedeutet, mir nicht im Weg rumzustehen‘, so war das“, sagte er höhnisch grinsend. Direktor Kramer war die ohnmächtige Wut anzusehen, die er zu verbergen suchte. Immer schon hatte es Probleme mit Cifer gegeben, und diesmal war es nicht anders. Zu seinem Erstaunen regelte Quistis die Situation. Sie ging auf ihn zu und baute sich vor ihm auf.

„Jetzt hör mal zu, Cifer: das hier ist der falsche Ort für deine Sprüche. Mit denen kannst du in Kneipen um dich werfen, aber NICHT hier. Hier habe ICH das Kommando, und wenn dir das nicht passt, kannst du gerne hier bleiben, verstanden?“

Ihr strenger Befehlston hatte schon immer dazu getaugt, aufmüpfige Kadetten zurechtzustutzen. Außer bei Cifer. Doch zu ihrer eigenen Überraschung gab er tatsächlich klein bei und salutierte lächelnd vor ihr.

„Jawohl, Ma’am“, flüsterte er ihr zu, und es war mehr in seinem Lächeln als nur seine übliche Überheblichkeit. Das ließ sie stutzen, und sie sah ihm länger in die Augen als beabsichtigt. Dann erst wandte sie sich von ihm ab.
 

Nach einem kurzen Verbindungstest mit Doktor Dodonna in der MD-Ebene setzten sie sich in Bewegung. Über die Rampe betraten sie den rötlichen Staub, der den Großteil des Centra-Kontinents bedeckte und schritten zielstrebig auf den hochaufragenden Turm im Zentrum der Ruinen zu. Surrend schloss sich die Rampe, und Direktor Kramer beeilte sich die MD-Ebene zu erreichen, von wo aus sie ständigen Funkkontakt mit dem Dreiertrupp halten würden.
 

Nach der gründlichen medizinischen Untersuchung auf der Krankenstation setzte sich Dr. Kadowaki an ihren Schreibtisch in ihrem Büro und betätigte die interne Fernsprechanlage. Sie verband sie mit Direktor Kramer, der sich wie angekündigt im Labor der MD-Ebene aufhielt. Währenddessen fiel ihr Blick durch die Glaswand, hinter der immer noch ihr mysteriöser Patient saß. Nach wie vor bewachten ihn die SEEDs, deren Gegenwart ihn sichtlich mit Argwohn erfüllte. Ein Krächzen ging durch die Leitung, dann meldete sich der Direktor.

„Ja, hier ist Kadowaki. Ja, ich bin soweit fertig mit der Untersuchung… wie soll ich sagen…“ Sie geriet ins Stocken. Es kam ihr ja selbst zu unwahrscheinlich vor. „Der Patient macht einen normalen Eindruck, was seine körperliche Gesundheit angeht… aber nach den Standarduntersuchungen habe ich ihn noch einer Tomografie unterzogen, und das Ergebnis ist mir unerklärlich.“
 

Ringsum den Direktor herrschte emsiges Treiben wie in einem Bienenstock. Die Forscher unter dem Kommando von Doktor Dodonna waren in hellem Aufruhr. Ihre Messgeräte zeigten alles Mögliche an, und niemand schien sich die Zeit nehmen zu wollen, es dem wissenschaftlich nicht besonders beschlagenen Direktor des Garden erklären zu wollen. Selbst Dodonna wich ihm aus und konzentrierte sich ganz auf seinen Arbeitsbereich, der voller blinkender Geräte und Monitore war. Es frustrierte ihn etwas, nicht im Bilde zu sein, gleichzeitig war ihm aber auch bewusst, dass die Männer und Frauen hier ihre ganze Konzentration brauchten und sich nicht mit seinen laienhaften Fragen herumschlagen konnten.

„Was meinen sie mit ‚unerklärlich‘? Geht irgend eine Gefahr von der Person aus?“ fragte Kramer mit in den Fernsprecher und bemühte sich in der lauten Umgebung die Antwort zu verstehen. „Sie vermuten nein? Das beruhigt mich ja…“, seufzte er kopfschüttelnd und verdrehte dabei die Augen. „Was meinen sie, er ist gar nicht da? Wir haben ihn doch alle gesehen- aha. Aha.“ Die Ärztin überschwemmte ihn mit Fachausdrücken. Sie hätte ihm es genauso auf Chinesisch erklären können. „Ja, ja, das mag sein, aber… ja, das reicht schon, aber was bedeutet das für den Garden?“
 

„Schwer zu sagen“, antwortete sie. „Er selbst scheint nichts davon zu ahnen. Ansonsten… Inhaftierung? Bringt nicht viel, meiner Meinung nach. Wenn er tatsächlich verschwinden wollte, dann könnte ihn auch keine Gefängniszelle daran hindern. Ich empfehle permanente Beobachtung. Und vielleicht könnte ihn später mal Doktor Dodonna unter die Lupe nehmen. Was Teilchenphysik belangt, ist ja er der Spezialist von uns beiden“, fügte sie erheitert hinzu. „Ja. Ja, in Ordnung.“ Nachdem ihr Gespräch geendet hatte, verließ sie ihr Büro.

„Nun, Herr… Sephiroth, was ihren Gesundheitszusta- “

„Mein Gesundheitszustand ist einwandfrei, das weiß ich selbst“, unterbrach er sie mit leiser, aber nichts desto trotz scharfer Stimme. „Wo bin ich hier? Ich kenne diesen Ort nicht. Warum bin ich hier…?“ Die letzte Frage schien er eher an sich selbst zu richten. Dr. Kadowaki begann an den Schreibstiften in der Brusttasche ihres Arztkittels herumzuspielen. In einem kurzen Gespräch hatte ihr Direktor Kramer die Einzelheiten seiner Herkunft erklärt, doch dies hatte sie eher verwirrt denn eine Frage beantwortet. Und nun blickte sie in seine türkisfarbenen Augen und wusste nicht recht, was sie ihm sagen sollte.

„Die Leute hier arbeiten daran, und bald werden wir mehr wissen“, erfand sie spontan und setzte dabei ein Zuversicht spendendes Gesicht auf. Darin hatte sie als Ärztin Routine. In seinen fragenden Augen verschwand die Nervosität aber trotzdem nicht.

„Bin ich ihr Gefangener?“ fragte er, nunmehr hörbar ohne Hoffnung auf aufschlussreichere Antworten.

„Nein, natürlich nicht. Aber sie werden verstehen, wenn wir sie zu ihrer eigenen Sicherheit permanent beobachten. Soviel ich mitbekommen habe, sind sie von, äh… weit weg, also können sie im Moment eh nicht zurückkehren, von wo, äh… sie eben sind“, sagte sie nickend und aufmunternd lächelnd.
 

Mit einer scheuen Miene begutachtete er seine Umgebung, als er den Garden erkundete. Die Ärztin hatte ihm erlaubt, die Krankenstation zu verlassen.

Pah, erlaubt! Ich bin nur Präsident Shinra Rechenschaft schuldig, sonst niemanden…

Wütende Gedanken vermischten sich mit Verwirrung, als er durch die bunten und phantasievoll konstruierten Hallen des Garden irrte. Schon längst hätte er sein Masamune zücken und sich den Weg freischlagen sollen. Ein Teil von ihm warnte ihn, durchschaute dies alles als eine Intrige der verbliebenen Genesis-Anhänger- doch ein anderer Teil ahnte jene Wahrheit, die wie ein Damoklesschwert über ihm hing, die wie eine dumpf drückende Last durch sein verstörtes Bewusstsein geisterte. In jenem Moment, als er in einem Chaos aus dräuender Schwärze und gleißendem Licht erwacht war, um sich Augenblicke später in einer Wüste zwischen ihm fremder Menschen wiederzufinden- die ihn aber offensichtlich kannten- da tauchte auch eine unleugbare Tatsache am Rande seines Verstandes auf, die nur ganz langsam in das Zentrum seines Bewusstseins sickerte.

Seine letzte Erinnerung an einen vertrauten Ort war die Ladefläche eines Shinra-LKWs, der sie mit ein paar Konzernsoldaten und seinem Kollegen Zacharias Fair nach Nibelheim bringen sollte. Dann schwand sein Bewusstsein, als liefe es langsam einen Abfluss hindurch, um sich eine nicht bestimmbare Zeitspanne später wieder zu einer Form zu versammeln. Etwas daran kam ihm so entsetzlich falsch vor, aber noch wagte er es noch nicht, die Schlüsse aus all den Alarmsignalen zu ziehen.

Die wenigen Kadetten, die in der Mensa ihre Mahlzeit zu sich nahmen, warfen dem Mann in dem auffälligen Aufzug skeptische Blicke zu. Die beiden SEEDs, die wenige Schritte in seinem Rücken ihm nachfolgten, verstärkten das ungewöhnliche Bild noch. Aber schließlich wendeten sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihren Tellern zu, die sie aufgrund des ausgerufenen Ausnahmezustands in kurzer Zeit leeren mussten, um danach wieder auf ihre Wachposten zurückzukehren.

Auch an diesem Ort erstaunte ihn die ihm völlig fremdartige Architektur, die technische Elemente mit organischen Formen verband. Wortlos setzte er sich an einen leeren Tisch. Die beiden SEEDs, die ihm wie ein drohender Schatten folgten, hielten angemessenen Abstand. Dann erinnerte er sich an den Moment, als er den Mann mit den blonden, wirren Haaren hatte töten wollen…

Es waren seine Hände. Sie waren der erste Wink gewesen. Gerade, als er es hatte tun wollen… es war nicht möglich gewesen, und an seinen Händen hatte er es gesehen. Durchsichtig, wie etwas, das im Begriff war zu verschwinden… Sein gesamter Körper hatte sich so angefühlt, in dem Moment. Als würde in dieser Sekunde alles Leben, jegliche Existenz aus ihm verschwinden. Als würde eine unsichtbare Macht sein pures Vorhandensein ungeschehen machen. All seine Erinnerungen, seine Persönlichkeit, seine Vergangenheit… ausgegangen wie eine durchgebrannte Glühbirne. Mit einem Male kam ihm sein ganzes Leben unwirklich vor, wie nie stattgefunden. Und dann traf ihn die Wahrheit wie ein Hammerschlag auf die Stirn. Die ganze Zeit war sie schon dagewesen, wie eine tiefe, schmerzende Wunde, deren Existenz man aus reiner Selbsterhaltung verdrängt. Doch nun war es ihm bewusst…

Nur kurz blickten die SEEDs auf, als der seltsam gewandete Mann schleunig die Mensa verließ. Eilig folgten ihm seine Bewacher und bemühten sich, mit ihm Schritt zu halten.
 

Er brauchte jetzt frische Luft, und tatsächlich ließ ihn sein Instinkt richtig abbiegen. Nach wenigen Schritten stand er im Freien, auf einem Hof mit vereinzelten Bäumen, Bänken und Tischen. Endlich wich das Gefühl ersticken zu müssen. Er beugte sich nach vorn und bemühte sich, langsam und regelmäßig zu atmen.

„Alles in Ordnung mit ihnen?“ fragte einer seiner Bewacher. „Sollen wir sie wieder in die Krankenstation bringen?“

Sephiroth schüttelte nur den Kopf.

„Nein… nicht notwendig.“

Fast stolperte er, bis seine Schritte wieder sicher wurden. Dann setzte er einen Fuß vor den anderen, bis er an einem Geländer stand, von dem man aus den Außenhof gut überblicken konnte. Seine Hände… sie waren durchsichtig geworden. Aus einem guten Grund, wie er jetzt wusste. Sie waren nicht real. Genauso wenig wie er selbst.

Er blinzelte, als er sie sah. Der Mann von vorhin. Der, den er nicht hatte angreifen können. Den er als erstes gesehen hatte in dieser Welt. Einen Moment lang drohte die Verwirrung wieder übermächtig zu werden, bevor wieder Klarheit in seinem Kopf Einzug hielt. Nun verstand er, vielleicht nicht alles, aber vieles. Dieser Sephiroth, dessen Persönlichkeit und Erinnerungen er hatte, existierte nicht. Zumindest nicht in dieser Welt. Was immer ihn erschaffen hatte, es hatte seine Existenz an diesen Mann gekettet. Darum war es ihm unmöglich gewesen, ihn zu attackieren. Ebenso wie der Selbsterhaltungstrieb einen Suizid verhindert.

Mit beiden Händen stützte er sich auf das Geländer. Seine Füße fühlten sich wie taub an. Nun war es ihm klar. Er war nur ein Schatten, ein Schatten an der Wand. Der sich bewegte, atmete und lebte… aber eben nur ein Schatten. Jede Zelle in seinem Körper flüsterte es ihm zu, und nun konnte er sich nicht mehr taub stellen.
 

Ich bin nicht real…
 

Das behutsame Lächeln wuchs und wurde heller, wie das Rund der Sonne, das langsam über den Horizont stieg. Alles um ihn herum, der schwache Wind, das Rauschen der Blätter… alles schwand, und übrig blieb ihr Gesicht.

„Deine Augen… sie sind so blau.“

Es dauerte einen Moment, bis er ihre Worte bewusst registrierte. Etwas verlegen schüttelte er seinen Kopf.

„Äh… meine Augen?“

„Ja“, erwiderte Anne vorsichtig. „Es geht mich ja nichts an, aber… es ist mir gleich aufgefallen. Sie leuchten richtig.“

Cloud kratzte sich am Kopf, als wäre ihm dieser Umstand peinlich. Er wusste aber, dass dieses Stigma ihm für den Rest seines Lebens anhaften würde.

„Ja, das… ich war früher an Versuchen beteiligt. Mit Mako.“

Annes Gesicht überkam leise Bestürzung.

„Versuche? Mit Mako? Aber das ist doch verboten. Laut Gesetz dürfen nur Tiere dafür herangezogen werden. Wobei ich aber auch das falsch finde“, fügte sie entrüstet hinzu.

„Es ist schon etwas länger her“, bemerkte Cloud und machte ein unbehagliches Gesicht. Ihr blieb sein Widerstand gegen dieses Thema nicht verborgen.

„Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst.“

„Es ist schon okay.“ Er machte einen tiefen Atemzug, bevor er weitersprach. Normalerweise war dies nicht seine Art, sich so zu öffnen. Doch bei dieser jungen Frau war es anders… Er konnte nicht sagen, warum, doch irgendwie wurde seine Zunge ungewohnt locker. „Vor längerer Zeit habe ich für Shinra gearbeitet, als gewöhnlicher Soldat. Eines Tages hieß es ‚wer meldet sich freiwillig für einen Versuch?‘ Es wurden Beförderungen und Zulagen versprochen, und ich wollte es damals unbedingt zu etwas bringen. Dann haben sie uns mit Mako in Berührung gebracht. Manche starben dabei, andere… bekamen blauleuchtende Augen, wie ich“, sagte er lachend. Und nicht nur das, fügte er in Gedanken hinzu.

„Ich verstehe… der Shinra-Konzern hat wirklich viel Schlimmes angerichtet, bis zum Meteoreinschlag. Ich arbeite ja für die W.R.O., und manchmal schäme ich mich dafür.“

„Da gibt es keinen Grund“, behauptete Cloud gegen sein besseres Wissen. Er wollte die junge Frau jedoch auf keinen Fall in ihrem Schuldgefühl bestätigen. „Außerdem arbeiten viele Menschen für die W.R.O. und damals auch für Shinra, aber deshalb haben sie keine Schuld daran, was einzelne Personen verbrochen haben.“

Anne Almasy hob den Blick. In ihren Augen vermischte sich Wehmut mit Selbstvorwürfen.

„Das mag sein, aber- “ Sie blinzelte, dann erstarrte sie. Ihr Blick ging über Clouds Schulter hinweg. Furcht kroch über ihre Miene. Schnell drehte er sich um. „Das- das ist doch- “

„…Sephiroth“, vervollständigte Cloud sie. Am anderen Ende des Hofs stand er an einem Geländer. Sein Blick schien ins Leere zu gehen. Im nächsten Moment drehte er sich um und ging wieder in Richtung Hauptgebäude. Anne trat an Cloud heran. Ihre Hand krallte sich in seinen Oberarm. „Ist er mit euch mitgekommen?“ fragte sie, den Blick immer noch die selbe Richtung gerichtet.

„Ja… ich weiß nicht, warum und wie es möglich war, aber- “

„Er ist doch tot, oder?“ Ihr banger Blick traf ihn. Er überlegte, wie viel er ihr verraten sollte.

„Ja, mit Sicherheit“, erwiderte er nickend. „Er sieht aus wie Sephiroth, aber ich glaube, dass er irgendwas anderes ist. So was wie ein Geist.“

Langsam lockerte sie den Griff um seinen Oberarm, und sie blickte auf ihre Hand, als gehöre sie gar nicht ihr.

„Deine Freunde haben mir erzählt, was mit dieser Frau namens Tifa passiert ist. Und dass ihr sie sucht. Ihr habt sie nicht gefunden, oder?“

„Nein“, antwortete Cloud verdrossen. „Dafür den Knaben da“, ächzte er und deutete mit dem Kinn in die Richtung, in die Sephiroth verschwunden war.

„Das ist alles sehr seltsam…“, murmelte Anne und schüttelte langsam den Kopf. „Diese Tifa… sie muss euch allen sehr viel bedeuten, stimmt’s?“

„Wir haben zusammen viel durchgemacht. Ja, sie ist für uns sehr wichtig.“ Erneut stieg der Schmerz ihres Verlusts in ihm hoch, und er kämpfte ihn mit einem leichten Würgen im Hals nieder.

„Und für dich?“ fragte sie vorsichtig. „Was bedeutet sie… für dich?“

„Wir kennen uns seit Kindestagen. Wir sind zusammen aufgewachsen, bis ich Nibelheim verlassen habe.“

Die junge Frau blickte ihn an, als hätte sie eine andere Antwort erwartet.

„Ach so. Übrigens… Danke.“

„Für was?“

„Das du mir zugehörst hast.“

„Das habe ich gern bemacht, ehrlich“, erwiderte er. Sich räuspernd, wandte er sich für einen Moment von ihr ab. Anne nutzte diese Sekunde und warf ihm einen Blick zu, den sie nicht gewagt hätte, offen zu zeigen. Den sie ihm schon damals, als sie ihm zum ersten Male in Edge-City getroffen hatte, zu werfen hatte wollen. Und wofür sie damals schon zu feige gewesen war.

In der Zeit, in der sie versucht hatte ihr kleines Unternehmen aufzubauen, war sie meistens abgelenkt gewesen. Bis über beide Ohren war ihr die Arbeit gestanden, und so hatte sie es gut verdrängen können. Doch die Wahrheit war eine andere. In den seltenen Momenten, in denen sie zur Ruhe gekommen war, fühlte sie sich dann meist einsam. Sicher hatte sie sich mit ihren Kollegen gut verstanden, und sie wären wohl zu ihren Freunden geworden… hätte sich nicht jener schreckliche Tag ereignet.

Immer noch kam ihr alles vor wie ein Alptraum. Und mehr als zuvor, als sie einfach nur eine frischgebackene Unternehmerin in Edge-City gewesen war, die sich in der Anonymität der Großstadt manchmal einsam gefühlt hatte, sehnte sie sich jetzt nach einer starken Schulter zum Anlehnen. Und immer stärker wurde das Gefühl, diese Schulter könnte ihr dieser Mann bieten, der ihr durch ein seltsames Schicksal wieder begegnet war.
 

„Können noch immer nichts Ungewöhnliches feststellen“, murmelte Quistis in ihr Funkgerät. Was sie nicht sah, waren Doktor Dodonna und Direktor Kramer, die über Funk ihre Schritte begleiteten, während die Wissenschaftler auf der MD-Ebene mit ihren Instrumenten die Centra-Ruinen überwachten. In ihrem Blickfeld sah sie Irvine Kinneas, der die linke Flanke bildete, und Cifer Almasy, der sie nach rechts abdeckte.

Die Centra-Ruinen waren ein geheimnisvoller Ort. Über achtzig Jahre war es nun her, dass ein besonders heftiger Ausbruch der ‚Träne des Mondes‘, wie dieses Phänomen genannt wurde, das Leben auf diesem Kontinent nahezu spurlos ausgelöscht hatte. Außer endlosen Steinwüsten und kaum noch deutbaren Tafeln, die in den gleichförmigen Ebenen in der Sonne bleichten, waren es nur noch diese Ruinen, die einen Eindruck dieser einstigen Zivilisation vermittelten. Als einziges Gebäude, das weitgehend unbeschädigt geblieben war, legte es den Schluss nahe, dass dieser Turm das Zentrum dieser Stadt gewesen sein mochte.

Grinsende Wasserspeier aus Stein warfen hämische Blicke auf sie herab, als sie die einzelnen Ebenen des Turms erklommen. Fast wirkten die Statuen lebendig, und wenn Quistis sie nur noch aus den Augenwinkeln sah, schien es ihr, als würden die steinernen Zeugen vergangener Zeiten den Kopf nach ihr drehen. Bis ein ohrenbetäubender Donnerschlag die gespenstische Ruhe durchbrach.

„Verdammt noch mal!!“ schrie Cifer auf. Er duckte sich unter einer Spur von Rauchkringeln, die den Weg eines Projektils aus Irvines Waffe beschrieben. An der Stelle, an der es eingeschlagen war, kündeten grüne Flecken von dem schlagartigen Ableben eines Tomberys. Mit erbostem Gesicht ging er auf Irvine zu. „Der gehörte mir! Oder war das etwa… Absicht?“ zischte er den Schützen an. Irvine hob den immer noch qualmenden Lauf seiner Waffe und hielt seinem finsteren Blick stand.

„Ich mag es eben auch nicht, wenn man mir im Weg steht…“, knurrte er zurück. Die beiden tauschten stechende Blicke aus, bis Quistis dazwischen ging.

„Schluss, ihr beiden! Wir haben einen Auftrag, der ist wichtiger als eure Streitereien!“ Die beiden wandten sich ihr zu. „Und du, Irvine, pass auf, wo du hin schießt! Wir sind ein Team, vergiss das nicht.“

Irvine hielt ihrem Blick trotzig stand. Cifer wandte sich kopfschüttelnd ab. „Ein Team, pah…“, murmelte er so leise, dass es niemand hörte. Quistis ging auf den Scharfschützen zu und sprach in einem leiseren, aber immer noch eindringlichen Ton auf ihn ein.

„Was ist nur los mit dir? So kenne ich dich gar nicht“, fragte sie ihn mit bekümmerte Stimme.

„Was mit mir los ist?“ fragte er zurück, während sie sich wieder in Bewegung setzten. Cifer, der wie üblich seine Gunblade über der Schulter trug, ging voran die Treppen zur nächsten Etage hinauf. An der Außenseite des Turms wand sich die breite Treppe hinauf, immer wieder unterbrochen von quadratischen Plätzen in den einzelnen Etagen. „Ich habe sie verloren… und ich konnte nichts tun. Weder für sie noch für die anderen“, flüsterte er fast. Quistis nickte und machte ein betroffenes Gesicht.

„Das ist eine schlimme Sache… aber wir können im Moment nichts ändern. Jetzt geht es darum, das Schlimmste zu verhindern.“ Sie überlegte ihre Worte, dann verstummte sie. Irvine warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Das war nicht die ganze Wahrheit, richtig?“ fragte Irvine, der es bereits ahnte. Schließlich nickte Quistis.

„Kramer wollte dich nicht beunruhigen, deshalb- “

„Er wollte mich nicht beunruhigen?“ Er starrte sie ungläubig an. Dann lachte er hilflos. „Ich habe das verloren, was mir am wichtigsten war auf dieser Welt, dazu die meisten meiner Freunde…“ Bitterkeit vergiftete sein Lachen. „Spuck es ruhig aus. Schlimmer kann es für mich nicht mehr kommen.“

Quistis räusperte sich, dann begann sie zu erklären.

„Doktor Dodonna… er befürchtet, dass nicht nur gelegentliche Tore entstehen, wie bisher. Er glaubt, dass sie sich bald überall öffnen. Und das wir dann womöglich eine Invasion erleben. Das mit Squall war erst der Anfang. Glaubt er.“

„Na großartig“, knurrte er und umklammerte seine Waffe fester. „Die sollen nur kommen…“
 

Der Wind wehte hier oben stärker, als sie auf die oberste Plattform des Turms kamen. Hier gab es einen Eingang in eine Kuppel, die den höchsten Punkt des Bauwerks bildete. Ein düsteres Tor prangte in der Mauer. Cifer stand auf dem Platz und sah sich um.

„Und was soll hier sein?“ Fragend blickte er sich um. Die drei schritten nun auf dem Platz umher, von dem man aus fast den gesamten Centra-Kontinent überblicken konnte. Als sich mit einem Schlag der Himmel über ihnen verdunkelte. Wie Tinte in einem Wasserglas füllte sich das Firmament mit Schwärze. Blitze zuckten durch den bis eben noch dunstigen Himmel. Fassungslos tastete Quistis nach ihrem Funkgerät.

„Direktor Kramer…“, stammelte sie, als sich die Hölle zu öffnen begann.
 

Dodonnas erschrockener Blick raste zwischen den Anzeigen hin und her. Seine Assistenten riefen verwirrt durcheinander. Kramer, der am Funkgerät saß, hörte nur noch atmosphärisches Krächzen.

„Frau Trepe? Quistis?? Ich kann sie nicht mehr verstehen- “ Dann merkte er das Durcheinander um ihn herum. „Dodonna, was hat das zu bedeuten?“

Doch der Angesprochene starrte nur entsetzt auf seine Monitore. Er schluckte den Kloss in seinem Hals runter, dann flüsterte er: „Es hat begonnen…“
 

Von Blitzen umzuckte Öffnungen entstanden ringsum sie. Aus diesen strömten Kreaturen der Unterwelt. Nicht viel mehr konnten sie erkennen, als dass sie lange Krallen und mit Zähnen gefüllte Mäuler hatten. Und dass es viele waren.

„Was wird das jetzt!?“ rief Cifer, der sich bald von zischenden Bestien eingekreist sah, die den plötzlich entstehenden Toren entströmten. Über das Visier seiner Waffe blickend, beäugte er die Übermacht. „Na bitte… ich wusste doch, dass das noch interessant wird…“ Dann legte er los.

Sein ausgefranster Mantel wallte theatralisch, als er wie ein grauer Orkan durch ihre Reihen brach. Links und rechts von ihm zerfielen die Ungeheuer, als Hyperion durch ihre Reihen schnitt. Schnell waren sie, und stark, doch das reichte nicht aus um der Wut eines Cifer Almasy Herr zu werden. Immer wieder wich er elegant ihren Angriffen aus, wenn sie sich mit ihren Klauen auf ihn stürzten. Doch jedesmal entzog er sich ihren Attacken, und nur sein Mantel wurde von ihren Klauen noch mehr zerfetzt.

„Fresst das, ihr Mistviecher!“ Donnernd ging Irvines großkalibrige Waffe los und pulverisierte ihre Ziele. Von allen Seiten strömten sie auf ihn ein, doch immer riss er die Waffe schnell genug herum und drückte ab. Quistis stand hinter ihm und hielt ihm den Rücken frei. Mit ihrer Peitsche hielt sie so die restlichen Angreifer ab. „Verdammt…“, knurrte Irvine, nachdem er wieder eines der Monster getroffen hatte, „es sind zu viele!“ Quistis hatte alle Mühe, ihnen den Rücken freizuhalten. Bald würde sie die Übermacht erdrücken. Selbst um Cifer, der wie ein tanzender Teufel durch ihre Reihen fegte und dabei Gegner um Gegner vernichtete, schloss sich der Kreis immer dichter. Bald würde auch er nicht mehr gegen die Flut der Gegner ankommen. Und weitere Tore öffneten sich und spien noch mehr Gegner aus. Quistis tauschte mit Irvine einen verzweifelten Blick, als immer mehr der Ungeheuer den Toren entströmten- und mit ihnen noch etwas.
 

Unter den vielen schwarzen Ungetümen, die sich aus den Toren ergossen, war eine rote Bestie dabei. Sie hatte große Ähnlichkeit mit den anderen Ungeheuern- doch es kämpfte gegen sie.

Über dem Rücken der roten, vierbeinigen Bestie kreiste ein Ring goldener, gleichartiger Gegenstände. Sie landete auf dem Boden und schwang diese goldene Kette wie eine Peitsche gegen die schwarzen Angreifer. Durch eine unsichtbare Verbindung zusammengehalten, bildeten sie eine flexible Reihe, die sich beliebig verlängerte und dann wieder zusammenzog, aber immer wie eine todbringende Waffe durch die Reihen der Angreifer peitschte.

„Was ist das wieder?“ rief Irvine in dem ganzen Durcheinander.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Quistis und bemühte sich, den Schlachtenlärm zu übertönen. „Was immer das ist, es hilft uns!“

Sie tauschten noch einen verwirrten Blick, dann wandten sie sich wieder dem Kampf zu. Mit der Zeit schien der Strom der Gegner zu versiegen. Cifer stand schwer atmend da und stützte sich auf seine Gunblade. Irvine hielt seine Waffe, deren Lauf mittlerweile glühte- und Quistis stand neben ihm und starrte das feuerrote Wesen an. Es glich einer Mischung aus Wolf und Löwe. Das Ende seines Schweifs schien in Flammen zu stehen. Auf dem Kopf trug es eine leuchtendgelbe Mähne. Die goldenen Gegenstände, deren Zahl schwer zu erkennen war, kreisten langsam in der Luft oberhalb ihres Rückens. Knurrend sah sich das Biest um. Dann wandte es sich an die drei.

„He, ihr! Ist das hier der Cosmo Canyon?“ Verblüfft darüber, dass das wolfartige Wesen sprechen konnte, brachten sie kein Wort heraus, sondern starrten es nur an. Missmutig sah sich das Wesen um. „Hm… sieht nicht so aus. Verdammt.“

Irvine näherte sich dem Wolfswesen vorsichtig.

„Du kannst… sprechen?“

Das Wesen blickte ihn mit feurigen Augen an.

„Du etwa auch?“ erwiderte es, und der Sarkasmus war nicht zu überhören. Quistis stellte sich neben Irvine und beäugte das Wesen misstrauisch.

„Du bist keines dieser Monster… was bist du dann?“

Das Wesen beschrieb einen Bogen, bei dem es seine Umgebung taxierte. Dabei hinterließ sein brennender Schweif eine feurige Spur in der Luft.

„Mein Name ist Shinaha, aber das tut nichts zur Sache… wenn das hier nicht der Cosmo Canyon ist, wo bin ich dann?“ murmelte es eher zu sich selbst. Die Stimme des Raubtieres schien eine weibliche Färbung zu haben, so weit man das erkennen konnte. Cifer stand mit verschränkten Armen da und schüttelte den Kopf.

„Was für ein Tag. Noch so ein Freak…“

Bei diesen Worten horchte das Wesen schlagartig auf. Es stürmte auf Cifer los, und schneller als er reagieren konnte, sprang es ihn an und drückte ihn mit seinen Pranken zu Boden.

„Was sagst du da, du Menschenwurm??“

Cifer versuchte sich aus ihrer Unterdrückung zu befreien, doch ohne Erfolg. Drohend kreiste die goldene Kettenpeitsche über ihm in der Luft.

„Runter von mir, du Monster!“ schrie er, und tatsächlich gab das Tierwesen ihn frei. Hastig kam er auf die Beine und hob seine Gunblade. Doch das Wesen machte keine Anstalten, ihn nochmal zu attackieren.

„Was sagtest du vorher, Mensch… es ist wichtig!“ sprach das Wesen eindringlich und fast flehend. Cifer errang seine Fassung wieder.

„Du… du siehst aus wie dieses Vieh.“

„Welches!?“ fauchte es und machte einen Schritt näher. Warnend zielte Cifer mit der Gunblade.

„Immer mit der Ruhe!“ rief Quistis. „Wenn wir wieder im Garden sind, können wir das beilegen. Shinaha… war so dein Name?“

Das rote Wesen wandte sich zu ihr.

„Ja.“

„Woher kommst du? Was war das eben, und… warum hilfst du uns?“

Das Wesen marschierte um sie herum und ließ dabei seinen brennenden Schweif umher tanzen.

„Diese Wesen… sie haben schon viele Welten zerstört. Und eure ist die nächste“, bemerkte sie lakonisch, während die goldenen Kugeln immer noch wie von einer unsichtbaren Kraft gelenkt über ihrem Rücken kreisten.

„Von wo kommst du? Von wo kommen diese Bestien?“ fragte Irvine kopfschüttelnd.

„Niemand weiß, wo sie herkommen. Sie tauchen einfach auf, so wie heute. Wie ein Schwarm Heuschrecken fallen sie her über andere Welten. Was mich betrifft…“ Ihr Blick wanderte über ihre Zuhörer, und in den tierischen Augen blitzte unvermutete Intelligenz auf. „…ich komme aus einem Tal, Cosmo Canyon genannt. Vor vielen Jahren hat mich eine fremde Macht meiner Heimat beraubt. Seither reise ich durch die Welten, auf der Suche nach meiner eigenen. Dabei nutze ich die Tore, mit denen sich auch diese Heere von Monster fortbewegen. Für die Welten, die es trifft, bedeutet es meist den Untergang. Aber für mich eine Chance, meine Heimat wieder zu finden.“ Argwöhnisch blickten sich die drei an. „Nehmt mich mit. Ich muss nachprüfen, was dieser Mensch da gesagt hat. Vielleicht…“Shinaha senkte den Blick. Traurigkeit glühte in ihren halbgeschlossenen Augen. „…gibt es noch andere- “

Sie verstummte mitten im Satz. Irvine hob eine Augenbraue. Sie bewegte sich nicht mehr, war wie erstarrt. Dann wanderte sein Blick zu Quistis und Cifer. Auch sie rührten sich nicht mehr und wirkten wie eingefroren. Alarmiert lief er los und wollte sie berühren- doch seine Hand griff ins Leere.

Ihre Konturen wurden durchscheinend und schwanden schließlich ganz. Mit einem Schlag war er allein auf der Spitze des Turms. Und dann dröhnte eine Stimme von oben herab.

„Das ist nur für dich bestimmt…“

Zornig fuhr er herum.

„Hä?? Du schon wieder?“ Selbst die schwarzen Wolken, die den Himmel wie ein Ölfeld überzogen, waren zum Stillstand gekommen. Irvine ahnte, was jetzt geschah. „Komm raus, verdammt noch mal!! Du warst das mit Selphie! Und auch mit Xell, richtig!?“ schrie er zornerfüllt. Doch niemand antwortete. Stattdessen erzitterte die Erde unter seinen Stiefeln.

Das Beben wurde stärker, und schließlich fielen Teile der Stukfassade des Turms in die Tiefe. Dann wuchs die Gestalt vor dem alleinstehenden Turm im Zentrum der Centra-Ruinen in die Höhe. Bis es auf der Höhe der obersten Plattform war.

„Das- das ist doch…?“ Irvine erkannte die riesige Maschine, die dampfend und ratternd vor ihm in die Höhe wuchs. Zwei mächtige Säulen stützen sie. In ihrer Mitte prangte ein Kopf wie der Helm einer Rüstung. Sie war breiter als der Turm selbst, und um einiges höher- Alexander.

„Heilige Scheiße…“, stammelte er, als sich die Batterien links und rechts seines Haupts öffneten. Dampf und Qualm stießen sie aus, als sie die Raketenschächte freigaben. Irvine duckte sich, dann lief er los. Zischend entwichen die Marschflugkörper ihren Schächten.

Trotz seiner schweren Waffe gelang es ihm einen rettenden Haken zu schlagen. Fontänen aus Staub und Steinbrocken empor reißend, schlugen die Sprengköpfe dicht hinter ihm ein. Beinahe hätte ihn die Druckwelle von den Beinen gerissen. Hastig langte er in die Taschen seiner Materialweste.

„Wer immer du bist… was hast du mit unseren G.F. angestellt!?“ schrie er seinem unbekannten Gegner zu. Alexander begann wieder zu qualmen und zischen, er bereitete den nächsten Angriff vor. Dieser kam schneller als erwartet. In allerletzter Sekunde sprang Irvine hoch- um von der Detonation unter seinen Füßen noch zusätzlich empor geschleudert zu werden.

Die Zeit und alles um ihn herum verlangsamte sich, als er von der Wucht der Explosion getragen, auf Alexander zu schwebte. Im Flug zog er den Spannhebel seines Gewehrs zurück. Der Blick in die Ladekammer wurde frei. Mit der anderen Hand drückte er ein leuchtendes Pulsar-Projektil in die Kammer. Schnalzend schnellte der Spannhebel nach vorne, und die Waffe war geladen. Dicht vor sich sah er bereits das riesenhafte Haupt der mächtigen Guardian Force. Im letzten Moment zog er den Abzug-
 

Seine Augen brannten vor Schmerz. Langsam kam er auf die Beine. Der Lichtblitz, ausgelöst vom Einschlag der Pulsarmunition, hätte ihn um ein Haar erblinden lassen. Vor ihm ragte immer noch Alexander auf und brummte und ratterte lautstark. Doch seine Umrisse verschwammen. Leuchtende Partikel stiegen von ihm auf und sammelten sich. Zusammen bildeten sie gleißende Wolken verdichteter Energie. Irvine sah mit an, wie sie auf ihn herabsanken.

„Was hat das zu bedeuten…“, fragte er leise, während ihn der Geist der Schutzmacht Alexander erfüllte. Einmal noch glühte er zur Gänze grell auf, dann war die Verschmelzung vollständig.
 

Yuffie Kisaragi und Vincent Valentine saßen zusammen in der Kantine des Garden. Sie konnten sich kaum noch erinnern, wann sie das letzte Mal eine warme Mahlzeit zu sich genommen hatten. An die erstaunten Blicke der allesamt gleich uniformierten Kadetten hatten sie sich schon gewöhnt. Fast wunderte es Yuffie, dass Vincent ihrer Einladung gefolgt war. Als ob sich seine ansonsten vorherrschende Verschlossenheit allmählich lösen würde. Irgendwann muss der Eisblock doch auftauen, dachte Yuffie. Doch das Gespräch wollte noch nicht so recht in Gang kommen.

„Und? Weißt du schon, was du nachher tust?“

Vincent blickte langsam von seinem Teller auf.

„Ja.“

Yuffie lächelte. Und wartete.

„Und weiter?“

„Was weiter?“

Verärgert ließ sie ihr Besteck fallen.

„Ich fragte, was du nachher machen willst. Ist das so schwierig…“, grummelte sie. Vincent ordnete sein Besteck sorgfältig auf dem Tisch an und verschränkte die Hände.

„Du meinst, wenn wir das hier überleben? Damit beschäftige ich mich, wenn es so weit ist“, bemerkte er lakonisch.

„Ja, ich meine, na ja…“, begann Yuffie nervös. „Ich meine, willst du etwa wieder in diese gruselige Villa einziehen? Das willst du doch nicht wirklich, oder?“ Sie lächelte hilflos. „Na ja, ich meine… also, wir könnten doch… was ich meine, ich bin gerade dabei, groß ins Materia-Geschäft einzusteigen, aber was mir noch fehlt… wäre ein verlässlicher Partner…“, fügte sie leise hinzu. Vincents stoischer Blick seiner dunkelroten Augen veränderte sich nicht.

„Ich bin mir sicher, du wirst einen finden.“

Das Besteck schepperte, als Yuffies Faust die Tischplatte traf. Die wenigen anderen Anwesenden in der Kantine blickten kurz auf. Eine Gewitterwolke zog über Yuffies Gesicht.

„Verflixt noch mal“, fluchte sie leise, aber eindringlich. „Du warst wohl schon zulange mit Cloud zusammen, was? Willst du etwa so enden wie er?“ Nun war tatsächlich ein Anflug von Überraschung auf Vincents Gesicht erkennbar. Fast glaubte er zu erkennen, wie sich Yuffies Augen mit Tränen füllten.

„Was ist mit Cloud?“ fragte er mit einem unbehaglichen Ton in der Stimme.

„Was mit ihm ist? Herrje, ihr Männer seid wirklich alle gleich!“ entgegnete sie aufgebracht. „Seit Jahren schaut Tifa zu ihm auf und wünscht sich nichts mehr als… als… was weiß ich…“ Verärgert rieb sie sich ihre Augen, um ihre Tränen der Wut vor Vincent zu verbergen. Dann sprach sie leiser weiter. „Jetzt hat er sie verloren. Vielleicht für immer“, sagte sie nicht mehr zornig, sondern nur noch traurig. Vincent blickte sie betroffen an.

„Yuffie… was willst du?“ fragte er aufrichtig klingend. Sie sah ihn an und begann ganz sachte zu lächeln.

„Ich will… nur eine Chance. Ich meine, ich weiß, du hattest es nicht leicht, und das mit Lucrezia… sicher ist das nicht einfach. Aber das ist Vergangenheit. Und es kann doch auch eine Zukunft geben.“ Hoffnungsvoll blickte sie ihn an. Ihre Finger tasteten nach seiner Hand, und zu ihrer Überraschung erwiderte er die Berührung. Eine Weile ruhte sein Blick auf ihren Händen, die sich sacht berührten.

„Ja… die Vergangenheit. Vielleicht hast du recht.“ Einer jener seltenen Momente, in denen er lächelte, ereignete sich. Yuffie strahlte übers ganze Gesicht. „Wenn es so weit ist… aber vorher ist noch einiges zu erledigen, das spüre ich. Und als erstes… muss ich mit Sephiroth sprechen.“ Ganz jäh erhob er sich von seinem Platz. Yuffie starrte ihn entgeistert an.

„WAS?? Du willst zu diesem … Monster gehen?“

Vincent blickte gerade aus und atmete tief durch.

„Er ist ein Monster genau so wie ich… und er ist mein Sohn.“

Nun schnellte auch Yuffie hoch.

„Aber, aber- du bist kein Monster, dass weiß ich! Und er…“ Ihr Gesicht füllte sich für einen Moment mit Abscheu. „Du sagtest selbst, er ist vielleicht gar nicht echt.“

„Das mag sein. Aber das ist wahrscheinlich meine letzte Chance, ihm etwas zu sagen…“, erwiderte er nachdenklich. Sie sahen sich eine Weile an, und Vincent wandte sich erst zum Gehen, als er Verständnis in ihren Augen erkannte.
 

Die beiden SEEDs folgten ihrem Schutzbefohlenen durch den Garden. Scheinbar ziellos waren seine Schritte, die ihn schließlich in die Übungshalle führten. Auf ihren Hinweis, dass es dort ‚gefährlich werden könne‘, reagierte er nicht. Mit zu Boden gerichtetem Blick marschierte er stoisch gerade aus. Kein Auge hatte er für die Pflanzenpracht, die in diesem künstlich angelegten Urwald wucherte. Fassungslos sahen sie mit an, wie ein zufällig ihren Weg kreuzender Archeodinos in zwei Teile zu Boden sank, Sekunden nachdem sein Masamune aufblitzte. Die SEEDs sahen sich an und schluckten angesichts der Beiläufigkeit, mit der der Fremde mit den langen, weißgrauen Haaren das starke Monster erledigt hatte. Ohne den zuckenden Überresten weitere Aufmerksamkeit zu schenken, kam der mysteriöse Mann schließlich zum Hinterausgang der Übungshalle. Sein ausdruckloser Blick ruhte kurz auf der Stahltür, dann trat er hindurch. Die beiden SEEDs beschlossen, vor der Tür zu warten. Etwas bewog sie, den Wunsch des Mannes nach Einsamkeit zu respektieren. Was sie nicht sahen, war ein roter Farbklecks, der ihnen gefolgt war, hinter ihnen vorbeitanzte und durch den Spalt der Stahltür floss.
 

„Sephiroth.“

Eine Zeit lang starrte der Mann von der Brüstung aus auf die Wüste, die sich von hier bis an den Horizont erstreckte. Dann drehte er sich langsam um. Seine türkisfarbenen Augen fixierten den Mann mit dem scharlachroten Umhang und dem Metallhandschuh an der linken Hand.

„Was wollen sie?“ fragte er ungerührt. Vincent ging auf ihn zu. Er wollte etwas sagen, doch seine Stimme stockte. Stattdessen begann der Mann mit dem langen, weißgrauen Haar zu sprechen. „Sie sagten, sie seien mein Vater. Stimmt das?“

Vincent nickte langsam.

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich war mit deiner Mutter zusammen, damals…“

Sephiroths Blick wanderte langsam zu Boden. Dann hob er sich wieder auf Vincent.

„Man hat mir gesagt, meine Eltern wären beide tot.“

„Nun ja… in gewisser Weise stimmte das sogar.“

Fast hätte Sephiroth gelächelt, dann wandte er sich wieder um.

„Wie auch immer… das spielt keine Rolle. Ich existiere nicht wirklich, stimmt’s?“ sprach er leise. Vincent ging zu ihm stellte sich neben ihn an die Brüstung.

„Es sieht so aus. Und ich kann auch nicht sagen, warum. Aber was ich dir eigentlich sagen wollte, war… dass… dass ich…“ Sein hilfloser Blick traf seinen Sohn, der ihn ratlos erwiderte. „Ich habe mich nie um dich kümmern können, und vielleicht hätte ich verhindern können, was aus dir geworden ist…“ Dann fiel ihm nichts mehr ein.

„Sie hassen mich. Was ist aus mir geworden, dass sie mich so verachten?“

Vincent schüttelte langsam den Kopf.

„Es war Shinra… sie haben dich… verändert. Du wurdest zu jemand anders. Ich bin überzeugt, das warst nicht du, am Ende…“

Sephiroths verstörter Blick wechselte zwischen seinen beiden dunkelroten Augen hin und her, in denen in diesem Moment soviel Bedauern und auch Schmerz lag. Der Schmerz über einen verlorenen Sohn, über soviel verpasste Chancen, als-
 

Als der Weltuntergang begann.
 

Sephiroths und Vincents Blick wanderten hinaus in den Himmel, der nun schwarz wie geronnenes Blut war. Blitze zuckten durch die Schwärze, und grell aufleuchtende Tore öffneten sich. Und zwar überall gleichzeitig.

„Was ist das?“ rief Sephiroth. Vincent schüttelte langsam den Kopf. „Nicht gut…“
 

Die SEEDs stolperten in Panik davon, als die aus ihren Angeln gerissene Stahltür an ihnen vorbei flog. Und mit ihr ein grauenhaftes Monster, wie sie es noch nie gesehen hatten. Das schwarze Ungetüm polterte über den Boden und verendete dann. Der entsetzte Blick der beiden schockierten SEEDs wanderte von dem sich auflösenden, riesigen Monster zu den beiden Gestalten, die durch die zerstörte Tür schritten. Hinter ihnen glühte ein violett-schwarzer, von Blitzen durchzuckter Himmel und warf ein gespenstisches Gegenlicht. Sie schienen der Hölle entstiegen zu sein…

Sein gewaltiges Masamune in der Rechten haltend, ging der Mann mit den wallenden, weißgrauen Haaren Seite an Seite mit einem zweiten, dessen leuchtendrote Augen von Satan selbst sein konnten. In seiner Hand glänzte eine dreiläufige Waffe, deren Mündung immer noch glühte. Dann öffneten sich weitere Tore- nun IM Garden.

Von Panik erfüllt, rannten die SEEDs weg. Von allen Seiten näherten sich nun dunkle, fauchende und mit Krallen und Zähnen übersäte Ungeheuer, die elektrisch knisternden Toren im Raum-Zeitgefüge entströmten. Sephiroth und Vincent stellten sich Rücken an Rücken der Übermacht. Von allen Seiten näherten sie sich.

„Ist eigentlich unfair…“, murmelte Sephiroth, auf dessen blankpolierten Schwert sich zahllose, geifernde Monsterfratzen spiegelten.

„Stimmt“, antwortete Vincent. Über das Visier seiner Waffe betrachtete er die Heerschar der Gegner und schätzte ihre Zahl. „Wir sind zu zweit… und die nur etwa Hundert. Ist aber deren Pech“, fügte er schulterzuckend hinzu.
 

Nur mit Mühe gelang es Quistis, Irvine wachzurütteln. Verwirrt sah er sich um.

„Was… ist passiert?“ stammelte er.

„Ist er wach? Wir müssen nämlich weg, und zwar schleunigst!“ rief Cifer, der beobachtete, wie sich neue Tore öffneten. Auch das Wesen namens Shinaha stand bei ihnen und machte einen beunruhigten Eindruck.

„Das war erst der Anfang. Wir können hier nicht bleiben!“

Ächzend kam Irvine auf die Beine, und gemeinsam traten sie die Flucht an.

„Direktor Kramer!! Hören sie mich!“ rief sie verzweifelt in ihr Funkgerät, während sie die Treppen des Turms hinab stürmten. Doch außer atmosphärischen Rauschen hörte sie nichts. Schon hörten sie das Getrampel neuer Gegner hinter sich, als sie endlich den Fuß des Turms erreichten. An der Rampe des Garden erwartete sie bereits eine Einheit SEEDs. Bevor sie noch irgendwas sagen konnten, geleiteten die SEEDs sie in aller Eile in das Innere.

„Sie sind auch hier drinnen, wir müssen jeden Moment wachsam sein“, erklärte einer von ihnen, als sie die Gänge entlang stürmten.

„Was??“ rief Quistis. „Was soll das hei- “

„Diese Tore, sie gehen überall auf!“ antwortete der SEED panisch. Dann kamen sie in den zentralen Saal des Gardens. Und da sahen sie es.
 

Der Garden war ein Schlachtfeld. An allen Ecken und Enden wurde gekämpft. Aus scheinbar allen Richtungen kamen die raubtierartigen Bestien gerannt und wurden von Kadetten und SEEDs zum Kampf gestellt. Dann spürten sie einen plötzlichen Stoß, als sich der Garden in Bewegung setzte.
 

Ein Trupp schwerbewaffneter SEEDs geleitete Direktor Kramer in aller Eile zur Kommandobrücke. Auf alles feuernd, was sich ihnen in den Weg stellte, zerrten sie den Direktor grob mit sich. Erst als sie den Aufzug erreichten und letzte Schüsse nach draußen durch die sich schließenden Türen abgaben, konnte der Direktor einen Moment durchatmen. Verwirrt sah er sich um.

„Was- was passiert hier?“ fragte er hilflos die SEEDs um sich herum. Ein Mann in der bekannten Uniform neben ihm, der gerade das Magazin seines Sturmgewehres wechselte, schüttelte nur den Kopf.

„Keine Ahnung, Sir. Wir werden angegriffen, auch wenn ich nicht weiß wie oder von wem. Aber wir bringen sie heil raus, das steht fest.“

Die feste Stimme des SEED flößte ihm etwas Zuversicht ein, und schließlich öffnete sich die Tür und gab den Blick in den obersten Stock frei.

Auch Kramers Büro war voller Monster. Einer der SEEDs drückte ihn unsanft zu Boden, dann brach das stählerne Gewitter aus den Sturmgewehren seiner Leibgarde los. Kramer lag auf dem Boden und beschirmte seinen Kopf mit beiden Händen, während ringsum um ihn Patronenhülsen zu Boden fielen. Dann verstummte das Getöse, und jemand zog ihn hoch.

„Die Luft ist rein“, versicherte ihm der SEED. Im Laufschritt erreichten sie dann die Brücke.
 

Von schrillem Aufschreien begleitet starben die Ungeheuer unter seinem glühenden Masamune. Schnell wie ein Pfeil und tödlich wie Arsen pflügte Sephiroth durch die Scharen der Bestien, die den Toren entströmt waren. Nach wenigen Hieben zerfielen alle Ungeheuer in der Reichweite seines Schwertes zu schwarzer Asche.

Langsam hob er seinen Blick. Bereit zum Zuschlagen hielt er Masamune in der Hinterhand. Eine neue Welle aus Monstern brach durch das Unterholz des Urwaldes um sie herum. Auf breiter Front drohten sie sie zu überrennen. Sein Ledermantel wallte wie vom Sturm aufgepeitscht, als er los stürmte. Dann stoppte er abrupt und vollführte einen Horizontalhieb. Sein durch die Luft flatternder Mantel erstarrte- wie auch alles um ihn herum. Nur seine Augen glänzten, als eine grell leuchtende Linie sich quer über die erstarrte Horde von Ungeheuern zog. Dann setzte sich die Wirklichkeit wieder in Bewegung.

Wie von einer Sturmbö empor gerissen, flogen die zerteilten Bäume des künstlich angelegten Urwaldes hoch in die Luft. Und mit ihnen die zweigeteilten Monster, die allesamt von Masamunes unsichtbarem Streich durchschnitten worden waren. Voller Genugtuung betrachtete er die zerfallenden Überreste des Heeres der Finsternis, dann wandte er sich um. Und für einen kurzen Moment erschrak er.

Langsam sank Vincent zu Boden. Als seine Füße den Untergrund berührten, bildeten sich auch seine blutroten, löchrigen Flügel zurück. Ebenso die zackenartigen Auswüchse auf seinem Kopf, die wie eine Krone eines Teufels wirkte, schwanden. Momente später sah er wieder aus wie zuvor. Seine Statur wirkte wieder menschlich. Dann bemerkte er Sephiroths erstaunten Blick.

„Ach das…“, murmelte er und kratzte sich mit der freien Hand am Kopf. „Das passiert, wenn ich wütend werde“, erklärte er lapidar. Sephiroth nickte nur, dann verließen sie die Übungshalle und ließen ein völlig verwüstetes Schlachtfeld zurück.
 

„Volle Kraft voraus! Nichts wie weg hier!!“ rief Kramer verzweifelt. Nida, der das Steuer des Garden bediente, hantierte hektisch. Schon war der Garden in Bewegung und hielt Kurs aufs offene Meer. Bedrohlich hing über ihnen ein schwarzer Himmel, wo Minuten vorher noch die Sonne durch trübe Wolken geschienen hatte.

„Ich brauche einen Kurs, Sir!“

Es dauerte einen Moment, dann hatte Direktor Kramer seine Fassung wieder.

„Kurs Richtung Edeas Waisenhaus“, befahl er mit fester Stimme. „Wir müssen sie retten…“

Ohne zu zögern steuerte Nida das Ziel an.
 

Kurze Zeit später hatten sie wieder die Kontrolle über den Garden. Alle aufgetauchten Monster waren besiegt, nicht zuletzt wegen Sephiroths tatkräftiger Hilfe, der sein Masamune mit tödlicher Macht schwang. Es gab zwar Verluste unter den weniger erfahrenen Kadetten zu beklagen, aber dank Clouds und Cids Kampfkraft hielten sie sich in Grenzen. Kadowakis Lazarett war überfüllt mit Verletzten, doch die Situation war wieder in ihren Händen. Auf allen Decks patrouillierten nun unablässig SEEDs, sollten sich weitere Tore innerhalb des Gardens öffnen.

Alle Fremdlinge, die es in diese Welt verschlagen hatte, versammelten sich nun in der Haupthalle auf der großen Treppe, zwischen Aufzug und Hinweistafel. Ringsum sie herrschte Ausnahmezustand. Verletzte wurden in Richtung Krankenstation getragen, schwer bewaffnete SEEDs standen bereit, um einen neuerlichen Angriff abzuwehren. Cloud saß etwas oberhalb auf einer Stufe und blickte zu Sephiroth hinab, der am Fuß der Treppe mit verschränkten Armen stand. Nicht zuletzt dank ihm war der Garden nicht gefallen. Sein taktisches Geschick und sein Mut hatte die SEEDs am Zerfallen gehindert angesichts dieses massiven Überraschungsangriffes.

Anne saß neben Cloud und klammerte sich an seinem Arm fest. Sie war Zeuge geworden, wie Cloud draußen im Außenhof gegen die Ungeheuer gekämpft hatte. Auch wenn es ihm gelungen war, sie zu schützen, so war sie nach wie vor verängstigt. Die Schreie der Monster, die vernichtenden Hiebe seines Schwertes- dies alles war ihr eine unbekannte Welt. Eine Welt, die ihr Angst machte.

Auch Cid, Shera und die beiden Kinder waren bei ihnen auf der Treppe. Sie hatten diesen Platz gewählt, weil er am besten einsehbar war. Hier würde sie nicht so leicht ein Angriff überraschen können. Cloud ergriff Annes Hand und erwiderte ihren flehenden Blick.

„Ist es nun vorbei?“ fragte sie leise und mit zitternder Stimme.

„Ja, ich glaube schon“, antwortete er, um sie zu beruhigen. Dann fiel sein Blick wieder auf Sephiroth, und er merkte eines- er konnte ihn nicht mehr hassen. Er hatte einiges getan für die Menschen hier, und überhaupt war dies nicht der Sephiroth seiner Erinnerung- der ‚nie eine Erinnerung‘ sein wollte.

Schließlich stand er auf und legte vorher noch Anne beruhigend die Hand auf die Schulter.

„Ich bin gleich wieder da“, sagte er. Sie wollte ihn festhalten, doch er schenkte ihr nur einen zuversichtlichen Blick- dann ließ sie ihn los. Er ging die Treppe hinab zu Sephiroth.
 

„Ähm… Sephiroth?“

Er drehte sich um und sah dem Mann mit den wirren, blonden Haaren ins Gesicht.

„Ja?“

Cloud blickte sich unbehaglich um. Um sich herum sah er Verletzte, die an Ort und Stelle mit dem Nötigsten versorgt wurden und bewaffnete Männer und Frauen, die keinen Winkel des Garden unbewacht ließen. Dann sah er wieder ihn an.

„Das vorhin, unser erstes Zusammentreffen… es war falsch. Ich möchte mich entschuldigen.“

Sephiroth nickte langsam.

„Vincent hat es mir erzählt. Was ich… was mein zukünftiges Ich getan hat. Ich verstehe euren Hass. Ich würde nicht anders fühlen. Das Ganze… ich kann es nicht ungeschehen machen. Aber… es tut mir leid.“

Sephiroth streckte ihm die Hand aus. Cloud betrachtete sie- und ergriff sie.
 

Von seiner Leibgarde begleitet, die ihn keinen Moment mehr aus den Augen ließ, lief Direktor Kramer durch den Garden. Viele Kadetten und auch SEEDs waren tot oder verletzt, und die restlichen waren für die Verteidigung des Garden überlebensnotwendig. Irvine Kinneas war ein rätselhaftes Ereignis zugestoßen, dass ihn im Moment kampfunfähig machte. Quistis Trepe hatte alle Hände voll zu tun, das Chaos zu ordnen. Nur Cifer Almasy war immer noch tatkräftig und verlangte förmlich nach einer Aufgabe. Und so wandte er sich an die Gruppe, die wie bestellt und nicht abgeholt auf der Treppe inmitten des Durcheinanders saß.

„Ich kann euch nichts befehlen, sondern nur bitten“, begann er händeringend. Hinter ihm kam das rätselhafte Wesen hervor. Sein rotes Fell zog die Blicke aller auf sich. Besonders aber Nanakis.

Die beiden sich ähnlich sehenden Wesen näherten sich skeptisch. In der Tat waren sie von der gleichen Spezies. Die Fellzeichnung, der brennende Schweif- nur die Farbe ihrer Mähnen unterschied sie. Und der Klang ihrer Stimmen. Zwei Paare fassungsloser Raubtieraugen blickten sich an.

„Ich bin Nanaki aus dem Cosmo Canyon“, begann er nach Momenten der Sprachlosigkeit.

„Dieser Ort… ich dachte nicht, jemals wieder Kunde von ihm zu erhalten“, erwiderte das andere Wesen. „Ich bin Shinaha.“ Sie schüttelte ihre leuchtendgelbe Mähne. „Was für tragische Umstände uns zusammengeführt haben…“ Ohne noch ein weiteres Wort zu wechseln, verließen sie gemeinsam den Ort. Und ein Dutzend erstaunter Augenpaare blickte ihnen hinterher. „Ich fress‘ ´nen Besen“, fluchte Cid leise.

„Also gut…“, setzte Kramer hilflos fort. „Mich wundert gar nichts mehr… aber ich brauche eure Hilfe! Jemand muss meine Frau retten, und ich kann keine Truppen entbehren.“

Anne klammerte sich fester an Cloud, der sich schon erheben wollte. Cid kratzte sich am Kopf und sah Shera und die beiden Kinder, die ihn ängstlich ansahen. Vincent wollte sich schon erheben- doch Sephiroth hielt ihn zurück.

„Nein. Ich gehe. Du bleibst hier.“ Erstaunt blickte Vincent ihn an. „Ich muss etwas gutmachen.“ Dann stellte er sich zu Cifer hinzu, der schon bereit war zum Aufbruch. Dieser taxierte ihn skeptisch von Kopf bis Fuß.

„Schräger Fummel… und da, wo du herkommst, gibt’s wohl keinen Friseur, was?“ ätzte er. Sephiroth wandte sich an ihn und zog sein Masamune. Alle erstarrten. Langsam ließ er die Klinge an Cifers Gesicht vorbeigleiten.

„Dafür DAS hier“, bemerkte er trocken. Cifer räusperte sich, dann nickte er zufrieden.

„Schön, dich kennenzulernen. Cifer Almasy“, sagte er und streckte ihm die Hand aus. Er ergriff sie.

„Sephiroth. Einfach nur… Sephiroth.“

„Na gut. Nachdem das geklärt wäre…“, ging Kramer seufzend dazwischen. „Wir brauchen aber noch einen Freiwilligen. Für zwei ist das zu gefährlich.“

Nun erhob sich Yuffie.

„Ich komme mit!“ krähte sie fröhlich. Dann traf sie Vincents beunruhigter Blick.

„Willst du das wirklich?“ fragte er besorgt. Sie zwinkerte ihm zu.

„Ich pass schon auf mich auf.“

Erleichtert atmete Cid Kramer aus. Dann begleitete er die illustren Drei zum Parkdeck. Vincent sah ihnen hinterher. Einen Moment wunderte er sich über seine eigene Reaktion. Dann verstand er…
 

Der Garden war noch nicht zum Stillstand gekommen, als sie bereits fertig zum Ausbooten an der Rampe standen. Hinter ihnen stand Kramer und machte ein besorgtes Gesicht. Immer noch hing der rabenschwarze Himmel wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen. Sand und Wasser stoben empor, als der Garden im Tiefflug sich der Bucht näherte, in der sich Edeas Waisenhaus befand. Schließlich gelangten sie in Reichweite. Während des Fluges sprangen sie die wenigen Meter in die Tiefe.

„Keine Angst, ich hole Mama“, rief Cifer noch zwinkernd, dann war er weg. Die anderen folgten ihm.
 

Sand flog von ihren Schuhen, als sie auf das Waisenhaus zuliefen. Der Garden landete einstweilen. Von außen war das Gebäude unbeschädigt und so, wie Cifer es kannte. Eilig riss die Tür auf- um sich einem glühenden Feuerball gegenüber zu sehen.

„Cifer!!“ rief Edea Kramer und ließ den Angriffszauber in ihrer Handfläche versiegen. Hinter ihr drückten sich ein Dutzend Kinder aneinander und schlotterten vor Angst. Cifer ging auf sie zu. Edea ergriff ihn an den Schultern. „Gut, dass ihr da seid- was um alles in der Welt ist- “

„Ich habe nicht die geringste Ahnung“, unterbrach er sie. „Aber wir holen euch ab, wenn’s Recht ist“, sagte er lächelnd.

Sofort begannen sie die Kinder in den Garden zu eskortieren. Als letztes betrat Edea die Rampe und wurde sofort von ihrem Ehemann in die Arme geschlossen.

„Ich bin so froh, dass ihr in Ordnung seid…“, seufzte er. Cifer und Sephiroth standen immer noch am Strand. Yuffie bemerkte etwas im Wasser und lief darauf zu. „He… wir sollten starten- “, rief Cid Kramer mit Edea im Arm, doch etwas brachte ihn zum Verstummen. Direkt vor dem Waisenhaus begann die Luft zu flirren. Dann entstanden Blitze, und ein Kreis zeichnete sich in der mit Elektrizität schwangeren Luft ab. Alle wussten, was das bedeutete. „Nicht noch ein Tor…“, jammerte Kramer. Doch Sephiroth und Cifer marschierten schon los, ganz begierig, weitere dieser Höllenkreaturen zu vernichten.
 

Der Kreis verschärfte sich, und schließlich brach seine Oberfläche. Und aus einer Welt, die kein gesundes Menschenauge erblicken konnte, trat ein haushohes Ungetüm.

Sephiroths konzentrierter Blick blitzte durch seine weißgrauen Haarsträhnen, die ihm in sein ernstes Gesicht hingen. Masamune hielt er locker in der Rechten. Mit einem Male war alles so einfach, wie früher… er war geboren, um bei S.O.L.D.A.T. zu dienen, daran hatte er nie gezweifelt. Er konnte kämpften wie sonst niemand in seiner Welt. Das Schlachtfeld war seine wahre Heimat, unabhängig von den Wirrungen der Zeit, in die es ihn verschlug. Belächelt hatten sie ihn damals allesamt, als er sich für seine Waffe entschieden hatte. Zu groß und zu unhandlich, so lautete das allgemeine Urteil. Doch in seinen Händen verwandelte sich Masamune in einen stählernen Fluch, der den Tod über alle seine Widersacher brachte.

Das Wesen trat langsam aus seinem interdimensionalen Bannkreis. Cifer hob eine Augenbraue. Aus den Berichten der SEEDs im Hexenkrieg hatte er von einem überirdisch starken Monster in Artemisias Schloss gehört. Squall und seine Getreuen hatten es mit letzter Kraft und mit ihren stärksten Angriffen besiegt, doch ohne die Zuhilfenahme von Göttertränken, mystischer Medizin, die kurzzeitige Unsterblichkeit versprach, wären sie wohl gefallen. Seit damals hatte es ihn gepeinigt, dass er nicht an ihrer Seite gegen diesen Feind von mythischer Stärke hatte antreten können. Doch nun war es soweit. Die Beschreibung im Einsatzbericht war eindeutig gewesen, und dies war es mit Sicherheit. In diesem Moment interessierte es ihn auch nicht, welche rätselhafte Macht diese Kreatur zurück ins Leben und gerade hier her gerufen hatte- er wollte sich nur mit ihm messen.

Auf vier Beinen stampfte es aus dem Dimensionsriss. Silberne Ornamente wie geschmolzenes Metall überzogen seinen ansonsten schwarzen Körper. Wie eine mechanische Schlange zuckte sein Schweif hin und her. Und sein Haupt war eine Maske aus erstarrter Wut und dem Willen, niemals zu sterben. Gelehrte waren zu dem Schluss gekommen, dass jemand in einer fernen Zukunft einen Apparat erschaffen haben musste, dessen alleinige Aufgabe der Krieg gegen die Götter war. Und so hatten sie es mit unvorstellbarer Macht ausgestattet, unter anderem mit der Fähigkeit zum Durchreisen der Zeit. Auf diese Weise war es wohl seinen Schöpfern entwischt und befand sich nun auf einer Odyssee durch die Epochen, immer auf der Suche nach ebenbürtigen Gegnern.

Und die hatte es nun gefunden.
 

Omega Weapon.
 

Die Maschine mit dem raubtierähnlichen Habitus warf den beiden Recken kalte, präzise Blicke zu. Dann röhrte es unmenschlich, und die Mühen einer Reise durch die Zeit und das Universum klangen aus ihm heraus.

Cifer und Sephiroth gingen in Position.

Direktor Kramer scheuchte seine Frau in den Garden, dann ließ er die Rampe hochfahren.

Dann begannen sie.
 

Im metallisch blitzenden Maul der Maschine leuchtete eine massive Energiekonzentration auf. Die erste Attacke folgte, und beide Kämpfer wussten um ihre Wirkung. Auch wenn sie aus verschiedenen Welten stammten, eines war ihnen gemein: der stärkste Zauberspruch von allen.

Ultima.
 

Schon fühlten beide die Hitze der Kernschmelze auf der Haut brennen. Zwischen ihnen formte sich ein Ball aus gleißendem Licht, dass ihnen jede Sicht raubte. Die Sphäre aus heißen Neutronen breitete sich aus, und sie boten alle Kraft zur Abwehr auf, die sie in sich finden konnten. Dann detonierte die Ultima-Explosion.

Die Wand aus Hitze, Druck und alles verbrennendem Licht fegte das Waisenhaus vom Strand wie eine Sturmbö ein Kartenhaus. In winzige Partikel zerfallen, stob es in alle Richtungen davon. Auch das Wasser am Strand verdampfte- bis auf eine Stelle, an der eine Dimensionsblase herrschte, in der Yuffie nun eingeschlossen war…
 

Etwas im Wasser lockte Yuffie. Etwas Glänzendes verbarg sich unter den Wellen, die sanft an den Strand spülten. Bis zu den Knien watete sie im Wasser und vergaß alles um sie herum. Ihre Mission zur Rettung des Waisenhauses… wie fortgeweht war dieser Gedanke. Nur noch pure Neugier erfüllte sie und lenkte ihre Schritte. Bis sie den glänzenden Gegenstand erreicht hatte.

Ihre Finger tasteten durch den Sand, und der Wellengang warf sie fast um. Konzentriert griff sie nach dem Gegenstand, der immer wieder ihrer Hand entglitt. Doch dann bekam sie ihn zu fassen.

„Oooh…“

Ihre Augen weiteten sich. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ein so prächtiges Stück Materia gefunden. Seine Schönheit stellte alles in den Schatten, das sie bisher gesehen hatte. Dieses Funkeln und Glühen… die Zeit selbst schien stehen zu bleiben, als Yuffie die Materiakugel betrachtete.

Eine halbe Ewigkeit schien vorüberzugehen, bis sie ihren Blick von der Materiakugel reißen konnte. Einen Moment lang verlor sie die Orientierung. Aus welcher Richtung war sie gekommen? Hinter ihr war nur Wasser. Auch in allen anderen Richtungen. Verwirrt blinzelte sie in das träge Sonnenlicht.

„Hä??“ Sie konnte den Strand nicht mehr sehen. Ebenso wenig den Garden, der doch nur wenige Schritte von ihr entfernt gelandet war. Immer noch stand sie bis zu den Knien im Meer, doch kein Land war ringsum zu erkennen. Dann hörte sie eine hohle Stimme in ihrem Kopf. Sie schien von nirgendwo und überall gleichzeitig zu kommen.

„Das ist nur für dich bestimmt.“

„He, Leute? Was soll das?“ rief sie verunsichert. Dann erklang das Lachen einer Frau. Es wirkte amüsiert und zugleich voller Schadenfreude. Aus allen Richtungen gleichzeitig schien es an ihre Ohren zu dringen. „He, wer ist da?“ rief sie aufgebracht. Dann fiel ihr Blick auf die Quelle des Lachens.
 

Nicht weit von ihr saß sie auf einem Fels, der aus dem Wasser ragte. Die Wellen des Meeres umspielten ihn sanft. Flügel aus Gold und Violett verbargen das Wesen. Sachte wie ein Lufthauch gaben sie den Blick frei auf sie.

Yuffie war so gebannt, dass sie sogar die Materiakugel ins Wasser fallen ließ. Erschrocken blickte sie ins Wasser, doch sie war nicht mehr da. Dann hob sie ihren Blick wieder, und abermals erklang das Lachen, das wie Glockenklang schallte. Es verdrängte sogar Yuffies Gier nach Materia.

„Da bist du ja… ich habe dich erwartet“, gluckste die Frau auf dem Felsen. Sie war unbekleidet, nur ihre Scham war notdürftig mit so etwas wie goldenen Federn verdeckt. In Händen hielt sie eine Harfe, der sie betörende Klänge entlockte. Wie süßer Honig krochen sie in Yuffies Verstand und verklebten alles.

„Wer bist du?“ fragte Yuffie und ging auf sie zu. Mit jedem Schritt merkte sie, wie ihre Füße schwerer wurden.

„Ich? Aber Kindchen, du kennst mich wirklich nicht? Aus was für einer traurigen Welt kommst du, in der keiner meiner Schwestern lebt?“ Wieder lachte sie, und es kam Yuffie vor, als brandete in diesem Moment eine Sturmflut aus Schaum gegen sie, die jede Bewegung verlangsamte. „Aber was spielt das für eine Rolle… lass mich dir ein Lied vorspielen.“ Sie begann, auf ihrer Harfe zu zupfen. Die Klänge flossen und strömten wie Wellen der Müdigkeit auf sie zu. Die Schritte fielen ihr immer schwerer. Nur mit größter Mühe konnte sie ihre Augen offenhalten.

„Was… geschieht mit… mir? Warum… werde ich so… müde?“

Yuffie geriet ins Straucheln. Die Klänge waren so angenehm und sanft, sie verhießen tiefen Schlaf und Vergessen. Doch noch bäumte sich Widerstand in ihr auf.

„Warum wehrst du dich dagegen? Hier bist du sicher und kannst sanft schlummern… bis in alle Ewigkeit, hi, hi, hi…“

Nur noch wenige Schritte trennten Yuffie von der nackten Frau auf dem Felsen. Je näher sie kam, desto mehr Willenskraft musste sie aufbieten, um nicht ermattet zu Boden zu sinken. Die goldenen Wolken der Trägheit und der Müdigkeit waren so verlockend, doch noch konnte sie sich auf den Beinen halten. Und so wankte sie auf die mysteriöse Frau zu, bis sie schließlich vor ihr stand.

Zäher Honig kroch durch Yuffies Geist und flüsterte ihr alle möglichen Verheißungen zu, wenn sie sich nur in die sanfte Umarmung des Schlafs fügen würde. Die Frau beugte sich zu ihr herunter und nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. Nun sah Yuffie, dass die Augen dieser seltsamen Person in allen Farben leuchteten. Ihr Blick war so verführerisch, so einschläfernd…

„Mein Kindchen, bald wirst du keine Sorgen mehr haben, bald wirst du ewig schlafen… hier bei mir, deiner Sirene…“ Yuffies starrer Blick drohte in ihren lockenden Augen zu versinken. Die Lippen der mysteriösen Frau näherten sich den ihren. Ein goldfarbener Dunst entstieg ihrem Mund und drang in Nase und Mund ihres Opfers ein. „Oh ja, du wirst schlafen… für immer… mir, der Sirene, wirst du nicht entkom- “

Die Frau mit der betörenden Aura verstummte plötzlich. Dann wanderte der Blick ihrer vielfarbigen Augen nach unten, zu ihrer Brust. In der nun Yuffies Conformer steckte. Mit beiden Händen hielt sie ihn, nach dem sie ihn der Frau mit letzter Kraft in die Brust gerammt hatte. An der Rückseite trat er wieder aus, doch es floss kein Blut. Der Bann schien gebrochen, nun herrschte wieder Klarheit in Yuffies Kopf. Sie zog die Waffe aus der Wunde und trat einen Schritt zurück.

Die Frau betrachtete die Wunde, als ginge es sie gar nichts an. Leuchtende Partikel stiegen von der Wunde auf, und ihre Umrisse wurden durchsichtig.

„Du hast es… geschafft. Ich konnte dich nicht… in Schlaf versetzen“, flüsterte sie geschwächt. Sie ließ die Harfe sinken, dann löste sie sich in eine Wolke aus Licht auf. Erstaunt sah Yuffie mit an, wie die Wolke auf sie zufloss und sie zur Gänze einhüllte.
 

Der Garden hielt der Druckwelle stand. Wenngleich die dem Monster zugewandte Seite schwarz verrußt war. Cifer und Sephiroth hinterließen einen Brandschatten an der Außenhülle des Garden-
 

-und doch lebten sie noch.
 

Keuchend kam Sephiroth wieder auf die Beine. Seine Haare, seine Kleidung- alles war mit Ruß bedeckt. Nur seine utopischen Statuswerte hatten ihn vor dem Verglühen bewahrt. Nichts desto trotz war er geschwächt. Einen Moment lang musste er sich auf sein Masamune stützen. Dann fiel sein Blick auf seinen gefallenen Mitstreiter. Cifer Almasy lag bewegungslos im um seine Füße geschmolzenen Sand. Ohne zu zögern sprach er den Spruch. Oft genug hatte er es praktiziert in den Einsätzen bei S.O.L.D.A.T. Seine Hand glühte auf, und die Feder eines Erzengels schwebte auf Cifer herab.

Von neuer Kraft erfüllt, stand er auf. Schon oft war Cifer kampfunfähig gewesen in seinem Leben, und er hatte es immer gehasst. Das Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertsein an seine Kameraden, die ihn nun wiederbelebten oder nicht, war schlimmer für ihn als alle Schmerzen. Doch nun war er wieder im Rennen, und seine Wut ließ seine Kräfte erwachen.

Seine Umrisse leuchteten rot auf. Arrogant grinsend streckte er die Hand aus, und Wogen lodernder Flammen hüllten die Omega-Maschine ein. Kaum war das tosende Flammenmeer verstummt, sprang er auch schon weit in die Luft.

Der ohnehin schon dunkle Himmel verfinsterte sich noch weiter, als er zu seiner stärksten Attacke ansetzte. Mit Hyperion hieb er durch die Luft und formte mit einem Vertikalhieb, gefolgt von einem Horizontalhieb, ein leuchtendes Kreuz-

-das sich unter Omega wiederspiegelte. Die Umrisse des Kreuzes glühten auf, dann explodierte der Boden unter ihm. Von der Wucht und den Bruchstücken empor getragen, segelte Omega weit hinauf- um dann wieder den unvermeidlichen Absturz zu beginnen.

Wo es eben noch gestanden war, klaffte nun ein von purer Schwärze erfüllter Krater. Omega fiel direkt hinein.

Schier endlos fiel es durch einen unterirdischen Kosmos, der jedem Leben feindlich gesinnt war und ihm unwiderstehlich Kraft entzog. Bis…

…Omega wieder vom Himmel fiel und auf dem Sandstrand einschlug. Der Aufschrei des Wesens schmerzte ihnen in den Ohren. Cifers gewaltige Attacke hätte beinahe alles vernichtet, und auch diese mystische Maschine war nun schwer verwundet. Aber eben noch nicht besiegt.

Sephiroth wollte schon zu einer Attacke ansetzen, doch Omega kam ihnen zuvor. Wieder entfachte es einen Zauberspruch- doch keinen, den irgendein Mensch würde wiederholen können. Dieser war einzig und allein dieser Maschine aus einer fremden Welt und einer gänzlich unbekannten Zukunft vorbehalten. Die Welt um Cifer und Sephiroth herum schwand, löste sich auf ihn dichte, greifbare Dunkelheit…

Langsam sanken sie herab, bis sie gläsernen Sand unter ihren Schuhen spürten. Am Horizont waberten dunkelrote Flammenwände, und um sich herum erkannten sie die Ruinen einer Stadt. Einer Stadt, die von solch großer Hitze zerschmolzen war, dass selbst die Seelen ihrer früheren Einwohner zu leeren Schatten verglüht worden waren. Die Stadt Megiddo…

Und vor ihnen stand Omega und schüttelte seinen raubtierartigen Maschinenkopf. Dann spürten sie eine Hitze in sich aufsteigen, die nicht nur physisch war- sie brannte in ihr Bewusstsein hinein und drohte selbst noch ihre Seelen zu versengen.

Der gläserne Sand unter ihnen zersprang in tausende Teile, und eine Säule dunklen und zugleich unsichtbaren Feuers raste empor und durch sie hindurch. Eine alles verzehrende Hitze ergriff sie und raubte ihnen für endlose Momente das Bewusstsein…

Wieder standen sie auf dem Strand des Centra-Kontinents, und wieder drohten sie den Kampf gegen die Maschine aus einer fernen Zukunft zu verlieren. Cifer lag wieder kampfunfähig auf dem Erdboden. Würden sie diese Kreatur nicht niederringen können, dann würde es den Garden angreifen, und keine SEEDs dieser Welt würden es mehr aufhalten können.

Wieder warf Sephiroths Hand eine Phönix-Feder. Cifer kämpfte sich zurück in die Welt der Lebenden. Schon wollte er einen weiteren Verzweiflungsangriff starten- doch dann fiel sein Blick auf Sephiroth. Auf den nun völlig veränderten Sephiroth.
 

Fassungslos starrte Cifer den Mann- oder besser gesagt, das Wesen neben sich an. Sephiroth trug nun keinen Oberteil mehr, sein Oberkörper war unbedeckt. Und aus seinem Rücken ragte ein einzelner, riesiger, weißer Flügel. Dazu kam eine überirdische, beinahe göttliche Aura, die ihn nun umgab. Zu dieser Erscheinung fiel Cifer nur ein Ausdruck.
 

Der Engel mit dem einen Flügel.

(Es wird empfohlen, Sephiroths Themesong „One winged Angel“ aufzulegen, und zwar volle Lautstärke XD)
 

Ein entrücktes Lächeln umspielte Sephiroths Züge, als er die linke Hand hob. Dann flüsterte er kaum hörbar ein einziges Wort.

„Supernova.“
 

Die starrende Kälte des Weltraums umfing sie. Ferne Sternbilder leuchteten über ihnen. Die komplizierten Algebra-Formeln genialer Mathematiker, die versucht hatten, die Rätsel des Kosmos zu entschlüsseln, schwebten leuchtenden Hologrammen gleich an ihnen vorbei. Sie wurden aber überleuchtet vom Glühen eines Meteors aus den Tiefen des Kosmos. Wie ein Güterzug raste er auf sie zu und durch sie hindurch. Er setzte seinen seit Ewigkeiten bestimmten Weg fort, in Richtung unserer Galaxie. Einen tausende Kilometer langen Schweif aus Gestein und Gas nach sich ziehend, steuerte er den äußeren Rand der Milchstraße, unserer Galaxie, an. Unweigerlich, unbarmherzig, verfolgte er sein festgeschriebenes Ziel.

Der Planet Pluto kam zuerst in seine Schusslinie. Nicht mehr als eine Wolke winziger Splitter blieb zurück, als der Meteor ihn durchschlug.

Als nächstes kreuzte Saturn seine Flugbahn. Die Myriaden Felsbrocken, die seine Ringe bildeten, verglühten in hellem Feuer, als der Meteor vorbeiraste.

Wie eine kosmische Faust durchschlug der Meteor auch Jupiter. Ein Loch von zigtausenden Kilometern im Durchmesser hinterlassend, raste der Meteor weiter. Momente später glühte der durchschlagene Gasriese grell auf, um in einer tosenden Explosion zu verenden.

Die Brocken des Asteroidengürtels verfehlend, traf er schließlich sein ultimatives Ziel. Die Sonne.

Das Hunderttausende Kilometer in der Stunde schnelle Objekt traf die Sonne und versank in ihrer wabernden Oberfläche. Fast schien es, als hätte das sechstausend Grad heiße Flammenmeer an der Oberfläche der Sonne den Meteor verschluckt und verdaut- bis seine Überreste den superschweren und über fünfzehn Millionen Grad heißen Kern der Sonne erreichten.

Die Eisen- und Uranatome im Meteor reagierten mit dem Plasma aus dichtgedrängten Helium Kernen sofort. Der sich durch die Proton-Proton-Reaktion und den CNO-Zyklus in einem ständigen quantenmechanischen Tunneleffekt befindende, natürliche Fusionsreaktor geriet außer Kontrolle. Die plötzlich auftretende Kollision der Elektronenneutrinos mit den schweren Elementen aus dem Meteor ließen das gesamte System kollabieren.

Die Sonne starb.
 

Durch den gravitativen Kollaps dehnte sich die Sonne aus und wurde zu einem roten Riesen. Ihre Ausdehnung immer mehr aufblähend, gewann sie rasend an Größe. Immer weiter dehnte sie sich aus. Bis Merkur in ihren Vernichtungsradius gelangte.

Der erdähnliche Planet zerfiel in kosmischen Staub, als die immer mehr anschwellende Sonne ihn verschluckte.

Die Venus ereilte das gleiche Schicksal. Nicht mehr als verstreute Atomkerne blieben von ihr übrig.

Schließlich kroch der gleißende Gasball an die Erde heran, näher, immer näher…
 

Hinter Sephiroth, dessen einzelner Flügel elegant auf und ab schwang, kroch der sterbende Gasriese heran, gewillt, alles auf seinem Weg des Todes zu verschlingen. Lächelnd stand er da, als ihn das Feuer des sterbenden Sterns einhüllte. Es kroch über ihn hinweg und bewegte sich weiter auf Omega zu.

Die tosende Wand aus Flammen und davon geschleudertem Gestein kam der Maschine aus der Zukunft immer näher, und seine Oberfläche begann sich aufzulösen…

Bis für Omega Weapon nur noch eine einzige Sache in seinem Blickfeld existierte. Der Engel mit dem einzelnen Flügel, und hinter ihm, wie ein drohendes Kaleidoskop des Wahnsinns, eine Vision vom Ende aller Dinge, vom Tod des Universums, von der Götterdämmerung…
 

Triumphierend schwang Sephiroth sein Masamune. Er stand nun wieder in seiner gewohnten Erscheinung da. Omega Weapon fiel um und zerfiel in seine atomaren Bestandteile.

„Gewonnen! 1.161.000 Punkte!!“ rief Sephiroth lachend. Cifer starrte ihn an, als hätte er einen Geist gesehen. Sein Mitstreiter mit den langen, grauweißen Haaren zuckte nur mit den Schultern.

„Das passiert, wenn ICH wütend werde.“
 

Hinter ihnen öffnete sich surrend die Rampe zum Parkdeck des Garden. Ein fassungsloser Cid Kramer empfing die drei, die den verwüsteten Strand verließen. Edea Kramer blickte wehmütig an die Stelle, an der ihr Waisenhaus gestanden war. Cifer klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter.

„Mach dir keine Sorgen, Mama. Wir bauen dir ein neues.“

Als letztes lief Yuffie die Rampe hinauf. Dort blieb sie noch einmal stehen und warf einen verwirrten Blick auf das Meer hinaus.
 

Seit der Garden den Centra-Kontinent verlassen und Kurs auf das offene Meer genommen hatte, hatten sich keine Vorfälle mehr ereignet. Trotzdem herrschte noch höchste Alarmstufe an Bord. Der Direktor stand wieder auf der Brücke, wo Nida den Garden über den endlosen Ozean steuerte. Quistis bediente die Funkanlagen, doch sie blieb erfolglos.

„Es tut mir leid, Direktor Kramer. Ich bekomme keine Verbindung. Weder mit Galbadia noch mit Esthar“, erklärte sie mit Bedauern in der Stimme.

„Das braucht ihnen nicht leid zu tun“, erwiderte Kramer gedankenverloren. „Doktor Dodonna wird sicher bald Antworten dafür haben.“ Sonderlich überzeugt klang er selbst nicht. Erst vor kurzem hatte er eine Unterredung mit ihm gehabt, doch außer dass dieses Phänomen ihre bisherige physikalische Weltanschauung in Frage stellte, hatte er ihm auch nichts Näheres sagen können. Und so hatte Kramer fürs Erste beschlossen, das Festland zu meiden, bis genauere Informationen zur Verfügung standen.
 

Immer noch etwas benommen, irrte Irvine Kinneas durch den Garden. Von der allgegenwärtigen Präsenz bewaffneter SEEDs nahm er kaum Notiz. Zu aufgewühlt war er noch. Zuerst hatte er den Verlust seiner Frau verkraften müssen, und dann das unerklärliche Ereignis mit Alexander, ihrer früheren G.F. Mit niemand hatte er darüber gesprochen, und es war auch niemanden etwas aufgefallen. Wie ein Traum, und doch so real war es ihm erschienen. Und doch hatte niemand etwas registriert, auch nicht die Sensoren des Garden. Vielleicht werde ich auch langsam verrückt, dachte schief grinsend. Dann errang der Schmerz wieder die Oberhand, und sein verzerrtes Lächeln erstarb. Und so marschierte er weiter ziellos durch die Gänge des Garden, als ob er auf diese Weise vor sich selbst flüchten könnte. Bis ihn eine Hand an der Schulter packte. Es war Cifer.

„He, Schürzenjäger“, sprach ihn dieser frech an. Irvine schlug seine Hand weg, und in seinem Blick lag etwas Gefährliches, das selbst Cifer einbremste. Beschwichtigend hob er die Hände. „Okay, okay, vergiss den dummen Spruch. Ich muss dich was fragen.“ Irvine schenkte ihm noch einen ablehnenden Blick, dann ging er weiter. Cifer ließ aber nicht locker. „Warte mal! Damals, in Artemisias Schloss, ihr habt doch Omega Weapon bekämpft. Habt ihr ihn auch wirklich, ich meine- “

Irvine wandte sich abrupt um und bellte ihm ein „WAS??“ ins Gesicht. Seine Augen waren hart und glasig. Einen Moment starrte er ihn so an, dann ließ er ihn stehen. Cifer schaute ihm verwundert nach.
 

Nanaki und Shinaha saßen am Rande des Außenhofs. Von dort aus konnte man das Meer überblicken. Hier draußen war der Himmel weniger dunkel, und die Sonne schimmerte schüchtern durch die schwärzlichen Wolken hindurch. Es wirkte wie ein nächtlicher Himmel, in den sich durch eine Laune der Natur die Sonne verirrt hatte. Die letzte Stunde lang hatte Shinaha ihm alle Fragen beantwortet. Das Schicksal ihres Volkes, sein bislang rätselhaftes Verschwinden und ihre Reise durch fremdartige Welten.

„Immer habe ich gehofft, den Ort meiner Geburt wiederzusehen“, sagte sie in einem bedrückten Tonfall. „Vielleicht werde ich das nie mehr…“ Dann hellte sich ihre Stimme auf. „Aber ich weiß nun, dass ich nicht die letzte meiner Art bin.“

Nanaki erwiderte ihren Blick freundlich, doch er fühlte nicht so. Die Überraschung über das, woran er nicht mehr zu glauben gewagt hatte, wich nun einer zähen Beklemmung, die er sich selbst nicht erklären konnte.

„Ja… das habe ich auch lange Zeit gedacht. Jahrelang habe ich meine- unsere Welt durchstreift, aber niemand konnte mir etwas über unsere Rasse sagen. Aber jetzt- “

Er stoppte mitten im Satz. Eine betretene Stille legte sich über den Außenhof. Außer ein paar patrouillierenden SEEDs waren sie allein. Das Meer, das langsam an ihnen vorbeizog, glitzerte geheimnisvoll unter dem dunklen Himmel, von dem zaghaft die Sonne herab blinzelte.

„Seit damals… als ich mich in einer mir fremden Welt wiederfand, hatte ich einen Wunsch. Er hat mich angetrieben und nie aufgeben lassen“, begann Shinaha nach einer Weile wieder. „Ich wollte immer sehen, wie meine Kinder aufwachsen. Ich wollte sehen, wie sie stolze Vertreter unserer Art werden.“ Schweigen setzte wieder ein, und Nanaki fühlte sich bemüßigt, etwas zu erwidern.

„Ja“, meinte er knapp. „Jetzt ist vieles möglich… wenn wir diese Krise überstanden haben.“ Er sah sich unbehaglich um. „Ich… ich möchte etwas allein sein. Ist das in Ordnung für dich?“

Shinaha blickte ihn ernst, aber auch wohlwollend an.

„Ja. Ich habe solange nach jemanden wir dir gesucht, jetzt ist auch keine Eile mehr nötig.“

Er nickte ihr noch freundlich zu, dann trollte er sich. Sie blieb dort und blickte zum Himmel auf, als könne sie allein mit ihrem Blick die Schwärze und damit das Unheil, das über dieser Welt lag, vertreiben.
 

Die SEEDs und Kadetten des Garden hatten sich an den Anblick des Wesens mit dem roten Fell und dem brennenden Schweif schon gewöhnt. Ziellos streifte Nanaki durch die Gänge, während in seinen Gedanken Aufruhr herrschte.

Ich habe zu ihr gesagt, dass ich alleine sein will… war ich das nicht lange genug?

Er tadelte sich selbst für dieses Ansinnen, doch gleichzeitig fragte er sich, ob denn noch ein anderes Leben für ihn möglich war, nach all der Zeit. Seit er sich klar erinnern konnte, war er allein gewesen auf dieser Welt. Sein bisheriges Leben hatte er damit verbracht, die Menschen im Cosmo Canyon zu schützen, wie es Tradition war. Dann hatten ihn Shinra-Truppen gefangen genommen und in ihr Labor verfrachtet… wo dann alles begonnen hatte.

Und jetzt war das eingetroffen, was er sich immer gewünscht und ausgemalt hatte. Er hatte jemanden seiner Art gefunden. In diesem Moment erinnerte er sich an Bugenhagens geheimnisvolle Worte.

Vielleicht findest du ja eines Tages eine Gefährtin…

Er hatte ihn immer für weise gehalten, niemand wusste mehr über den Planeten und seine Mysterien als er, doch dass er selbst prophetisches Talent besessen hatte, verwunderte ihn dennoch. Wie auch immer… statt der erwarteten Euphorie herrschte nun drückende Leere in ihm. Er fühlte sich schuldig, dass er sich nicht ehrlich freuen konnte, dass er ihr nicht das geben konnte, was sie immer gesucht hatte. Stattdessen fühlte er sich so… wie immer.

Nun kam er an der Krankenstation vorbei. Verletzte lagen bis in den Gang hinaus, und die Ärztin schwirrte mitsamt ihren Gehilfen umher, um alle zu versorgen und baldest möglich wieder auf die Beine zu bringen. Einen Moment verharrte er dort und ließ sein Auge über all die Leidenden schweifen. Oft hatten sie Verbände quer übers Gesicht, und manche stöhnten in stiller Agonie.

Ihr sehnlichster Wunsch ist es wieder gesund zu sein…

In dem Leid der Verletzten fand er eine Parallele zu sich selbst. Keiner dieser Männer und Frauen hatte wohl einen Gedanken an Schmerz und Verwundung verschwendet, als sie noch bei vollen Kräften gewesen waren. Und nun rückten alle Sorgen des normalen Alltags in die Ferne, und der Wunsch wieder gehen und kämpfen zu können, füllte sie zur Gänze aus. Doch so bald sie wieder genesen sein würden, bliebe von ihrem momentanen bemitleidenswerten Zustand nicht mehr als eine undeutliche Erinnerung.

Bin ich nicht auch so…?

All die Jahre hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als jemanden seiner Art zu finden, vielleicht sogar eine Gefährtin. Und nun war es eingetreten. Doch an die Stelle unbeschwerter Freude trat nun wieder alles Mögliche. Dann erkannte er seinen Fehler.

Solange ich mein Glück in einer fernen Zukunft wähne, tritt es nie ein.

Seine Freunde, die immer für ihn eingestanden waren, hatte er sie wirklich zu schätzen gewusst? Oder wurde ihm ihre Bedeutung für ihn erst bewusst im Moment des Verlusts? Wann, wenn nicht jetzt, konnte man glücklich sein? Wenn er nicht sein bisheriges Leben zu schätzen lernen würde, dann würde es ihm auch bei keinem anderen gelingen.

Die Welt um mich herum ändert sich. Aber ich bleibe immer der gleiche.

All die Jahre schwelte in ihm die Angst, seine Suche würde auf immerdar erfolglos bleiben. Und nun, wo sie zu Ende war, wuchs neue Angst in ihm. Angst, das so eben gefundene wieder zu verlieren, es nicht richtig schätzen zu können.

Das… muss aufhören.

Er ließ die Verwundeten bei der Krankenstation hinter sich und kehrte um. Mit einem Male fühlte er sich so frei und ohne Sorge. Immer noch war das Schicksal seiner Freunde Tifa und Barret ungewiss, und die Invasion der Monster aus einer ihnen fremden Welt hatte wohl erst begonnen. Auch wussten sich nicht, wie und ob sie überhaupt je wieder in ihre Heimat würden zurück kehren können. Doch in diesem Augenblick schwor er sich, seine Gegenwart zu schätzen und zu ehren, egal was der morgige Tag bringen würde oder wie lebendig der Schmerz der Vergangenheit noch war. Nur das Heute zählte in Wahrheit, das wurde ihm bewusst.
 

Hastig schlang Sephiroth die Mahlzeit in der Kantine hinunter. Er war hungrig wie ein Bär nach diesem Kampf. Auch wenn sich nur einfallsloser Eintopf auf seinem Teller befand, so schmeckte er doch so köstlich in diesem Augenblick. In Wahrheit fühlte er sich so lebendig wie seit langem nicht mehr. Nur in dem er seiner Berufung, dem Kampf, folgte, lebte er richtig auf. Dann schwanden alle Zweifel und Sorgen. Fast war er dankbar für die Umstände, die ihn hierher verschlagen hatte, denn einen so mächtigen und fordernden Gegner hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Vielleicht noch nie bis jetzt. Bis in das tiefste Innere seiner Persönlichkeit hatte er langen müssen, um genügend Macht zu Tage zu fördern. Seine stärkste Attacke hatte er aufbieten müssen, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Und das darauffolgende Triumphgefühl war mit nichts zu vergleichen.

„Guten Appetit!“ wünschte der blonde Mann, an dessen Seite er den Kampf ausgefochten hatte. Mit einem Male stand er vor ihm. Sephiroth kramte in seinen Erinnerungen. Seifer oder so ähnlich hieß er. Dann setzte er sich ihm gegenüber an den Tisch. „Was für ein Kampf…“, meinte er nickend. „Noch nie habe ich einen solchen Angriff erlebt. Wo lernt man das?“ fragte er neugierig. Sephiroth ließ kurz den Löffel ruhen und blickte ihn geheimnisvoll an.

„Manche Dinge kann man nicht lernen.“

Dann aß er weiter. Cifer saß da und betrachtete ihn abwartend.

„Ich möchte etwas von ihnen.“

„Und das wäre“, erwiderte er, ohne von seinem Teller aufzusehen. Cifer begann zu grinsen.

„Einen Übungskampf. Ein Sparring.“ Dann lehnte er sich nach vor. „Ich möchte mich mit ihnen messen.“

Langsam hob Sephiroth den Blick seiner türkisfarbenen Augen, die durch jahrelange Makoinfusionen jede natürliche Farbe verloren hatten.

„Gern. Warum nicht“, antwortete er knapp. Das könnte ein Spaß werden, dachte er verschmitzt.
 

Die Übungshalle des Garden war kaum noch wiederzuerkennen. Nur noch wenige Bäume standen. Der Rest war aufgewühltes Erdreich und Brandspuren. Nur noch die Stützpfeiler des elektrischen Zauns standen noch, die die Archeodinos vom ‚verlassen‘ der Halle abhalten sollten.

Cifer und Sephiroth standen sich in einiger Entfernung gegenüber. Cifer hielt in seiner Standardgefechtsstellung die Gunblade ausgestreckt von sich und zielte damit auf Sephiroth. Dieser hielt sein Masamune in beiden Händen, den Griff dicht vor dem Gesicht und die Klinge auf seinen Opponenten gerichtet. Atemlose Sekunden vergingen- dann begannen sie zu kämpfen.

Einen Feuerschweif hinter sich nachziehend, peitschte Sephiroths Masamune nach vor. Eine gleißende Linie breitete sich einer Flammenkorona gleich aus und ließ einen der massiven Stahlpfeiler umstürzen. Doch Cifer- war nicht mehr da.

Sephiroths Blick schnellte hoch. Wie ein Raubvogel stürzte sich Cifer auf seinen Opponenten. Glühende Funken sprühten von Masamune, als er den gewaltigen Hieb von Hyperion abwehrte. Von dieser Attacke beinahe aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte Sephiroth rückwärts. Cifer setzte augenblicklich nach und ließ eine schnelle Hiebfolge auf ihn herabregnen. Sephiroth hatte Mühe, mit seiner langen Klinge die blitzschnellen Angriffe seiner Gunblade zu parieren. Schließlich stolperte er über einen auf dem Boden liegenden Baumstamm. Cifer stand über ihm, hob seine Gunblade- und schmetterte sie mitsamt einer Flammensäule in den Boden.

Im letzten Moment rollte Sephiroth sich weg. Nur verbrannte Erde blieb an der Stelle zurück. Sofort ging er wieder in Angriffsposition. Sein weißgraues Haar wallte nach allen Richtungen, und Cifer grinste diabolisch.

Ein Übungskampf also?, dachte Sephiroth, während er die Bewegungen seines Opponenten verfolgte. Das wird ja interessanter, als ich dachte…

Sofort prallten sie wieder aufeinander. Leuchtende Bögen beschreibend, donnerten ihre Klingen gegeneinander. Sie waren sich an Geschwindigkeit und Kraft beinahe ebenbürtig, und Sephiroth begann es immer mehr zu genießen. Mit der Zeit begann er die Finten seines Opponenten zu durchschauen und erkannte das Muster dahinter. Eine Nanosekunde der Unachtsamkeit nutzend, brachte er die volle Länge von Masamune ins Spiel und vollführte einen weitreichenden Horizontalhieb. Cifer, der keine Zeit zum Ausweichen oder Parieren hatte, sprang über die Klinge hinweg, die wie eine blitzende Sense unter ihm hindurch pflügte. Während seines Hechtsprunges legte er mit Hyperion an- und drückte ab.

Das Projektil prallte an Masamune ab, das Sephiroth dicht an sein Gesicht hielt. Neben der schimmernden Klinge, auf der sich der Abdruck des Projektils zeigte, sah Cifer sein finster lächelndes Gesicht. Akrobatisch rollte er sich ab und ging wieder in Angriffsposition. Sofort schwenkte er sein langes Katana wieder herum und raste auf Cifer zu.

Sie hielten nun ihre jeweilige Waffe mit beiden Händen, als sie in einem Kräftemessen der Giganten Gesicht an Gesicht, Klinge an Klinge standen. Ihre Arme begannen zu zittern, und die Schneiden glühten orange auf, wo sie aneinander schabten. Die Hitze wurde größer, und schon sprangen erste Funken aus dem unter Druck und Hitze weich werdenden Metall. Auge in Auge standen sie da und versuchten aus ihnen die Wahrheit herauszulesen, wer nun der stärkere war-

„Sofort aufhören!!!“ Ruckartig ließen sie voneinander ab, als Quistis Stimme durch die nun noch mehr verwüstete Übungshalle hallte. Ihre Augen blitzten vorwurfsvoll durch ihre Brille. Die Hände hatte sie in die Hüften gestützt, und ihr Gesicht jagte sogar den beiden Helden Furcht ein. „Was soll der Unsinn!!“ rief sie und ging zwischen die beiden. „Ihr benehmt euch wie unreife Schuljungs!“ Vor ihrem drohenden Zeigefinger wichen sie schlagartig zurück. „Spart euch eure Kräfte lieber! Ihr werdet sie noch brauchen, verdammt!“ Noch einmal teilte sie vorwurfsvolle Blicke an die beiden aus, dann verließ sie kopfschüttelnd die Übungshalle. „Typisch Männer“, schnaubte sie im Hinausgehen. Sephiroth und Cifer sahen sich etwas verlegen an.

„Nun ja…“, begann Cifer. „War jedenfalls ein toller Kampf.“

„Allerdings“, stimmte Sephiroth ihm zu. „Können wir bei Gelegenheit ja wiederholen.“
 

Die angespannte Stimmung im Garden hatte etwas nachgelassen, zumindest für Cloud und die anderen. Sie waren nun schon eine Weile auf dem offenen Meer unterwegs, und seither hatte es keine Angriffe mehr gegeben.

Die Waisenkinder aus Edeas Waisenhaus spielten nun im Außenhof unter den wachsamen Blicken der Erwachsenen. Marlene und Denzel hatten schnell Anschluss bei ihnen gefunden, und zum ersten Male wirkten sie wieder so unbeschwert wie Kinder sein sollten.

Cloud saß etwas abseits und sah ihnen zu. Cid Highwind und Shera passten auf sie auf, und auch die Frau in dem langen, schwarzen Kleid, die man ihnen als Edea Kramer vorgestellt hatte, war bei ihnen. Ganz ungezwungen und die seltsamen Umstände dieses Zusammentreffens außer acht lassend, unterhielten sie sich. Auch Anne war da und wirkte nun gar nicht mehr furchtsam, während sie sich mit den Kindern beschäftigte. Nanaki hatte nur mehr Augen für seine neugefundene Artgenossin, was Cloud voll und ganz verstand. Er sah sie langsam Kreise ziehen, in dem malerischen Hof im Schatten der ‚Shera‘.

Sie gehören zueinander, dachte er. Das ist nicht zu übersehen. Ebenso wie Cid und Shera, die trotz seiner Marotten sich immer wieder zusammenrauften. Dieses harmonische Bild ließ ihn fast vergessen, was sie schon alles erlebt hatten, all die Kämpfe, all die Verluste…

Zu wem gehöre ich?

Ganz plötzlich tauchte diese Frage in seinem Kopf auf, als er die beiden Pärchen sah. Dann wanderten seine Gedanken zu Tifa.

Ich habe ihr zu wenig Beachtung geschenkt, all die Jahre, dämmerte es ihm nun. Sie waren immer gute Freunde gewesen, aber sonst? Erst jetzt, wo er sie vielleicht nie wieder sehen würde, wurde ihm bewusst, wie wichtig sie ihm eigentlich gewesen war. Und doch hatte er sich nie durchringen können- zu was eigentlich? Eigentlich war er ja zufrieden gewesen damit, wie es war. Warum sollte sich auch etwas ändern. Dazu gäbe es nur Grund, wenn ein ganz besonderes Gefühl ihm dies einflüstern würde. So wie es damals mit Aeris passiert war. Auch wenn vieles davon nur auf Zacks Erinnerungen basierte, die er nach seinem Tod übernommen hatte… er hatte sie geliebt, dass wusste er. Auch wenn er es ihr nie gesagt hatte. Und es jetzt auch zu spät dafür war.

Sein Blick fiel wieder auf Anne. Irgendwie erinnerte sie ihn an Aeris. Auch wenn nur wenig optische Ähnlichkeit war, etwas an ihrem Wesen kam ihm bekannt vor. Als würde er sie schon seit langem kennen. Gut konnte er sich noch an ihre erste Begegnung in Edge-City erinnern. Sie hatte damals einen nervösen Eindruck auf ihn gemacht, was vielleicht aber auch an etwas anderem lag.

Seufzend schüttelte er den Kopf. In dieser Hinsicht hatte er immer schon eine lange Leitung gehabt. Jahrelang hatte Tifa mit Zaunpfählen gewinkt, doch er war immer zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um es zu merken. Das passiert mir nicht mehr, schwor er sich. Gerade in diesem Moment sah Anne von ihrem Spiel mit den fröhlich lachenden Kindern auf und warf ihm einen Blick zu. Er lächelte zurück und wunderte sich, was sie in ihm auslöste, obwohl er sie ja noch gar nicht richtig kannte-
 

Plötzlich riss es ihn auf die Beine. Eine unwiderstehliche Macht lenkte seine Schritte. So schnell ihn seine Füße tragen konnten, lief er zum Geländer, von dem man aus das Meer überblicken konnte. Seine Augen suchten den Horizont ab- und fanden es.

„Da ist es!“ rief er, und die anderen warfen ihm verwunderte Blicke zu. Mit einem Male war ihm alles klar. Er hatte keine Erklärung dafür, aber noch nie in seinem Leben war er sich etwas so sicher gewesen. Alles erschien ihm in einem neuen Licht. Vincents Zusammentreffen mit Diabolos in der Wüste, Barrets Kampf mit den seltsamen Stierwesen in der Kanalisation… wie ein Puzzleteil, das aus heiterem Himmel herabregnet und genau an seinen Platz landet, war ihm plötzlich alles kristallklar. Keiner ihrer Schritte war Zufall gewesen, alles hatte seinen Sinn gehabt. So fremdartig diese plötzlich in seinem Geist aufleuchtenden Zusammenhänge waren, so sicher war er sich auch, was nun zu tun war.

Cid Highwind stand nun neben ihn und deutete mit dem Kinn in Richtung Horizont.

„Was soll’n da sein“, brummte er. Cloud packte ihn so heftig an den Schultern, dass ihm die Kippe aus dem Mundwinkel fiel.

„Ich muss dorthin!!“

„Was!? Geht’s noch, Cloud?“

„Es ist wichtig! Ich…“ Er schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich kann es nicht erklären, aber dort- “ Er zeigte auf die kleine Insel am Horizont- „Dort ist die Antwort!“ Cid hob eine Augenbraue und zeigte mit seiner Miene klar, dass er sich um seine geistige Gesundheit sorgte. Doch Cloud ließ nicht locker. „Flieg mich mit der ‚Shera‘ dorthin. Wir sehen uns um… und wenn nichts war, fliegen wir wieder zurück. Einverstanden?“

„Ich glaub, jetzt drehst du wirklich durch… aber andererseits- “ Cid holte eine der ständig aus dem Nichts hinter seinem Ohr auftauchenden Zigaretten hervor und steckte sie sich an. „ -verrostet mein ‚Baby‘ noch, wenn es hier nur rumsteht.“

Vincent und Yuffie, die nun ebenfalls den Hof betraten, sahen wie Cloud und Vincent die Rampe zur Shera betraten.

„He, was macht ihr da?“ rief Yuffie.
 

„Wisst ihr, Cloud dreht langsam durch und will, dass ich ihn ein bisschen herumkutschiere. Aber mir soll’s recht sein“, erklärte Cid Highwind und deutete auf Cloud, der vor Entschlossenheit nur so sprühte.

„Aha… aber du willst doch nicht alleine gehen?“ fragte Yuffie entsetzt. Noch bevor Cloud etwas erwidern konnte, sprach sie weiter. „Wir kommen natürlich mit, nicht wahr, Vincent?“

Ohne eine Widerrede abwartend, lief sie die Rampe hinauf.
 

Die Vier standen nun hinter Cid, der bereits am Steuer stand und den Start einleitete.

„Hätten wir nicht den anderen was sagen sollen?“ fragte Vincent vorsichtig. Cid schnaubte nur verächtlich.

„Pah, so weit kommt’s noch, dass Cid Highwind ein Weib um Erlaubnis fragt, bevor er wo hinfliegt!“ Dieser Kommentar brachte ihm einen wütenden Blick von Yuffie ein, dann hoben sie auch schon ab.

Schwaden von Staub aufwirbelnd, löste sich die ‚Shera‘ vom Boden und flog aufs Meer hinaus. Verwundert reckten die Kinder ihre Hälse empor und sahen dem Schiff hinterher.
 

„Balamb-Garden an, äh… unbekanntes Schiff! Sie haben keine Erlaubnis zum Start erhalten, drehen sie sofort- “

Klackend legte Cid den Aus-Schalter fürs Funkgerät um.

„Ja, ja, leckt mich doch…“, maulte er mit der Kippe im Mundwinkel, während ihr Ziel vor ihnen auftauchte.

„Was wollen wir eigentlich dort?“ fragte Yuffie unschuldig.

„Keine Ahnung!“ rief Cloud strahlend. Yuffie nickte langsam und rollte dann mit den Augen. Dann wandte sie sich an Vincent neben ihr.

„Ich muss euch was erzählen… vorher, als ich mit Sephiroth und diesem Seifer draußen war… da ist mir was Seltsames passiert. Es war genauso wie mit Barret und dir, Vincent! Die anderen waren auf einmal weg, und dann war da diese Frau… es war seltsam, ich habe sie erledigt, und dann… dann löste sie sich auf, und dann- “

„Genau das meine ich“, unterbrach sie Cloud, der immer noch auf den Müllhaufen starrte, den sie ansteuerten. Die Insel stellte sich als Ansammlung von Schrott und gestrandeten Schiffen heraus und war offensichtlich künstlicher Natur. „Es ergibt alles einen Sinn… ich weiß es…“ Vincent und Yuffie warfen sich skeptische Blicke zu, doch Cloud bewegte sein Augenmerk nicht von der künstlichen Insel.
 

„Ich warte dann mal hier“, brummte Cid. „Aber lasst mich nicht zu lang warten, sonst könnt ihr zurückschwimmen“, warnte er sie noch, bevor sie die Rampe hinunter auf die Insel gingen.

Die ‚Shera‘ fiel auf der Oberfläche dieser Insel aus Maschinen, verbogenen Kränen und gestrandeten Schiffen kaum auf. So weit sie sehen konnten, bestand die ‚Insel‘ aus rostigem Metall und rätselhaften Apparatschaften. Ein Teil davon waren Gebäude, die vor längerer Zeit irgendeinem Zweck gedient haben mussten, wenngleich der nicht mehr erkennbar war.

Ein Laufweg aus verbogenen Metallplanken und schiefen Geländern geleitete sie zu einem Eingang in eines der verfallenen Gebäude. Cloud ging schnurstracks voraus, als wisse er das Ziel bereits. Vincent und Yuffie folgten in kurzem Abstand.

@@@@@@

„Sag, Vincent“, flüsterte Yuffie ihm zu, als sie durch den Eingang traten. „Müssen wir uns Sorgen um ihn machen?“

Das Innere des Gebäudes war ebenso unordentlich wie der Rest dieses schwimmenden Schrotthaufens. Doch hier fiel auf die herumliegenden Maschinenteile und rostigen Metallstücke ein sanftes Licht…

…ausgestrahlt von einem zylindrischen Gegenstand, der sich in der Mitte der kreisrunden Halle befand. Er war in den Boden eingelassen und mit der Decke verbunden. An mehreren Stellen hingen Kabelstränge von der Decke und waren an den Zylinder angeschlossen. Hinter dem Glas, aus dem er bestand, leuchtete eine diffuse Flüssigkeit. Cloud stand davor und starrte in das warme Licht.

„Ich glaube nicht“, antwortete Vincent schließlich. Einige Schritte hinter ihm blieben die beiden stehen. „Er weiß, was er tut…“, sagte Vincent leise. Yuffie warf ihm einen erstaunten Blick zu.
 

Cloud stand nun dicht vor dem Zylinder. Das Glas war teilweise von Algen überwachsen. Er streckte die Hand aus und berührte es. Es fühlte sich warm an.

Dies ist nur für dich bestimmt…

„Ich weiß“, flüsterte er.

Und dann… werdet ihr vollständig sein…

Die leuchtende Flüssigkeit in dem riesigen Glaszylinder rotierte langsam um die Achse des Behälters. Undeutlich spiegelte sich Clouds Gesicht darin. Fast schien es ihm, als wäre es ein fremdes Gesicht.

„Wer bist du?“ fragte er leise.

Ich bin älter als die Zeit. Älter als alle Menschen.

„Was willst du von uns?“

Die Frage ist eher… was wollt ihr von mir?

Cloud schüttelte den Kopf und senkte den Blick. Er wusste keine Antwort auf die Stimme.

Wollt ihr kämpfen?

„Nein. Ich will nur Tifa finden“, antwortete er, und seine Stimme begann zu zittern.

Dann fleht ihr also um Gnade?

„Nein… verdammt“, murmelte er und biss die Zähne zusammen. „Das werde ich niemals… niemals…“

Warum nicht? Aufgeben ist so leicht. Es ist schwierig genug, vielleicht hattest du von Anfang an keine Chance. Sie ist womöglich schon verloren für dich. Aber trotzdem machst du weiter? Warum? Warum nur?

Cloud lehnte sich mit der Stirn gegen das warme Glas. Hilflos schlug er mit der Faust auf die harte Oberfläche. Mit einem Male wurde ihm die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens bewusst.

Warum gibst du nicht auf? Weil du sie unbedingt beschützen willst? Oder meinst du, das geht mich gar nichts an?

„Verflucht…“, stammelte Cloud und schlug wieder gegen das Glas. Es war richtig, was die Stimme sagte. Es war alles so sinnlos.

Er löste sich von dem Glas. Tränen der Verzweiflung flossen über sein Gesicht. Er spürte keinen Mut mehr in sich, keine Entschlossenheit mehr und keine Kraft.

„Es liegt einfach in meiner Natur“, flüsterte er und blickte ins Leere. „Es gibt keinen echten Grund… ich wurde einfach dazu geboren… um für andere zu kämpfen.“

Ich verstehe… interessant.

Der Zylinder leuchtete grell auf. Vincent und Yuffie bedeckten ihre Augen einen Moment, bis das Licht wieder abschwoll. Dann blitzte es im Sekundentakt auf. Im selben Moment erwachte die Röhre brausend zum Leben. Ihre innere Rotation beschleunigte sich. Cloud drehte sich zu ihnen um.

„Ich muss das jetzt tun. Alleine“, brüllte er, um das laute Hintergrundgeräusch zu übertönen. Seine beiden Freunde sahen aus der Entfernung, wie das Licht des Zylinders sich ausbreitete und ihn schließlich verschluckte. Yuffie wollte loslaufen, doch Vincent hielt sie zurück. Verständnislos blickte sie ihn sein ernstes Gesicht.

„Aber wir müssen ihm helfen!“ rief sie verzweifelt. Vincent schüttelte langsam den Kopf.

„Das können wir nicht. Das ist eben nur für ihn bestimmt…“
 

Dies musste das Innere des Zylinders sein, dachte er. Wenngleich der Raum viel größer und auch höher war als noch zuvor.

Schwärze breitete sich nach allen Richtungen aus. Nur glühende Quadrate in der Farbe der Flüssigkeit rotierten um sie herum und warfen fahles Licht auf die beiden. Cloud bemerkte ihn. Blitzschnell riss er sein Kombischwert vom Rücken und ging in Angriffsposition.

„Hier bist du nun…“, sprach der Drache. Seine Stimme klang so tief und alt wie verwitterte Gemäuer, wie erstarrtes Gletschereis, wie ein bodenloser Schacht der Schwärze.

Mit verschränkten Armen stand er da. Seine Augen leuchteten grün und fixierten ihn kalt. Sein Kopf trug zwei spitze Hörner. Seine riesigen Flügel auf dem Rücken bewegten sich langsam auf und ab. Stahlgraue, großflächige Schuppen bedeckten seinen muskulösen Körper. Sein langer Schweif tanzte um ihn herum wie eine schieferfarbene Schlange.

„Wer… bist du?“ fragte Cloud fassungslos.

„Ich bin dein Schicksal“, begann der Drache. „Ich bin der Grund deiner Reise. Ich bin… Bahamut, der König aller Drachen.“

Cloud wich vor Entsetzen einen Schritt zurück.

„Aber- du warst eine Materia, wie kommst du hierher?“

„Ich bin überall und nirgends gleichzeitig“, antwortete er, und es klang, als würde Stahl auf Glas kratzen. „Ich bin in dir und doch unendlich weit weg. Ich bin dein Anfang… und dein Ende!!“ Mit einem gewaltigen Flügelschlag erhob er sich vom Boden. Immer weiter flatterte empor durch die Kraft seiner Flügelschläge. „Und doch… seid ihr Menschen es, was ich fürchte!!“

Fassungslos blickte Cloud empor auf den sich entfernenden Drachen.
 

In einer rasanten Bewegung streckte er das Kombischwert von sich. Surrend gaben sie einen Teil frei. Cloud zog ihn heraus. In jeder Hand eine Klinge haltend, löste er sich von den Fesseln der Schwerkraft.

Wie ein Geschoss stieg er empor und hieb auf den Drachen ein. Dieser fing den Schwertstreich mit den Zähnen ab. Hämisch funkelten ihn seine grünleuchtenden Augen, als er es wieder losriss. Dann holte er mit der anderen Klinge aus.

Bahamut parierte die Schwerthiebe mit den Klauen an seinen Flügen, wieder und wieder. Mit aller Kraft attackierten sie sich gegenseitig, doch das Kräftemessen schien keine Entscheidung zu bringen. In dem Dom aus kreisenden Lichtern stiegen sie immer höher, und immer wieder prallte Stahl auf Drachenhaut. Wie zwei Wirbelstürme umkreisten sie sich. Feuerkoronen entwichen jedem ihrer Hiebe, die immer mehr an Macht gewannen. Bis sie einen Moment innehielten.

Weit über dem Boden, den man nicht mehr erkennen konnte, schwebten sie inmitten der rotierenden Lichter, die ihre Arena der Dunkelheit begrenzten. Surrend vereinten sich die Teile von Clouds Kombischwert. Seine Konturen leuchtenden auf, als er zu einer vernichtenden Attacke ansetzte. Ebenso spannte Bahamut seine Flügel und raste los.

Der Dom aus Dunkelheit blitzte auf, als die beiden kollidierten. Die Erde schien bis in ihre Grundfeste zu erzittern, als sie aufeinander prallten.

Abwartend umkreisten sie sich. Cloud atmete schwer, dieser Angriff hatte ihn viel Kraft gekostet. Ebenso schienen die Bewegungen des Drachen langsamer geworden zu sein.

„Das ist wirklich… interessant“, dröhnte es von allen Seiten auf Cloud zu. Er sammelte die Energie für einen neuerlichen Angriff- doch dann wurde alles um ihn herum weiß…
 

Krachend flog die Tür aus ihren Angeln. Alle Gäste drehten sich ruckartig um und sahen, was mitsamt der Tür in den Raum flog. Es war ein Mann in dunkler Kleidung, dessen blonde Haare nach allen Richtungen wegstanden. Hustend kam er auf die Beine und sah sich um. Er befand sich nun in einer Kneipe, soweit er das erkennen konnte. Leute saßen an Tischen mit Gläsern in der Hand. Die hintere Wand wurde von einer langen Theke gebildet, hinter der ein Mann vor einem Regal mit Flaschen und Gläsern stand. Er wischte gerade die Theke mit einem Tuch ab. Mitten in der Bewegung war er erstarrt und blickte ihn verdutzt an.

„Wo zum Teufel bin ich hier?“ fragte Cloud laut in den Raum. Seine Hände waren leer, sein Kombischwert weg. Dann drehte er sich um. Bahamut kam durch den Türstock. Nun brach endgültig Panik aus. Schreiend rannten die Menschen die Tische um und sprangen aus den Fenstern. Nach wenigen Momenten war die Kneipe leer, bis auf den Wirt, der hinter seiner Theke in Deckung ging.

Cloud starrte den Drachenkönig ratlos an, der mit energischen Schritten auf ihn zu kam.

„Was soll das hier? Etwa eine Kneipenschlägerei?“ fragte er mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Erheiterung.

„Nicht die unedelste Form des Duells“, antwortete der Drache und schlug blitzschnell zu. Der gewaltige Schwinger beförderte Cloud durch den halben Raum und ließ ihn in ein paar Tische krachen, die scheppernd zerbrachen.

Benommen tastete er durch die Trümmer, als ihn zwei starke Hände packten. Bahamut schnappte ihn an Kragen und Hosenboden und schleuderte ihn durch den Raum. Schreiend flog Cloud direkt in die Wand hinter Theke. Klirrend krachte er in die Regale, und bergeweise Glas ging zu Bruch. Ächzend schlug er hinter der Theke auf.

Sein verschwommener Blick hob sich von den Glassplittern, in denen er lag und traf den völlig verängstigten Wirt, der hinter der Theke hockte.

„Schicken sie mir einfach die Rechnung für den Schaden“, hustete Cloud, als sein Blick unter der Theke umhertastete. Er suchte jenem Gegenstand, der unter jeder Kneipentheke in allen Welten zu finden war. Bahamuts Schritte näherten sich, und endlich fand er ihn.

Der König der Drachen langte hinter die Theke und zog Cloud am Kragen hervor. Dieser schnellte hoch und holte mit dem Baseballschläger aus, mit dem normalerweise streitlustige, angetrunkene Gäste in Zaum gehalten wurden. Auf dem Drachengesicht zeichnete sich tatsächlich sowas wie Erstaunen auf, als ihn die Aluminiumkeule Sekundenbruchteile später schon am Kopf traf. Es klang blechern, und der Drache wankte zurück.

Cloud sprang auf die Theke und dann auf Bahamut. Im Fallen traf er ihn mit aller Wucht, und der Drache stürzte nach hinten.

„Dir werd‘ ich Mores lernen… na warte…“, knurrte Cloud und näherte sich ihm mit erhobenen Baseballschläger. Wütend ergriff Bahamut noch im Liegen einen Tisch und schleuderte ihn auf Cloud. Dieser zerschmetterte ihn mit der Aluminiumkeule. Dann kam der Drache schlagartig auf die Beine.

Er breitete seine Flügel aus, die im entfalteten Zustand fast durch den gesamten Raum reichten. Eine saugende Dunkelheit breitete sich von ihnen aus, und wieder veränderte sich die Umgebung. Alles gerann zu sternendurchsetzter Schwärze…
 

Als Cloud wieder zu sich kam, fühlte er keine Schwerkraft mehr. Dafür aber sein Kombischwert in der Rechten. Er blickte nach unten- oder zumindest in die Richtung, die er in diesem Moment für unten hielt. Unter ihm leuchtete Blau- und Smaragdfarben die Oberfläche-
 

Der Erde.

Vor ihm schwebte Bahamut. Ringsum sie herum leuchteten die Sterne. Erschrocken wandte sich Cloud um.

„Ich kann jede Arena wählen, die ich will“, zischte der Drache und seine Stimme schien durch den gesamten Kosmos zu hallen. Sie standen- oder besser, schwebten- sich nun im Orbit des Planeten gegenüber. Cloud umklammerte sein Kombischwert fester.

„Schön langsam reicht es mir“, knurrte er. Dann setzte der Drache zu einem Angriff an. Cloud ahnte das Schlimmste.

Bahamut schlug einmal heftig mit den Flügeln, dann schnellte er los. Mit rasender Geschwindigkeit flog er auf den Mond zu- und um ihn herum. Cloud konnte nichts anderes tun, als zuzusehen, während er tausende Kilometer über der Erde im Nichts schwebte.

Einen leuchtenden Streifen hinter sich herziehend, kam Bahamut wieder hinter dem Mond hervor und beschleunigte auf Lichtgeschwindigkeit. Schrill dröhnte die enorme Geschwindigkeit seiner Flugbahn. Und er steuerte direkt auf Cloud zu.

Im Flug sammelte er Energie zwischen seinen weit geöffneten Kiefern. Der Ball aus gleißendem Licht stieß grelle Strahlen nach allen Richtungen aus. Schließlich entlud er sich, und eine Säule blendenden Lichts schoss auf die Erde zu- und durch Cloud hindurch.
 

Ein gewaltiger Krater, gefüllt mit kochendem Gestein, blieb in der Wüste des Centra-Kontinents zurück. Und hoch droben, im Orbit…
 

…kämpfte Cloud Strife ums Überleben.

Der direkte Treffer hatte sämtliche Sicherungen durchbrennen lassen. Die Hitze brannte durch und durch und zerstörte jede Abwehr, die er aufbieten konnte. Es schien ihn nur noch ein Kosmos aus Schmerzen und Qualen zu umgeben, als er Richtung Erde stürzte und dabei langsam zu Asche verglühte.
 

Triumphierend wie der Herrscher über die Welt schwebte Bahamut im Orbit und betrachtete den Planeten. Sein Leben währte schon länger als die Zeit, nun hatte er genügend Macht, das spürte er. Niemand würde sich ihm mehr in den Weg stellen auf seinem Weg zur absoluten Stärke. Voller Genugtuung ließ er seinen Blick über die Kontinente der Welt schweifen, denn er bald beherrschen würde. Nichts würde ihn mehr stoppen können, nichts und niemand.
 

Er hatte verloren. Er war besiegt. Nun wartete nur noch der Lebensstrom auf ihn, um ihn aufzunehmen. Schon spürte er die warme Berührung der Kraft, die in jedem Planeten floss. Aus dem die Menschen hervorgingen, und in den sie wieder zurückkehrten, eines Tages. Und nun war es für ihn soweit. Er hatte alles versucht. Er hatte alles gegeben. Und es hatte nicht gereicht… doch zumindest war kein Schuldgefühl mehr da. Bis an seine äußersten Grenzen war er gegangen, um seine Freunde zu retten, und von niemand konnte man mehr erwarten.

Die Blüten wiegten sich sanft im Sog seiner vorbeieilenden Schritte. Und sie lief ihm entgegen. Als er schließlich vor ihr stand, flossen unkontrolliert die Tränen über Clouds Gesicht. Sie hatte langes, braunes Haar. Über ihrem rosafarbenen Kleid trug sie eine rote Weste. Die Worte kamen nur stockend aus seinem Mund.

„Aeris…“

Sie lächelte nur und berührte ihn sanft an der Wange. Ihr Finger fing eine Träne auf, und sie glänzte wie ein Diamant im sanften Licht des Lebensstroms.

„Hier bist du nun, Cloud…“, sagte sie leise, und ihre Stimme erfüllte ihn mit einer inneren Ruhe, an die er sich gar nicht mehr erinnern konnte. Dann ergriff sie seine Hand, als könne sie ihr etwas ablesen. „Schön, das du da bist. Aber…“

Clouds Gesicht veränderte sich. Ein fragender Ausdruck umspielte seine Züge.

„Ja?“

Aeris schüttelte sanft den Kopf und lächelte ihn wieder an. So viel Hoffnung und Wärme lag darin.

„Hier ist kein Platz für dich. Noch nicht.“

„Aber- ich bin doch tot, oder?“

Sie nickte sachte.

„Ja. Aber ich kann dir das Leben wiedergeben. Der Planet will es so. Und durch mich geschieht es.“

Dann breitete sie ihre Arme aus, und ein Sturmwind aus Licht und Wärme ergriff ihn und hob ihn hoch, dem schimmernden Himmel entgegen.

„Aber- nein, ich will bei dir bleiben! Neeinn!!“ schrie er, doch die Macht war stärker. Aeris wurde immer kleiner, je höher er stieg. Ihre letzten Worte verklangen in dem Sturmwind.

„Eines Tages… aber noch nicht jetzt- “

Dann herrschte schlagartig Stille.
 

Das Gefühl der Macht war berauschender, als er es sich vorgestellt hatte. Keinen Widerstand hatte er nun mehr zu fürchten, und sein Titel als König aller Schutzmächte und Herrscher aller Reiche würde ihm niemand mehr streitig machen können. Bahamut weidete sich am Anblick des Planeten, der vor seinen Füßen lag- als ein leuchtender Punkt der Atmosphäre entstieg.

„Was ist das?“

Der Punkt gewann schnell an Höhe. Schließlich erkannte er ihn. Entsetzen quoll aus seinem Drachengesicht. Wütend ballte er die Faust.

„Nein!! Nichts kann meinen Peta-Flare überleben!!!“
 

Wie ein Komet zog Cloud einen Schweif aus verglühender Atmosphäre hinter sich her, als er auf Bahamut zuraste. Im Flug richtete er sein Kombischwert aus- und versetzte dem Drachenkönig im Vorbeiflug einen gewaltigen Hieb. Schrill kreischend trieb dieser, von der Attacke getroffen, durch den Raum. Dann stoppte Cloud und sah den angeschlagenen Drachen.

Er hielt sein Kombischwert gerade vor sich. Gleißendes Licht entströmte seinem Inneren. Dann teilte es sich in seine sechs Teile.

In einem von Schwertmagie erfüllten Kreis positionierten sich die Einzelteile seiner Waffe um den verwundeten Bahamut. Einen flüchtigen Schemen hinterlassend, raste Cloud durch diesen Kreis. Mit jedem einzelnen Segment seiner Klinge traf er Bahamut- und am Ende, als Cloud mit den Füßen auf der Oberfläche der künstlichen Insel landete, trafen alle Teile ebenfalls den Boden und blieben ringförmig um ihn herum stecken. Mit der Rechten fing er das letzte Segment auf, das aus dem Orbit herabfiel.

Bahamut sank langsam auf die Forschungsinsel im stillen Ozean herab. Cloud stand mit dem Einzelteil seiner Klinge da und schaute empor. Lichtpartikel stiegen von dem Drachen auf, und er wurde allmählich durchsichtig. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, während er zu purer Energie zerfiel.

„Kannst du das Licht sehen…“, flüsterte er, und es klang wie ein wehmütiges Klagen aus den Tiefen der Zeit. Cloud nickte langsam. Dann traf es ihn wie ein Donnerschlag, als sich Bahamuts Geist mit seinem vereinigte.
 

Vincent und Yuffie umringten ihn und starrten ihn ratlos an.

„Ist das gerade… wirklich passiert?“ fragte Yuffie fassungslos. Cloud nickte und wollte etwas sagen- als sein Blick wieder gerade aus schnellte. Er streckte den Zeigefinger aus, brachte jedoch kein Wort heraus. Dann sahen es auch Yuffie und Vincent.

Eine Wand aus roter, wabernder Energie, höher als der Himmel und weiter als der Horizont, bewegte sich über das offene Meer auf sie zu. Wie eine Sturmwand aus purer Energie donnerte es auf sie zu. Kurz vor der Insel kam sie zu Halt und tauchte alles in einen gespenstischen, roten Schein. Und dahinter- war etwa nicht mehr das Meer, sondern-
 


 


 

Eine andere Welt.

SqTi-12-2

Die Geschehnisse um Squall, Tifa, Xell, Basch und Rude gehen weiter. Nach ihrer gemeinsamen Strandung in Ivalice sind sie nun auf dem Weg zu Raithwalls Grab. Und das Ende nähert sich unerbittlich…
 


 


 

Wieder nickte er ein. Das monotone Surren der Triebwerke hatte eine einschläfernde Wirkung auf ihn, und auch die abwechslungsreiche Aussicht aus dem Bullauge linderte dies kaum. Gähnend überlegte er, wie lange sie nun schon unterwegs waren auf ihrer Suche. Der Sitz war eindeutig zu bequem; ständig wollte er ihn zum Einschlafen verleiten. Seine Verletzung war durch die fortschrittliche Medizin der Leute in Archadis zwar so gut wie verheilt, doch sein Körper verlangte nach Ruhe. Die bekommt er erst, wenn wir Rinoa und die anderen gefunden haben, dachte Xell grimmig. Ein schallendes Klatschen hallte durch die Kabine der ‚Strahl‘, als er sich selbst ohrfeigte. Munterer wurde er davon aber auch nicht; es tat bloß weh.

„Soll ich vielleicht das für dich übernehmen?“

Verdrossen schüttelte er den Kopf.

„Nein, danke. Sehr komisch“, erwiderte er und sank tiefer in seinen Sitz. Dann horchte er überrascht auf und blickte zu Squall empor, der im Gang bei ihm stand. „Das… war ja ein Scherz! Fühlst du dich auch wirklich gut, Squall?“

Der Angesprochene setzte sich auf den freien Sitz ihm gegenüber. Seufzend legte er die Hände in den Schoss.

„Das wollte ich eigentlich dich fragen. Warum bist du so überrascht?“

Xell rieb sich nachdenklich den Nacken.

„Na ja… so bist du ja sonst nicht.“

„Manchmal verändern sich Menschen“, erwiderte Squall und nickte langsam dabei.

„Ja, kann sein… liegt das vielleicht an ihr?“ fragte er und deutete nach vorn in Richtung Cockpit, wo Tifa bei dem Mann namens Basch stand. „Ihr habt ja eine Menge Zeit verbracht zusammen.“

Etwas an diesen Worten stieß Squall sauer auf.

„Und? Was ist damit?“

„Was damit ist? Ich mag nicht der hellste sein, aber glaubst du, ich merke nicht, wie ihr euch immer anschaut?“

„Und was geht das dich an?“ erwiderte er schroff.

„Eine Menge, weil ich dein Freund bin!“ entgegnete Xell hitzig. „Vergiss halt nicht, warum wir hier sind! Rinoa… du bedeutest ihr immer noch eine Menge“, fuhr er sanfter fort.

„Ach ja? Dann hätte sie mich nicht verlassen“, brummte Squall. Xell machte ein unglückliches Gesicht.

„So darfst du nicht von ihr denken… ich will nur nicht, dass du wegen ihr alles wegwirfst. Sicher, ihr seid zusammen in die Sache hineingerutscht und habt eine Menge durchgemacht, aber Rinoa will dich zurück, glaub mir.“

Squall erhob sich von seinem Sitz. Seine Miene war mit einem Male starr und kalt, wie sie es früher oft gewesen war.

„Darüber reden wir, wenn es soweit ist“, sagte er tonlos und verließ ihn in Richtung Cockpit. Das Gespräch war damit beendet, und Squall hatte deutlich gezeigt, dass ihm auch nichts an einer Fortsetzung lag. Verwundert und auch etwas pikiert blickte ihm Xell hinterher.
 

„Oh ja, dieses Schiff hat schon einiges gesehen. Ich habe übrigens eigenhändig an seiner Entwicklung mitgewirkt“, erzählte Balthier Bunansa, während sie ein weitläufiges Wüstengebiet überflogen, deren vereinzelte palmenbewachsene Oasen wie Smaragde in der unbarmherzig herab brennenden Sonne schimmerten. Manchmal löste sich das ausdruckslose Gesicht von Fran, seiner Copilotin. Wie jetzt, als leiser Zorn über seine ungenierten Annäherungsversuche an die junge Frau aufblitzte.

„Du meinst wohl, eigenhändig gestohlen“, warf sie in beherrschten Tonfall ein, während ihre Züge etwas anderes sprachen. Tifas Blick hing fasziniert am sich vor ihnen ausbreitenden Horizont, so dass sie sein Charmgebolze kaum wahrnahm.

„‘Gestohlen‘ ist so ein unschöner Ausdruck“, erwiderte er mit hochgezogener Augenbraue in Richtung der Viera, die sich wieder auf ihre Steuerkontrollen konzentrierte. „Sagen wir, ich habe mir meine Abfindung für meine langjährigen Dienste für das archadianische Reich selbst ausgesucht. Jedenfalls, mein reizendes Fräulein Tifa, wo war ich stehen geblieben…?“

„Aha…“, erwiderte sie abwesend, während ihr Blick über das Panorama glitt. Zu ihrer Rechten glitzerte ein Meeresarm am Horizont, doch vor ihnen erstreckte sich nichts außer Wüste mit gelegentlichen, vom Wind abgeschliffenen Sandsteinformationen. Und so merkte sich auch nicht, dass nun Squall hinter ihr stand. Erst Momente später spürte sie seinen Atem im Nacken. Sie drehte sich zu ihm um, und ein Lächeln umspielte ihre Züge. Squall erwiderte es, und angenehme Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht stiegen in ihm hoch. Balthier bemerkte ihre Innigkeit und konnte es sich nicht verkneifen, sie mit einem lauten Räuspern zu stören.

„Ähem… nun, interessiert euch gar nicht das Ziel unserer Reise?“ fragte er mit hörbarem Missbehagen in der Stimme.

„Allerdings“, antwortete Squall ernst. „Das soll also ein Grab sein… aber was können wir dort finden? Sollen wir etwa Särge ausgraben?“

„Nein, nein, mein verehrter Freund“, erwiderte er amüsiert lachend. „Raithwalls Grab ist weit mehr als nur ein ‚Grab‘. Es ist die größte Grabanlage überhaupt auf Ivalice.“ Verständnislos blickte er die beiden an. Dann verzog er das Gesicht. „Verzeiht, ich vergaß, ihr seid ja nicht von hier… nun, dann will ich euch die Geschichte des Dynastie-Kaisers erzählen. Unser Flug dauert ohnehin noch etwas…“
 

Mit Händen und Füßen begann er den geschichtlichen Hintergrund des Herrschers Raithwall vor ihnen auszubreiten. Dabei schenkte er dem Steuerknüppel sowie ihrem momentanen Kurs keine Aufmerksamkeit mehr. Diese Aufgaben schien die hasenohrige Viera zur Gänze zu übernehmen, und Tifa begann sich zu fragen, wer hier nun wirklich der Copilot war.
 

„…zweifelsohne war er der bedeutendste Herrscher seiner Dynastie, und sein Grabmal sollte dies für die Nachwelt belegen.“

„Und sie waren schon mal dort?“ fragte Tifa vorsichtig.

„Aber natürlich, verehrte Tifa“, erwiderte er mit einer lässigen Geste. Fran neben ihm verdrehte wiedermal die Augen, eine ihrer wenigen Reaktionen. „Das Grab des Dynastie-Kaisers ist quasi Pflichtprogramm für einen anständigen Schatzsucher. Auch wenn ich diese meine frühere Profession schon lange aufgegeben habe, so bin ich doch nach wie vor einer der wenigen, die sich relativ gut auskennen dort drinnen- “, erklärte er nicht ohne Stolz, bis Fran ihn unterbrach.

„Wir hatten einfach großes Glück“, schaltete sich die Viera überraschend in das Gespräch ein. Leise Genugtuung huschte über ihr ansonsten so ernstes Gesicht.

„Ja, und Glück hatten wir auch“, räusperte er sich in einer Mischung aus Verlegenheit und leichtem Groll. Dann blinzelte er durch die Sichtfenster. „Ah, wir sind gleich da. Ihr könnt euch schon mal auf die Landung vorbereiten.“
 

Die ‚Strahl‘ begann einen Taleinschnitt in einem Hochplateau dieser Wüste zu umkreisen. Er wirkte wie von Menschenhand aus dem Sandstein gebrochen. An seinem Ende prangte der Eingang eines Mausoleums im Felsen, wie sie sahen. Alle hingen nun an den Sichtfenstern, um das eindrucksvolle Felsengrab zu betrachten- außer Richter Basch. Der Mann stand an der gegenüberliegenden Fensterreihe des Schiffes und sah in der Ferne einen archadianischen Jäger sich nähern. Er hielt großen Abstand und war nur schwer zu erkennen. Das Flugschiff musste einen gewissen Abstand einhalten, denn es gab in archadianischem Besitz nur diesen einen ‚Himmelstein‘. Nichts desto trotz würde er im schlimmsten aller Fälle seine verheerende Mission ausführen.
 

Dichte Schwaden aus Wüstenstaub aufwirbelnd, setzte die ‚Strahl‘ in dem künstlichen Tal auf. Die Wände stiegen nach allen Richtungen steil an, wie sie nun sahen. Eine Reihe von Säulen säumte den einzigen Weg in das Tal- ein schluchtartiger Spalt, gerade breit genug, dass eine Handvoll Männer neben einander ihn durchschreiten würden können.

Die Ausstiegsrampe der ‚Strahl‘ berührte den sandigen Felsboden, und schon klangen die Schritte der Reisenden auf ihrem Metall. Squall, Tifa, Xell und auch Rude sahen sich argwöhnisch um in diesem künstlich angelegten Tal, das als letzte Ruhestätte einer scheinbar sehr wichtigen Persönlichkeit diente. Die Hitze haute sie im ersten Moment fast um, nachdem sie das kühle Innere des Schiffes verlassen hatten. Ihr Pilot, Balthier, blieb in der Luke stehen.

„Ich schätze, du findest den Weg ohne mich, ‚Richter‘ Basch.“ Eine gewisse Erheiterung klang in seinen Worten mit. Vor allem seinen Titel sprach er mit einem spöttischen Unterton aus. Dann schloss er die Luke hinter ihnen. Richter Basch warf ihm einen unleidlichen Blick zu, bevor die Luke wieder geschlossen war. Squall stand gerade neben ihm und hatte die Szene verfolgt.

„Er wird uns nicht begleiten?“

Basch schüttelte langsam den Kopf, dann richtete er den Blick auf das Mausoleum am Ende des Tales.

„Nein. Er macht keinen Schritt, für den er nicht extra bezahlt wird.“

Dann setzte er sich zielstrebig in Bewegung. Die anderen folgten ihm und drehten sich dabei unauffällig um, als befürchteten sie, das Schiff könne mit einem Male abheben und sie hier zurücklassen.

„Sie kennen ihn von früher, nicht wahr?“

Basch warf Squall einen leidgeprüften Blick zu und nickte dabei.

„Oh ja… wir waren zusammen hier, in diesem Grab. Das hat er damit gemeint. Ich kenne die Wege da drin.“
 

Die gelbbraunen Sandsteinwände flirrten vor ihren Augen in der Hitze, und die Neuankömmlinge in dieser Welt fragten sich, wie man solche Hitze längere Zeit überleben konnte. Als sie in den Schatten des Mausoleums traten und die kühle Ausstrahlung des Felsens, die aus seinem Inneren drang, spürten, atmeten sie auf vor Erleichterung.

Unter dem schattenspendenden Dach des Eingangs angekommen, überfiel sie Erstaunen. Der Weg- führte ins Nichts, gegen eine Wand ohne jede erkennbare Öffnung. Nur eine Art ‚Laterne‘ auf einem Sockel fanden sie hier.

Rude liefen die Schweißperlen über seine haarlose Stirn. Sein Anzug war viel zu heiß für dieses Klima, aber er vermied es sogar, sich den Krawattenknoten zu lockern. Auch sonst bemühte er sich, sich nichts anmerken zu lassen.

„Alles klar, Rude?“ fragte Tifa, während der Mann namens Basch den Sockel untersuchte.

„Sicher. Alles, äh… klar.“

Sie lächelte ihn aufmunternd an. Er nickte ihr zuversichtlich zu und rang sich ein gequältes Lächeln ab. Vor ihr wollte er keine Schwäche zeigen. Ein zischendes Geräusch ließ beide herumfahren. Die ‚Laterne‘ auf dem Sockel war unter den Händen des Richters zum Leben erwacht. Der Boden unter ihr strahlte nun ein leuchtendes Muster aus, das aus dem Stein selbst zu kommen schien.

„Kommt schnell her!“ rief er. Die anderen leisteten seinem Aufruf Folge und versammelten sich auf dem Rund, dass das Leuchten umriss. Dann- lösten sie sich in Luft auf.
 

„Wohaaa!!!“

Xells Gesicht drückte Entsetzen und Erstaunen gleichermaßen aus. Ihre Umgebung hatte sich völlig verändert. Statt dem abgeschwächten Sonnenlicht herrschte nun Dunkelheit um sie herum, nur zaghaft durchbrochen von Fackeln, die alle Gänge um sie herum säumten. Über ihnen hing nur dräuende Schwärze, die die Decke dieser Katakomben nur erahnen ließ. Auf- und Abgänge erstreckten sich von ihrer Plattform nach allen Richtungen. Von in der Dunkelheit kaum erkennbaren Säulen gestützt, führten manche in eine höher gelegene Etage, die meisten aber von hier aus in die Tiefe dieses unterirdischen Grabmales. Und in der sie umgebenden Finsternis hallte das Zirpen jagender Fledermäuse und die Geräusche anderer, unbekannter Wesen zwischen den uralten Gemäuern hin und her.

Sie waren nun im Grabe des Dynast-Kaisers.
 

Von der Düsternis dieses Ortes für einen Moment gelähmt, sahen sie wie Basch voran lief und einen der auf Säulen gestützten Abgänge betrat. Als er keine Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um.

„Ich verstehe, wenn ihr hier warten wollt, aber- “

Xell riss sich als erster aus der Erstarrung. Im Vorbeigehen klopfte er dem Richter auf die Schulter.

„Nee, ich komm schon. Rinoa und die anderen warten vielleicht schon irgendwo in diesem…“, er blickte sich unbehaglich um, „…Verlies…“ Dann folgten ihm die anderen.

Seine Zuversicht möchte ich haben, dachte Squall, während er den anderen die Treppe hinab in die Tiefen des Grabmales folgte. Ich hoffe, sie verlässt ihn nicht…

Immer wieder warf Richter Basch einen Blick über das Geländer der hinab führenden Treppe. Die anderen merkten dies und taten es ihm gleich. Doch alles was sie sahen, war undurchdringliche Dunkelheit, aus der unheimliche Geräusche drangen, deren Quellen sie sich lieber nicht vorstellen wollten.

„Was ist da unten?“ wagte es schließlich Tifa zu fragen. Basch warf ihr einen besorgten Blick zu.

„Es waren nur Erinnerungen… ganz unten, man kann es nicht sehen, aber dort befindet sich der Eingang zu Raithwalls Grabkammer. Es ist der tiefste Ort dieser Grabstätte.“ Ein nachdenklicher Ausdruck zog über sein ernstes Gesicht. „Als ich mit Balthier und Fran dort zum ersten Male war, stießen wir auf einen furchterregenden Gegner. Fast wären wir dabei umgekommen…“ Der Schrecken der Erinnerung wurde auf seinem Gesicht lebendig. Tifa wurde mulmig zumute.

„Aber… sie haben es ja überstanden.“

„Ja. Die Wunden des Kampfes waren bald verheilt“, meinte er und kehrte in die Gegenwart zurück. „Doch kann auch die Seele so manche Narbe davontragen.“ Bei diesen Worten betastete er nachdenklich seine Stirn, die ebenfalls eine Narbe trug. Tifa fragte sich, welche Wunden wohl schmerzhafter für ihn gewesen sein mochten.

„He, was ist das?“ Xell beugte sich weit über das Geländer, und Squall wollte schon nach seinem Arm greifen, um seinen Absturz zu verhindern. „Dieses Licht…?“

Baschs Kopf schnellte herum. Eilig lief er an die Stelle, an der Xell in die Tiefe starrte. Als er hinunter sah, weiteten sich seine Augen. Dann richtete er seinen schreckensstarren Blick auf die anderen.

„Bakajan hatte recht. Es beginnt…!“ flüsterte er tonlos.
 

Ihre hektischen Schritte hallten von den fernen Wänden unnatürlich laut wieder, als würden die uralten Gemäuer die Störung ihrer Ruhe missbilligen. Ganz vorne lief Basch, während auf der untersten Ebene des Grabes sich unter Lichtblitzen ein Tor bildete. Hinter ihm waren Squall, Tifa und Xell, die ihm so schnell wie möglich folgten. Nur Rude hatte mit seinen glatten Schuhen Mühe, die Steintreppen ebenso schnell hinunterzulaufen.

Völlig außer Atem kam Richter Basch die letzten Treppenstufen herab. Nun erinnerte er sich so deutlich, als wäre es gestern und nicht vor einem halben Jahr gewesen. Hier waren er und seine Kameraden hergekommen, um aus dem Grab des Dynastie-Kaisers den ‚Splitter der Morgendämmerung‘ zu entwenden. Doch zuvor hatte sich ihnen Belias, der Feuer-Gigas, in den Weg gestellt und ihnen in einem mörderischen Kampf alles abverlangt. Und nun klaffte an der selben Stelle, genau am Eingang zur Grabkammer, ein Loch im Raum. Düstere, violette Ströme der Energie flossen durcheinander und formten diesen Abgrund, diesen Höllenschlund in eine unbekannte Dimension.

Das Phänomen fassungslos betrachtend, kamen nun auch die anderen die Treppe hinab und flankierten den Mann, der seinen Blick von dieser Verspottung der physikalischen Gesetze nicht abwenden konnte. Xell schüttelte verärgert den Kopf und streckte die Faust aus, als könne er damit die Erscheinung beeindrucken.

„Verdammt… da ist womöglich Rinoa drin!“ rief er und lief los. Squalls entsetzter Blick folgte ihm. Sofort nahm er die Verfolgung auf. Wenige Schritte vor der Oberfläche des Tores gelang es ihm, ihn an der Schulter zu packen und herumzureißen.

„Bist du wahnsinnig!?“ schrie er ihn an und deutete auf das pulsierende Tor. „Du kannst nicht einfach da rein stürmen!“

„Aber- da ist vielleicht Rinoa drin!“ entgegnete er verzweifelt und hob die Arme. Die anderen verfolgten ihren Streit. Violettes Licht kroch über die Gesichter der beiden sich anbrüllenden Männer und tauchte ihre Züge in ein ungesundes Glühen, dass ihnen jede Menschlichkeit zu rauben schien- als etwas durch das Tor kam.
 

„Verflucht noch mal!! Du gibst doch einen Dreck um Rinoa!!!“

„WAS!?! Was fällt dir ein, du… du Vollidiot!!“ schrie Squall und war völlig außer sich. Nur noch wenige Worte, und er und Xell würden sich an die Kehlen gehen.

„Seit du diese… diese Dingsda kennst, willst du sie doch gar nicht mehr finden, oder ist es etwa nicht so? Hä??“

Schon packten sie sich gegenseitig am Kragen. Nasenspitze an Nasenspitze brüllten sie sich all den Stress der letzten Tage aus dem Leib und dem anderen ins Gesicht. Bis ein tiefes… ein SEHR tiefes Knurren es schaffte, ihr Geschrei zu übertönen. Immer noch den jeweils anderen am Kragen haltend, wandten sie ihre Gesichter synchron in Richtung des Tores. Ihre Augen wurden groß, und ihre Kinnladen folgten der Schwerkraft.
 

Ein riesiger Kopf schob sich durch die vor purer Finsternis wabernde Oberfläche des Tores. Ein Kopf… wie aus Stein. Überzogen von Ornamenten und verspielten Schnörkeln, wirkte es, als hätte ein geisteskranker Bildhauer seiner verderbten Phantasie freien Lauf gelassen. Und noch vor dem massigen Haupt, in dem Augen und Kiefer ob seiner verstörenden Ausformung kaum zu erkennen war, schwebte ein Ring in der Luft. Durchsichtig und in allen Farben leuchtend, rotierte er vor ihm und warf noch gespenstischere Farben auf den Stein des Felsengrabes.

Xell und Squall wichen zurück. Ihre Schritte wurden schneller, bis sie wieder bei ihren Kameraden waren. Nun war jede Zwistigkeit vergessen. Währenddessen kam unter ihren fassungslosen Blicken immer mehr des Ungetüms aus dem Tor.

Schließlich füllte sein Körper fast den gesamten Platz hier am Grunde des Mausoleums aus. Es war ein riesiger Drache, der sich auf vier Beinen fortbewegte. Sein ganzer Körper war wie aus Stein gemeißelt und mit Mustern versehen, die vor dem Auge zu tanzen und zu verschwimmen begannen, betrachtete man sie näher. Das eigentlich verstörende waren aber seine Flügel, um die die selben Kreise aus purer Energie rotierten wie um seine Schnauze und auch um seinen Schweif. Es ging eine Bedrohung von diesem Wesen aus, die mit Händen greifbar war, und das obwohl es noch keinen feindlichen Akt gesetzt hatte.

Die Gruppe deutete auf das Wesen und gestikulierte heftig. Verwirrt riefen sie durcheinander.

„Was ist das für’n Ding?“

„Steckt dieses Ungetüm… hinter all den Toren?“

„Boah, ist das riesig!!“

„Nicht gut…“

Nur Basch sagte nichts. Langsam schloss er die Augen. Seine Stimme zitterte, und doch war sie nicht zu überhören. Er kannte dieses Wesen, wenn auch nur aus den Beschreibungen von Mont Blanc, dem Führer des Klan Zenturio.

„‘Sag Lebewohl zur Legende‘… wir werden alle sterben.“ Von der Endgültigkeit in seiner Stimme überrascht, verstummten alle und wandten sich ihm zu. „Das ist der Gott aller Drachen, der Wyvern aller Wyvern… das ist Yiazmat.“
 

„Yiaz- was? Hä??“ Xell legte den Kopf schief. Dann spazierte er auf den hoch über ihm aufragenden Drachen zu. Immer noch stand er reglos vor ihnen, nur seine Flügel bewegten sich auf und ab und boten ein Schauspiel der Farben dabei. Kurz vor dem massigen Kopf blieb er stehen. Es war ihm, als wäre ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten auferstanden, und hätte nun Schwierigkeiten die Tatsache zu akzeptieren, dass es wieder lebte und atmete. Xell hob die Fäuste wie ein Boxer, während der riesige Kopf, der keine offenen Augen zu haben schien, sich langsam und behäbig wie ein Wal vor ihm auf und ab bewegte. „Steckst du dahinter? Hast du diese ganzen Tore aufgemacht?“ fragte Xell und begann mit Schattenboxen. Ebenso gut hätte er einen Berg etwas fragen können. „Na los, antworte gefälli- “ Mit einem Male erwachte der Berg zu schrecklichem Leben.
 

Mit beängstigender Geschwindigkeit erhob er sich auf seine Hinterläufe und entfachte mit dem Energiekreis vor seiner Schnauze einen Wirbelsturm, der Xell und alle anderen an die hintere Wand der Kammer pusteten. Donnernd landeten seine Vorderfüße wieder auf dem Boden. Ächzend und mit Schmerzen an Stellen, von denen sie zuvor nichts geahnt hatten, kamen sie auf die Beine. Als erster gewann Xell selbst seine Handlungsfähigkeit wieder. Wütend ballte er die Fäuste.

„Na gut… dann eben auf die harte Tour!!“ Gerade wollte er zu einer Spezialtechnik ansetzen- als er die Kontrolle über seinen Körper verlor. Rötliches Glühen stieg von seinen Armen und Beinen auf. „He- was ist das!?“ Die anderen wichen vor ihm zurück. Xell krümmte und zuckte unter der Verwandlung, und schließlich beobachteten sie schockiert, wie eine gebückte Gestalt mit langen Hörnern aus dem Boden unter ihm empor wuchs. Sie war halb durchsichtig und schien jede Bewegung von Xell nachzuahmen. Mit einem Male stand Xell kerzengerade da, und das Wesen, das wie eine Erweiterung seiner Gliedmaßen fungierte, bäumte sich ebenfalls auf.

„Yeah… ich fühle mich plötzlich so stark“, murmelte er gelassen und ratlos zugleich. Seine Stimme klang als käme sie aus den Tiefen eines Vulkans an die Oberfläche empor. Dann betrachtete er seine Fäuste, und als nächstes Yiazmat, ihren Gegner. Drohend streckte er ihm die Faust entgegen, und das gehörnte Wesen aus flüssiger Lava folgte auch dieser Bewegung. Dann sprang er empor.

Viele Meter über den Boden erstarrte er zu glühenden Konturen- dann schlug er wie ein Meteor ein und hinterließ ein flammendes Inferno an der Stelle, wo das Wesen Yiazmat stand. Mauerwerk fiel aus der Schwärze über ihnen, als der Einschlag das Felsengrab bis in seine tiefreichenden Fundamente erschütterte. Kaum war die Feuersbrunst abgeklungen, stand er wieder in ihrer Mitte. Die feurige Erscheinung, die seine Kräfte verstärkt hatte, war verschwunden.
 

„Was war das??“ fragte Squall fassungslos seinen Freund. Dieser stützte sich schwer atmend auf seine Knie. Die Attacke hatte ihn trotz allem viel Kraft gekostet.

„Ich glaub… das war Ifrit…“, stammelte er. Squall verstand kein Wort, als auch schon das Nächste passierte.

Tifa streckte ihre Faust dem Wesen entgegen, das immer noch vor ihnen stand. Ihr Körper bewegte sich langsam, als würde der Atem der Erde selbst in ihm pulsieren. Blaue Partikel sammelten sich in Tifas Faust, dann hüllten sie ihren ganzen Körper ein. Wieder wichen die anderen um sie herum vor ihr zurück.

Eiskristalle schossen aus dem Boden und bildeten eine bizarre Kruste um Tifa, bis nichts mehr von ihr zu sehen war. Wie ein abstruses Gebilde aus zu Stein gefrorenem Frost ragte sie zwischen ihnen auf. Die Umgebung, ihre erstaunten Gesichter, und sogar Yiazmat spiegelte sich in den zahllosen Facetten des gigantischen Eiskristalls- bis er schallend zerbrach.

Eine überdimensionale Göttin der Kälte tauchte aus dem Nebel davon schwirrender Eiskristalle auf. Ihre Körperformen schienen mit denen von Tifa verschmolzen zu sein. Langsam hoben sie ihre Arme, bis über den Kopf- um sie dann dem Wesen entgegen schnellen zu lassen, und damit einen Sturm zu entfachen, der es völlig mit einem Chaos aus blauem Licht und tödlicher Kälte einhüllte. Schließlich erstarrte der Wirbelsturm, und Yiazmat war nur noch eine Statue aus glitzerndem Eis.

Tifa, und mit ihr Shiva, hielt sich die nach oben geöffnete Handfläche vor den Mund und atmete aus gespitzten Lippen aus. Dann zerbarst der Eispanzer um Yiazmat mit einem Getöse, als würde ein Eisberg einstürzen. Klirrend und krachend fiel das Eis um ihn zu Boden- doch besiegt war er noch lange nicht.
 

Tifa sank entkräftet zu Boden nach diesem Verschmelzungsangriff- im Gegensatz zu Yiazmat. Baschs hektischer Blick pendelte zwischen seinen Begleitern hin und her.

„Wir… wir können nicht gewinnen! Er ist zu stark! Wir müssen fliehen!!“ rief er eindringlich und packte Squall am Arm. Dieser schüttelte nur langsam den Kopf, während sein eiskalter Blick das gottgleiche Wesen traf, das diese beiden Attacken problemlos überstanden hatte.

„Das werden wir ja sehen…!“ knurrte er, und es klang wie eine fremde Stimme.
 

Im Inneren spürte er ganz deutlich, wie ernst diese Situation war. Sie standen vor einem härteren Gegner als jemals zuvor. Sein Instinkt als SEED flüsterte ihm dies überdeutlich ein. Doch aufgeben? Niemals. Dieser Gegner mochte stärker sein als Artemisia, stärker noch als Ultima Weapon, sogar stärker als Omega… doch etwas in ihm wollte auf keinen Fall aufgeben. Etwas in ihm sträubte sich mit aller Macht dagegen, lehnte sich auf gegen das Unvermeidliche auf- und übernahm die Kontrolle über ihn.
 

Ein Gefühl der Leichtigkeit und auch der Boshaftigkeit überkam ihn und durchflutete sein Bewusstsein, solange bis seine Persönlichkeit als Squall hinweg gewaschen war- und eine neue auftauchte.

Ächzend fiel er auf die Knie und stöhnte unmenschlich röhrend. Verstört wichen die anderen zurück und sahen, wie er mit beiden Händen seinen Kopf hielt. Die Umrisse seines Kopfes verschwammen, verformten sich- und nahmen blaue Farbe an. Als es vorbei war, stand er auf. Ein gelöster Eindruck ging von ihm aus, doch die anderen verzogen angewidert ihre Gesichter. Squall lachte- mit seinem blauen Löwenkopf, den er nun anstelle seines menschlichen Hauptes trug.

„Hahaha… was haben wir denn hier?“ fragte Griever spöttisch. Tifa schüttelte angewidert den Kopf, als sie sah, was aus ihm geworden war. Mit lockeren Bewegungen schlenderte Griever lässig auf Yiazmat zu. Vor ihm blieb er stehen und stützte die Hände in die Hüften.

„Typisch Squall, diese Lusche… muss wohl wieder ich übernehmen!“ Dann hob er seine ebenfalls blauen Hände und ballte sie zu Fäusten. Angriffslust blitzte in seinen Raubtieraugen auf.

Dann begann er auf das Wesen einzuprügeln. Es zuckte unter seinen Treffern zusammen, und er bewegte sich immer schneller. Schließlich verschwommen seine Bewegungen vor ihren Augen, als er mit nahezu unendlicher Geschwindigkeit seine Fäuste auf den wesentlich größeren Gegner eintrommeln ließ. Grelle Lichtblitze folgten jedem Schlag, die nun stroboskopartig aufleuchteten und ihnen in den Augen brannten. Dann hielt er abrupt inne.

„Na? Wie schmeckt dir das?“ rief er höhnisch lachend, während sich in seiner rechten Faust gewaltige Energie konzentrierte. Die spitzen Zähne in seinem Raubtiermaul glänzten während seinen abgründigen Gelächters- dann schlug er zu.

Die Druckwelle warf sie fast zu Boden. Nur mit Mühe hielten sie sich auf den Beinen und stemmten sie sich gegen die Entladung. Als die bläuliche Feuerkorona verklungen war, kniete Squall entkräftet vor dem Wesen. Er hatte nun wieder seine menschliche Erscheinung. So heftig Grievers Angriff auch gewesen war- das Wesen schien nicht sterben zu können…
 

Mit unsicheren Schritten wankte er zu seinen Freunden zurück. Yiazmat stand immer noch in all seiner Macht vor ihnen. Heftig schüttelte er sein Haupt und bereitete eine Attacke vor. Voller wütender Ohnmacht starrte Basch auf das Wesen. Selbst diese für ihn unerklärlichen und äußerst starken Angriffe, die seine Myst-Techniken noch übertrafen, hatten das Wesen nicht ernsthaft verwunden können. Was ihn nicht verwunderte- denn nach der Legende verfügte dieses Wesen, das vom höchsten aller Götter selbst geschaffen worden sein soll, über unbegrenzte Lebenskraft- im Gegensatz zu ihnen, die nun alle deutlich geschwächt waren.

Das Brausen der kommenden Attacke dröhnte ihnen in den Ohren. Und sie konnten nichts tun, als beieinander zu kauern und auf das Ende zu warten. Sie hatten alles gegeben- doch es hatte bei weitem nicht gereicht. Denn für Yiazmats Unbesiegbarkeit gab es 50.112.254 Gründe…

Rude betrachtete seinen Viehstab. Die Luft um sie herum lud sich spürbar elektrisch auf. Das Dröhnen wurde lauter, und der Sturmwind der unfassbaren Energieentwicklung drückte sie zu Boden. Hilflos und unfähig zu fliehen, kauerten sie nebeneinander. Dann warf er den Viehstab weg, und das Klappern ging im tosenden Brausen völlig unter…

Kurz vor dem Ende legte Squall den Arm über Tifa, die sich ebenso wie er am Boden duckte, um nicht von dem Orkan der Energieentwicklung fortgerissen zu werden. Sie warfen sich noch einen letzten Blick zu- dann starben sie gemeinsam.
 

Ein Pentagramm aus greifbarer Energie glühte durch die Steine unter ihren Füßen. Die Säule aus purer Vernichtungskraft, die das unsterbliche Wesen Yiazmat entfesselte, brach aus dem Felsen hervor und beraubte sie all ihrer Lebensenergie. Das gesamte Felsengrab glühte in dieser Sekunde auf, als die Macht, die selbst die Götter fürchteten, aus dem Inneren der Erde hervorbrach und die fünf kleinen Menschen wie Schneeflocken im Inneren der Sonne vergehen ließ…
 

Tifa saß in einem Meer von Blumen. Gelbe und weiße Blüten wiegten sich sanft im Wind, der durch ihre Haare strich. Das warme Licht des Lebensstromes fiel auf ihr Gesicht. Langsam schloss sie die Augen. All die Sorgen, all die Ängste, die sie die letzten Tage ihres Lebens bewegt und gequält hatten… sie waren fort. Tiefer Friede erfüllte sie. Nun war sie wieder eins mit dem Planeten.

Der Himmel über ihr war nicht sichtbar- nur fühlbar. Wie eine sanfte Hand hing er über diesem Land, das nichts als Frieden und Idylle kannte. Je länger sie hier war, desto mehr konnte sie erkennen. In der Ferne zeichnete sich ein Horizont ab, verschwommen wie ein Traum und doch wunderschön im sanften Licht glänzend. Die Blumen… sie hatte sie immer geliebt, schon damals, in der Kirche, in Midgar… Oft war sie dort gewesen, manchmal auch mit Cloud. Seine Erinnerung füllte ihre Gedanken aus, und mit einem Male vermisste sie ihn. Doch der Schmerz wich einer beruhigenden Erkenntnis. Eines Tages würde auch er hier sein… und dann würde sie ihn wiedersehen.

„Hallo… Tifa.“

Sie drehte sich um. Ungläubig starrte sie in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Tränen füllten ihre Augen, Ihre Lippen begannen zu zittern, und sie lief los.
 

Die beiden Frauen umarmten sich innig. Tifa drückte sie fest an sich, dann lösten sie sich voneinander.

„Aeris…“, flüsterte sie. Die Frau mit den braunen Haaren nickte nur wohlwollend. Tifa lachte vor Glück und durchbrach damit ihre traurige Miene. Lächelnd wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie wollte etwas sagen, doch Aeris legte den Zeigefinger an die Lippen.

„Es ist ganz schön was los hier, in letzter Zeit“, begann Aeris dann in einem Plauderton, der Tifa wehmütig an die Zeit erinnerte, als sie noch unter ihnen geweilt hatte. „Zuerst Cloud, und dann du…“ Tifa erstarrte vor Schreck. Doch Aeris schüttelte langsam den Kopf. „Nein… er ist nicht mehr hier. Und auch ihr… könnt nicht bleiben.“ Sie drehte den Kopf zur Seite, als hätte sie ein Geräusch abgelenkt. Tifa hörte jedoch nichts. Dann wandte sich Aeris ihr wieder zu. „Der Planet… er spricht zu mir. Und er sagt, dass die Zeit für euch noch nicht gekommen ist. Ihr müsst etwas tun für ihn. Für ihn und seine Brüder.“ Sie bekräftigte ihre Erklärung mit einem sanften Nicken, dann schenkte sie Tifa wieder ihr bezauberndes Lächeln. Diese schüttelte verwirrt den Kopf, unfähig etwas zu sagen- dann begann sich alles um sie aufzulösen. Verdutzt blickte sie sich um. Doch Aeris blieb ganz ruhig, als ihre Umgebung in aufgewirbelte Blütenblätter zerfiel. „Keine Angst… ich helfe euch.“
 

Wieder fanden sie sich im Grab des Dynast-Kaisers. Das Inferno war abgeklungen. Immer noch fühlten sie die bedrohliche Gegenwart von Yiazmat, dem unsterblichen Wyvern. Doch sie spürten jetzt noch eine andere Gegenwart.

Squall, der wie die anderen mit zusammengepressten Augen am Boden kauerte, öffnete vorsichtig die Augen. Was er sah, war- Yiazmat, und zwischen ihnen eine Frau. Eine ihm völlig unbekannte Frau. Sie trug ein langes, rosafarbenes Kleid, eine rote Weste und hielt einen Stab in Händen. Ihre langen, braunen Haare wurden von einer rosafarbenen Schleife zusammengehalten. Scheinbar furchtlos stand sie vor der sie weit überragenden Bestie.

Verwirrt sah er sich um. Keiner sonst wagte es den Blick zu heben, und so wurde nur er Zeuge des Geschehens.
 

Der Stab hob sich aus Aeris Händen und schwebte nun waagrecht vor ihr. Dann hob sie die Hände und sprach lächelnd folgende Worte:

„Atem der Ewigkeit, Eden… ich beschwöre dich!“
 

Flimmernde Aufnahmen. Ein Blick auf das Unsagbare, das Unbeschreibliche, dann- Bildausfall.
 

Es senkte sich herab aus den Dimensionen, die kein menschliches Wesen sehen, verstehen oder auch nur erfassen konnte. Eine Heimat, so fern unserem Verständnis wie die fernste Galaxie… Edens Heimat.
 

Die weite Reise legte es zurück und fand einen Eingang in unsere Welt, unsere dreidimensionale Wirklichkeit. Ein Wesen… wie sollte man es beschreiben? Ein geflügelter Thron der Götter, ein Engel aus den ewigen Gärten, eine Kreatur jenseits von allen Barrieren, die Raum und Zeit allen Geschöpfen auferlegte… Eden.
 

Es senkte sich herab und überwand mühelos die Quantenfluktuationen, die die Grenze zwischen den Wirklichkeiten bildeten. Seine Macht tastete durch die Bestandteile der Zeit… all die Rätsel, an denen Menschen ewig scheitern würden, sie lagen klar wie ein Buch vor Eden. Wie ein Kind, das mit Murmeln spielt, verschob es die Struktur des Universums.
 

Die Einstein-Rosen-Brücke…

Das Spin-Statistik-Theorem…

Die Quantenfeldmechanik…

Das Gaußsche Integral…

Für Eden waren dies Noten seines Liedes, die Buchstaben seines Alphabets.
 

Die Wirklichkeit um Yiazmat herum schwand. Ersetzt wurde sie durch Leere. Durch völliges Vakuum, durch absolute Schwärze.

Dann erschien Eden über ihm.
 

Brausend und donnernd wirbelten die Wolken des ewigen Gartens um ihn herum. Seine Herrlichkeit blendete selbst Yiazmat, die unsterbliche Bestie. Schon fühlte es den strengen Blick seines Schöpfers, des Schöpfers aller Dinge, auf sich.
 

Eden veränderte das dreidimensionale kartesische Koordinatensystem unserer Realität wie ein Kind, das eine Blume pflückt. Yiazmat wurde durch den gebogenen Raum, der nur noch aus farbigen Linien und Rastern bestand, bewegt, bis er über Edens Oberseite zum Stillstand kam. Das Kraftzentrum Edens glühte auf…
 

…und mit ihr die Akasha des Planeten, das Weltengedächtnis. Das Mandala des Planetenbewusstseins leuchtete auf, und die Kristallgitterlinien seines immateriellen Astralkörpers erwachten zum Leben.

Eden lächelte. Dann nutzte er diese Kraft, den Willen des Planeten und schleuderte Yiazmat davon. Mit einer Handbewegung setzte er die Gesetze der Relativität außer Kraft und schoss Yiazmat mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit in das Zentrum des Universums, in die schwarze Sonne… die Ursonne.
 

Die dichteste Ansammlung von Materie, Energie und Geist im Kosmos stieß den Fremdkörper sofort ab. Eine Reaktion aus dem Atem des Universums ließ Yiazmat wie einen nassen Waschlappen in die Wirklichkeit zurückstürzen-
 

Aeris Stab schwebte zurück in ihre Hände. Ein warmer Lichtschein umgab sie und tauchte ihre Umgebung in ein lebensspendendes Licht. Yiazmat zuckte, brüllte und wand sich- doch irgendwann müssen selbst Götter sterben. Sanft glitzernde Partikel stiegen auf, und das mächtigste geschaffene Wesen von allen Welten stieg auf und strebte der Ewigkeit entgegen…
 

„Tifa? Alles in Ordnung?“

Tifa, die bis jetzt ihren Kopf mit den Händen beschirmt hatte, lugte vorsichtig hervor. Vor ihr stand eine Frau mit braunen Haaren und einem einnehmenden Lächeln. Sie streckte ihr die Hand entgegen- dann fiel Tifa in Ohnmacht.
 

Zwei Gruppen standen nun beieinander, hier unten vor der Schwelle zur Grabkammer des Dynast-Kaisers. Immer noch wogte das unheilvolle Dunkel auf der Oberfläche des Dimensionstores vor ihnen wie die aufgewühlte Oberfläche eines Ozeans. Doch seit dem Verschwinden des Ungetüms war nichts mehr hindurch gekommen.

In einer Gruppe standen Squall, Xell und Basch beisammen.

„Sie wussten, was das für ein Ding war?“ fragte Squall argwöhnisch. Xells überraschter Blick wanderte von ihm zu dem Richter. Mit seinem eifrigen Nicken untermauerte er die Frage seines Freundes.

„Ja, ich kannte seine Legende. Früher habe ich eine Weile für den Kopfgeldjägerklan ‚Zenturio‘ gearbeitet. Sein Anführer, der Mogry Mont Blanc, hat mir davon erzählt. Die Sagen über dieses Monster geistern seit Jahrhunderten durch die Klankreise. Mont Blancs Meister und Lehrer war vor langer Zeit der talentierteste und erfahrenste Kämpfer auf ganz Ivalice, immer suchte er nach einem Gegner, der ihn wirklich fordern konnte. Und so stöberte er Yiazmat auf.“ Ein düsterer Ausdruck huschte über sein ernstes Gesicht. „Er hätte die ‚Legende‘ besser ruhen lassen sollen... Jedenfalls hat Mont Blanc den Tod seines Meisters bis heute nicht verkraftet. Immer noch sucht er nach Kriegern, die dieser Herausforderung gewachsen sind.“ Dann warf er einen anerkennenden Blick auf die andere Gruppe ein paar Schritte von ihnen entfernt. „Wer immer diese Frau ist… sie hat das vollbracht, woran Generationen von Kriegern gescheitert sind.“

Die andere Gruppe bestand aus Tifa, Aeris und Rude. Tifa war mittlerweile wieder zu sich gekommen und unterhielt sich aufgeregt mit Aeris. Rude stand bei den beiden und verfolgte fassungslos und mit offenem Mund ihr Gespräch. Seine Sonnenbrille hatte er abgenommen, und mit seinen großen Augen betrachtete er Aeris, als wäre sie ein Geist.

„Das… das ist unglaublich! Ich freue mich so sehr…“ Wieder drohte die Rührung sie zu überwältigen, doch Tifa gab sich tapfer und widerstand den Tränen. Sie hielt Aeris an den Händen, als befürchtete sie, die zarte junge Frau könnte sich jeden Moment wieder in Luft auflösen.

„Ich lasse euch doch nicht im Stich. Wir sind doch immer noch Freunde, oder?“ antwortete sie lachend. Ihr Lächeln, ihre Stimme… es war alles wie früher. Auch ihr Kleid und ihre Frisur. Für diesen Moment vergaß Tifa alle drohende Gefahr um sie herum. Sie war so voller überschwänglicher Freude, ihre beste Freundin wiedersehen zu können. Fast wähnte sie sich in einem Traum, und leise Angst stieg in ihr auf, sie könnte wieder aufwachen.

„Aber… ich meine, ich bin überglücklich, dich zu sehen, aber wie…“ Tifa schüttelte verwirrt den Kopf, und trotz aller Beherrschung glitzerte eine Träne auf ihrer Wange. „…wie ist das möglich?“ fragte sie leise. Aeris lächelte gütig und legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Liebe Tifa, ich weiß es selbst nicht genau. Ich weiß nur, dass etwas sehr bedeutsames auf den Planeten zukommt. Aus irgendeinem Grund hat er mich beauftragt, etwas zu tun. Vielleicht deshalb, weil ich vom alten Volk bin. Noch weiß ich nicht, was es ist, aber es beginnt damit, dass ich euch helfe. Und darüber bin ich sehr froh.“

Einen Moment lang rückte ihr die Tragödie, die ihren Freunden beinahe passiert war, wieder ins Bewusstsein. Doch dann gewann wieder die Freude über das unverhoffte Wiedersehen Oberhand. Vor Rührung kichernd, nahmen sie sich wieder an den Händen. Rude stand immer noch verdattert da und starrte sie an. Schließlich wandte Aeris sich zu ihm.

„Hallo Rude! Dich habe ich ja noch gar nicht begrüßt.“

Der pflichtbewusste Turk schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter, bevor er etwas erwiderte.

„Äh… hallo. Aeris.“ Es klang, als wäre er sich gar nicht mehr sicher, wie ihr Name auszusprechen wäre. Sie nickte ihm freundlich zu.

„Ich freue mich, auch dich wiederzusehen.“ Dann tastete der Blick ihrer graugrünen Augen suchend durch den Raum. „Wo hast du denn Reno gelassen? Ist er gar nicht bei dir?“

Anstatt zu antworten, senkte Rude seinen schmerzerfüllten Blick zu Boden. Mit Worten war er nie besonders gut gewesen, doch seine traurigen Augen sagten mehr als viele Worte es gekonnt hätten. Besorgt wandte sich Aeris wieder an Tifa. Diese schüttelte langsam den Kopf; Bitterkeit umspielte ihre Züge dabei.

„Es ist eine Menge passiert in letzter Zeit“, sagte sie seufzend.
 

Tifa erklärte ihr in Kurzform die Geschehnisse ihrer bisherigen Reise. Aeris hörte aufmerksam zu, und mittlerweile standen auch Basch, Squall und Xell um sie herum.

„Das klingt furchtbar…“, murmelte Aeris und schüttelte langsam den Kopf. „Es muss etwas mit der Aufgabe zu tun haben, die der Planet für mich hat.“ Dann bemerkte sie die Leute um sich herum. Diese lauschten ihr gebannt, und die Aura der Friedfertigkeit und der Liebenswürdigkeit, die die junge Frau umgab, umfing sie wie ein unerklärlicher Zauber.

„Ach...“ Tifa fasste sich an die Stirn. „Ich habe euch noch gar nicht vorgestellt, wie dumm von mir. Also, das ist Aeris Gainsborough, eine sehr gute Freundin von mir. Und das sind…“ Ihre Hand deutete auf die jeweils Angesprochenen. „Squall Leonhart, Xell, äh… Dincht, genau, und Richter Basch von Rosenberg.“

„Ronsenburg.“

„Sag ich doch“, erwiderte sie schnippisch. Aeris deutete einen Knicks an.

„Es freut mich, euch alle kennenzulernen“, sagte sie mit der Stimme einer zarten jungen Frau, und nicht wie jemand, der so eben das stärkste bekannte Monster dieser Welt bezwungen hatte. Basch ging auf sie zu und ergriff ihre Hand. Sie musste kichern, als er ganz galant einen Handkuss auf ihren Handrücken hauchte.

„Ma’am, ich weiß zwar nicht, wie sie hierher gekommen sind, aber eines weiß ich“, begann er in einem bedeutungsvollem Tonfall, „sie haben uns allen das Leben gerettet. Diese Tat zeugte von echtem Edelmut. Ich danke ihnen auch im Namen des archadianischen Rei- “

„Yeah, das war voll krass!!“ jubelte Xell in einem spontanen Ausbruch der Begeisterung und streckte die Faust zum Himmel. Dann spürte er die verwunderten Blicke der anderen auf sich. Kleinlaut sprach er weiter. „Äh, war echt toll, wollt‘ ich sagen, ähem…“

„Wie auch immer…“, sagte Basch und warf ihm einen nachsichtigen Blick zu. „Auf jeden Fall war das- “

Wieder stoppte er mitten im Satz, doch diesmal nicht wegen eines spontanen Aufrufs. Sein Blick wanderte langsam in Richtung des Tores, das immer noch wie ein bedrohlicher Spiegel der Finsternis im Raum hing und unheimliche violette Schatten in alle Ecken warf. Die anderen bemerkten seine Beunruhigung und folgten mit den Augen seinem Blick. Das Tor schien noch dunkler zu werden, fast atmete es ein und aus- um dann die ersten Ungeheuer auszuspucken.
 

Zuerst waren es einzelne, dann ganze Scharen. Wie ein Rudel wildgewordener Wölfe strömten sie aus dem Tor und in alle Richtungen. Die schwarzen, mit allerlei Zähnen und Klauen versehenen Ungeheuer gewannen immer mehr an Zahl und füllten die Katakomben um sie herum. Baschs Augen wurden groß.

„Nichts wie weg!!“

Auf sein Zeichen rannten sie los. Die Übermacht war deutlich, und sie hatten einen schweren Kampf hinter sich. Niemand äußerte gegensätzliches, und schon stürmten sie die Treppen hinauf.

Während ihrer Jagd die zahllosen Stufen in Raithwalls Grab empor fiel ihr Blick immer wieder zur Seite. Die Horden der zischenden und fauchenden Ungeheuer wurden immer größer, und sie überwanden sogar senkrechte Wände. Wie dichte Ameisenarmeen und synchron wie Vogelschwärme strömten sie die Wände des unüberschaubar großen Mausoleums hoch. Bald überholten sie die sechsköpfige Gruppe.

„Sie greifen nicht an!“ rief Tifa, während sie die Treppen in Richtung Ausgang empor hetzten. Squall warf einen hektischen Blick in die Tiefe unter den sich emporwindenden Aufgängen. Verwundert sah er die Horden der Finsternis, die die Wände hinauf strömten, dabei aber keine Anstalten machten, sie zu attackieren.

„Die wissen eben, was gesund für sie ist“, schnaufte Xell während ihrer Flucht. Dabei klang seine Stimme aber nicht so mutig wie er wohl beabsichtigt hatte.

Endlich erreichten sie die steinerne Plattform, die den Teleporter ins Freie trug. Atemlos kamen sie zum Stehen und wandten sich um. Selbst aus der Dunkelheit, in der man nichts erkennen konnte, hörte man aber das Klacken und Knirschen zahlloser Klauen, Krallen und Zähne. Die ganzen finsteren Schächte des Grabes schienen nun lebendig zu sein.

„Wieso haben… sie uns nicht… angegriffen“, stammelte Tifa schwer atmend.

„Das will ich… nicht herausfinden“, erwiderte Basch atemlos und legte seine Hand bereits auf den Teleporter, der sofort aufleuchtete.

„Gibt es noch einen Ausgang außer diesem Ding?“ fragte Squall in gehetztem Tonfall. Basch schüttelte den Kopf. Der Boden unter den sechs Personen glühte auf, als der Teleporter zu Leben erwachte.

„Hoffentlich wissen diese Viecher nicht, wie man das hier benutzt“, flüsterte Rude tonlos, bevor sie verschwanden.
 

Ein kreuzförmiges Muster schien aus dem Inneren des Steinbodens heraus zu leuchten, dann fanden sich die sechs Männer und Frauen wieder in der Hitze der Nam-Yensa Wüste. Nach der abgestandenen, aber kühlen Luft im Felsengrab traf sie die Hitze wie eine Faust ins Gesicht.

Sofort lief Basch los. Die anderen folgten ihm, nur Rude blieb stehen und drehte sich um. Hinter sich sah er die massive Steinwand, die die Begrenzung des äußeren Bereichs des Mausoleums bildete. Gewaltige Steinquader wurden hier vor Zeitaltern aufgeschichtet, um allen, die nicht um das Geheimnis der Teleporter wussten, auf ewig den Eintritt in das Grab des Dynast-Kaisers zu verwehren. Sein Blick wanderte an den fugenlos aneinander gefügten Blöcken empor- bis er ein leises Zittern der riesigen Mauersteine wahrzunehmen glaubte. Seine Augen wurden groß.
 

„Was sagst du zu der ganzen Geschichte?“ fragte Fran, deren laaange Beine übereinandergeschlagen auf den Armaturen vor ihr ruhten. Balthier, der beinahe eingenickt war, sah sie unvermittelt an.

„Nun…“, gähnte er, „solange uns dieser Rüpel aus Landis nicht wieder in so ein Schlamassel wie letztes Mal zieht, soll es mir recht sein. Die Gratisreparatur im Draklor-Labor kam uns ja sehr gelegen. Und was den Himmelstein angeht… ich denke nicht, dass sie ihn vermissen werden“, bemerkte er mit einem hinterhältigen Grinsen. Fran nahm überrascht die Beine vom Armaturenbrett.

„Du willst ihn stehlen?“

„Wieso stehlen?“ fragte er achselzuckend. „Sie haben ihn uns doch gegeben. Und ich kann mich an kein ‚bitte bringt ihn bald zurück‘ erinnern“, meinte er und freute sich diebisch.

„Du wirst dich nie ändern“, seufzte Fran und schüttelte langsam den Kopf. „Das werden sie uns nicht so einfach nachsehen. Vergiss nicht, wir haben uns schon in Bhujerba unbeliebt gemacht.“

„Ach was“, schnaubte er und winkte ab. „Auf einen Staat mehr, der etwas verstimmt ist, kommt es jetzt auch nicht mehr an. Außerdem wächst schneller Gras über die Sache, als du glaubst. Die Hume haben den Vorteil, ein wesentlich schlechteres Gedächtnis als ihr Viera zu haben“, meinte er und schenkte ihr ein spitzbübisches Lächeln. Frans Gesicht wurde noch finsterer.

„Das mag sein… auf jeden Fall merken wir Viera es, wenn uns jemand für dumm verkauft.“

Balthier verzog das Gesicht.

„Und was bedeutet das jetzt wieder?“

Sie lehnte sich in ihrem Pilotensessel nach vor und musterte ihn scharf.

„Die ganze Zeit schon schleimst du dich bei dieser Tefa ein- “

„Sie heißt Tifa- “

„Wie auch immer!!“ platzte sie nun. Balthier war aufrichtig erstaunt. Bei den spirituellen und nachdenklichen Viera war ein Wutanfall sehr selten. Das letzte Mal, als sie so außer sich geriet, war an Bord der Leviathan gewesen, wo sie in den Einfluss des Nethizits aus der Grabkammer des Dynast-Kaisers geraten war. Ein potentiell untreuer Partner schien eine ähnliche Wirkung auf sie zu haben.

„Aber Fran… du kennst mich doch schon so lange. Ich meine das doch nicht ernst! Es ist nur…“ Er suchte nach dem richtigen Wort. „…ein Geplänkel, sonst nichts, ganz harmlos.“

Der Zorn in ihrem Ausdruck schwand, und an seine Stelle trat nun Verbitterung.

„Nichts ernstes… ich frage mich, ob du es mit mir ernst meinst. Wir sprachen schon vom heiraten, und jetzt?“ sagte sie vorwurfsvoll. Balthier hob beschwichtigend die Hände.

„Ja, meine teuerste Fran, wir sprachen vom heiraten. Und auch davon, dass wir diesen Schritt tun, wenn es etwas ruhiger in unserem Leben wird. Aber im Moment sieht es nicht danach aus“, meinte er mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme. Fran verschränkte die Arme vor der Brust und wich seinem Blick aus.

„Pah… manchmal glaube ich, du willst gar nicht, dass es soweit kommt.“

„Aber Fran“, seufzte er und erhob sich aus seinem Pilotensessel. In einer theatralischen Geste kniete er vor ihr hin und ergriff ihre Hand. Anfänglich wich sie seinem flehenden Blick aus, doch dann sah sie ihn an, während er voller Reue zu ihr sprach.

„Liebste Fran, auch wenn ich es dir nicht oft sage… du bist das Wichtigste für mich auf dieser Welt. Ich verspreche dir hoch und heilig, wenn das hier vorbei ist, dann gibt es eine große Hochzeit… und zwar im Festsaal des königlichen Palastes in Rabanastre!“ Die Worte fruchteten, und die sonst so ernste Viera begann übers ganze Gesicht zu strahlen.

„Wirklich…?“

„Aber ja. Und Königin Ashe wird unsere Trauzeugin sein, versprochen…“

Fran beugte sich zu ihm herab und strich ihm mit der Hand über die Wange. Tränen des Glücks liefen über ihr Gesicht.

„Das wäre… wunderschön“, hauchte sie ihm überglücklich zu. Balthier erwiderte ihr Lächeln und atmete innerlich auf. Für den Moment gibt sie jetzt hoffentlich Ruhe, dachte er- bis ein heftiger Knall ihre Idylle unterbrach.
 

Bruchstücke der Sandsteinmauer sprangen durch den Sand, als die Armee von gierig schnappenden und fauchenden Monstern durch die massive Wand des Felsengrabes brachen. Durch Schwaden aufgewirbelten Sandes strömten die dunklen Horden ans Tageslicht. Die geweiteten Augenpaare von Balthier und Fran sahen mit an, wie die kleine Gruppe vor der zahlenmäßig hoffnungslos überlegenen Schar gefährlich aussehender Ungeheuer flüchtete. Sie liefen um ihr Leben, wenngleich die raubtierartigen Monster wesentlich schneller waren. Doch die Wesen strömten in alle Richtungen, ohne sie direkt angreifen zu wollen, und füllten bereits das aus dem Sandstein gehauene Tal mit ihrer unheilvollen Präsenz.

Sekunden später lösten sich die beiden aus der Schreckensstarre. Fran bereitete alles vor für einen Eilstart, und Balthier lief nach hinten, um die Rampe zu öffnen.
 

„Verflucht, das ist nicht möglich!“ schrie Basch gegen das Getöse hinter ihnen an. In dem donnernden Brechen des Mauerwerks und dem tausendstimmigen Geschrei ihrer Verfolger ging seine Stimme trotzdem fast unter. „Die Mauern sind meterdick, nichts kann sie durchdringen!!“

Xell, dessen Bein dank der Heilkunst der Archadianer schon wieder völlig hergestellt war, überholte ihn langsam.

„Das wissen die scheinbar nicht!“ rief er, während er auf die ‚Strahl‘ zu sprintete.
 

Surrend öffnete sich die Rampe, und zum ersten Male kam der Mechanismus Balthier langsam vor.

„Komm schon, komm schon…“, flüsterte er zähneknirschend. Endlich berührte die Rampe den Sandboden. Ungläubig staunend starrte er auf die dichtgedrängten Ströme dunkler Leiber, die sich breiten Ameisenstraßen gleich ihren Weg durch das Tal bahnten. Der Fluss galoppierender und zischender Monster schien nicht abzuebben und füllte das künstliche Tal immer mehr. Einen kurzen Moment lang geisterte der Gedanke durch seinen Kopf, einfach zu starten. Doch eine gewisse Sentimentalität Basch gegenüber und nicht zuletzt wegen der reizenden Tifa schob er ihn gleich wieder beiseite.

Endlich kam der erste Passagier an Bord. Es war der blonde Mann mit den Handschuhen, der seine Hände und Füße keinen Moment stillhalten konnte. Als nächstes war es sein alter ‚Freund‘ Basch, der die ‚Strahl‘ erreichte. Ihnen folgten der Mann mit der Lederjacke und der Glatzkopf, in Begleitung der Frau namens Tifa- und einer weiteren Frau. Verwirrt sah er der Frau in dem rosafarbenen Kleid nach. Dann besann er sich wieder auf das Geschehen und schloss die Rampe.

„Staaarteen!!“ brüllte er in Richtung Cockpit, und kaum dass diese Worte ausklangen, riss ihn die Beschleunigung auch schon fast zu Boden.

Angesichts des Infernos aus Monsterhorden, die aus dem Grab des Dynast-Kaisers brachen, ging Fran sehr unsanft mit dem Steuer um. Sofort gab sie vollen Schub und zog das Steuer mit aller Kraft zurück. Die ‚Strahl‘ machte einen Satz und schoss auf das aus dem Felsen herausgehauene Dach zu. Das sorgfältig ausgearbeitete Dachkapitol kam bedrohlich schnell näher. Doch Frans Augenmaß ließ sie nicht im Stich, und nur die Unterseite des Schiffes streifte das Dach des Mausoleums und ließ einige Brocken herausbrechen.
 

„Was zur Hölle habt ihr da drin angestellt“, fragte Balthier kopfschüttelnd, während das Schiff über dem Tal kreiste. Es war nun schon fast völlig schwarz, und die mittlerweile unüberschaubaren Horden dunkler, durcheinander wuselnder Ungeheuer strömten nun in die Nam-Yensa-Wüste. Sein fassungsloser Blick traf dann Basch, der mit starrem Blick aus dem Sichtfenster im Cockpit schaute.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte er kopfschüttelnd. „Wir müssen Kaiser Larsa so schnell wie möglich Bericht erstatten. Bring uns zurück, Fran.“

Die Viera, die das Schiff gerade steuerte, drehte den Kopf zur Seite. Sie suchte Blickkontakt mit ihrem Partner, der ihr kaum merklich zunickte. Erst dann drehte sie ab und nahm Kurs auf Archadis. Wenngleich Basch ein alter Bekannter und im Moment ihr Auftraggeber war, über den Kurs bestimmten sie und niemand anders.

Balthier ging auf ihn zu und stützte die Hände in die Hüften.

„Wenn das dein kleiner Larsa hört, wird er nicht gerade erfreut sein. Willst du uns nicht verraten, wie ihr das ausgelöst habt?“

Der scharfe Blick des Richters traf ihn. Finster funkelnden seine Augen unter der Narbe auf seiner Stirn.

„Erstens ist er für dich Kaiser Larsa, und zweitens weiß ich nicht, was hier passiert.“

Mühsam unterdrückter Zorn klang aus diesen Worten, und der ehemalige Luftpirat hob beschwichtigend die Hände.

„Okay, okay. Nichts gegen deinen… ‚Kaiser‘. Es kann mir ja egal sein.“

Basch wandte seinen zornigen Blick von ihm wieder ab und auf das Fenster. Dann flackerte Bestürzung auf seinen Zügen auf.

„Fran, gib vollen Schub! Wir sind zu langsam!!“ rief er nun. Seine Stimme war aber nicht mehr zornig, sondern eher unsicher, beinahe ängstlich. Balthier schüttelte den Kopf.

„Erstens entscheiden wir das, verehrter Basch, und zweitens- “ Dann sah er das, was der Richter schon zuvor erblickt hatte. Und zwar einen kleinen archadianischen Jäger, der in die entgegengesetzte Richtung flog. Verwirrt runzelte er die Stirn. „Was soll das werden? Er weiß doch, dass er dort nicht fliegen ka- “

Basch stürzte an ihm vorbei und auf Fran zu. Er griff ihr in die Kontrollen und ließ damit das Schiff beschleunigen. Der plötzlich hinzugekommene Schub fegte sie fast von den Beinen. Bis-
 

Der Pilot des kleinen, wendigen Jägers rang mit der Kontrolle über sein Schiff. Die Myst war bereits zu stark für das Antriebssystem seines Schiffes, doch nach wie vor war er nicht in Reichweite. Im Bombenschacht seines Jägers ruhte ein eilig angefertigter Gefechtskopf, der die letzte Lösung enthielt.

Die Allerletzte.

Turbulenzen, ausgelöst vom dichten Mystfeld, schüttelten das Schiff durcheinander. Verzweifelt rang er mit dem Steuer, doch immer noch nicht war er in Reichweite. Neben dem Steuerknüppel leuchtete drohend der Auslöseschalter für den Bombenschacht, und mehrmals tastete seine zitternde Hand danach. Doch jedesmal zog er sie wieder zurück und zwang sich, weiterzufliegen. Schon wurde das Triebwerk des Jägers von der Mystkonzentration angegriffen und begann auszusetzen. Dann sah er es.

Aus seiner Perspektive einen Kilometer hoch über der Nam-Yensa-Wüste erkannte er nun das ganze Ausmaß des Infernos, von dem er bis gerade eben nur über Funk gehört hatte. Aus dem Draklor-Labor in Archadis hatte man ihm das Eindringen einer fremden Macht im Zielsektor mitgeteilt, doch die Bedrohung war viel schlimmer, als er sie mit eigenen Augen sah. Dunkle Schwärme undefinierbarer Kreaturen füllten das Tal zur Gänze aus und wurden immer noch mehr. Schon schwappte die Flut über die Ränder des Tales und ergoss sich über die umliegenden Wüstengebiete. Es war eine solche Menge an Monstern, dass kaum eine Armee ihrer Herr werden würde können. Noch nie in seinem Leben hatte er so viele Feinde an einem Ort gesehen, und dabei er hatte im Krieg gekämpft, vor fast drei Jahren…

Ohne weiter zu überlegen, ging er in den Sturzflug über. Seine letzten Gedanken wanderten in seine Heimat, wo seine Familie lebte. Schreiend sah er das monsterüberflutete Mausoleum auf sich zu rasen.
 

-bis der künstliche Nethizit detonierte. Grelles Licht drang durch die Bullaugen ein und durchflutete die ‚Strahl‘ mit gleißender Weiße. Reflexartig drückten alle ihre Augen zu, selbst Fran, die am Steuer saß. Und trotzdem noch brannte es ihnen allen schmerzhaft in den Augäpfeln. Sekunden später pflanzte sich die Druckwelle bis zu ihnen fort und brachte das Schiff beinahe zum Absturz.

Eine neue Sonne wurde geboren, und das unter Schmerzen. Die Oberfläche des lodernden Feuerballs brodelte wie das Magma im Schlund der tiefsten Hölle. Immer mehr breitete sich der Vernichtungsradius aus flüssigem Feuer aus. Längst hatte er das Tal des Grabes überschritten und floss nun über die Nam-Yensa-Wüste hinweg. Das Erdreich stieg bereits als brennender Dampf auf, bevor noch die Welle siedender Zerstörung über sie hinweg gerollt war. Die Erde bebte und sendete Schockwellen des Schmerzes viele Kilometer in alle Richtungen aus.
 

Sekunden später verebbte die Flut schmerzhaft brennenden Lichts. Fran riss die Augen auf und bewahrte sie mit einem gewagten Manöver im letzten Moment vor dem Absturz. Sie sah bereits die steinige Oberfläche der Westwüste auf sich zukommen, als sie das Schiff wieder hochzog. Um Haaresbreite verfehlten sie einen Sandsteinturm, dann endlich sah sie nur mehr Wolken vor sich.

Tifa drehte den Kopf, als sie etwas auf dem Boden aufschlagen hörte. Es war Aeris, die neben ihr auf die Knie gefallen war und sich den Kopf hielt. Sofort kniete sie sich zu ihr und hielt sie fest.

„Der… der Planet… er hat… Schmerzen“, stammelte Aeris und rang dabei nach Luft.
 

Mit einem schnellen Blick auf die Armaturen vergewisserte sich Balthier, dass mit dem Schiff alles in Ordnung war. Dann ging er forschen Schrittes auf Basch zu und packte ihn am Kragen. Ein schepperndes Geräusch erklang, als seine Rüstung gegen die Wand hinter ihm prallte. Seine Hände packten Balthiers Fäuste, die ihn am Kragen hielten und gegen die Schiffshülle drückten, doch der ehemalige Richter lockerte seinen Griff nicht.

„Aber was DAS war kannst du mir sicher erklären, oder!?“ schrie er ihm ins Gesicht. Seine Stimme verlor nun die Beherrschtheit und den Charme, der ihm so zu Eigen war, und nur noch blanker Zorn sprach aus ihr. „Was war das eben?? Antworte, oder ich lasse dich auf der Stelle aussteigen!!“

Basch biss die Zähne zusammen, während er die Hände, die ihn am Kragen hielten auseinanderbog. Dann stieß er Balthier von sich. Der frühere Luftpilot taumelte rückwärts- um in der nächsten Sekunde seine Schusswaffe zu ziehen.

Alle erstarrten und sahen fassungslos, wie Balthier mit seinem kurzen Gewehr auf den Richter zielte. Nur Tifa kniete immer noch bei Aeris.

„Spiel nicht den verdammten Helden“, knurrte Basch. „Es gibt Dinge, die verstehst du nicht.“

„Ach ja??“ erwiderte er mit immer noch zornerfüllter Stimme, wenngleich etwas seiner früheren Coolness in sie zurückkehrte. Mit der Waffe in seinem ausgestreckten Arm zielte er direkt auf das Gesicht des gepanzerten Mannes. Ein Schweißtropfen lief über Baschs vernarbte Stirn, während er in die Mündung blickte. „Erzähl mir nichts von Helden, du ‚Retter von Landis‘!“ Auf diese Provokation hin wollte Basch einen Schritt auf ihn zu gehen, doch er stoppte in der Bewegung, als Balthier den Hahn hörbar spannte. So knurrte er nur wütend. Fran drehte verunsichert den Kopf in ihre Richtung, während sie immer noch das Schiff steuerte. „Warum soll ich nicht den Helden spielen? Ich bin ja auch ‚der Held dieser Geschichte‘, schon vergessen?“

Baschs Blick wechselte zwischen den anderen, die diese eskalierende Situation mit ansahen und dem Mann, der ihn mit seiner Waffe bedrohte.

„Es war nicht meine Entscheidung“, presste er zwischen seinen Lippen hervor.

„Klar!“ lachte Balthier, ohne die Waffe zu senken. „Du bist nur ein Soldat, und die treffen ja bekanntlich keine Entscheidungen! Weißt du, was man über den ‚Helden dieser Geschichte‘ sagt?“

Squall und Xell warfen sich angespannte Blicke zu. Im Geiste überlegten sie Wege, diese brenzlige Situation zu entschärfen. Auf Balthiers Gesicht leuchtete eine gefährliche Mischung aus überlegenem Lachen und glühendem Zorn auf.

„Balthier…“, sprach Basch betont ruhig. „Mach keinen Unsinn- “

„Er stirbt niemals, das sagt man über den ‚Helden dieser Geschichte‘!“ unterbrach er ihn mit schneidender Stimme. „Und so eben wäre das aber fast passiert, also erklär mir verdammt noch mal, was das gerade war!!“

Squall wollte sich ihm schon langsam nähern, aber Balthiers Blick wechselte für einen Moment zu ihnen und hielt sie damit ebenfalls in Schach.

„Es war der letzte Ausweg. Professor Bakajan hat das vorausgesehen. Nichts hätte das sonst verhindern können“, sagte er leise, aber eindringlich. Balthier nickt langsam.

„Verstehe. Und warum zur Hölle hast du uns nichts gesagt davon?“

„Ich habe gehofft, es müsste nie soweit kommen…“, flüsterte Basch und senkte betroffen den Blick. Tifa ging nun auf den außer sich geratenen Balthier zu. Squall wollte sie zurückhalten, doch sie riss sich los.

„Bitte… nehmen sie die Waffe weg. Bitte“, flehte sie. Alle Blicke im Raum pendelten zwischen dem ehemaligen Luftpiraten und der Frau hin und her. Balthier atmete geräuschvoll aus, entspannte den Hahn und senkte dann tatsächlich die Waffe.
 

Die ‚Strahl‘ war immer noch auf Kurs nach Archadis. Balthier saß nun im Cockpit neben Fran. Doch das Schiff steuerte sie. Sein Kinn lehnte auf seiner aufgestützten Hand, und sein ernster Blick ging abwesend in die Ferne.

„Nabudis war einst eine prächtige Stadt. Sie war die größte Stadt in Nabradia“, erklärte Basch ihnen. Alle hörten aufmerksam zu, auch Aeris, die sich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Bis zu jenem Tag vor bald drei Jahren. Der Krieg, mit dem Archadis damals fast den gesamten Kontinent überzogen hatte, wütete furchtbar.“ Immer wieder machte er kurze Pausen, als würde ihn die Erinnerung zu sehr belasten. „Die Generäle entschieden, eine neue Waffe zu erproben. Es war eine Erfindung von Cidolfus Demen Bunansa… seinem Vater.“ Basch deutete mit dem Kinn in Richtung Cockpit, wo Balthier immer noch gedankenverloren in den Himmel starrte. Tifa sog erschrocken die Luft ein. „Ich verstehe es“, fügte er nickend hinzu, „und ich mache ihm für diesen Vorfall keinen Vorwurf. Durch seinen Vater starben tausende Menschen. Durch die selbe Erfindung, die auch heute eingesetzt wurde.“

Alle nickten langsam, als sie verstanden. Das drückende Gefühl der Schuld, vererbt aus der vorgehenden Generation, lastete auf Balthier wie ein düsterer, vergessen geglaubter Fluch. Und heute war er wieder erwacht. Der Sohn eines Mörders, eines tausendfachen Mörders… sie konnten nur erahnen, was nun in ihm vorging, und selbst Basch, gegen den sich seine ohnmächtige Wut zuerst gerichtet hatte, empfand eher Mitleid den Groll gegen den Mann, der die Schatten seiner Vergangenheit würde nie ungeschehen machen können.

Als die Anspannung der Situation auch in Basch abklang, wandte er sich wieder an die junge Frau, die ihnen völlig unerwartet zur Hilfe geeilt war.

„Frau Gainsborough… wenn sie erlauben, ich habe ein paar Fragen“, begann er hilflos lächelnd. „Auch wenn ich die Antworten vielleicht gar nicht verstehen werde.“

„Aber gerne. Was möchten sie wissen?“

Er schüttelte ratlos den Kopf, als wüsste er nicht, wo er anfangen sollte.

„Nun… woher kommen sie überhaupt? Wie sind sie in das Grab gelangt? Und wie um Himmels Willen haben sie Yiazmat besiegt?“

Aeris musste kichern angesichts seiner Verlegenheit, dann begann sie zu erklären. Squall und Xell standen auch dabei, und nach einer Weile wandte Squall sich räuspernd an seinen alten Kameraden und Freund.

„Xell…?“

Dieser lauschte neugierig den Erklärungen der mysteriösen Frau.

„Was gibt’s?“ fragte er, während er sich auf die Worte der braunhaarigen Frau konzentrierte.

„Das vorhin… ich habe es nicht so gemeint. Es tut mir leid.“

Nun erst realisierte Xell, was er meinte. Bestürzung zeichnete sich auf seinem sonst immer fröhlichen Gesicht ab. Er wandte sich Squall zu und blickte ihn betroffen an.

„Ach, verdammt… ich habe einfach Scheiße gelabert. Das war meine Schuld.“ Von all den Entschuldigungen schon peinlich berührt, streckte Squall ihm die Hand aus. Xell sah sie einen Moment an und zögerte- dann ergriff er sie und fiel ihm mit der selben Bewegung um den Hals. Squall ließ diesen Ausbruch der Emotionalität über sich ergehen und verdrehte nur seufzend die Augen. Dann ließ er ihn endlich wieder los und klopfte ihm auf die Schulter. „Wir sind doch immer noch Freunde, oder, Squall?“

Der bange Unterton in Xells Stimme schien eine ablehnende Antwort für möglich halten. Doch Squall schüttelte nur seufzend den Kopf.

„Natürlich sind wir das. War für uns alle nicht leicht, die letzte Zeit. Da kann man schon mal… den Kopf verlieren für einen Moment.“

Es stellte sich heraus, dass Aeris kaum Erinnerungen an die Zeit zwischen ihrem Ableben und ihrem Auftauchen in der Grabkammer hatte. Mehr als diffuse Erinnerungen an den Lebensstrom besaß sie nicht mehr. Auch wie sie die Verbindung mit dem Wesen Eden eingegangen war, entzog sich ihrem eigenen Verständnis. Basch interessierte dieser Teil besonders. Eine so mächtige Schutzmacht war ihm völlig unbekannt. Sie übertraf alles, was es in seiner Welt gab, und so wollte er mehr wissen.

„Wie soll ich sagen… er ist von weit weg. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt ein Er ist. Jedenfalls kann er zwischen den Dimensionen wechseln. Ich glaube auch, er hat mich hierhergebracht.“

„Seine Stärke ist unglaublich. Diese Kreatur Yiazmat hatte mehr Widerstandskraft als alle anderen Wesen in der Welt“, bemerkte Basch voller Bewunderung.

„Ja, aber er ist nicht gefährlich. Ich meine, Eden will eigentlich nicht kämpfen. Er möchte nur… schützen. Deshalb bringt er Wesen, die seinen Träger angreifen, weit weg. So weit weg, dass sie nie wieder zurück können.“

Basch hörte ihr zu und nickte langsam, wenngleich er vieles immer noch nicht verstand. Doch für den Moment konnte er damit leben.
 

Von dem Kampf und der anschließenden Flucht erschöpft, saßen nun alle auf ihren Sitzen und ruhten sich aus. Auch wenn ihnen zeitweise durch das monotone Dröhnen der Triebwerke die Augen zufielen, schlafen konnte keiner. Zu lebendig waren noch die chaotischen Eindrücke des Tages. Und so verfielen sie nur in einen unruhigen Dämmerzustand.

Squall und Tifa saßen in der selben Reihe. Er warf einen Blick über den Gang hinweg auf sie.

„Das vorhin, in der Grabkammer… das war wieder Shiva, richtig?“

Tifa atmete geräuschvoll durch, dann nickte sie.

„Ja. Es schaut aus, als ob sie mich kontrolliert, wenn große Gefahr droht. So ähnlich wie damals in diesen Ruinen… in Nabudis. Sie gibt mir irgendwie ihre Kräfte. Wir sind dann irgendwie… eins. Ich weiß auch nicht“, seufzte sie kopfschüttelnd und gähnte dabei. „Mit dir ist ja auch etwas passiert.“

Squall starrte die Lehne vor sich an. In den Fingern seiner linken Hand drehte er gedankenverloren den Anhänger, den er wie immer um den Hals trug.

„Ja, er ist wohl ein Teil von mir. Den werde ich nicht mehr so schnell los…“

„Willst du das denn?“ fragte sie und riss ihn aus seinen Gedanken. Etwas erstaunt blickte er sie an. „Er gehört zu dir, das habe ich gespürt. Zuerst warst du du selbst eben, dann…“, formulierte sie unbeholfen, „…und dann sahst du aus wie er. Wie der Kopf deines Anhängers.“ Lächelnd deutete sie auf das Schmuckstück aus Silber, dass er immer noch zwischen den Fingern seiner linken Hand kreisen ließ. „Jeder hat etwas an sich, mit dem er nicht klar kommt. Das er schwer akzeptieren kann. Jeder hat seine eigene Geschichte, seinen eigenen Weg… und manchmal kreuzen sie sich mit dem eines anderen.“

Squall wurde nachdenklich. Diese Worte klopften an eine Tür in seinem Kopf, das spürte er genau. Es fragte sich nur, ob jemand öffnen würde. Seine eigene Geschichte, seinen eigenen Weg… Aus irgendeinem Grund gingen ihm diese Worte nicht mehr aus dem Sinn. Was geschieht, wenn ZU unterschiedliche Wege sich kreuzen? Wie die von ihm…
 

…und Rinoa?

Sein Weg war immer getragen vom Pflichtgefühl gegenüber dem Garden, seiner Heimat… während ihrer sie weggeführt hatte von ihrem strengen Vater, einem galbadianischen Offizier. Weg von ihm und in ein Kaff namens Timber. Aufopferungsvoll und zu allem bereit, hatte sie für Menschen gekämpft, die sie gar nicht kannte. Er hatte das nie ganz verstanden… bis jetzt.

War es nicht eher ihre grundlegende Abneigung gegen Zwang und Unterdrückung als die Schicksale dieser Menschen, die sie zu allen ihren Handlungen angetrieben hatte? Und war nicht er derjenige, der immer für den Erhalt des Status Quo gekämpft hatte? Wie Sonne und Mond, wie Yin und Yang waren sie immer gewesen…

Langsam schloss er die Augen. Das kaum spürbare Schaukeln des Schiffsrumpfes machte ihn müde, schläfrig… aber sein Geist war hellwach. Es schien ihm, als würden seit langem ins Stocken geratene Gedanken endlich wieder in Bewegung geraten, als bräche ein plätschernder Fluss durch eine Ansammlung Baumstämme, die sein Fließen behinderten, bis jetzt. Wie ein wohltuender Strahl wärmenden Lichts senkte sich die Erkenntnis auf ihn herab. Und zum ersten Male seit dem Morgen, als er neben Tifa erwacht war, herrschte wieder Klarheit in seinem Geist. Und er wusste nun, was er wirklich wollte.
 

Tifa schreckte hoch, als die ‚Strahl‘ auf dem Dach des Draklor-Laboratoriums landete. Als sie aus dem Bullauge blickte, sah sie Soldaten umherlaufen. Es schien hier der Alarmzustand zu herrschen, und vielleicht auch aus diesem Grund waren die Dachhälften des Hangars geschlossen. Noch etwas benommen stand sie auf und stieg mit den anderen aus. Squall, der gleich hinter ihr ausstieg, sagte kein Wort. Und doch wirkte er verändert, sie sah es in seinen Augen.

Als letzter verließ Balthier sein Schiff. Er nahm kaum Notiz von den Soldaten, die überall auf dem Dach positioniert waren und etwas zu erwarten schienen. Einige von ihnen umringten Richter Basch. Was immer für Neuigkeiten sie ihm mitteilten, es schien ihn ehrlich zu beunruhigen. Doch nach einer Weile ließ er sie stehen und ging geradewegs auf ihn zu. Der Pilot und frühere Richter dieses Landes blickte teilnahmslos zu Boden, als Basch vor ihm stand. Dieser überlegte seine Worte eine Weile, bis Balthier unvermittelt zu sprechen begann.

„Vergiss es. Was immer du sagen willst.“

Baschs Ausdruck zeigte nun Verwirrung.

„Aber- “

„Nein. Wenn du um Verzeihung fragst, meine Antwort ist Nein.“

Sein harter Blick traf die blauen Augen des Richters von Archadis.

„Gut. Ist deine Sache“, erwiderte er unterkühlt. Als er sich schon abwenden wollte, ergriff er ihn an der Schulter.

„Und zwar… weil in Wahrheit ICH dich um Verzeihung bitten muss. Weder du… noch Archadis selbst können etwas dafür, was mein Vater getan hat.“ Balthier streckte ihm die Hand entgegen, und Basch ergriff sie. „Und eines Tages werde ich mir selbst vielleicht auch keine Vorwürfe mehr dafür machen“, sagte er nun ganz leise, doch Basch hörte es. Ein zaghaftes Lächeln umspielte Balthiers bis jetzt gefrorenen Züge. Basch erwiderte es nickend.

„Mein Gott…!!“ Die Stimme des Soldaten verbreitete sich auf dem Dach über der riesigen Stadt wie ein Lauffeuer. Unwillkürlich wandten sich ihm alle Köpfe zu. Mit seinem gepanzerten Handschuh deutete er in Richtung Horizont. Über das weitläufige ebene Grasland um Archadis raste es hinweg wie eine Sturmflut, wie eine Welle kilometerhoher Wellen aus rotem Licht.

Alle rannten zu diesem Rand des Daches, um es zu sehen. Es reichte vom Boden der Steppenlandschaft bis hinauf zu den Wolken am Himmel. Nach beiden Seiten erstreckte es sich weiter als das Auge blicken konnte. In der Ferne verloren sich die Ränder dieser Wand aus glühendem Rot, die wie eine senkrechte Sturmflut auf die Stadt zu rollte.

In den Soldaten erwachte Panik. Sie schrien durch einander, und einige liefen in kopfloser Angst weg und flüchteten damit vor der unerklärlichen und bedrohlichen Erscheinung.

Baschs schreckensstarre Augen fixierten die wabernde Oberfläche der rotglühenden Wand, die nun kurz vor der Stadt ins Halten kam. Wie die hochkant aufgestellte Oberfläche eines Ozeans aus Feuer ragte die Erscheinung vor der Stadt auf. Und dann verdunkelte sich der Himmel. Blitze zuckten durch den bis eben noch heiteren Himmel. Statische Energie hing spürbar in der Luft und verlieh ihr einen metallenen Geruch. Einen Moment war er sich nicht mehr sicher, ob er immer noch festen Boden unter den Füßen hatte, so unwirklich und bizarr kam ihm die ganze Welt mit einem Male vor. Unwillkürlich warf er einen hastigen Blick auf seine Stiefel, um sich dessen zu versichern.

„ES IST SOWEIT!!!“ dröhnte die Stimme ihnen allen durch Mark und Bein, erschütterte sie bis ins Innerste. Wie ein Hammer traf sie die Stadt und alle ihre Menschen. Verängstigte Augenpaare aus allen Bezirken der Stadt richteten sich auf den nunmehr verdunkelten Himmel über der Hauptstadt des archadianischen Reiches.
 

Menschen liefen kreischend weg und stießen die Tische des Kaffees im Zentrum der Stadt um. Auguste Baldore sah von seiner Zeitung auf, als er den allgemeinen Tumult realisierte. Einige deuteten mit den Zeigefingern und weit offenen Mündern auf das unerklärliche Geschehen am Himmel. Andere drängten sich durch die Eingänge der Dachterrasse und wollten nur noch weg.

Er stand auf und ging auf das Geländer zu. Sein erstarrtes Gesicht sah Menschen, die auf die Knie fielen und zu längst vergessenen Göttern beteten. Der üppige Schmuck an ihren Hälsen und Händen strafte ihre aus der Furcht keimenden Gebete Lügen. Irgendwo stand ein zurückgelassenes Kind und weinte hysterisch. Aus der sich bedrohlich abzeichnenden roten Wand aus flüssigem Feuer, die selbst noch die Wolkenkratzer des mächtigen Archadis überragte, schob sich eine Festung aus glänzendem Kristall heraus.

Baldore erstarrte. Dann fiel er auf die Knie.
 

Eine Festung, größer noch als Archadis, kam durch die Wand aus pulsierendem Licht und warf ihren glühenden Schatten auf die Stadt. Brausend zog sie dahin wie ein Schlachtschiff der Armada des Zwielichts. Spiegelnde Facetten unendlicher Vielzahl, Säulen aus blankem Kristall, Türme aus in grellen Farben leuchtenden Glas- sie formten diese Festung, die wie ein zum Angriff bereiter Eroberer über der Stadt in einem schwarzen Himmel thronte.
 

„HIER HAT ALLES BEGONNEN… DIES IST DIE HEIMAT ALLER DINGE…“

Die Balken des Universums ächzten und knarrten, als eine Macht aus den Tiefen seines Ursprungs die drei Welten verschmelzen ließ. Die Kristallfestung schwebte anmutig wie ein Herrscher zwischen ihnen, genau im Dreieck ihrer Verbindung. Sie bildete nun die Achse einer neuen Welt, zusammengezwungen vom Herrscher des Kristalls. Am höchsten Punkt stand eine Statue aus grauem Marmor und überwachte den Triumphzug der Kristallfestung. In allen Farben leuchteten und schimmerten die unzähligen Facetten der Kristalle, die gemeinsam diese schwebende Festung bildeten.

Drei Planeten, drei Lebensströme- vereint zu einer Welt, die nun das Ende erleben würde.
 


 

Das Ende aller Dinge.

Das Ende

Vincent und Yuffie umringten ihn und starrten ihn ratlos an.

„Ist das gerade… wirklich passiert?“ fragte Yuffie fassungslos. Cloud nickte und wollte etwas sagen- als sein Blick wieder gerade aus schnellte. Er streckte den Zeigefinger aus, brachte jedoch kein Wort heraus. Dann sahen es auch Yuffie und Vincent.

Eine Wand aus roter, wabernder Energie, höher als der Himmel und weiter als der Horizont, bewegte sich über das offene Meer auf sie zu. Wie eine Sturmwand aus purer Energie donnerte es auf sie zu. Kurz vor der Insel kam sie zu Halt und tauchte alles in einen gespenstischen, roten Schein. Und dahinter- war etwa nicht mehr das Meer, sondern eine andere Welt.
 

Cid Highwind lümmelte auf seinem Pilotensitz. Die dreckigen Stiefel an seinen Füßen ruhten auf den Armaturen vor ihm. Seine Arme lagen verschränkt auf der Brust, und sein ungeduldiger Blick sprang immer wieder zur Uhr im Cockpit.

„Wo bleiben die so lang…“, knurrte er, und die Kippe in seinem Mundwinkel tanzte dabei zornig auf und ab. „Dieser verdammte Cloud… ich glaub, das Mako ist ihm in die Birne gestiegen.“

Schnaubend nahm er die Füße von den Armaturen und wollte aufspringen- erstarrte dann aber mit den Händen auf den Armstützen. Sein Blick ging geradeaus aus dem Sichtfenster hinaus. Eine Wand aus rotem Licht rollte über den offenen Ozean und direkt auf sie zu. Erst kurz vor der künstlichen Insel machte sie halt und ragte wie der größte Wackelpudding des Universums über ihm auf. Die Zigarette in seinem Mundwinkel verlor allmählich den Halt, als sein ungläubiger Blick an der Wand aus pulsierender Energie empor glitt. Schließlich stürzte sie ab, drehte sich mehrmals in Zeitlupe und traf schließlich den ölfleckigen Boden des Cockpits.

„Du heilige Scheiße… ich glaub, ich hör mit dem Rauchen auf…“
 

Nida schüttelte den Kopf wie von Sinnen, während er dem Direktor des Gardens auf die Schulter klopfte. Dieser studierte gerade eine Karte.

„Ja, Nida, was gibt es denn…“, erwiderte er genervt. Immer noch traf die Hand stakkatoartig seine Schulter, ohne das ihr Besitzer ein Wort über die Lippen brachte. Schließlich blickte er aufgebracht von seiner Karte auf und wandte sich an den erstarrten Steuermann des Gardens. „Sagen sie gefälligst, was sie wollen und stö- “ Dann traf sein Blick die Wand aus rotem Licht, die sich von hier bis an den Horizont zog und höher, als das freie Auge es erblicken konnte. Augenblicklich verlor auch Kramer die Fähigkeit, sich verständlich zu artikulieren. Seine zitternde Hand tastete nach seiner Brille. Mit einer fahrigen Bewegung zog er sie sich vom Gesicht.

Doch die Erscheinung war immer noch da.
 

Cid Highwind erwartete sie bereits auf der Rampe des Schiffes, als Yuffie, Vincent und Cloud heranstürmten. Sein Blick wechselte zwischen den drei, die die Rampe hinauf hetzten, und der Wand aus waberndem Licht, hinter der sich nicht mehr das Meer, sondern eine riesige Stadt inmitten eines ebenen Graslandes abzeichnete.

Der ölige Handschuh traf den Schalter zum Schließen der Rampe. Surrend fuhr sie hoch, und dabei wandte er sich an die drei.

„Was zur Hölle habt ihr da angerichtet!!“ herrschte er sie an. Cloud konnte sich nicht erinnern, schon einmal Furcht in seinen Augen gesehen zu haben. Oder seinen Mund ohne eine Zigarette darin.

„Wir wissen es genauso wenig wie du!“ kam ihm Yuffie mit der Antwort zuvor. Cids Blick, eine Mischung aus Ärger und Beklemmung, sprang zwischen den drei hin und her. Schließlich winkte er leise fluchend ab und lief wieder in Richtung Cockpit.

Die ‚Shera‘ hob von der künstlichen Insel aus Schrott ab und wendete scharf Richtung Garden. Dabei spiegelten sich ihre Umrisse auf der Wand aus Energie und ließ glauben, ein weiteres Schiff flüchte vor dem anderen.

Die Drei standen hinter ihren mürrischen Piloten und sahen den Garden schnell näher kommen.

„Das, was mit dir passiert ist“, flüsterte Vincent zu Cloud, „es ist auch uns anderen allen passiert.“ Cloud nickte langsam.

„Ja. Es sagte, ‚wir sind jetzt vollständig…‘“

„Was kann das bedeuten?“

Cloud sah ihn mit einer Mischung aus Ernst und Unsicherheit an.

„Ich bin mir nicht sicher… aber ich glaube, es geht jetzt zu Ende.“
 

Rinoa und Barret klebten am Glas und starrten auf die Wand aus rotem Licht, die nur wenige Kilometer vor Edge-City stoppte. Hinter ihnen standen Reno und Selphie, die ihren Augen ebenso wenig trauten.

„Wa-was ist daaaas!?“ stammelte Selphie. Im Raum war es plötzlich ganz still. Fast glaubte sie ihr Herz schlagen zu hören, bis Barrets Knurren die Stille durchbrach. Mit seiner mechanischen Faust schlug er wütend gegen das Glas, dann rannte er in Richtung Treppenhaus. Die anderen sahen ihm verwundert hinterher, nur Selphie starrte durch den Sprung im Glas, den sein Faustschlag hinterlassen hatte, auf die rot wabernde Wand. Hinter ihrer Oberfläche zeichnete sich die Wogen eines rotschimmernden Meeres ab, wo eben noch die Einöde um Midgar gewesen war.

Als das Geräusch sich entfernender Schritte an ihr Bewusstsein drang, riss sie sich los von dem unwirklichen Anblick und folgte den anderen.

Trotz seiner Masse legte der dunkelhäutige Riese die wenigen Stockwerke bis zum Flachdach des Wolkenkratzers mit erstaunlicher Geschwindigkeit zurück. Die anderen fanden eine schief in den Angeln hängende Tür mit seinem Faustabdruck vor, durch die sie ins Freie traten. Der Wind hier oben zerrte an ihrer Kleidung, als sie von hier aus die evakuierte Stadt überblickten. Aus vielen Gebäuden rauchte es. Liegengebliebene Fahrzeuge lagen wie achtlos weggeworfenes Spielzeug in den Straßen verteilt. Und vor ihnen, um die düstere Vision perfekt zu machen, ragte drohend die Wand aus pulsierender Energie auf, hinter der eine andere Welt beginnen zu schien.
 

Seine Gegensprechanlage schrillte auf und riss Kaiser Larsa aus der Konzentration. Seufzend legte er den Füller neben das Dokument vor ihm und drückte die Taste.

„Eure Hoheit… es ist- “, krächzte eine verwirrte Stimme durch die Leitung.

„Sind sie wohlbehalten zurück?“ fragte Larsa besorgt. „Ist der Nethizit-Einsatz planmäßig abgelaufen?“

„Nein, ich meine… ja. Aber das ist es nicht- “ Wieder geriet seine Stimme ins Stocken. Larsa verlor allmählich die Geduld.

„Was wollt ihr mir nun sagen? Ist es wegen dem Nethizit-Abwurf?“

„Es ist- wie soll ich sagen“, stammelte die Stimme verunsichert, als müsste sie mit drakonischer Bestrafung rechnen. „Seht am besten aus dem Fenster, eure Hoheit…“ Verdrossen schnaubend stieß er sich mit den Füßen ab, und sein Drehstuhl zeigte einen Moment später in Richtung der breiten Glasfront seines Arbeitszimmers. Rötlicher Schein fiel auf seine schreckensgeweiteten Züge. Seine Augen suchten Halt in dem Inferno aus rotem Licht und glänzenden Kristallfacetten, das den Himmel über seiner Stadt dominierte. Doch sie fanden keinen. Im nächsten Augenblick später sprang er auf und lief in Richtung Tür.
 

Inmitten seiner Garde schritt Kaiser Larsa durch den schmalen Aufgang auf das Dach des Draklor-Laboratoriums. Offiziere befehligten ihre Soldaten und gaben sich alle Mühe, ihnen Mut zu machen. Man konnte ihre verunsicherten Augen unter ihren Helmen nicht sehen, doch nur mit reiner Willenskraft gelang es ihnen, die beherrschten Fassaden aufrecht zu erhalten.

Festen Schrittes marschierte Larsa mit seinen Wächtern an ihnen vorbei, und die Anwesenheit ihres Kaisers schien ihnen zumindest etwas Mut zurück zu geben. Die Gruppe um Basch stand immer noch beieinander. Nun waren auch Balthier und Fran bei ihnen.

„Ich mache euch das Angebot nur einmal. Wir beide verschwinden von hier, und wer will, kann mitkommen. Es kostet auch nichts, ihr müsst es euch nur SCHNELL überlegen!“

Xell blickte Balthier überrascht an.

„Hä? Einfach abhauen? Und die Leute hier? Wir müssen ihnen helfen!“ sagte er im Brustton der Überzeugung und ballte die Faust dabei. Balthier schüttelte bedauernd den Kopf, als spräche er mit einem unheilbar Irren.

„Wenn du den Helden spielen willst, bitteschön. Ich zwinge niemanden, mitzukommen.“

Xell wollte schon etwas in seiner hitzigen Art erwidern, doch alle verstummten, als plötzlich der Kaiser vor ihnen stand. Basch ging schnurstracks auf ihn zu.

„Eure Hoheit… ich habe versagt.“

„Unsinn. Das im Grabe Raithwalls, und… und das hier“, sein beunruhigter Blick traf die Kristallfestung, die wie ein Damoklesschwert über der Stadt hing, „konntet ihr nicht verhindern. Ich mache euch keinen Vorwurf. Aber ich brauche eure Dienste nun dringender denn je.“

„Was soll ich tun, eure Hoheit?“

„Wir müssen herausfinden, ob dieses Ding feindlich ist. Und ob es etwas mit den Monsterschwärmen zu tun hat.“

Basch nickte. Dann wurde er stutzig.

„Aber… diese Monster… sie sind doch vernichtet? Der Nethizit hat sie ausgelöscht, oder?“

Larsa schüttelte bedauernd den Kopf.

„Wie mir vor kurzem mitgeteilt wurde, haben sich weitere Tore geöffnet. Im ganzen Land. Raithwalls Grab… war erst der Anfang.“

Entschlossenheit verdrängte die Bestürzung in Baschs Miene, und er nickte forsch.

„Ich werde für mein Land und für euch tun, was in meiner Macht steht. Gebt mir ein Schiff, und ich starte einen Erkundungsflug.“

„Gerne würde ich das, aber es hat sich einiges getan in der Zwischenzeit. Die gesamte Flotte ist mobilisiert und kämpft an den Grenzen. Es sind nur noch die Schiffe in der Stadt, die für ihre Verteidigung unbedingt nötig sind…“

Balthier hörte sich das alles aus dem Hintergrund an, bis ihm dämmerte, was auf ihn zukam. Was das Schicksal von ihm erwartete. Lautstark seufzend drängte er sich vor und fiel dem Kaiser ins Wort.

„Ja, ja, sagt es doch gleich. Ihr braucht einen Helden, und wir alle wissen, wer der ‚Held dieser Geschichte‘ ist, nicht wahr?“

Larsas erstaunter Blick traf ihn, und ebenso die der anderen.

„Heißt das, ihr wollt uns helfen? Ihr seid kein Diener der archadianischen Armee mehr. Eure Zeit als Richter liegt lang hinter euch, ich kann euch nur bitten.“

Balthier Ffamran Mid Bunansa stützte seine Hände in die Hüften und nickte lachend.

„‘Die Welt retten‘ wird schön langsam ein Hobby von mir! Auf ein weiteres Male kommt es auch nicht mehr an. Komm, Fran.“ Er machte kehrt Richtung ‚Strahl‘, und die Viera folgte ihm. An der Rampe des Schiffes machte er Halt und schaute auf die verwunderte Menge. „Worauf wartet ihr? Etwa darauf, dass ich es mir überlege?“ Dann setzten sie sich in Bewegung und betraten einer nach dem anderen das Schiff. Als letzter kam Basch die Rampe hoch. Im Vorbeigehen legte er Balthier die Hand auf die Schulter.

„Das werde ich dir nie vergessen“, sprach er gerührt.

„Jetzt werd‘ nicht sentimental. Rein mit dir“, schnauzte er ihn nicht ganz ernst gemeint an, dann ließ er die Rampe hoch.

„Kehrt heil und in einem Stück zurück, werter Balthier!“ rief Larsa zu ihm hoch. Dieser winkte lässig zurück.

„Keine Sorge, eure Hoheit. Ihr wisst doch, was man über den ‚Helden dieser Geschichte‘ sagt? Er stirbt nie.“

Die Rampe schloss sich, und als sie vor seinem Gesicht in ihrem Mechanismus einrastete, verdrehte er die Augen und dachte: Ich bereue es jetzt schon…

Kaiser Larsa und die Soldaten um ihn herum sahen, wie die ‚Strahl‘ in den gespenstisch roten Himmel aufstieg und der Kristallfestung entgegenflog.
 

Das Innere der ‚Strahl‘ war nun erfüllt von jenem roten, unheilverheißenden Licht, dass sich in den Facetten des gigantischen Kristallgebildes brach und einen beunruhigend schönen Rosaschimmer auf alles in dem Schiff warf. Auf die Sitze, auf die Armaturen und auf ihre besorgten Gesichter. Angespannt und zugleich erwartungsvoll starrten sie aus den Sichtfenstern. Bis Richter Basch in ihre Mitte trat.

„Ich möchte ein paar Worte an euch richten…“, begann er förmlich. Die ‚Passagiere‘ der ‚Strahl‘ wandten einer nach dem anderen ihr Augenmerk auf ihn, bis er die Aufmerksamkeit aller hatte. „Ihr alle habt mit mir Seite an Seite gekämpft, und dafür möchte ich euch nochmal danken. Aber das hier ist nicht euer Kampf. Ich kann nicht verlangen, dass ihr mir folgt, wohin… auch immer ich gehen werde.“

Er blickte ihn nachdenkliche Gesichter, bis sich Squall Leonhart von seinem Sitz erhob. Sein Blick streifte sämtliche Anwesenden, und er begann nicht zu sprechen, bevor er sich nicht auf wortlose Weise ihrer Unterstützung versichert hatte.

Xell… ja, er wird mir überall hin folgen. Auf ihn ist Verlass.

Tifa… sie vertraut mir, und ich auch ihr… ich hoffe, das wendet sich nicht gegen uns.

Dieser Mann namens Rude… er sucht etwas, und er wird eher sterben, als es aufzugeben.

Diese Aeris… es klingt selbst für mich albern, aber das Schicksal hat sie uns geschickt, das spüre ich.
 

„Basch von Ronsenburg. Jetzt hören sie mal zu“, begann er zu sprechen, und etwas Eigenartiges lag mit einem Male in der Luft. Nur selten erhob Squall offen die Stimme, meistens widerstrebte es ihm. Doch er konnte es nicht bestreiten, er war der geborene Anführer. Und seine Worte schafften es wie die kaum eines anderen, verzweifelten Menschen neuen Mut zu geben. Xell erinnerte sich… der Kampf der Gardens, als die galbadianischen SEEDs sie mit ihrer größeren Erfahrung niederzuringen drohten. Squall hatte nicht nur an vorderster Front gekämpft, sondern auch seinen Kameraden und Freunden im Garden allein durch den Klang seiner Worte Kraft verliehen. Eine Kraft, mit der sie schließlich die Angreifer zurückschlagen hatten können, damals. Und nun war wieder so ein Moment. Wenn nicht ein noch bedeutungsvollerer.

„Wir alle haben einen langen Weg hinter uns. Ich kenne diese Welt nicht, dieses… Ivalice, Richter Basch. Ich kenne auch nicht die Welt, aus der Tifa, Rude und… Aeris kommen.“ Sein Blick streifte die drei, die ihm aufmerksam zuhörten. „Ich weiß aber, dass wir alle etwas suchen. Und zwar die Menschen, die uns besonders wichtig sind. Manche haben gefunden“, er blickte in Xells optimistisches Gesicht, „und andere… bangen noch immer.“ Dann sah er die schwermütigen Mienen von Rude und Tifa. „Aber eines bezweifle ich keinen Moment: hier endet unsere Suche. Fragt mich nicht, warum, ich weiß es einfach…“ Seine Stimme wurde leise, verlor aber nicht an Eindringlichkeit. „Wir gehen mit ihnen. Dieses Ding da draußen… all die Zufälle, die unsere Wege gelenkt haben bis hierher… es gibt einen Zusammenhang, und den werde ich herausfinden.“

Basch sah ihn ernst an. Das Gesicht des Richters wirkte müder als je zuvor, und seine Augen hatten einen anerkennenden Ausdruck, als er dem SEED zunickte.

„Gut. Ich weiß es zu schätzen. Es wäre mir eine Ehre, we- “

Ein plötzliches Manöver des Schiffes riss ihn um ein Haar zu Boden. Gerade noch fand er halt an einer Sitzlehne. Das Schiff geriet ins Trudeln, und alle Blicke richteten sich nach vorne Richtung Cockpit.
 

Dort saß Balthier mit angestrengtem Gesicht hinter dem Steuerknüppel und rang mit einer unsichtbaren Kraft. Basch kämpfte sich durch das jetzt in Schräglage fliegende Schiff nach vorn.

„Was ist los?“ fragte er und bekam von Fran auch augenblicklich eine Antwort.

„Irgend ein Kraftfeld umgibt dieses Ding!“ rief sie über schrille Warnsignale des Schiffes hinweg. „Wir können nicht näher ran!“

„Wir können auch nicht weg“, knurrte Balthier, der immer noch mit der außer Kontrolle geratenen Steuerung rang. Die Schräglage wurde bedrohlicher, und es wirkte, als zerrten starke Kräfte an dem Schiff, die in entgegengesetzte Richtungen wirkten.

„Können wir landen?“ fragte Basch mit besorgter Stimme, als die rote Wand aus Licht immer näher kam.

„Wir können… gar nichts, verdammt!“ fluchte Balthier, dem es nicht gelang, die Herrschaft über sein Schiff zurückzuerlangen. Es beschrieb nun einen erzwungenen Bogen zwischen der Kristallfestung, die zu ihrer Linken bedrohlich in den rötlichen Himmel aufragte, und der Wand aus rotem Licht, die wie eine senkrecht stehende Wasseroberfläche vor ihnen pulsierte. Der Bogen verschob sich, und sie hielten unerbittlich auf die Wand zu. Baschs Augen wurden groß. Fran sah verzweifelt, wie ihr Partner das Steuer umklammerte, dem das Schiff nicht mehr gehorchen wollte. Alle drei schrien auf, als das Schiff gegen die Wand prallte-
 

-und hindurch brach. Balthier, Fran und Basch atmeten wie eine Person auf, als die ‚Strahl‘ entgegen ihren Erwartungen nicht zerschellte, sondern plötzlich über eine Stadt flog. Nach wenigen tiefen Atemzügen richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Häuserschluchten unter ihnen, die ihnen so völlig fremdartig schienen.

Tifa stürzte ans Bullauge. Tränen der Verwirrung traten in ihre Augen, und sie schüttelte zitternd den Kopf. Squall wandte sich zu ihr um und blickte sie fragend an. Doch bevor er einen Satz an sie richten konnte, stand Rude hinter ihm und deutete mit ergriffener Miene aus dem Sichtfenster.

„Das… ist Edge-City. Unsere Heimat.“
 

Die ‚Strahl‘ flog zwischen den grauen Wolkenkratzern Schleifen, während ihre beiden Piloten versuchten, sich zu orientieren.

„Ich will verdammt sein, Fran… in Archadis sind wir jedenfalls nicht mehr.“

Die Viera antwortete nicht, sondern starrte nur betreten auf die kalt und leblos wirkenden Gebäude. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie etwas Ähnliches gesehen.
 

Die kleine Gruppe um Barret, die auf dem Flachdach des höchsten Gebäudes von Edge-City stand, erblickte ein Flugschiff, das in ziellosen Schleifen zwischen den Hochhäusern hindurch flog. Sein Kurs wirkte planlos und verloren. Die Formen des Schiffes waren so andersartig, als gehöre es nicht in diese Welt. Nichts desto trotz begannen Selphie und Rinoa zu winken. Reno schloss sich ihnen an, ohne mit seinem hysterischen Gekicher aufzuhören. Barret schüttelte knurrend den Kopf- bis das Schiff tatsächlich seinen Kurs änderte und auf sie zuhielt. Alarmiert griff er sich an seinen Waffenarm.
 

„Was hast du vor?“ fragte Fran argwöhnisch.

„Diese Leute können uns vielleicht sagen, wo wir hier sind“, erwiderte Balthier schulterzuckend. „Oder hast du eine bessere Idee?“ Die Viera schnaubte nur, und so setzte die ‚Strahl‘ zur Landung an auf dem Flachdach inmitten der Wolkenkratzer dieser düster und lebensfeindlich wirkenden Stadt.

Barret wollte schon zur Vorsicht mahnen, doch die beiden Frauen und der ehemalige Turk rannten auf das Schiff zu.

Squall erstarrte, als er durch das Bullauge ins Freie blickte. Auf der grauen Betonplatte, die das Dach dieses kahl und abweisend wirkenden Gebäudes bildete, sah er vier Menschen. Einen bulligen Mann mit schwarzer Hautfarbe, einen eher schmächtig wirkenden Mann mit langen, roten Haaren- und zwei Frauen.

Selphie und- Rinoa.
 

Balthier wollte gerade die Rampe hinuntergehen, als er von insgesamt vier Personen zugleich umgerannt wurde. Niemand schenkte ihm Beachtung, als er am Fuß der Rampe saß und sich den vom Sturz schmerzenden Rücken rieb.

„Was ist denn das für ein Benehmen?“ rief er ihnen beleidigt hinterher.
 

Squall stoppte seine schnellen Schritte und blieb fast stehen. Rinoa stand nur wenige Meter von ihm entfernt, doch er wagte es nicht, noch weiterzugehen. Rinoa starrte ihn verloren an. Selphie, die neben ihr stand, sah, wie ihre Lippen zu zittern begannen. Wasser trat in ihre Augen, und sie bewegte kaum merklich den Kopf von links nach rechts.

Xell lief zu ihnen und überschüttete sie mit Fragen, doch Rinoa hörte nichts um sich herum. Alles trat in den Hintergrund, selbst das rotglühende Inferno, das diese Welt bedrohte, rückte in weite Ferne. Dann tat sie einen Schritt nach dem nächsten, ganz vorsichtig, als müsste sie befürchten, dass der Untergrund unter ihren Schuhen nachgeben und zerbröckeln könnte. Bis sie vor Squall stand.
 

„Squall…“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme, und erste Tränen liefen über ihr Gesicht. Dann löste er sich aus seiner Erstarrung und trat auf sie zu. Fast gaben ihre Beine unter ihr nach. Die ganze Zeit hatte ihr die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihm Kraft gegeben, doch jetzt, wo es soweit war, schien sie schlagartig zu versiegen. Nichts wünschte sie sich jetzt mehr, als von ihm aufgefangen und umarmt zu werden. Doch stattdessen ergriff er nur ihre Schultern.

„Rinoa! Wie… wie kommst du hierher?“ fragte er kopfschüttelnd und verzweifelnd lachend. Es fehlte ihr fast die Kraft zu antworten. Zu ihrer Erleichterung trat nun Selphie an die beiden heran und erklärte die Geschehnisse aus ihrer Sicht, seit sich ihre Wege in den Ruinen von Nabudis getrennt hatten. Sie hörte dies nur am Rande mit, und sie wollte bereits die Arme um seinen Nacken legen- als er einen Schritt zurück trat. Verunsichert blickte sie ihn an.

„Ich bin froh, dass ihr in Ordnung seid“, kam über Squalls Lippen, doch sie erkannte die Stimme nicht. Verwirrt starrte sie seinen Mund an und traute ihren Ohren kaum. Als hätte sie etwas gänzlich anderes erwartet. Dann löste sich der Blick seiner blauen Augen von ihr und traf die anderen Personen auf diesem Dach-
 

Reno und Rude starrten sich an wie ihre jeweiligen Spiegelbilder. Dann, einen bedeutungsschwangeren Moment später, fiel Reno seinem Kollegen und besten Freund um den Hals. Seine Sonnenbrille verrutschte dabei, und er erwiderte nur sehr zögerlich diese überschwängliche Geste. Als sich Reno wieder von ihm löste, lachte er ihn wirr an.

„Hey, Rude… ich hab übrigens Rufus erwürgt.“

Rude nahm blitzartig seine Sonnenbrille ab.

„Du hast WAS??“

„Ja!“ kicherte er, „und dann haben wir Salvatori seinen eigenen Monstern zum Frass vorgeworfen, hi, hi“, kicherte er, und der Wahnsinn sprach wieder aus seinen Augen.
 

Tifa sprang Barret an, und der dunkelhäutige Riese umarmte sie mit einer Behutsamkeit, die man ihm kaum zugetraut hätte. Dabei hob er die um einen Kopf kleinere Frau ein Stück vom Boden hoch. Schließlich setzte er sie wieder ab.

„Tifa, verflucht… wir haben dich gesucht“, stammelte er, und in seinen braunen Augen sammelte sich Flüssigkeit.

„Cloud… wo ist er?“ fragte sie leise. „Er war doch bei euch, in dieser Ruine?“

„Wir wurden getrennt“, brummte er, und seine alte Bärbeißigkeit kehrte zurück. „Hab verflucht nochmal keine Ahnung, wo er steckt. Aber ich habe dich gefunden, und ich will verdammt sein bis in alle Ewigkeit, wenn mir das mit Spikey nicht ebenfalls gelingt.“ Er bemühte sich zu lächeln, aber seine bekümmerte Miene strafte diese Geste Lügen.
 

Unter all diesen Wiedersehensmomenten stand Balthier mit verschränkten Armen und ungeduldigem Gesicht.

„Das ist ja alles wirklich ausgesprochen rührend, aber könnte mir jemand verraten, wo wir hier um alles in der Welt sind?“ fragte er mit hochgezogener Augenbraue. Barret bemerkte ihn nun.

„Was is’n das für ein Fatzke?“ fragte er brummend.

„Er ist ein, ähem… Freund“, antwortete Tifa sich räuspernd. Barret ging an ihr vorbei und auf ihn zu. Dabei musterte er seine exotische Erscheinung argwöhnisch von Kopf bis Fuß.

„Aus welcher Nachbarschaft kommst du her?“ fragte er misstrauisch.

„Mein Name ist Balthier Ffamran Mid Bunansa, und ich komme aus Ivalice, mein Herr. Und mit wem habe ich die Ehre?“ fragte er in einem leicht hochnäsigen Ton zurück.

„Hä? Für den langen Namen brauchst du statt ´ner Visitenkarte ja ´ne Klopapierrolle!“ lachte er. Dann sprach er ernst weiter. „Ich bin Barret Wallace, und dieses Drecksloch von Stadt ist meine verdammte Heimat. Oder war es zumindest mal. Und was hat di- “ Barrets Blick ging über Balthiers Schulter hinweg und traf die Wand, die immer noch wie ein Vorhang aus Feuer bedrohlich vor der Stadt hing. Und aus der sich jetzt Stück für Stück die gewaltige Kristallfestung schob.
 

Wie ein Wal aus geschliffenem Glas, der der Schwerkraft trotzte, wuchs die in allen Farbtönen schimmernde und glänzende Festung aus dem Wasserfall aus rotem Licht. Ein Brausen stieg aus dem Boden auf, kroch in ihre Füße und bahnte sich den Weg bis in ihre verstörten Gedanken.

Barrets Kiefer sank immer tiefer. Seine Augen nahmen einen Ausdruck der Ungläubigkeit und auch der Wut an, als wüchse direkt vor seiner Nase ein Hinweisschild mit der Aufschrift ‚Dunkelhäutige Personen nicht erwünscht‘ aus dem Erdboden.

„Zuerst… diese Scheiße und dann das…!?“ Ein ohnmächtiges Schnauben entwich seinen Nasenflügeln, dann ballte er knirschend die metallene Faust. Drohend streckte er sie der gigantischen Erscheinung, die am Himmel über Edge-City entstand, entgegen. Und schuf so eine neue Interpretation von David und Goliath.

Alle anderen blickten wie versteinert zu der imposanten und zugleich bedrohlichen Erscheinung empor. Basch murmelte leise Worte.

„Also auch hier…“
 

„He, du, Balthier-Narr!!“ herrschte Barret ihn an. Der Angesprochene wandte sich zu ihm um und tippte sich argwöhnisch auf die Brust.

„Meinen sie mich?“

„Ja, Weißbrot. Kann dieses Ding noch fliegen?“

„Dieses ‚Ding‘, mein Herr, ist die ‚Strahl‘, und natürlich kann sie fliegen- “

„Dann bring mich dort hin!“ befahl er förmlich und deutete mit seinem gesunden Arm auf die Kristallfestung, die in einem rötlich glühenden Himmel hing und bizarre Farben auf die bis dahin grauen Hochhäuser warf. Balthier hielt dem Blick des um einen Kopf größeren Mannes stand und verschränkte reserviert die Arme.

„Wenn sie wollen, können sie mitfliegen. Wir hatten ohnehin vor, dieses… ‚Objekt‘ zu inspizieren.“

Nacheinander betraten sie wieder das Schiff. Balthier stand an der Rampe und betrachtete im Vorbeigehen seine illustren Passagiere.

Basch verlor keine Zeit und war zuerst wieder an Bord. Dann folgte der dunkelhäutige Mann namens Barret, der unablässig vor sich hin fluchte. Ihm folgten auf den Fuß die Frau namens Tifa und die beiden Männer in den dunklen Anzügen. Der Rothaarige von ihnen lachte die ganze Zeit und flüsterte so etwas wie „das wird sicher lustig“, während sich sein glatzköpfiger ‚Zwilling‘ offenbar mehr Sorgen um seine geistige Gesundheit machte als um die Erscheinung am Himmel. Dahinter wiederum schritten der übellaunige Mann mit Namen Squall die Rampe hinauf, gefolgt von den beiden Frauen, von denen besonders die mit den schwarzen Haaren und der blauen Weste ein weinerliches Gesicht machte und Squall von hinten betroffen anstarrte. Der blonde Heißsporn mit Namen Zell oder so ähnlich bemühte sich, sie zu beruhigen, aber ohne Erfolg. Als alle an Bord waren, ließ er die Rampe hochfahren und sperrte die kalte Welt aus Beton und Stahl, die diese Stadt war, hinaus.
 

Fran blickte mit hochgezogener Augenbraue nach hinten in den Passagierraum, der sich allmählich füllte. Balthier ging an ihr vorbei und ließ sich seufzend auf seinen Pilotensitz fallen.

„Wir hätten Platzkarten verkaufen sollen“, seufzte er und startete die ‚Strahl‘.

Wie ein Raubvogel aus elegant geformtem Metall erhob sich das Schiff und flog eine Schleife. Und wieder hielt sie direkt auf die Festung aus Glas und Kristall zu.

Basch stand wieder zwischen den beiden Pilotensitzen. Die schimmernde Festung, die offenbar die Ursache für all die rätselhaften Ereignisse war, füllte das breite Sichtfenster mittlerweile völlig aus. Bei diesem Anblick wurde dem Richter tatsächlich bange zumute.

„Erinnert ihr euch? Damals, als wir die ‚Bahamut‘ ansteuerten?“

Die Viera nickte langsam, und Balthier bejahte lächelnd.

„Oh ja. Wie könnte ich das vergessen. Damals wussten wir zumindest ungefähr, was uns erwartet. Aber das hier…“ Kopfschüttelnd blickte er auf das bizarre Gebilde aus Kristallfacetten, spiegelnden Oberflächen und funkelnden Säulen. Bis eine unsichtbare Kraft ihre Hand ausstreckte und erneut den Kurs des Schiffes beeinflusste. „Nicht schon wieder!“ schimpfte Balthier, doch es war das Gleiche. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte er den Kurs zu korrigieren, und so merkte er nicht, was sich in undeutlichen Konturen hinter der Wand aus rotem Licht abzeichnete, auf die sie die unsichtbare Kraft zu trieb. Basch sah hin und erspähte die Oberfläche eines Meeres, und darauf ein riesiges Gebilde in Form eines bunt angemalten Schneckenhauses…
 

Wieder durchbrach die ‚Strahl‘ unfreiwillig die Membran zwischen den Welten, doch sie gelangte nicht zurück nach Ivalice. Nun glitt sie über eine fast völlig glatte See dahin, die sich bis zum Horizont erstreckte. Bis auf das schneckenhausförmige Gebilde, das knapp über dem Wasser schwebte.
 

Cloud und seine Freunde hatten sich unter dem Schatten der ‚Shera‘ versammelt und besprachen die Lage. Sie debattierten heftig über die mögliche Bedeutung dieser Erscheinung und was jetzt zu tun wäre. Die SEEDs im Garden verhielten sich auf Befehl ihres Direktors abwartend. Die Situation war unübersichtlich genug, als das Cid Kramer voreilige Schritte setzen wollte.

„Wir müssen was tun, verdammt!“ fluchte Cid und schlug sich mit der Faust auf die Handfläche. „Sonst geht noch alles den Bach runter!“

„Und was sollte das sein?“ fragte Yuffie aufgebracht. Cid schnaubte verächtlich.

„Was weiß ich… wenn uns nicht bald was einfällt, verschluckt dieses Ding noch die ganze Welt mitsamt uns!“

Cloud hörte nachdenklich zu. Die Diskussion ging im Kreis, und er wurde seiner Rolle als Anführer ihres kleinen Haufens nicht gerecht. Im Hintergrund sah er, wie Shera mit den beiden Kindern abwartend im Schatten ihres Schiffes saßen. Cid hatte ihnen befohlen, dort zu warten. Sollte die Situation gänzlich eskalieren, dann könnten sie zumindest alle schnell mit dem Schiff fliehen. Fragt sich nur wohin, dachte Cloud ernst.
 

Irvine, der wegen seinem Zustand fürs erste aus seinen Pflichten entlassen worden war, saß in einiger Entfernung der Gruppe am Rand des Hofes. Es schien, als würde er sie genau beobachten, doch in Wahrheit ging der Blick seiner blauen Augen in eine unbestimmte Entfernung. Sein Gesicht war leer; es zeigte keinen Ausdruck. Doch tief in seinem Inneren wogten die Wellen des Schmerzes. Auch wenn jetzt nicht der richtige Moment war, er musste ihn zulassen. Der Druck der Ereignisse hatte ihn bisher davor bewahrt, doch nun würde er sich mit dem Verlust des ihm liebsten Menschen auseinandersetzen müssen. Viele schwere Aufgaben und Pflichten hatte er schon bewältigt in seinem Leben; doch ihm schwante, dass die Schwierigste nun vor ihm lag.

Und doch sträubte sich alles in ihm. Etwas in ihm wollte nicht wahrhaben, dass Selphie verloren war. Er hatte die Ruinen einstürzen sehen, im letzten Moment, bevor ihn diese rätselhafte Macht in seine Heimat zurückgebracht hatte. Selphie war dort geblieben. Und selbst wenn er zurückkehren konnte, er wagte es nicht, sich ihr Schicksal auszumalen. Bis ihn die in ihm brodelnde Mischung aus seelischem Schmerz, Ungeduld und Selbstvorwürfen aufstehen ließ. Sein Gewehr, das neben ihm an der Wand wie ein treuer Begleiter lehnte, ließ er stehen.
 

Cloud lauschte immer noch der Debatte zwischen Cid und Yuffie. Vincent stand nur schweigend daneben, doch sein flüchtiger Blick sagte vieles. Er drückte die selbe Ratlosigkeit aus, die sich auch Cloud bemächtigt hatte. Nanaki und seine neugefundene Artgenossin Shinaha standen etwas abseits und warteten geduldig. Clouds nachdenklicher Blick fiel auf sie.

Sie haben keine Angst, dachte er, was immer auch geschehen wird. Sie haben gefunden, was sie ihr Leben lang gesucht haben. Nur wir Menschen haben immer Angst vor der Zukunft und was sie bringen mag. Und das, obwohl wir nie allein sind. Nanaki war es sein ganzes Leben, und diese Shinaha auch. Vielleicht sind sie deshalb innerlich stärker als wir…

Irvine ging geradewegs auf die Gruppe zu. Sein starrer Blick war geradeaus gerichtet, er schien sie gar nicht wahrzunehmen. Verwundert traten sie zur Seite, als er durch ihre Mitte schritt. Am Rande des Außenhofes blieb er stehen und blickte aufs Meer hinaus. Cid blickte ihm mit gerunzelter Stirn hinterher.

„Der ist völlig hinüber“, bemerkte er kopfschüttelnd. Yuffie warf ihm einen mahnenden Blick zu ob dieser bei ihm nicht gerade überraschenden Insensibilität.
 

Irvine starrte aufs Meer und auf die rote Wand, die wie ein Vorhang aus Feuer nur wenige hundert Meter vom Garden entfernt hing. Er fragte sich, was sich hinter dieser pulsierenden Oberfläche aus Energie befand. Selbst wenn der Tod auf jeden wartete, der versuchen würde, sie zu durchdringen, die Abwehr gegen diesen Gedanken schmolz in seiner gepeinigten Seele. Hinge diese Wand aus Feuer unter ihm, vielleicht würde er dann einfach die Arme ausbreiten und sich fallen lassen… dann blinzelte er.

Er rieb sich die Augen, aber es war immer noch da. Ein Flugschiff brach aus der wie Glut wabernden Oberfläche und hielt auf den Garden zu. Neue Feinde? dachte er alarmiert. Doch es sah nicht feindlich aus… und seine geschwungenen Formen waren eindeutig von Menschenhand geformt.

„He!! Was ist das?!“ rief er, und alle drehten sich in seine Richtung um.
 

„Das ist nicht möglich!!“ schrie Squall außer sich. Fassungslos klebte er am Bullauge. Ebenso seine Freunde. Basch stand im Gang hinter ihnen und blinzelte verwirrt.

„Was seht ihr da? Was ist da so ungewöhnlich?“

Squall drehte sich zu ihm um, und sein Gesicht drückte eine Mischung aus Verwirrung und Euphorie aus. Irr lachend deutete er aus dem Fenster.

„Das da unten… das ist der Balamb-Garden!!“

Basch hob eine Augenbraue.

„Und das bedeutet…?“ fragte er vorsichtig. Doch anstatt zu antworten, sprangen Xell und Squall zugleich auf und stießen dabei zusammen. Squall setzte sich schließlich durch und erreichte das Cockpit als Erster.
 

Mit viel Geschick landete Balthier die ‚Strahl‘ neben dem anderen Schiff. Staub wurde aufgewirbelt, und alarmierte SEEDs begannen den nun ziemlich vollen Innenhof zu bevölkern. Zusammen mit Cloud und den anderen bildeten sie ein dichtes und zu allem bereites Spalier um die ‚Strahl‘ und die ‚Shera‘, die nun dicht aneinander parkten.

Als sich die Rampe auf den Boden senkte, sahen sie sich einem Dickicht aus schwarzen Uniformen und erhobenen Waffen entgegen. Sie alle senkten sich aber synchron und von einem ungläubigen Raunen begleitet, als Squall Leonhart die Rampe als Erster hinab schritt. Hinter ihm folgten Rinoa, Selphie und Xell, der triumphierend die Faust emporstreckte.

Irvine drängte sich durch die Menge und rannte direkt auf Selphie zu. Diese bekam große Augen, die sich augenblicklich mit Tränen füllten, als er ihr um den Hals fiel. Rinoa und Squall standen betreten daneben, als sich die beiden schluchzend umarmten. Dann kamen Tifa und Barret aus dem Schiff. Cloud schüttelte verständnislos den Kopf, bevor er losrannte. Und bald sahen sich Rinoa und Squall umringt von rührenden Wiedersehensszenen. Die allgemeine Erleichterung hing spürbar in der Luft. Sie fühlten, in diesem Moment endeten alle langen Reisen, die mit seiner Entführung begonnen hatten. Die Freunde waren wieder vereint, und der Kreis des Schicksals hatte sich geschlossen.
 

Squall sah sich um. Diese Szenen, die sich unter der ebenso wachsamen wie verwirrten Augen der SEEDs des Garden abspielten, wirkten irgendwie nicht real. Umarmungen, Tränen, hilflos gestammelte Worte der Erleichterung und des versiegenden Schmerzes, der angestaut von der Harschheit einer unerbittlichen Realität nun endlich Erlösung erfuhr… Eigentlich hätte er sich auch freuen sollen. Aber er konnte nicht. Ebenso wenig wie Rinoa, die neben ihm stand und so verloren wirkte wie ein ungeladener Partygast, während alle anderen ungezwungen feierten. Dabei war dies ihre Heimat. Zumindest die seine… Sein Blick fiel zu ihr. Unsicher wie ein scheuer Teenager fuhr sie sich mit zitternder Hand durchs Haar, und blickte abwechselnd auf die überschwänglichen Wiedersehensszenen um sie herum und dann wieder zu Boden.

So weit ist sie wegen mir gegangen, bis an ihre Grenze…

Und ich schaffe es nicht mal, ihr dankbar zu sein.

Es quälte ihn, und er wollte sich schon zwingen, auf sie zuzugehen, ihr etwas zu sagen, ihr irgendwie zu danken, sie zu umarmen. Und so riss er sich los aus der Starre seiner kreisenden Gedanken und trat vor sie hin.

„Rinoa?“

Ihr Blick traf sie, und er wirkte einen Moment ängstlich wie von einem Tier, das erstarrt auf der Straße stehend bereits die grellen Scheinwerfer eines LKWs auf sich spürt.

„Ja… Squall?“

„Ich…“ Er würgte an den Worten, und gab sich selbst einen Stoß. „Du bist wegen mir… du hast mich gesucht. Und hast mich auch gefunden. Das… das werde ich dir nie vergessen.“

Einen Augenblick lang verfluchte er sich für die Plattheit dieser Worte. Doch Rinoa nickte nur und setzte eine pflichtbewusst dankbare Miene auf.

„Ich habe es für dich getan. Ich wollte dich nicht verlieren.“

Ihr Gesicht wurde teilnahmslos, als die Fassade vor ihrem Schmerz sich verfestigte. Sie nickte langsam, wie um ihre vor hilfloser Ohnmacht strotzenden Worte zu bekräftigen. Squall versetzte es einen Stich im Herzen.
 

Cloud und Tifa standen sich gegenüber. Es war wie in Traum. All der Wirbel, all die Ausrufe der aufgebrachten und glücklichen Menschen um sie herum… alles löste sich auf in einen Nebel verschwommener Laute, die von fernen Gefühlen der Freude und der Dankbarkeit kündeten und sich wie ein warmer Regen über die beiden legte. Cloud überwand mit wenigen Schritten die Entfernung, die sie trennte. Diese Schritte schienen ihm wie eine Parabel ihrer ganzen Reise zu sein, und das in diesen Sekunden stattfindende Wechselbad der Gefühle brachte die Quintessenz ihrer gesamten Unternehmung an die Oberfläche seiner gelösten Gedanken.

Ganz behutsam legte er seine Hände an ihre Schultern, als wäre er sich ihrer materiellen Existenz nicht sicher. Er atmete beruhigt auf, als er die Wärme ihrer Haut spürte. Sie blickte ihn mit tränennassen Augen an, und dann umarmte er sie. Er drückte sie an sich so fest er konnte, und ihre Finger krallten sich in seine Kleidung. Nie wieder würde er sie loslassen, nie wieder… Als er die Wärme ihrer Umarmung fühlte, wurde er sich wie in einem Gedankenblitz all der Versäumnisse seines Lebens bewusst. Immer hatte er ihre Anwesenheit für selbstverständlich genommen, immer war sie die Stütze in seinem Leben gewesen, wenn die Dämonen der Vergangenheit und seiner eigenen dunklen Persönlichkeit übermächtig zu werden drohten. Sie hatte nicht viel getan, außer da zu sein… und gerade dies war mehr wert gewesen als alle guten Worte dieser Welt. Nie hatte er sich Gedanken darüber gemacht, doch nun war es ihm klar.

Es ist nicht selbstverständlich, Menschen um sich zu haben, denen man etwas bedeutet.

Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag, und er stöhnte einen Moment auf. Er hatte immer in der Erstarrung seiner Gefühle verharrt, hatte hinter einem Panzer seine Angst und seine Verletzlichkeit verborgen. Und Tifa hatte damit zu leben gelernt. Nie war sie zu ihm durchgedrungen. Doch nun hatte er es geschafft. Plötzlich war ihm alles so sonnenklar, was er all die Jahre für sie empfunden hatte. Einen Moment fragte er sich, wieso diese Erkenntnis solange auf sich warten hatte lassen, warum er so lang so dumm gewesen war. Und dann begriff er… Ein Bild tauchte in seinem Geist auf, das Bild einer Person, die ihre Schwäche nach Außen trug und bereit war, alles anzunehmen, was Schutz und Geborgenheit geben konnte. Eine Eigenschaft, die er solange unterdrückt hatte und auch anderen nicht zugestehen hatte wollen. Angesichts dieser Hilflosigkeit hatte er seine starken Arme ausgebreitet und ihr Zuflucht in ihnen geboten. Tifa hatte dies nie versucht, und er hatte es ihr nie angeboten. Doch nun war der Bann gebrochen, und seine wahren Gefühle flossen aus den Scherben seines zersplitterten Schutzpanzers hinaus, den er solange getragen hatte. Dieses Bild…

Anne. Anne Almasy.

Sie hatte ihm die Augen geöffnet. Und zum ersten Male in seinem Leben sah er Tifa wirklich.
 

Zwei der abgebrühtesten und zähesten Mistkerle im Universum betraten den Außenhof des Balamb-Garden. Cifer, die Hyperion lässig auf der Schulter, hob eine Augenbraue.

„Machen die hier ein Volksfest oder was?“

Sephiroth seufzte langgezogen hinter den Strähnen weißgrauen Haares, die vor sein gelangweiltes Gesicht hingen.

„Sieht so aus.“

Dann schritten sie weiter, und die SEEDs machten reflexartig Platz und wichen zu beiden Seiten zurück. Und so bekamen sie freien Blick auf die Männer und Frauen, die sich nach ihrer langen und gefahrvollen Reise wiedergefunden hatten, hier, im Außenhof des Garden.

Tifa, die sich langsam aus der innigen Umarmung von Cloud löste, verkrampfte sich plötzlich. Ihr tränenverschleierter Blick verengte sich.

„Das… das ist doch- “, flüsterte sie mit brüchiger Stimme. Cloud, sie immer noch haltend, wandte sich in Richtung ihres Blickes. Er sah Sephiroth und den blonden, grossschnäuzigen blonden Mann auf sie zukommen.

„Äh, ja… das ist eine lange Geschichte. Jedenfalls hilft er uns jetzt.“

„Er tut WAS?“ fragte sie ungläubig.
 

Direktor Kramer tippte Squall auf die Schulter, der immer noch vor Rinoa stand. Er drehte sich um und blickte in das überraschte Gesicht von Cid Kramer.

„Squall… wie um alles in der Welt…?“

„Ich erkläre es ihnen später. Und ja, ich habe auch Rinoa, Xell und Selphie zurückgebracht.“ Kramer schüttelte den Kopf, unfähig ein Wort zu erwidern. „Ein SEED lässt keinen Kameraden zurück. Niemals“, sagte er nicht ohne Stolz und salutierte auf SEED-Weise. Der Direktor salutierte zurück, und Squall tauschte einen Blick der Erleichterung mit Quistis aus, die hinter Kramer stand.
 

Barret, Yuffie und auch Vincent umringten Aeris. Sie winkte ihnen unschuldig zu.

„Hallo, Leute.“

Vincent und Barret waren zu überwältigt für eine formulierte Reaktion und blinzelten nur hilflos lächelnd. Yuffie löste sich aus ihrer Starre und umarmte sie.

„Aeris, du bist wieder- aber wie, ich meine, das ist doch- “

„Ich weiß es auch nicht genau, glaub mir“, unterbrach sie lachend ihr Gestotter. Die beiden sahen sich an und waren einfach nur glücklich. Dann breitete sich ein leiser Schatten über Yuffies Gesicht aus, als sie ganz leise eine Frage aussprach.

„Du- du bleibst doch…?“

Aeris bewegte ihren Kopf mit den braunen Locken, die ihr verspielt in ihr zugleich ernstes und auch gelöstes Gesicht hingen, langsam von der einen Seite zur anderen. Yuffie schluckte einen harten Kloß hinunter, doch Aeris lächelte nur.

„Gehen wir doch zu Cloud. Er freut sich bestimmt.“
 

Umringt von Nanaki und einem weiteren Geschöpf dieser Sorte, wie Cloud verwundert feststellte, herzte er Denzel und Marlene, die ihn gar nicht mehr loslassen wollten. Die kleinen Kinder entwickelten erstaunlich viel Kraft. Nur schwer lösten sie sich von seinem Hals, und sie weinten vor Freude.

„Jetzt bleibst du- aber für immer- bei uns“, stammelte Denzel, in dessen Brust immer noch Schluchzen bebte. Cloud nickte den beiden Kindern, die ihn hoffnungsvoll anblickten, zu.

„Das verspreche ich.“

Plötzlich ging sein Blick über ihre Köpfe hinweg und fiel auf eine Frau in einem rosafarbenen Kleid, die ihn Begleitung von Yuffie auf ihn zukam. Ohne den Blick von ihr zu wenden, erhob er sich. Der Blick seiner makoblauen Augen ruhte in dem ihren mehrere stille Momente lang, bevor sie etwas sagte.

„Hallo, Cloud.“

Die Worte plätscherten wie Wasser in einem lieblichen Teich, und Cloud ging auf sie zu.

„Aeris.“ Sie nickte ihm gütig zu, und ihr Lächeln überstrahlte für eine kurze Sekunde sogar den verdunkelten Himmel über ihnen. „Du hast mich zurückgebracht. Weißt du noch?“

Sie schüttelte sachte den Kopf.

„Nein, leider… ich habe keine Erinnerung an die Zeit im Lebensstrom. Habe ich das wirklich? Das… ist gut“, meinte sie, und wieder erklang ihr ätherisches Lächeln. Cloud kratzte sich am Kopf und ging in Gedanken die tausend Sachen durch, die er ihr hatte sagen wollen, all die Jahre über, seit ihrem Ableben-
 

Doch er kam nicht dazu.
 

Basch, der etwas abseits stand, drehte sich langsam um. Etwas leuchtete weiß auf auf der Oberfläche des Wasserfalls aus Feuer. Gleißende Umrissen hinzeichnend, brach die Kristallfestung durch die Barriere aus pulsierender Energie und wurde immer größer. Bis sie wie das Versprechen eines zorniges Gottes am Himmel aus schwarzer Tinte über ihnen hing.

Alle Köpfe wandten sich empor. Alle Stimmen verstummten. Das Schauspiel aus funkelnden Facetten sich hoch auftürmender Kristallsäulen stach in ihre Augen und ihre Gedanken, als würde etwas Undenkbares, Unmögliches sich auf schmerzhafte Weise den Weg in ihre Wirklichkeit bahnen und zu drückender Realität gefrieren.

Dann glühte das gigantische Gebilde auf, heller als die Sonne- in dieser Sekunde sanken alle vor Schmerzen auf die Knie. Die Wirklichkeit nahm harte Schwarzweißkonturen an als würde die ganze Welt zu einer schlecht belichteten Fotografie zerfallen. Brennend drang die Stoßwelle sengender Energie in ihre Köpfe ein und füllte sie mit schrillem Summen, bis sie fast barsten vor Pein. Dieser Schockzustand hielt einen unendlich langen Moment an- bevor er wieder verebbte. Verschreckte Blicke um sich werfend, richteten sich alle wieder auf.

SEEDs, Bewohner von Midgar, Ivalice oder des Garden- alle richteten sie ihre Aufmerksamkeit dem imposanten Gebilde aus leuchtendem Glas zu, das unheimliche Farben in den düsteren Himmel warf.

„Es geschieht überall…“, murmelte Richter Basch tonlos. Hinter ihm ragte ein Wald fassungsloser Mienen aus dem Menschen im Außenhof heraus. Hastiges Geflüster kroch durch die Menschenmenge wie knisterndes Laub, das der Wind zwischen kahlen Bäumen verteilte.

„Was ist das?“

„Hat das… das alles verursacht?“

„Was geschieht jetzt?“

„Wir müssen doch was unternehmen…!“
 

Inmitten all der aufgewühlten Gesichter stand Aeris und blickte ernst hinauf zu der Festung aus schimmerndem Glas. Sie sprach so leise, dass nur Cloud direkt neben ihr sie verstand.

„Das… ist es. Der Grund für alles.“

Cloud wandte sich alarmiert zu ihr um.

„Was? Was weißt du über dieses Ding?“

Sie blickte ihn verängstigt an. Falten auf ihrer Stirn und unter ihren Augen untermalten ihr Antlitz des Entsetzens.

„Ich… ich weiß es nicht. Ich FÜHLE es! Es… es ist dort drin!“

Cloud packte sie fast ein wenig grob bei den Schultern.

„Was ist da drin? Was will dieses Ding?“

Nicht im Stande, es zu benennen, schüttelte sie ängstlich den Kopf.

„Ich weiß es nicht… aber es ist dort. Der Planet sagt es mir!“

Cloud wandte seinen scharfen Blick wieder auf die Erscheinung. Dann marschierte er entschlossen los.
 

Squall, Rinoa, Xell, Selphie, Cifer und Irvine aus dem Garden, Barret, Vincent, Yuffie, Sephiroth und Nanaki aus Edge-City und Basch, Balthier sowie Fran aus Ivalice bildeten einen Kreis um Cloud Strife. Er stand in ihrer Mitte, und bei ihm Aeris. Sie sprach nichts, sondern blickte nur zu Boden, doch ihre bloße Gegenwart bekräftigte Clouds Worte. Gewissermaßen sprach er für sie; als wären ihre Gedanken auf rätselhafte Weise verbunden.

„Ich kenne viele von euch nicht wirklich. Ich weiß kaum etwas über eure Welten. Und ihr nicht über meine. Aber eines weiß ich genau: ich brauche eure Hilfe! Dies geht uns alle an. Ich spüre es…“

Gedankenverloren ballte Cloud die Faust. Er presste die Augenlider zusammen, als er eine Macht in seiner Brust erzittern spürte. Visionen eines geflügelten Drachens tanzten durch seine Gedanken und hinterließen Schemen auf seiner Netzhaut, wie ein Muster, das sich eingebrannt hatte. Derweil begann das Gemurre.

„Er dreht jetzt völlig durch…“

„Ich bin dafür, abzuhauen! Wir haben keine andere Chance!“

„Vielleicht geht es vorbei, wenn wir nur abwarten…“

Schlagartig öffnete er die Augen und sah sich dutzender ungläubiger Blicke ausgesetzt. Dann streckte er den Arm aus und ließ seinen Zeigefinger wie eine Waffe über die Menge gleiten. Manche wichen tatsächlich zurück.

„Ihr wisst es, ihr könnt es nicht bestreiten!! Ihr alle…“ Sein forschender, ja stechender Blick musterte jeden einzelnen von ihnen. „Seht ihr es denn wirklich nicht?? ‚Dies ist nur für dich bestimmt‘… Ihr habt diese Worte gehört, richtig!? Ihr alle!!“ Viele der Anwesenden zuckten zusammen, als er diese unangenehme Erinnerung in ihnen ans Licht brachte. „Uns allen ist dies passiert… auch mir! Etwas… hat uns geführt die ganze Zeit. Und jetzt sind wir hier, und…“ Er rang mit den Worten, warf einen ebenso sehnenden wie verzweifelten Blick auf die Festung aus leuchtendem Kristall. Dann sprach er mit sanfter, fast schwach klingender Stimme zu ihnen. „Wir sind alle hier… und das dort… ist unser Ziel. Es liegt dort… und wartet auf uns.“

Alle sahen sich an und wechselten nachdenkliche Blicke mit ihrem Gegenüber. Eine spürbare Befreiung legte sich über sie, als hätte er eine drückende Wahrheit ausgesprochen und endlich ans Licht gebracht. Wie eine Wunde, die erst schmerzhaft aufbrechen musste, um letztendlich verheilen zu können. Balthier seufzte pathetisch, bevor er auf Cloud zuging.

„Ich fliege euch hin. Und bis ans Ende der Welt, wenn es sein muss.“

Clouds Gesicht wurde von Erleichterung überflutet. Er fühlte sich diesem Mann, der er gar nicht kannte, auf eine rätselhafte Weise verbunden. Als ob sie Brüder wären…

Dann kam eine Dynamik in Gang, die er sich erhofft, aber nicht vorzustellen gewagt hatte. Alle hatten nun das gemeinsame Ziel vor Augen und die innerliche Gewissheit, das dies IHRE Geschichte war, dass ihrer aller Schicksale in das Buch des Lebens eingetragen wurden, in diesem Moment.
 

„Ich nehme Shera und die Kinder mit. Auch Anne“, sagte Cid Highwind, und zum ersten Male in seinem Leben rauchte er nicht dabei. Der Rest der Gruppe begann sich zu organisieren, während Cloud mit dem Piloten sprach. Nanaki und Shinaha waren in seiner Nähe.

„Gut“, nickte Cloud. Dann wandte er sich an die beiden vierbeinigen Wesen. „He, ihr zwei!“ Sie wandten sich um und umringten ihn. Aufmerksame Blicke aus roten Wolfsaugen fixierten ihn. Cloud ging in die Hocke, um mit den beiden in Augenhöhe sprechen zu können. „Ich habe eine Bitte an euch. Fliegt mit Cid und den anderen.“

Nanaki hob überrascht eine Augenbraue.

„Aber ich möchte an deiner Seite kämpfen. So wie in den alten Zeiten.“

Cloud machte ein beschämtes Gesicht und lächelte vorsichtig.

„Ich weiß das zu schätzen, Nanaki. Aber ich möchte, dass ihr auf Shera, Anne und die Kinder aufpasst. Ich bitte euch darum.“

Nanaki tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit Shinaha. Dann wandte er sich wieder an seinen Freund.

„Gut. Aber versprich mir eines.“

„Und das wäre?“

„Komm zurück.“

Cloud nickte entschlossen und blickte dabei in die intelligenten Wolfsaugen der beiden Geschöpfe.
 

Squall meldete sich ganz förmlich bei seinem Direktor und bei Quistis ab, die anschließend mit ansahen, wie sich nacheinander die ‚Shera‘ und die ‚Strahl‘ vom Boden erhoben. Die SEEDs im Außenhof beschirmten ihre Augen gegen den aufgewirbelten Staub. Dann schwebten die beiden Schiffe dem dunklen Himmel über ihnen entgegen, in dem die Festung aus glänzendem Kristall farbige Schatten wie ein Kaleidoskop des Verderbens warf.
 

Die ‚Strahl‘ war zum Bersten gefüllt. Nie konzipiert als Passagierschiff, drängten sich jetzt insgesamt vierzehn Personen in den Sitzreihen zusammen. In dem Durcheinander aus Beinen und Ellbögen suchte jeder einen Sitzplatz, auf dem er sich bei Bedarf anschnallen konnte.

Der Platz neben Aeris war noch leer, als sich eine hochgewachsene Gestalt in schwarzem Leder aus der durch den Gang drängenden Menge schälte und sich neben sie auf den schmalen Sitz fallen ließ. Aeris Augen wurden groß, und eine Mischung aus Unbehagen und Erheiterung breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sephiroth blies sich eine weißgraue Strähne aus dem Gesicht.

„Ganz schön eng hier… ich hoffe, der Flug dauert nicht lang.“

Aeris nickte und starrte ihn weiter an.

„Äh… ja.“

Sein Blick fiel auf sie; neugierig musterte er sie.

„Hm? Sind wir uns nicht schon mal begegnet?“

„Ich fürchte ja…“

Dann fiel der Groschen bei Sephiroth.

„Jetzt weiß ich es wieder. Du warst doch mit Zack Fair zusammen, in Midgar damals, stimmt’s?“

Aeris nickte seufzend.

„Äh… ja. Du bist übrigens nicht echt“, fügte sie etwas verlegen hinzu. Sephiroth nickte betrübt.

„Sieht danach aus. Ich bin nämlich tot, wie alle behaupten. Aber trotzdem hier… seltsam, nicht?“

„Ja, das kenn ich“, erwiderte Aeris hilflos lachend. „Bei mir ist es nämlich genauso. Ich bin auch, äh… gestorben.“

„Ehrlich? Was ist dir denn zugestoßen?“ fragte Sephiroth mit aufrichtigem Interesse. Aeris drehte langsam den Kopf zur Seite und starrte peinlich berührt aus dem Bullauge.
 

Die ‚Strahl‘ schrumpfte immer mehr, als sie in das kristallene, vielfarbige Glühen der Festung eintauchte. Immer mehr schien sie zu wachsen; ihre schiere Größe war überwältigend.

Basch stand wieder vorne im Cockpit und blickte ihren beiden Piloten über die Schultern. Sein suchender Blick tastete die bizarren, ja verspielten Formen des eindrucksvollen Gebildes ab. Schließlich entdeckten sie einen ebenen Platz, der an der Oberseite der Festung einen breiten Sims aus leuchtendem Glas bildete. Er deutete auf die Ebene, und Basch landete das Schiff mit Geschick auf der Fläche. Diesmal versuchte keine wie auch immer geartete Kraft sie daran zu hindern. Sanft setzte die ‚Strahl‘ auf, und durch die Fenster des Cockpits sah er die ‚Shera‘, das andere Schiff, in einiger Entfernung der Festung schweben.

„So. Da wären wir“, seufzte Balthier und klopfte sich auf die Oberschenkel. Basch nickte ihm ernst zu.

„Jetzt müssen wir nur noch schauen, ob auch jemand zu Hause ist.“
 

Die Rampe glitt herab und setzte mit einem klingenden Geräusch auf der Oberfläche des Gebildes auf. Als erster trat Richter Basch ins Freie. Vorsichtig setzte er seinen gepanzerten Stiefel auf die durchscheinende Oberfläche. Sie fühlte sich stabil an.

Während alle Beteiligten, die das Schicksal über weite Umwege hierhergeführt hatte, das Schiff verließen, ließ Basch seinen Blick über ihre Umgebung schweifen. Der Kristall schien von Innen her zu erglühen, und die Farben wechselten langsam durch das gesamte Spektrum. Dieser Ort war schön und bedrohlich zugleich. Und weckte auch eine Erinnerung in ihm… ja, genau, dachte er. Der Megakristh in Giruvegan. Dort hatte er zuletzt eine so berückend schöne und zugleich auch latent unheilschwangere Umgebung erlebt, die selbst ohne die Anwesenheit von Feinden einen stetigen Druck auf die Nerven aller, die in ihren Gefilden gefangen waren, ausübte. Man konnte sich kaum sattsehen an dem Gefunkel aus den Tiefen dieses von Energie belebten Kristalls, und gleichzeitig fühlte es sich an, als würde einen der tödliche Blick einer Spinne einlullen, die bereits erdrückende Fäden um ihr Opfer webt.

Und so stand die Truppe versammelt auf dem großen Platz. Einen Eingang in das Innere dieses Gebildes konnten sie keinen sehen. Ratlos blickten sie sich um.

„Und was jetzt?“ knurrte Cifer. Endlich würde er Möglichkeit zur Bewährung bekommen, würde er zeigen können, dass er im entscheidenden Moment nicht versagen würde. Doch hier war niemand. Kein Empfangskomitee, keine schnaubenden Monster, kein unheilvolles Gelächter. Nichts, das zur Zielscheibe seiner Aggression werden konnte.

Langsam verteilte sie die Gruppe auf der Ebene des Kristalls. An ihren Rändern ging es weit in die Tiefe, etwa einen Kilometer müsste man von hier bis zur Wasseroberfläche zurücklegen, einen todesverachtenden Sprung vorausgesetzt. Cifer stand da, die Hyperion in den verschränkten Händen. Seine Schuhspitze klopfte unablässig auf den gläsernen Boden unter ihm. Bis neugierige Finger nach seiner Waffe tasteten.

Erschrocken wandte er sich um, bevor die Hand zugreifen konnte. Der ‚Dieb‘ wich hastig zurück. Cifer richtete sofort die Gunblade auf ihn.

„Was zum Teufel- was ist das für ein Fummel?“

Die Gestalt trug einen langen, roten Umhang mit allerlei Verzierungen darauf. Der Umhang bedeckte sogar sein Gesicht, von dem nur leuchtende Augen und graue Haut mit weißen, aufgemalten Streifen sichtbar waren. Das ungewöhnlichste aber waren seine vier Arme. In jeder Hand hielt er eine Waffe. Cifer wich einen Schritt zurück.

„Hihihi… diese fehlt mir noch“, begann eine schnarrende Stimme zu sprechen. Mit einer seiner vielen Hände deutete er auf Cifers Waffe.

„Soll das ein Witz sein?“ lachte Cifer verächtlich. Dann erstarb sein Lachen, als er eine der Waffen in seinen Händen erkannte.

Es war Squalls alte Gunblade.
 

„Jaaa… ich werde es bekommen!!“ zischte das Wesen, und ein Windstoß traf Cifer. Er warf einen Blick über seine Schulter, doch niemand der anderen bekam etwas mit. „Es wird dir niemand helfen!“ kicherte das seltsame Wesen spöttisch, und es klang wie aus einem Blechrohr.

„Ich brauche auch keine Hilfe“, rief Cifer und griff mit wallendem Mantel an.
 

Es gab in ihrer und wahrscheinlich in allen Welten keinen zweiten Kämpfer, der seine einhändige Waffe mit einer derartigen Geschwindigkeit und Eleganz führte wie Cifer. Das Licht des Riesenkristalls reflektierte auf seiner umherspringenden Gunblade, als er seinen Gegner von scheinbar verschiedenen Seiten gleichzeitig in Bedrängnis brachte. Das Wesen mit dem roten Umhang brachte all seine Arme und Waffen in Einsatz, doch nur mit Mühe konnte er all die, schnell und schmerzhaft wie Nadelstiche, aufblitzenden Attacken Cifers parieren. Von allen Anwesenden merkte niemand etwas, und als Cifer während weniger Millisekunden zwischen zwei Angriffen nach den anderen schielte, war es ihm, als würden sie sich gar nicht mehr bewegen.

Das Wesen kam zunehmend in Bedrängnis. Schon schlitzte Hyperion durch seinen roten Umhang und franste ihn aus. Vor Zorn bebend wich die Gestalt zurück und ließ einen gellenden Pfiff ertönen. Cifer sah sich verwirrt um- und wurde dann von einem riesigen Hund, der scheinbar aus dem Nichts auftauchte, umgerannt.
 

Ächzend kam Cifer auf die Beine. ‚Hund‘ war vielleicht nicht der richtige Ausdruck, als er sich das hechelnde, vierbeinige Wesen an der Seite seines Gegners anschaute. Es besaß grünes Fell, hatte an einigen Stellen violette Strähnen und trug um den Hals ein ähnliches Tuch mit extravaganten Verzierungen wie auch sein Herr. Auf seiner Schnauze trug es ein kurzes Horn. Während Cifer sich von dem Angriff erholte, tätschelte das rotgewandete Wesen dem Tier den Kopf mit einem seiner vielen Hände.

„Gut gemacht, Enkidu… bald gehört uns auch sein Schwert!!“

Cifer schüttelte seinen brummenden Kopf, dann spuckte er geräuschvoll aus.

„Jetzt reicht’s mir…“ knurrte er, und eine längst vergessene Erinnerung aus den Tiefen seiner Seele kam empor…

Einzelne Regentropfen fielen aus dem düsteren Himmel und wurden immer mehr. Bald regnete es in Strömen, und Bäche trüben Wasser liefen zwischen ihren Schuhen über den gläsernen Boden. Cifer hörte Hufe auf Glas, und als er sich umdrehte, vernahm er das Schnauben eines Pferdes.

Blitze zuckten durch die dichten Regenwolken über ihnen, und die Augen des Pferdes leuchteten vor Elektrizität, als wäre die Kraft des Blitzes in ihnen gefangen. Cifer hob seinen Blick und sah den Reiter des Pferdes, das, wie er jetzt merkte, sechs Beine hatte. Er runzelte die Stirn.

Der Reiter saß im Sattel des unheimlichen Pferdes und musterte Cifers Gegner mit kalten, roten Augen. Sein Gesicht aus bronzefarbener Haut war eine starre Maske tödlichen Gleichmuts. Elfenbeinfarbener Panzer bedeckte seinen ganzen Körper, und schwarze Hörner ragten von seinem Helm in den von Blitzen durchzuckten, schwarzen Himmel.

Cifer erinnerte sich.

Odin.
 

Odins Pferd bäumte sich wiehernd auf, und heißer Dampf entwich seinen Nüstern. Es schlug mit seinen Hufen aus, bevor es einen Satz auf das rotgewandete Wesen zu machte. Die Distanz mühelos überwindend, sprang es auf sein Opfer zu, und Odin schwang sein Schwert mit Macht. Ein schrilles Kratzen und Kreischen erklang, als würde sich sein Schwert langsam, aber unerbittlich durch die Struktur der Realität selbst fressen. Das Knirschen durchschnittener Materie verklang in einem gedehnten Echo, bevor es, abrupt und ein sich wiederholendes Hallen hinterlassend, verklang. Rote Schriftzeichen eines fremden Alphabets erschienen vor Cifers Augen, und sein Wiedersacher fiel feinsäuberlich in zwei Teile auseinander.

„Zantetsuken… ‘Das Schwert der Vergeltung‘. Ich wusste doch, dass ich dich eines Tages wiedersehe“, lachte Cifer finster. Odin saß immer noch auf seinem Pferd und blickte wortlos ins Leere, nachdem er seinen Gegner zerteilt hatte. Das leise Schnauben des dämonischen Pferdes klang durch die Welt aus Regen, Donner und Blitz, die sie für diesen Kampf eingehüllt hatte. Odin wartete.

„Na gut“, seufzte Cifer und genoss die Momente der Überlegenheit. Damals war der Gott des Nordens ihm unterlegen gewesen im Kampf, und seither war seine Seele an Cifer gebunden. All die Zeit hatte er in den Tiefen seines Unterbewusstseins verbracht und auf den Tag gewartet, an dem er um seine Freiheit würde kämpfen können. Dieser Tag war heute. „Ich gebe dich frei.“

Wieder wieherte sein mythisches Pferd auf, und Sekunden später hallten die Hufschläge nach, als er in die Welt zurückkehrte, aus der er stammte.
 

Es kam Squall vor, als zupfte jemand an seinem Ärmel. Ein Fingerknöchel klopfte an den Rand seines Verstandes, und er drehte sich um. Was er sah, war Cifer, der mit erhobener Waffe da stand. Vor ihm kniete eine seltsam gewandete Person, fast völlig eingehüllt in rotes Tuch. Seine Augen weiteten sich, sein offener Mund erstarrte-

Gilgamesch.
 

Schwer atmend und rasselnd keuchend, tastete Gilgamesch über den Boden. Sein treuer Begleiter über all die Zeitalter, Enkidu, beschnupperte ihn vorsichtig und winselte dabei mitleidig, als spüre er die Veränderung seines Herrn. Glänzende Waffen lagen über den Boden verstreut. Die zitternden, sich nicht mehr in seiner Gewalt befindlichen, grauen Finger des Wesens tasteten nach ihnen. Doch er bekam sie nicht zu fassen, als verneinten die Relikte unsterblicher Heldensagen aus allen Welten nunmehr seinen Zugriff auf sie. Squall trat vor ihn hin. Das Wesen hob seinen fahrig hin und her zuckenden Kopf, bis er ihn mit leeren Augen ansah.

„So sehen wir uns wieder“, murmelte Squall, und der Zorn in den Worten rang an ihren Grenzen wie an Gitterstäben. Doch er ließ sie nicht frei. Nur seine Faust ballte sich und brachte das Leder seiner Handschuhe zum Knirschen.

„Was- was- hä…“, stammelte das Wesen hektisch und tastete weiter umher. Dann trat auch Cloud zu ihnen. Die anderen wurden auf das Geschehen aufmerksam. Cloud bückte sich nach dem Meisterschwert und hob es hoch. Die zitternden Finger Gilgameschs reckten sich flehend nach dem Stück Metall, das Geschichte geschrieben hatte. Ein sehnsüchtiges Leuchten glühte in seinen Augen auf, als Cloud Zacks frühere Waffe betrachtete.

„Warum das Ganze…“, flüsterte er, während sein trauriger Blick über die verwitterte und zerschundene Oberfläche des Metalls wanderte. Jeder Kampf, jede Begegnung hatte tiefe Spuren auf ihm hinterlassen, und auch nach all den Tragödien, an denen es teilgehabt hatte, war ihm noch immer nicht die Ruhe anhaltender Stille vergönnt.

Squall löste sich aus der Starre, diktiert von Erstaunen und auch Entsetzen, ging energisch auf Gilgamesch zu, packte ihn am Kragen seines roten Gewandes und zerrte ihn unsanft auf die Füße. Seine wütenden Augen funkelten ihn drohend an, und Gilgamesch suchte vergebens Gnade in ihnen.

„Verdammter Scheißkerl!!“ brüllte er ihn an. „Warum hast du mich entführt?? Warum ihn? Warum das… Ganze!?“ schrie er, und seine Stimme überschlug sich vor Zorn und Mutlosigkeit. „Warum…“, flüsterte er dann kopfschüttelnd und mit hörbarer Vergeblichkeit in der Stimme. In einem Kraftakt, der mehr Angst als Mut aussprach, riss Gilgamesch sich los. Seine Augen tasteten hastig die Menschenmenge um ihn ab. Enkidu suchte Schutz zwischen seinen Beinen.

„Ich… wollte eure Waffen!!“ zischte er tonlos. Squall machte eine wegwerfende Bewegung.

„Aber warum hast du uns fortgebracht? Was sollte das?? Und was ist das hier für ein Ort?“

Das Wesen machte eine abwehrende Geste mit seinen vielen Händen und wirkte dabei wie eine tanzende Statue.

„Eure Waffen… Gilgamesch will sie, ja!! Er… er hat es versprochen, wenn ich helfe.“ Der hohle Klang seiner Worte wechselte zwischen erschrockener Ängstlichkeit und dem pflichtbewussten Eifer eines Kindes.

„Wer ist ‚er‘?“ fragte nun Cloud. Gilgamesch schüttelte heftig seinen vermummten Kopf, sah sich ängstlich um und flüsterte fast.

„‘Er‘… hat keinen Namen, das hat er nicht! Er… sieht uns…“

Cloud und Squall sahen sich an. Beide hatten keine Geduld mehr, und Cifer schaltete sich ein.

„Wir verschwenden doch nur unsere Zeit mit dem Typen, außerdem- “

Der gläserne Boden unter ihren Füßen begann zu zittern. Alarmiert sahen sie sich um.

„Er hat uns gehört!“ bellte Gilgamesch trotzig. „Er hat es mir versprochen… ich bekomme eure Waffen, und, und…“

„Und was!?“ brüllte Cloud, als der Kristall immer stärker bebte.

„Und, und… er bekommt euch!!“ zischte Gilgamesch wie eine wütende Schlange. Nun erklang deutliches Knirschen aus den Tiefen des Kristalls, als würde ein gigantischer Eisberg langsam, aber sicher bersten. Dann begann es.
 

In ihrer Mitte brach ein gleißender Lichtstrahl durch die Oberfläche des Kristalls und bäumte sich bis ins Universum auf. Die Schwerkraft schien auszusetzen, und alle wurden vom unter ihnen auseinanderbrechenden Boden empor gehoben. Teile des Kristalles trieben auseinander wie Eisschollen, die der unwiderstehlichen Strömung des Meeres folgten. Der Strahl gewann an Breite, und bar jeglicher Handlungsfähigkeit schwebten sie alle im Kreis um den pulsierenden Strahl verteilt.

Cloud kämpfte gegen die unsichtbare Umklammerung an, doch es war zwecklos. Aus dem Augenwinkel sah er noch, wie die ‚Strahl‘ kurz vor dem Wegbrechen ihres Landeplatzes eilig startete und sich entfernte. Dann richtete er wieder den Blick auf die gewaltige Säule aus lebender Energie vor ihnen.
 

Licht strömte und floss in Bögen, Schwüngen und Kurven durch die Säule empor und formte bizarre Muster, entstellte Visionen verstörter Gedanken und wirre Reflektionen verdrängter Erinnerungen. Und dann die Stimme…

„Ihr seid nun alle hier… Ihr alle!!“
 

Wie tosende Schockwellen des Urknalls fegten die Worte über sie hinweg, als die Männer und Frauen, unfähig zu irgendeiner Handlung, im leeren Raum schwebten und das Antlitz der Ewigkeit sie streifte wie die kalte Hand eines Gottes. Gilgamesch, auf einem der davon treibenden Kristallsplitter stehend, wurde allmählich durchsichtig. Enkidu, sein treuer Begleiter auf seinen Reisen durch alle Welten, drückte sich winselnd an seine Flanke. Dann schwanden die beiden endgültig…
 

Cloud zuckte und krampfte, doch die unsichtbare Hand hielt ihn fest umschlungen. Dann öffnete er langsam seine zusammengepressten Augen. Er sah es…
 

„Aeris… hilf uns…“, stöhnte Tifa zu Aeris, die wenige Meter neben ihr in der Luft schwebte und ebenso Gefangene dieser Macht war wie sie. Ihre Arme und Beine zitterten vor Anstrengung, doch sie konnte ebenfalls nichts unternehmen.

„Es tut mir leid… ich kann nichts tun…“, ächzte sie. Dann drehte sie den Kopf zur Seite, als hörte sie etwas. Bestürzung überflog ihr Gesicht. Dann sah sie wieder Tifa an, und ihre Augen flehten um Verzeihung.

„Aeris? Was ist mit dir??“

Ihre Konturen wurden durchsichtig. Sie entschwand langsam, und ihre letzte Geste bat um Verzeihung. Dann war sie weg. Tifa schrie vor Verzweiflung auf.
 

In der riesigen Säule flimmerte es zuerst undeutlich auf. Dann wurde es klarer. Eine Gestalt wurde in ihr sichtbar. Dämonische Engelsflügel, über und über aus violetten Federn, auf ihrem Rücken, gekleidet in eine violette Toga… und mit einer Feder im wirren Haar. Sie lachte kreischend auf.

„Kefka war einst mein Name...“, knirschte die Stimme in ihren Gehörgängen und schmerzte sie wie Metallzacken, die über ihre freigelegten Nervenbahnen kratzten. Dann schwand die wie irrsinnig lachende Gestalt. Ihr folgte- Sephiroth, in seiner Beinahe-Gottform.

„Und auch als Sephiroth habe ich diese Welt heimgesucht...“

Wieder flimmerte die Vision vor ihren Augen auf, verdrehte und verzerrte sich zu einem Chaos der Farben und Formen. Dann wurde aus ihr eine bläuliche Gestalt. Sie hatte kein Gesicht, das man ein solches nennen konnte, dafür lange, spinnengleiche Krallen. Ein langer, roter Umhang wallte von ihren Hüften, und graue Flügel entwuchsen dem Kopf des bizarren Wesens.

„Ein anderer Name war… Artemisia…“, lachte die Stimme in ihren Köpfen höhnend und verächtlich zugleich. Dann wurde aus der Gestalt ein blauleuchtender Engel, mit verkrüppelten Flügeln auf seinem Rücken, umkreist von schwarzen Ringen und bestückt mit herabhängenden missgestalteten Klauen.

„Schon als Necron wollte ich diese Welt zerstören… doch es gelang nicht!“

Die Wut in diesen Worten brannte schmerzhaft in ihren Köpfen, während sie immer noch wehrlos im Raum um den zersplitterten Kristall und der Säule schwebten, die ihnen eine Vision des Schreckens nach der nächsten zeigte. Sie wandelte sich als nächstes in ein Symbol, ein Auge aus blauem Licht.

„Yu Yevon war meine bisher mächtigste Form… doch auch sie scheiterte!!“ donnerte die Stimme und sprengte damit fast ihre Gedanken und die Grenzen ihres Bewusstseins. Wieder verschwammen die Umrisse der Gestalt zu diffusem Licht, dann formte sich aus dem pulsierenden Durcheinander eine geflügelte Gestalt mit riesigen, maschinenhaften Schwingen. Stockend und zitternd wie steckengebliebene Zahnräder bewegten sie sich in einem unsteten Rhythmus auf und ab.

„Ich hatte schon so viele Formen… so viele Namen… immer war ich da, um das Schicksal der Welt zu erfüllen. Doch immer habt ihr Widerstand geleistet!“

Ein letztes Male veränderte sich die Form und gebar eine neue. Die letzte war von ihrem Aussehen weniger schrecklich wie alle zuvor, doch ihre düstere Ausstrahlung übertraf die aller vorigen bei weitem. Ein Mann, ganz in Schwarz, ein Umhang wallte in Fetzen um seine Schultern. Sein Gesicht war weiß, wie auch seine Haare und sein Bart. In seiner Brust glühte ein rotes Licht, das wie ein dämonisches Herz zwischen seinen auseinandergebogenen Rippen pulsierte und pochte.

Sein prüfender Blick glitt über die Frauen und Männer hinweg, die vor ihm zwischen den Bruchteilen seiner Kristallfestung schwebten.

„Wer bist du“, brachte Cloud mit größter Mühe hervor.

„Ich hatte viele Namen… doch in Wahrheit ist er… Garland.“
 

Wie die Bruchteile eines Asteroidengürtels schwebten sie langsam in Kreis um den Mittelpunkt dieser Ansammlung aus auseinanderdriftenden und sich wieder zusammenziehenden Splittern kristalliner Energie. Die Gestalt im Zentrum von all dem verschränkte die Arme vor der Brust, und über seine Arme hinweg leuchtete das Pulsieren seines glühenden Herzens wie das Licht eines unheilverheißenden Leuchtturms.

„Ihr seid nun alle hier… wie ich es wollte!“ Dröhnendes Gelächter folgte, und er streckte seinen finsteren Arm aus. Eine Macht zerrte plötzlich an ihnen, die unwiderstehlich das Leben aus ihnen heraussaugte. Es begann mit Irvine. Unter Schmerzen und Schreien löste sich der Schemen eines Wesen aus ihm. Es war Alexander, die Schutzmacht- und sie wurde aus ihm herausgezogen wie der Korken aus einer Flasche.

Es setzte sich mit den anderen fort. Jedem einzelnen wurde unter Qualen die Macht, die in ihm innewohnte, herausgerissen. Shiva, Diabolus, Phönix, Ifrit und all anderen… Farbigen Geistern gleich schwebten die Schutzmächte im Kreis, tanzten um ihn herum und stürzten sich schließlich in sein glühendes Herz.

„Ihr alle habt eure Rolle erfüllt. Ihr habt sie zu mir gebracht. Jeder Schritt, jedes Ereignis… ich habe alles gelenkt!“

Wieder hallte sein Gelächter wie ein Wirbelsturm durch das Schreckensszenario aus schwebenden Gefangenen, Bruchteilen des Kristalls und umherschwirrenden Schutzgeistern, die unerbittlich ins Herz des Mannes gezogen wurden. Und die Genugtuung in diesen schwarzen Worten triefte vor Arroganz und Verachtung.

„Ihr Menschen seid so leicht zu korrumpieren. Euer Herz drängt immerzu nach Macht und noch mehr Macht. Dieser Rufus Shinra… nur zu leicht erlag er meiner Verführung!“

Während allen von ihnen ihre Schutzgeister entrissen wurden, bäumte sich Sephiroth besonders auf. Mit aller Kraft versuchte er die unsichtbaren Fesseln zu zerreißen. Garlands Blick fiel auf ihn.

„Oh ja, du bist wohl meine beste Kreation… völlig wahnsinnig und zugleich voller Eleganz… aber auch du wirst sterben. Nicht mehr als ein Schatten unheilvoller Erinnerung bist du, und vergehen wirst du auch wie einer!“

Der Tanz farbiger Schemen machtloser Schutzgeister kam zu seinem Höhepunkt, und der letzte verschwand in Garlands offener Brust. Nur noch Cloud war im Besitz seiner Schutzmacht. Aus irgendeinem Grund konnte sie sich tief in seinem Inneren vor der forschenden Hand Garlands verbergen. Triumphierend lachte er auf.

„Neeiiin!!!“ schrie Sephiroth. Seine Fäuste ballten sich zusammen, und sie erglühten hell. Garland hob eine Augenbraue.

„Interessant. Ich habe dich eigentlich nicht so stark erschaffen. Aber was willst du denn gegen mich tun, gegen deinen Schöpfer?“

Sein Gelächter brauste wie ein Sturzbach hämischer Energie durch ihre Köpfe, und Sephiroth riss immer noch an seinen unsichtbaren Fesseln. Garland hatte, was er wollte, das spürte Cloud. Starr vor Entsetzen sah er mit an, wie seine Freunde und alle Menschen hier nach einander zu grauem Stein erstarrten.

„Ich benötige euch nicht mehr, aber zumindest werdet ihr der Nachwelt erhalten bleiben… als steinerne Götzen!!“

Erneut klang sein überhebliches Gelächter durch das Pandämonium aus erstarrenden Leibern und umherfliegenden Kristallsplittern. Sephiroth riss sich mit äußerster Kraftanstrengung los. Masamune blitzte auf, und Garlands letzter Gesichtsausdruck war voller Erstaunen-
 

Cloud hatte keinerlei Kraft mehr. Wie eine Leiche lag er auf dem Bruchstück des Kristalls. Doch eine Macht tief aus dem Innersten seiner Seele zwang ihn auf die Beine. Mit schlaffen Armen nahm er sein Schwert vom Rücken.

Er stand wieder auf dem Boden, soweit er sah. Dann merkte er die Statuen aus grauem Stein, die wie von einem irren Bildhauer aufgestellt um ihn herum verteilt standen. Die einzelnen Bruchstücke der Kristallfestung bewegten sie wie Blätter auf wogendem Wasser hin und her, und auf ihnen standen seine Freunde- zu Stein erstarrt und ohne Leben. Ihre vor Schmerzen verzerrten Gesichter waren eingefroren zu unveränderlichen Grimassen des Todes. Dann schnellte sein Blick hoch.

Garland schwebte immer noch über ihm, seine Säule des Lichts war aber erloschen.

„Dieser Narr… sich gegen seinen Schöpfer aufzulehnen… er wäre aber in jedem Falle gestorben… Hä?“ Sein Blick fiel auf Cloud, der ihm trotzig das Schwert entgegen hielt, auch wenn er wusste, dass er mit gottgleicher Macht konfrontiert war. „Du lebst noch? Wie seltsam…“ Dann veränderte sich Garlands Gesicht. „Ah!! Es ist immer noch in dir! Aber…“ Zweifel überflogen seine uralten Gesichtszüge. „Aber nicht mehr lange. Er wird mir gehören!“ Wieder hob er seine Hand und spreizte seine knochigen Finger zu einer Klaue. Cloud spürte es, und es war ihm, als versuche jemand, ihm bei lebendigem Leibe das Herz herauszureißen. Ächzend wich er zurück.

„Nein!!!“

Garland stutzte.

„Wie ist das möglich? Wie kannst du Wurm mir Widerstand leisten?“

Mit einem Male spürte Cloud etwas auf seinem Rücken…
 

Mit einem ratschenden Geräusch zerriss seine Kleidung. Er schrie auf vor Schmerz, als gewaltige Flügel aus seinem Rücken brachen. Leicht und elegant schwangen sie auf und ab, obwohl sie weit größer waren als er selbst. Mit einem Male fühlte er eine unbändige Kraft in sich aufsteigen, und er verschmolz endgültig mit der fremden Wesenheit, mit Bahamut.

„Du kannst das nicht!!“ brüllte Garland ebenso beschwörend wie beunruhigt. „Ein niederer Mensch und eine unsterbliche Schutzmacht können nicht verschmelzen! Nein!!“

Cloud duckte sich, spannte seine Flügel an- und erhob sich. Sein Schwert vor sich haltend, stieg er auf, bis er auf einer Höhe mit Garland war. Seine schlagenden Flügel hielten ihn in der Luft, und Bahamuts Urkraft erfüllte ihn mit gewaltiger Energie.

„Das ist für meine Freunde!!“ schrie Cloud und hielt sein Schwert vor sich. Die Verbindungslinien auf seinem Schwert glühten auf, und es teilte sich in seine Einzelteile.

Wütenden Geistern gleich stürzten sie sich auf Garland. Schrille, unmenschliche Schreie ausstoßend, nahm er das Gewitter zorniger Klingen auf sich. Glühende Schemen hinterlassend, schossen die Klingen im Kreis und verwundeten ihn hundert- und tausendfach.

Schließlich formierten sie sich alle kreisförmig um ihn herum, und Cloud, angetrieben von der Kraft seiner Drachenflügel, schnellte zu jeder einzelnen, packte sie und durchschlug damit Garlands Körper.

Sanft und elegant wie ein Dämon des manifestierten Todes setzte er auf dem Boden auf, während auf den Bruchstücken der Kristallfestung um ihn herum die Teile des Kombischwertes herabregneten. Das letzte Teil fing er mit der Rechten auf, und Garland hing schwer getroffen über ihm.

Sein schwarzer Körper wand sich und zuckte funkensprühend. Sein Gesicht war zu einer Grimasse der Qualen verzerrt. Dröhnendes Ächzen und Stöhnen hallten durch den Dom aus kreisenden Kristallstücken.

„Argh… argh… nein… du kannst mich nicht besiegen!! Niemals!!!“
 

Er war nicht besiegt. Das dämmerte Cloud und legte sich wie eine drückende Wolke beängstigender Energie über ihn. Garland, zu keinen klaren Worten mehr fähig, streckte beide Arme zum Himmel. Die Erde, der Himmel, alles-

Ein Tosen und ein Beben, ein Brausen und ein Donnern erfüllte die gesamte Welt, als Garland seine gesamte uralte Energie konzentrierte, die ihn alle Zeitalter hatte überdauern und ihm immer wieder in neuen Formen hatte erscheinen lassen.

Ein Orkan, ein Tornado verdichteter Energie sammelte sich direkt über Cloud. Er blickte empor, in einen nur mehr aus schwarzen, besudelten Wolken bestehenden Himmel. Die Wolken teilten sich- und gaben ein tiefrotes Auge frei, in dessen glühenden Augapfel verfluchte Symbole kreisten und rotierten. Die Iris dieses gigantischen Auges war das Tor zur Hölle, und seine vor Dunkelheit glühende Pupille ihr tiefster und schlimmster Abgrund.

Clouds Körperhaare stellten sich auf. Statische Energie hing in der Luft und ließ alles knistern. Die Kraftansammlung in dem Höllenauge schien Garland alle Macht zu kosten. Sein Körper zitterte unkontrolliert, und er schien jede Herrschaft über seinen Angriff verloren zu haben.

Das Auge der Hölle entbrannte. Eine Säule schwarzer und heller, gefrierender und verbrennender, gleißender und versengender Energie wuchs aus ihr heraus und raste auf Cloud hernieder.
 

Nichts funktionierte mehr im Balamb-Garden. Keine Maschine, kein Gerät. Die SEEDs waren in die MD-Ebene geflohen, nur Kramer und Quistis harrten schreckensstarr auf der Brücke des Garden aus und sahen mit an, wie eine Säule so greifbar und dicht, so mächtig und bösartig wie alle Höllenreiche, wie alle von Hass und Zerstörungswut erfüllten Gedanken des Universums, aus dem Auge im Himmel entwuchs und das Meer und die Kontinentalplatte und selbst noch den Planeten spaltete und durchschlug. Sie bahnte sich ihren Weg durch den Planeten und trat auf der anderen Seite wieder aus.
 

Er sank. Er sank tiefer. Es zog an ihm vorbei… Gesteinsschichten. Lavaflüsse. Noch mehr Gestein. Dunkelheit… tiefste Dunkelheit.

Druck lastete auf ihm. Der Druck eines ganzen Planeten.

Schwere. Dichte. Kein Licht. Sein Bewusstsein… es funktionierte mit einem Male so langsam. Eine Umdrehung der Galaxie… ein kurzer Moment nur. Ein Menschenleben… kürzer als ein Gedanke.

Seine Gliedmaßen fühlten sich wie Stein an. Langsam, ganz langsam erhob er sich. Seine Augen waren nutzlos. Er sah nichts. Das brauchte er auch nicht, denn rund um ihn war nur Dunkelheit. Er selbst war die Dunkelheit. Die Dunkelheit und der Stein. Sie waren eins.

Er stand an einem Abgrund. Tief im Planeten. Er blickte über den Rand. Der Lebensstrom pulsierte. Unter und über ihm erstreckte sich eine Kluft, die sich von der Oberfläche des Planeten bis in sein Innerstes erstreckte. Eine Wunde, so groß wie der gesamte Planet.

Er blickte eine Weile in die Tiefe, wo der Lebensstrom wogte und pulsierte. Er war nicht nur grün, wie er es kannte… er war auch blau und ebenso rot. Dann hob sich sein Blick.

Vor ihm, auf der rissigen Wand die sich durch den ganzen Planeten erstreckte, erschien ein Gesicht im Fels. Es war riesig, und es drückte Schmerz aus. Unsagbaren Schmerz. Der Planet war tödlich getroffen.

Seine Gedanken, langsam wie wandernde Kontinentalplatten, realisierten es allmählich. Garlands Angriff hatte den Planet gespalten. Er würde sterben. Doch noch war nicht tot.

„Warum?“ fragte er, und seine Stimme klang mahlend wie uralter Stein, wie dahin kriechender Fels in den Gezeiten der Ewigkeit. Er sah das Gesicht aus Stein an, das im Fels lebte. Es war der Fels und zugleich ein Gesicht. Er verstand es nicht, aber er spürte es.

„Ihr habt Schmerzen“, sagte er leise, und es hallte von den über ihm tausende Kilometer aufragenden, auseinander gerissenen Wänden wieder. Cloud nickte langsam. Der Planet benutzte keine Worte, sondern Bilder. Bilder älter als alle von Menschen erdachten Worte.

„Ihr?“ Die Frage formulierte sich so langsam wie ein abkühlender Magmastrom in seinem Kopf.

Ihr…

Dann spürte er ihre Anwesenheit. Sie waren nur schwer zu unterscheiden, doch jeder hatte seinen eigenen, unendlich langsamen Atemrythmus. Jeder von ihnen seine Gedanken und seine Schmerzen.

„Ihr seid die drei Welten… ihr seid alle hier.“

Er spürte nun die einzelnen Lebensströme, die in dieser Kugel aus Fels und Stein pulsierten. Die Welten waren verschmolzen worden, und das in jeder Hinsicht. Sie waren eins, und nun sprachen sie zu ihm. Sie baten um Hilfe.

„Aber… was soll ich tun. Was kann ich denn schon tun…“

Wieder murmelte der Planet seine leisen und unendlich langsamen Worte. Sie schwangen durch den Stein, durch die Erde und den Fels und gelangten schließlich in Clouds Geist. Es hatte einen Grund… es hatte alles einen Grund. Damals, als er in den Lebensstrom gefallen war und dabei für eine Weile den Verstand verloren hatte. Der Planet hatte seinen Geist in sich aufgesogen und gebrandmarkt. Er war verbunden mit ihm auf alle Zeit. Er hatte ihn wieder freigegeben, damals. Und jetzt brauchte er seine Hilfe.

„Ich soll… was?“ Es kam ihm undenkbar vor, unvorstellbar. Und doch war es die einzige Rettung für den Planeten. Und alle Welten. Und für alle Menschen.

Er schloss die Augen und atmete tief ein. Dann trat er nach vor, an den Rand der Kluft. Unter ihm, viele hundert Meter entfernt, wogten und pulsierten die Lebensströme dreier Planeten. Er breitete die Arme aus- und ließ sich fallen.
 

Die ‚Shera‘ schwebte in sicherem Abstand- sofern es so etwas wie ‚sicher‘ überhaupt noch gab auf dieser Welt. Marlene und Denzel vergruben ihre Gesichter in Sheras Rock. Sie weinten leise. Shera starrte mit leeren Augen an die Stelle, an der ihre Freunde die Kristallfestung betreten hatten. Und wo jetzt ein Spalt im Planet klaffte. Anne saß in einer Ecke, die Beine angezogen und das Gesicht auf die Knie gedrückt. Tränen trockneten auf ihren Wangen. Cid saß in seinem Pilotensessel, und seine Augen waren wie tot. Sein Gesicht wirkte grau und wächsern, während er immer noch auf die Stelle starrte, an der ihre Freunde von der Macht des finsteren Gottes versteinert und zerschmettert worden waren.
 

Garland schwebte wie ein verkrüppelter Engel des Todes über der Wunde des Planeten. Schwarze Schwaden des Verfalls troffen aus seinen Wunden, doch er lebte noch. Er hatte fast seine gesamte Kraft aufgebraucht, aber er hatte es überstanden. Bald würde er die Kraft aller Welten in sich aufnehmen, und zu etwas neuem werden. Mit dem Geist dreier Welten in sich würde er eine neue Stufe des Daseins erreichen. Weit jenseits der Grenzen normalen Bewusstseins. Er würde mehr noch als ein Gott sein, er würde Götter schaffen können. Er würde das Universum nach Belieben vernichten- und zu neuem Leben erstehen lassen können. Er würde alles tun können, und nichts würde mehr unmöglich sein für ihn.
 

Der Lebensstrom erwachte. Nun war er nicht mehr nur reine Energie, ein Bewusstsein ohne Inhalt- nun hatte er ein Ziel. Ein brennendes Verlangen. Und eine letzte Bestimmung.

Die Arme des Lebensstromes krochen empor, krochen die Wände der tausende Kilometer tiefen Wunde hoch. Wo vorher unendliche Langsamkeit herrschte, kam nun Geschwindigkeit in die wogenden, pulsierenden und bebenden Ströme der Planetenenergie. Wie ein umgekehrter Sturzbach, wie eine Sturmflut aus dem Inneren des Planeten brachen die Lebensströme hervor, gelenkt von Clouds Geist, der in ihnen aufgegangen und verschmolzen war.

Garland erstarrte in einer Miene des Entsetzens, als ihn grüne, blaue und rote Flüsse heilender Energie umströmten. Sie kamen aus dem Inneren des Planeten und würden die Wunde heilen- und alles vergiftende auf ihrem Weg verbrennen.
 

Fassungslose Menschen im Balamb-Garden wie auch auf der ‚Shera‘ und der ‚Strahl‘ wurden Zeuge, wie der Planet sich heilte. Fluten klingender Energie füllten die Atmosphäre des Planeten und umgaben die Überreste der Kristallfestung mit heilender Kraft. Die roten Wände wabernder Glut, die die Welten miteinander verbanden, verdampften im leuchtenden Schein des Lebensstromes, der alles Schlechte und Verderbte hinweg spülte.
 

Der Planet heilte sich. Heilte sich von der Wunde, an der er zu Grunde gegangen wäre- hätte nicht Cloud seinen Geist und die darin liegende Macht ihm geopfert. Alles hat seinen Grund. Und seine Bestimmung. Clouds Bestimmung war es, die Planeten- und die drei Welten, die sie beherbergten - zu retten. Er war im Lebensstrom, war Teil von ihm und lenkte ihn mit dem Funken seines Geistes.
 

Die Kristallfestung war weg. Ebenso die Wände aus roter Energie, die, von verderbter Kraft angetrieben, die Welten verschmelzen sollten. Auch die beiden Schiffe waren mit ihnen verschwunden. Nur noch der Balamb-Garden trieb langsam auf die Stelle zu, an der sich die Wunde des Planeten schloss und Wasser in die zurückbleibende Narbe floss. Und bald darauf war das Meer ruhig und friedlich, als wäre es immer so gewesen.
 

Tief, ganz tief im Inneren, wo immer noch der Lebensstrom wogte, der durch das Zusammentreffen mit seinen Brüdern enorm an Macht gewonnen hatte, und der nur dadurch diese schreckliche Wunde hatte heilen können- da pulsierte ein einzelnes Bewusstsein im Lebensstrom. Es lachte, es triumphierte. Es berauschte sich an der neugewonnenen Macht. Selbst Garland, die ewige und immer wiederkehrende Verkörperung des Bösen, hatte ihm weichen müssen. Die Macht, die nun zu seinen Füßen lag, überwältigte ihn. Er griff nach ihr, und sie bot sich ihm dar. Sie vertraute ihm. Sie lag vor ihm wie ein offenes Buch.

Warum soll ich sie nicht verwenden? geisterte es durch die Überreste seiner Persönlichkeit.

Oh ja… der Planet hat sie mir gegeben. Warum soll ich sie nicht auch verwenden? lachte er. Und lachte immer lauter. Er fühlte den Planeten und seine Verbindung in die anderen Welten.

Warum nicht…?

Cloud lachte. Er würde herrschen. Wie ein Gott. Wie der Gott aller Götter. Anbeten würden sie ihn. Die Macht über Leben und Tod würde er besitzen, und niemand… NIEMAND würde sich ihm widersetzen können.
 

Nicht Garland, sondern er würde aus dem Kelch der Macht trinken und herrschen. Über die Welt, über das Universum… über alles.

Der Kreis schließt sich

Cloud lachte. Er würde herrschen. Wie ein Gott. Wie der Gott aller Götter. Anbeten würden sie ihn. Die Macht über Leben und Tod würde er besitzen, und niemand… NIEMAND würde sich ihm widersetzen können.
 

Nicht Garland, sondern er würde aus dem Kelch der Macht trinken und herrschen. Über die Welt, über das Universum… über alles.
 

Wie eine blaugrüne Murmel drehte sich der Planet in seinen Händen. So klein und verletzlich wirkte er... und doch war er riesig und bot Milliarden Lebewesen Heimat im kalten, nur vom Sternenlicht erhellten Kosmos. Und da waren noch mehr. Cloud spürte ihre Verbindung. Viele Welten… noch mehr Lebewesen. Alle in seiner Hand. Alle ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er sorgte dafür, dass lebensspendender Regen vom Himmel fiel. Er sorgte für die Luft, die Mensch und Tier atmeten. Er war der Quell ihres Lebens. Er, der nun in den Lebensströmen aufgegangen war.

Etwas streifte sein nunmehr Welten umspannendes Bewusstsein. Etwas irritierte ihn. Was war das…? Erinnerungen? An was? Er war so viel mehr als ein Mensch, seine Gedanken wogten zwischen den Planeten hin und her. Er war in ihnen, und er war sie selbst. Wieder streifte ihn… eine Berührung?
 

Leichter Wind bewegte seine Haare. Er schaute empor in einen Himmel aus grauem Licht, der wie von sanfter Glut erfülltes Wasser hin und her wogte. Unter ihm war Gras, nur undeutlich erkennbar. Grünes Gras, soweit man blicken konnte. Es ging bis an einen fernen Horizont, der zwischen den Schemen von Wolken und trüb leuchtenden Bäumen sich dem Blick entzog.

Das Gras wiegte sich sanft unter seinen Schritten. Nicht er bewegte sich, die Welt bewegte sich an ihm vorbei. Entfernungen und Zeit… nichts spielte mehr eine Rolle. Bäume ragten verschwommen aus dem Untergrund und streckten ihre durchscheinenden Äste dem trüb glimmenden Himmel entgegen. Dann sah er… etwas anderes.

Cloud ging darauf zu. Es passte sogar nicht in diese friedliche Welt, die nun seine Welt war. Es war ein Fremdkörper, hier in den Ebenen des Lebensstroms. Neugierig und zugleich verärgert trat er näher. Schon überlegte er, es mit einer Handbewegung zum Verschwinden zu bringen, doch irgendwas ließ ihn zögern. Er trat noch näher.

Es sah aus wie eine Statue aus grauem Stein. Ihre Oberfläche wirkte kalt und rau wie der Stein, aus dem sie geformt war… doch etwas hielt seinen Blick darauf fest. Er blinzelte. Die Züge des Gesichts… sie kamen ihn vertraut vor. Es waren weibliche Züge. Langes Haar aus Stein umrahmte das Gesicht. Der Mund und die Augen waren weit geöffnet. Cloud legte den Kopf schief. Sie kam ihm bekannt vor.

Ein Wort wollte über seine Lippen, doch es blieb hängen. Das beunruhigte ihn; als schützende Hand mehrerer Welten sollte er alles wissen, doch dies widersetzte sich ihm. Zorn stieg in ihm hoch, als er mit dem Wort rang.

„T… Ti…“

Es gelang ihm nicht, das Widerstreben zu überwinden. Bis er Schritte hinter sich hörte. Langsam drehte er sich um.

„Wer bist du?“ fragte er, und wieder ärgerte er sich, denn dies hier war sein Reich. Eigentlich sollte er hier alles wissen.

Die Frau kam mit vorsichtigen Schritten näher. Ihr Gesicht drückte Verunsicherung aus. Hoffend, fast flehend, blickte sie ihn an.

„Cloud?“

„Du weißt meinen Namen“, stellte er argwöhnisch fest. Die Frau trug ein rosafarbenes Kleid und darüber eine rote Weste, wenngleich die Farben zu verblassen schienen. „Wer bist du?“

Die Frau schüttelte langsam den Kopf, und ihr Gesicht wurde traurig.

„Weißt du das nicht mehr? Weißt du nicht mehr, wer du bist?“

Cloud wandte sich ab. Sein stoischer Blick tastete wieder über die Statue. Er blinzelte, als er weitere Statuen in seiner Umgebung bemerkte.

„Ich bin Ich. Ich bin die Kraft in den Planeten. Ich lenke und beherrsche das Leben auf ihnen.“

Die Frau nickte; Bitterkeit umspielte ihre Züge.

„Ja. Aber du warst einmal etwas anderes.“

Cloud drehte sich wieder um. Sie waren nun von Statuen umringt. Es waren über ein Dutzend.

„Etwas anderes? Ich war immer ich. Und das werde ich auch bleiben.“

Der Blick der Frau wechselte von flehend zu verzweifelt. Eine Träne glänzte auf ihrer Wange auf.

„Erinnerst du dich wirklich nicht mehr? An mich und deine Freunde?“

Cloud schüttelte gereizt den Kopf. Allmählich wurde ihm unbehaglich zumute. Seltsame Empfindungen kämpften sich in seinem Inneren an die Oberfläche.

„Was bedeutet das? Ich verstehe nicht…“

Sie wurden stärker und wühlten seine Gedanken immer mehr auf.

„Damals… du hast mir Blumen abgekauft, in Sektor 7, in Midgar. Weißt du es wirklich nicht mehr?“

Etwas in ihrer Stimme rührte ihn an, und ein Stechen ging durch seine Seele. Mit beiden Händen griff er sich an den schmerzenden Kopf.

„Was… was tust du mit mir?“ stöhnte er vor Schmerz.

„Erinnere dich… ich bitte dich, erinnere dich“, beschwor sie ihn, und Tränen flossen über ihr Gesicht. Cloud fiel ächzend auf die Knie.

Die Frau kniete sich zu ihm hin. Langsam hob er den Kopf und blickte ihr direkt in die Augen. Ihre Augen…

„Du… du…“ Seine Lippen zitterten. „…du bist… Aeris?“

Die Frau nickte eifrig, und ihre Tränen wurden von ihrem hellen Lachen überstrahlt.

„Ja. Ja, Cloud. Du erinnerst dich.“

Verwirrt und verloren blickte er sich um, als sähe er seine Umgebung zum ersten Male. Dann fiel sein Blick wieder auf die Statuen. Er erkannte sie. Er erkannte seine Freunde, die von einem höllischen Fluch in kalten Stein verwandelt worden waren. Von Angst erfüllt sprang er auf und lief zur ersten von ihnen.

„Tifa… Tifa…“, schluchzte er, während seine Hände den rauen Stein liebkosten. Aeris stand neben ihn.

„Du kannst ihnen das Leben geben. Du besitzt diese Macht.“

Cloud blickte sie an, hoffnungsvoll, und doch auch ängstlich, als seine frühere Persönlichkeit wieder erwachte.

„Kann ich das wirklich…?“

Sie nickte ihm warmherzig zu. Dann wandte er sich wieder an die Statue. Er legte der zu Stein erstarrten Frau die Hände an die Wangen und schloss die Augen. Dann begann es.
 

Helle Strahlen wärmenden Lichts durchbrachen die trübe Wolkendecke. Sie trafen alles, das Gras, die durchsichtigen Bäume, die Statuen… Ein überirdisches Klingen ertönte und füllte die Luft mit seinem süßen Klang. Zu Clouds und Aeris‘ Füßen wuchsen gelbe und weiße Blumen aus dem Boden, wie von einem neu anbrechenden Frühling ins Leben gerufen.

Als Cloud seine Augen öffnete, stand eine Frau aus Fleisch und Blut vor ihm. Er spürte die warme Haut ihrer Wangen in seinen Händen. Langsam öffnete sie ihre Augen. Sie blinzelte, dann legte sie ihre Hände auf seine. Eine Träne glänzte im Licht des Lebensstroms auf ihrer Wange wie ein seltener Diamant…

„Tifa“, flüsterte er tränenerstickt. Sie versuchte seinen Namen auszusprechen, doch er blieb in ihrem Rachen stecken. Ihre Zunge war vor Rührung noch gelähmt, und so küsste sie ihn nur zärtlich.

Rings um sie kam Farbe in die Statuen, während sie sich umarmten und dabei innig küssten. Langsam bewegten sie sich wieder und betrachteten alle erstaunt ihre Gliedmaßen, in die wieder Wärme zurückgekehrt war, in denen wieder Blut floss.

Tifa und Cloud lösten sich wieder voneinander, und ihre Augen waren tränennass vor Erleichterung und Glück. Alle ihre Freunde, all ihre Wegbegleiter scharten sich nun um sie, und ihre Gesichter drückten alle eine Mischung aus Erstaunen und Gelöstheit aus. Cloud wandte sich an Aeris.

„Du… hast uns wiedermal gerettet. Uns alle.“

Aeris lächelte und schüttelte nur sachte den Kopf.

„Nein. Das habt ihr selbst getan. Durch eure Verbundenheit, durch eure Liebe…“ Sie seufzte, und es schien in den Weiten des Lebensstroms widerzuhallen. „Ihr seid nun am Ende eurer Reise. Ihr habt eure Aufgabe erfüllt. Der Planet… ist sehr zufrieden. Er dankt euch.“

Cloud wollte etwas erwidern, doch seine Stimme versagte. Stattdessen liefen unkontrolliert die Tränen über sein Gesicht. Und auch alle anderen waren vom Zauber dieses Moments so ergriffen, dass niemand ein Wort äußern konnte.

„Ich… ich muss jetzt gehen. Der Planet… er ruft mich“, flüsterte Aeris, und ihre Stimme war traurig und hoffnungsvoll zugleich. Cloud, unfähig ein Wort zu sagen, streckte die Hand aus. Sie streckte ihm ihre entgegen, und für einen magischen Moment lang berührten sich ihre Fingerspitzen. Clouds Brust erbebte vor Schluchzen, doch Aeris nickte ihm nur zu. Eine einzelne Träne lief von ihrer Wange und traf den Boden zu ihren Füßen, und eine zauberhaft schillernde Blume spross an der Stelle…
 

Sie drehte sich um und ging. Die Reisenden dieser Geschichte bildeten ein Spalier für sie, und ihre ebenso dankbaren wie ergriffenen Blicke folgten ihr.

Cloud sah ihr nach. Sie wurde allmählich durchsichtiger, und leuchtende Partikel stiegen von ihren schimmernden Umrissen auf. Dann, als sie fast ganz verschwunden war, blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. Cloud überwand das Schluchzen in seiner Brust und rief ihr mit belegter Stimme etwas zu.

„Grüße Zack von mir, Aeris…“

Sie lächelte. Und sie nickte. Und dann ging sie wieder ein in den Lebensstrom. Für immer.
 

Richter Basch blinzelte verwirrt. Für einen Moment lang war er wieder weit weg gewesen in seinen Gedanken, in seinen Erinnerungen. Er räusperte sich und betrachtete noch einmal seine Garderüstung im Spiegel vor ihm. Nur selten hatte er sie bisher getragen. Für ganz besondere Anlässe war sie reserviert, und das heute war wohl einer.

Sein Umhang wallte flatternd, als er forschen Schrittes durch die Gänge des königlichen Palastes in Rabanastre ging. Ihm entgegenkommende Bedienstete verneigten sich vor ihm, und er erwiderte diese Geste lächelnd. Sein nachdenklicher Blick fiel durch die Arkaden auf die Wüstenstadt.

Auch wenn es mir niemand geglaubt hat…

Nach dem Vorfall mit Raithwalls Grab, der Monsterinvasion und der gespenstischen Erscheinung, die Archadis bedroht hatte, hatte er Kaiser Larsa nach seiner ebenso plötzlichen wie unerklärlichen Rückkehr Bericht erstattet. Er hatte ihm aufmerksam gelauscht, doch er kannte den jungen Kaiser gut und durchschaute sein kontrolliertes Mienenspiel.

Wenigstens hat er mich nicht für verrückt erklären lassen…

Sofort war er auf die Frage nach ein paar Urlaubstagen eingestiegen. Balthier und Fran, die ebenso wie er nach der Begegnung mit dem dunklen Fürsten sich mit ihrem Schiff vor den Toren vor Archadis wiedergefunden hatten, begingen einen wichtigen Anlass. Und den wollte er sich auf keinen Fall entgehen lassen.

Der Hohepriester von Rabanastre hielt eine langatmige Rede. Basch hasste sowas. Mühsam unterdrückte er das Gähnen. Dann warf er einen Blick auf Königin Ashelia B’nargin von Dalmasca, die in der ersten Reihe des Festsaales neben ihm saß. Sie lächelte leise seufzend zurück. Die Rede des Hohepriesters langweilte sie zumindest genauso, doch gegen bestimmte Sachen waren selbst Königinnen machtlos.
 

Nach der ermüdenden Zeremonie liefen Balthier Ffamran Mid Bunansa und seine frisch angetraute Frau, Fran, die Viera, durch ein Spalier von Ehrenwachen ins Freie. Beide trugen für sie ungewohnte und dem feierlichen Anlass angemessene Kleidung. Ebenso wie Vaan und Penelo, die zusammen mit Basch und Ashelia am Ende des Spaliers warteten. Basch deutete mit dem Kinn auf das Brautpaar.

„Beim nächsten Male seid ihr dran“, sagte er lachend in Richtung Vaan und Penelo. Vaan machte ein gespielt bestürztes Gesicht, während Penelo immer noch gerührt das Brautpaar beobachtete.

„Aber wirklich nicht…“ Penelo hörte es und warf ihm einen entgeisterten Blick zu. Vaan zuckte mit den Schultern. „Aber, ich meine, dafür sind wir doch noch, äh… ziemlich jung, oder?“

Hilfesuchend glitt sein Blick zu Basch und Ashe, die lachend die Köpfe schüttelten. Das würde einigen Diskussionsstoff zwischen den beiden geben, das stand fest.
 

Der Festsaal des Balamb-Garden war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Garden stand nun wieder an seinem ursprünglichen Platz, auf der Insel, die ihm seinen Namen verliehen hatte. Dutzende Pärchen drängten sich auf der Tanzfläche und wiegten sich im Walzerschritt. An allen Tischen wurde gelacht und gescherzt, so auch an ihren, an denen die Ehrengäste dieser Feier saßen.

Squalls Blick glitt über seine Freunde, die alle neben ihm am Kopf der Tafel saßen. Direkt neben ihm saß Direktor Kramer mit seiner Frau Edea. Er war immer noch etwas verwirrt von den Geschehnissen der letzten Tage. Squall hatte so gut er konnte versucht, es ihm zu erklären. Doch wie er und seine Freunde praktisch aus dem Nichts im Außenhof des Garden aufgetaucht waren, hatte er selbst nicht verstanden. Nur undeutlich erinnerte er sich an eine Szene in einer gespenstischen Landschaft, an ein Dasein als versteinerte Figur, und an die Frau in dem rosa Kleid… er spürte eine diffuse Dankbarkeit ihr gegenüber, doch der Rest war verloren in den Tiefen seiner Erinnerung.

„Uargh!!“ Xell würgte an dem wieder mal zu großen Bissen des Hot Dogs, den er, gierig wie immer, verschlang. Seine Frau Mary schlug ihm heftig auf den Rücken, und der kaum zerkaute Bissen kam zum Vorschein. Die anderen am Tisch mussten lachen.

„Du wirst eines Tages noch ersticken!“ rief Irvine schmunzelnd und drückte dabei Selphie an sich, die auch nur lachend den Kopf schütteln konnte. „Wenn dich sonst nichts umbringt, diese Hot Dogs schaffen es irgendwann.“

Xell winkte verächtlich ab.

„Blödsinn. Mich haut nichts so leicht um. Apropos hauen…“ Sein ärgerlicher Blick wanderte zu Mary, die immer noch auf seinen Rücken klopfte. Als sie seinen aufgebrachten Blick auf sich spürte, hörte sie schlagartig auf. Dann lachten beide, und die angespannte Stimmung löste sich auf. Squall lächelte, als er sie sah.

„Nun…“, begann Direktor Kramer, „auch wenn ich vieles nicht verstehe, was sich hier vor unseren Augen ereignet hat, so bin ich doch über die Maßen froh, dass sie alle wohlbehalten zurück gekehrt sind.“

„Ja…“, antwortete Squall geistesabwesend, während sein Blick wieder über das bunte Durcheinander von tanzenden Pärchen glitt. „Gibt es… gibt es was Neues von Dodonna und seinen Forschungen?“

Kramer rückte sich seine Brille zurecht.

„Nein, es bleibt wohl ein Rätsel. Er hofft, herauszufinden, warum sich kein Tor mehr aktivieren lässt, aber es scheint seinen Worten nach ein temporäres Phänomen gewesen zu sein.“

„Das heißt… wir können diese anderen Welten nicht mehr betreten.“

Der Direktor nickte seufzend.

„Ja, es sieht ganz danach aus. Was sehr schade ist, denn diese Transportmöglichkeit wäre ein entscheidender Vorteil für unsere SEEDs bei Einsätzen in den verschiedensten…“

Squall ließ ihn noch eine Weile reden. Doch er hörte es nicht mehr. Die Worte des Direktors gingen unter in den sich wie die Tanzpaare drehenden Akkorden und Klängen des Orchesters, die den Walzer ‚Tanz mit dem Balamb-Fisch‘ spielten. Nach einer Weile erhob er sich und ging quer über die Tanzfläche. Mit geschmeidigen Bewegungen wich er den sich im Takt der Musik wiegenden Paare aus, bis er bei einem bestimmten Paar angelangt war. Mit dem Zeigefinger tippte er dem Mann auf die Schulter. Er hatte blondes, kurzes Haar und trug eine offensichtlich nagelneue SEED-Uniform.

„Darf ich um diesen Tanz bitten…?“ fragte er verschmitzt. Cifer Almasy musterte ihn mit scharfem Blick. Dann entspannte sich seine Miene, und er lächelte.

„Aber gern. Denk nur an dein Versprechen…“, erinnerte er ihn. Squall winkte ab.

„Ja, ja.“

Dann ergriff er Quistis‘ linke Hand, legte seine rechte an ihre Hüfte und begann den klassischen Walzerschritt.
 

Der Dreivierteltakt ging sofort in seine Beine. Er hatte nichts vergessen. Quistis war eine ebenso geschickte Tänzerin, und schon drehten sie ihre Kreise unter all den anderen Paaren.

„Ich wundere mich immer noch“, sagte er zu ihr, während die Musik den Takt ihrer schwungvollen Bewegungen vorgab.

„Ich wundere mich manchmal über mich selbst“, lachte sie. Ihr Gesicht war so gelöst. Squall konnte sich nicht erinnern, sie schon einmal so befreit erlebt zu haben.

„Zum Schluss wirst du noch deinen Spitznamen los“, schmunzelte er. Quistis‘ Gesicht wurde fragend.

„Welchen Spitznamen?“

„Äh… vergiss es. Jedenfalls freut es mich, dass ihr euch so gut versteht. Ihr seid ein schönes Paar, wirklich.“

Verlegenheit wie bei einem jungen Mädchen legte sich über ihre sonst immer so ernsten Züge.

„Danke“, erwiderte sie etwas verschämt. „Übrigens… hast du schon mit Rinoa gesprochen?“

Diese Erinnerung drängte sich wie eine unangenehme Verpflichtung in seine Gedanken.

„Noch nicht. Hast du sie heute schon gesehen?“

„Ja“, erwiderte Quistis nickend. „Ich glaube, sie ist auf dem Balkon.“

Die Tanzmusik verebbte, und die Pärchen klatschten dem Orchester zu. Die beiden lösten sich von einander, und Squall rieb sich betreten den Nacken.

„Dann will ich sie lieber nicht warten lassen.“

Quistis nickte ihm teilnahmsvoll zu. Cifer kam wieder zu ihnen und legte beiden seine Arme kumpelhaft über die Schultern.

„He, was sind denn das für Gesichter? Bei dir, Squall, bin ich es ja gewohnt, aber denkt daran: wir haben dem größten Arschloch des Universums in den Arsch getreten UND überlebt! Wenn das nicht ein Grund zum Feiern ist!“ lachte er, und seine altbekannte Überheblichkeit blitzte wieder auf. Beide lachten verlegen, dann ging Squall los. Cifer ergriff wieder Quistis Hände, um den nächsten Tanz zu beginnen.
 

Die Sterne leuchteten klar und rein am Firmament wie Brillanten, als er den Balkon des Balamb-Garden betrat. Eine Frau in einem kurzen, weißen Kleid stand am Geländer und blickte auf das Meer, das ruhig wie Öl dalag. Die Mondscheibe spiegelte sich auf der nur leicht gekräuselten Wasseroberfläche. Genau wie damals, durchfuhr es ihn schmerzhaft. Genau wie damals…

Squall ging auf das Geländer zu und stellte sich neben sie. Schweigen herrschte lange Momente, bevor er zu sprechen begann.

„Ist ja noch mal gut ausgegangen, das Ganze…“, sagte er leise. Rinoa nickte.

„Ja. Das ist es“, erwiderte sie, doch ihre Stimme schien wo anders zu sein.

„Wir… ich meine, wir sollten… verdammt“, fluchte Squall. „Ich bin nicht gut in sowas.“

Nun wandte sich Rinoa an ihn und sah ihn mit gedankenvollen Augen an.

„Ich weiß… ich meine, ich glaube zu wissen, was du sagen möchtest.“

Squall schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter und nickte seufzend.

„Ja. Es ist… es war schön. Wunderschön. Ich möchte keinen unserer Momente missen.“ Er lachte bitter auf. „Und trotzdem fühle ich mich mies jetzt, wo ich das sage.“

Rinoa wandte sich wieder dem klaren Sternenhimmel aus schwarzem Samt zu.

„Ich weiß, was du meinst. Man will es nicht wahrhaben, man kämpft dagegen an… ich habe für dich gekämpft, Squall, wie noch nie zuvor für etwas anderes. So wie auch du für mich. Aber letztendlich…“ Sie schüttelte langsam den Kopf, und ihre Augen fühlten sich mit bitteren Tränen. „Irgendwann muss man es akzeptieren. Ich habe alles versucht… aber es ist so. Unsere Liebe… du hast recht, sie war wunderschön. Und sie wird immer einen Platz in meinem Herzen haben. Aber- “ Ihr versagte die Stimme. Squall nahm sie aus einem spontanen Impuls in die Arme. Er hörte sie leise weinen, als sie ihr Gesicht in seiner Schulter vergrub.

„Aber… es ist vorbei, wolltest du sagen“, flüsterte er ihr ganz leise ins Ohr, während er sie sanft in seinen Armen wiegte. Sie löste sich von ihm und blickte ihn aus geröteten Augen an. Mit fahrigen Bewegungen wischte sie sich das Gesicht ab.

„Es ist besser so“, sagte sie dann mit belegter Stimme. „Wir sind einfach zu verschieden.“

Squall wusste, ihr Herz lag in Trümmern in diesem Moment. Und trotzdem war sie so mutig. Von Anfang an hatte er sie dafür bewundert. Und er fragte sich, ob er genauso viel Stärke würde aufbringen können.

„Ja. Es ist besser, wenn es auf diese Weise endet. Wir bleiben immer Freunde. Du wirst immer wichtig sein für mich, glaub mir“, sagte er und erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. Es schmerzte ihn, seine innersten Empfindungen nun auszuschütten, vor allem in so einem Moment. Schon nagten Zweifel an ihm, ob sie es falsch verstehen würde. Doch stattdessen wuchs ein behutsames Lächeln auf ihren traurigen Zügen.

„Ja. Freunde… das sind wir. Für immer.“

Sie nickte, dann blickte sie wieder in den Sternenhimmel. Er war genauso schön wie damals, als sie nach dem Sieg über Artemisia hier gestanden waren und sich geküsst hatten. Die Sterne waren die selben… doch die Menschen unter ihnen hatten sich verändert. Und würden nie wieder so sein, wie sie waren.
 

Das Fest war immer noch im Gang. Von seinem Büro aus hörte er die Musik, konnte sie förmlich vor sich sehen, die tanzenden Paare… Das mit Cifer und Quistis überraschte ihn ein wenig, doch er vergönnte es ihnen. Sie passten zusammen, in ihrer Art, in ihren Gedanken… nicht so wie er und Rinoa.

Er saß an seinem Schreibtisch. Kein Licht brannte, nur das Mondlicht fiel durch die Jalousien in den Raum. Langsam realisierte er es.

Es ist vorbei. Endgültig.

Er wartete auf den großen Schock, auf den schweren Schlag, doch er kam nicht. Stattdessen… fühlte er Leere. Keine dramatischen Gefühle, keine aufflammende Wut über sich, Rinoa und den Rest der Welt, nur… Leere. Und er wusste nun, warum.

Wenn er die Augen schloss, sah er ihr Gesicht vor sich. Ihre schwarzen Haare, ihre braunen, fragenden Augen. Er erinnerte sich an ihre Nacht in Archadis, als sie einander Zuflucht und Geborgenheit in einer schrecklichen, dem Untergang geweihten Welt geboten hatten. Die Buchstaben ihres Namens brannten sich schmerzhaft in sein Bewusstsein.

Tifa Lockhart…

Er würde sie nie wieder sehen. Dodonna hatte keine Möglichkeit gefunden, ein Tor erneut zu öffnen. Es hing wohl alles mit dem Wesen zusammen, in dessen Träumen absoluter Macht die Welten verschmolzen waren. Mit seiner Macht hatte er die Barrieren zwischen ihnen durchlässig gemacht. Doch dies war vorbei. Er war besiegt, und das war auch die Rettung gewesen für die Menschheit und den Planeten. Doch Squall gelang es nicht, sich zu freuen. Denn es bedeutete auch den endgültigen Abschied von Tifa.

Nun empfand er echten Schmerz. Tiefe, seelische Pein, die er eigentlich Rinoa schuldig war. Doch sie galt Tifa, der Frau, die er nur kurz, aber intensiv geliebt hatte. Die Endgültigkeit ihres Abschiedes legte sich wie eine drückende Schwärze über ihn, und erst jetzt merkte er, dass sein Gesicht tränennass war.

Er saß nur da, bis selbst die Geräusche des Festes abklangen und schließlich Stille in die Hallen des Garden einkehrte. Zäh und langsam krochen die Gedanken durch seinen schweren Kopf, und immer galten sie Tifa. Er konnte nicht schlafen, er konnte nicht träumen. Er konnte gar nichts mehr. Ein Leben ohne ihr kam ihm so sinnlos, so leer vor. Er konnte einfach nicht mehr.

Leise scharrte die Lade seines Schreibtisches, die er im Halbdunkel seines Büros aufzog. Mit behutsamen Bewegungen hob er den Gegenstand darin heraus. Das schwindende Mondlicht brachte die metallene Oberfläche zum Glänzen. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er die Pistole im Kaliber .44 und las den Schriftzug, der auf dem Schlitten kunstvoll eingraviert war.
 

‚Alles Gute zu deiner Ernennung zum Vizedirektor.

Von deinen Freunden.‘
 

Sie hatten ihm diese prächtig mit Goldeinlegearbeiten verzierte Waffe mit der eingravierten Widmung geschenkt, damals, zu seiner Beförderung. Er dachte nur ganz kurz daran, ob sie ihn vermissen würden, bevor der Gedanke wieder von einer Flut dumpfen Schmerzes hinweg gespült wurde. Mit einer routinierten Bewegung zog er den Schlitten zurück. Ein kupferfarbenes Projektil schimmerte in der Kammer. Dann ließ er ihn nach vor schnalzen.

Er atmete tief durch, bevor er sich die Waffe an die Schläfe setzte und die Augen schloss.

Tifa…
 

Es war still in den Gängen des Balamb-Garden. Angekleckertes Geschirr und verschobene Stühle standen im Mondlicht, das durch die Kuppel des Festsaales hereinfiel, wie längst vergessene Überbleibsel herum. Die letzten Gäste der Feier wankten in Richtung ihrer Quartiere- als ein Schuss die Stille zerriss.
 

Es war morgen, und die Sonne schien auf die grasige Ebene um den Balamb-Garden. Anlässlich des Festes und der ‚Rettung der Welt‘, die sich wieder einmal ereignet hatte, bekamen sämtliche Kadetten und SEEDs den Tag frei. So auch Quistis, die erst gegen Mittag aus dem Schlaf erwachte.

Sie kleidete sich bereits an, auch wenn kein Dienst auf dem Plan stand. Gegen manche Gewohnheiten kam man eben nicht an. Verträumt blickte sie auf Cifer, der immer noch schlafend in ihrem Bett lag. Dann befahl sie sich selbst wieder Ernst und verließ ihr Quartier. Ohnehin würde bald der gesamte Garden über sie tuscheln.

Die Gänge des Garden waren wunderbar ruhig und von einer Stille erfüllt, die gänzlich ungewohnt war. Zufrieden lenkte sie ihre ziellosen Schritte durch seine Korridore. Außer ihr war noch niemand auf den Beinen.

Schließlich kam sie an Squalls Büro vorbei. Reflexartig wollte sie schon eintreten, doch dann entsann sie sich, dass er kaum darin sein würde. Plötzliche Sorge um ihn ergriff sie. Sie hatte ihn am Vorabend nicht mehr gesehen, nach seiner Aussprache mit Rinoa.

Ich hoffe, es geht ihm gut…

Nachdenklich stand sie vor seiner Tür, bis ihr auffiel, dass sie einen Spalt breit offen stand. Ihre Neugier war geweckt, und sie trat ein. Ihr Blick fiel auf Squall. Sein Kopf lag auf dem Schreibtisch, und in der Hand hielt er eine Pistole. Sie erschrak.
 

„Squall!!“

Er schreckte hoch und sah sich verwirrt um. Wirre Strähnen seines braunen Haares klebten ihm im Gesicht.

„Wie? Was…“ Ratlos betrachtete er die Waffe in seiner Hand. Quistis stützte ihre Hände in die Hüften und bedachte ihn mit dem für sie typischen, tadelnden Blick.

„Schläfst du gerne an deinem Schreibtisch?“

„Ich… äh…“, murmelte er benommen.

„Und was willst du mit der Waffe?“ fragte sie lachend. „Willst du etwa jemanden erschießen?“ Squall betrachtete blinzelnd die Waffe in seiner rechten Hand. Vorsichtig zog er den Schlitten zurück. Die Kammer war leer. Dann roch er an der Mündung. Aus ihr war nie ein Schuss abgegeben worden, und sie war auch nie geladen gewesen…
 

Mit einer so schleißigen Uniform, wie er es bei seinen Kadetten nie dulden würde, spazierte er durch den Garden. Die wenigen Kadetten, die schon auf den Beinen waren und sich auf dem Weg in die Kantine oder zu Dr. Kadowaki befanden, um nach Kopfschmerztabletten zu fragen, salutierten eifrig vor ihm. Er erwiderte nur mit einem müden „Morgen, Leute“. Die Kadetten blickten ihm überrascht hinterher.

Die Sonne lachte am Himmel, und der Wind, der sanft über die Alclad-Ebene strich, fuhr ihm durch seine zerzausten Haare. Das Meer glänzte friedlich am Horizont, während er auf den Stufen zum Eingang des Garden saß. Er gähnte noch einmal im warmen Licht der Mittagssonne, die es nicht gänzlich schaffte, seine Müdigkeit zu vertreiben. Dann erinnerte er sich an sein ‚Versprechen‘. Seufzend zog er seine Gunblade. Dann stand er auf und ging müde in Richtung des abgemachten Hügels. Dabei scharrte die Spitze seiner Gunblade über den Boden, die er achtlos nachschleifte.
 

Cifer wartete bereits. Er schien in Gedanken versunken, doch als Squall auftauchte, zog er sofort seine Waffe. Dieser winkte nur ab und hielt sich seinen brummenden Kopf.

„Können wir das nicht auf Morgen verschieben?“ fragte er stöhnend.

„Auf Morgen? Lieber nicht, denn sonst verschwindest du wieder sonst wo hin, um die Welt oder was weiß ich zu retten. Nein, hier und jetzt. Wie abgemacht.“

Hochmütig lächelnd verschränkte er die Arme und richtete sich auf. Squall nahm seine Gunblade in beide Hände, wie schon so oft. Cifer streckte ihm die Hyperion entgegen.

Ihre Blickte schärften sich.

Dann begannen sie zu kämpfen.
 

Das Klirren und Krachen ihrer aufeinandertreffenden Waffen hallte über die Alclad-Ebene dahin und verlor sich in der Ferne. Der Kampf war natürlich nicht ernst. Aber ernst genug. Denn sie würden eben auf immer Rivalen bleiben. Immer würde einer das Spiegelbild des anderen sein, und sie würden den anderen auch bis auf alle Zeiten genauso sehr brauchen wie das eigene Spiegelbild.
 

„Fast perfekt…“, rief er. „Aber doch noch ein bisschen nach links, ja?“

Rude, der auf der ebenso hohen wie wackeligen Leiter stand, verschob die schwere Metalltafel an der Fassade unter den Anweisungen Renos ein weiteres Male. Schweißperlen standen bereits auf seiner Stirn.

„Passt es jetzt endlich?“ rief er mit leichter Verzweiflung in der Stimme. Seine Arme begannen zu erlahmen. „Die Tafel ist schwer, weißt du…“

„Ja, ja. Nein, doch wieder nach rechts. Nur ein bisschen!“ rief Reno und gestikulierte mit den Armen. „Noch ein bisschen… noch ein bisschen…“

Es kam, wie es kommen musste. Rude verlor mitsamt der schweren Tafel in Händen das Gleichgewicht und kippte von der Leiter. Krachend fiel alles zu Boden. Reno lief erschrocken zu ihm.

„Verdammt!“ stöhnte Reno. Rude kam ächzend auf die Beine und putzte sich den Straßenstaub vom Anzug.

„Keine Sorge, mir ist nichts- “

„Puh, Glück gehabt“, unterbrach ihn Reno. Dieser strich mit der Hand über die Tafel. „Sie hat keinen Kratzer abbekommen, bin ich froh...“

Rude richtete sich die Sonnenbrille. Gleichzeitig rang er die aufkeimende Wut nieder. Es war ja sowieso zwecklos. Sie blickten auf, als jemand vor ihnen stand.
 

„He, ihr beiden.“

Reno und Rude sahen ihn überrascht an.

„Hey, Cloud!“ riefen sie synchron. Dieser ging auf sie zu und warf einen Blick auf die Tafel.

„Reno&Rude Inc.“, las er laut vor. Reno platzte fast vor Stolz.

„Toller Name für unser Unternehmen, nicht? Ich war gerade dabei, sie zu montieren“, behauptete Reno. Rude warf ihm einen erstaunten Blick zu. „Ja, und Rude hilft mir dabei. Aber du weißt ja“, flüsterte er hinter vorgehaltener Hand Cloud zu, „er ist etwas ungeschickt.“ Rude, der die Worte sehr wohl gehört hatte, ballte knurrend die Faust. Cloud nickte schief lächelnd.

„Ich verstehe… ist eure Chefin auch da?“

Reno verzog das Gesicht.

„Chefin ist wohl der falsche Ausdruck. Sie ist eher… unsere Sekretärin. Wir wissen genau, was wir tun, nicht wahr, Rude?“ fragte er seinen Freund und neuen alten Kollegen. Dieser nickte nur.

„Du meinst, sie verhindert, dass eure neugegründete Firma völlig ins Chaos abdriftet?“ fragte Cloud stirnrunzelnd. Reno nickte breit grinsend- bis er die Worte vollends kapierte. Mit einem verlegenen Gesicht rieb er sich den Nacken.

„Na ja, so ungefähr.“

„Was macht euer Unternehmen überhaupt?“ fragte Cloud belustigt. Von neuem Enthusiasmus erfüllt, zog Reno seinen Viehstab und schwenkte ihn theatralisch. Rude neben ihm konnte im letzten Moment ausweichen.

„Wir sind die schweren Jungs für alle Fälle! Wir greifen ein, wo keine Hoffnung mehr besteht, wir kämpfen für das Gute, oder auch für das Böse, wenn es uns bezahlen kann- “

„Ja, ja“, lachte Cloud und hob beschwichtigend die Hände. „Ist ja schon gut. Ist Anne denn nun da oder nicht?“

Mit einer eleganten Bewegung steckte Reno seinen Viehstab wieder weg.

„Klar. Sie ist oben, im Büro.“

Langsam ging er die Stufen im Innern des schmucklosen Gebäudes hinauf. Es waren nun schon mehrere Wochen ins Land gezogen seit den… ‚Ereignissen‘. Nur wenige Wochen, doch Cloud kamen sie bereits so unwirklich vor.
 

Ist das alles wirklich passiert?
 

Die Bevölkerung von Edge-City war in ihre Häuser und Wohnungen zurückgekehrt, und der Wiederaufbau war im vollen Gange. An einigen Stellen erinnerten ausgebrannte Gebäude an die Monsterplage, doch die Einwohner hier waren zäh. Sie hatten den Meteoreinschlag verkraftet und würden auch hier rüber hinwegkommen. Doch manche Hinterlassenschaften würden bleiben… die in seinem Herzen. Und in denen seiner Freunde.

Die Glastür trug einen frisch aufgebrachten Schriftzug.
 

‚Anne Almasy, Geschäftsführerin‘
 

Cloud atmete tief durch. Oft schon hatte er dies verschoben. Die Renovierung des 7.Himmels hatte in voll in Anspruch genommen, und dies war nicht die einzige Ausrede sich selbst gegenüber gewesen, doch nun musste er. Er war es ihr schuldig. Mit einem mulmigen Gefühl klopfte er an die Tür. Stille Sekunden lang passierte nichts, dann rief eine gedämpfte Stimme ‚Herein‘. Vorsichtig drückte er den Knauf.
 

Mit konzentrierter Miene blickte sie durch ihre Brille auf den Schirm des Notebooks vor sich auf dem Tisch. Ihre Finger eilten klappernd über die Tastatur. Mit abwesend klingender Stimme begann sie zu sprechen, ohne ihn anzusehen.

„Stellen sie die Pakete in das Eck dort, aber bitte vorsichtig. Da sind wahrscheinlich Computerteile drinnen.“

Cloud musste lächeln. Dann räusperte er sich. Anne schaute von ihrem Bildschirm hoch, und sie blinzelte.

„Heute bringe ich mal zur Abwechslung nichts…“, schmunzelte er. Anne verwandelte sich. Nun war sie nicht mehr die smarte Computerexpertin, sondern wieder die schüchterne Frau, als die er sie vor ungefähr einem Monat kennengelernt hatte. Mit fahrigen Bewegungen richtete sie sich ihr etwas wirres Haar.

„Ähm, hallo, Cloud… ich wusste nicht, ich meine, ich habe dich nicht… erwartet. Nimm doch Platz.“ Ihr Blick sprang hektisch über ihren chaotischen Schreibtisch, dann wieder zu Cloud. Er ging langsam auf sie zu und setzte sich auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch.

„Wie ich sehe, läuft der Laden schon“, sagte er lächelnd.

„Ja… wir sind ‚im Aufbau begriffen‘, wie man so schön sagt“, erwiderte sie nickend und lächelte dabei scheu zurück.

„Schön. Ich hoffe, du kommst mit den zwei Chaoten zurecht“, schmunzelte Cloud. Anne gewann wieder etwas von ihrem Selbstbewusstsein zurück.

„Klar, die gehorchen mir schon. Sind halt manchmal etwas überdreht, besonders dieser Reno.“

„Ich hoffe, er nervt dich nicht zu sehr. Hat er dich schon angebaggert?“

„Pausenlos“, seufzte Anne mit einem leicht angewiderten Blick. Dann wandelte sich der Ausdruck in ihren Augen, und ihre sonstige Scheue kehrte zurück. „Du hast übrigens nie zurückgerufen…“

Cloud senkte schuldbewusst seinen Blick.

„Ich weiß… es tut mir leid. Aber- “ Er hob den Kopf, schüttelte ihn, machte ein verwirrtes Gesicht- aber es half alles nichts. „Ich… ich muss mit dir reden. Über uns.“

Anne beugte sich über ihren Schreibtisch, ihre Miene wurde hoffnungsvoll. Es tat ihm jetzt schon weh.

„Ja…?“

„Wir… wie soll ich sagen…“ Er verdrehte die Augen ob seiner eigenen Wortlosigkeit. Dann stand er auf und begann im Raum auf und ab zu gehen. „Du bist eine wunderbare Frau, und ich finde dich sehr sympathisch… ich mag dich wirklich, aber…“

Annes Augen, in die langsam Enttäuschung Einzug hielt, folgten ihm aufmerksam.

„Aber…?“

Vor Wut über sich selbst schnaubend griff er sich mit beiden Händen an den Kopf. Dann ließ er sie in einer Geste der Hilflosigkeit fallen.

„Vielleicht habe ich dir zu viele Hoffnungen gemacht“, sprach er ganz leise und mit zu Boden gerichtetem Blick. „Irgendwie hatte ich selbst Hoffnungen… ich weiß auch nicht genau, auf was.“

Anne nickte langsam. Sie wirkte müde, als sie antwortete.

„Es ist diese Tifa. Richtig?“

Cloud schloss die Augen.

„Ja“, hauchte er.
 

Anne sah sich im Raum um, als wäre sie heute zum ersten Male hier. Dann rückte sie ihr Notebook auf dem Schreibtisch zurecht, obwohl es schon vorher exakt an der Kante ausgerichtet war. Sie begann zu tippen, hörte aber gleich wieder auf.

„Na ja… das ist okay“, sagte sie bitter lachend. Cloud hasste sich selbst in diesem Moment. Ohne länger zu überlegen, ging er auf sie zu und ergriff sie an den Schultern. Hilflos und auch verwirrt blickte sie ihn an, wie er so vor ihr kniete. Seine Stimme zitterte, als er zu sprechen begann.

„Es ist nicht okay, und wir wissen das beide.“ Sie starrte ihn noch ein paar Momente an, bevor sie beide aufstanden und sie sich in seine Umarmung flüchtete. Nun endlich ließ sie ihren aufgestauten Tränen freien Lauf. Cloud wiegte sie sanft, während er das Schluchzen in ihrer Brust spürte. Behutsam streichelte er ihren Hinterkopf. „Es tut mir leid… es tut mir leid…“, flüsterte er ihr zu, und dann erst merkte er, dass auch er weinte.
 

Die sich dem Horizont nähernde Sonne strich sanft über die grauen Betonblöcke von Edge-City hinweg, um schließlich Annes Büro mit goldenem Licht zu erfüllen. Cloud und Anne lösten sich langsam voneinander. Mit zerstreuten Bewegungen nahm sich Anne ihre Brille ab, holte ein Taschentuch hervor und begann sie zu putzen. Cloud trat einen Schritt zurück. Sein Blick fiel aus dem Fenster auf die Abendsonne. Warm spürte er ihr Licht auf seinem Gesicht, und tiefe Erleichterung durchflutete ihn.

„Wir werden immer gute Freunde sein“, sagte er nach einer Weile, denn es schien besser als die Stille zwischen ihnen zu sein. Anne nickte und lächelte dabei, und es wirkte nicht mehr aufgesetzt, sondern frisch und unschuldig, wie die Luft nach einem heftigen Regenguss.

„Ja. Wir sind… Freunde.“

„Übrigens… heute Abend findet bei uns eine kleine Feier statt. Wegen der Wiedereröffnung des 7.Himmel, und weil… wir alle noch leben“, fügte er erheitert hinzu. „Wäre schön, wenn du auch kommst. Schließlich warst du auch dabei. Von Anfang bis zum Ende“, sagte er lächelnd, und sie erwiderte es. Das reinigende Gewitter war vorüber, und nun herrschte wieder freundschaftliche Klarheit zwischen ihnen.
 

Donnernd und tosend erwachte Fenrir zum Leben. Das großkalibrige Aggregat spuckte eine dichte Wolke Ruß, die Reno und Rude völlig einhüllte. Ihre Gesichter waren schwarz vor Ruß, während Reno Cloud nach winkte. Mit einem lauten Auspuffknall verschwand er im Dickicht des neu erwachten Straßenverkehrs.

„Klar kommen wir zu eurer Feier, Hauptsache es gibt dort geile Mädels!“

Dann hustete er ein schwarzes Wölkchen aus. Rude nahm seine Sonnenbrille ab. Nur der Bereich um seine Augen war noch frei von Ruß.
 

Frohlockend drehte er am Gasgriff. Dieses Spiel mit der Geschwindigkeit, das Eintauchen in den Verkehr… wie sehr hatte es ihm gefehlt! Unter seinem Hintern spürte er die Vibrationen des Aggregates, als er geschmeidig wie ein Hai unter Fischschwärmen durch den dichten Straßenverkehr glitt. Schneller als ihm die anderen Autofahrer den Vogel oder Schlimmeres zeigen konnten, schnitt er ihre Fahrbahnen und tauchte unter dem wütenden Gehupe hinweg.

Die Trittbretter von Fenrir sprühten helle Funken, als er wagemutig Kurven schnitt und jede freie Lücke im Verkehrsinfarkt von Edge-City nutzte. Der Wind fuhr ihm durch seine blonden, wirren Haare. Er fühlte sich so frei, so lebendig… dies war das echte Leben, das wusste er. Den blauen Himmel über sich, den Sonnenuntergang wie ein kitschig schönes Panorama im Hintergrund. Sein Herz pochte im Takt des Achtzylinders unter seinem Arsch, und er war einfach glücklich. Mehrmals bog er absichtlich falsch ab, um den Weg zurück zum 7.Himmel möglichst lange zu machen. Wieder bog er auf die Auffahrt der Stadtumfahrung auf und drehte am Gasgriff. Wieder zerrte der Wind an ihm, und wieder durchflutete ihn das Glücksgefühl, das mit nichts zu vergleichen war. Und wieder sang der Motor sein heiseres Lied, als er dem Sonnenuntergang entgegen brauste…
 

Mittlerweile war es Nacht, und die Scheinwerfer von Fenrir warfen lange Kegel bläulichen Lichts auf die nun zur Ruhe gekommenen Straßen. Auch die Luft war nun deutlich kühler, wie er auf seinen unbedeckten Oberarmen spürte. Er fuhr nun deutlich langsamer; Fenrir hatte seinen Auslauf für Heute gehabt.

Während er an den gleichförmigen Plattenbauten, die Edge-City dominierten, vorbeifuhr, ließ er in Gedanken noch mal das Geschehen ihrer Rückkehr Revue passieren. Er hatte sich von Aeris verabschiedet, diesmal wohl endgültig. Dann hatten er und seine Freunde sich außerhalb der Stadt in der Einöde wiedergefunden. Dies war wahrscheinlich das letzte Wunder, das Aeris für sie vollbracht hatte. Vielleicht war es auch das letzte Aufflackern seiner Macht gewesen, die ihm der Planet verliehen und ihn fast den Verstand gekostet hatte. Er wollte es auch nicht genauer wissen. Er war einfach nur dankbar.

In der Gasse, die den 7.Himmel beherbergte, ließ er sein Motorrad ausrollen. Noch einmal hustete der schwere Motor, als er den Zündschlüssel abzog. Seufzend richtete er sich auf.

Die Garage war der einzige Teil des Gebäudes, der einigermaßen in Ordnung geblieben war. Und natürlich Fenrir, sein geliebtes Motorrad, über das ein besonderer Schutzengel gewacht zu haben schien. Sanft strich er über das noch warme Metall, dann verließ er die Garage in Richtung des Lokals.
 

Als er die Tür öffnete, schwappte ihm eine Welle aus Stimmen und Geräuschen entgegen. Seit der Renovierung des Gebäudes war dies wieder der erste offene Tag, und dementsprechend wurde gefeiert.

Der 7.Himmel war gut gefüllt. Alle Tische waren voll besetzt, viele mussten stehen, und an der Theke drängten sich die Leute Schulter an Schulter. Suchend streifte sein Blick über die Menge, bis er fündig wurde. In einer Ecke des Lokals stand ein längerer Tisch, und der war reserviert. Im selben Moment bemerkten ihn die Gäste an diesem Tisch und winkten ihn frenetisch herbei.

Mit Mühe bahnte er sich einen Weg durch die ausgelassene Menschenmenge. Normalerweise mochte er solche Ansammlungen nicht besonders, und nur mit genügend Alkohol im Blut ertrug er so laute und dichte Menschenmassen, oft zum Leidwesen von Tifa. Doch heute war ein besonderer Tag, und alle seine Freunde waren da. Sie hatten überlebt, und das musste gefeiert werden.

„Da ist ja unser Spikey!!“ intonierte Barret aus voller Brust, und Gejohle brandete auf. Besonders Reno, der schon einiges getrunken zu haben schien, obwohl der Abend noch jung war, brüllte aus Leibeskräften. Bis ihm Rude den Ellbogen in die Seite rammte, was ihm ein undeutliches „Was is’n?“ entlockte. Cloud war es peinlich, als dann alle zu klatschen begannen. Yuffie stand auf und wies ihm einen Platz zu.

„An den Kopf der Tafel mit dir, du Held!“ kicherte sie. Cloud schüttelte lachend den Kopf und nahm wie angeordnet am Kopfende des Tisches Platz. Dann lief sie wieder eilig zu ihrem Stuhl, der rein zufälligerweise gleich neben dem von Vincent stand. Es wunderte Cloud ausgesprochen, dass er sich zur Teilnahme an dieser Feier an einem so belebten Ort überreden hatte lassen. Tapfer ließ er den ganzen Trubel über sich ergehen, und Yuffie zwinkerte ihm aufmunternd zu.

Cloud ließ seinen Blick über die Runde schweifen. Gleich neben ihm saß Barret, mit Marlene auf dem Schoß. Die Kleine lachte glucksend, schon alleine deshalb, weil sie sonst um diese Zeit schon im Bett sein musste. Ebenso wie Denzel, der vergnügt zwischen den Gästen im Lokal umher sauste. Dann glitt er weiter zu Cid und Shera Highwind. Verwirrt sah er, dass er heute gar keine öligen Arbeitshandschuhe trug. In Gedanken fragte er sich, wie Shera das geschafft haben mochte. Er rauchte auch nicht. Manche Dinge hatten sich geändert, das war nicht zu übersehen…

Am anderen Ende der Tafel saßen Reno und Rude, und zwischen ihnen ihre neue Chefin. Für Anne war die Arbeit für die W.R.O., die nach dem mysteriösen ‚Verschwinden‘ von Rufus Shinra nun wieder von Reeve Tuesti geleitet wurde, kein Thema mehr gewesen, und da die beiden Ex-Turks ebenfalls auf der Suche nach einer neuen Erwerbsquelle waren, hatten sie spontan ihre Geschäftsidee zusammen verwirklicht. Cloud wunderte sich immer noch darüber… als Anne seinen Blick erwiderte. Zuerst scheu, doch dann offen und wohlwollend. Er froh darüber, dass sie es so gut verkraftet hatte. Wie auch er selbst, worüber er fast genauso erleichtert war.

Dann fiel sein Blick auf Vincent und Yuffie. Sie saßen direkt nebeneinander, was für Vincent ungewöhnlich war. Cloud fragte sich, wie ein solches Naheverhältnis zustande kommen konnte. Alle anderen am Tisch unterhielten sich lautstark, und so wandte er sich an die beiden.

„Hey, Vincent“, rief er und zwinkerte dabei Yuffie zu, die verschmitzt kicherte, „ich hoffe, es ist dir nicht zu laut hier drin.“

Vincent nickte schwermütig.

„In meinem Sarg war es ruhiger…“ Dann warf er Yuffie einen Blick zu, der mehr aussagte, als Cloud erwartet hätte. „…aber andererseits war ich lange genug in dem Ding drinnen. Etwas Abwechslung schadet nicht.“ Yuffie kicherte warmherzig, und Cloud sah, wie seine Hand nach der ihren tastete.

„Und was wollt ihr jetzt so machen? Jetzt, wo alles vorbei ist.“

„Wir- “ begann Yuffie in dem für sie so typischen, schrillen Ton, stoppte aber, als sie merkte, dass Vincent seinen Satz eigentlich noch früher begonnen hatte. Verlegen wandte sie sich an ihn.

„Wir wollen ein Unternehmen zusammen gründen. Yuffie hatte die Idee schon früher. Es geht dabei um… Materia.“ Er sprach dieses Wort vorsichtig und leise aus, doch trotz allem verdrehte Yuffie Augen nach oben und biss sich auf die Lippen. Cloud glaubte sie leise stöhnen zu hören. „Jedenfalls braucht sie dafür noch einen Partner. Und das werde wohl ich sein.“

„Das… ist schön. Ich freue mich für euch.“

Clouds Blick fiel dann auf den leeren Stuhl zwischen Vincent und ihm. Tifa würde wohl eine Menge zu tun haben, und allein schon ihr Stolz gebot es ihr, den Laden allein zu schmeißen.

Die Nacht verging, und sie unterhielten sich prächtig. Jeder hatte etwas zu erzählen, denn einen Teil dieser Reise hatten sie ja getrennt voneinander unternommen. Cloud hörte aufmerksam zu, sagte aber nur selten etwas. Über Aeris wurde kein Wort verloren. Zu deutlich war noch der Abschied in ihren Erinnerungen, und dieser Ort war eindeutig zu laut für ihr Andenken. Cloud hatte bereits eine Idee gehabt, die sie am nächsten Tag verwirklichen wollten. Doch für heute wollten sie ausgelassen sein. Sie waren es auch alle, besonders Reno, der schon bald lallend unter dem Tisch etwas zu suchen begann. Er glaubte es zwischen den Beinen von Yuffie zu finden, was ihm den Abdruck eines ihrer Tennisschuhe auf seinem Gesicht einbrachte. Den Rest der Nacht verbrachte er schmollend und leise lallend neben Rude. Clouds Blick ging immer wieder zur Theke, wo Tifa wie ein Wirbelwind Krüge entgegennahm und wieder austeilte. Sie fehlte ihm, das spürte er nun besonders.
 

Die Zeit verging, und irgendwann leerte sich das Lokal. Die Gäste wankten heim, und Cloud gähnte heftig. Barret hatte die beiden Kinder schon längst zu Bett gebracht, bevor sie hier auf seinem Schoß eingeschlafen wären. Nur noch wenige Gäste waren außer ihnen hier und unterhielten sich leise. Reno lehnte an Rudes unerschütterlicher Schulter und schnarchte geräuschvoll.

Cloud erhob sich von seinem Stuhl und ging zu Tifa, die gerade die Theke von Bier und anderem sauber wischte. Er stand ihr gegenüber und sah sie an.

„Tifa.“

„Ja?“ erwiderte sie ohne mit dem Wischen aufzuhören. Cloud legte ihr seine Hand auf die ihre und stoppte sie damit.

„Es genügt für heute.“

Sie sah ihn ernst an mit immer noch vor Energie strotzenden Augen. Dieses Lokal war ihr Leben, das wusste er. Momente später aber erlaubte sie der Müdigkeit, sich ihrer Miene zu bemächtigen.

„Du hast wohl recht“, antwortete sie leise.
 

Gemeinsam saßen sie auf dem Rand des Flachdaches. Der Aufgang lag immer noch in Trümmer, und nur eine notdürftige Plane würde fallenden Regen am Eintritt hindern. Am Horizont begrüßte die aufgehende Sonne den neuen Tag, und die letzten Sterne schwanden. Es war wunderschön.

„Tifa?“ flüsterte er ihr ins Ohr, als sie so Arm in Arm dasaßen.

„Ja?“

„Ich war ein Idiot. Die ganzen Jahre über.“

Sie lachte leise und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

„Nein. Du warst einfach Cloud Strife. Sonst nichts.“ Überrascht blickte er sie an. Sie nickte lächelnd. „Du warst der Cloud… den ich immer geliebt habe.“ Ihr Gesicht wurde ernst, und ihr Blick pendelte zwischen seinen makoblauen Augen.

„Ich… liebe dich auch“, flüsterte er zurück, und ihre Lippen trafen sich im Licht der ersten Sonnenstrahlen.
 

Barret, Vincent, Cid und Yuffie übernahmen das Aufräumen. Shera sah nach den Kindern, die allmählich wieder wach wurden. Reno torkelte durchs mittlerweile leere Lokal, und Rude bemühte sich, ihn an möglichen Unsinn zu hindern. Anne saß zusammengesunken auf einem Stuhl und schlief. Nach einer Weile gelang es Rude, die todmüde Anne und den völlig betrunkenen Reno in ein Taxi zu lotsen. Wortkarg wie immer verabschiedete er sich.

Cloud lag eine Weile in seinem Bett, mit der schlafenden Tifa an seine Seite gekuschelt. Er selbst konnte nicht einschlafen. Trotz der durchwachten Nacht wollte sich kein Schlaf bei ihm einstellen. Und so betrachtete er Tifa, die an seiner Seite lag und lauschte dem stillen Rhythmus ihrer Atemzüge.
 

Als die Sonne schon hoch am Himmel stand und durch die Jalousien am Fenster des kleinen Raums hinein blinzelte, standen sie auf. Arm in Arm gingen sie zur Vordertür. Im Vorbeigehen blieben sie kurz stehen. Clouds Blick fiel auf das Meisterschwert, das wieder an seinem Platz in der Vitrine hing. Mehrere Momente des Gedenkens lang hing sein Blick an der schartigen, abgenutzten Waffe, die ihm soviel bedeutete. Er nickte ihr zu wie einem alten Freund, dann verließen sie das Lokal.
 

Die anderen warteten schon auf sie, als sie ins Freie traten. Ebenso Nanaki und Shinaha. Cloud begrüßte sie erfreut.

„Schade, dass ihr die Feier verpasst habt.“

Nanaki schüttelte seinen massigen Kopf, so dass sein schwarzes Haupthaar wippte.

„Unsere Anwesenheit hätte vielleicht die Gäste verunsichert, nicht wahr, Shinaha?“ Seine neugewonnene Gefährtin mit dem selben feuerroten Fell nickte ihm zu. „Außerdem ist das Schild immer noch da…“, meinte er und deutete mit der Pfote auf den Eingangsbereich. Cloud sah sich verwirrt um, dann bemerkte er es. Eine kleine Metallplakette war am Türrahmen befestigt, so wie auch an vielen anderen Läden in Edge-City. Auf ihr stand: ‚Tiere müssen draußen bleiben.‘

Clouds Blick wurde verlegen, ebenso Tifas. Dann begannen Nanaki und Shinaha zu lachen. Ihre Erheiterung steckte an, und schon lachten alle.
 

Die ‚Shera‘ parkte ein gutes Stück entfernt. Die kleine Gruppe aus einem dunkelhäutigen Riesen, einem mürrisch dreinschauenden Piloten mitsamt seiner Frau, einem Mann mit einem dunkelroten Umhang, dem eine junge Frau mit Stirnband nicht von der Seite weichen wollte, sowie einem illustren Paar mit feuerrotem Fell, einem Mann mit wirren, blonden Haaren und der Frau an seiner Seite, die er liebte- sie alle waren hier. Aus einem bestimmten Grund.

Cloud hatte die Idee gehabt, und sie waren alle damit einverstanden gewesen. Noch vor einer Weile wäre ihnen der bloße Gedanke absurd vorgekommen- doch nun war er Wirklichkeit.

Von der Anhöhe aus konnte man das alte Midgar gut überblicken. Hier und da zeigten sich grüne Kleckse in den hellgrauen, verwitterten Ruinen, wo die Natur ihr Reich langsam aber beharrlich zurückeroberte. An der Stelle, an der sie nun standen, hatte Cloud einst in einem Akt der Verzweiflung Zacks Meisterschwert in den kahlen Boden hinein gerammt und stehen lassen. Doch das war lange her.

Nun standen hier zwei sorgfältig, aber schlicht behauene Steine. Ihre regelmäßigen Formen bildeten einen wohltuenden Kontrast zur wüsten Einöde um sie herum, und gleichsam bildeten sie einen Pol der Ruhe in der Wildnis um Midgar herum.

Cloud ging nach vor, kniete sich hin und ließ seine Fingerspitzen über den linken der beiden Marmorsteine gleiten. Dabei bewegten sich seine Lippen und sprachen ein lautloses ‚Leb wohl‘. Dann traf sein Blick den rechten Stein, und auch hier sprach Dankbarkeit aus dem ernsten Blick seiner blauen Augen.

Auf dem linken Stein stand eingraviert: ‚Aeris Gainsborough‘

Und auf dem rechten ‚Sephiroth Crescent‘.

Und beide trugen den Schriftzug ‚In dankbarer Erinnerung‘.
 

Dann erhob er sich wieder. Er blinzelte in die Sonne und schloss die Augen. Tränen liefen über sein Gesicht, wie er jetzt spürte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er das weite Land vor sich, und in seiner Mitte die Stadt Midgar. Einen Moment glaubte er, einen geflügelten Drachen über den Himmel ziehen zu sehen. Doch als er blinzelte, war er wieder weg. Cloud wusste Bescheid. Und er lächelte.
 


 


 


 


 


 


 

Leise knarrend öffnete sich die Tür in den 7.Himmel. Eine vermummte Gestalt, zur Gänze in rotes Tuch gehüllt, schlich hinein. Ihr folgte ein seltsamer Hund, der leise winselte.

Die Gestalt schlich auf Zehenspitzen durch das Lokal, und der ‚Hund‘ folgte ihr. Vor einer gläsernen Vitrine blieb sie schließlich stehen. Hastig wandte sie sich um und versicherte sich der Tatsache, dass sie unbeobachtet waren. Dann streckte die mit bunten Verzierungen übersäte Gestalt die Hand nach dem Meisterschwert in der Vitrine aus. Seine farblosen Augen glühten dabei auf vor Habgier.

„Oh ja… du wirst Gilgamesch gehören!“
 


 

~ Ende ~
 


 

(kleiner Musiktipp für diese Stelle: ‚End Credits‘ vom Advent Children OST :D)
 

Es ist geschafft. Ihr habt das Ende erreicht, und ich hoffe, die Lektüre hat euch ebenso viel Vergnügen bereitet wie mir das Schreiben. Und so möchte ich euch von ganzem Herzen für eure Ausdauer und eure Geduld danken. Diese Geschichte ist ‚Final Fantasy‘ gewidmet und allen, die diese Serie lieben und schätzen. Und somit wohl auch dir ;-)
 

Ich möchte noch ein paar Personen erwähnen, die maßgeblich an der Verwirklichung dieses Projektes beteiligt waren, und sei es nur durch ihre Aufmunterungen und ihre Anregungen. Mein Dank gilt zuerst den aufmerksamen Kritikern, die mehr Anteil an der Entstehung hatten, als sie vielleicht selbst ahnen:
 

Mazaru
 

Fahnm
 

Serith
 

Ashelia
 

Kiki004
 

Terazuma
 

Inukin
 

Danke für das Lob wie auch die Kritik. Besonders danken möchte ich auch dem ‘Phantom der Oper‘, das durch seine Anstöße einen bedeutenden Anteil an meiner literarischen Entwicklung hatte. Danke.
 

Auch danke ich der ‚Shinra Electrical Power Company‘, ohne deren Strom mein Computer nicht funktioniert hätte ;-)
 

Ich danke auch Square Enix, die Final Fantasy immer wieder neu erfinden.
 

Ebenso danke ich Nobuo Uematsu, der die Welt mit seiner wundervollen Musik bereichert hat und sehr oft meine Inspiration mit seinen Klängen entflammen hat lassen.
 

Und vor allem danke ich dir!
 

24.01.2008 ~ 17.06.2008



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (43)
[1] [2] [3] [4] [5]
/ 5

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2009-04-03T11:38:48+00:00 03.04.2009 13:38
Hi!

Nachdem ich Kapitel 15 gelesen hatte, konnte ich es kaum erwarten, endlich den Schluss deiner Geschichte zu lesen und jetzt endlich bin ich fertig. Hat ja auch lange gedauert. Mach dich schon mal auf einen langen und ausführlichen Kommentar von mir gefasst, aber die dürftest du ja mittlerweile schon gewohnt sein.

War das rührend als sich Cloud wieder an alles erinnern konnte und die anderen wieder befreit hat. Irgendwie kitschig, aber ich mag Kitsch. Ja, typisch Frau eben, nur so nebenbei bemerkt. Und erst der Abschied von Aeris. Das war so traurig, am liebsten hätte ich selbst mit geweint. Das war so ergreifend. Und ich bin echt froh, dass Cloud wieder der Alte ist.

Hehe, Balthier hat sein Versprechen doch gehalten, wundert mich ja irgendwie. Obwohl die Szene etwas kurz war, hat sie mir trotzdem gut gefallen. Vor allem, als Basch zu Vaan und Penelo meinte, dass sie die nächsten wären. Der arme Vaan. Da darf er sich sicher noch was anhören.

Typisch Xell! Es musste ja so kommen, dass er sich wieder einmal an einem Hot Dog verschluckt. Sehr lustige Szene. Es war irgendwie klar, dass zwischen Cifer und Quistis noch was läuft, hat sich ja im Laufe der Geschiche so ergeben. Da wäre ich schon beinahe enttäusch gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre.
Das Gespräch zwischen Rinoa uns Squall war ziemlich traurig. Irgendwie tun mir Beide schrecklich leid obwohl mir eigentlich schon klar war, dass ihre Beziehung nicht mehr zu retten ist. Trotzdem traurig.
Der arme Squall. Seine Gedanken hast du sehr gut beschrieben und es tut sogar mir in der Seele weh, dass er Tifa nie wieder sehen wird. Das ist so traurig, ich hätte echt weinen können. Und ich dachte wirklich, dass er sich umbringen will. War das ein Schock.
Immerhin hat Cifer doch noch seinen Kampf bekommen.

Die Aussprache zwischen Cloud und Anne war auch sehr rührend und traurig zugleich. Wenigstens bleiben sie Freunde, das ist doch immerhin etwas.
Die Feier im 7. Himmel war auch sehr gelungen, vor allem Reno. Der Kerl ist immer wieder für einen Lacher gut. Vor allem, als er irgendetwas zwischen Yuffies Beinen gesucht hat. Einfach nur zum Brüllen.
Ach, und endlich, nach all den Jahren, haben es Cloud und Tifa geschafft. Ist ja auch endlich Zeit geworden. Ich fand es jedoch ein wenig schade, dass man gar nicht erfahren hat, was Tifa über ihre 'Beziehung' zu Squall denkt. Von Squall weiß man ja, dass er deswegen deprimiert ist, da hätte es mich gefreut, etwas in der Art auch von ihr zu hören. Aber gut, ist nur eine Kleinigkeit und der Schluss ist trotzdem sehr gelungen.
Schön war auch die Szene an den Grabsteinen. Und ich wusste, dass Gilgamesh nicht verschwunden ist. Diese miese Ratte.

Eigentlich wäre ich mit dem Kommentar jetzt schon fertig, aber der ist so ungewohnt kurz. Deshalb gibts jetzt noch einmal ein Fazit von mir zu deiner Geschichte.
Diese Geschichte ist ohne Frage mein absoluter Favorit und ich bereue keine Sekunde, die ich in das Lesen dieser FF investiert habe. Schade, dass solch geniale Geschichten meistens ungelesen untergehen.
Deine FF hat alles, was eine gute Geschichte ausmacht. Eine sehr interessante Handlung, Humor ohne Ende, Action, Gefühl, unerwartete Wendungen, ein genialer Schreibstil und tolle Charaktere, die selbsterfundenen sowie die Charaktere aus dem Spiel, die du klasse wieder gegeben hast. Alles in allem fehlen mir im Endeffekt die Worte für dieses geniale Werk und ich glaube, ich habe es schon einmal erwähnt, aber du hast wirklich das Zeug zum Schriftsteller. Gibt ja nicht auf.

Ich freue mich schon auf die neueren Werke von dir und werde mich sobald wie möglich dem Text widmen, den du mir vor geraumer Zeit per mail geschickt hast. Du hörst auf jeden Fall wieder von mir.

Liebe Grüße,
Doris
Von: abgemeldet
2009-03-31T13:31:56+00:00 31.03.2009 15:31
Hallo!

So, jetzt habe ich endlich wieder die Zeit gefunden, deine geniale Geschichte weiter zu lesen. Konnte es ja kaum erwarten, jetzt habe ich es endlich nach geholt. Und es macht mich traurig, dass ich nur noch ein einziges Kapiel zu lesen habe. Aber es bleibt ja, Gott sei Danke, nicht dein letztes Werk.

Squalls Rede ist dir wirklich sehr gut gelungen und sie hat auch zu ihm gepasst. Mit diesen Worten hätte er wahrscheinlich sogar mir wieder Mut gemacht. Richtig rührend, wobei Squall ja schon immer der geborene Anführer war. Ich habe ihn immer sehr gemocht und auch in deiner Geschichte kommt er gut rüber.

Das Wiedersehen zwischen Squall und Rinoa war irgendwie traurig, wobei ich mir schon gedacht habe, dass es so ähnlich ablaufen wird. Arme Rinoa, sie tut mir irgendwie leid. Ich befürchte, das mit den Beiden wird wohl nichts mehr, aber ich lasse mich überraschen.
Dafür war das Wiedersehen zwischen Reno und Rude umso lustiger. Die Umarmung von Reno fand ich irgendwie süß, Turks sind eben auch nur Menschen. Und dann, völlig unerwartet, platzt er damit heraus, dass er Rufus getötet hat. Ich hab mich tot gelacht, sehr gelungen.
Und die Szene zwischen Tifa und Barret war irgendwie rührend. Richtig schön wie man sich ein Wiedersehen unter guten Freunden eben vorstellt.

Hehe, Balthier-Narr, Weißbrot! Typisch Barret. Der ist immer wieder für einen Lacher gut und du bringst ihn wirklich sehr gut rüber. Und ich mag deine Geschichte auch wegen dem Humor, der mich immer wieder zum Lachen bringt.

Und wieder ein Wiedersehen nach dem anderen. Ach, ist das schön, dass sich auch Irvine und Selphie endlich wieder in die Arme schließen können. Das alles ist so rührend, da würde man am liebsten gleich selbst mit weinen. Frauen eben...
Aber das schönste an dem ganzen Kapitel war wohl das langersehnte Wiedersehen von Cloud und Tifa. Das war so... da fehlen mir doch glatt (wieder einmal) die Worte. Das war so schön und jetzt verstehe ich auch, was du damit gemeint hast, dass Cloud Anne viel zu verdanken hat.

Ich fand die Szene zwischen Sephiroth und Aeris lustig. Er hat keine Ahnung von allem und Aeris sitzt neben ihrem eigentlichen Mörder. Hehe, auf so etwas kannst auch nur du kommen. Echt genial, als Aeris peinlich berührt ihren Kopf wegdreht.

Oh, Gilgamesch ist also endlich wieder da. Und Odin ist auch aufgetaucht. Ich mochte sein Pferd immer sehr gerne. Ich fand, das sah ziemlich toll aus, aber Odin selbst fand ich auch gut. Die Beschreibung von Odin und seinem Pferd ist dir wir immer sehr gut gelungen. Ach, ist das spannend. Ich befürchte aber irgendwie, dass die Gilgamesch nicht zum letzten Mal gesehen haben. Ich lasse mich, wie immer, überraschen.

Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, wenn ich auf den Schluss nicht so detailliert eingehe wie auf den Rest des Kapitels. Fass das bitte nicht negativ auf, das liegt ganz einfach daran, dass ich nicht weiß, was ich dazu noch sagen soll. Es ist gigantisch, fabelhaft, gradios... Mehr fällt mir dazu wirklich nicht ein und dabei treffen diese Worte nicht einmal annähernd das, was ich über den Schluss des Kapitels denke. Die Beschreibungen, der Kampf zwischen Cloud und Garland, Bahamut, der Lebensstrom und wie Cloud sich einfach fallen ließ... einfach alles war wirklich großartig und so berührend . Mir fehlen gerade die richtigen Worte für den Schluss des Kapitels, aber ich hoffe, dass alles wieder gut wird und Cloud nicht so ein Psycho bleibt.

Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel und kann es kaum erwarten, es zu lesen.

Liebe Grüße,
Doris
Von: abgemeldet
2009-03-06T11:48:20+00:00 06.03.2009 12:48
Hallo!

Ich habe ja gesagt, dass der nächste Kommentar nicht so lange auf sich warten lässt. Ich konnte kaum aufhören zu Lesen, deshalb habe ich mir das nächste Kapitel auch gleich vorgenommen und ich bin, wie immer, völlig beeindruckt. Und es ging deshalb so schnell, weil dieses Kapitel wieder eine einigermaßen 'normale' Länge hatte. Aber ich mag lange Kapitel, da hat man wenigstens schön viel zu lesen.

Der Kampf gegen Yiazmat war wirklich super spannend. Und auch die Beschreibungen als einer nach dem anderen mit seiner Schutzmacht verschmolzen ist, waren wieder äußerst genial. Man kann sich bei dir alles so schön bildlich vorstellen und genau das mag ich an einer guten Geschichte. Ich habe mir irgendwie gedacht, dass du die anderen auch sterben lässt. Frag mich nicht warum, aber irgenwie habe ich es befürchtet, aber immerhin leben sie ja wieder und Aeris ist auch wieder da. Mal sehen, warum und ob sie bleiben kann. Ich glaube ja eher nicht.

Da gehts ja richtig zur Sache. Zuerst die vielen Ungeheuer, die aus dem Grab strömen und dann rastet Balthier auch noch vollkommen aus und zielt mit seiner Waffe auf Basch. Gut, dass die Situation entschärft wurde, aber ich kann ihn auch irgendwie verstehen. Da tut er mir sogar direkt leid. Die Versöhnung zwischen Squall und Xell war schön. Ich hatte schon befürchtet, dass sie kein Wort mehr miteinander reden, immerhin sind sie Freunde.

Das ist alles wirklich extrem spannend. Jetzt geht es ja langsam gegen Ende der Geschichte und ich bin schon ganz neugierig darauf, was noch alles passiert und ob es ihnen gelingt, die drei Welten zu retten. Vor allem der Schluss dieses Kapitels war wirklich... ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll. So düster und doch irgendwie atemberaubend gut. Komische Mischung...

LG, Doris
Von: abgemeldet
2009-03-06T09:05:03+00:00 06.03.2009 10:05
Hi!

Sorry, hab ja schon ewig nichts mehr von mir hören lassen, aber ich habe dich und deine FF nicht vergessen. Das lag ganz einfach daran, dass mich die Länge dieses Kapitels etwas... überfordert hat. Ich habe bestimmt vier mal mit dem Kapitel angefangen und dann wieder einige Tage keine Zeit gehabt, weiter zu lesen und dann wusste ich die Hälfte nicht mehr. Naja, deshalb hat es solange gedauert bis ich Zeit hatte, das Kapitel innerhalb weniger Tage zu lesen.

Sehr komisch, dass sich Sephiroth an nichts erinnern kann, aber Vincents Theorie klingt doch schon mal sehr plausibel. Bin schon sehr gespannt, was es wirklich damit auf sich hat. Und Quistis fand Cifer schon immer irgendwie attraktiv? Und dann auch noch die Szene zwischen den Beiden... wirklich super gelungen. Ich konnte mir die Zwei zusammen nie wirklich vorstellen, aber irgendwie schaffst du es, dass ich es mir jetzt doch vorstellen kann. Respekt, bin in solchen Dingen immer ziemlich festgefahren, lasse mich aber trotzdem gern vom Gegenteil überzeugen. Das war alles sehr emotional. Eins möchte ich aber noch hinzufügen: Handys sind böse...

Vincent Valentinstag... Ist ja geil, hätte mich beinahe tot gelacht als ich das gelesen hab. Alles war irgendwie so ernst und dann kommt Irvine mit 'Vincent Valentinstag'. Wirklich ein sehr gelungener Scherz. Und Cid war ja auch wieder einmal der Brüller. Schnauzt da einfach diesen Kerl vom Ordnungsdienst an. Sehr lustig und ich mag Cids Art. Hast sie wirklich sehr gut wiedergegeben. Und das Wiedersehen fand ich allgemein sehr rührend. Die armen Kinder und der arme Cloud.

Die Szene, in der du Irvines Gefühle beschreibst, ist wirklich sehr emotional und traurig. Ich mag Irvine wirkilch sehr gerne (habe ich, glaube ich, schon ein paar mal erwähnt) und umso mehr tut er mir jetzt leid. Dabei lebt Selphie ja noch und er weiß es nicht einmal. Ach, ist das traurig. Wirklich sehr gut gelungen. Das Zusammentreffen von Irvine und Cifer ist dir auch sehr gut gelungen und die Art, wie Quistis Cifer zurecht gewiesen hat, gefällt mir irgendwie. Auch er braucht seine Grenzen.

Der arme Sephiroth. Ausnahmsweise tut er mir richtig leid, obwohl er gar nicht real ist. Aber dann lag Vincent mit seiner Vermutung also gar nicht so falsch. Auf was für Ideen du immer kommst. Das ist alles so mystseriös und spannend, dass man mit dem Lesen deiner Geschichte gar nicht mehr aufhören kann. Und das Gespräch zwischen Cloud und Anne fand ich irgendwie süß, trotzdem gehört Cloud zu Tifa, meiner Meinung nach. Naja, ich lasse mich einfach mal überraschen, was du mit den Beiden und Tifa und Squall anstellst.

Es gibt noch ein Wesen wie Nanaki? Das finde ich schön, mit tut der Arme immer total leid, weil er der letzte Überlende seiner Art ist. Und es ist schön, dass er zumindest in deiner Geschichte nicht ganz alleine sein muss. Shinahas Auftritt fand ich sehr gelungen, erst Recht, als sie Cifer so angesprungen hat. Das kam wirkich gut. Und auch der Kampf von Irvine gegen Alexander ist dir super gelungen, obwohl er im Vergleich zu den Kämpfen der anderen zuvor etwas kurz war, aber das ist nicht so schlimm. Die Beiden passen gut zusammen.

Ui, Yuffie kann auch richtig böse werden. Recht hat sie, in diesem Moment hätte mich Vincent auch genervt mit seiner kühlen Art, obwohl ich ihn auch mag. Und das Gespräch zwischen ihm und Sephiroth (mir ist übrigens aufgefallen, dass du ihn gelegentlich ohne 'h' am Ende geschrieben hast, ist aber nicht schlimm) fand ich auch irgendwie traurig. Irgendwie finde ich alles traurig. Naja, Weiber halt, ne?

Das wird ja immer spannender. Sephiroths und Vincents Kampf gegen diese Bestien war wirklich genial, dein Schreibstil ist wirklich erste Klasse. Und auch die 'Versöhnung' zwischen Sephiroth und Cloud war gut und in diesem Moment irgendwie vorhersehbar. Immerhin ist dieser Sephiroth nicht der, der das alles getan hatte. Ich glaube, du magst Sephiroth.

Der Kampf gegen Omega Weapon war klasse und auch Yuffies Kampf gegen Siren ist dir sehr gut gelungen. Ihre Erscheinung hast du wie immer fantastisch beschrieben wie man sich das in einer Fantasiegeschichte vorstellt. Ich bin wirklich sprachlos. Und auch die Beiden passen meiner Meinung gut zusammen, du hast da genau meinen Geschmack getroffen. Aber vor allem Sephiroths Supernova hast du klasse beschrieben. Du scheinst dich gut auszukennen bei all den Fachausdrücken.

Der 'Übungskampf' zwischen Cifer und Sephiroth war der Hammer und so klasse beschrieben. Man kann sich das alles wirklich bildlich vorstellen und es war wirklich spannend. Diese Kampfszene war wirklich eine der besten bisher, wirklich total genial. Nur Quistis hat gestört. Sowas aber auch... aber sie hat ja recht. Die werden, so wie ich dich kenne, ihre Kräfte noch früh genug brauchen.

Okay, jetzt habe ich auch den Kampf zwischen Cloud und Bahamut und jetzt weiß ich nicht, welchen ich besser finden soll. Diesen oder den zwischen Cifer und Sephiroth. Das war wirklich klasse und die Beschreibungen waren wieder sehr gelungen. Und ich hatte schon befürchtet, du lässt Cloud wirklich sterben, aber da gibt es ja noch Aeris. Cloud ist einfach der Größte, nicht einmal Bahamut kommt gegen ihn an. Und auch die Beiden passen super zusammen, Bahamut war schon immer mein Liebling.

So, ein ellenlanger Kommentar für ein ellenlanges Kapitel. Puh, so einen langen Kommentar habe ich noch nie geschrieben, ich hoffe aber, dass du ihn dir trotzdem lesen wirst. Und der nächste lässt sicher nicht so lange auf sich warten, denn die Kapitel haben ja wieder eine 'normale' Länge. Ich freue mich schon riesig auf das nächste Kapitel, wobei dieses hier an Spannung und allem drum und dran kaum zu schlagen ist.

LG, Doris
Von: abgemeldet
2008-12-22T15:33:01+00:00 22.12.2008 16:33
Hallo!
So, endlich habe ich es geschafft, Kapitel zwölf zu lesen und es war wie immer genial. Deine Beschreibungen der Umgebungen, vor allem Midgar, sind dir super gut gelungen. Man kann sich richtig gut vorstellen, wie es dort gerade aussieht. Auch die Gefühle der Charaktere waren wieder sehr gut beschrieben. Ich kann sehr gut verstehen, wie sich Barret fühlen muss. Was ich jedoch ein wenig lustig fand, war Renos Verhalten. Der dreht ja richtig durch, aber irgendwie auch verständlich.
Mir persönlich gefiel auch der Teil, als der Phönix aufgetaucht ist. Die Beschreibung war so schön detailliert und klang richtig schön märchenhaft. Genau so, wie man sich das bei einer Fantasy-FF eben vorstellt. Sehr gut gelungen. Auch die Zaubersprüche waren sehr gut dargestellt. Ich bin wirklich schwer beeindruckt.
Ansonsten war das Kapitel sehr aufschlussreich und auch ein wenig brutal. Rufus ist tot, Salvatori ebenfalls. Irgendwie komisch, dass Rufus jetzt tot ist. Nicht, dass er mir fehlt oder dass es mich stört, nur irgendwie ungewohnt. Und dann taucht da auch noch dieser 'Vorhang' auf, durch den man in eine andere Welt sehen kann. Alles sehr spannend.
Ich freu mich schon sehr auf das nächste (wie ich sehe sehr lange) Kapitel, in dem es ja mit Cloud und den anderen weiter geht ;)
Bis dann.
LG, Doris
Von: abgemeldet
2008-12-15T12:09:37+00:00 15.12.2008 13:09
Hallo!
So, hab wieder lange auf einen Kommentar von mir warten lassen. Tut mir wirklich leid, aber vor Weihnachten hab ich irgendwie immer viel zu tun. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel. Eigentlich wollte ich gleich noch Kapitel zwölf lesen, aber ich weiß nicht, ob ich das heute noch schaffe. Aber evtl. fange ich wenigstens noch damit an.
Nun zu Kapitel elf, das mir persönlich sehr gut gefiel. War meiner Meinung nach eines der besten Kapitel bisher. So emotional und die Gefühle waren wieder super beschrieben. Vor allem Tifas Gefühlswelt konnte man sich wunderbar vorstellen und ich habe schon fast selbst mit ihr und den anderen gelitten. Muss echt furchtbar sein, wenn man nicht weiß, was mit den wichtigsten Personen geschehen ist und sie noch dazu diese Reise ihretwegen angetreten sind.
Mir persönlich gefiel auch die Szene zwischen Tifa und Rude. Das war irgendwie süß. Aber auch die Stelle, in der Squall Xell aufgeheitert hat, war super. Was mir aber am besten gefallen hat, war das, was zwischen Tifa und Squall lief. Hab ich mich schon fast gedacht, dass zwischen denen noch was läuft. Aber ich befürchte, dass das nicht von Dauer sein wird. Immerhin sind sie aus verschiedenen Welten und dann gibt es ja immer noch Cloud und Rinoa. Ich lasse mich diesbezüglich einfach überraschen, wie immer ;)
Ansonsten bin ich schon sehr gespannt auf das nächste Kapitel und bin schon neugierig, wo Rinoa und die anderen gelandet sind. Du hörst bald wieder von mir.
LG, Phoenix
Von: abgemeldet
2008-12-01T15:18:40+00:00 01.12.2008 16:18
Huhu!
Ich bin ja heute richtig fleißig was das Lesen angeht. Aber der erste Akt war so spannend, dass ich gar nicht anders konnte, als gleich weiter zu lesen und ich bereue es nicht. Der zweite Akt war noch besser und überwältigender als der erste. Sehr spannend und vor allem super geschrieben. Kann mich meinem Vorschreiber nur anschließen: Mit diesem Kapitel hast du dich selbst übertroffen. Wirklich super gut gelungen.
Das war so schön als sich endlich alle wieder gesehen haben und doch durch diesen riesen Abgrund getrennt waren. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie man sich in einer solchen Situation fühlt. Endlich hat man denjenigen, den man schon so lange sucht, gefunden und dann wird man durch einen riesigen Abgrund getrennt. Das ist irgdendwie so traurig.
Und dann taucht auch noch dieses Wesen auf, das Squall schon bei seinem Übertritt in diese Welt gesehen hatte. Bin ja schon mal gespannt, was das alles zu bedeuten hat. Und Sephiroth, der sich an nichts erinnern kann. Alles sehr mysteriös und spannend. Und es war klasse, als Shiva und Diabolos 'erwacht' sind und sie das Wesen angegriffen haben.
Ich schätze, dass Cloud und Co. dieses Mal in Irvines Welt gelandet sind. Wer sollte der Kerl mit Mantel und Hut sonst sein. Mich würde ja interessieren, wo die anderen gelandet sind. Hört sich ja nicht so an, als wären sie jetzt wieder alle vereint. Aber ich werde es ja bald wissen. Freue mich schon aufs nächste Kapitel.
LG, Phoenix
Von: abgemeldet
2008-12-01T13:42:09+00:00 01.12.2008 14:42
Und wieder in Kapitel geschafft. Ging ja doch recht schnell, weil es ja verhältnismäßig kurz war, trotzdem wie immer super gut geworden. Und vor allem sehr spannend.
Der Kampf von Xell gegen Ifrit ist dir sehr gut gelungen. War sehr spannend und auch sehr actionreich. Schön, dass Ifrit zu Xell 'gehört'. Der Meinung war ich schon immer. Bei mir bekommt Xell im Spiel immer Ifrit ^^'' Die passen irgendwie so gut zueinander.
Lustig war die Szene, in der Tifa Squall geküsst hat und er nichts besseres zu tun hat, als diesen Moment mit "Rinoa" zu versauen. Gut, das Schallplattenquietschen passt nicht so gut, aber ich musste irgendwie trotzdem Lachen ;-) Und ich muss zugeben, dass ich langsam an dem Gedanken, dass evtl. etwas zwischen den Beiden laufen könnte, Gefallen finde. Weiß auch nicht, warum. Mal was anderes und irgendwie würden sie auch zusammen passen. Na ja, mal schauen was sich da so ergibt. Auch ihr Gefühlschaos hast du gut beschrieben. Die Arme.
Der Kampf gegen Fury war auch gut beschrieben. Ziemlich hartnäckiges Viech, was? Bin ja mal gespannt, ob ihm da jemand aus der Patsche hilft, aber davon gehe ich mal aus ;-)
Freue mich schon auf das nächste Kapitel.
LG, Phoenix
Von: abgemeldet
2008-12-01T12:36:49+00:00 01.12.2008 13:36
Hallo!
So, die Hälfte habe ich ja bereits geschafft. Ist ja doch ganz schön viel zu lesen. Puh! Aber ich werde die andere Hälfte natürlich auch weiterhin gespannt verfolgen.
Nun zu diesem Kapitel. Mir gefiel es, wie die anderen davor, wie immer sehr gut. Einmal ist mir aufgefallen, dass du statt Vincent Cid geschrieben hast, aber bei so vielen Charakteren kann man schon einmal durcheinander kommen.
Ich persönlich fand die Stelle gut, wo Cloud den Mogry mit seinem Schwert bedroht. Irgendwie so typisch Cloud, weiß auch nicht. Auch gefiel mir, dass Vaan und Penelo endlich aufgetaucht sind, obwohl ihr Autritt eher kurz war. Und der Flug nach Nabudis war gut beschrieben. Die können einem richtig leid tun, wenn sie sich da in so ein kleines Gefährt quetschen müssen.
Dann bin ich mal gespannt, wie es in Nabudis weiter geht und ob sie auf die anderen treffen ;-) Ich werde so schnell wie möglich weiter lesen.
LG, Phoenix
Von: abgemeldet
2008-11-27T16:04:07+00:00 27.11.2008 17:04
Hi!
So, Kapitel sieben hab ich mir auch gleich vorgenommen. Das muss man ausnutzen, wenn man schon mal Zeit hat ;-)
Wie das vorherige Kapitel ist dieses hier super geworden. Und die Tatsache, dass sie in FH gekracht sind, war irgendwie lustig. Weiß auch nicht, warum, aber ich musst grinsen als ich die Stelle gelesen habe. Auch Cid gehört zu den Charakteren, die mir immer wieder ein Lächeln entlocken. Ich mochte ihn im Spiel schon immer sehr gerne mit seinen Flüchen und der Art und Weise, wie er sich verhält. Es ist schön, dass du ihn in deiner FF auch so dar stellst.
Ich persönlich fand das GeEspräch zwischen Nanaki und Anne sehr gut gelungen. Mir tut Nanaki ja schon ziemlich leid, immerhin ist er der Letzte. Kann man sich gar nicht vorstellen, wie er sich fühlt, dennoch hast du seine Gefühle sehr gut beschrieben.
Ich hab mir schon gedacht, dass Quistis Cifer holen würde. Passt irgendwie, weiß auch nicht so genau. Ich finde es auf alle Fälle schön dass er dabei ist. Ich mag seine Art auch irgendwie. Und das Zusammentreffen zwischen ihm und Cid fand ich auch sehr gut gelungen ;-)
Ich freue mich schon riesig auf das nächste Kapitel. Bin ja sehr gespannt, wie es weiter geht. Mal schauen, wann ich wieder Zeit zum Lesen habe ^^
Bis dann ;-)
LG, Doris


Zurück