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NaNoWriMo 2012
von

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Kapitel eins

Willkommen bei Y2tn :D

Ich hoffe die Geschichte gefällt euch :)

Kritik nehme ich wie immer gerne entgegen ;D

Ich bin sehr gespannt, wie die Story ankommen wird, gerade weil es keine Fanfiktion sondern eine eigene Geschichte ist *g*

Viel Spaß!

________________________________
 

„Ich wollte in meinem Leben nie etwas haben, über dessen Verlust ich nicht hinweg kommen würde... ... ... doch nun ist es zu spät dafür.“
 

„Sag mal, Dem, hörst du mir eigentlich zu?“

„Hmmm?“ Ich sah auf. Um ehrlich zu sein, hatte ich ihr wirklich nicht zugehört. Eigentlich ignorierte ich meine beste Freundin nicht einfach, doch in letzter Zeit drifteten meine Gedanken des Öfteren einfach ab. Ich strich mir mit den Fingern über die Augen, die ich kurz schloss.

„Sorry, Chris, ich war für einen Moment nicht wirklich anwesend...“

„Ja, das hab ich gemerkt. Wieder bei ihm?“

„...Wo sonst?“

Sie seufzte nur.

„Guck, ich verstehe diese Aufgabe nicht. Es ist einfach total unlogisch! Die lässt sich nicht lösen!“

Ich nahm das Blatt von ihrem Platz mir gegenüber und sah kurz darüber. In meinen Augen war das nicht schwer, aber ich war auch im Mathe Leistungskurs und hatte keine Probleme mit dem Fach. Aber genau darum half ich Chris auch oft mit den Hausaufgaben.

„Guck, du erinnerst dich an die PQ-Formel? Die setzt du hier ein. Und dann rechnest du ganz normal weiter, so wie sonst auch.“

Ich reichte ihr das Blatt wieder. Sie sah sich die Aufgabe noch mal an, kritzelte etwas auf das Blatt, überlegte kurz, kritzelte weiter. Nach einigen Minuten schlich sich ein Grinsen auf ihre Lippen.

„Ich hab's!“

Sie reichte mir das Blatt.

„Bitte, Dem, sag mir, dass das richtig ist!“ Ein mitleidender Blick folge. Ich sah kurz drüber.

„Jap. Ist richtig. Glückwunsch.“

„YES! Oh, Dem, du bist so meine Rettung in dem Fach!“

Sie nahm sich die nächste Aufgabe vor. Ich starrte währenddessen gespannt die Eiswürfel in meinem Glas Cola an. Meine Hausaufgaben waren schon fertig und ich hatte nichts mehr zu tun. Eigentlich freut man sich darüber, nun Freizeit zu haben. Doch um ehrlich zu sein, ist mir Arbeit sehr viel lieber. Langeweile ist schlecht. Langeweile bedeutet, du fängst an, deinen Gedanken hinterher zu rennen. Und das ist bei mir momentan ganz böse.

„Chris, hast du irgendwas für mich zu tun? Ich mach auch deine Hausaufgaben!“

Sie sag auf, zog eine Augenbraue nach oben, sah mich skeptisch an.

„Bist du krank? Seit wann machst du freiwillig mehr Schulkram? Und nein, Mathe ist mein letztes Fach heute.“

Ich schlug meinen Kopf auf die Tischplatte.

„Was ist denn los, Demian?“ Sie legte den Stift beiseite, mit dem sie bis eben noch geschrieben hatte, legte die Hände verschränkt auf die Tischplatte und den Kopf darauf, während sie mich ansah.

„Es wird schlimmer.“, antwortete ich nur.

„Mit Jay?“

Ich nickte nur.

„Wie lange geht das jetzt schon?“

Ich überlegte kurz.

„Keine Ahnung... 4 Jahre? Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, wann es angefangen hat. Ich hab das Gefühl, ich bin ihm schon immer verfallen gewesen.“

Chris seufzte.

„Ach Dem... meinst du nicht, du solltest es ihm mal sagen?“

Ich schreckte auf.

„Spinnst du? Damit er mich hasst und sich komplett von mir abwendet? Vergiss es. Lieber schluck ich die Gefühle ewig herunter als es zu riskieren ihn zu verlieren.“

Ich nahm einen Schluck meiner Cola.

„Bitte Chris... lass uns über etwas anderes reden.“

Und somit ging unser Gespräch zurück zum Thema Schule.
 

Chris war die Einzige, die über die Sache Bescheid wusste. Doch das hieß nicht, dass ich darüber reden wollte. Es tat gut, zu wissen, dass es jemand weiß, und ich mich zu jemanden flüchten konnte, wenn es mal wieder zu viel wird. Aber momentan will ich es einfach nur verdrängen.
 

Ich blieb bei ihr bis zum Abend. Um ehrlich zu sein hab ich nicht einmal gemerkt, dass es dunkel wurde. Eigentlich wäre ich schon längst zu Hause oder hätte angerufen. Ich verabschiedete mich von Chris und machte mich auf den Heimweg. Zu Fuß brauchte man vielleicht 20 Minuten. Ich stöpselte mir die Kopfhörer in die Ohren und drehte die Musik voll auf. Mein Hirn sollte bloß keine Möglichkeit bekommen, abschweifen zu können.

Ein kalter Wind wehte durch die Straßen und ich zog meine Jacke enger an mich. Ich mochte diese Jahreszeit nicht. Es wird zu früh dunkel, es ist kalt und nass und man kann nach 17 Uhr kaum noch was draußen unternehmen. Mein Atem verwandelte sich vor meinen Augen in Dampf und verschwand in der kalten Novemberluft.

Mein iPod begann „Wie es geht“ von den Ärzten zu spielen und ich blieb stehen.

Soviel zum Thema ‚nicht denken bei Musik’. Warum hab ich dieses Lied überhaupt drauf gemacht? Ich lehnte mich gegen die nächste Hauswand und machte die Musik aus. Memo an mich: Lieder ohne bösen Texten suchen. Doch wenn man will kann man sich in jedem Lied wiederfinden, so wenig es auch mit dem Thema zu tun haben mag.

Ich sackte an der Wand nach unten, setzte mich auf den kalten Bürgersteig. Wenige Momente später war meine dünne Jeans durchgefroren, aber das kümmerte mich nicht. Ich zog die Beine an, schlang meine Arme um diese und legte den Kopf darauf.

Verweilte so.

Eine Weile.

Wie lange genau wusste ich nicht. Ich bewegte mich erst wieder als mein Handy in der Tasche vibrierte, und da fühlten sich meine Knochen schon seltsam steif an.

Ich kramte mein Handy heraus und gucke aufs Display. Ein kleines Lächeln erreichte mein Gesicht. War es nicht ironisch, dass er gerade jetzt anrief?

„Hi Jay.“, antwortete ich dem Anruf.

„Dem! Du bist du gerade? Es ist schon dunkel und recht spät und du hast dich nicht gemeldet...“

„Sorry...“ Ich atmete einmal tief durch.

„Ich bin auf dem Weg nach Hause. War noch bei Chris.“

„Soll ich dich abholen?“

„Brauchst du nicht, es ist nicht mehr weit...“

Ein paar Sekunden Stille.

„Ich komm dir entgegen. Bis gleich.“ Damit hatte er aufgelegt.

Einem Moment lauschte ich noch dem Tuten, dann legte ich auch auf.

Na Klasse.

Jetzt hieß es, sich zusammenzureißen.

Ich stand auf, langsam, da mein Körper schon leicht angefroren war und klopfte mir den Staub von der Hose. Tief atmete ich die viel zu kalte Luft ein, bevor ich loslief. Ich wollte sicher nicht, dass Jaden mich am Boden kauernd sah.
 

Es dauerte keine 5 Minuten, bis ich ihn schon auf mich zukommen sah. Mein Herz hüpfte kurz in meiner Brust und ich hielt mir eine Hand an diese.

Zusammenreißen!

Ich hob eine Hand zum Gruß, er beschleunigte seine Schritte, bis er direkt vor mir stand und meine Hände ergriff. Es dauerte einen kurzen Moment, bis ich begriff, dass er mir nur zwei Taschenwärmer in meine Hände drückte, und ich war froh, dass die Nacht mein rotes Gesicht verbarg.

„Danke...“, murmelte ich.

Er lachte, „Nicht dafür, Dem.“, und lief nun neben mir. „Deine Hände sind eiskalt. Nimm nächstes mal Handschuhe mit. Und ein Schal würde auch nicht schaden.“

„...jaah Mama...“

„Hey~“, ein Kichern, “Ich mach mir nur Sorgen um dich.”

Manchmal fragte ich mich echt, wer von uns älter war. Um die Frage zu beantworten: Ich bin es. Es ist zwar nur ein Jahr, aber ich bin mittlerweile volljährig und er noch nicht.

Wir erreichten unsere Tür und die warme Luft schlug mir schlagartig ins Gesicht und kribbelte unangenehm auf der Haut. Jaden zog sich seine Schuhe und Jacke aus und begab sich in die Küche.

„Hast du schon gegessen?“

Ich brauchte zum Entkleiden ein bisschen länger.

„Nicht wirklich, aber mach dir wegen mir keine Mühe.“

Wieder lachte er. Ich liebe es wenn er lacht. Es klingt für mich wie Engelsglocken.

„Keine Sorge, ich hab noch Pizza über, die schmeiß ich eben in die Mikro. Das ist keine Mühe.“

Nur wenige Sekunden später hörte ich auch schon das Summen des Elektrogerätes. Ich hing meine Jacke an die Garderobe und setzte mich ins Wohnzimmer, genoss die Wärme des Raumes, welche vor allem durch das Kaminfeuer zustande kam.

Ich mochte Feuer. Ich mochte es, den Flammen zuzusehen wie sie flackerten und größer oder kleiner wurden. Nur am Rande bekam ich mit, dass das Geräusch der Mikrowelle erlosch und Jaden in den Raum kam. Dafür spürte ich seine Anwesenheit umso deutlicher als er sich neben mich setzte und mir den Teller mit der Pizza reichte.

Zusammenreißen, Demian!!

Ich biss in das erste Stück und merkte, wie hungrig ich eigentlich war. Eine Weile hörte man nichts außer dem Geräusch des Pizzaessens und das Knistern des Feuers.

„Ist Grace zu Hause?“, brach ich die Stille.

„Nee, die übernachtet bei ihrem Freund.“

„Mom und Richard?“

„Sind ausgegangen.“

Das hieß, wir waren allein zu Hause. Ich schloss kurz die Augen.

Klasse.

Eigentlich freut man sich über sturmfrei. Nun... ich mich nicht. Und wie aufs Stichwort begann mein Herz schneller zu schlagen.

Genau darum.

Das war nicht gut. Gar nicht gut.

Schnell aß ich meine Pizza auf und stand dann auf.

„Ich geh duschen. Kann ne Weile dauern.“ Damit verließ ich das Wohnzimmer, stellte den Teller noch in die Küche und ging nach oben ins Bad.

Ich schaute in den Spiegel.

„Du siehst ganz schön scheiße aus, Demian“, sagte ich zu mir selbst.

Mein schwarzes Haar hing stumpf und zerzaust herunter, tiefe Augenringe umrandeten meine braunen Augen. Doch bald hatte ich keine Lust mehr auf mein Spiegelbild und wandte mich ab, zog meine Klamotten aus und stieg unter die warme Dusche. Das Wasser tat meiner Haut unglaublich gut. Ich genoss das Gefühl. Und doch machte es mich nervös, mit Jaden allein im Haus zu sein. Es ist nicht das erste mal, dass wir alleine zu Hause wären. Natürlich nicht. Aber die Male zuvor war es nicht so schlimm. Ich stellte das Wasser aus.

Tief durchatmen.

Zusammenreißen.

Das klappt schon, Dem! Du legst dich gleich schlafen und gut ist!

Mit dem Gedanken verließ ich die Dusche und schnappte mir mein Handtuch, welches ich mir um die Hüfte band. Es machte Jay nichts aus, wenn ich so in unser Zimmer kam und für mich war es angenehm, da ich meine Klamotten nicht erst raussuchen und mit ins Bad nehmen musste. Ja, ich bin oft sehr faul.

Jaden lag auf seinem Bett, als ich unser Zimmer betrat, und war in irgendwelchen Schulunterlagen vertieft. Ich ging zu meinem Kleiderschrank und suchte meine Sachen heraus.

„Dem? Kannst du mir diese Formel erklären?“

Ich zog mich zu Ende an und kam dann zu ihm rüber. Mit wenigen Sätzen erklärte ich die physikalische Formel und wie man die Aufgabe am besten löst. Er folgte meinen Anweisungen.

„Wow, das ging schneller als gedacht. Danke!“

Ich lächelte nur, ging dann zu meinem Bett und legte mich in dieses.

„Willst du etwa schon schlafen?“, fragte Jay schmollend.

„Sorry, ich bin müde...“

„Ich dachte wir könnten noch ein wenig reden...“ Er lehnte sich in meine Richtung.

„Rede ruhig, ich hör zu.“

„Das ist nicht das selbe... dann kann ich es auch der Wand erzählen.“ Jay stand auf und machte das Licht aus bevor er sich wieder in sein Bett legte. Ich seufzte.

„Okay, Jay, leg los.“ Ich konnte ihm einfach nichts ausschlagen. Und im Grunde war ich auch sehr glücklich darüber, dass er mir alles anvertraute. Wir haben uns mal geschworen, keine Geheimnisse voreinander zu haben, und auch, wenn ich das schon seit einer Weile nicht mehr halten konnte, erzählte er mir trotzdem noch alles.

„Also?“, fragte ich, als nach einigen Sekunden immer noch nichts kam.

„Ich glaube, Summer mag mich.“

Mein Herz setzte kurz aus. Zusammenreißen!

„Natürlich mag sie dich, ihr seid seit Jahren befreundet.“

„Doch nicht so! Ich glaube, sie ist in mich... verliebt...“

Natürlich wusste ich, was er meinte. Jaden war wohl der einzige, der es erst jetzt checkt. Summer, ein hübsches Mädchen mit roten Haaren, rennt ihm schon hinterher, seit wir Kinder waren. Länger noch, als ich es tue. Man muss schon Tomaten auf den Augen haben, um das nicht zu sehen. Und die hatte er scheinbar.

„Wie kommst du darauf?“, fragte ich unschuldig.

„Nun ja... sie schaut mich in letzter Zeit so komisch an...“

Nicht erst seit letzter Zeit, Jay...

„...und sagt so doppeldeutige Sachen. Es ist ganz komisch. Was mach ich denn, wenn es echt so ist, Dem?“

Ich schwieg einige Sekunden. Summer hat bis jetzt nichts gesagt, also wird sie wohl auch weiter schweigen. Oder? Was, wenn sie alles auf eine Karte setzt?

„Dann entscheidest du, ob du sie auch magst und gehst mit ihr aus oder gibst ihr nen Korb.“

Mein Kopf schrie: Dann schießt du sie zum Mond! Aber Eifersucht war hier gerade nicht angebracht...

„Aber warte doch erst mal ab. Du weißt doch nicht, ob sie wirklich so fühlt.“

„Ja... du hast wohl Recht...“

Eine Weile war Stille.

„Danke, Dem. Du heiterst mich immer auf und weißt für alles Rat. Einen besseren Bruder kann man nicht haben. Schlaf gut!“ Damit drehte er sich um und mein Herz begann in tausend Splitter zu verfallen.

„Ja...“, flüsterte ich leise in die Stille hinein.

„Bruder...“

Kapitel zwei

Ich hasste dieses Wort.

Hasste es so sehr.

Und doch war es präsent. Die ganze Zeit.

Ich schlief glücklicherweise recht schnell ein, doch verfolgten Träume meinen Schlaf.

Ich träumte von früher.

Wie alles begann und wie sich mein Leben seitdem verändert hatte. Das erste, was ich sah, war mich selbst, meine Schwester und unsere Mutter im Krankenhaus. Grace und ich waren damals gerade mal 3 Jahre alt und verstanden das alles noch nicht so richtig. Ich erinnere mich noch daran, wie ein Arzt auf uns zukam und unserer Mutter etwas erzählte, woraufhin sie anfing zu weinen.

Sie erklärte uns später, Papa sei nun im Himmel und würde nicht wiederkommen.

Ich konnte damit nicht viel anfangen, doch den Gedanken, ihn nicht wiedersehen zu können, brachte mich Nacht für Nacht um den Schlaf. Ich vermisste ihn schrecklich und kam damit nicht klar. Ich wurde zum Problemkind, zeigte aggressives Verhalten im Kindergarten, schrie oft ohne Grund los.

Das war meine erste Begegnung mit dem Tod.

Grace hat das viel besser verkraftet, aber sie war immer schon ein Mamakind gewesen. Natürlich war sie auch traurig gewesen, keine Frage, doch bei ihr ging das Leben nach der Trauerzeit normal weiter und bei mir schien es still zu stehen. Ich verweigerte eine Zeit lang das Essen und besuchte einen Kinderpsychologen. Durch die ganze Sache begann ich zu vereinsamen, da niemand mehr mit mir spielen wollte, aus Angst ich würde plötzlich zuschlagen. Doch meine Mutter gab sich die größte Mühe mit mir und schon bald nahmen die Aggressionen ab und verschwanden letztendlich ganz.

Doch mein Ruf im Kindergarten hatte ich weg. Es waren nicht unbedingt die Kinder, die ein Problem darstellten – eher die Eltern, die ihren Kindern verboten, mit mir zu spielen. Und wie Kinder nun mal so sind hielten sie sich an die goldenen Worte ihrer Eltern. Während Grace also immer umringt von ihren Freundinnen war, saß ich alleine in einer Ecke und spielte für mich selbst. Meine Mutter hatte sich furchtbar über die anderen Eltern aufgeregt, doch diese wollten davon nichts wissen.
 

Dann kam der Tag an dem unsere Mutter uns erklärte, sie hätte einen neuen Mann kennen gelernt und würde diesen ganz gerne mögen. Wir würden zu ihm ziehen.

„Und was ist mit Papa?“, fragte ich unschuldig.

„Papa ist nun im Himmel, Dem. Von da kann er nicht zurück. Wir werden irgendwann auch in den Himmel kommen aber bis dahin möchte Papa, dass wir hier auf der Erde glücklich werden.“

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, aber die Erklärung kam mir logisch vor und wenn dieser Mann Mama glücklich machte, bis sie zu Papa in den Himmel kann, war das doch okay, oder?

Heutzutage glaube ich weder an den Himmel noch an die Hölle, doch damals war es für mich sehr wichtig(,) zu glauben, Papa sei nicht einfach verschwunden sondern lebt irgendwo weiter. Wie ein Strohhalm, an den man sich klammert, wenn alles aussichtslos erscheint. Er war Chemielaborant gewesen und eines Tages ist in seinem Labor etwas sehr schief gelaufen. Zwei weitere Personen starben an dem Tag. Heute weiß ich, dass es nicht seine Schuld war, er war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.
 

Grace und ich waren 6 und kurz vor der Einschulung als wir umzogen. Der Mann, Richard Cutney, wohnte in einem schönen(,) großen Haus in einer anderen Stadt. Er war sehr nett zu uns und wahnsinnig herzlich. Doch ich konnte mich wohl an ihn gewöhnen. Während Mama und Richard die Möbel in das Haus brachten und aufbauten, sah ich mir mein neues Zuhause genauer an. Ich erkundete das Wohnzimmer, die Küche, das Bad, fand das Elternschlafzimmer und das Zimmer, welches später Grace gehören würde. Ich fand es sehr gut, nicht mehr mit ihr in einem Zimmer sein zu müssen. Auch, wenn wir Zwillinge waren, hatten wir im Grunde nichts gemeinsam außer unseren Geburtstag. Nicht einmal Haar- und Augenfarbe. Sie hatte die braunen Locken von Mama geerbt, während ich die schwarzen Haare von Papa hatte. Ihre Augen waren blau, meine braun. Ich spielte nicht mal gerne mit ihr. Die Verbundenheit, die viele Zwillinge aufwiesen, war bei uns einfach nicht vorhanden. Noch nie gewesen. Sie war einfach eine normale Schwester, mehr nicht.

Ich ging weiter und erreichte das letzte Zimmer, das, welches wohl meines werden würde. Ich öffnete die Tür und sah verwirrt ins Innere. Auf dem Boden saß ein blonder Junge, etwa so alt wie ich, und spielte mit diversen Autos.

Das war Jaden.

Es dauerte einige Sekunden, bis er sich umdrehte und mich bemerkte. Ein riesengroßes Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht, er sprang auf und rannte zu mir rüber, nahm meine Hände in die seinen und sah mich mit seinen blauen Augen wahnsinnig fröhlich an.

„Du bist Demian, nicht wahr?“ Ich nickte nur verwirrt. „Ich freu mich so dich endlich zu treffen! Ich wollte schon immer einen Bruder. Papa hat gesagt ich hab nun einen Bruder und eine Schwester, das ist so toll!“ Er zerrte mich in den Raum und setzte sich wieder auf den Teppich in der Mitte des Raumes. Dann reichte er mir ein blaues Auto.

„Hier. Das ist mein Lieblingsauto, aber ich schenk es dir. Dann können wir zusammen spielen!“

Ich nahm das Auto entgegen und grinste.

Das Auto hab ich heute noch.
 

Bis ich Jaden in seinem Zimmer sah, wusste ich nicht, dass ich einen Stiefbruder haben würde. Aber ich freute mich wahnsinnig darüber. Er war ein Sonnenschein, immer gut gelaunt und er steckte seine gesamte Umgebung mit dieser guten Laune an. Er war genau das, was ich brauchte. Seine Anwesenheit tat mir unglaublich gut und ich wurde selbst immer fröhlicher und aufgeschlossener. Ich teilte mir mit ihm ein Zimmer und schon bald wurde er mehr als nur mein Bruder – er wurde mein bester Freund.
 

Der Traum verschwamm und ich wachte auf. Es war noch dunkel draußen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es halb 2 nachts war. Ich setzte mich auf und trank einen Schluck aus der Flasche, die immer neben meinem Bett stand.

„Dem? Bist du wach?“, flüsterte Jay in die Dunkelheit hinein.

„Ja.“, flüsterte ich zurück.

„Kann ich zu dir kommen?“

Ich lächelte leicht.

„Natürlich.“

Jetzt nur den Herzschlag ignorieren...

Jay kam rüber in mein Bett und legte sich neben mich.

„Alptraum?“, fragte ich leise.

„Mhm...“

Es kam früher sehr oft vor, dass mein Sonnenschein Alpträume hatte, doch je älter wir wurden, desto weniger wurden sie. Ich legte meinen Arm über seine Schulter und fing an, seinen Nacken zu kraulen. Für Außenstehende würden wir bestimmt aussehen wie ein Paar, aber für uns war das ganz normal. Es hatte sich mit der Zeit einfach so ergeben.

Es dauerte nicht lang, bis Jays Atmen ruhiger wurde und er neben mir einschlief. Ich atmete einmal tief durch, nahm seinen Geruch wahr und genoss seine Anwesenheit.

Ich erinnerte mich daran, wie er damals das erste mal mit mir in einem Bett schlief. Damals war ich gerade ein paar Tage bei ihm eingezogen, als ich ein leises Schluchzen von seiner Seite des Zimmers hörte.

„Jay?“ Das Schluchzen hörte auf. „Was ist los?“

„Ich hab schlecht geträumt...“ Seine Stimme hörte sich verweint an. Ich wusste in dem Moment nicht, was ich machen sollte. Ich wollte nicht, dass er weint, aber ich war noch so klein und wusste keinen Rat. Grace hatte nachts nie geweint. Doch er nahm mir die Entscheidung ab und fragte von sich aus, ob er zu mir kommen durfte. Und natürlich durfte er das. Ich nahm ihn in die Arme und langsam wurde er ruhiger.

„Was hast du geträumt?“, fragte ich

„Ich weiß es nicht mehr genau... aber am Ende waren alle weg und ich war allein. Ich will nicht allein sein...“

„Das bist du nicht. Du hast deinen Papa und Mama und Grace und mich. Wir verlassen dich nicht.“

Er kuschelte sich näher an mich.

„Ja...“ Und wenige Momente später war er eingeschlafen.

Seitdem kam er bei Alpträumen immer zu mir.

Die meisten seiner Träume handelten vom Alleinsein. Auch, wenn man ihm das auf dem ersten Blick nicht anmerken mag, er hat wahnsinnige Verlassensängste. Er zeigt es zwar nach außen hin niemanden, aber wenn man von klein auf mit ihm zusammen lebt, entgeht einem das nicht. Es ist nicht einmal so, dass er keine Freunde hätte, im Gegenteil, er ist wahnsinnig beliebt in der Schule. Er ist einfach immer gut gelaunt und seine Umgebung profitiert davon. Woher seine Angst dann kommt, fragt man sich?

Wahrscheinlich, weil seine Mutter so früh gestorben ist.

Ich habe nie genau nachgefragt, aber kann es mir nur so denken. Wir reden nicht gerne über unsere toten Elternteile. Als wir klein waren fragte er einmal

„Dein Papa ist jetzt ein Engel, oder?“

Ich guckte ihn fragend an.

„Na, er wohnt doch im Himmel, nicht wahr?“

Ich nickte stumm.

„Dann ist er auch ein Engel, denn nur Engel dürfen im Himmel leben. Meine Mama ist auch ein Engel.“

In dem Moment wurde sein Lächeln schwächer.

„Papa sagt, dass die Engel über uns wachen und vom Himmel aus auf uns aufpassen.“

Er wurde leiser.

„Aber dort kann ich sie nicht umarmen. Ich freu mich ja, dass sie auf mich aufpasst, aber manchmal wünsch ich sie mir hier zu mir, auf die Erde...“

Das war einer dieser Momente, in denen ich nicht weiß, was ich darauf erwidern soll.

„Aber es ist okay. Ich hab ja noch dich und Grace und Papa und Susan.“

Er fand sein Lächeln wieder.
 

Seitdem haben wir das Thema kaum wieder angesprochen. Ich bin auch nicht wirklich scharf darauf, darüber zu reden. Dads Tod hat in meiner Kindheit genug Probleme verursacht. Ich weiß nicht einmal, ob ich wirklich darüber hinweg bin. Wie merkt man das? Ich hab zwar keine Probleme mehr deswegen, aber seit ich Jay kenne, habe ich mich mit dem Thema kaum noch auseinander gesetzt. Jay hat mich einfach zu sehr abgelenkt und ich hab das Thema verdrängt. Aber muss man sich wirklich damit auseinander setzen, um darüber hinweg zu kommen? So, wie es jetzt ist, ist es doch gut. Und ich lebe jetzt schon 15 Jahre ohne meinen Dad, hab keine Alpträume, keine Verhaltensauffälligkeiten, nichts.

Jay allerdings hat Alpträume und hasst es, alleine zu sein. Vielleicht hat er mich deswegen vorhin abgeholt?

Möglich.

Das heißt doch aber, er hat den Tod seiner Ma nie ganz verarbeiten können, oder? Man verarbeitet das Leben immerhin in seinen Träumen und seit ich ihn kenne, mittlerweile 12 Jahre, hatte er keinen anderen Grund dazu, Angst vor der Einsamkeit zu haben. Vielleicht sollte ich ihn doch mal vorsichtig darauf ansprechen. Vielleicht.

Als ich erneut auf die Uhr schaute, war es kurz nach zwei. Morgen ist Schule. Ich entschloss mich, die Augen zu schließen und zu schlafen. Mit Jay in meinen Armen klappte es wie immer ziemlich gut.

Kapitel drei

Am nächsten Morgen wachte ich auf, weil sich neben mir etwas bewegte. Oder besser gesagt: Jemand. Ich begann zu murren und schlug die Augen auf.

„Oh, tut mir Leid, Dem. Ich wollte dich nicht wecken. Ich spring nur eben unter die Dusche.“ Mit den Worten war mein Sonnenschein auch schon aus dem Zimmer verschwunden und nahm all seine Wärme mit sich. So klischeehaft es sich auch anhört, aber nun verstehe ich so manche Schnulzgeschichte sehr viel besser. Ich rappelte mich auf und ging zum Kleiderschrank, um meine Sachen für den Tag herauszusuchen. Jay war ein Frühduscher, doch ich zog es vor, abends zu duschen. Da Grace, Mum und Richard auch lieber morgens duschen, hatte ich das Bad abends für mich alleine. Das war doch recht angenehm.

Ich kramte meine Schulsachen zusammen, zog mich an, machte meine Haare zurecht, die mittlerweile schon wieder so lang waren, dass es für einen kleinen Zopf reichte und ging nach unten in die Küche. Auf dem Tisch war eine kleine Notiz:

„Sind schon unterwegs, im Kühlschrank ist noch ein Rest Schinken, ansonsten nehmt euch Kellogs. Sind pünktlich zum Abendessen wieder da. S & R“

Sie unterschrieben immer mit ihren Anfangsbuchstaben. Sie hätten auch Mum & Dad schreiben können, immerhin war Susan meine Mutter und Richard Jays Vater, doch das wäre irgendwie komisch gewesen und mir unangenehm. Ich hab mich stets geweigert, Richard als Vater anzusehen. Er ist nicht mein Vater und wird es nie sein. Er ist klasse und ich mag ihn sehr, aber ich habe nur einen Dad, und das wird immer so bleiben, auch, wenn dieser im Himmel ist. Jay hat unsere Mum auch nie als Mutter angesehen, auch, wenn er sie genauso sehr schätzt wie ich seinen Vater. Unsere Eltern akzeptieren das. Und auch, wenn die beiden nun den Nachnamen ‚Cudney-Hazard’ tragen, blieben Grace und ich bei Hazard und Jay bei blieb bei Cudney.

Ich holte die Milch aus dem Kühlschrank und ein paar Kellogs aus dem Board und begann zu essen. Meine Portion war schon fast leer, als Jay in die Küche kam, voll bekleidet und mit Schultasche.

„Susan und Dad sind nicht da?“

Ich schob ihm den Zettel hin, da ich gerade den Mund mit Smacks voll hatte. Er bediente sich ebenfalls an den Kellogs.

„Schreibst du heute den Test?“, fragte er, bevor er einen großen Löffel in den Mund stopfte. Er meinte den Mathetest, wegen dem ich die letzten beiden Tage bei Chris war, um ihr zu helfen. Ich nickte.

„Ja, aber ich mach mir da keine Gedanken drum.“

„Na wenn man’s kann.“, er grinste. Jay war naturwissenschaftlich nicht gerade begabt, gleiches galt für Mathe. Seine Stärken waren Sprachen und Geschichtliches. Ich war das genaue Gegenteil. Meine Leistungsfächer waren Mathe und Physik, dafür konnte ich Geschichte vergessen. Dennoch waren wir beide nicht gerade schlecht in der Schule, wir gehörten sogar zu den besten unseres jeweiligen Jahrgangs.

„Wann hast du heute Schluss?“, fragte ich, während ich meine Schüssel in die Spüle stellte.

„Nach der 8. Du?“

„Nach der 6. Soll ich auf dich warten?“

Es kam gelegentlich vor, dass einer von uns auf den jeweils anderen wartete, damit wir zusammen nach Hause laufen konnten.

„Brauchst du nicht, ich wollte nach der Schule noch mit Troy und Lucas in die Bücherei, um für eine Klausur zu lernen. “

„Achso.“ Ich sah leicht enttäuscht zu Boden, schnappte mir dann meine Tasche und meine Jacke und zog mir die Schuhe an. Jay tat es mir gleich und wenige Minuten später verließen wir die Haustür. Es war zwar hell draußen, aber wahnsinnig kalt. Ich packte meine Hände in die Taschen und zog den Kopf ein. Jay hatte Recht, Handschuhe und Schal würden wirklich gerade ganz praktisch sein...
 

Wir erreichten unsere Schule nach 15 Minuten. Ich verabschiedete mich von Jay und begab mich zu meinem Matheraum, wo Chris schon sehnsüchtig auf mich wartete.

„Dem! Ich hab die Aufgaben gestern noch gelöst, kannst du noch mal schnell drüber gucken?“ Ich nahm das Blatt entgegen, welches sie mir hinhielt und sah über die Lösungen.

„Bis auf eine sind alle korrekt.“, grinste ich sie an, „und hier ist nur ein kleiner Rechenfehler an dieser Stelle.“ Ich zeigte ihr den Fehler und riet ihr, ruhig zu bleiben.

„Nur nicht die Nerven verlieren, du packst das schon.“ Sie bedankte sich. Es gongte und der Lehrer erschien, um uns die Tür zu öffnen. Wir waren heute über 30 Schüler in diesem Kurs, da der Grund- und Leistungskurs einmal die Woche zusammengelegt wurden. Aufgrund von Lehrermangel. Irgendwie müssen wir neun L.K-ler ja auf unsere Stunden kommen, auch, wenn diese Lösung wirklich sehr bescheiden war. Ohne viele Umschweife wurden die Tests ausgeteilt und ich besah das Blatt gelangweilt und fing an zu rechnen. Es dauerte keine zehn Minuten, bis ich fertig war, meinen Namen aufs Blatt schrieb und abgab. Eigentlich hatten wir 30 Minuten Zeit gehabt. Ich sah zu Chris, die konzentriert auf ihr Blatt starrte und immer wieder etwas hinkritzelte. Schien ganz gut zu laufen.

Die restlichen 20 Minuten verbrachte ich damit, aus dem Fenster zu starren und das zu tun, was ich eigentlich nicht tun sollte.

Nachdenken.

Mal ganz ehrlich: Wann hatte es angefangen? Wann hatte ich mich in meinen Stiefbruder verliebt? Ja verdammt, ich war in ihn verschossen und zwar so richtig.

Es war so falsch.

Er war mein Bruder.

Dass wir nicht blutsverwandt waren, änderte daran gar nichts. Wir sind zusammen aufgewachsen, verdammt. Es war so falsch. Doch wie konnte sich etwas, dass so falsch war, nur so richtig anfühlen?

Jay ist für mich das Wichtigste auf der Welt und ich will ihn auf keinen Fall verletzten oder gar verlieren. Und das würde ich, wenn er es herausfinden würde. Es würde sein Vertrauen in mich zerstören. Ich habe schon so oft versucht, meine Gefühle zu ändern, doch es geht einfach nicht. Immer, wenn ich denke, es endlich in den Griff zu bekommen, lächelt er mich an oder macht irgendetwas süßes und ich bin ihm wieder komplett verfallen. Zuerst war ich einfach nur gerne in seiner Nähe, dann fing irgendwann das Herzklopfen an. Erst nur leicht, dann immer heftiger. Und damit kam auch die Nervosität. Anfangs habe ich es einfach auf die Pubertät geschoben, doch the fuck, ich bin mittlerweile 18! Irgendwann ist die Pubertät auch mal vorbei!
 

Der Lehrer erhob seine Stimme und sammelte die Tests ein. Den Rest der Doppelstunde konnte ich mich nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren. Wenn man erst einmal anfängt, in seine Gedanken einzutauchen, kommt man da auch nicht mehr einfach so raus. Doch der Stoff dieser Stunde waren eh nur Wiederholungen, darauf konnte ich auch getrost verzichten. Vor allem, da es Mathe war.

Es gongte und kündigte die erste Pause an. Chris kam zu meinem Tisch gelaufen

„Es lief gar nicht mal schlecht. Ich glaube, der Test war ein persönlicher Erfolg!“, grinste sie mich an.

„Freut mich.“ Ich nahm meine Tasche und Jacke und erhob mich, zusammen verließen wir den Raum und begaben uns zum Schulhof. Nur wenige Minuten später kamen Jay und einige seiner Freunde zu uns. Jay und ich verbrachten die Pausen fast immer zusammen. Ich sagte ja bereits, wir waren nicht nur Brüder, sondern auch beste Freunde.

In dem Moment realisierte ich, dass ich damit sogar 2 Tabus auf einmal brach.

Super, Demian, ganz klasse.

Wir redeten über irgendwelche belanglosen Dinge, wie unfair die Lehrer mal wieder waren, wer gestern im Fußball gewann... so was halt. Ich hörte den anderen nur halb zu und verabschiedete mich letztendlich etwas früher als nötig, um zur nächsten Stunde zu gehen. Bei mir stand nun Englisch auf dem Plan, eines der wenigen Fächer, die ich nicht mit Chris gemeinsam hatte. Ich setzte mich auf eine der Bänke vor dem Klassenraum und wartete.
 

Der Schultag zog sich in die Länge, auch, wenn ich nur 6 Stunden hatte. Ich konnte mich auf keines der Fächer konzentrieren, und das nervte mich ganz schön. Gerade jetzt in der 13. Klasse war der Unterricht echt wichtig und ich wollte es mir nicht leisten, noch kurz vor dem Abschluss etwas wichtiges zu verpassen.

Als ich nach Hause ging, war es ein wenig wärmer geworden, aber immer noch viel zu kalt für mich. Ich stöpselte meine Kopfhörer in die Ohren und drehte die Musik voll auf.

Es war langweilig, alleine nach Hause zu gehen. Ich mochte es, Jay zuzuhören, wenn er von seinem Tag erzählte. Ich mochte es einfach, seine Stimme zu hören. Doch stattdessen lauschte ich nun den Tönen von Linkin Park.

Zu Hause angekommen, kramte ich mir eine Pizza aus dem Tiefkühlfach und stellte den Ofen an, bevor ich den Fernseher anmachte und mich auf der Couch niederließ. Ich zappte durch die Kanäle, aber fand nichts was sich wirklich zu gucken lohnte. Ich war auch nicht gerade der Typ Mensch, der viel TV schaute, aber alleine zu Hause hatte ich nicht wirklich große Lust auf etwas anderes. Ich blieb bei irgendeinem Film stehen, einer Liebesschnulze wo ein Mann seiner Freundin gerade die Zunge in den Hals steckte. Ein Klingeln sagte mir, dass der Ofen vorgeheizt war. Perfektes Timing! Ich flüchtete in die Küche, schob die Pizza in den Ofen und stellte den Timer auf 17 Minuten.

„Versteh doch, Jack. Wir können nicht zusammen sein!“, hörte ich den Fernseher aus der Stube. Ich lauschte.

„Aber ich liebe dich, Sarah!“

„Versteh doch, unsere Eltern würden das nie erlauben!“

„Das ist mir egal, dann brennen wir eben durch!“

Ich seufzte, ging zurück und wechselte auf einen Musiksender.

Die hatten es gut. Die liebten sich wenigstens gegenseitig. Eine einseitige Liebe war doch echt das Dümmste, was einem passieren konnte. Warum konnte ich mich nicht in einen anderen Jungen verlieben? Oder in ein Mädchen? Warum nicht in Chris? Warum, du blödes Herz, musstest du von allen Menschen auf der Welt ausgerechnet meinen Bruder wählen? Du entscheidest doch sonst immer richtig. Warum denn nicht diesmal?

Ich seufzte erneut.

Das würde nichts bringen.

Ich schlug gegen ein Kissen und versuchte, die Musikvideos zu verfolgen.
 

Den Rest des Tages verbrachte ich mit meinen Hausaufgaben, gefolgt von auf dem Bett liegen, Musik hören und die wahnsinnig spannende Zimmerdecke anstarren. Irgendwann hörte ich die Haustür und wusste, dass Grace nach Hause gekommen war. Doch das interessierte mich nicht sonderlich. Auch, dass Mom und Richard wieder da waren und kurz in mein Zimmer schauten, um Hallo zu sagen, nahm ich nur am Rande wahr. Erst, als Jay abends ins Zimmer kam, sah ich auf.

„Warum liegst du denn hier im Dunkeln?“, fragte er, während er das Licht anmachte. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass es so dunkel geworden war. Ich zuckte mit den Schultern.

„War das Lernen erfolgreich?“ Ich drehte mich um, um in seine Richtung gucken zu können.

„Jaah... es geht...“ Er legte seine Schultasche auf sein Bett, setzte sich dann daneben.

„Summer kam noch vorbei. Troy hat mir erzählt, dass wir uns zum Lernen treffen wollten und wo wir sind.“ Er wurde leicht rot. Ich zog eine Augenbraue nach oben.

„Dann hat sie mitgelernt?“

„Nicht... so ganz...“

„Was dann? Habt ihr was ausgefressen?“

Er verhielt sich echt merkwürdig.

„Nein, sie...“ Er atmete einmal tief durch. „Sie hat mich zur Seite genommen... und mir gesagt, dass sie in mich verliebt ist. Und gerne... mit mir ausgehen würde.“

NEIN!

Nein, nein, nein... es fühlte sich an, als ob ein Messer in mein Herz gerammt wurde. Ich hätte heulen können. Nur nicht die Nerven verlieren, Dem. Ganz ruhig.

„Was hast du geantwortet?“ Ich versuchte, meine Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen, doch so ganz gelang mir das nicht.

Bitte sag Nein, bitte...

„Dass ich es mir überlege.“

Ich schloss die Augen. Sie waren nicht zusammen. ‚Noch’ nicht.

„Ich mein, ich mag sie ja. Sie ist eine klasse Freundin. Aber ich weiß nicht, ob ich sie SO mag. Sie meinte wir könnten es zumindest einmal versuchen.“

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.

„Sie hat ja irgendwie Recht. Ich kann nicht viel verlieren, wenn ich es versuche, oder? Was meinst du, Dem?“

Ich schluckte.

„Ich...“ Meine Stimme brach ab. Ich wollte das nicht!

„Ich geh duschen.“ Damit stand ich auf und flüchtete mich ins Bad, einen verwirrten Jay zurücklassend. Ich schmiss die Kleider auf den Boden und stellte die Dusche auf kalt. Das Wasser brannte auf meiner Haut, doch das brauchte ich gerade. Ich konnte ein paar Tränen nicht zurückhalten, lehnte mich gegen die Duschwand.

Ich wollte das nicht.

Jay sollte mit niemanden zusammen sein.

Ich wollte... ihn für mich...

In dem Moment realisierte ich, wie egoistisch ich gerade dachte.

Ich hatte kein Recht dazu.

Ich war sein Bruder und mehr nicht.

Ich war zu feige, um die Klappe aufzureißen, weil ich wusste, dass ich ihn dadurch verlieren würde. Ich konnte ihn nicht festhalten. Irgendwann würde ich mit dem Gedanken leben müssen, dass er zu jemand anderem gehört. Und Summer ist nun wirklich kein schlechter Fang. Sie ist hübsch, klug, beliebt und sie mag Jay wirklich sehr.

Ich stellte das Wasser ein wenig wärmer.

Trotzdem konnte ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden. Doch ich konnte nur da sein und zugucken. Ich fasste mir an die Brust. Mein Herz pochte schnell, doch es war unangenehm. Es war das stechende Gefühl der Eifersucht. Ein Gefühl, das ich nicht haben wollte. Doch gegen das ich nichts tun konnte. Es gehörte dazu. Und da sag noch mal, jemand verliebt sein wäre ein schönes Gefühl. Ha! Dass ich nicht lache.

Es tat weh.

Es tat nur weh.

Und es brachte nichts als Ärger.

Es machte alles kaputt.

In diesem Moment wünschte ich, er wäre nicht mein Bruder. Dann gäbe es zumindest eine Chance. Aber ich wusste auch, wie unsinnig dieser Gedanke war. Schließlich war ich auch unglaublich froh über diese besondere Beziehung, und ich könnte ihm nie so nah sein, wären wir keine Brüder. Ich drehte mich im Kreis. Was ich auch machte, die Situation war scheiße und ich konnte nichts daran ändern. Ich war wohl dazu verdammt, einen Weg des Schmerzes zu gehen und durchzuhalten. Irgendwie.

Es war paradox.

Ich wollte Jay für mich und ich wollte, dass er glücklich wird. Nur vertrug sich beides zusammen nicht. Insgeheim wusste ich, dass ich die Person sein wollte, die Jay glücklich machte. Aber das würde ich nicht sein. Irgendwann musste ich loslassen. Ich würde in wenigen Monaten meinen Abschluss machen und wer weiß, ob ich dann noch hier wohnen würde? Ich wollte studieren und es stand noch nicht fest, welche Uni mich aufnehmen würde. Und Jay hat noch ein Jahr Schule vor sich. Irgendwann würden sich unsere Wege trennen und es wird das Beste sein, wenn er dann jemand besonderes in seinem Leben hat, der für ihn da ist. Ja... ich musste loslassen. So sehr es auch schmerzt. Es würde das Beste sein.

Kapitel vier

Ich gab ihm keine Antwort was ich dazu meinte.

Ich konnte ihm keine geben.

Keine ehrliche.

Als ich zurück ins Zimmer ging, war Jay bereits beim Abendessen, doch ich hatte keinen Hunger und legte mich ins Bett. Als er zurück kam und mich ansprach, stellte ich mich schlafend. Ich wollte über das Thema nicht reden, doch ich konnte ihm das nicht sagen.
 

Der Donnerstag brach an und Jay ließ das Thema liegen. Den ganzen Tag fühlte ich mich seltsam, ich bekam kaum etwas von meiner Umgebung mit und war wie betäubt. Auch wollte ich mit niemanden reden, und wenn mich jemand ansprach waren meine Antworten stets einsilbig.

Soviel zum Thema „zusammenreißen“.

Ich aß nur eine Kleinigkeit und ging relativ früh ins Bett. Jay fragte mich am Abend, ob alles okay sei, doch ich nickte nur und zwang mich zu einem Lächeln.
 

Der Freitag verlief nicht viel anders. Allerdings tat ich etwas, was ich zuvor noch nie getan hatte.

Ich ging Jay aus dem Weg.

Ich wusste nicht genau, warum ich es tat. In den Pausen steuerte ich gleich meinen nächsten Unterrichtsraum an anstatt auf den Schulhof zu gehen wie sonst auch. Kaum, dass ich den Raum erreicht hatte, hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Ich drehte mich um und sah Chris auf mich zukommen. Sie setzte sich neben mich auf den Boden.

„Was ist los, Dem?“, fragte sie nach einer Weile der Stille.

„Was soll los sein?“

„Ach, komm. Ich seh doch, wie du dich seit gestern verhältst. Was ist passiert?“

Ich zögerte.

„Nichts.“

Ich log.

Aber ich wollte darüber nicht reden. Ich wusste nicht einmal, wie. Es war schwer, diesen ganzen Batzen Gefühle in Worte zu fassen.

„Ja, klar...“ Sie drehte sich zu mir.

„Lust, heute Abend einen trinken zu gehen?“

„Hä?“

Hab ich was verpasst? Chris ging so selten feiern, dass man es im Jahr an einer Hand abzählen konnte.

„Stacy gibt ne Party und ich dachte, das lenkt dich vielleicht ein bisschen ab. Würde dir auf jeden Fall gut tun.“

Das klang nicht schlecht. Ablenkung brauchte ich gerade auf jeden Fall. Also stimmte ich zu dass sie mich am Abend abholen konnte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich auch noch nicht, wie sehr ich diesen Abend wirklich brauchen würde.
 

Zu Hause angekommen ging ich duschen und suchte mir dann anständige Partyklamotten raus, als Jaden ins Zimmer kam.

„Gehst du weg?“ Er setzte sich aufs Bett, beobachtete mich beim Umziehen.

„Ja... ich geh mit Chris feiern.“

Ich wusste, dass Jay nie feiern ging, darum musste ich auch kein schlechtes Gewissen haben, ihn nicht gefragt zu haben.

„Dem?“

„Hm?“

„Ich... hab noch mal mit Summer gesprochen.“

Ich erstarrte in meiner Bewegung, als ich mir gerade ein Shirt anziehen wollte.

„Und?“

„Wir sind jetzt zusammen.“

Ich brauchte einen Moment, um den Satz zu verdauen. Mein Herz fühlte sich seltsam schwer an.

‚Nein!’, dachte ich.

The fuck, NEIN!

Ich zog mir das Shirt über.

„Das... ist super Jay...“

Er grinste mich an.

„Ich hab halt darüber nachgedacht, und wenn es nicht klappt dann ist das halt auch so.“

Oh, und wie ich mir wünschte, dass es nicht klappt.

Oh fuck.

Ich merkte, wie meine Beine mich nicht mehr halten wollten und setzte mich auf mein Bett. Die Taubheit kam zurück. Ich hatte mich doch darauf vorbereitet, dass es passieren konnte.

Gedanklich.

Es war doch okay!

Es war das Beste... warum tat es dann trotzdem so weh? Das waren keine Schmetterlinge in meinem Bauch, das waren Wespen, die unaufhörlich stachen.

„Wann holt Chris dich denn ab?“

Was? Chris? Achja… wir wollten ja weg gehen... durchatmen, Dem! Du musst noch irgendwie in ihr Auto kommen, bevor du abdriften kannst.

Ich schnappte mir den Kamm vom Nachttisch und versuchte, meine Haare zu richten.

„Gegen Acht.“

Das war in einer halben Stunde. Nicht drüber nachdenken. Nur handeln, nicht denken. Wie mechanisch machte ich mich zu Ende fertig, und schneller als gedacht, klingelte es an der Tür.

„Viel Spaß“, rief mir Jay hinterher, doch ich antwortete nicht, sondern stürmte nur aus der Tür und in ihren dunkellilanen Ford Fiesta.

Es war, als würde eine Maske von mir abfallen, als ich die Tür schloss. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und noch bevor ich sie begrüßen konnte, fiel meine Fassade und ich weinte los. Ich schluchzte. Ununterbrochen. Konnte mich nicht mehr einkriegen. Ich wusste nicht, wie lange ich weinte. Doch als ich mich langsam beruhigte, merkte ich, dass wir fuhren. Die Bewegung des Autos war angenehm und brachte mich runter.

„Sorry...“, flüsterte ich in die Stille.

„Schon okay, Dem.“

Wir schwiegen eine Weile.

„Jay ist jetzt mit Summer zusammen.“

Ich musste mit jemanden darüber reden. Und Chris wusste von meinen Gefühlen und hat mich nie dafür verurteilt.

„Sie ist dir zuvor gekommen.“

„Da gibt es kein Zuvorkommen. Ich hatte nie vor, es ihm zu sagen.“

„Demian...“

Sie schaute zu mir, dann wieder auf die Straße.

„Ihr seid STIEFbrüder. Das ist laut Gesetzt vollkommen legal.“

„Es ändert nichts daran, dass wir zusammen aufgewachsen sind.“

„Ja, aber gegen eine Sandkastenliebe sagt auch keiner was.“

„Chris...“

„Ich weiß.“

Ich sah aus dem Fenster. Ich wusste, was sie mir sagen wollte aber das änderte nichts an meiner Meinung. Es änderte nichts daran, dass es mir scheiße ging, ohne dass es legitimiert wäre. Chris legte mir eine Hand auf meine Schulter, ließ sie dort liegen. Ich legte meine Hand auf ihre. Dieses Mädchen verstand mich auch ohne Worte und wusste immer das Richtige zu tun. Echt mal, warum konnte ich mich nicht in die verlieben? Schon allein, weil sie ein Mädchen war, wäre es viel einfacher.

„Weißt du, Dem, Liebe ist wie Mathe.“

Ich sah sie verwirrt an.

„Wenn es zu einfach geht, kann irgendwas nicht stimmen.“

Es war, als hätte sie meine Gedanken gelesen, und ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
 

Wir erreichten Stacys Haus ein paar Minuten später. Kurz bevor wir aus dem Auto stiegen, gab ich Chris mein Handy. Ich hatte nicht vor, mich beim Alkohol zurück zu halten und bevor ich irgendeinen Unsinn machte, wenn ich betrunken war, gab ich das Gerät lieber ab. Sie steckte das Telefon in ihre Handtasche und wir betraten das Haus, aus dem uns schon laute Musik und starke Bässe entgegen dröhnten. Die Musik war viel zu laut, aber das störte mich nicht wirklich.

Ich begrüßte die Leute die ich kannte und pflanzte mich auf die Couch, nahm mir ein Glas Cola Wodka, wobei Wodka eindeutig der größere Anteil im Glas war. Ich leerte das 0,2l Glas ohne abzusetzen. Das brennende Gefühl in meiner Kehle tat gut. Es war wir egal, wie ich mich später fühlen würde, ich wollte nur gerade richtig blau werden und alles vergessen. Das Glas wurde noch mal gefüllt. Und noch mal. Und noch mal.

Als die Flasche leer war wechselte ich zu Whisky, zu Tequila, zu Gin. Es war mir egal was genau ich trank, solange die Prozentzahl nur hoch genug war.

Es dauerte nicht lange, bis vor meinen Augen alles verschwamm. Wunderbar. So wollte ich es haben. Ich schloss die Augen. Die Musik nahm ich nur noch am Rande wahr. Zumindest auf dieses Wundergetränk konnte man sich verlassen. Irgendwann begannen wir, ein Trinkspiel zu spielen, wo noch mal ein paar Kurze meine Opfer wurden. Das Stechen in meiner Brust, welches vor wenigen Stunden noch meine Stimmung in den Keller zog, war weg. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, aber das war wunderbar. Es sollte immer so bleiben. So unbeschwert, so leicht. Es war eine schöne Zeit... bis ich die Schattenseiten des Alkohols für mich entdeckte. Nach meinem gefühlt tausendsten Kurzen begann mein Magen zu rebellieren, mir wurde wahnsinnig schlecht. Ich hielt mir die Hand vor dem Mund und hechtete ins Bad, vor dem glücklicherweise keine Schlange war wie sonst immer. Ich lehnte mich über die Schüssel und entleerte meinen Magen. Ich wusste, ich hatte etwas vergessen, was den Alkohol betraf. Wäre ja auch zu schön gewesen. Mein Magen drehte sich erneut und wieder erbrach ich mich. Schwer atmend hing ich einige Minuten über der Schüssel. Als nichts mehr kam, lehnte ich mich an die Wand gegenüber.

Verdammt.

Der Geruch, der nun in der Luft hing ließ mich wieder schlecht werden, also rappelte ich mich auf und betätigte die Spülung. Der Geruch verschwand. Ich lehnte mich zurück. So gut es mir eben voll angetrunken noch ging, desto beschissener ging es mir jetzt.

Die Tür öffnete sich und Chris kam rein, hockte sich neben mich.

„Scheint als hättest du’s übertrieben, hm?“

„Klappe.“

Es war mir egal. Ich sollte nicht belehrt werden. Ich war gerade ganz gerne unvernünftig. Ein weiteres mal spürte ich den Würgereflex, doch bekam ihn gerade noch so in den Griff.

Chris hielt mir mein Handy vor die Nase.

Es vibrierte.

Auf dem Display erkannte ich Jays Namen.

„Das ist das sechste mal, dass er anruft. Du solltest rangehen.“

„Ich will nicht mit ihm sprechen.“ Ich drehte den Kopf in die entgegengesetzte Richtung.

Er sollte nicht wissen, dass ich mir so die Kante gegeben hatte. Chris nahm meine Hand und drückte mir das Handy in diese. Das Vibrieren hörte auf.

„Solltest du aber. Er macht sich Sorgen, sonst würde er es nicht so oft versuchen.“ Damit verließ sie den Raum und schloss die Tür.

Ich starrte das Handy an. Es war still. Seufzend stand ich auf, was keine so gute Idee war, denn mir wurde sofort wieder schwindelig. Ich hielt mich am Waschbecken fest, drehte den Wasserhahn auf und klatsche mir kaltes Wasser ins Gesicht. Das tat wahnsinnig gut. Kaum hatte ich den Hahn wieder zugedreht, vibrierte mein Handy erneut. Zum siebten Mal, wenn ich Chris richtig verstanden hatte. Ich setzte mich auf den Toilettendeckel, wartete noch drei Sekunden und nahm dann ab.

„Hi, Jay.“

„Demian! Endlich gehst du mal ran. Ich versuche schon den ganzen Abend, dich zu erreichen!“

„Ja, Chris hat’s mir erzählt.“

„...Chris?“

„Sie hatte mein Handy.“

Ein paar Sekunden Stille.

„Warum hatte Chris dein Handy?“

Weitere Sekunden Stille.

„Hör zu, Jay, ich bin gerade nicht wirklich in der Stimmung zu reden.“

„Bist du betrunken?“

Ich antwortete nicht.

„Dem, ich bin 17, ich kann damit umgehen, dass du blau bist.“

„Jay, bitte... ich...“

„Wann kommst du nach Hause?“, unterbrach er mich.

„Was? Keine Ahnung... in der Früh irgendwann.“

„Es ist fast halb 4...“

„Warum schläfst du eigentlich noch nicht?“

„Ich...“ Eine Pause setzte ein. „Ich mach mir Sorgen.“

„Jay, ich bin nicht das erste Mal auf ner Party und außerdem volljährig.“

„Bitte komm nach Hause.“ Es war nur noch ein Flüstern. „Der Raum ist so leer ohne dich...“

Und dann entdeckte ich einen weiteren, erheblichen Nachteil des Alkohols. Weil du nicht mehr klar denken kannst, verletzt du die Menschen um dich herum, sogar die, die dir am meisten bedeuten.

„Wenn du dich einsam fühlst, dann geh doch zu deiner Summer, die freut sich sicher.“

Ich redete schneller, als ich dachte, und wenn ich Jays Atem am anderen Ende nicht gehört hätte, wäre ich sicher gewesen, er hätte aufgelegt.

Ich atmete einmal tief durch.

„Tut mir Leid, Jay. Ich... mach mich auf den Weg. Bis gleich“

„Ich warte auf dich.“ Seine Stimme war wieder nur ein Flüstern. Ich legte auf.

Na das hast du ja super hinbekommen, Demian. Du bist ein Held!

Ich steckte das Handy weg und stand auf, langsam, damit der Schwindel mich nicht wieder überrannte. Dann verließ ich das Bad und suchte Chris. Trotz der späten Stunde waren immer noch viele Leute hier. Ich fand sie in der Küche, wo sie mit Stacy redete. Als sie mich erblickte kam sie mir entgegen.

„Hast du mit ihm geredet?“, fragte sie gegen die Musik ankämpfend. Ich nickte.

„Kannst du mich nach Hause fahren?“

„Klar, gib mir fünf Minuten.“

Ich ging schon mal nach draußen, während sie sich von allen verabschiedete und ihre Sachen zusammen suchte. Die kalte Novemberluft tat zur Abwechslung mal unglaublich gut und ich atmete einmal tief durch.

Ich hatte mit dem Satz Scheiße gebaut und meine Eifersucht war mit mir durchgegangen. Jay rief nicht einfach so um halb vier morgens an. Vor allem nicht sieben mal hintereinander. Und immerhin hat er mich angerufen. Mich. Nicht Summer. Er wollte mich an seiner Seite.

Ich lehnte mich gegen das Auto. Spürte den Schwindel wieder. Ich war noch nicht ganz nüchtern. Mein Kopf begann, zu schmerzen.

Chris kam aus dem Haus und schloss das Auto auf. Dankbar ließ ich mich auf den Beifahrersitz fallen und schloss die Augen. Chris stieg ein und schloss die Tür.

„Magst du mir von dem Gespräch erzählen?“

Ich überlegte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf.

„Ich will nur nach Hause...“

Sie verstand und startete den Wagen.

Ich schwieg den ganzen Weg über. Mir war immer noch schlecht, aber ich versuchte, es zu ignorieren. Ich wollte nicht, dass Jay mich so sah. Aber genauso gut wusste ich, dass man nicht von jetzt auf gleich nüchtern werden konnte.

Verdammter Alk!

Als wir auf unsere Auffahrt fuhren, wartete Jay bereits im Türrahmen auf unsere Ankunft. Er hatte seinen Pyjama an, das Haus war dunkel bis auf die kleine Lampe am Eingang. Ich stieg aus, musste mich jedoch am Auto festhalten um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Jay kam zu mir rüber gelaufen und stützte mich. Ich wollte ihn abwimmeln, doch er ließ es nicht zu.

„Pass auf ihn auf, Jaden.“, hörte ich aus dem Auto, bevor Chris losfuhr und uns in der Stille der Nacht zurückließ.

Jay führte mich ins Hausinnere, genauer gesagt ins Wohnzimmer auf das Sofa. Er holte eine Decke, die er über mich legte und reichte mir einen heißen Tee. Ich war dankbar, etwas anderes als Spirituosen trinken zu können, und mein Magen dachte genauso. Nachdem er das Licht angenehm dämmend angemacht hatte legte er sich neben mich und bettete seinen Kopf auf meinem Schoß. Ich konnte den Drang nicht unterdrücken, ihm durch die blonden, weichen Haare zu streichen. Seine Haare fühlten sich jedes Mal ähnlich wie das Fell eines Kaninchens an, so weich waren sie.

Ich liebte seine Haare.

Ich liebte alles an ihm.

Und diese Situation war alles andere als gut.

Ich würde ihn nie loslassen und seinen eigenen Weg gehen lassen können, wenn ich Situationen wie diese so ausnutzte. Meine Hand verließ seine Haare, wanderte zurück zu der Tasse Tee, die ich nun fest umklammerte. Jay drehte sich so, dass er mich angucken konnte.

„Warum hörst du auf?“, fragte er leise, aber gut verständlich. Ich konnte ihm kaum die Wahrheit sagen.

„Ich will ins Bett, Jay. Ich bin wahnsinnig müde.“

Ich wusste nicht, ob das überzeugend klang oder nicht. Er sah mich einige Sekunden mit seinen blauen Augen an, nickte dann und stand auf. Ich tat es ihm gleich, legte die Decke auf die Couch, stellte die Tasse auf den Tisch und begab mich nach oben. Jay folgte mir.

In unserem Zimmer angekommen, schmiss ich mich samt Klamotten ins Bett. Es war mir egal ob ich mit diesen schlafen würde.

Meine Augenlieder wurden schwerer und ich gab den Drang nach, sie zu schließen.

Ich wollte wirklich nur schlafen.

Ich hörte, wie sich unsere Zimmertür schloss.

„Dem?“

Ich wollte antworten, doch kein Wort kam über meine Lippen, so müde war ich. Ich hörte Schritte auf mich zukommen, spürte, wie mir eine Strähne aus dem Gesicht gestrichen wurde, rührte mich jedoch nicht. Ehe ich noch darüber nachdenken, konnte war ich bereits eingeschlafen.

Kapitel fünf

Tut mir leid, dass der Upload so lange brauchte ;__;

Mir fehlte irgendwie die Motivation zum betan...

Ab jetzt versuche ich es wieder regelmäßig 2x die Woche! Immerhin ist die FF schon fertig, sie muss nur korrektur gelesen werden >D
 

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war das erste, was ich bemerkte, meine wahnsinnigen Kopfschmerzen. Ich wollte die Augen öffnen, doch das Tageslicht war zu hell und brannte, sodass ich den Versuch erst einmal bleiben ließ. Eine Weile blieb ich einfach nur im Bett liegen und lauschte, konnte aber nichts hören.

Jay war wohl nicht da.

Ich fragte mich, wie spät es wohl schon sein würde, doch um es herauszufinden hätte ich aufstehen müssen. Keine so gute Idee. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal so einen Kater hatte. Oder ob es überhaupt schon einmal so schlimm war. Ich hatte mit dem Alkohol echt übertrieben und die Konsequenzen zu spüren bekommen. Auch, wenn die wenigen Stunden, in denen ich meine Sorgen ertränken konnte, sehr angenehm waren... doch dafür kamen die Gedanken jetzt klar und deutlich zurück.

Ich hatte einen Fehler begangen.

Ich hätte ihm am Telefon nicht so anpflaumen dürfen. Doch wenn ich nicht bald anfing, von ihm loszulassen, würde ich es wahrscheinlich nie können. In meinem Kopf wiederholte ich den Satz immer wieder. Wie eine Zauberformel, an die ich mich festklammerte. Als wenn alles wieder in Ordnung kommen würde, wenn ich mich nur daran hielt. Als wenn meine Gefühle durch ein bisschen Abstand abflauen würden. Doch ich wusste nur zu gut, dass das nicht der Fall war. Und nie sein wird. Einige Momente blieb ich noch liegen, dann gab ich mir einen Ruck, öffnete die Augen und setzte mich auf. Sofort begann mein Kopf zu pochen und ich legte eine Hand auf meine Stirn. Einige Jugendlichen würden in solchen Momenten dem Alkohol abschwören und ich überlegte kurz, ob es das wert war.

Es klopfte an der Tür.

Ich brachte mühsam ein „Herein“ heraus, die Tür öffnete sich und Grace trat ins Zimmer.

„Du siehst extrem scheiße aus, weißt du was?“

Sie war wie immer reizend.

„Dir auch einen guten Morgen. Was willst du?“

Grace setzte sich neben mich, brachte mir ein Glas Wasser und eine Aspirin.

„Hier. Und es ist fast drei also nichts mit Morgen. Glück für dich, dass du in der Nacht leise warst. Ich hätte dir die Hölle heiß gemacht wenn du mich geweckt hättest.“

Ich nahm beides entgegen, schluckte die Tablette und trank das Glas in einem Zug leer.

„Womit hab ich denn diese Freundlichkeit verdient?“

Grace und ich lebten normalerweise aneinander vorbei und keiner interessierte sich groß für den jeweils anderen.

„Es geht mich zwar nichts an, Dem, aber weißt du, was mit Jaden los ist?“

Ich sah sie fragend an.

„Was soll mit ihm los sein?“

Sie schwieg einige Sekunden.

„Er saß heute morgen in der Küche und hat geweint. Nun... er hörte auf. Als ich rein kam und ihn darauf ansprach, meinte er, es wäre nichts, aber es beschäftigt mich. Ich dachte, du wüsstest vielleicht was. Immerhin seid ihr beiden doch so dicke.“

Er hatte geweint? Aber doch nicht wegen gestern, oder?

Oh fuck...

Ich schüttelte mit den Kopf.

„Nein, keine Ahnung.“

Sie seufzte.

„Ich dachte nur, du solltest es wissen.“ Sie stand auf und ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte. „Kümmere dich um ihn, Dem. Oh, und du solltest duschen gehen. Du müffelst!“

„Wo ist er jetzt?“

„Er wollte zu seiner Freundin. Ist wohl erst abends wieder da.“ Damit verließ sie das Zimmer.

Mir drehte sich der Magen um und das lag diesmal nicht am Alkohol.

„Freundin.“ Das klang so...

Ich verkrampfte die Finger in meiner Decke, wiederholte wieder meine Zauberformel.

Reiß dich zusammen! Es war richtig so, wie es ist.

Ich stand auf und schlich ins Badezimmer, um zu duschen.
 

Die Tablette wirklich zum Glück recht schnell und nach der Dusche ging es mir auch schon um einiges besser.

Trotzdem.

Ich brauchte Ablenkung.

Aber noch mal betrinken war nicht drin. Das machte Chris nicht mit und ohne sie ging ich nicht feiern. Sie trank keinen Alkohol, dementsprechend blieb sie nüchtern. Das war wahnsinnig praktisch, da sie erstens auf mich aufpassen konnte und zweitens das Fahren übernahm. Sie tat das gerne, muss man dazu sagen. Aber nicht jeden Abend. Ich überlegte, während ich mich anzog und mir fiel etwas ein.
 

Eine Stunde später betrat ich die silberne Lagerhalle. Ich wusste nicht, ob es richtig war, dass ich mich hierher begeben hatte, doch ich brauchte es gerade. Kaum, dass ich drei Schritte in die Halle gegangen war ,entdeckte mich Blake, kam freudig auf mich zu und schlug mir kameradschaftlich auf die Schulter.

„Demian, Alter! Dich hier zu sehen. Du warst ja ewig nicht bei uns. Bock, ne Runde zu drehen?“

Ich lächelte ihn an.

„Eigentlich wollte ich auch gar nicht mehr her kommen. Aber besondere Umstände lassen es gerade nicht vermeiden.“

„Maaan Alter, das wäre verschwendetes Talent, wenn du nicht mehr fahren würdest. Wir haben gerade neue Bikes reinbekommen, schnapp dir eines und dreh ne Runde auf der Piste!“

Ich schaute zu den Rädern. Sie sahen wirklich sehr cool aus, die neusten Modelle, so wie ich das sah. Dazu sehr auffällige Farben, die selbst im Trüben Licht der Halle vor sich hin glänzten.

Ich hatte das Motocrossfahren vor zwei Jahren für mich entdeckt und lieben gelernt. Es macht großen Spaß und ist ein totaler Adrenalinkick. Und ich war gar nicht schlecht im Fahren. Ich konnte sogar ein paar gefährliche Freestyle Tricks. Doch Ma und Richard fanden es von Anfang an nicht wirklich toll, dass ich fuhr, und auch Jay konnte sich nie so ganz mit dem Gedanken anfreunden. Einzig Grace war das alles herzlich egal, aber das war nichts neues. Doch ich ließ mich nie davon abhalten, trotzdem zu fahren.

Bis ich vor einem halben Jahr einen Unfall hatte.

Es war nichts wirklich Wildes, ich bin falsch aufgekommen und gestürzt, hatte zwei gebrochene Rippen und ein verstauchtes Bein, sodass ich eine Weile im Krankenhaus bleiben musste. Doch Ma und Richard schoben eine Riesenpanik und machten eine Szene aus der Sache. Im Grunde war es mir egal gewesen, aber als dann auch noch Jay mit seinen besorgten Augen mich unter Tränen bat, aufzuhören, hatte ich ihm versprochen, nicht wieder zu fahren. Bis heute war ich auch nicht wieder hier gewesen.

Doch was solls.

Meine Güte, es war mein Leben und ich brauchte diesen Kick! Er lebte schließlich auch sein Leben und ging mit Summer aus. Jeder konnte das machen, was er sollte. Ich war volljährig und ihm keine Rechenschaft schuldig... ... ... tief in mir wusste ich allerdings auch, dass das zwei Paar Schuhe waren. Aber es war mir egal!

„Blake, steht mein Spind noch?“

„Klar, Alter. Wir haben alles so gelassen, wie es war. Ich wusste, dass du irgendwann zurückkommen würdest.“ Er grinste wie ein Honigkuchenpferd.

Ich ging zu meinen alten Spind, gab meinen Code ins Schloss ein - Jays Geburtsdatum - und holte meine Schutzkleidung samt Helm aus diesem. Trotz des halben Jahres, in dem ich sie nicht benutzt habe war sie überraschend wenig eingestaubt. Mein Helm war nagelneu. Es war mein Ersatzhelm gewesen, gerade für den Fall eines Sturzes. Nach Unfällen sollte man ja den alten Helm nicht weiter nutzen, darum landete meiner auch in der Tonne, auch wenn ich dem Geld hinterher trauerte. Aber Sicherheit geht vor. Meine Kleidung wurde damals Blake anvertraut und er brachte sie zurück in diesen kleinen, eisernen Schrank.

Ich kleidete mich um. Alles passte noch wie angegossen, doch ich war in der Zeit auch nicht gewachsen, darum war es im Grunde kein Wunder. Es war ein tolles Gefühl die Sachen wieder anzuhaben.

„Welches Bike kann ich haben, Blake?“

Ich hatte nicht das Geld, mir ein eigenes zu leisten, doch Blakes Vater gehörte die Halle und wir kannten uns seit der Grundschule. Wir wurden zusammen eingeschult, doch er verließ die Schule nach der zehnten Klasse und arbeitete jetzt hier. Ich lieh mir immer eines der Hallenbikes aus. Die Ausrüstung alleine kostete mich schon sehr viel und ich konnte sie mir nur leisten, weil ich in den Ferien immerzu Jobs annahm und arbeiten ging.

„Das schwarz-lilane kannst du haben. Hab Spaß, Dude.“ Er schmiss mir den Schlüssel rüber, ich fing ihn und ging rüber zu der Maschine.

Ich hab das Motorengeräusch wirklich vermisst.

Außer mir waren nur zwei weitere Leute auf der Bahn. Ich schob die Kawasaki zum Startpunkt, stieg auf und gab gleich Vollgas.
 

Es war wahnsinnig befreiend, mal wieder den Wind um mich herum zu spüren und abzuheben. Ich kannte die Strecke noch sehr gut und hatte von Anfang an keine Probleme, trotz des halben Jahres Pause. Das 250cc Bike flog durch die Luft und kam mit Leichtigkeit wieder auf dem lehmigen Boden auf.

Ich liebte diese Strecke.

Motocross in der Halle war anspruchsvoller als draußen, da man aufgrund des geringen Platzes keine Möglichkeit bekam, nach einem Sprung kurz zu verschnaufen. Es ging immer gleich weiter. Doch das war gerade die Herausforderung, und im Winter war man eh gezwungen, drinnen zu fahren.

Ich war süchtig nach den Sprüngen. Einfach den Boden unter den Rädern zu verlieren. Zu lange hatte ich darauf verzichten müssen.

Ich fuhr die Strecke ein zweites und ein drittes Mal, versuchte mich an einigen Sprüngen und vergaß völlig die Zeit.

Aber hier zählte die Zeit nicht. Hier zählten nur ich und meine Maschine. Ich wusste nicht wie lange ich nun schon auf der Strecke war, bevor ich an den Rand fuhr und den Helm abnahm. Blake grinste mich an.

„Du bist der Wahnsinn, Dem. Ein halbes Jahr Pause und du fährst trotzdem genauso gut wie früher. Ein bisschen stockend am Anfang, aber dennoch spitze.“

Ich grinste zurück. Die Strecke verlange meine volle Konzentration, da blieb keine Zeit um über andere Dinge nachzudenken.

Das gefiel mir sehr.

„Danke.“

„Du solltest trotzdem eine Pause machen. Komm, ich spendier dir was zu trinken.“ Er ging zu den Getränkeautomaten. Ich stieg ab und schob mein Bike von der Strecke, stellte es neben dem Eingang ab und setzte mich auf eines der Sofas, die extra für die Zuschauer aufgestellt waren. Blake reichte mir einen Energy-Drink und setzte sich neben mich.

„Haste nicht Bock, beim Rennen in 2 Wochen mitzumachen, Dem? Du hast definitiv das Zeug dazu. Musst nur bis dahin am Ball bleiben.“ Er legte mir einen Arm um die Schultern. Ich schaute auf den Boden.

„Ich weiß nicht Blake... Eigentlich sollte ich gar nicht mehr fahren. Das heute sollte ne Ausnahme bleiben.“

„Mensch, Demian! Du bist zu gut, um nicht mehr zu fahren!“ Er griff in seine Tasche und holte einen Zettel heraus.

„Hier! Nimm das wenigstens mit und überleg es dir.“

Es war das Anmeldeformular mit allen wichtigen Informationen. Ich zögerte kurz, nahm den Zettel dann aber doch und stecke ihn zusammengefaltet in meine Jackentasche.

Vielleicht war es gerade das, was ich jetzt brauchte? Wenn ich mich ins Training stürzte, blieb nicht mehr viel Zeit, um sich um etwas anderes zu kümmern. So etwas wie Liebeskummer zum Beispiel. Und das Adrenalin übertönte das Stechen in meiner Brust.

Eigentlich war es perfekt.

Nicht nur eigentlich. Es würde mein Problem kurzzeitig lösen.

Doch dann dachte ich an Jay. Ihm würde das alles andere als gefallen. Ich schüttelte den Kopf. Was soll’s. Mir gefällt auch nicht, was er tut, und ich lass ihn machen.

„Ich glaub, ich mach doch mit.“ Meine Augen trafen die von Blake.

„Echt? Oh, spitze!“ Er sprang auf und schlug die Hände in die Luft vor Freude.

„Kommst du später noch mit zu mir? Ich kann dir was über deine Konkurrenten erzählen und wir können zusammen die Regeln durchgehen.“

Ich sah auf die Uhr. Es war halb sechs. Draußen war es bestimmt schon dunkel. Doch ich hatte keine Lust, jetzt schon nach Hause zu gehen.

„Gerne. Lass mich aber noch ne Runde fahren.“

„Sicher.“

Ich zog mir den Helm wieder an und schob mein Bike zurück auf die Strecke, die ich nun für mich allein hatte.
 

Es war kurz vor sieben als wir bei Blake ankamen. Er wohnte gut eine halbe Stunde mit dem Auto von der Halle entfernt, doch bat an, mich später nach Hause zu fahren. Ich ging bei ihm kurz duschen, um die Spuren des Sports abzuwaschen, und pflanzte mich dann zusammen mit ihm auf die Couch seines Zimmers. Er hatte seinen Laptop auf dem Schoß und zeigte mir Videos der anderen Teilnehmer. Ich versuchte, mir die Stärken und Schwächen so gut es ging einzuprägen und er erklärte mir zusätzlich, auf was genau ich achten musste. Als wir jeden Kontrahenten durch hatten, guckten wir uns zum Spaß die neusten Bikes auf dem Markt an und diskutierten über deren Leistungen. Wir waren so gefangen, dass ich ganz die Zeit vergaß, und erst als mein Handy vibrierte, merkte ich, dass es schon halb zwölf war.

Es war Jay, der anrief.

Ich drückte den Anruf weg. Es war unüblich, ja, doch ich wollte jetzt nicht mit ihm sprechen. Schnell tippte ich eine SMS mit dem Inhalt „Bin noch unterwegs“ und schickte sie ab. Er musste sich damit zufrieden geben. Ich seufzte.

„Machen sich deine Eltern Sorgen?“, fragte Blake nach.

„Nein, mein... Bruder.“

„Musst du nach Hause?“

„Tse. Ich bin volljährig und kann wegbleiben so lange ich will.“

Er grinste.

„So kenn ich dich. Bock, hier zu übernachten?“

Ich überlegte kurz, doch sein Angebot war wirklich verlockend.

„Gerne.“

„Cool! Ich hol dir dann eben Bettzeug.“ Damit ging er aus dem Zimmer. Ich kramte mein Handy erneut hervor und tippte eine zweite SMS. „Übernachte heute auswärts, mach dir keine Sorgen, ich bin nüchtern. Komm morgen in der Früh wieder.“

Blake kam mit einer Decke und einem Kissen zurück. Ich stand auf, damit er das Sofa ausziehen konnte.

„Weißt du, Dem, ich bin echt froh, wieder mit dir abhängen zu können. Hab das echt vermisst.“

Wir sahen uns noch eine Weile Videos von großen Rennen auf Youtube an, bevor er das Licht losch und wir in unsere Betten krochen. Langsam wurde ich nämlich doch müde, das Fahren strengte ganz schön an.

„Demian?“, fragte Blake in die Dunkelheit hinein.

„Hm?“

„Kann ich dir eine Frage stellen?“

„Schieß los.“

„Warum hast du jetzt doch wieder mit dem Fahren angefangen? Ich meine... ich finds toll, aber warum gerade jetzt?“

Ich schwieg eine Weile. Ich würde Blake sicher nicht die Wahrheit sagen. Zumindest nicht die volle.

„Ich brauchte das Adrenalin gerade.“

Es stimmte ja auch.

„Hmmm...“ Er drehte sich zu mir.

„Liebeskummer?“

„...Woher...?“

Er lachte leicht auf.

„Hab geraten.“

Ich war erleichtert. Für eine Sekunde dachte ich, man könnte es mir ansehen, aber ich denke, das war wohl weniger der Fall.

„Aber dass du mal Liebeskummer haben würdest... du bist doch der Typ von Kerl, der Jede haben könnte.“

Ich schnaubte. Das Problem war ja, ich WOLLTE ihn nicht haben. Ich meine... ich wollte ihn schon... aber es war nicht richtig. Damn, natürlich wollte ich ihn! Ich wollte, dass er mir gehört, wollte ihn in meinen Armen halten, seine Lippen in Beschlag nehmen, durch seine Haare wuseln.

Aber er war mein Bruder, verdammte scheiße!

„Die Person ist leider schon vergeben. Und... ich will nicht darüber reden, Blake. Tut mir Leid. Schlaf gut.“ Damit drehte ich mich um und schloss die Augen.

„Ist okay. Du auch, gute Nacht.“

Und dank meiner Müdigkeit überkam mich auch schon bald der Schlaf.

Kapitel sechs

Blake weckte mich am nächsten Tag indem er mir Kaffee ans Bett brachte. Ich war sehr dankbar über den Koffeinschub, auch wenn ich nicht der typische morgendliche Kaffeetrinker war. Die Uhr verriet, dass es kurz nach elf war. Ich hatte das Gefühl etwas vergessen zu haben doch mir wollte nicht einfallen, was es war.

„Soll ich dich zur Halle fahren? Dann kannst du den Tag zum Trainieren nutzen.“

Ich fand die Idee ganz gut also stimmte ich zu. So wie ich die Recherche von gestern einschätzen konnte hatte ich das Training wirklich nötig. Also begaben wir uns kurz nach dem Frühstück ins Auto und fuhren zur Bahn.

Blakes Vater war bereits da und begrüßte uns freundlich und auch ein paar Fahrer hatten die Bahn bereits beschlagnahmt. Ich zog mir meine Schutzkleidung an und nahm mir die Maschine von gestern aus der Box, die schwarz-lilane Kawasaki. Mir gefiel dieses Bike, es ließ sich gut fahren und lag gut auf der Strecke.

„Hab Spaß.“, wünschte mir Blake, der sich aufs Sofa pflanzte um mir zuzusehen. Er hatte mir gestern geraten, dass ich vor allem an meiner Geschwindigkeit arbeiten musste und das wollte ich heute üben. Er gab mir ein Zeichen wann ich starten konnte und stoppte die Zeit. Die erste Runde war nicht so der Knüller gewesen, doch ich wurde von Mal zu Mal schneller. Nach der sechsen Runde war Blake bereits vollends zufrieden.

„Wenn du beim Rennen so fährst hast du die besten Chancen, Dem.“

Ein Glücksgefühl breitete sich in meinem Körper aus. So fröhlich hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt.

Ich wollte das Rennen gut fahren. Komme was wolle.

Ich fuhr noch einige Runden, einige auf Zeit, andere einfach nur zum Spaß und um ein paar Sprünge zu üben. Es machte einfach nur Spaß und ich fühlte mich frei und unbeschwert. Es war schon ein wenig deprimierend die Bahn verlassen zu müssen um mich umzuziehen. Allerdings musste ich langsam nach Hause und es war schon später Nachmittag.

„Wann hast du morgen Schulschluss?“, fragte mich Blake als wir ins Auto stiegen. Ich würde von der Halle nach Hause nur eine Viertelstunde laufen, doch er hatte trotzdem angeboten mich zu fahren.

„Nach der Siebten.“

„Kommst du danach her?“

Warum eigentlich nicht?

„Klar, kann ich machen.“

Blake lächelte.

„Dann sehen wir uns morgen.“ Er bog in unsere Einfahrt ein. Ich bedankte mich fürs Fahren und stieg aus dem Wagen. Er winkte mir zum Abschied und fuhr davon.

Ich begab mich im Haus augenblicklich in mein Zimmer und fand Jay auf dem Bett Hausaufgaben machend. Er blickte auf als er mich eintreten sah, legte seine Sachen zur Seite und stand auf.

„Dem! Wo warst du?“

Ich ging zu meinem Schreibtisch und holte meine Schulsachen heraus.

„Weg.“

Ich wusste diese Antwort war nicht gerade sehr freundlich. Doch ich wollte nicht, dass er wusste wo ich war. Das wäre nur mit noch mehr Fragen verbunden gewesen.

„Ja, das hab ich gemerkt...“ Er setzte sich wieder. „Ist mit dir alles okay? Du weißt, dass du mir deine Sorgen anvertrauen kannst.“

Ich schwieg. Dieses nicht, Jay, dieses nicht. Doch ich zwang mich zu einem Lächeln.

„Alles okay, wirklich.“ Er wusste, dass es nicht stimmte. Aber er akzeptierte, dass ich nicht drüber sprechen würde. Auch wenn ich den sorgevollen Blick in seinen Augen sah.

„Wie war es bei Summer?“ Ich wusste nicht, warum ich diese Frage stellte. Ich hätte mich noch im selben Moment ohrfeigen können. Es interessierte mich nicht was er mit seiner Freundin machte. Doch nun war die Frage gestellt.

Klasse Dem.

Memo: Erst reden, dann denken!!

„Öhm... ganz gut eigentlich... wir haben Filme geguckt und Popcorn gemacht und dann... hat sie... mich geküsst...“ Am Ende des Satzes wurde Jay immer leiser und röter im Gesicht.

Ich schloss für eine Sekunde die Augen.

Und genau darum wollte ich es nicht wissen!

Aber gut. Zusammenreißen!

„Und, wie war es?“

Im Grunde wollte ich das auch nicht wissen. Doch die Neugier war dieses eine Mal stärker.

„Nun ja...“ Er schaute zum Boden. „Ich weiß nicht warum alle immer so einen Trubel darum machen. So schön wie alle sagen ist es gar nicht. Im Grunde war es recht langweilig und unspektakulär.“

Ihm gefiel der Kuss mit Summer also nicht? ... Eine kleine Flamme entflammte in meiner Brust. Doch bevor ich dieses Fünkchen Hoffnung zulassen wollte wies ich mich selbst zurecht.

Jay wird mir nie gehören.

Das hatte ich mit mir ausgemacht und ich würde mich daran halten.

„Oder sie ist einfach nicht die Richtige.“ Ich fing meine Hausaufgaben an. Jay nickte zögernd.

„Oder das. Wer weiß...“
 

Der Rest des Abends verlief recht entspannt. Ich ging früh ins Bett und Jay tat es mir gleich.

Am nächsten Tag ging ich gleich nach der Schule zur Supercross Halle und bliebt dort bis spät abends.

Das Selbe tat ich am Dienstag.

Es war etwas schwierig es vor Jay geheim zu halten aber trotzdem erzählte ich ihm nicht wo ich hinging. Und unsere Eltern interessierten sich auch nicht groß darum, zumal sie in letzter Zeit eh bis spät abends wegblieben und in der Früh die ersten aus dem Haus waren. Ich wusste nicht einmal ob sie es mitbekamen.

Einzig am Mittwoch ging ich nicht in die Halle. Ich musste für eine Physik-Klausur üben und verzog mich dafür zu Chris. Meine Noten sollten wegen dem Rennen schließlich nicht auf der Strecke bleiben, dafür war mir die Schule doch noch zu wichtig.

„Nun sag mal...“, Chris kam gerade mit zwei Tassen Tee in den Raum, „wo warst du die letzten beiden Nachmittage?“

Ich überlegte, ob ich es ihr sagen sollte doch sie wusste auch als Einzige von meinen Gefühlen für Jay und ich hielt es für unsinnig es ihr zu verheimlichen. Ihre Augen wurden immer größer während ich erzähle.

„Du machst bei nem Motocross Rennen mit? Hast du nicht wegen Jaden damit aufgehört?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Weiß er davon?“

„Natürlich nicht!“

Sie biss sich auf die Unterlippe.

„Dem, ich weiß nicht ob das eine so gute Idee ist...“

Ich rollte mit den Augen.

„Lass mich machen, Chris.“

„Lass ich ja. Und trotzdem.“

Wir redeten noch eine Weile. Ich erklärte ihr wie sehr es mich ablenkte und dass mir das gerade gut tat. Nach kurzer Zeit schien sie zu verstehen, dass es mir wichtig war. Zumindest sprach sie sich nicht mehr dagegen aus.

Ich machte mit Physik weiter und das bis spät in die Nacht. Ein wenig wunderte ich mich, dass noch kein Anruf ankam. Doch die Anrufe von gestern und vorgestern blieben jeweils unbeantwortet, da das Handy in meinem Spind lag während ich fuhr. Vielleicht hatte Jay gemerkt, dass ich nicht rangehen würde.

Als ich nach Hause kam schlief Jay bereits.
 

Am nächsten Tag wachte ich lange vor dem Wecker auf. Es war draußen noch dunkel, aber ich konnte nicht mehr schlafen also setzte ich mich auf. Ich lauschte in die Dunkelheit und konnte Jays gleichmäßigen Atem hören. Es entspannte mich. Eine Weile saß ich einfach nur auf meinem Bett, sah zur anderen Seite des Zimmers und hörte zu.

Mein Herz begann schneller zu schlagen.

Ich hätte noch länger hier sitzen können, doch mir fiel die Klausur wieder ein, für die ich noch was wiederholen wollte und das würde unmöglich gehen sobald Jay wach wurde.

Ich schnappte mir meine Schultasche, die ich am Abend noch schnell gepackt hatte, nahm mir meine Klamotten mit und schlich mich leise aus dem Zimmer und ins Bad, wo ich mich fertig machte. Ich verließ alleine das Haus und war 40 Minuten zu früh an der Schule, obwohl ich auf dem Weg nur getrödelt hatte. Es war angenehm ruhig im Gebäude. Hier fiel es mir leichter mich auf die Aufgaben zu konzentrieren und mit einem guten Gefühlt konnte ich in der dritten Stunde die Klausur beginnen. Ich hatte die Pause zuvor im Gebäude verbracht und obwohl ich mit der Klassenarbeit doch recht schnell fertig war, tat ich so als bräuchte ich noch mehr Zeit. Wir durften in die Pause reinschreiben und das nutzte ich vollends aus. Ich opferte meine Pause um Jay und Summer nicht sehen zu müssen.

Ich versuchte so oft es ging Ausreden zu finden um die Pausen woanders zu verbringen. Es war feige, das war mir bewusst, doch je schneller wir voneinander unabhängig worden desto besser.

Wenn ich doch einmal bei der Gruppe stand, dann eher außerhalb. Ich integrierte mich nicht in Gespräche und redete fast ausschließlich mit Chris. Da Jay aber von Summer, Lucas und Troy umlagert wurde machte es allgemein wenig unterschied ob ich nun da war oder nicht.

Nach der Physikklausur hatte ich nur noch eine Stunde, danach ging ich gleich zur Halle und blieb wie üblich bis spät Nachmittags. Meine Rundenzahlen wurden von Mal zu Mal besser und ich langsam immer aufgeregter. Es wurde zur Gewohnheit, dass ich erst nach Hause kam wenn Jay schon am Schlafen war. An diesem Abend war es keine Ausnahme.

Früher hätte er gewartet bis ich zu Hause war.

Früher hätte er auch ununterbrochen angerufen um zu fragen wo ich sei.

Ich überlegte kurz ob ich es vermisste und musste mir eingestehen: Ja, das tat ich. Ich war ihm wichtig gewesen, wo wichtig wie sonst niemand. Doch nun war er in einer Beziehung und ich auf den Stand eines normalen Bruders zurückgestuft.

Es war richtig so. Es tat weh, aber es war richtig.
 

„Bist du heute wieder nach der Schule weg?“

Jay und ich saßen am Küchentisch und frühstückten. Die Stimmung war angespannt und bis Jay die Stille brach hatten wir uns nur angeschwiegen.

„Ja...“, Ich schenkte mir noch etwas von dem O-Saft ein, „...und ich bleib dann auch bis Sonntag Abend weg.“

Blake hatte vorgeschlagen, dass ich wieder bei ihm übernachten könne und ich hatte das Angebot dankend angenommen.

„Bist du bei Chris?“

„Nein.“

„Achso...“ Er stocherte in seinem Müsli rum. „Dem, meine Jacke ist noch in der Wäsche, kann ich mir eine von deinen ausleihen?“

Ich war dankbar, dass er nicht weiter nachfragte.

„Klar. Nimm die an der Garderobe. Ich hol mir eine von oben.“ Was ich auch gleich tat und kurz darauf das Haus verließ. Jay hatte erst zur zweiten Stunde. Normalerweise wären wir zusammen gegangen und er hätte in der Schule auf seinen Unterrichtsbeginn gewartet. Doch die letzten Male gingen wir nur schweigend nebeneinander her und er merkte, dass ich Gespräche so gut es ging mied.

Ich freute mich auf diesen Tag. Ich hatte nur fünf Stunden und danach ein Wochenende auf der Piste vor mir.

Wir besprachen in den ersten beiden Stunden die Physikklausur und meine Laune hob sich mit jeder Aufgabe mehr, da ich wahrscheinlich das Meiste richtig hatte.

Geschichte zog sich in die Länge, was wahrscheinlich daran lag, dass wir Adenauer, Stresemann und Brandt zum gefühlt tausendsten Male wiederholten und es mir schon zum Halse raushing. Ehrlich, so grottig ich auch sonst in diesem Fach war, diese Drei würden mich noch auf dem Sterbebett verfolgen. Ich wusste nicht warum unser Lehrer so einen Drang hatte uns diese Politiker der Nachkriegszeit so sehr näher zu bringen. Keiner aus dem Kurs wusste das.

Die Pause vor der Biologiestunde verbrachte ich zusammen mit Chris in einer der unbesuchten Ecken der Schule. Eigentlich verirrte sich hier kaum jemand hin, darum staunte ich auch nicht schlecht als ich plötzlich Jay auf uns zukommen sah. Er war allein und hatte einen ernsten Blick in seinen Augen.

„Dem, ich muss mit dir reden. Allein.“

Ich erwiderte seinen Blick, der Meinem Stand hielt, schaute dann zu Chris, die mich fragend ansah und nickte ihr zu. Sie verstand und stand auf um uns beide allein zu lassen.

Jay setzte sich neben mich, schwieg einen Moment. Dann griff er in seine Jackentasche und zog einen Zettel hervor, den er mich schweigend überreichte. Ich nahm in an, faltete ihn auseinander und erstarrte.

„Du fährst wieder.“

Es war keine Frage sondern eine Aussage. Natürlich. Er trug meine Jacke und ich hatte den Zettel mit der Anmeldung damals in diese getan und dann dort vergessen. Blake hatte mir am nächsten Tag einen Neuen gegeben, den ich ausfüllte und abschickte. Meine Hand ballte sich zur Faut und zerknitterte das Blatt Papier.

„Es stimmt, oder?“

Ich antwortete nicht, schaute zum Boden.

„Demian!“ Er rückte näher zu mir, legte seine Hände auf meine Schultern.

„Was ist los mit dir? Du redest kaum noch mit mir, bist selten zu Hause und fährst wieder Motocross. Ich mach mir Sorgen...“

„Das geht dich nichts an.“ Ich drehte den Kopf weg.

„Ich will nicht, dass du wieder im Krankenhaus landest. Dass du dich wieder verletzt. Der Sport ist gefährlich!“

„Das ist meine Sache, Jay.“, ich schüttelte seine Hände ab und stand auf.

„Ich...“ Er erhob sich ebenfalls. „Ich will dich nicht verlieren, Dem. Du bist mein...“

„...Bruder, ja! Ja... und du lebst dein Leben und ich meines... akzeptier es.“

Ich nahm meine Tasche und rannte weg. Ich wollte kein weiteres Wort hören. Ich rannte aus der Schule und hörte erst auf, als ich das Schultor erreichte. Es war mir egal, dass ich Bio schwänzte. Ich würde mich nun eh auf nichts mehr konzentrieren können.

Mein Magen zog sich zusammen.

Nun wusste er es also.

Scheiße. Verdammte Scheiße!

Ich wusste, ich konnte es nicht ewig verheimlichen. Aber ich hatte gehofft es wenigstens bis zum Turnier zu können.

Seine Worte gingen mir den ganzen Weg bis zur Halle nicht mehr aus dem Kopf.

‚Ich mach mir Sorgen.’ ‚Ich will dich nicht verlieren.’

Ich hatte ihn verletzt. Schon wieder. Tränen traten mir in die Augen, doch ich wischte sie weg. Erst einmal stand mir jetzt ein cooles Wochenende bevor. Ich würde Jay erst Sonntag Abend wiedersehen. Wenn überhaupt. Blake begrüßte mich freundlich.

„Du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter. Hast du geweint?“

„Ach quatsch.“ Ich ging zu meinem Spind und holte meine Sachen heraus.

„Du bist früh dran.“

„Ja, ich hab Bio geschwänzt.“

Er zog eine Augenbraue nach oben.

„Seit wann schwänzt du?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Hatte halt kein Bock.“

„Ahja...“ Er reichte mir den Schlüssel und ich holte das Bike aus der Box.

Kapitel sieben

Das Training verlief nicht so wie geplant. Ich fiel zurück, da mir das Gespräch mit Jay nicht aus dem Kopf ging, so sehr ich es auch versuchte.

„Was war denn heute mit dir los?“, fragte mich Blake, als wir im Auto auf dem Weg zu ihm waren. Ich sackte im Sitz zusammen und starrte aus dem Fenster.

„Schlechter Tag.“

„Sicher?“ Er schaute kurz zu mir, dann wieder auf die Straße.

„Du solltest nicht mit Problemen ins Rennen gehen. Deine Konzentration lässt dann nach.“

Danke, das hab ich gemerkt.

„Ich hab ja jetzt Wochenende, Blake. Lenk mich ab und dann passt das schon.“ Ich lächelte.

„Oh gerne.“, gab er grinsend zurück. „Bock auf nen guten Film? Ich hab gestern erst ein paar DVDs gekauft. Ne Pause tut dir sicher gut.“
 

Und so saßen wir zwei Stunden später mit Pizza und Cola bewaffnet auf dem Sofa und schauten Transformers. Ein Actionfilm war jetzt genau das Richtige. Er gefielt mir sogar richtig gut und ließ mich alles andere eine Weile vergessen. Nach dem Film redeten wir über meine Schule und Blake erzählte von seiner Arbeit und seinen Zukunftsplänen. Dass er die Halle von seinem Vater übernehmen möchte zum Beispiel. Er erzählte mich auch von seinen Exfreundinnen, wie die Beziehungen begonnen hatten und wie sie endeten. Im Grunde genommen interessierte ich mich nicht für andere Leute Liebesleben, doch ich wollte nicht unhöflich sein und irgendwie war es ja doch ganz interessant.

„Und? Wie viele Freundinnen hattest du schon, Dem?“

Ich musste nicht einmal überlegen. Ich hatte noch nie eine Freundin gehabt. Ich habe mich nie sonderlich für Mädchen interessiert oder allgemein für Beziehungen. Denn seit ich mich erinnern kann war da Jay in meinem Leben. Ich wollte nur für ihn da sein und für niemand anderen sonst. Und jetzt... ich schluckte.

„Dem?“

„Weißt du, ich bin nicht der Typ für Beziehungen.“

„Nicht? Und die Kleine, in die du verknallt bist?“

„Hör zu Blake, ich möchte wirklich nicht darüber reden.“

Blake seufzte.

„Alles klar, Dude.“ Er schlang einen Arm um meine Schultern. „Du solltest dich trotzdem nicht so runterziehen lassen. Jedes Mädel das dich runterzieht ist es nicht wert ihr nachzurennen oder hinterher zu trauern.“

Toller Rat, nur dass Jay kein Mädchen ist. Und selbst wenn würde es keinen Unterschied machen. Dass ich schwul oder zumindest bi bin ändert nichts an der Tatsache, dass Jay zur Familie gehört. Es ist ein No Go. Immerhin sind unsere Eltern verheiratet.

„Lass uns schlafen, Blake.“

„Na gut, wie du meinst.“ Damit löschte er das Licht.
 

Das Wochenende ging schnell rum.

Am Samstag waren meine Gedanken schon wieder um einiges klarer und das Training verlief besser. Wenn ich auf der Bahn war kamen wir Stunden immer wie Minuten vor, die Zeit verging viel zu schnell. Ich hatte so viel Spaß bei Blake, dass ich eigentlich gar keine Lust hatte am Samstag Abend nach Hause zu gehen. Ich spielte mit dem Gedanken die ganze Woche bei Blake zu bleiben. Doch ich wollte es ihm nicht antun mich jeden Tag fahren zu müssen, auch wenn er das wohl gerne getan hätte. Nebenbei konnte ich bei ihm aber schlecht lernen und das konnte und sollte darunter nicht leiden.

Es war komisch, dass mein Zuhause plötzlich ein Ort war, an dem ich nicht zurückkehren wollte. Erst recht nicht, wenn ich daran dachte wie Jay und ich uns getrennt hatten. Wie sollte ich mich ihm gegenüber verhalten?

Ich nahm auf dem Weg von der Halle nach Hause einen Umweg, einfach um noch etwas länger unterwegs sein zu können. Ich holte mein Handy aus der Tasche. Außer einer SMS von Chris, die mich fragte warum ich nicht in Bio war und ob alles okay sei blieb das Telefon das ganze Wochenende still. Aber was hatte ich nach meiner Ansage am Freitag auch erwartet?

Ich ging den Weg extra langsam. Ich wollte wirklich nicht nach Hause. Ob ich Chris anrufen sollte? Aber das wäre idiotisch. Früher oder später würde ich mich der Situation stellen müssen. Also warum nicht gleich?

Ich atmete tief die kalte Novemberluft ein. Ich würde mit ihm reden müssen. Doch was sollte ich ihm sagen?

Mich entschuldigen? Wäre ein Anfang.

Es ihm erklären? ...wohl eher nicht.

Ihn anlügen? Nein.

Ich hielt nicht viel von Lügen. Verschweigen ist eine Sache aber ich konnte ihm nicht einfach irgendeine Geschichte auftischen. Also blieb es beim Verschweigen.

Gott, warum musste das so kompliziert sein?

Ich erreichte die Haustür und schloss auf. Es war dunkel im Erdgeschoss. Von oben hörte ich laute Popmusik, also war Grace wohl zu Hause. Ich zog Schuhe und Jacke aus und ging nach oben. Unser Zimmer war dunkel und leer. War Jay gar nicht da?

Meine Füße trugen mich zu Graces Zimmer. Ich klopfte an und trat nach einem ‚Herein’ in den Raum.

„Was willst du?“

Ich hatte das Gefühl ihr Zimmer war seit ich das letzte Mal reinschaute noch kitschiger geworden. Pinke Bettwäsche, pinke Gardinen, rosa Wände. Auf dem großen, weißen Schminktisch war ihre Nagellacksammlung, die jetzt schon für ein ganzes Leben reichen würde. Grace saß auf dem Bett und feilte sich die Nägel. Sie war wirklich ein typisches Girly-

Girl.

„Demian, wenn du nichts willst verschwinde aus meinem Zimmer!“

Das Zimmer hatte mich so geblendet, dass ich für kurze Zeit meine Absicht vergaß.

„Weißt du wo Jay ist?“

Sie schaute nicht einmal auf.

„Bei seiner Freundin. Mom und Richard sich ausgegangen. Und es wäre nett wenn du mich jetzt nicht weiter störst!“

„Ist ja gut.“

Ich schloss die Tür und ging zurück in mein Zimmer, machte das Licht an.

Na klasse.

Da war ich nun bereit mit ihm zu reden und dann war er bei... bei... ARGHT!

Ich schmiss meine Tasche auf mein Bett. Hatte ich noch Hausaufgaben auf? Ich schaute auf meinen Stundenplan für morgen, doch die Fächer hatte ich entweder schon fertig oder wir haben gar nichts aufgekommen. Nicht einmal darauf konnte man sich verlassen.

Ich legte mich auf Jays Bett, atmete seinen Geruch ein. Es war berauschend. Wie eine Droge, die ich brauchte. Ich fühlte mich als würden zwei Demians in mir kämpfen. Der, der auf das Herz hörte, der ihn vermisste, ihn brauchte, bei ihm sein wollte. Und der, der auf den Verstand hörte, dass es besser wäre, wenn wir den Abstand haben. Dass ich mich sonst nie von ihm lösen könne und weiter vor mich hin leiden müsse da er nie ganz mir gehören würde. Wie kann ich es schaffen diese beiden Seiten in Einklang zu bringen? Wie nur?

Während ich noch darüber nachdachte wurden meine Augenlieder schwerer und ich schlief ein.
 

Eine warme Hand strich über mein Haar. Langsam spielte sie mit meinen Strähnen, schnappte sich immer wieder eine, drehte einen Finger um diese und ließ sie kurz darauf schon wieder los. Die Hand fuhr über meinen Hals zu meinem Rücken, strich über diesen, über meine Schulterblätter und wanderte zurück zu meinen Haaren. Ich spürte die Hand an meinem Ohr vorbeiziehen, sanft über meine Wange streicheln.

Es war ein schöner Traum. Mir war warm und ich fühlte mich geborgen. Es war lange her, dass mir jemand über den Kopf strich. Soweit ich mich erinnern konnte tat es meine Ma das letzte Mal als ich noch ein kleines Kind war. Doch ich mochte das.

Es dauerte eine Weile bis ich realisierte, dass es kein Traum war. Langsam schlug ich die Augen auf.

„Oh, du bist wach? Guten Morgen.“

Ich bekam einen leichten Schrecken bei der zuckersüßen, so vertrauten Stimme.

„Jay?“

„Da hat wohl jemand verschlafen wie es ausschaut.“ Er zog seine Hand zurück.

„...verschlafen? Fuck, wie spät ist es?“

„halb Zwölf.“

Ruckartig setzte ich mich auf. „FUCK! Die Schule!“ Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich nicht in meinem eigenen Bett befand. Was das wohl für ein Anblick war, als er ins Zimmer kam und mich hier liegen sah? Ich wurde rot. Auch das noch!

Jay griff nach meinen Handgelenken.

„Jetzt musst du dich auch nicht mehr hetzen. Es wird kein Beinbruch sein wenn du mal einen Tag blau machst.“ Er drückte mich sanft zurück in die Matratze, legte sich neben mich.

„Warum bist du überhaupt zu Hause?“, schoss es mir durch den Kopf. Gleichzeitig ging ich die Fächer durch, die ich heute hatte. Es war wirklich nicht sooo schlimm wenn ich nicht hinging. Solange es nicht zur Gewohnheit wurde.

„Ich hab Montags eh nur wenig Stunden und die Letzten sind ausgefallen. Hab schon Schluss.“

Mein Herz begann sich mal wieder zu melden und beschleunigte seinen Takt. Jay sah mir in die Augen, einige Sekunden lang. Es ist so klischeehaft aber ich könnte jedes mal in dem Blau seiner Augen versinken.

„Dem, ich muss mit dir reden. Bitte renn nicht wieder weg, ja? Es ist mir wichtig.“

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, doch ich nickte stumm. Ich war gestern bereit dazu gewesen, da würde ich heute sicher keinen Rückzieher machen. Er schloss die Augen und ich wurde aus meiner Traumwelt gerissen.

„Seit ich mit Summer zusammen bin verhältst du dich komisch. Gibt es da einen Zusammenhang?“

Es war als hätte man mir ein Brett vor den Kopf geschlagen. Voll ins Schwarze.

Aber das konnte ich ihm schlecht sagen, oder? ... Oder?

Als ich nicht antwortete fuhr er fort mit seinen Vermutungen.

„Du bist eifersüchtig, oder?“

Wie genau meinte er das? Ahnte er etwa etwas??

„Inwiefern?“ Meine Stimme war leise, doch er lag so nah neben mir, dass er es hören konnte. Ich spürte seinen Atem an meiner Wange kitzeln.

„Naja... mir waren immer zusammen. Immer zu Zweit. Nie war einer von uns in einer Beziehung. Ich kann mir gut vorstellen, dass du dich außen vor fühlst. Aber Dem...“ Er schlang seine Arme um meinen Körper, drückte sich an meine Brust. Ich spürte seine Wärme überall, sie übertrug sich auf mich und schoss mir in die Wangen. Ein Glück, dass er mich jetzt nicht sehen konnte.

„...Du bist für mich die wichtigste Person auf der Welt. Und das wird sich auch nicht ändern. Summer kann da nicht mithalten. Das kann niemand. Dass ich mit ihr zusammen bin heißt nicht, dass sie meine Nummer eins ist.“

Jetzt schoss mir die Hitze noch ganz woanders hin und ich hoffte wirklich, dass er es nicht merken würde.

„Das... wird deiner Freundin nicht gefallen...“

„Damit wird sie klar kommen müssen. Dem, du bedeutest mir so viel...“

Ich legte meine Arme langsam um seinem Rücken, schloss damit die Umarmung.

„...ich will dich nicht verlieren. Ich will nicht, dass du dich von mir entfernst. Ich brauch dich.“

BÄM! Das schlug ein. Und wie es einschlug. Wären wir keine Brüder und würde ich nicht genau wissen, dass er keine Hintergedanken bei diesen Worten hatte... ich würde es für die schönste Liebeserklärung halten, die ich je bekommen habe. Nun... wohl auch die Einzige. Aber das tat gerade nicht zur Sache!

„Aber...“ Ich flüsterte, nicht im Stande laut zu sprechen. „Meinst du nicht es wäre besser wenn wir unabhängiger voneinander werden? Auf lange Sicht gesehen?“

„Mir egal ob besser oder nicht, ich will das nicht.“ Er verstärkte seinen Griff. „Oder bin ich dir lästig geworden?“ Seine Stimme brach zum Ende des Satzes ab.

„Hell, nein! Nein... natürlich nicht, Jay!“

Lästig... wie konnte er so was denken? Wobei, wenn ich darüber nachdachte, so wie ich mich verhielt war die These nicht einmal unbegründet. Fuck. Ich würde mich erklären müssen.

„Es tut mir leid, dich so verletzt zu haben.“ Denn das hatte ich. Als hätte man mir die Augen geöffnet wurde es mir schlagartig klar. Ich hatte ihn allein gelassen als er mich brauchte. Ihn im Stich gelassen. Ich wollte das Beste, das Richtige, doch es schlug ins Gegenteil und ich erreichte das, was ich nie vorgehabt hatte. Dabei hätte ich wissen müssen, dass es ihn verletzt. Ich kenne ihn schließlich. Die ganze Sache ist außer Kontrolle geraten, ich hatte mich zu sehr hineingesteigert. Von nun an hat der Verstand Pause und ich lasse mein Herz sprechen.

„Ich wollte dich nicht alleine lassen. Doch ich dachte das wäre das Beste. Ich bin eifersüchtig, ja, aber das sollte nicht zwischen dir und ihr stehen.“

Ich bin so eifersüchtig, dass ich es kaum aushalte! Doch das war mein Problem, nicht seines. Ich musste nur lernen damit klar zu kommen. Seine Worte machten mich so glücklich, dass ich sogar glaubte es schaffen zu können.

Nummer eins.

Es beflügelte mich.

„Dem? Meinst du es kann wieder so werden wie vor der Sache mit Summer?“

Ich dachte kurz nach.

„Ich versuch mein Bestes.“ Meine Hand wanderte in seinen Nacken und ich begann ihn zu kraulen. Sein Körper begann sich zu entspannen und der strenge Griff um mich lockerte sich ein wenig.

„Eine Sache hätte ich aber noch, Dem.“

„Schieß los.“

Er löste sich leicht von mir um mir in die Augen sehen zu können.

„Warum fährst du wieder?“

Ich erstarrte für einen Moment. Die ganze Motocross Geschichte hatte ich für den Moment wirklich vergessen.

„Es macht mir Spaß... und... ich mag den Nervenkitzel.“

„Du hast versprochen damit aufzuhören.“

„Ich weiß aber... Jay, ich liebe diesen Sport.“

Er schwieg ein paar Sekunden.

„Es ist gefährlich.“

„So gefährlich nun auch wieder nicht. Ich bin ein sicherer Fahrer und hab nicht umsonst meine Schutzkleidung. Und es ist November, wir fahren in der Halle, da kann nicht viel passieren.“ Ich wollte ihn überzeugen, dass mir dieses Hobby wichtig ist. Es stimmt zwar, dass ich wieder angefangen hatte um die Gefühle für den blonden Jungen in meinen Armen zu vergessen, doch auch ohne diesen Grund will ich weiter fahren.

„Dem, als du damals gestürzt bist... und ins Krankenhaus musstest... ich wäre fast gestorben vor Angst um dich.“

„Aber mir ist doch kaum was passiert. Gebrochene Rippen kannst du dir auch beim Fahrrad fahren oder beim Reiten holen.“

„Aber Dem-“

Ich legte einen Finger auf seine Lippen um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Ich weiß was du meinst, Jay. Danke fürs Sorgen machen. Ich verspreche dir vorsichtig zu sein, ja?“

Er wendete den Blick ab.

„Es gefällt mir trotzdem nicht...“

„Ich weiß. Aber versuch es zu akzeptieren, ja?“

„...Ich versuchs...“

Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Wenn dieser Moment doch nie zuende gehen würde... Jay in meinen Armen, wir haben uns ausgesprochen und er versuchte mir das Motocross nicht auszureden. Ja, dieser Moment war gerade wirklich perfekt.
 

Wir blieben auf dem Bett bis zum späten Nachmittag. Mir war egal, dass ich heute das Training schwänzte. Ich hatte bereits so viel Zeit auf der Bahn verbracht, dass ich es mir ruhig leisten durfte. Ich ignorierte die gefühlten einhundert Anrufe, wahrscheinlich von Blake, und genoss Jadens Anwesenheit bis der Hunger zu groß wurde. Wir zogen ins Wohnzimmer um während in der Küche die Fertiglasange im Ofen vor sich hin brutzelte. Aneinander gekuschelt saßen wir auf dem Sofa und schauten die neusten Folgen von How I met your mother. Einzig eine SMS von Chris, die mich fragte ob alles okay sei, mich informierte, dass sie 12 und ich 15 Punkte im Mathetest hatte und mir tausendfach dankte und hoffte, dass ich morgen wieder da sei störte die Zweisamkeit für drei Sekunden.

Ich konnte nicht leugnen, dass ich das vermisst hatte. Wahnsinnig. Warum noch mal war der Verstand besser als das Herz? Ich musste an den Philosophieunterricht denken, wo wir auch einmal so etwas hatten... Es, Ich und Überich? War das nicht so? Das ‚Es’ waren die Triebe, das ‚Überich’ das Ansehen in der Gesellschaft und das ‚Ich’ hielt alles zusammen und im geordneten Gleichgewicht. Demnach war das ‚Es’ das Herz, das ‚Überich’ der Verstand und das ‚Ich’ war... nun ja, ich selbst halt.

Also dann ‚Überich’, du hast es lang genug versucht und du hast verkackt! Mach es besser, ‚Es’! Lern was draus!

Ich musste schmunzeln.

„Was ist so komisch?“

„Ach... ich hab nur gerade philosophiert.“

Jay sah mich völlig perplex an. “O...kay...“

Jetzt musste ich lachen. Dieser verwirrte Gesichtsausdruck war doch einfach zu süß!

Kapitel acht

Am nächsten Morgen saßen wir am Frühstückstisch und nach einer gefühlten Ewigkeit war diese Zeit nicht mehr von Geschweige umrahmt. Jay erzählte mir von seinen letzten Klausur- und Testergebnissen. Was bei Troy und Lucas so Neues anstand und natürlich von Summer, auch wenn mich diese Details nicht wirklich interessierten. Doch ich hörte aufmerksam zu. Er interessierte sich sogar für mein Training und so war es nun mein Part zu erzählen wie es mir in letzter Zeit auf der Bahn ergangen war. Auch wenn er mit den meisten Begriffen nichts anfangen konnte, fragte er interessiert nach, wenn er etwas nicht verstand. Es war cool jemanden mit völliger Begeisterung davon erzählen zu können. Unser Gespräch setzte sich während des Schulweges fort und ich hörte erst auf zu erzählen, als die Schulglocke die erste Stunde verkündete – Philosophie. Wie ironisch.

Ich setzte mich auf meinem Platz neben Chris.

„Wieder gesund?“, flüsterte sie mir zu.

„Ohja. Könnte nicht besser sein.“ Ich grinste.

„Echt? Was ist passiert?“

Die Stunde verbrachte ich damit ihr alles im Flüsterton zu erzählen. Der doch recht alte Lehrer bekam davon zum Glück nichts mit und versuchte der Klasse mühevoll den Leviathan verständlich zu machen.

„Dann ist jetzt alles wieder okay zwischen euch?“

„Nun ja... ja. Irgendwie schon. Ich hab gemerkt, dass ich die ganze Situation mit meinem Verhalten nicht besser, sondern eher schlechter gemacht habe. Aber bis man das erst mal realisiert vergeht ja bekanntlich eine Weile.“

„Ja, da hast du allerdings recht. Und was hast du jetzt vor?“

„Was sollte ich vorhaben?“

„Na... bleibt es trotzdem ein Geheimnis?“

Einen Moment lang überlegte ich diesbezüglich. Hatten sich meine Ansichten jetzt beändert? Nein, das hatten sie nicht. Nur weil er mir gesagt hat, dass ich in seinem Leben an erster Stelle stehe heißt das noch nicht, dass er erfahren sollte, dass ich ihn mehr mag als nur einen Bruder. Viel mehr.

Ich stand an erster Stelle, was wollte ich eigentlich mehr? Summer würde das akzeptieren müssen und wenn sie es nicht konnte dann war es ihr Pech. Das hatte Jay doch gesagt, nicht wahr? Er würde sich doch daran halten, oder? Wenn er vor die Wahl gesetzt würde... er würde mich wählen, oder? Zweifel überkamen mich. Sie war seine Freundin, ich war sein Bruder. Aber mich kannte er schon viel länger und Freundinnen kamen und gingen mit der Zeit. Meistens zumindest. In dem Alter zumindest. Ich atmete tief durch. Zu wissen unersetzbar zu sein bedeutete mir so viel. Es würde mir genügen müssen.

„Bleibt es. Würde ich etwas sagen würde sich unsere Beziehung automatisch ändern.“

„Das würde sie. Aber es kann doch auch sein, dass sie sich positiv verändert?“

„Ja, und zu wie viel Prozent besteht diese Chance? Zwei? Ich riskier das nicht, Chris...“

Sie nickte.
 

In der Pause begab ich mich nach langer Zeit wieder auf den Pausenhof. Jay winkte mir zu als er mich sah und hatte sein zuckersüßes Grinsen aufgesetzt. Ich hätte dahinschmelzen können.

Summer verschränkte die Arme und zog eine Schnute als sie mich auf sie zukommen sah.

Ich hatte nie viel mit ihr zu tun gehabt in der Vergangenheit. Es war nicht so, dass ich sie nicht mochte. Sie freundete sich mit Jay an als wir neun und zehn Jahre alt waren. Wir besuchten damals recht oft einen Spielplatz in der Nähe und dort haben wir sie zum ersten Mal getroffen. Schon damals ist mir aufgefallen, dass sie ihm verhältnismäßig oft hinterher lief und nur mit ihm spielen wollte. Ich wurde von ihr gerne mal ignoriert, doch Jay ließ nie zu, dass man mich komplett ausschloss. Wir waren oft zu dritt, aber nicht weil wir zu dritt gut befreundet waren. Jay war das Bindeglied zwischen uns, ohne ihn hätten wir wohl kaum so viel Kontakt gehabt. Und so war es auch jetzt. Sie war nett, doch sie war eines der Mädchen mit denen ich von selbst nie etwas zu tun haben wollte. So ein typisches Mädchen-Mädchen eben. Grace war genauso. Wenn Grace nicht meine Schwester wäre, hätte ich mit ihr sicher auch nie Kontakt gehabt. Chris war da so ganz anders. Sie war auch hübsch, keine Frage, aber ihr machte es auch nichts aus mal im Dreck zu spielen und sich die Finger schmutzig zu machen. Schon damals nicht. Als ich in die Pubertät kam und Mädchen langsam interessanter wurden war sie das typische Beispiel dafür, dass man auch mit Mädchen befreundet sein konnte ohne gleich etwas von ihnen zu wollen.
 

Ich kann mich noch genau erinnern wie uns damals immer alle für ein Paar gehalten haben. Natürlich haben sie das. Es war ja auch völlig unmöglich, dass man mit 14 Jahren ohne Hintergedanken miteinander befreundet war. Aber es hat uns nie wirklich gestört, wir haben sie einfach reden lassen. Sie hielt nicht viel von Gerüchten und ich auch nicht.

Im Grunde war diese Pause genauso, wie ich mir eine perfekte Pause wünschen würde. Zumindest bis zu dem Moment, in dem Summer ihre perfekten, rosaroten Lippen auf die meines blonden Engels legte. Es war schwer damit klar zu kommen.

Ganz ruhig, Demian, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Ich war seine Nummer eins. Ich. Nicht Summer. Und trotzdem! Nummer eins gut und schön, aber sie war diejenige, die das Recht hatte ihn küssen zu dürfen! Seine süßen, dünnen Lippen mit ihren Eigenen berühren zu dürfen. Ich hatte dieses Recht nicht. Ich würde als Bruder dieses Recht auch nicht bekommen. Nie.

Chris legte ihre Hand auf meine. Ich schreckte aus meiner Gedankenwelt auf uns sah sie an, unsere Blicke trafen sich. Sie nickte nur. Ich wusste sie verstand was gerade in mir vorging.

„Möchtest du weg?“, flüsterte sie so leise, dass nur ich es hören konnte.

Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich jetzt weggehen würde, würde Jay skeptisch werden. In seinen Augen war unsere Beziehung schließlich nun wieder in Ordnung. Er wusste nicht, dass da noch etwas mehr war als nur die Eifersucht, dass ich nicht mehr eine uneingeschränkte Aufmerksamkeit hatte. Und er sollte es auch nicht wissen. Es sollte nicht noch einmal so ein Chaos zwischen uns kommen. Ich kam damit schon klar. Ich musste.

Und doch war ich ein wenig erleichtert als die Schulglocke das Ende der Pause verkündete. Summer, die mittlerweile auf Jays Schoß ihren Platz gefunden hatte, stand auf, ergriff seine Hand und ging mit ihm zu ihren nächsten Kursraum. Ich atmete einfach erleichternd durch. Es war doch irgendwie eine komische Situation so unter Druck zu stehen, wenn man eigentlich die freie Unterrichtszeit genießen sollte.

Die nächsten zwei Stunden ging mir dieses Bild von Summer und Jay nicht aus dem Kopf. Es erzählt zu bekommen war die eine Sache, aber es dann live und in Farbe vor sich zu sehen eine ganz Andere. Die nächste Pause war ähnlich wie die Erste. Ich fragte mich, ob ab sofort alle Pausen so verlaufen würden. Mit einer Angespanntheit meinerseits und dem Rumgeturtel des Pärchens vor mir. Es würde wohl wirklich so sein. Bis es mir irgendwann egal werden würde. Nur, dass das nie passieren wird. Bestimmt nicht. Sie sollte verdammt noch einmal die Finger von meinem Jay lassen!

Als ich nach der sechsten Stunde zur Halle ging und mich endlich auf mein Bike schwingen konnte, war es eine wahre Wohltat. Ich drehte meine Runden, ließ das Adrenalin durch meine Adern strömen und genoss die Geschwindigkeit wie nichts Anderes auf der Welt. Ja, es war wirklich mein Ausgleich. Es puschte mich innerlich so sehr auf, dass es mich von allen alltäglichen Gedanken runterholte. Wie eine Droge, nur dass meine Gedanken nicht verschwommen sondern klar und deutlich waren – nur eben die Gedanken ans Fahren und an nichts Anderes.

Blake war diesmal nicht von Anfang an im Gebäude, sondern betrat dieses erst, als ich meine mittlerweile siebte Runde fuhr. Als ich ihn im Augenwinkel sah, verlangsamte ich die Geschwindigkeit, fuhr zum Startpunkt und verließ dort die Bahn. Ich stellte das Bike ab, nahm meinen Helm ab und begrüßte meinen Kumpel fröhlich.

„Demian! Alter, wo warst du gestern? Du hast nicht auf meine Anrufe reagiert und auch nicht Bescheid gesagt. Was sollte das?“

Ich lächelte schuldbewusst.

„Tut mir echt leid. Ich... mir gings ziemlich dreckig. Ich hab den ganzen Tag geschlafen und das Handy war auf lautlos.“ Es war mir egal, dass ich ihn anlog. Es war eine Notlüge, schließlich konnte ich schlecht sagen, dass ich stundenlang mit meinem Bruder in seinem Bett rumgekuschelt habe und mich von niemanden stören lassen wollte. Das... nein, das brauchte er nicht zu wissen.

„Ahja? Nun gut, zumindest geht es dir heute schon wieder besser. Das freut mich. Ich dachte schon es wäre was schlimmes passiert, so kurz vor dem Rennen...“

„Nein, nein. Mir geht’s gut, wirklich.“

Er schmiss sich aufs Sofa, öffnete eine Dose Cola.

„Soll ich deine Zeit messen?“

„Das wäre super.“ Ich zog mir den Helm wieder an und schob die Maschine zurück zur Bahn.
 

Meine letzten Runden verliefen ausgesprochen gut. Ich freute mich unheimlich auf das Rennen am Samstag. Ich wollte gut abschneiden, ja, aber vor allem wollte ich dieses unbeschreibliche Gefühl der Herausforderung. Den Nervenkitzel. Den Prüfungsdruck. Das Gefühl konnte mir nichts Anderes geben.

Gut gelaunt ging ich an diesem Abend nach Hause. Es war bitterkalt und so langsam musste ich mir echt Handschuhe besorgen, sonst würden meine Finger irgendwann sicher noch abfallen. So warm waren meine Jackentaschen nämlich auch nicht. Vielleicht hätte ich Blakes Angebot auf eine Fahrt in einem warmen Auto doch annehmen sollen. Aber ich kam mir vor, als würde ich ihn ausnutzen wenn ich mich jeden Tag von ihm fahren ließe. Des Weiteren fand ich den Gedanken an ein wenig frischer Luft doch ganz verlockend. Auch wenn mir diese Luft heute etwas zu frisch war.

Mein Handy begann zu vibrieren und ich konnte mir schon denken wer mich anrief. Ein Blick auf das Display bestätigte meinen Verdacht.

„Hey Jay.“

„Bist du schon auf dem Heimweg?“

„Jap, bin in circa 10 Minuten zu Hause.“

„Alles klar. Trödel nicht zu lange, ich hab Essen gekocht.“

Jay hat... gekocht? Hab ich was verpasst? Ich kannte es ja, dass er Pizza oder Pommes in den Ofen schieben konnte aber seit wann kochte er denn bitte?

„Du hast was?“

Ich konnte die Verwunderung in meiner Stimme nicht verbergen.

„Hast schon richtig gehört.“ Er lachte am anderen Ende der Leitung. „Und nein, es sind keine Nudeln. Also beeil dich.“

„Alles klar, bin gespannt. Bis gleich.“

Ohja. Gespannt war ich wirklich. Jay und Kochen... ich wollte nicht wissen, wie unsere Küche nun aussah. Unbewusst beschleunigte ich meine Schritte, was den netten Nebeneffekt hatte, dass ich schneller aus der Kälte rauskommen würde.
 

Zuhause angekommen lag gleich nach dem Eintreten bereits der Geruch von Essen in der Luft. Ich entledigte mich meiner Jacke und Schuhe und betrat die Küche, die zu meiner Verwunderung allerdings leer war. Sehr viel mehr wunderte mich aber der Fakt, dass sie so sauber war, als wäre hier nie etwas passiert.

„Jay?“

„Bin im Wohnzimmer.“, schallte es aus eben diesem. Ich begab mich in Richtung Stube und blieb leicht verdattert im Türrahmen stehen.

Jay hatte sich unseren Esstisch zu Nutze gemacht, den wir schon seit mindestens drei Jahren nicht mehr benutzt hatten. Dort aufgetischt waren zwei Teller mit Fisch, Kartoffeln und Gemüse, separat zwei Teller mit einem Stückchen Kuchen und je ein Glas mit Cola.

„Gibt’s was zu feiern?“, fragte ich, während ich zu dem Tisch ging, immer noch ungläubig das Menü anstarrend.

„Nicht wirklich. Ich dachte nur du freust dich vielleicht.“

Natürlich tat ich das! Ich setzte mich an einen der Plätze und fragte mich, ob man das wirklich essen konnte. Ich hatte nicht gewusst, dass Jay wirklich kochen konnte. Doch das hier sah wirklich essbar aus. Jay holte eine längliche Kerze aus dem Schrank, stellte diese auf dem Tisch und zündete sie an. Das Licht im Raum war gedämmt. Mein Gott. Das hier kam einem Candlelight Dinner gleich! Dank des wenigen Lichtes konnte man nicht sehen, dass ich Rot wurde.

Nachdem Jaden sich ebenfalls gesetzt hatte, fing ich mit dem Essen an. Es schmeckte wirklich gut, mindestens so gut wie es aussah.

„Wann bitte hast du das gelernt?“, fragte ich zwischen zwei Bissen nach.

„Keine Ahnung. Ich hab Susan ein paar Mal zugeschaut. Und Summer kocht auch meistens selbst. Da dachte ich so schwer kann es nicht sein und wollte es probieren.“

Dass er die Inspiration von Summer hatte drückte meine Laune, aber höchstens für ein paar Sekunden. Dafür war das Essen einfach zu gut. Und er konnte nichts dafür, dass ich sie nicht mochte.

„Und ich sollte dein Versuchskaninchen sein, ja?“ Ich grinste. Er grinste zurück.

„Ja, so in etwa. Schmeckt es denn?“

„Wahnsinnig gut. Könntest du öfter machen.“

„Na mal sehen. Im Grunde hab ich auch nichts gegen Pizza und Nudeln.“

Kapitel neun

Ich war froh, dass Grace die ganze Zeit in ihrem Zimmer blieb während wir aßen. Ich glaube, es wäre mir ein wenig peinlich gewesen, hätte sie es mitbekommen. Ich wusste nicht einmal wieso. Aber taten Brüder so was normalerweise? Eigentlich doch nicht, oder? Der Gedanke verfolgte mich, bis wir oben in unserem Zimmer waren und ich mich bettfertig machte. Ich schob ihn dann allerdings zur Seite. Unsere Beziehung war nun mal speziell, da war so etwas auch ruhig mal drin. Punkt.

Die Hausaufgaben für den kommenden Tag waren schnell erledigt. Sechs Stunden morgen und dann hatte ich mein drittletztes Training vor dem Rennen. Ich merkte wie langsam die Nervosität aufkam, versuchte sie aber zu ignorieren. Die konnte gut und gerne am Samstag da sein aber doch nicht schon jetzt!

„Denkst du an das Rennen?“ Jay löschte das Licht und krabbelte in sein Bett. Er konnte mal wieder meine Gedanken lesen.

„Ja... sag mal...“ Ich zögerte mit der Frage, entschloss mich dann aber sie doch zu stellen.

„Magst du am Samstag mitkommen und mir zusehen?“

„Hmmm...“ Jay schwieg eine Zeit.

„Jay?“

„Ich muss gucken. Ich würde gerne, aber ich hab mit Summer schon ausgemacht, dass wir weg gehen. Aber ich frag sie morgen, ob wir das verschieben können. Müsste eigentlich gehen.“

Mein Herz schlug schneller und eine angenehme Wärme floss durch meinen Körper.

„Freut mich. Gute Nacht, Jay.“

„Dir auch, schlaf schön.“

Er würde sein Date mit Summer wegen mir verschieben. Wegen mir.

Mit dem Gedanken im Kopf reiste in langsam in das Land der Träume.
 

Die letzten Tage bis zum Rennen vergingen wie im Flug. Ich konnte die Zeit sogar richtig genießen, geflügelt von den positiven Gedanken, die ich hatte. In der Schule ging es langsam aber sicher auf den Endspurt zu, was die Thematiken der Abschlussprüfungen betraf. Eigentlich wäre es mir ganz Recht gewesen zumindest noch einen der Nachmittage zum Lernen nutzen zu können, zumal die nächsten Klausuren bald bevor standen und diese unter anderen darüber entschieden, ob wir für die Prüfungen zugelassen werden oder nicht. Doch Blake hätte mir die Hölle heiß gemacht, wenn ich kurz vor knapp noch ein Training hätte ausfallen lassen, darum führte mein Weg nach dem Unterricht täglich zur Halle.

Es war als wäre dieser Streit zwischen uns nie gewesen. Jay war nicht sonderlich nachtragend und darüber war ich mehr als nur froh. Es kam auch nicht mehr zur Sprache. Ich denke er war mit meiner Erklärung zufrieden gewesen, auch wenn diese nicht die ganze Wahrheit beinhaltete.

Ich fragte mich die letzten Tage immer wieder wie Jay wohl reagieren würde, wenn er es doch irgendwann mal herausfände. Fakt war, ich war ihm wichtig. Sehr sogar. Fakt war auch, dass er mich nicht verlieren wollte. Mein Herz schlug beim Gedanken daran jedes mal schneller. Die Frage war jetzt nur, ob das Ganze eine so große Sache war, wie ich es mir die ganze Zeit einredete. Ich konnte absolut nicht einschätzen wie Jay dazu stand. Ob er es als großes Tabu sehen würde, ob ihm diese Gefühle für ihn lästig wären, wenn nicht gar abschreckend. Oder ob er es einfach tolerieren würde. Vielleicht würde er auch einfach mit den Schultern zucken, sagen es sei okay und wir könnten ganz normal weiter einfach nur Brüder sein. Aber kann man mit jemanden zusammen leben, mit ihm ein Zimmer teilen, wenn man wusste, dass dieser Jemand etwas von einem will? Andererseits kommen solche Gefühle nicht von heute auf morgen und ich habe ihn bis jetzt auch nicht angefallen. Also würde er mir schon vertrauen, dass ich es auch weiterhin nicht tat, oder? Mensch... es wäre einfacher diese Gefühle nicht verstecken zu müssen. Aber ich bin zu feige alles auf eine Karte zu setzen. Gerade weil ich nicht weiß, wie er reagiert. Zu groß ist die Angst vor Abweisung. Vielleicht sollte ich mal jemanden drauf ansetzen, der das Thema irgendwie anspricht. Indirekt natürlich. Nur wen? Außer Chris weiß es niemand und Chris ist mit Jay nicht unbedingt gut befreundet. Sie kennen sich und in der Vergangenheit haben wir auch ab und an mal was zu Dritt unternommen, aber das war es auch schon. Nein... das würde zu komisch kommen wenn Chris plötzlich mit so was ankommen würde.

Ich machte mir sehr viele Gedanken über das Thema, meistens abends, wenn ich im Bett lag. Aber jedes Mal kam ich zum selben Schluss: Am Besten gar nichts sagen. Einfach die Situation so lassen, wie sie jetzt ist. Denn so ist es gut.
 

Es war Freitag Abend und so langsam kam die Nervosität. Ich saß in meinem Zimmer und ging an meinem Computer noch mal alle möglichen Videos durch, die Blake mir geschickt hatte. Das Training verlief die letzten Tage richtig gut, aber wenn ich morgen nicht konzentriert bin und auf meine Gegner achte kann trotzdem noch alles schief gehen. Eigentlich sollte man sich kurz vor einer Prüfung oder etwas ähnlichen ja nicht noch extra verrückt machen, aber ich konnte nicht anders. Ich war schon immer so gewesen und so ging es bis jetzt auch immer am Besten. Ich brauchte den Druck um zu bestehen. Ich kam mit dem Druck klar, darum war das okay. Ich war beim vorletzten Video als Jay seufzend ins Zimmer kam und sich auf sein Bett fallen ließ. Er stützte den Kopf auf seine Hände.

„Alles okay?“ Es kam selten vor, dass er so... ja, schon fast deprimiert aussah. Ich rollte mit meinem Drehstuhl vom Schreibtisch weg und zu ihm rüber.

„Ich hab mich mit Summer gestritten.“ Nun lehnte er sich zurück und lag auf seinem Bett. Seit wann stritt sich Jay mit jemanden? Er war von Natur aus die Art von Mensch, mit der man sich eigentlich gar nicht streiten konnte. Zu einem Streit gehören immer Zwei und von seiner Seite aus kam nie eine negative Erwiderung. Darum war ich jetzt auch ganz besonders neugierig was passiert war.

„Wie hast du das denn geschafft? Seit wann streitest du dich?“

„Es ging... um Samstag.“

Ich horchte auf.

„Ich hab sie gefragt ob wir das Date verschieben können, da ich mit dir was unternehmen wolle. Da ist sie leicht ausgetickt.“

Der Grund für den Streit war ich? Na klasse...

„Jay, ich möchte aber nicht, dass du dich wegen mir mit deiner Freundin streitest.“

„Will ich doch auch nicht. Aber ich möchte dir wirklich beim Rennen zusehen. Ich meine son Date kann man verschieben, aber das Rennen findet nur einmal statt.“

„Ja, das stimmt schon, aber-“

„Nichts aber. Ich hab ihr gesagt, dass es Samstag nicht klappt. Ich komm dir zusehen.“

„Jay...“

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Natürlich machte es mich unglaublich glücklich, dass er mich seiner Freundin vorzog. Aber es war genau der Grund, warum ich den Abstand wollte. Er sollte sich nicht wegen mir mit jemanden streiten. Da mache ich mir mehr Sorgen, dass es wieder in Ordnung kommt, als dass ich mich freue.

„Ich hab dir gesagt, dass Summer damit klar kommen muss. Und wenn sie das nicht kann ist es ihr Problem.“

„Sie ist deine Freundin.“

„Und du bist mein Bruder. Und bester Freund. Das gewichtet mehr.“

Nun wurde ich wirklich rot und diesmal konnte es keine Dunkelheit verbergen.

„Danke...“ Ich schaute beschämt zum Boden. „Ich... stell mich mal unter die Dusche.“

Damit verschwand ich aus dem Zimmer. Wäre ich länger geblieben, hätte ich mich wahrscheinlich noch verhalten wie ein verliebtes, pubertierendes Schulmädchen und das wollte ich ihm nun wirklich nicht antun.
 

Am Samstag wachte ich noch vor dem Wecker auf. Draußen war es noch dunkel. Ich hörte das leise Atmen von Jay auf der anderen Seite des Zimmers. Die Uhr verriet, dass es halb sechs war. Das Rennen begann um zwölf. Ich hatte noch genug Zeit, doch ich war so aufgeregt, dass ich nun bestimmt nicht mehr schlafen konnte. Ich dachte daran wie ich zum ersten Mal auf einem Motocross Bike saß. Damals war ich 16. Eigentlich wollte ich mich nur nach langer Zeit mal wieder mit Blake treffen, denn seit er die Schule verlassen hatte, haben wir uns nicht mehr gesehen. Doch er nahm mich mit zur Halle und ich durfte alles einmal ausprobieren. Es machte mir gleich von Anfang an totalen Spaß und ich wusste – das war der Sport, den ich machen wollte. Ich hatte mich nie groß für Sportarten interessiert. Als Kind hatte ich einige Monate lang Basketball gespielt, aber das wurde mir schnell zu langweilig. Ich war nicht schlecht in Sport, nun wirklich nicht, aber ich wollte es nicht in meiner Freizeit machen. Bis ich das Motocross entdeckte. Es war teuer, ja, aber ich konnte genug zusammen sparen um mir die Ausrüstung zu leisten und das Bike wurde mir gestellt. Ich musste nicht einmal Vereinsgebühren bezahlen um fahren zu dürfen, dafür sorge Blake. Sein Vater meinte zwar es solle nicht zur Gewohnheit werden, dass seine Freunde kostenlos fahren aber außer mir hatte er niemand anderen mehr angeschleppt.

Ich erinnerte mich auch an den Tag, als ich gestürzt bin, vor einem halben Jahr. Es war in meinen Augen wirklich keine große Sache. Es hat weh getan, ja natürlich, aber ich konnte viel ab und hielt das ohne Weiteres aus. Ich erinnere mich nicht mal richtig an die Schmerzen, mehr an die Langeweile, die ich im Krankenhaus hatte. Meine Mitmenschen haben einfach nur maßlos übertrieben. Wir haben nicht umsonst bei jedem Rennen genug Sanitäter an der Bahn und beim Training mindestens eine Person mit Erste Hilfe Erfahrung – meistens Blake oder sein Vater. Natürlich gab es bei diesem Sport schon Todesfälle aber meine Güte, die gab es auch bei jedem anderen. Wenn man danach ging durfte man gar nichts mehr machen.

Ich bin an dem Tag draußen gefahren. Es war Anfang Mai und die Außenstrecke war gerade seit wenigen Wochen offen. Die Erde war uneben und um einiges schwieriger zu befahren, als die in der Halle. Ich hatte mich einfach mit einem der Sprünge ein wenig verschätzt und so passierte es. Leider war ich noch minderjährig, so dass meine Eltern benachrichtigt werden mussten. Wenn es jetzt noch mal passiert, würden sie keinen Anruf bekommen. So einfach ist das.

Plötzlich fiel mir etwas ein. Ich stand auf und ging leise zu meinem Kleiderschrank. Auf dessen Boden befand sich ein kleiner Karton. Ich öffnete ihn, kramte ein wenig herum und fand was ich suchte. Ein kleines, altes, blaues Spielzeugauto. Ich schloss den Karton wieder und ging mit dem Auto zurück zu meinem Bett. Jay hatte es mir geschenkt, als wir uns zum ersten Mal sahen. Ich habe damals sehr viel mit diesem Auto gespielt, daher hat es auch viele Gebrauchsspuren, aber man konnte noch deutlich sehen wie schön es mal gewesen war. Ich steckte das Auto in meine Tasche, beschloss es als Glücksbringer mitzunehmen. Schaden konnte es ja nicht, oder?

Als Jay wach war und wir uns angezogen hatten, gingen zur zusammen nach unten zum Frühstücken. Ich gönnte mir 3 Tassen Kaffe und hoffte, dass das Koffein nichts an meinen Fähigkeiten ändern würde. Ich hatte in Bio nie wirklich aufgepasst was genau Koffein im Körper bewirkte, außer dass man wach und hibbelig wurde natürlich. Aber das sollte schon in Ordnung gehen.

Jays Handy klingelte. Er guckte auf das Display und drückte den Anruf. weg. Auf meinen fragenden Blick antwortete er nur: „Summer. Ich möchte nicht mit ihr reden. Ich ruf sie nach dem Rennen an.“

Ich nickte und aß meine Kellogs. Zumindest sollte ich genug im Magen haben, damit mein Körper irgendwoher Energie kriegen kann. Auf was man alles achten muss, bei so was. Genug geschlafen, genug und vor allem das Richtige gegessen... schon irgendwie schräg.
 

Wir erreichten die Halle gegen halb elf. Ich hatte genug Zeit, um mich in Ruhe umzuziehen und mein Bike noch mal durchzuchecken, doch mit dem war zum Glück alles in Ordnung. Ich stellte Jay Blake vor, hatte aber das Gefühl, dass sie sich nicht ganz so verstanden. Aber solange sie heute miteinander auskamen war es in Ordnung. Sie sollten ja nicht die besten Freunde werden. Ich holte das kleine Auto aus der Tasche und steckte es in meine Jackentasche.

Das Aufwärmen verlief ganz gut. Ich ließ es langsam angehen und konzentrierte mich eher auf die Sprünge, als auf die Geschwindigkeit. So hat es beim Training auch immer gut geklappt – wenn man die Sprünge erst mal drauf hatte, konnte man automatisch schneller fahren. Nach dem Aufwärmen ging ich zurück zu Jay und Blake. Jay hatte noch immer diesen besorgten Blick drauf, sagte mir aber, dass meine Runden echt gut aussahen. Ich nahm die Coladose entgegen, die Blake mir reichte und wartete zusammen mit den Beiden auf dem Sofa bis zum Aufruf der Teilnehmer. Jetzt war ich richtig nervös. Mein Herz schlug wahnsinnig schnell, doch mein Verstand war glasklar und mein Körper sehr ruhig. Genau so musst es sein.

Der Moderator find an zu sprechen und ich ging zurück zu meinem Bike. Jay kam mir hinterher und legte seine Arme um meinen Oberkörper.

„Fahr bitte vorsichtig.“

Ich schloss die Umarmung, hielt sie ein paar Sekunden länger als nötig.

„Natürlich.“

Dann ließ ich von ihm los, setzte mir den Helm auf und schob meine Maschine an die Startlinie.
 

Der Moderator laberte eindeutlich viel mehr, als für ihn gut war. Er ging in seiner Rolle voll auf, was die Anspannung nur noch mehr steigen ließ. Zusammen mit sechs weiteren Teilnehmern stand ich nun am Start und wartete auf den Beginn. Ich atmete noch einmal tief durch. Dann begann der Countdown. Ich startete die Maschine. Die Ampel schoss von rot auf grün und sofort begann ich Vollgas zu geben. Meine Kontrahenten taten es mir gleich. Bis zur ersten Kurve lag ich ein wenig zurück, dann konnte ich vorlegen, indem ich diese sehr scharf nahm. Die ersten Sprünge waren zu hoch und raubten Zeit, dafür waren die nächsten nahezu perfekt. Meine Maschine kam super auf und ich konnte mit voller Geschwindigkeit weiterfahren. Aus dem Augenwinkel sah ich eine der anderen Maschinen stark schwanken und erheblich zurückfallen, doch ich wollte mich dadurch nicht in Sicherheit wiegen lassen. Mein Vorteil war es, dass ich die Kurven sehr scharf nehmen konnte und trotzdem das Gleichgewicht nicht verlor. Dadurch sicherte ich mir nicht nur die Innenbahn sondern von Kurve zu Kurve auch einen vorderen Platz. Auch die Sprünge liefen nun besser. Die Meisten sprangen einfach zu hoch und mussten dadurch Zeit einbüßen. Ich erreichte die letzte Runde und konkurrierte mit zwei anderen Fahrern um den Sieg. Nun heiß es noch einmal Alles geben. Ich konzentrierte mich nur noch auf die Strecke vor mir und blendete alles Andere aus. Wir waren so ziemlich gleich auf, die ganze Zeit über. Ich versuchte alles aus meiner Maschine rauszuholen, doch wir erreichten das Ziel ziemlich zeitgleich und man konnte nicht wirklich sagen wer schneller war.

Ich ließ mein Bike langsamer werden und blieb letztendlich stehen. Die Zuschauer jubelten und ich fragte mich, ob sie das schon die ganze Zeit gemacht hatten. Ich hatte sie wirklich nicht gehört. Meine Augen suchten nach Jay und fanden ihn letztendlich am Rand der Bahn. Er grinste und ich nahm das als gutes Zeichen an. Langsam rollte ich meine Maschine von der Bahn und zurück zu der Box, stellte sie rein und setzte meinen Helm ab ehe ich zu den anderen Beiden ging.

„Dem!“, riefen sie fast gleichzeitig und kamen mir entgegen.

„Du warst klasse! Einsame spitze!“ Blake zog mich in eine Umarmung und klopfte mir auf den Rücken. „Man, war das spannend. Wir konnten mit bloßen Auge echt nicht sehen, wer vorne lag am Ende. Das Zielfoto wird gerade ausgewertet.“ Er lief wieder los und schaute zu der Moderationskabine. Wie aufs Stichwort ergriff der Sprecher auch schon das Wort.

„Meine Damen und Herren, die Auswertung durch unsere Notare hat ergeben: Den Dritte Platz belegt Shuji Sakurai, der Zweite geht an Demian Hazard und der Erste an Andrew Stingston. Herzlichen Glückwunsch! Wir bitten die Sieger zur Siegerehrung.“

Zweiter Platz! Na damit konnte ich doch vollends zufrieden sein.

„Zweiter! Wahnsinn, Dem. Ich wusste, du würdest es packen.“ Blake war völlig aus dem Häuschen. Ich suchte den Blick von Jay, der bis jetzt noch nicht zu Wort kam. Er lächelte und nickte und ich verstand, dass auch er ziemlich stolz und glücklich war, sich aber nicht in Blakes Siegeswahn einmischen wollte. Ich lächelte zurück.

„Leute, ich muss dann.“ Blake nahm meinen Helm entgegen und ich begab mich auf die Bahn, wo bereits das Treppchen aufgebaut war. Ich stellte mich auf das Mittlere mit der Nummer Zwei und ließ mir kurze Zeit später eine silberne Medaille umlegen, sowie einen Blumenstrauß und einen kleinen silbernen Pokal übereichen. Alle klatschen und jubelten und ich wahr echt wahnsinnig stolz auf meine Leistung. Dafür, dass dies ein relativ kleines Rennen war, wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um es trotzdem wahnsinnig professionell zu machen. Ein weiterer Grund, warum ich diesen Sport liebte.

Kapitel zehn

Es dauerte eine Zeit lang, bis ich zurück bei Jay und Blake war. Ich durfte Interviews für die örtliche Zeitung geben, wurde zusammen mit den anderen beiden Platzierten von den Veranstaltern mit Sekt überschüttet, den wir anschließend trinken durften, und musste für Siegerfotos posieren. Einen kurzen Moment ging mir durch den Kopf, dass, wenn die Fotos in der Zeitung erschienen, Ma und Richard sicher davon Wind bekamen. Obwohl... lasen sie die Zeitung überhaupt? Ich wusste es gar nicht. Wir bekamen sie schon nach Hause, aber ob sie jetzt wirklich gelesen wurde... da war ich überfragt. Ach, aber selbst wenn, dann wussten sie es halt, ändern konnten sie daran auch nichts.

Ich ließ mich aufs Sofa fallen und wollte von diesem am liebsten nie wieder aufstehen. Jay pflanzte sich neben mich.

„Kaputt?“ Er lächelte und strich mir leicht über die Haare.

„Und wie... gewinnen kann ganz schön anstrengend sein.“

„Aber es lohnt sich, oder?“, mischte sich Blake dazwischen, der auf der anderen Seite neben mir Platz nahm und mir wieder etwas zu trinken reichte. Langsam musste er doch pleite sein, so oft wie er mir was ausgab, oder? Andererseits bekam er ja das Geld aus dem Automaten auch wieder.

„Ja.“ Ich schloss kurz die Augen.

„Hast du Bock gleich mit zu mir zu kommen? Sone kleine Aftershow Party? “

Ich überlegte. Eigentlich war ich ganz schön fertig, aber Bock hatte ich schon. Wenn ich schon mal nen guten Platz belegt hatte wollte ich das auch feiern.

„Jay? Wäre das okay für dich?“ Ich wusste er hielt nicht viel von Partys und würde nicht mitkommen wollen. Aber ich wollte ihn auch nicht wieder alleine lassen.

„Was? Ja natürlich. Feier deinen Sieg.“ Er war gut gelaunt, das war schon mal ein gutes Zeichen. Dann musste ich mir um ihn keine Sorgen machen.

„Ich muss später eh erst mal Summer anrufen und die Sache mit ihr klären. Da brauch ich ein wenig Ruhe für.“

Passte also ganz gut. Ich sah auf die Uhr, es war jetzt halb vier.

„Ich geh mich umziehen.“ Damit stand ich auf und lief zu meinen Spind, zog mir meine Schutzkleidung aus und die normalen Klamotten wieder an. Ich war doch froh, aus den schweren Sachen rauszukommen und meine leichten Alltagsklamotten wieder anzuziehen. Bei Blake würde ich erst mal unter die Dusche springen, soviel war klar.
 

Ich verabschiedete mich von Jay, der sich langsam auf den Weg nach Hause machte und stieg in Blakes Auto. Die Fahrt über sprach ich nicht viel, was daran lag, dass ich einfach nur müde und fertig mit der Welt war. Ich schloss sogar eine Weile die Augen. Blake jedoch redete wie ein Wasserfall. Immer wieder erzählte er mir von seinen Beobachtungen, dass er gebangt und gehofft hatte, dass es erst nicht so gut aussah und dann immer besser würde. Welche Fehler die anderen begangen hatten und was für Auswirkungen das hatte. Ich hörte zu, war aber zu müde zum Antworten. Er nahm mir das allerdings nicht übel. Ich glaube, er war immer noch so begeistert, dass er es sich einfach von der Seele reden musste.
 

Als wir bei Blake ankamen führte mich ein erster Weg ins Bad. Er nahm mir Medaille und Pokal ab und platzierte diese auf den Tisch, von wo aus man sie auch ja nicht übersehen konnte. Ich hielt es für ein wenig übertrieben, immerhin waren nur wir beide hier und niemand, dem man die beiden Auszeichnungen unbedingt zeigen musste. Aber ich ließ ihn machen. Wenn es ihm Freude bereitete, wollte ich dem nicht im Wege stehen.

Die Dusche tat wahnsinnig gut. Die ganze Anspannung, die sich über den Tag verteilt in mich angesammelt hatte, wurde regelrecht heruntergespült. Ich hatte es, glaube ich, immer noch nicht so wirklich realisiert. Und damit meine ich alles. Das Turnier. Die Platzierung. Jay, der mir zusah... es wirkte so unwirklich. Wie ein großer Traum, der sich langsam seinem Ende neigt. Bald wache ich auf und nichts war wie es schien.

„Dem? Tunfisch oder Salami?“, hörte ich Blake von außen rufen.

„Salami!“ Wahrscheinlich war er dabei Pizza in den Ofen zu schieben. Sehr gute Idee. Ja, ich aß oft Pizza, sehr oft sogar, doch wenn es nach mir ging könnte es das jeden Tag geben. Ich drehte das Wasser aus, trocknete mich ab und begann mich anzuziehen. Natürlich hatte ich mein Deo daheim vergessen, aber es war ja auch von Anfang an nicht geplant, dass ich hierher kommen würde. Ich benutzte Blakes, er würde da schon nichts gegen sagen.

Ich wuschelte mir einmal durchs Haar. Früher brauchten die nicht so lange zum trocknen, doch seit sie eine gewisse Länge erreicht hatten, musste ich schon eine gewisse Zeit einrechnen. Manchmal föhnte ich sie mir sogar, wenn es schnell gehen musste. Ob ich mal wieder zum Frisör gehen sollte? Doch eigentlich fand ich sie ganz nett so. Ich entschied mich Jay nach seiner Meinung zu fragen und dementsprechend zu handeln.

Als ich aus dem Bad kam, war die Pizza schon fast fertig. Blake hatte Sekt und andere Spirituosen, dessen Namen ich nicht kannte, auf den Tisch gestellt, genauso wie Cola zum Mischen und einige Knabbereien. Ich wusste nicht, ob Alkohol eine so gute Idee war, wenn ich an meine letzte Begegnung mit diesem zurückdachte. Doch ich würde mich einfach zurückhalten und dann passt das schon.

„Welchen Film willst du sehen? Ich dachte wir chillen ne Runde auf dem Sofa. Anstrengung hattest du heute immerhin genug.“

Ich strubbelte mir mit dem Handtuch durch die Haare.

„Gefällt mir. Öhm... was gibt’s zur Auswahl?“

Während er sich um die Pizzen kümmerte, durchsah ich mir seine DVD Sammlung. Es waren viele dabei, die ich gerne mal sehen würde. Wir entschieden uns für Batman – The dark Knight.
 

Ich trank ein Glas Sekt, einfach zum Anstoßen und weil es dazugehört, sowie ein paar Mischgetränke. Als ich jedoch merkte, dass mir leicht schwindelig wurde, stieg ich komplett auf Cola um. Der Tag war zu gut verlaufen, als dass ich wieder Bekanntschaft mit der Kloschüssel machen wollte. Der Einfluss von einem gefüllten Magen und dem Alkohol ließ mich recht bald müde werden. Ich lehnte mich an Blakes Schulter und merkte, wie mir hin und wieder die Augen zufielen. Dabei wollte ich eigentlich den Film sehen. Blake legte einen Arm um meine Schultern und drückte mich enger an sich. Draußen wurde es langsam dunkel. Blake zog mich in seine Arme, strich mir über die Wange. Ich wollte mich aufsetzen, aber mein Körper fühlte sich seltsam träge an. Ich wusste nicht, wie lange ich dort lag. Es wäre für mich auch kein Problem gewesen, bei ihm einzuschlafen. Doch irgendwann realisierte ich, dass Blakes Hand wanderte. Zuerst zu meinen Haaren, dann zu meinem Nacken. Langsam fühlte er mit den Fingerspitzen über meine nackte Haut. Ein Schauer überkam mich an den Stellen, an denen er mich berührte.

„Blake?“ Meine Stimme war seltsam leise, so als ob mir die Kraft fehlte zu sprechen.

„Schh~“ Seine Hand wanderte weiter, unter mein Shirt, an meine Brust. Strich über diese. Fuhr Kreise um meine Nippel um schloss sich letztendlich um diese. Spätestens jetzt wurde es mir wirklich unangenehm. Ich nahm all meine Kraft zusammen und setzte mich auf, drückte ihn von mir weg.

„Was bitte so-“

Doch weiter kam ich gar nicht. Ehe ich mich versah, hatte er meine Handgelenke ergriffen und drückte mich nach unten aufs Sofa. Mein Körper wollte sich nicht wehren, wollte nicht auf mich hören. Ich war kraftlos. War das wegen des Alkohols? Ehe ich noch weiter über den Grund nachdenken konnte, hatten sich Blakes Lippen auf Meine gedrückt. Ich weitete die Augen, wollte meinen Kopf wegdrehen, doch es gelang mir nicht. Energisch ließ er seine Zunge über meine Lippen wandern, verschaffte sich dann mit leichter Gewalt Einlass in meinen Mund. Es war ekelig, einfach nur ekelig. Ich hätte schreien können. Ich schloss die Augen, merkte, wie sie sich mit Tränen füllten. Warum zur Hölle...? Blake...!?

Er löste den Kuss.

„Weißt du Dem, ich mag dich. Schon sehr lange. Ich hab ewig auf solch eine Gelegenheit gewartet.“

Bitte...was? Ich musste mich verhört haben. Warum...

Er löste eine Hand von Meinen, führte sie zu meinen Shirt, welches er nun hochzog. Seine Lippen machten sich nun an meiner Brust zu schaffen. Meine Sinne wurden taub, wollten das nicht wahr nehmen, was gerade passierte. Er leckte über alle möglichen Stellen, wanderte langsam weiter nach unten. Er wollte doch nicht...? Oh bitte nicht! Nein! Das konnte er nicht... das würde er nicht... nicht....

Das Telefon klingelte.

Laut, schrill und unangekündigt ließ es Blake kurz hochfahren. Ich nutzte die Gelegenheit, riss mich mit allen nur möglichen Mitteln zusammen und stieß ihn mit einem kräftigen Stoß von mir, so kräftig es halt ging. Ich wusste nicht wie, doch ich konnte mich von ihm lösen. Wahrscheinlich war die Ablenkung durch das Klingeln überwiegend daran schuld, doch das war mir egal. Ich wollte gerade einfach nur weg. Weit weg. Ohne mich umzusehen schnappte ich mir im Vorbeigehen Jacke und Schuhe und hechtete so schnell es ging zu Haustür. Ich rannte. Rannte so schnell ich konnte. Ich wollte weg. Einfach nur weg. Der Schwindel setzte wieder ein, meine Beine fühlten sich schwerer an, mit jedem Schritt. Ich bog in die bereits dritte Seitengasse und erst als ich mir sicher war, dass er mir nicht hierher folgen konnte, wurde ich langsamer. Meine Lunge brannte, mein Atem ging schnell. Ich stützte mich an der Hauswand, sackte an dieser auf den Boden. Es war nass, doch das war mir egal, ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten.

„Fuck...“ Meine Socken waren völlig durchnässt. Ich zog sie aus und ließ sie auf dem Boden liegen, stieg barfuss in meine Schuhe. Es war wahnsinnig kalt. Wie spät es jetzt wohl war? Ich zog mir meine Jacke an. Sie konnte die Kälte leider auch nicht vertreiben, aber es war besser, als nur in einem dünnen Shirt rumzulaufen. Es nieselte und schon bald war ein leichter Wasserfilm über meinen Haaren und meiner Kleidung. Aber ich konnte nicht weiterlaufen. Mein Körper wollte nicht wie ich. Ich fragte mich, ob Blake mir etwas in mein Glas getan hatte und wurde mir von Minute zu Minute immer sicherer. Anders konnte ich es mir nicht erklären.

Blake.

Er hatte... hatte versucht... ich traute mich nicht einmal diesen Gedanken zu Ende zu denken. Mir wurde übel. Ich ließ meine Hände in meine Jackentasche gleiten. Sie waren leer.

Fuck. Ich lehnte meinen Kopf an die Wand, ließ den Regen auf mich wieder prasseln. Eine entfernte Kirchturmuhr fing an zu schlagen und ich lauschte. Es war halb neun. Tränen rannen mir über die Wangen. Der Schwindel kam wieder. Ich schloss die Augen.
 

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich auf dem Boden liegend. Das Erste, was ich spürte, war die Kälte. Diese bittere Kälte. Augenblicklich fingen meine Zähne an zu klappern. Der Regen hatte aufgehört, doch meine Klamotten waren durch. Ich musste einen Moment überlegen, um die Situation richtig einzuordnen, doch die Bilder kamen schneller wieder in mein Gedächtnis als mir lieb war. Ich versuchte mich aufzusetzen und es klappte überraschend gut. Ich fasste mir an die Stirn. Mein Kopf pochte. Ob ich aufstehen konnte? Ich versuchte es und es gelang. Mit wackligen Beinen sah ich mich um.

Wo war ich hier?

Ich hatte keine Ahnung. Ich war einfach nur gerannt, ohne darüber nachzudenken. Langsam ging ich den Weg zurück an die Hauptstrasse. Es fuhr kaum ein Auto. Ich fühlte mich, als wäre ich ein Eiszapfen. Nicht darüber nachdenkend fing ich an zu laufen. Wohin wusste ich nicht. Doch ich musste mich bewegen, unbedingt. Ich hauchte meinen Atem in meine Hände, versuchte so sie ein wenig aufzuwärmen. Doch es reichte immer nur für den Moment. Ich kam bei einer Apotheke vorbei. Die digitale Uhr zeigte 3:24 AM. Scheinbar war ich länger ausgeknockt gewesen, als ich dachte. Das erklärte auch die ungeheure Kälte. Als würden tausend Nadeln in meinen Körper gestochen werden. Was mache ich denn jetzt? Ich hatte weder Geld, noch mein Handy dabei und die Stadt... oder besser das Dorf... war wie ausgelöscht. Die Fenster waren dunkel, kein Mensch war auf der Straße. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Ich wäre jetzt auch viel lieber drinnen. Für einen Moment stellte ich mir die Frage, was Blake wohl mit mir gemacht hätte, wenn dieses Zeug mich bei ihm... doch ich dachte den Gedanken nicht zu Ende. Ich wollte es gar nicht wissen. Wie lange würde ich brauchen, um nach Hause zu kommen? Mit dem Auto brauchten wir eine halbe Stunde, also... 2 Stunden? Waren wahrscheinlich. Ich fühlte mich nicht in der Lage so lange zu laufen. Am liebsten wäre ich jetzt an Ort und Stelle zusammen gebrochen, doch das löste mein Problem nicht. Durchhalten, Dem. Irgendetwas wird dir schon einfallen. Es muss! Irgendetwas wird sich schon ergeben... Irgendetwas... bestimmt...

Ich ging diese Sätze immer wieder im Kopf durch. Innerlich starb ich tausend Tode, schrie, weinte, hoffte.

Ich lief lange, bis ich in der Ferne einen beleuchteten Schriftzug sah. Eine Kneipe? Oh, ich hoffte, dass es eine war. Meine Füße brauchten ihre Zeit, um mich dahin zu bringen. Wahrscheinlich wirkte das Zeug immer noch nach. Aber tatsächlich. Es war eine Kneipe.

Ich drückte die Tür auf und betrat den Raum. Sofort schlug mir eine Welle aus stickiger, warmer Luft und Zigarettenqualm entgegen, doch es war mir egal. Die Wärme tat gut, doch durch diese spürte ich die Nässe nur umso mehr. Außer meinem Gesicht und meinen Händen erreichte sie meinen Körper nicht.

„Jo. Tropf hier nicht alles voll, ich hab gerade gewischt.“ Ein alter Mann mit schmuddeligen Hemd und Dreitagebart polierte gerade eines der Gläser, als er mich reinkommen sah. Er hatte eine Kippe im Mund und war allgemein die Person von Mensch, mit denen ich mich nicht umgeben wollte.

„Bitte... haben sie ein Telefon? Es ist ein Notfall.“

Der Mann legte sein Glas zur Seite und betrachtete mich einige Sekunden.

„Kostet 50 cent pro Minute.“

„Ich hab kein Geld dabei. Bitte, es dauert auch nicht lange.“ Meine Stimme war noch immer ungewöhnlich leise.

„Ohne Moos nichts los, Kleiner.“

Jetzt rannten mir wirklich Tränen über mein Gesicht. Es war meine einzige Idee gewesen. Also doch laufen? Aber ich war mir sicher, die Strecke nicht zu schaffen.

„Nun sei doch nicht son Miesepeter, Henry. Lass den Jungen doch telefonieren.“, ertönte eine Stimme aus einer Ecke der Kneipe. Ich hatte den Mann gar nicht bemerkt.

„Wo kommen wir denn da hin, wenn hier jeder Hans und Franz mein Telefon benutzt. Ich muss auch an das Geschäft denken, Charles.“

„Du bist wie immer ein Geizhals. Komm her, Kleiner.“ Der Mann, der offensichtlich Charles hieß, wies mich zu sich.

„Aber nicht mit den nassen Klamotten. Zieh zumindest deine Jacke aus.“

Ich tat wie mir geheißen und hing die Jacke an die Garderobe, ehe ich mich zu Charles setzte.

„Du bist ja ganz durchnässt. Von zu Hause abgehauen ohne nachzudenken?“ Er schenkte mir ein leichtes Lächeln, doch mir war nicht zum Lachen zumute.

„Eher ein Streit mit einem... Kumpel. Ich will nur nach Hause.“

„Du erscheinst mir auch n bissl jung, um um diese Uhrzeit durch die Gegend zu tanzen.“

„Ich bin 18.“

„Sag ich ja. Zu jung. Hier.“ Er reichte mir ein Handy.

„Ruf zu Hause an und lass dich abholen. Der Laden hier heißt Celest und liegt auf der Abbory Road. Werden deine Alten schon finden, immerhin gibt es diese modernen Navigations-Dinger heutzutage.“

Ich nahm das Handy an, hielt es wie einen Schatz in meinen Händen.

„Vielen Dank...!“ Meine Stimme brach so gut wie ab. Charles nickte nur.

Ich wählte Jays Nummer. Es war die Einzige, die ich auswendig kannte. Wir hatten uns damals zeitgleich eine neue Simkarte geholt und die Nummern lagen gleich nebeneinander und unterschieden sich nur um eine Ziffer. Das war wahnsinnig praktisch. Denn ich wollte ganz sicher nicht meine Eltern anrufen. Die würden nur Fragen stellen.

Es tutete einige Male. Ich wusste, dass ich ihn wecken würde, doch mir war auch klar, dass er mir das nicht übel nimmt.

„Jaden Cudney?“, ertönte es leicht verschlafen am anderen Ende der Leitung. Seine Stimme zu hören war eine Wohltat. Ich wollte zu ihm. Wollte bei ihm sein. Jetzt und Sofort.

„Jay, ich bins...“

„Dem?! Alles in Ordnung? Warum rufst du mitten in der Nacht an?“

„Ich will nach Hause... liegt mein Handy auf meinem Nachtschrank?“ Ich hatte es nicht mit zum Turnier genommen, da ich jegliche Ablenkung vermeiden wollte.

„Was ist denn passiert? Moment kurz... ja es ist hier. Dem, wo bist du gerade?“

„Erzähl ich dir zu Hause, das würde den Rahmen sprengen. Ich bin in einer Kneipe namens Celest in der Abbory Road. Kannst du dir das merken und Chris anrufen, dass sie mich abholt? Die Nummer ist in meinem Handy. Bitte...“

„Ich schreibs mir auf.“ Ich hörte das Geräusch von Kugelschreiber auf Papier. „Alles klar, ich ruf sie an. Keine Sorge Dem, wir sind so schnell es geht bei dir.“

„Danke... “

„Nicht dafür. Bis gleich.“

Ich legte auf und gab Charles das Handy wieder.

„Sie waren meine Lebensrettung. Danke.“

„Lass doch das ‚sie’! Du kannst mich gern duzen, Kleiner. Hey Henry, bringst du unseren Jungen einen heißen Kaffe? Geht auf mich.“

Angesprochener grummelte nur, machte sich aber an die Arbeit.

„Vielen Dank.“

„Du hast dich wohl irgendwie ganz schön in die Scheiße geritten, hm?“

„Unabsichtlich.“

Er nickte. „Verstehe... und Jay ist...?“

„Mein Bruder.“

„Ah... ihr steht euch scheinbar sehr nahe...?“

„Ja. Er ist mein bester Freund.“

„Wie schön. Ich hab auch Geschwister, weißte, aber mit denen komm ich nicht klar. Zu viel Streit in der Vergangenheit.“

Der Kaffe kam nach wenigen Minuten und tat unglaublich gut. Die heiße Flüssigkeit wärmte mich von Innen heraus. Trotz allem klebten die nassen Klamotten unangenehm an meiner Haut. Selbst durch die Wärme des Raumes trockneten sie nur sehr langsam. Ich wollte sie aber auch nicht ausziehen. Nicht in so einem öffentlichen Lokal. Das wäre mir dann doch zu peinlich gewesen. Also behielt ich sie an und versuchte das Gefühl auf meiner Haut zu ignorieren.
 

Ich unterhielt mich noch eine Weile mit Charles. Es war eher Smalltalk, aber es war trotzdem nett, jemanden zum Reden zu haben. Er erzählte mir ein paar Geschichten aus seinem Leben, seinen Geschwistern, von seinen Reisen und seinen Bekanntschaften und ich hörte gespannt zu, schaute währenddessen immer wieder auf die Uhr. Knapp eine halbe Stunde nach meinem Anruf öffnete sich die Tür und Jay kam in den Raum, schaute sich kurz um und ging augenblicklich auf mich zu, als er mich sah.

„Dem!“ Er schlang seine Arme um mich und wollte die Umarmung einige Momente lang nicht lösen. Ich erwiderte diese.

„Es ist schön dich zu sehen, Jay...“

„Du bist ja klatschnass! Was ist passiert?“ Er strich mir durch die Haare, blickte mich mit besorgten Augen an.

„Alles okay. Ich erzähl es dir später.“

„Chris wartet draußen im Wagen.“

Ich wandte mich an Charles, bedankte mich noch einmal für alles. Er winkte ab. „Schon okay, Kleiner. War doch keine große Sache. Pass auf dich auf.“

Für ihn war es keine große Sache, aber für mich. Ich lächelte und griff nach Jays Hand. Es war mir egal, wie das jetzt aussah. Außer Charles und den unfreundlichen Barbesitzer war niemand hier und beide würde ich nicht wiedersehen.

Jay schloss seine Finger um meine und führte mich nach draußen. Ich nahm meine Jacke vom Haken, die immer noch komplett nass war, und ging mit ihm in die Kälte.

Am liebsten wäre ich sofort wieder reingegangen, so kalt war es draußen. Durch die Wärme der Kneipe hatte ich das glatt vergessen. Aber Chris parkte nicht unweit und mit wenigen Schritten erreichten wir ihr Auto. Ich ließ mich auf dem Rücksitz nieder, Jay folgte mir auf diesen. Das Auto war angenehm warm.

„Hallo Dem. Willkommen in deinem persönliches Taxi“ Chris drehte sich nach hinten und begrüßte mich.

„Hier.“ Er reichte mir eine Decke. „Erst mal musst du aus den nasse Sachen raus.“ Ich zog mir mein Shirt und meine Hose aus und reichte sie Jay, der beides in den Kofferraum schmiss, wo auch meine Jacke schon war. Die Decke war kuschelig und ich fühlte mich gleich besser.

„Tut mir Leid, Chris...“

„Laber nicht. Erzähl mir gleich die Story wie es dazu kam und alles ist gut.“ Sie startete den Wagen und wir fuhren los.

Kapitel elf

Ich schnallte mich nicht an, sondern ließ mich von Jay in seine Arme ziehen, kuschelte mich an seinen warmen Körper. Es war so angenehm. So ganz anders als bei... Blake.

Ich wollte die Sache verdrängen, doch Jay und Chris konnten... sollten... es ruhig wissen.

Jay strich mir sanft durch meine Haare und ich hätte dahinschmelzen können. So kalt, wie mir die letzten Stunden noch war, desto wärmer war mir jetzt.

„Ich war ganz schön verwundert, als mitten in der Nacht deine Nummer auf meinem Display stand und ich Jadens Stimme hörte. Da musste ich erst mal drauf klar kommen.“ Chris lachte.

„Aber mal ehrlich, was war nun los?“

Ich biss mir auf die Unterlippe. Jay verstärkte seinen Griff um mich. Besser ich brachte es jetzt hinter mich, als es ewig mit mir rumzuschleppen.

„Blake hat mir irgendwas ins Getränkt gemischt. Und dann... hat er versucht mich aufzureißen, um es kurz zu machen.“

„WAS?!“, kam es zeitgleich von Beiden.

„Er hat versucht dich...?! Wow. Und du bist abgehauen?“ Chris schaute in den Rückspiegel, um mich kurz anblicken zu können.

„Ja. War nicht einfach, durch das Zeug. Ich konnte mich kaum bewegen.“

„Dann war es ein lähmendes Mittel, nehme ich an.“

Jay schwieg und lauschte unserem Gespräch.

„Keine Ahnung was das war. Als ich aus der Wohnung raus war, bin ich erst mal nur gerannt und später in einer Seitengasse zusammengeklappt. Hat mich gut sechs Stunden K.O. gehauen, das Zeug.“

Ich wunderte mich, dass ich so deutlich und sachlich über die Sache reden konnte. Doch jetzt, hier in Jays Armen, erschien mir das alles so weit weg. Hier war es warm. Hier war ich sicher.

„Du hast sechs Stunden im Regen und in der Kälte auf dem Boden gelegen??“

„Ja...“

„Und dich dann in die Kneipe gerettet?“

„Mhm.“

„Na, zumindest hatte die noch auf. Da hast du echt Glück gehabt. Normalerweise machen die Meisten gegen 2 Uhr zu.“

Ja... das hatte ich wohl... auch wenn ich auf dem Besitzer gerne hätte verzichten können.

„Scheint so...“

Meine Augenlieder wurden schwer und meine Stimme leise. Durch die Wärme und das sanfte Streicheln von Jay, die einfach nur Sicherheit ausstrahlten, merkte ich erst, wie müde ich war. Doch hier war es okay. Hier konnte ich ruhig einschlafen.

„Jay, soll ich euch bei euch zu Hause absetzen oder wollt ihr mit zu mir?“

„Bei uns, bitte. Susan und Dad schlafen noch, die bekommen sicher nicht einmal mit, dass ich weg war. Das klappt schon.“

Nach Hause war eine schöne Idee. Ich wollte in mein Bett. Zusammen mit Jay. Einfach nur um zu Kuscheln und ihn bei mir zu haben. Doch das sagte ich ihm natürlich nicht.

„Alles klar.“

Mehr bekam ich von meiner Außenwelt nicht mehr mit.
 

Ich musste ziemlich lange geschlafen haben. Als ich aufwachte, war es bereits hell draußen, doch die zugezogenen Gardienen dämmten das Zimmer so, dass das Tageslicht mich nicht gestört hatte. Ich hörte das Klappern einer Tastatur und sah mich im Zimmer um. Jay saß an seinen Laptop am Schreibtisch neben meinen Bett. Als ich mich leicht aufsetzte sah er auf.

„Du bist wach?“ Er ließ von seinem Computer ab und setzt sich zu mir aufs Bett. Ich fasste mir an den Kopf. Er schmerzte.

„Wie geht’s dir?“ Jay legte eine Hand auf meine Schulter.

„Geht so...“ Ich brauchte ein paar Momente, um mich an den gestrigen Tag zu erinnern. Das Turnier... Blake... die Kneipe... es erschien mir unrealistisch. So, als ob es nie passiert wäre. Aber ich wusste, dass das nicht stimmte.

„Wie spät ist es?“

„Gleich vier Uhr.“

Ich hatte wirklich lange geschlafen, aber mein Körper brauchte das scheinbar.

„Hast du Hunger? Soll ich dir was machen?“ Jay war schon im Begriff aufzustehen, als ich ihm am Arm zurückhielt.

„Nein... bleib bitte.“ Ich hatte zwar Hunger, aber ich wollte nicht alleine im Zimmer bleiben. Meinetwegen konnten wir gleich zusammen nach unten gehen.

„Haben unsere Eltern oder Grace was mitbekommen?“

„Nein. Die haben tief und fest geschlafen, keine Sorge.“

Ich atmete durch. Das waren zumindest gute Nachrichten. Würde mir auch noch fehlen, dass die wieder Panik schieben, wie sonst auch immer.

Ich lehnte mich zurück auf die Matratze, bemerkte jetzt erst, dass ich zwei Decken hatte. Ein Blick zur anderen Seite des Zimmers verriet mir, dass die eine Jays Decke war. Aber zumindest war mir so in der Nacht schön warm gewesen.

Ich fragte mich insgeheim, ob ich bezüglich auf Blake etwas hätte ahnen können. Gab es Anzeichen, so dass mir seine Absichten vorher schon bewusst gewesen sein könnten? Ich ging unsere letzten Treffen im Kopf durch, konnte aber nichts finden. Wir waren einfach ganz normale Freunde gewesen. Er hatte nie etwas angedeutet. Auch hat er immer nur von seinen Exfreundinnen gesprochen, ich war der Annahme, dass er ganz und gar auf Frauen stand.

Ein Schauder überkam mich.

Seit wann hatte er die Aktion geplant? Oder war es spontan gewesen? Er hatte immerhin auch ganz schön gebechert am gestrigen Abend... vielleicht ein Akt der Verzweiflung im Suff?

Plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke.

Das Motocross.

Die Halle gehörte seinem Vater. Er arbeitet da. Täglich. Die Bikes gehören der Halle, welche die Einzige im Umkreis von gut 30 Kilometern ist. Ich wollte ihm nicht wieder begegnen. Was, wenn es sich wiederholt? Es kam oft vor, dass man der Einzige in der Halle ist... was, wenn sich Blake das zu Nutze macht? Wenn er nur auf eine Gelegenheit wartet...?

Ich rollte mich zusammen.

Das Hobby war wohl nun endgültig für mich gestorben. Wahrscheinlich war er eh sauer auf mich und ließ mich nicht weiter fahren. Und wenn er sich entschuldigt? Wenn das wirklich nicht so beabsichtigt war? Würde ich ihm verzeihen? Ich überlegte... aber ich glaube, das konnte ich nicht. Das Vertrauen zu ihm war vollkommen zerstört. Er hat mich ja nicht einfach nur geküsst und angefasst, er hat mir was untergeschoben um mich gefügig zu machen. Das war eine besondere Schwere der Tat. Das konnte ich nicht verzeihen. Ich würde mich wohl vom Fahren verabschieden müssen. Es tat weh.

Jay strich mir beruhigend über den Rücken.

„Ich werd nicht mehr fahren können.“, erklärte ich mein Verhalten. Jay nickte.

„Ja... das dachte ich mir schon.“

Selbst, wenn ich nicht offiziell aus der Halle verbannt werden würde... meine Konzentration wäre dahin, jedes Mal, wenn Blake anwesend war. Da würde das Fahren auch nichts nützen. Und was ist mit meinen Sachen? Meine Ausrüstung ist noch in meinem Spind. Die war teuer und die hätte ich doch gerne wieder. Doch ich wollte ihm wirklich nicht begegnen.

„Jay?“

„Ja?“ Er legte sich neben mich, sah mir in die Augen.

„Kannst... kannst du mir einen Gefallen tun?“

„Natürlich.“

„Meine Sachen aus meinem Spind... in der Halle... kannst du die holen?“

„Mach ich gleich morgen früh. Und du willst wirklich nicht mit?“

„Nein... wobei...“

Was ist wenn er das Gleiche bei Jay versucht? Als Rache? Jay war viel schmächtiger als ich, da brauchte er nicht einmal Hilfsmittel. Aber würde er es wirklich versuchen? Ich wusste nicht, ob ich überreagierte. Wahrscheinlich tat ich das. Ich konnte ihn einfach überhaupt nicht mehr einschätzen. Hatte ich eine Person gekannt, die mir nur vorgespielt wurde? Oder kannte ich wirklich den echten Blake und das gestern war einfach nur ein Versehen?

„Doch, ich komm mit dir. Gleich nach der Schule?“

„Geht klar.“

Einmal noch in die Halle, meine Sachen packen und mich dann von dieser verabschieden.

„Es tut mir Leid, Dem... dass du dein Hobby jetzt aufgeben musst...“

Ich seufzte.

„Das ist schon okay. Ich werd was anderes finden. Oder einfach keinen Sport mehr machen.“

„Dennoch. Ich hab eine Riesenwut auf den Kerl.“

„Danke.“ Mein Magen knurrte. Ich glaube so langsam wäre es doch nicht schlecht, etwas zu essen.
 

Ich wartete unten auf dem Sofa im Wohnzimmer, während Jay etwas zu Essen kochte. Irgendwie wurde es zur Gewohnheit, dass er kochte. Es war nicht so, dass ich es nicht konnte. Vielleicht kein fünf Sterne Dinner, aber es reichte für ein anständiges Mittagessen.

Der Fernseher war angeschaltet und irgendwelche Reality Shows liefen, die ich aber nicht aktiv verfolgte. Irgendwann wurden mir die Thematiken der Serien zu blöd und ich ging in die Küche, setzte mich auf einen der Stühle und sah Jay beim Kochen zu. Das war wirklich weitaus interessanter.

„Was hat dein Telefonat mit Summer eigentlich ergeben?“ Ich hatte das tatsächlich vergessen. Dabei hat er sein Date gestern extra wegen mir abgesagt.

Jay drehte die Flamme, auf der nun eine Pfanne mit Schnitzeln brutzelte, ein wenig herunter und drehte sich zu mir. Er seufzte.

„Naja... sie wollte den Grund immer noch nicht einsehen. Hat ganz schon rumgezickt. Ich hab ihr dann zu verstehen gegeben, dass ich son Gemecker nicht mitmache.“

„Wie das?“

„Ich hab mich von ihr getrennt.“

Ich glaubte meinen Ohren nicht. Er hatte was? Er... er war Single? Sie war nicht mehr seine Freundin? Je mehr Umschreibungen ich fand, desto schöner klang es in meinen Ohren. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich hatte keinen Grund mehr eifersüchtig zu sein? Er war jetzt wieder ganz mein? Keine Nummer Zwei, sondern nur noch ich? Ich konnte es kaum glauben.

„Sie hat ne Riesenszene geschoben. Aber das geht mir sonst wo vorbei, ich hab irgendwann einfach aufgelegt.“

„Dann seit ihr im Streit auseinander gegangen?“

„Jap. Wenn sie irgendwann mal runtergekommen ist, können wir gerne noch mal in Ruhe drüber reden, aber solange ist Funkstille.“

„Das... ist irgendwie schade. Ihr wart schließlich wahnsinnig lange befreundet.“

Nur weil Summer seine feste Freundin war, wollte ich nun nicht, dass er sie auch als normale Freundin verlor. Er zuckte mit den Schultern.

„Schon, aber entweder sie geht Kompromisse ein oder es ist ihr Problem. Ich mag sie, na klar, aber zu einer Freundschaft gehören zwei und zu einer Beziehung erst recht.“

Er holte zwei Teller aus dem Schrank.

„Und das ganze lief sowieso nicht so, wie ich mir eine Beziehung vorstelle. Es war eher ne Freundschaft, mit dem Zusatz von ein paar Küssen.“

Mit Jay über Beziehungsgeschichten zu reden war irgendwie... peinlich? Nein, das konnte man so nicht sagen. Es war... komisch. Einfach nur komisch. Nicht unbedingt im negativen Sinne. Nicht, wenn er Single war.

„Wie stellst du dir denn eine Beziehung vor?“ Es war wahnsinnig komisch ihn das zu fragen, aber ich war zu neugierig, um es nicht zu tun.

„Keine Ahnung. Halt... anders. Mit mehr Leidenschaft. Mehr Gefühl. Vielleicht bin ich auch einfach durch die ganzen Liebesfilme zu sehr an etwas gewohnt, was in real nicht ganz so existent ist.“

Ich hab nie verstanden, was Jay an diesen Filmen fand. Er drehte den Herd aus und platzierte die Schnitzel und das Gemüse auf die Teller.

„Essen ist fertig. Hier, Wohnzimmer oder oben?“

Ich entschied mich fürs Wohnzimmer, einfach, weil es ganz angenehm war beim Essen etwas im Hintergrund zu hören. Wir setzten uns nebeneinander aufs Sofa. Das Essen tat meinem Magen wahnsinnig gut. Wann hatte ich das letzte Mal etwas gegessen? Das war jetzt sicher auch schon 24 Stunden her. Mein Magen schmerzte sogar schon vor Hunger. Ich aß schneller, als ich es eigentlich wollte, aber als ich fertig war, war ich auch satt. Die Portion war groß. Jay hatte sie wahrscheinlich absichtlich größer gemacht als nötig. Aber ich war ihm dankbar dafür.
 

Jay hatte unsere Teller in den Geschwirrspüler gestellt als wir fertig waren. Wir blieben trotzdem noch auf der Couch sitzen und guckten ein wenig weiter. Grace schaute irgendwann vorbei, aber nur um uns zu sagen, dass sie die Nacht bei ihrem Freund verbringen wird und von da aus dann zur Arbeit fährt. War nicht wirklich etwas Neues.

Ich achtete nicht darauf, was im Fernsehen lief. Jay starrte gespannt auf diesen, doch meine Blicke gingen immer wieder zu ihm. Es kam mir komisch vor, ihn so zu beobachten, doch ich konnte mich nicht abwenden.

„Liebe ist doch echt viel zu kompliziert.“ Jay seufze und sah mich an. Hatte er mich ertappt? Ich hörte einen Dialog aus der Flimmerkiste und erkannte, dass sich dort gerade eine Liebesszene abspielte.

„Warum kann es nicht einfach total easy ablaufen? Ich glaube, es ist das größte Mysterium der Menschheit.“ Er lehnte seinen Kopf nach hinten an die Sofalehne.

„Wie wahrscheinlich ist es denn bitte, unter tausender Menschen die Richtige Person zu finden? Und woher weiß man, dass es wirklich die Richtige ist? Was, wenn sich jemand einfach nur verstellt und dir etwas vorspielt? Dann verliebst du dich in eine Lüge.“

Ich wunderte mich über diese Gedanken. Jay war nie der Typ gewesen, der philosophisch über die Liebe nachdachte.

„Weißt du Dem, fang nicht an zu Lachen, aber manchmal frage ich mich, warum ich nicht einfach mit dir zusammen sein kann. Das wäre so einfach. So unkompliziert.“

...

Bitte was? Hatte ich mich verhört? Ich hatte mich verhört. Ganz sicher. Das... das hatte er gerade nicht wirklich gesagt? ... Oder?

Mein Körper schien in Flammen zu stehen. Schien zu brennen vor Hitze. Schien mir nicht mehr zu gehorchen, eigenständig zu handeln, unter der Glückseligkeit dieser Worte. Ich dachte für einen kurzen Moment nicht nach, schien die Welt um mich herum nicht mehr wahr zu nehmen und ehe ich mich versah, hatte ich Jays Lippen mit den Meinen verschlossen.

Ich intensivierte den Kuss, leckte mit der Zunge leicht über seine Lippen. Der Kuss dauerte nicht lange, denn langsam realisiert ich, was ich hier eigentlich tat. Ich ließ von ihm ab, schaute in sein überraschtes Gesicht.

„I-ich...“, stotterte ich, nicht fähig, einen ordentlichen Satz zustande zu bringen. Was hatte ich nur gemacht? So schnell ich konnte stand ich auf und flüchtete, ohne zurück zu blicken, nach Oben, schloss mich im Bad ein.

Kapitel zwölf

Was hatte ich nur gemacht? Was nur? Ich hatte gerade meinen Bruder geküsst! Für einen Moment die Beherrschung verloren und schon war es passiert.

Mein Körper schien immer noch zu glühen, doch das war mir egal. Er sollte aufhören damit. Ich hatte gerade innerhalb von 5 Sekunden unsere Beziehung von etlichen Jahren kaputt gemacht. So etwas zerstört Vertrauen. Ganz und gar. Das hätte ich eigentlich wissen müssen. Ich hatte das selbe getan, was Blake bei mir gemacht hat. Verdammt.

Ich rutschte an der Zimmertür hinab, lehnte mich an diese und zog die Beine an.

Jetzt war alles aus. Alles war vorbei. Tränen rannen mir über die Wangen. Diese Worte... diese Worte, die mein Herz einen Marathon haben laufen lassen... sie sorgten dafür, dass mein Verstand aussetzte. Ganz und gar. Oh Dem, du bist so doof... das hast du nun davon, wenn du deinen Verstand ausschaltest und das Herz machen lässt. Scheinbar konnte ich mich auf keine der beiden Seiten verlassen. Was ich auch machte, es ging schief... es war mir egal, dass dieser Kuss das Schönste war, was ich je erlebt hatte. Trotz der Flüchtigkeit. Ich wollte es rückgängig machen, wollte die Zeit zurück drehen, aber das ging natürlich nicht. Ich hatte Jay verloren. Für immer.

Es klopfte an der Tür.

„Dem? Ich weiß, dass du da drin bist, mach die Tür auf.“

Ich antwortete nicht. Ich konnte ihn gerade nicht in die Augen sehen. Sollte er mich doch durch die Tür fertig machen. Ich schlang meine Arme um die Beine und legte den Kopf auf diese. Er klopfte noch einmal.

„Glaubst du echt ich sei angepisst, nur weil du mich geküsst hast?“

Nur? NUR? Ich hab gerade meinen Bruder geküsst und er tut so, als wäre das ne Lappalie? Meine Atmen ging schneller.

„Mach die Tür auf. Bitte.“

Ich bewegte mich nicht.

„Dem, ich klettere sonst durchs Fenster oder schlag durch Graces Zimmer die Wand ein. Bitte. Ich will nicht durch ein Holzbrett mit dir reden.“

Ich schluckte. Langsam, nur ganz langsam ließ ich von der Tür ab, rappelte mich hoch und öffnete das Schloss. Ich ging ein paar Schritte in den Raum hinein, ließ den Kopf hängen. Die Tränen wollten nicht aufhören.

Jay öffnete die Tür und kam unweigerlich auf mich zu, zwang mich in eine Umarmung.

„Hey. Ich sagte doch es ist okay, hör auf zu weinen. Alles ist gut.“ Ich wollte mich von ihm lösen, aber mein Körper gehorchte nicht. Stattdessen klammerte ich mich an ihn, zog mich näher an seinen Körper, vergrub meinen Kopf an seine Halsbeuge und schluchzte. Er strich mir beruhigend über den Rücken. Ich konnte die ganze Situation absolut nicht einschätzen. Er müsste sauer auf mich sein oder zumindest eine Erklärung verlangen.

„Jay... du bist mein Bruder.“

„Stiefbruder. Ja.“

Ich sah auf. Es war das erste Mal, seit wir uns kannten, dass er diesen kleinen, doch wichtigen Unterschied aussprach. Dass wir nicht blutsverwandt sind, hatte bis jetzt nie interessiert.

„Du bist Familie. Man küsst seine Familie nicht.“

„Warum hast du es dann gemacht?“ In der Frage klang weder Anklage noch Verurteilung, jeder Abscheu noch Spott. Einfach nur Neugierde.

„Ich... es tut mir Leid.“

„Hey, das bedeutet nicht, dass du dich dafür entschuldigen musst.“

Nicht? Jetzt war ich endgültig verwirrt. Ich schaute ihn fragend an. Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, lehnte sich vor und legte seine Lippen auf meine. Nur kurz. Ganz kurz. Und dennoch. Meine Wangen färbten sich augenblicklich rot.

„W-was...“ Er lächelte.

„Ich fand es nicht schlimm. Es war eigentlich ganz schön.“

Es war... was? Okay, Stop. Ich würde gleich aufwachen und in meinem Bett liegen. Mit Sicherheit. Das passierte gerade nicht wirklich, oder? Aber es fühlt sich so real an...

Okay! Wenn es ein Traum war, konnte ich auch alles auf eine Karte setzen. Wenn nicht jetzt, dann nie. Ich suchte den Augenkontakt.

„Ich liebe dich, Jay.“ Meine Stimme war seltsam klar und deutlich und ich dankte ihr in diesem Moment, dass sie nicht abbrach. Nun war es an ihm rot zu werden. Er sah überrascht aus, öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder, lächelte stattdessen. Er schlang seine Arme um meinen Hals. Ich erwiderte die Umarmung.

Wir blieben eine Weile so stehen bis er seine Stimme wiederfand.

„Weißt du... ich hab das vorhin ernst gemein. Dass ich mir manchmal wünsche, einfach mit dir zusammen sein zu können.“

„...Aber?“

„Kein Aber. Was meinst du?“

Ich schaute ihn fragend an.

„Wir sind Brüder, Jay...“

Er löste sich aus der Umarmung, legte seine Hände auf meine Schultern.

„Fakt ist, wir sind Stiefbrüder. Das ist weder verboten, noch strafbar. Fakt ist, du bist für mich der wichtigste Mensch der Welt. Und Fakt ist, dass dieser Kuss vorhin mir sämtliche Sinne geraubt hat. Also, was soll daran falsch sein?“

Es waren genau die Punkte, die Chris mir immer runtergebetet hatte, als ich ihr von meinen Problemen erzählte. Doch ich hätte in meinem Leben nie gedacht, dass Jay es genauso sehen würde wie sie.

„Dem, diese Frage ist vielleicht wahnsinnig veraltet, aber trotzdem: Willst du mit mir gehen?“

Erneut rannten mir Tränen in die Augen. Wann bitte war ich so sentimental geworden? Aber diese Frage aus seinem Munde zu hören... ich war immer noch der festen Ansicht, dass ich träumen musste. Ich lächelte, legte eine Hand auf seine Wange.

„Ja... ja, natürlich. Nichts würde ich lieber.“

Es war einfach so irreal. Es war alles, was ich mir je gewünscht hatte. Und doch, es passierte.

„Darf ich dich küssen?“ Ich musste nachfragen. Ich wollte nichts tun, was ihn vielleicht umstimmen könnte. Jay schloss die Augen und grinste.

„Natürlich.“ Ich lehnte mich vor und zum dritten Mal an diesen Tag trafen sich unsere Lippen. Diesmal löste sich der Kuss allerdings nicht wieder nach einigen Sekunden, sondern ging sehr viel länger und war viel intensiver. Leicht saugte ich an deiner Unterlippe, erst sehr vorsichtig, dann etwas fordernder. Stupste mit der Zunge an seine Lippen. Er öffnete diese ein wenig und gewährte mir Einlass. Sanft tippte ich seine Zunge an, forderte sie auf mit meiner zu tanzen, zu spielen. Es war unbeschreiblich. Mein Körper kribbelte vor Aufregung, meine Knie wurden weich und es fiel mir schwer, mich aufrecht zu halten. Ich hätte ihn am liebsten noch stundenlang so geküsst, wenn wir nicht die Zimmertür von Grace gehört hätten. Schlagartig lösten wir uns voneinander und schauten zur Tür, wo unsere Schwester drei Sekunden später auch schon auftauchte. Sie schaute uns skeptisch an.

„Was macht ihr denn hier?“

Es musste wirklich komisch aussehen, wie wir beide nun so völlig planlos mitten im Raum standen.

„Gar nichts. Wir wollten gerade gehen.“ Jay ergriff mein Handgelenk und zerrte mich aus dem Bad und in unser Zimmer, welches er hinter sich abschloss. Ich bemerkte, dass er mindestens so rot sein musste wie ich.

„Sie muss es nicht unbedingt wissen, oder?“

Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Nein... und unsere Eltern auch nicht... und die Anderen...?“

Jay schwieg einen Moment, zuckte dann mit den Schultern und setzte sich auf sein Bett.

„Weiß nicht... ich weiß nicht mal wer genau weiß, dass wir nicht richtig verwandt sind. Meinst du, das kommt komisch, es öffentlich zu machen?“

„Wahrscheinlich...“ Ich hatte mir darüber nie Gedanken gemacht. Ich hatte nie gedacht, dass dies jemals passieren könnte. Doch jetzt war es passiert und jetzt kommt das Danach.

„Also bleibt es unter uns?“ Er seufzte. „Irgendwie ist das schade.“

Ich setzte mich neben ihn, lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Er schlang seinen Arm um mich, fuhr mir durch die Haare.

„Es ist jetzt schon mehr, als ich mir je erhofft hatte.“ Ich schloss die Augen.

„Dem? Wie lange bist du schon...“ Er zögerte. „...in mich verliebt?“

Jetzt war die Katze aus dem Sack, also konnte ich ihm auch alles erzählen.

„Ne Ganze Weile. Ein paar Jahre vielleicht. Ich weiß es nicht mehr.“

Er schwieg einen Moment.

„So lange...“, seine Stimme wurde leise. „Dann muss die Sache mit Summer... oh shit.“

Ich nickte nur.

„Jetzt versteh ich das alles ernst. Oh es tut mir leid, Dem. Warum hast du nichts gesagt?“

Ich schnaufte.

„Ich hatte ne Heidenangst dich deswegen zu verlieren. Sag mir mal wie wahrscheinlich es ist, dass ein Bruder die Gefühle seines Bruders erwidert.“

„Sag nicht ständig das Wort ‚Bruder’...“

„Aber es ist doch so. Du bist Familie, Jay. “

„Momentan bin ich dein Partner und nicht dein Bruder.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das war... Wow. Es von ihm so ausgesprochen zu hören. Ich hätte dahinschmelzen können. Ich zog ihn in einen erneuten Kuss.

Jay grinste.

„Deine Küsse sind tausendmal besser als die von Summer.“
 

Eine ganze Weile blieben wir einfach nur auf dem Bett liegen, sahen uns in die Augen, küssten uns gelegentlich. Es kam mir so unwirklich vor, dass die ganze Sache mit Blake erst gestern war. Es kam mir vor, als sei es eine Ewigkeit her. Überhaupt kam mir alles um mich herum gar nicht mehr wichtig vor. Ich wollte, dass dieser Moment nie aufhörte. Ich hatte ihn hier neben mir liegen. In meinen Armen. Als meinen festen Freund.
 

Ich hätte nie gedacht, diese Worte wirklich einmal aussprechen zu dürfen. Doch sie gingen in meinem Kopf, die ganze Zeit. Und sie waren real. Wirklich. Ich wollte mich nicht von Jay lösen, doch die Zeit verging und ich musste wohl oder übel unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselte auf mich nieder. Wir waren wirklich zusammen. Ich hatte das Gefühl, eine kaputte Schallplatte würde immer wieder die gleichen Wörter abspielen.

Als ich zurück ins Zimmer kam, hatte Jay sich schon fertig gemacht und lag in seinen Bett unter die Decke gekuschelt. Ich stand einige Sekunden im Raum, wusste nicht so recht, was ich jetzt machen sollte. Konnte ich zu ihm ins Bett? Oder war das zu früh? Vielleicht war ihm das genug Gekuschel für einen Tag? Sollte ich ihn fragen? Aber das kommt auch irgendwie komisch, oder?

Durch unsere jetzige Beziehung hatte sich für mich scheinbar alles verändert. Sämtliche Situationen mussten nun in einen anderen Licht betrachtet werden, über das ich mir bis jetzt natürlich keine Gedanken gemacht hatte. Natürlich hatte ich oft genug diese 'Was-wäre-wenn' Szenarios, die sich in meinem Kopf abspielten, aber diese gingen nie weiter als bis zum Liebesgeständnis und deren Reaktion, die in den meisten Fällen nicht unbedingt zu meinem Vorteil ausgingen.

Ich ging in Richtung meines Bettes, war schon im Begriff, mich in dieses zu legen, als Jays Stimme mich aufhielt.

"Dem? Komm her..."

Ich hielt in der Bewegung inne, sah auf die andere Seite des Raumes. Jay hielt seine Decke hoch, bot mir so an, mich zu ihm zu legen.

Ich lächelte. Innerhalb weniger Schritte war ich bei ihm und kuschelte mich an seinen kleineren Körper.

"Das ist alles noch so wahnsinnig neu. Ich hab keine Ahnung, was okay ist und was nicht.", gab ich offen zu.

"Geht mir genauso." Er strich mir übers Haar. "Aber das wird schon mit der Zeit."

"Ja." Das würde es sicher. Meine Gedanken rasten. Ich fragte mich, wie ich schlafen sollte, mit diesem Kopf und dem rasanten Herzschlag, den Jays Anwesenheit verursachte. Mir gingen alle möglichen Dinge durch den Kopf. Was, wenn es schief ging? Wenn er irgendwann merkte, dass es nicht so ist, wie er es sich vorgestellt hatte? Wenn ich seine Erwartungen nicht erfüllen konnte? Was war dann? Man wünscht sich zwar, nach einer Beziehung könnte man dort weitermachen, wo man davor war, aber die Realität sah anders aus. Ich hatte mal einen sehr schönen Gedankengang gelesen und versuchte mich an diesen zu erinnern.
 

"Kann man wirklich noch miteinander befreundet sein, nachdem man Schluss gemacht hat? Du gibst einer Person alles von dir. Nach und nach lernt sie alles von dir, jede noch so bedeutungslose Kleinigkeit. Aber plötzlich verschwindet das. Es gehört dir nicht mehr und du sollst irgendwie damit klar kommen. Da sind diese schrecklichen Pausen, wo das 'Ich liebe dich' hingehörte und die farbigen Unterhaltungen werden trübe und schmerzhaft. Und auch wenn die Jahre vergehen kannst du immer noch nicht normal mit ihr sprechen, weil das Reden allein dich bereits daran erinnert, warum du dich damals in sie verliebt hast..."
 

Es war so wahr. Und davor hatte ich panische Angst. Sollte ich Jay von dieser Angst erzählen? Es würde sicher nicht falsch sein, wenn er davon wusste.

"Jay?"

Doch er antwortete nicht. Ich hörte den gleichmäßigen Atem neben mir. Er war bereits eingeschlafen. Ich musste schmunzeln. Genau so kannte ich meinen Sonnenschein. Ich drückte ihn einen Kuss auf die Stirn und rückte noch ein Stückchen näher, so dass kein Platz mehr zwischen uns war. Wie es morgen in der Schule wohl aussehen würde? Es war wirklich alles komplett neu... aber es war so, wie ich es immer haben wollte. Ich schloss die Augen und ungewöhnlich früh war auch ich weggenickt.

Kapitel dreizehn

Als ich am nächsten Tag am Frühstückstisch saß, hätte ich unsere Eltern verfluchen können. Da sind sie wochenlang die Ersten aus dem Haus, kümmern sich einen Dreck um das Familienbeisammensein und ausgerechnet heute müssen sie einen auf Familienfrühstück machen. Ausgerechnet heute! Ich biss frustriert in meinen Toast, sah zu Jay, der mich nur sanft anlächelte. Er verstand, warum ich so gereizt war. Die letzten Male haben wir immer zu Zweit gefrühstückt und ausgerechnet heute hatten wir keine Möglichkeit alleine zu sein. Im Grunde regte ich mich übertrieben auf. Wir haben die ganze Nacht nebeneinander gelegen und wir würden den ganzen Schulweg für uns haben. Und trotzdem. Es wurmte mich. Wahrscheinlich war es, weil ich es immer noch nicht richtig realisierte. Als ich aufwachte dauerte es einige Momente, um zu begreifen, dass es wirklich kein Traum war. Und jetzt habe ich Angst, dass es trotzdem jeden Moment wieder zerplatzen könnte wie eine Seifenblase. Als ob er mir jeden Moment sagen würde, dass alles nur ein Scherz gewesen wäre. Um zu gucken wie ich reagieren würde. Ich machte mich wegen der Sache verrückt.

Schnell schlang ich den Rest meines Toastes runter und ging zurück in unser Zimmer, packte meine Tasche für die Schule. Es war mir egal, was meine Eltern dachten. Nur weil sie einmal mit uns zusammen am Tisch saßen, sollten sie nicht einen auf fröhliche Familie machen. Im Grunde waren wir das zwar, aber wir gingen alle unsere eigenen Wege. Wir waren alt genug. Wir brauchten keinen mehr, der uns Morgens weckt oder der uns Frühstück und Mittagessen machte. Das konnten wir schon gut alleine.

Nur wenige Minuten später kam Jay ins Zimmer.

"Du denkst das selbe wie ich, nehme ich an?" Er ging zu mir rüber, umarmte mich von hinten und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Ein Schauer überkam mich, die Hitze kehrte zurück. Ich konnte diese Berührungen einfach noch nicht als selbstverständlich ansehen. Dafür hatte ich sie mir zu lange erträumt.

Ich nickte.

"Jay?"

"Ja?"

Ich überlegte, wie ich die Frage am besten stellen konnte.

"Ich... hab Angst. Deinen Vorstellungen nicht gerecht zu werden."

"Wie meinst du das?" Er ließ von mir ab, sah mir in die Augen.

"Naja... was, wenn es nicht so wird, wie du es dir vorgestellt hast? Wenn es nicht klappt zwischen uns? Ich glaube nicht, dass wir dann wieder zurück in unsere alte Freundschaft gehen können..."

"Darüber machst du dir jetzt schon Sorgen? Wir sind gerade mal einen Tag zusammen." Er hauchte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen.

"Ich hab einfach nur Angst davor. Es ist zu schön um wahr zu sein, weißt du?" Ich schaute zum Boden. Das musste echt idiotisch klingen.

"Mach dich deswegen nicht verrückt. Lass es einfach auf dich zukommen."
 

Er strich mir über die Wange. „Wenn man zu viel denkt geht’s meistens schief. Lass dein Herz entscheiden.“

Haha. Ironie. Das Gespräch hatte ich vor wenigen Tagen auch schon mal mit mir selbst. Aber ich bin zu dem selben Schluss gekommen. Ich nickte.
 

Auf dem Weg zur Schule stand ich vor dem nächsten Problem. Ich wollte seine Hand ergreifen, doch war das im Bereich des Möglichen? Ginge es in Ordnung? Wir wollten es schließlich nicht Öffentlich machen. Aber jeder wusste, dass wir uns als Brüder sehr nahe standen. Würden Geschwister Händchen halten? Ich war mir in diesem Punkt echt nicht sicher. Wahrscheinlich würden sie es nicht. Also vergrub ich meine Hände in den Taschen und ging einfach nur neben ihn her. Ich hatte es auch davor geschafft, normal neben ihn herzulaufen, also sollte das nun wirklich kein Problem sein. Und ich wollte niemanden die Möglichkeit geben, irgendwelche Gerüchte in die Welt zu setzen. Jay schaute zu mir rüber.

„Worüber denkst du gerade nach?“

Es war schon fast unheimlich, wie er immer genau bemerkte, wenn mich etwas beschäftigt.

„Darüber, was öffentlich okay ist und was nicht.“

Er blinzelte einmal.

„Bleib mal stehen.“

Ich sah ihn verwirrte an, tat aber wie geheißen. Jay schaute sich um, lächelte dann und drückte mir einen Kuss auf die Lippen, den ich nach der ersten Schrecksekunde freudig erwiderte. Trotzdem schaute ich ihn fragend an, als er diesen wieder löste.

„Wofür war der denn?“

„Um dir zu zeigen, dass du dir keinen Stress machen brauchst. Nur weil wir außerhalb unseres Zimmers sind, heißt es nicht, dass wir uns wie Fremde verhalten müssen. Wenn keiner zuguckt geht so was auch klar.“ Er ging weiter, ich folgte ihm.

„Danke.“
 

In der Schule angekommen verabschiedeten wir uns. Ich ging in Richtung Sporthalle und traf Chris auf dem Weg.

„Dem! Hey, alles in Ordnung? Hast du dich gut erholt von der Sache?“

Ich musste wirklich kurz überlegen was genau sie meinte, bevor es mir wieder einfiel. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht.

„Erholt ist wohl das richtige Wort.“

Durfte ich es ihr sagen? Sie wusste alles, was mich in den letzten Jahren betraf. Aber würde ich es nicht mit Jay abklären müssen? Andererseits kann ich meiner besten Freundin auf jeden Fall vertrauen, dass es unter uns bleibt. Ich griff ihr Handgelenk und zog sie ein wenig abseits von den anderen. Schließlich sollte es nicht jeder mitbekommen.

„Ich muss dir was sagen.“ Mein Grinsen wurde größer. Ich konnte es nicht verstecken, so sehr ich es auch versuchte.

„Jay und ich sind zusammen.“

Ihr Gesichtsausdruck war klasse. Ihre Augen wurden Größer, es schien, als hätte es ihr komplett die Sprache verschlagen.

„Nein! Das... im Ernst jetzt? Du verarscht mich doch.“

Ich kicherte.

„Ich glaubs ja selbst kaum. Aber es stimmt. Aber verrat es keinem.“

„Wie bitte hast du das geschafft? Da möchte ich jetzt aber alle Einzelheiten, ohne Ausnahme! Oh Dem, das ist wirklich klasse! Ich freu mich für dich!“ Sie umarmte mich vor Freude.

Ich erzählte ihr die ganze Geschichte was gestern passierte, versuchte mich an alles zu erinnern, was jedoch nicht allzu schwer war. Ich glaube den gestrigen Tag werde ich in meinem Leben nicht vergessen.

Es gongte und der Lehrer schloss die Sporthalle auf, so dass wir unsere Unterhaltung beenden mussten. Eilig ging ich in die Jungenumkleide und zog mir mein Sportzeug an. Ich hatte nicht wirklich Lust auf Sport, aber es war eine gute Gelegenheit um mich von meiner rosaroten Wolke herunter zu holen. Völlig verliebt durch die Schule zu taumeln war auch nicht wirklich die beste Idee. Es würde nur Fragen aufwerfen. Also nutzte ich die zwei Stunden um mich so gut es ging abzulenken.

Der Plan war schön und gut, ging aber ziemlich nach hinten los. So sehr es mir auch gelang meine Gedanken im Sportunterricht von Jay wegzulenken, desto schneller kamen sie in der Pause zu mir zurück. Er berührte unauffällig meine Finger mit seinen, als er an mir vorbei ging und sich neben mich stellte. Ich wollte ihn berühren, wollte in küssen, hier und jetzt. Doch ich musste mich zusammen reißen. Warum fiel es mir jetzt nur so schwer? Es war doch sonst auch immer gegangen? Es war, als wäre die Sehnsucht nach ihm nun um einiges größer, als sie zuvor war. Vielleicht weil die Tabu Mauer jetzt nicht mehr existierte? Weil mein Verlangen nun legitim war? Dennoch wusste ich, dass keiner hier es richtig verstehen würde.

Mir fiel auf, dass Summer gar nicht bei uns stand, so wie sonst immer. Wahrscheinlich war sie immer noch sauer. Aber das war mir egal, von mir aus konnte sie ruhig weg bleiben. Sie würde mir Jay nicht wieder wegnehmen. Das würde niemand.
 

Die restlichen Stunden vergingen ungewöhnlich schnell. Mit diesen Glücksgefühl in meinem Bauch konnte ich recht gut dem Unterricht folgen. Die zweite Pause verlief nicht viel anders als die Erste. Ich würde mich einfach daran gewöhnen müssen mich zurück zu nehmen. Dafür hatte ich ihn dann abends zu Hause ganz für mich.

Am Ende der siebten Stunde trafen wir uns vor dem Schultor, um gemeinsam zur Halle zu gehen. Jay zwar zwischenzeitlich nach Hause gegangen, da er eher Schluss hatte als ich. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken Blake wieder begegnen zu müssen, doch ich brauchte meine Sachen und wollte Jay auf keinen Fall alleine gehen lassen.

„Keine Sorge, Dem. Wir gehen da nur eben rein, leeren das Schließfach und dann geht’s wieder ab nach Hause. Das dauert höchstens ein paar Minuten.“

„Und wenn er mich aufhält? Ich will wirklich nicht mit ihm reden...“

„Dann sorg ich schon dafür, dass er verschwindet bis wir wieder draußen sind.“

„Jay, es ist immer noch seine Halle.“

„Ja, aber es sind deine Sachen. Zur Not holen wir die Polizei und das will er sicher nicht. Immerhin würde es seinen Ruf schädigen.“

„Hmmm...“

Die Einwände klangen logisch, aber ich hatte trotzdem ein ungutes Gefühl.

Als wir die Halle betraten war niemand zu sehen, außer ein paar Biker die trainierten. Es war komisch zu wissen, dass ich nun nicht mehr zu diesen zählte.

„Wo genau ist dein Spind?“ Ich zeigte Jay diesen und öffnete das Schloss. Er kicherte.

„Du hast meinen Geburtstag als Zahlenkombi?“

Ich merkte, wie ich rot wurde. Das war eine der Sachen, die er nie erfahren sollte...

„Das ist wahnsinnig süss, Dem.“

„Hör auf, das ist schon peinlich genug.“ Ich öffnete den Spind und drückte Jay meine Klamotten in die Hand, außerdem die Gelenkschoner und zu guter letzt meinen Helm. Die restlichen Sachen – meinen Rucksack und Ersatzklamotten – nahm ich selbst in die Hand.

Gerade wollte ich mich freuen, dass das alles so super gelaufen ist, dass ich mir gar nicht so viel Stress machen brauchte, als ich eine bekannte Stimme meinen Namen rufen hörte.

„Demian!“

Es war Blake.
 

Ich erstarrte. Drehte mich nicht um. Was sollte ich jetzt machen? Stumm an ihm vorbeigehen? Ihn grüßen? Was mir auch in den Sinn kam, alles war irgendwie falsch.

„Komm.“, flüsterte Jay mir zu und ging voraus, ich folgte ihm stumm. Blake stellt sich uns in den Weg, beachtete Jay jedoch nicht groß.

„Demian, bitte. Lass mich mit dir reden.“

Ich biss mir auf die Lippen. Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wusste nicht über was. Ich wollte das Thema hinter mir lassen und nie wieder daran erinnert werden.

„Lass uns bitte durch, Blake.“ Jay übernahm das Sprechen für mich. „Wir haben es ein wenig eilig.“

„Demian, es tut mir wirklich leid. Ich... bitte, lass es mich erklären.“

Doch ich schwieg weiter und ging einfach aus der Halle.

„Nimm wenigstens deine Preise mit.“ Ich horchte auf. Die hatte ich wirklich vergessen. Seit Samstag waren sie bei Blake in der Wohnung.

„Ich hab sie hier. Ich hol die schnell, warte bitte.“ Damit verschwand er aus meinem Sichtfeld. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt gewesen weg zu gehen, doch irgendwie lag mir auch etwas an den Preisen, zumal sie wohl meine Ersten und Einzigen sein würden.

„Dem?“, Jay stellte sich neben mich, sah mich fragend an. Ich nickte nur.

Es dauerte keine 5 Minuten bis Blake mit Pokal und Medaille wieder da war. Er drückte mir beides in die Hand und ich konnte es gerade noch so tragen. Es war mir unangenehm, dass er mit so nah kam, aber es ließ sich nicht vermeiden.

„Danke...“, flüsterte ich leise, drehte mich dann um und ging, ohne noch einmal zurück zu sehen.
 

Jay und ich gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Ich war ehrlich froh, dass er dabei war. Ich wusste nicht, wie ich ohne ihn in meiner Nähe reagiert hätte.

„Ich hoffe unsere Eltern sind nicht zu Hause. Sonst müssen wir uns gleich reinschleichen.“, sprach Jay nach einigen Minuten. Da hatte er allerdings Recht. Wenn sie die Kleidung sehen, würden sie bestimmt stutzig werden. Andererseits...

„Und selbst wenn, sie wissen ja nicht, dass ich wieder gefahren bin. Die Sachen waren immerhin seit Ewigkeiten da drin.“

„Und der Pokal?“

„...Gut, Punkt für dich.“

Sowohl auf Pokal als auch auf der Medaille waren Name und Datum eingraviert. Da konnte man nichts verbergen.

Doch wir hatten Glück und waren allein zu Hause. Nachdem wir die Sachen in unser Zimmer gebracht und erst einmal in der hintersten Ecke des Kleiderschrankes verstaut hatten, machten wir es uns auf meinem Bett bequem. Ich hatte die Musik angemacht, nicht zu laut, so dass man sich noch unterhalten konnte und lehnte gegen die Wand. Jay lag in meinen Armen gekuschelt, ich strich ihm über Nacken und Rücken.

„Wie fandest du den heutigen Schultag?“, fragte er mich. Ich musste gar nicht lange überlegen. Von allen Sachen, die gerade in meinem Kopf schwirrten, auch wenn das sehr viele waren, war dieses Thema ziemlich präsent.

„Seltsam. Es ist komisch genau zu wissen, dass da mehr ist zwischen uns und sich trotzdem wie immer zu verhalten. Um ehrlich zu sein hätte ich dich des Öfteren nur allzu gern überfallen.“

Er kicherte.

„Ging mir ähnlich. Aber was meinst du? Wie sollen die anderen Pausen verlaufen?“

„Wie meinst du das?“ Ich dachte, die Pausen würden so wie die Heutigen sein. Wir würden normal in unserer Gruppe stehen, so wie wir das schon seit etlichen Jahren machen. Mir ist nicht in den Sinn gekommen, dass sich daran was ändern könnte.

„Na ja. Wir könnten die Pausen auch zu zweit verbringen. Irgendwo, wo keiner sonst ist. Da gibt es immerhin genug Plätze im Gebäude.“

Ich überlegte kurz. Es war wahnsinnig süß, dass er diesen Vorschlag machte. Jedoch...

„Meinst du nicht, dass wir uns dadurch eher ausgrenzen? Du bist immerhin noch ein Jahr länger als ich auf der Schule und ich will nicht, dass du dadurch dein letztes Jahr alleine verbringst. Außerdem, was für eine Begründung sollten wir bringen? Als Geschwister sehen wir uns eh schon wahnsinnig oft am Tag, das kommt seltsam, wenn wir dann auch noch in der Schule alleine sein wollen, oder nicht?“

„Hmmm...“ Jay dachte nach. Sagte eine Weile nicht. Aber es war genau das, was ich so befürchtete. Durch eine Beziehung sollten die sozialen Kontakte auf keinen Fall drunter leiden. Erst recht nicht zu seinen anderen Freunden. Das war in etwa das schlimmste, was passieren könnte. Denn wenn wir uns irgendwann einmal streiten oder wenn einer von uns einmal nicht da war, aus welchen Grund auch immer, brauchte man seine Freunde. Die sollen nicht an hinterster Stelle rücken. Auf gar keinen Fall. Jay seufzte

„Du hast eigentlich Recht. Mir fällt gerade auch nicht ein, wie man es erklären könnte. Aber ich bin heute fast wahnsinnig geworden nur neben dir zu stehen und nicht einmal dein Hand halten zu können.“

„Und wenn wir... sagen wir zwei mal die Woche die Pausen zu zweit verbringen und die anderen Tage mit unseren Leuten? Oder wir nehmen beispielsweise immer nur die Erste für uns. Irgendwie wird sich das schon vertragen.“

„Ich hoffe...“, er drehte sich auf den Rücken, so dass er mich angucken konnte. Ich lächelte, lehnte mich zu ihm vor und küsste ihn. Seine Lippen waren jedes Mal so unglaublich weich und warm, es war zum schmelzen schön. Ich wollte es nie wieder missen ihm so nah sein zu können. Warum konnten wir es nicht einfach öffentlich machen und gut ist? Aber ich wollte Jay diesen Blicken nicht aussetzen. Mir selbst war das egal, ich geh in wenigen Monaten von der Schule ab, aber ihm wollte ich das nicht antun. Es war ja nicht nur das Problem, dass wir schwul waren. Das war nun wirklich nicht die Sache. Klar, es gab immer noch den ein oder anderen Idioten, der es bis heute nicht gecheckt hat, dass das Schikanieren aufgrund seiner Orientierung so was von von vorgestern ist, aber im Großen und Ganzen konnte man als Schwuler schon gut hier leben. Ich fragte mich insgeheim wie viele Leute wussten, dass wir Geschwister waren. Auf Papier hatten wir immerhin einen anderen Nachnamen, aber wir haben uns immer als Brüder betitelt, schon seit wir klein waren. Wahrscheinlich wussten es zu viele, als dass man sich deswegen keine Gedanken machen müsste.

„Ist bei dir soweit alles okay? Ich meine wegen Blake?“ Jay schaute besorgt. Ich legte eine Hand auf seine Wange.

„Ja, alles gut. Es war zwar nicht gerade angenehm ihn wieder zu sehen, aber das war das letzte Mal.“

„Und wenn du ihn mal zufällig in der Stadt antriffst? Immerhin ist das hier keine Weltmetropole.“

Tja... was würde ich dann machen...

„In der Stadt sind genug Menschen, als dass etwas passieren könnte. Und sonst ignorier ich ihn und zur Not weiß ich mich immer noch zu wehren, wenn ich nicht gerade auf Drogen stehe. Und ich hab nicht vor noch mal etwas von ihm anzunehmen. Also keine Bange.“

Er schloss die Augen.

„Okay.“

Ich wäre am liebsten für immer mit ihm so liegen geblieben, wenn meine Mutter uns nicht zum Essen gerufen hätte.
 

Die Szene wiederholte sich. Meine Mutter hatte gekocht und bestand darauf, dass wir endlich mal wieder zu fünft gemeinsam essen. Weil wir das ja so lange nicht mehr gemacht haben. Ja, welche Schuld war das denn wohl? Ich hätte gemütlich mit Jay im Arm auf dem Sofa liegen können während wir Pizza futterten aber nein, wir saßen am Küchentisch, ohne Musik, ohne alles, nur mit dem Gelaber der beiden Erwachsenen. Ich stocherte in meinem Essen und verdrehte hin und wieder genervt die Augen. Auch Grace schien das alles nicht sonderlich zu gefallen. Jay kicherte, doch auch ihm konnte man ansehen, dass er Gezwungenerweise hier saß. Ma und Richard unterhielten sich über ihre wahnsinnig spannende Arbeit, die so wahnsinnig spannend war, dass sie nicht realisierten, dass sie völlig in ihre eigene Welt eingetaucht waren. Ich fragte mich ob sie bemerken würden wenn wir aufstehen. Aber besser nicht riskieren. Sonst gibt es hinterher nur noch ne Standpauke und darauf konnte ich verzichten. Wir Drei aßen relativ zügig auf und warteten auf eine Erlaubnis aufstehen zu dürfen. Als diese auch nach weiteren 15 Minuten nicht kam, stupste ich meine Mutter an.

„Ma? Dürfen wir aufstehen? Wir sind fertig.“

Sie schaute verdutzt auf unsere Teller, die allesamt leer waren und dann auf ihre Portion, die immer noch voll wahr. Zwischen irgendeinem Gemecker, dass die Jugend von heute ja doch alles nur herunter schlingen würde und man sich die Mühe des Kochens gar nicht machen bräuchte, bekamen wir unsere Erlaubnis und verzogen uns nach Oben.
 

Seufzend ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Ich hatte mich nach dem Essen schnell ins Bad verzogen und mich extra beeilt, auch wenn ich nicht wusste warum. Wahrscheinlich einfach um Jays Anwesenheit schneller wieder zu genießen. Dieser saß auf seinen Bett, schrieb die letzten Sätze seiner Deutschhausaufgabe und legte dann das Schulzeug auf den Schreibtisch. Diesmal ging ich gleich in Richtung seines Bettes. Er rückte ein Stückchen, so dass ich genug Platz neben ihm hatte. Mein Bett würde noch richtig verlassen werden, wenn das so weiter geht. Aber mich störte es nicht. Ganz im Gegenteil. Ich spürte, wie die Arme meines Freundes sich um mich schlangen und erwiderte die Umarmung.

„Es tut so wahnsinnig gut nicht alleine schlafen zu müssen.“ Er nuschelte, doch ich konnte ihn gut verstehen. Mein Herz meldete sich wieder stärker. Es schlug ständig schneller in seiner Nähe, doch in diesen besonderen Momenten spürte ich es so deutlich, als würde es gegen meine Brust trommeln. Als würde es mir beweisen müssen, dass es Echt ist, dass Träume dieses Gefühl nicht auslösen können. Aber er war okay. Mittlerweile durfte es das. Es konnte so schnell schlagen wie es wollte. Es hatte ein Recht dazu. Und das Recht würde ich ihm nicht nehmen. Um nichts auf der Welt.

„Wir haben doch auch davor schon zusammen in einem Bett geschlafen.“

„Jaahh... aber nicht jede Nacht. Das kann man nicht vergleichen.“ Er drückte sich ein wenig näher. Jetzt sag mir bitte noch einmal jemand wie man sich nicht in ihn verknallen kann? Jedes seiner Wörter war so unglaublich Zucker... ich schloss die Augen. Spürte seinen Atem an meinem Hals. Spürte seine Wärme. Seinen Körper. Und er gehörte wirklich zu mir. Nicht zu irgendeinem wunderhübschen Mädchen. Zu mir. Nur zu mir. Auch wenn ich nicht wusste, womit ich ihn verdient hatte. Dennoch. Ich lächelte.

„Ich bin glücklich, Jay...“

„Ich auch. Und wie. Schlaf gut.“

Kapitel vierzehn

Ich wachte in der Nacht auf, weil ich ein Schluchzen hörte. Ich musste gar nicht lange überlegen um zu wissen, dass es von Jay kam. Sofort war ich hellwach. Er lag noch immer in meinen Armen, ich strich ihm vorsichtig über den Rücken.

„Jay? Alles okay?“

Er zuckte beinahe unmerklich zusammen.

„Oh sorry. Ich wollte dich nicht wecken, Dem.“ Er klang verweint.

„Kein Problem. Alptraum?“

„...so in etwa.“

Ich schlang meine Arme enger um seinen schmalen Körper.

„Magst du darüber reden?“

Er schwieg einige Sekunden.

„Ich... weiß nicht. Ich red darüber nicht gerne.“

„Worüber?“

Wieder schweigen. Er seufzte.

„Über... meine Mutter.“

Gut, das war wirklich etwas, worüber wir nicht redeten. Oder zumindest schon lange nicht mehr. Das letzte Mal als wir Kinder waren.

„Hast du von ihr geträumt?“

„Ja. Irgendwie schon. Ich weiß nicht, ob sie es war. Ich hab sie nie kennen gelernt.“

„Aber du hast doch sicher Fotos von ihr gesehen? Oder ein Bild in deiner Erinnerung?“

Ich wusste, dass ich mich gerade auf sehr dünnen Eis bewegte. Dieses Thema war ihm alles andere als angenehm und wenn ich nicht aufpasste, würde er nur abblocken und gar nichts mehr sagen. Aber ich war neugierig und wollte wissen, was ihm Sorgen bereitete.

„Nein... ich... ... okay. Du bist mein Freund. Du kannst es ruhig wissen.“

Was wissen? Ich hörte aufmerksam zu.

„Du weißt, dass ich meinen Geburtstag nicht feiere.“

Ich nickte. Jay hatte seinen Geburtstag noch nie gefeiert. Als er klein war konnte er nichts dagegen tun, dass Richard und seine Großeltern eine kleine Feier starteten, doch es war nie diese fröhliche, glückliche Stimmung, die man von anderen Geburtstagen kannte. So wie bei mir und Grace oder bei unseren Klassenkameraden. Er lud auch nie Freunde ein, es war fast immer so wie ein normaler Tag verlaufen, außer, dass er das ein oder andere Geschenk von uns bekam.

„Meine Mutter ist damals bei meiner Geburt gestorben. Darum mag ich diesen Tag nicht. Es ist gleichzeitig ihr Todestag.“

Ich zuckte zusammen. Das hatte ich wirklich nicht gewusst. Ich dachte immer sie wäre gestorben, als er noch ganz klein war.

„Papa meinte früher immer, sie ist gestorben damit ich leben könnte. Aber ich habe mir als Kind wahnsinnige Vorwürfe gemacht. Und manchmal kommen diese Vorwürfe in meinen Träumen erneut zum Vorschein.“ Er begann wieder zu weinen, doch das war in Ordnung. Er sollte weinen so viel er wollte, wenn es ihn dadurch besser ging.

„Ich weiß auch gar nicht wie sie aussah. Ich hab nie ein Foto von ihr gesehen. Papa hat die damals alle weggetan, da es ihm zu sehr weh getan hat, sie jeden Tag zu sehen.“

„Und eben hast du an sie gedacht?“

„Ja. Ich hab daran gedacht, dass ich doch gerne müsste wie sie so war. Und mich gefragt, ob Fotos überhaupt noch existieren. Aber ich möchte das auch nicht fragen. Nicht nach all den Jahren. Das würde irgendwie komisch kommen, oder? Und ich will nicht, dass Susan denkt, dass ich sie nicht mehr mögen würde oder so.“

„Hmmm...“ Ich konnte es verstehen. Aber da musste es doch eine Lösung geben. „Ich glaube nicht, dass Richard die Fotos weggeschmissen hat. Also müssen die noch irgendwo sein. Wollen wir nicht morgen den Dachboden danach absuchen?“

Das Weinen verstummte.

„Ja... würd ich gerne.“

„Gut, dann ist das beschlossen.“

Er lachte leicht.

„Danke, Dem. Ehrlich, ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen würde. Du schaffst es immer wieder, dass die schlimmsten Sachen plötzlich gar nicht mehr so schlimm erscheinen.“

„Dafür bin ich doch da.“ Ich hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Kennst du denn ihren Namen?“

„Ja. Saphira.“

„Wow. Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Name. Aber sehr schön.“

„Find ich auch. Ich mag den Namen.“

Eine Weile hielt ich ihn einfach nur im Arm und kraulte durch seine Haare.

„Wie hieß dein Vater?“

Scheinbar brach dieses Gespräch gerade das Eis, welches wir in all den Jahren um dieses Thema aufgebaut hatten.

„Nathaniel. Er arbeitete in einem Labor mit chemischen Mitteln und eines Tages hat einer seiner Mitarbeiter einen großen Fehler gemacht.“

„Also war es ein Unfall?“

„Ja. Ich bin als Kind mit dem Thema nicht klar gekommen.“ Jetzt konnte ich ihn auch gleich die ganze Geschichte erzählen, wenn wir schon dabei waren. Wer weiß, wann sich das nächste Mal die Gelegenheit ergibt.

„Ich musste sogar zum Kinderpsychologen. Und die Zeit im Kindergarten war eine einzige Qual. Ich hab es dir noch nie so gesagt, aber dass ich dich kennen gelernt habe war damals quasi meine Rettung. Ohne dich wäre ich sicher nicht der, der ich jetzt bin.“

„...gut, dass es Dunkel ist, ich bin sicher gerade rot wie eine Tomate geworden.“

Ich musste kichern.

„Ich sag nur die Wahrheit, Jay. Danke für alles.“ Ich nahm seine Lippen in Beschlag.

„Das kann ich nur so zurückgeben. Ich glaube wir haben in uns unsere Seelenpartner gefunden.“

„... du weißt, dass das unheimlich kitschig klingt?“

„Lass es doch. Es ist meine Meinung.“

„Sollten wir nicht versuchen wieder zu schlafen?“ Ich erhaschte einen Blick auf die Uhr. Es war halb fünf.

„Du hast wahrscheinlich Recht.“ Er schloss die Augen. „Schlaf gut, Dem.“
 

Der Schultag ging relativ schnell zu Ende. Wir verbrachten die Pausen noch immer in der Menge, da wir uns noch nicht überlegt hatten, wie wir den ein oder anderen Tag Zeit für uns gewinnen konnten. Summer war wieder nicht bei uns, aber man konnte sie aus einer Ecke des Schulhofes böse Blicke auf uns zuwerfen sehen.

„Willst du nicht bald mit ihr reden? Um die Sache abzuschließen?“

Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln, wie sie mit ihren Freundinnen tuschelte und sie immer wieder zu uns rüber schielten. Im Grunde war es mir egal, wenn Jay und Summer nie wieder ein Wort miteinander sprechen würde. Aber sie war gerissen und bevor sie noch irgendetwas anstellte, um sich an Jay zu rächen, war es wohl wirklich besser, wenn sie sich aussprachen und die Sache klärten. Im Streit auseinander zu gehen war nie eine richtige Lösung. Es war meistens mit Problemen verbunden.

„Mhm. Werd ich wohl machen müssen. Demnächst.“ Er verschränkte die Arme und sah ebenfalls zu ihr rüber.

Ich wette sie lästern über uns.“ Er grinste. „Ich glaubs nicht, dass sie so nachtragend ist. Dass sie es nicht einfach hinnehmen kann.“

„Ihr lag halt was an dir. Vielleicht versucht sie dich zurück zu gewinnen.“

„Soll sie mal versuchen.“ Er wandte sich ab. „Da hat sie keine Chance.“ Er lehnte sich näher zu mir und flüsterte mir ins Ohr: „Ich würd dich jetzt gerne küssen. Warum müssen hier so viele Leute sein?“

Ich musste mich zusammen reißen ihn nicht auf der Stelle in meine Arme zu ziehen.

„Weil das ein Schulhof ist? Jay....“

Chris, die direkt neben uns stand, fing an zu lachen, als sie uns beobachtete.

„Man kann deine Gedanken lesen wie ein offenes Buch, Dem.“ Jaden schaute verwirrt. „Chris! Kann man nicht. Zumindest hoffe ich das.“ Ich sah mich um, doch die anderen schienen mit sich selbst beschäftigt zu sein.

„Dem... hast du mir was zu sagen?“ Er zog eine Augenbraue hoch, schaute ernst. Ich zog den Kopf ein.

„Ehm... vielleicht?“ Ich sag zu ihm, zu Chris, wieder zu ihm. „Okay, ich hab es ihr erzählt. Tut mir leid. Sehr schlimm?“

Er seufzte.

„Nein... sags mir das nächste Mal aber bitte gleich. Sonst noch jemanden?“

„Nein, nur ihr. Ich habs irgendwie vergessen.“

„Durfte ich es nicht wissen?“ Chris sah Jay fragend an.

„Bei dir ist es gerade noch so in Ordnung. Es geht mir eher darum, dass ich es dann sofort wissen möchte.“

Chris und ich nickten beide.
 

Als wir zu Hause ankamen und gegessen hatten, machten wir uns auf dem Weg zum Dachboden. Wir waren alleine zu Hause, so dass es keine komischen Fragen geben würde. Die Treppe allein war schon wahnsinnig staubig und der Boden an sich war bedeckt mit einer dicken Schicht, fast als hätte es geschneit. Hier oben war mit Sicherheit seit Ewigkeiten niemand mehr gewesen.

„Wo fangen wir denn an zu suchen?“

Ich überlegte.

„Ich schätze sie sind in irgendeiner Kiste oder so. Halt mal Ausschau danach. Oder nach Fotoalben, die kann man ja eigentlich auch nicht übersehen.“

„Alles Klar.“

Ich ging in die hinteren Ecken während Jay eher vorne suchte. Hier war wirklich alles Mögliche verstaut. Sehr viele alte Spielzeuge, alte Klamotten, alte Möbel. Da waren die alten Puppen von Grace, mit denen sie einmal gespielt hatte und die dann in der Ecke landeten. Da waren unsere Autos in einer Kiste, unsere alten Action Figuren... und sehr viele Kisten. Ich wischte den Staub von diesen, meine Hand war sofort grau. In der ersten Kiste war Weihnachtsdekoration, gefolgt von den Ostersachen. Ich fand eine Kiste mit alten VHS Kassetten, die wir nicht mehr schauen konnten, da wir nur einen DVD-Player haben. Eine andere Kiste war voller Kabel und Netzteile. Ich stellte eine nach der anderen zur Seite. Die nächste war voll mit alten Schulmaterialien. Keine Ahnung warum die aufbewahrt wurden. Doch die nächste Kiste war interessant. Es schien, dass ich die Fotoalben gefunden hatte. Ich nahm eines heraus, pustete den Staub weg.

„Jay? Komm mal her.“

Er eilte zu mir und pflanzte sich neben mich. Ich schlug das Album auf.

„Das sind wir als Kinder, oder?“, fragte er. Ich blätterte weiter. Lauter Kinderbilder von uns. Mit Susan und Richard.

„Das ist nicht alt genug.“ Ich nahm das nächste Album aus der Kiste. Dieses war noch neuer, da waren Jay und ich schon auf dem Gymnasium. Genau wie das nächste.

„Die sind alle zu neu... es muss doch ein älteres geben.“

„Versuchen wir das hier.“ Jay griff sich eines heraus, dass wirklich älter als das Erste wirkte. Er schlug es auf. Auf dem ersten Bild sah man eine Frau in einem Krankenhausbett mit zwei Kindern im Arm.

„Ist das Susan?“ Er grinste.

„Ja. Mit mir und Grace. Ich kenne das Album, da sind Baby und Kinderfotos von uns Zwillingen drin.“ Ich blätterte eine Seite weiter. „Hier ist auch mein Vater zu sehen, siehst du?“ Ich deutete auf einen schlanken, großen, schwarzhaarigen Mann.

„So sah also dein Dad aus... du siehst ihm echt ähnlich.“ Jay sah sich das Foto interessiert an.

Ich lachte.

„Ja, das sagt Ma auch immer.“ Wir blätterten noch weiter, bis zu den Bildern meiner Kindergartenzeit.

„Du warst ja richtig süß als Kind, Dem. Aber auf diesen Bildern lächelst du nie.“

„Hmmm... das muss kurz nach Dads Tod gewesen sein. Ich sagte ja schon, ich hab den damals nicht gut verkraftet.“ Wenige Bilder später endete das Album. „Ma hat damals eine Weile keine Fotos mehr gemacht. Erst wieder als wir hier eingezogen waren.“

„Ich finds trotzdem schön, dass es solche Bilder von dir gibt.“

Ich nahm das nächste Album aus der Kiste, sah auf das Cover. Mir schockte der Atem.

„Jay... schau.“ Auf dem Deckblatt stand groß und deutlich ‚Saphira Cudney’. Mein Herz schlug schneller vor Aufregung.

„Ich... bin total nervös.“ Jay rückte näher, schmiegte sich an mich. Ich legte einen Arm um seine Schulter, legte das Album auf meinen Schoß. Und schlug es auf.

Das erste Bild zeigte eine sehr hübsche, junge Frau. Sie saß auf einer Wiese, hatte ein wunderschönes Lächeln, lange, blonde Haare und blaue Augen. Unter dem Foto war in einer schönen Schrift geschrieben ‚Saph, 22 Jahre. Erstes Date.’

„Das ist also... meine Mutter...“ Tränen rollten über Jays Wange. „Sie war hübsch.“

„Das hat sie gut vererbt.“ Ich lächelte und blätterte weiter. Auf den nächsten Bildern war sie mit einem Mann zu sehen – dem jungen Richard. Wie sie tanzten, sich küssten, sich einfach nur umarmten. Auf allen Bildern sahen die beiden wahnsinnig glücklich aus. Die Handschrift darunter verriet jeweils immer wer abgebildet war, das Alter derer und wo es gewesen war.

„Schau mal hier.“ Als wir in etwa in der Mitte angekommen waren war ein Bild von Saphira zu sehen mit etwas dickerem Bauch. ‚Saph, 25 und Baby, 5. Monat’ stand darunter. Es folgten weitere Bilder, eines mit den Beiden in unserem jetzigen Zimmer, mit Babybett, einer kleines Spielecke und ganz vielen Stofftieren. ‚Rich und Saph, 24 und 25 mit Baby, 7. Monat im Babyzimmer’ stand darunter.

„Du warst wirklich ein Wunschkind, Sweetheart.“ Er nickte.

Die vorletzte Seite zeigte Saphira im 9. Monat mit wahnsinnig dicken Bauch. Sie strich über diesen und grinste in die Kamera. ‚Saph, 25 mit Baby (Jaden), 9. Monat.’

„Da hattest du schon deinen Namen.“ Ich schlug die letzte Seite auf.

Diese Seite wies viele kleine Wasserflecken auf. Und ich konnte mir auch denken warum. Sie zeigte ein Krankenhausbett. Saphira lag in dieses und hielt den kleinen Jay in ihren Armen. Sie lächelte, aber nur ganz leicht. Sie sah wahnsinnig geschwächt aus.

‚Saphira, 25 und Jaden. Mögest du in Frieden ruhen.’ Die Schrift war unsauber. Es musste das letzte Bild sein, dass es von Saphira Cudney gegeben hat. Und das Einzige mit ihrem Sohn. Nur kurze Zeit später war sie verstorben. Jay krallte sich an mich, fing an zu schluchzen und zu weinen. All die Emotionen, die er jahrelang zurückgehalten hatte. Ich zog ihn auf meinem Schoß und in meine Arme, strich ihm über den Rücken und ließ ihn trauern.
 

Es brauchte eine Zeit bis die Tränen versiegten, doch schon bald wurde Jay ruhiger, sein Körper hörte auf zu beben. In Stille umringt saßen wir eine Weile einfach nur da. Ich hatte das Album mittlerweile wieder zugeschlagen und zur Seite gelegt.

„Willst du die Fotos mit nach unten nehmen? Oder sollen sie hier bleiben?“ Er hob es vom Boden auf.

„Ich nehme es mit. Ich möchte nicht, dass die Bilder hier oben verstauben.“ Jay stand auf, reichte mir eine Hand, die ich annahm und erhob mich ebenfalls. Er atmete einmal tief durch.

„Ich hab dort hinten auch etwas gefunden. Komm mit.“

Wir gingen zum anderen Ende des Dachbodens, wo ein großer, alter Schrank stand, dessen Türen offen standen. Wahrscheinlich hatte Jay diesen gerade durchsucht, als ich ihn zu mir rief.

„Hier, schau.“ Er reichte mir einige alte Fotos, die sich in Bilderrahmen befanden. Die Personen darauf kannte ich nicht.

„Das sind meine Großeltern. Also die Eltern meiner Mutter. Dad hat keinen Kontakt mehr zu ihnen, ich weiß nicht wieso. Ich hab sie nur einmal getroffen und das war bevor wir uns kennen gelernt haben. Ich erinnere mich kaum noch.“

Ich sah mir die Personen genauer an. Sie sahen sehr freundlich aus.

„Sieh dir dieses Bild an. Meinst du, das könnte Ma sein?“ Diesmal waren Drei Personen auf dem Bild, die beiden Großeltern und ein Mädchen, etwa in unserem Alter. Wahrscheinlich die junge Saphira Cudney.

„Gut möglich. Ich denke schon. Wow, da war sie wirklich noch jung.“

Es folgten weitere Bilder von der jungen Frau. Es folgten Bilder von ihr und dem jungen Richard. Und es folgten Familienfotos mit Richards Eltern.

„Es ist so schade, dass sie hier oben gelandet sind... “ Jay nahm sich zwei Bilder zur Seite, schloss dann den Schrank wieder.

„Die nehme ich auch mit. Dad schaut eh nie in unser Zimmer.“

„Da hast du Recht.“ Von unten hörte ich die Haustür zuschlagen.

„Wir sollten wieder runter.“ Leise schlichen wir uns die Treppe hinunter und in unser Zimmer. Jay verstaute das Album in eine seiner Schubladen und staubte die Bilderrahmen ab,

die anschließend einen Platz auf seinen Schreibtisch bekamen.

Kapitel fünfzehn

Ich war froh, dass wir diesen Schritt gemacht hatten. Die Antwort auf die Fragen zu finden, die Jay so lange beschäftigten, würden ihn zumindest für die Zukunft von seiner Unwissenheit befreien.

Am nächsten Tag hatte ich morgens einen Arzttermin. Nichts wirklich wildes, nur ein paar Impfungen auffrischen, aber dadurch kam verpasste ich die ersten beiden Unterrichtsstunden und die erste Pause. Als ich zur dritten Stunde in die Klasse kam, fing bei meinen Klassenkameraden das Tuscheln an. Ich interessierte mich nicht sonderlich dafür, reichte meinem Lehrer die Entschuldigung vom Arzt und ging zu meinem Platz neben Chris. Ich bemerkte, dass einige Blicke mir folgten.

„Hab ich irgendwas im Gesicht?“, fragte ich meine beste Freundin, die nur bitter lächelte.

„Nein... aber du hast trotzdem was verpasst. Was... nicht so erfreuliches.“, flüsterte sie zurück.

„Aha? Klär mich auf.“ Ich kramte meine Schulsachen heraus und legte sie auf den Tisch.

„Jay hat heute morgen vor der Schule mit Summer gesprochen. Oder es zumindest versucht. Daraufhin hat sie das Gerücht verbreitet zwischen Jay und dir läuft was.“

„WAS?!“

„Mr. Hazard. Ich möchte sie bitten den Unterricht nicht zu stören. Mrs. Parker, das gilt auch für sie.“ Unser Lehrer schien verärgert. Chris wartete bis er sich wieder der Tafel zuwandte, sprach dann leiser weiter.

„Ich erzähl dir die Story in der 5-Minutenpause.“

Ich nickte nur.

Wie bitte kam sie darauf? Ich meine, das Gerücht ist wahr, aber sie dürfte das niemals wissen. Und Jay hatte es ihr bestimmt nicht erzählt. Diese falsche Schlange... ich war so dermaßen sauer. Wahrscheinlich tat sie das, um sich bei Jay für die Abfuhr zu rächen, sie konnte ja nicht wissen, dass da wirklich etwas Wahres dran war.

Als es gongte begaben wir uns sofort nach draußen vor die Tür. Wieder folgten Blicke. Es nervte.

„Okay, ich versuch es kurz zu machen. Jay wollte sich mit Summer aussprechen und hat sie zur Seite genommen. Ich hab das so halb mitbekommen, er hat mir dann in der Pause alles erzählt. Er hat ihr noch mal klar gemacht was genau los war, dass die Verschiebung des Dates nicht böse gemeint war, aber dass er nicht mit ihr zusammen sein könnte wenn sie wegen so einer Kleinigkeit so austickt. Daraufhin hat sie ihn vor die Wahl gestellt wer wichtig wäre, seine Freundin oder sein Bruder. Er hat sich für dich entschieden, worauf sie so was sagte wie ‚Ach, dann komm doch mit ihm zusammen’ und er entgegnete ‚Es wäre auf jeden Fall einfacher als mit dir’. Sie ist nur schnaufend davon gerannt. Und in der ersten Pause ging dann das Gerücht bereits rum. Ich vermute sie wollte ihm eines auswischen.“

„Diese kleine... ARGHT. Ich finde nicht mal Worte dafür. Ich würde ihr gerne eine reinschlagen.“

„Hab ich schon getan.“ Ich sah sie irritiert an.

„...was?“

„Als Jay mir davon erzählte, bin ich zu ihr hingegangen und hab ihr eine geklatscht. War ziemlich witzig wie sie daraufhin schaute.“

„Du hast was? Im ernst?“ Sie kicherte.

„Ja. Und ich hab durch Stacy ziemlich nette Bilder von ihr, wo sie betrunken auf verschiedene Partys hängt. Ihre Eltern erlauben ihr die Partys nicht einmal. Sie denken, sie würde bei einer Freundin übernachten. Ich hab ihr sehr nett klar gemacht, dass ihre Eltern die Fotos bekommen wenn sie weiter so eine Scheiße erzählt. Daraufhin hat sie ganz schön verdaddert geguckt und war kurz vorm Heulen. Ich hatte meinen Spaß.“

Ich schaute meine Freundin mit großen Augen an.

„Chris... du bist der Wahnsinn... im Ernst. Ich... Danke.“

„Nicht dafür, Dem. Aber du solltest trotzdem mit Jay reden wie ihr der Sache begegnet. Es gibt immer noch einige, die das Gerücht mitbekommen haben und es glauben. Sie werden euch darauf ansprechen.“

„Vermutlich...“

„Du hast die Blicke ja bemerkt.“

„Allerdings...“ Ich ging einen Schritt auf Chris zu und umarmte meine beste Freundin. Sie hatte die Situation gerettet, bevor sie außer Kontrolle geraten konnte. Und man weiß ja bekanntlich wie schlimm Gerüchte in einer Schule werden können.
 

Die Auswirkungen von Summers kleiner Rache bekam ich bereits zu spüren, als ich den Klassenraum wieder betrat. Sätze wie ‚Hey Dem, du und Jaden also?’ ‚Hey, wo hast du denn deinen Schatz gelassen?’ und ‚Ach darum hattest du nie eine Freundin.’ wurden mir entgegengerufen. Ich zeigte nett meinen Mittelfinger und fragte, ob sie immer alles glaubten was sie hören. Es war keine Verneinung. Ich wollte meine Beziehung zu Jay nicht leugnen. Das konnte man auch vermeiden, wenn man auf die Fragen einfach nur indirekt antwortete.

Die zweite Englischstunde ging schnell zu Ende und ich traf Jay auf dem Schulhof.

„Dem. Wir haben ein Problem.“

„Weiß ich schon. Chris hat mir alles erzählt. Lass uns irgendwo hingehen, wo wir in Ruhe reden können.“ Ich sah mich um und spürte wieder Blicke auf uns ruhen.

„Soll ich mitkommen? Ich weiß, wo wir hinkönnten und wenn ihr zwei alleine weggeht entflammt das die Flamme nur noch mehr.“

Da hatte sie Recht. Ich nickte und folgte ihr zurück in das Schulgebäude. Sie ging in einen Korridor, wo wenig Unterrichtsräume und dafür mehr Platz für die Materialien waren. Bei einer Tür blieb sie stehen, holte einen Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss auf.

„Hier rein.“ Wir folgten ihr in den kleinen Raum, sie schloss hinter uns wieder ab. In der Mitte des Zimmers war ein Tisch, drum herum standen 8 Stühle, ansonsten war außer einem kleinen Schrank nichts anderes vorhanden.

„Ich war doch mal in der Schülerzeitung. Vor zwei Jahren. Dies war der alte Versammlungsraum, doch er wurde zu klein, so dass sie umzogen. Nun... ich hab den Schlüssel versehentlich behalten.“

„Versehentlich, ja?“ Ich musste grinsen und setzte mich auf den Tisch.

„Dem? Wäre das nicht der perfekte Raum um alleine zu sein in den Pausen?“

„Ja. Aber ich glaub kaum, dass Chris uns den Schlüssel überlässt.“

Sie kicherte. „Den darf ich offiziell gar nicht haben. Wenn jemand mitbekommt, dass wir hier sind gibt’s Riesenärger. Das sollte man nicht übertreiben.“

Das konnte man natürlich verstehen. Aber es war gut zu wissen, dass es diese Möglichkeit des Rückzuges gab. Für den Notfall natürlich.

„Also?“ Chris schaute uns beide an. Jay hatte sich inzwischen neben mich gesetzt. Ich legte einen Arm um ihn.

„Ich will nicht, dass sie es wissen. Ich will es aber auch nicht komplett mit einem ‚Nein’ abstreiten. Da muss es einen Zwischenweg geben.“

„Mit Gegenfragen antworten?“ Jay sah mich fragend an.

„Zum Beispiel.“

„Dem? Wie stehst du zum Thema Küssen ohne Liebe?“

Ich schaute Chris verwirrt an.

„Bitte...was?“

„Es wäre ein Angebot. Wenn ich deine Scheinfreundin spiele ist das Gerücht bald vorbei. Und wir hängen eh ständig miteinander rum, dann noch der ein oder andere Kuss und die Tarnung steht. Wenn du das mit dir vereinbaren kannst.“

Ich überlegte.

„Klingt nicht schlecht... ich will aber nicht eine Lüge in die Welt setzen wegen der Sache. Das ist genau wie mit dem Abstreiten.“

„Dann lügst du halt nicht. Du erzählst nichts und lässt die anderen einfach ihre Sache denken. Die ziehen eh voreilig ihr Schlüsse. Und wenn sie dich fragen, ob du in einer Beziehung bist kannst du es bestätigen ohne dass sie dahinter kommen, dass es Jay ist.“

„Hmmm...“

Warum musste Summer auch dieses blöde Gerücht in die Welt setzen? Es wäre alles so viel leichter, wenn sie einfach ihre Klappe gehalten hätte. Aber gut, man konnte es jetzt sowieso nicht mehr ändern.

„Jay? Deine Meinung?“

„Hm?“, er sah auf. „Zu der Scheinbeziehung?“

„Ja. Und dem Küssen. Wenn es dir missfällt werd ich es nicht machen. Nicht, dass es später zwischen uns Krach deswegen gibt.“

„Ach, mach dir darum keine Sorgen. Solange du ihr nicht die Zunge in den Hals steckst ist alles in Ordnung. Und du würdest nicht wirklich was mit ihr anfangen, sonst hättest du es schon längst getan.“ Er grinste. Es war ein schönes Gefühl, dass er mir so sehr vertraute.

„Also abgemacht, Chris. Und das ist wirklich okay für dich?“

„Sonst hätte ich es nicht angeboten, oder?“

„Stimmt. Danke. Du rettest uns heute schon zum zweiten Mal.“

„Keine Ursache. Das machst du einfach irgendwann wieder gut. Wenn du reich und berühmt bist und ich als arme Künstlerin einen Hungerlohn bekomme zum Beispiel.“

Wir mussten alle Drei lachen. Die Schulglocke erklang und Chris ging zur Tür um uns wieder aufzuschließen.
 

Die letzten beiden Stunden hatte ich Physik. Wir schreiben in nicht mal 2 Wochen eine unheimlich wichtige, Vierstündige Prüfung, deshalb waren die Stunden momentan besonders wichtig. Die Prüfung entschied unter anderen darüber, ob wir zum Abi zugelassen werden oder nicht. Ich saß neben Finley, einen netten, eher schüchternen Jungen mit dem ich mich ganz gut verstand. Man konnte nicht sagen wir waren Freunde, aber doch schon gute Bekannte. Bei Partnerarbeiten machten wir die Aufgaben immer zusammen und ab und an lernten wir sogar außerhalb der Schule für Klausuren, Tests oder Versuche. Wir waren gerade dabei verschiedene Gegenstände auf ihre Fallgeschwindigkeit zu testen, als er die Stille brach.

„Demian? Kann ich dich was fragen?“ Ich wusste worauf das Gespräch auslaufen würde und seufzte.

„Geht’s um das Gerücht, was im Umlauf ist?“ Er zuckte ein wenig zusammen.

„Ist es wahr?“

„Glaubst du immer alles, was du hörst? Eigentlich dachte ich, du kennst mich.“

„Aber Jaden Cudney... ihr hängt immer zusammen ab. Ihr tut immer so vertraut...“

„Er ist ja auch mein Bruder. Und mein bester Freund.“ Und mein fester Freund. Aber gerade das sollst du ja nicht wissen. Er stoppte in seiner Bewegung, sah mich verwirrt an.

„Ihr... seit Geschwister?“

„Er ist mein Stiefbruder seit ich 6 war. Ist doch kein Wunder, dass wir uns so gut verstehen, oder? Er ist mir halt wichtig.“ Ich hätte nicht gedacht, dass ich unsere Brüderschaft jemals als Waffe einsetzten konnte, aber das schien hier ganz gut zu funktionieren.

„Das... das wusste ich gar nicht. Oh, tut mir leid. Ich habs echt geglaubt.“

„Schon gut. Summer erzählt das rum weil Jay mit ihr Schluss gemacht hat. Glaub einfach nicht alles was du hörst.“ Er nickte.

„Dann werde ich Justin und Michael das später auch erzählen.“ Er machte mit dem Versuch weiter.

Ich ging meine Sätze noch mal im Kopf durch. Das lief doch ganz gut ab. Keine Verleugnung, soweit ich es sehen konnte. Trotzdem davon überzeugt, dass das Gerücht falsch ist. Schöne Sache.

Als der Unterricht zu Ende war, hatte ich die Aufgabe die Versuchsmaterialien noch schnell wegzuräumen. Chris und Jay warteten bereits vor meinem Klassenraum. Zusammen gingen wir auf den Schulhof. Als Chris sich von uns verabschieden wollte, um zu ihren Auto zu gehen, schaute sie sich noch einmal um. Es waren genug Leute anwesend, genug Zeugen. Sie lehnte sich vor und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen, einen ganz normalen, kurzen, sachten. Dann grinste sie, rief mir ein ‚Bis morgen’ zu und ging von dannen. Einige Schüler blieben stehen aufgrund dieser Szene, tuschelten, schauten abwechseln zu mir und der davongehenden Chris. Jay räusperte sich.

„Ich werde versuchen nicht eifersüchtig zu sein, aber ich kann nichts versprechen, okay?“ Er sprach leise, so dass nur ich ihn hören konnte. Als Chris um die Ecke gebogen war, machten auch wir uns auf den Weg.

„Ich weiß jetzt, wie du dich bei mir und Summer gefühlt haben musst.“

„Tut mir Leid. Soll ich es doch lieber bleiben lassen?“

„Nein... ist schon okay. Keine Sorge, wenn’s mir zu viel wird sag ich schon Bescheid.“

„Gut. Ich kann dir auch versichern, du küsst um einiges besser. Es fühlte sich einfach nur an wie Lippen, die sich berühren. Bei dir fangen sie an zu kribbeln, mir wird heiß und ich will dich auf der Stelle vernaschen.“

„Dem!“ Jay wurde knallrot. Ich kicherte. Es war wirklich zu niedlich wie verlegen er wurde. Zum Glück waren wir alleine und niemand konnte uns hören. Ich schaute mich trotzdem noch mal um, doch es war wirklich niemand außer uns hier. Langsam griff ich nach seiner Hand und umschlang meine Finger mit den Seinen.
 

Am nächsten Tag hatte sich der Trubel schon wieder einigermaßen gelegt. Chris Aktion schien Wirkung gezeigt zu haben. Die blöden Sprüche blieben mir dieses Mal erspart. Auf die Fragen, ob dieses Gerücht wahr sei, reagierte ich wie gestern. Dazu kam die Tatsache, dass Chris den ganzen Tag in unserer Nähe verbrachte und schon bald hatten wir so ziemlich unsere Ruhe. Ich habe mich sowieso gefragt, was es andere Leute angeht mit wem Random Schüler aus der 13. Klasse zusammen ist. Doch es ist leider immer noch so. Sobald da irgendwie zwei gleichgeschlechtliche Menschen miteinander ausgehen wird die Neugierde zu groß und jeder gleich sensationsgeil. Da möchte man mehr drüber wissen. Und sowohl Jay als auch ich sind in unseren Jahrgangsstufen nicht gerade die totalen Loser. Jay hat viele Freunde und jeder mag ihn. Ich hab zwar eher viele Bekanntschaften als Freunde, aber bin trotz allem nicht gerade unbeliebt. Es kam in der Vergangenheit oft vor, dass der ein oder andere Liebesbrief seinen Weg in meine Tasche fand. Allerdings habe ich bis jetzt alle höflich abgelehnt. Ich wusste immerhin schon länger, dass ich eher etwas für Jungs über hatte. Dass ich nie mit einem Mädchen ausging hat natürlich schon seit einigen Jahren für Getuschel gesorgt, so ist es kein Wunder, dass man dieses Gerücht als mögliche Ursache dafür sieht. Dass es wahr ist muss man ihnen ja nicht sagen. Doch... es war schon gut, dass ich durch Chris die ganze Sache nun bis zu meinem Abschluss überbrücken konnte. Und spätestens wenn ich aus der Schule bin, hat es sowieso jeder schon längst vergessen. Chris hatte mir auch heute den ein oder anderen Kuss aufgedrückt. Es war wirklich keine große Sache weil keinerlei Gefühle mit rüberkamen. Es war, als würden wir uns an den Händen berühren, eine Berührung, mehr nicht. Keinerlei Bedeutung. Weder für mich, noch für sie. Aber es half ungemein, dass uns die Leute in Ruhe ließen.

Jay schien an diesem Tag im Unterricht auch keine Probleme mehr zu haben. Das hatte er unter anderen auch seinen Freunden Lucas und Troy zu verdanken, die sich mutig für ihn einsetzten. Er kannte die beiden schon aus der Grundschule, Troy sogar aus dem Kindergarten. Er hatte mit ihnen eine ähnliche Beziehung wie ich zu Chris, sie lernten zusammen, hatten fast die gleichen Kurse und verabredeten sich ab und zu zu Dritt zum Filme gucken oder zocken. Darum war es für mich auch keine allzu große Überraschung, als Jay mir Abends im Bett beichtete, er hätte den beiden von uns erzählt. Es war in Ordnung, damit waren wir quasi quitt, wenn man das so sagen konnte. Und ich war erleichtert, dass er im Unterricht, wo ich nicht dabei war, auch jemanden hatte, an den er sich zur Not wenden konnte.

„Mehr Leute müssen es aber nun wirklich nicht wissen.“ Drei außer uns reicht allemal.

Jay nickte. „Ja, seh ich auch so.“
 

Ich freute mich auf den Freitag. Ich hatte nur fünf Stunden Schule, die glücklicherweise sehr angenehm waren und ging danach nach Hause. Jay hatte heute länger und das war mir gerade Recht. In unserem Zimmer angekommen schaltete ich den Computer ein und fing an zu googlen. Ich wollte ein Date. Aber nicht nur irgendeines, ich wollte ein besonderes Date. Als Überraschung. Vielleicht war ich in der Hinsicht ein wenig zu kitschig eingestellt, aber wenn er schon mein Freund war, nach so langer Zeit der Verknalltheit, dann wollte ich mit ihm auch etwas typisch pärchenmäßig romantisches unternehmen. Also suchte ich nach verschiedenen Möglichkeiten ein tolles Wochenende hier in der Nähe zu verbringen. Die Suche erwies sich als nicht ganz so einfach. Ich hatte zwar in der Regel auch nichts gegen Kinobesuche oder ein gemütlichen Essen in einem schönen Restaurant, aber das erschien mir alles als nicht genug. Es konnte ruhig ein bisschen was kosten.

Es dauerte gut eine halbe Stunde des rumgeklickes, bis ich etwas fand, wovon ich von Anfang an begeistert war. Es war etwa eine Stunde mit dem Zug von hier entfernt und ich konnte es mir mit meinem Ersparten locker leisten. Ich brauchte nicht lange zu überlegen bevor ich buchte.
 

Als Jay einige Stunden später ins Zimmer kam, schaute er mich misstrauisch an.

„Irgendwie ist dein Grinsen unheimlich, Dem. Hast du was vor?“ Ich musste lachen.

„Kann man so sagen. Beziehungsweise haben wir etwas vor.“ Ich stand von meinem Schreibtischstuhl auf, ging auf ihn zu und schlang meine Arme um seinen Körper.

„Ich hoffe du hast noch keine Pläne für morgen.“

„Bis jetzt nicht, aber ich vermute, das soll auch so bleiben?“

„Mhm. Wir fahren weg.“

„Achso?“ Er suchte den Blickkontakt.

„Jap. Wirst du dann morgen sehen.“ Ich löste mich von ihm und zog ihn mit aufs Bett.

„Wie war der Rest deines Schultages?“

„Ganz in Ordnung. Keine Vorkommnisse, glücklicherweise. Oh, aber Summer ist noch mal auf mich zugekommen und hat sich entschuldigt.“

„Im Ernst?“ Scheinbar hatte das Mädchen ganz schön Angst, dass ihre Eltern diese Fotos in die Finger bekamen und wollte lieber auf Nummer Sicher gehen.

„Ja. Ich hab die Entschuldigung angenommen, ihr aber gesagt, dass ich nicht mehr wirklich Kontakt zu ihr haben möchte. Dafür fand ich das zu Dreist.“

„Gute Entscheidung.“ Ich lehnte mich nach hinten und zog Jay mit mir. Er lag nun halb auf mir drauf.

„Und das Wochenende ist also verplant, ja? Hast du nicht bald diese wichtige Klausur?“

„Erst die Woche darauf. Ich hab noch genug Zeit zum Lernen.“

Ich ging im Kopf meine Pläne für die nächsten zwei Tage durch und meine Vorfreude wurde immer größer.

Kapitel sechzehn

Der Zug fuhr pünktlich in den Bahnhof ein. Mein Herz klopfte, als wir ihn betraten. Ich hoffte wirklich, dass Jay sich freuen würde. Doch was, wenn nicht? Wenn er keine Lust darauf hatte? Ich versuchte meine Zweifel zur Seite zu legen. Es würde schon klappen!

Wir suchten uns einen Vierersitz und setzten und gegenüber. Die beiden freien Sitze neben uns nahmen wir für unsere Taschen. Eigentlich nicht die feine, englische Art, aber das Abteil war so gut wie leer, also würde es wohl schon gehen.

„Magst du mir nicht langsam erzählen wohin es überhaupt geht?“

Jay schaute mich neugierig an.

„Ich meine wir sitzen jetzt schon im Zug, da kann ich eh nicht mehr nein sagen, oder?“

Gutes Argument. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück während der Zug immer schneller wurde und schon bald seine volle Geschwindigkeit erreichte.

„Also gut. Hast du schon mal von dem Memorial Theme Park gehört?“

Jays Augen wurden größer.

„Meinst du den riesengroßen Indoor Freizeitpark? Natürlich! Jetzt sag nicht... nein!“

„Doch.“ Ich grinste. „Freust du dich?“

„Machst du Witze! Natürlich! Dieser Park ist der Wahnsinn, ich wollte da schon immer mal hin!“ Er stand auf, setzte sich auf meinen Schoß und küsste mich leidenschaftlich. Glücklicherweise konnte das keiner der anderen Gäste in diesem Abteil sehen.

„Dann hab ich ja ins Schwarze getroffen.“ Ich fuhr ihm über die Wange.

„Aber womit hab ich das verdient? Weihnachten ist noch ein bisschen hin.“

„Erstes Date? Ich wollte was Besonderes.“ Jay wurde rot.

„D-date...? Daran hab ich gar nicht gedacht... um ehrlich zu sein.“ Er schloss kurz die Augen, lächelte. „Aber es freut mich. Wirklich.“

„Gut.“ Wir hörten die Stimme des Schaffners, der die Zugtickets kontrollieren wollte. Schnell setzte sich Jay auf seinen Platz zurück.
 

Eine gute Stunde später hatten wir unser Ziel erreicht. Der Park machte schon von außen einen wahnsinnig großen Eindruck. Da es sich um einen Indoor Park handelte, hatte er das ganze Jahr über geöffnet und war unter einer riesengroßen Kuppel versteckt. Jay konnte den Blick gar nicht mehr abwenden und ich kam nicht umher es unglaublich süß zu finden. Ich nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Eingang. Es machte mir nichts aus wenn die Leute hier sahen, wie wir händchenhaltend durch die Gegend liefen. Immerhin kannte uns hier keiner. Niemand wusste, dass wir Stiefbrüder waren. Wir waren einfach nur ein schwules, unbekanntes Pärchen, welches ihr erstes Date hier verbringen wollte. Und wenn irgendwelche fremden Menschen etwas gegen Schwule hatten war es mir ziemlich egal, da ich sie wohl eh nie wieder sehen würde.

Ich holte meine reservierten Karten von der Information ab und wir gingen hinein.

Die Internetseite hatte nicht zu viel versprochen. Schon auf den ersten Blick war dieser Park einfach nur überwältigend. Es gab so ziemlich jedes Fahrgeschäft, welches man sich vorstellen konnte, egal ob schnell, langsam, hoch oder ebenerdig. Und mindestens so viele Fressstände. Es war einfach der Wahnsinn.

„Also Jay. Wo möchtest du als erstes hin?“ Ich überließ ihm die Entscheidung. Mir war jedes Fahrgeschäft recht, ich wollte einfach nur Zeit mit ihm allein verbringen. Er zeigte auf eine Achterbahn mit 5 Loopings, die Olympus. Irgendwie wunderte es mich ja nicht, immerhin hat Jay schon immer ein Faible für schnelle Fahrgeschäfte gehabt. Gut gelaunt machten wir uns auf den Weg zu eben dieser.
 

Nach der Olympus folgten eine Wildwasserbahn, drei weitere Achterbahnen, eine gemütliche Fahrt auf einem künstlich angelegten See und eine ziemlich turbulente in einem Fahrgeschäft namens „Break Dancer“. Ich musste zugeben, dass mich die Fahrten nach einer Zeit doch schon ganz schön mitnahmen, aber Jay so glücklich zu sehen war die Sache allemal wert. Es war gerade mal 15 Uhr als wir bei einem der Essensstände uns ein Eis gönnten und dementsprechend eine kurze Pause einlegten.

„Ich kann dir gar nicht genug danken, Dem. Dieses Date macht einfach nur unglaublich Spaß.“ Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden, besonders nicht, da die Art wie er das Eis aß mich dauernd daran denken ließ wie es wäre mit ihm ein wenig intimer zu werden. Und damit meinte ich nicht nur im selben Bett zu schlafen und ab und zu einen Kuss auszutauschen. Auch wenn mir seine Küsse natürlich auch gefallen. Aber wie dachte er darüber? Vielleicht war es für ihn ja genug. Ich entschloss, das Thema bis zum Abend zur Seite zu legen. Immerhin wollten wir den Moment hier genießen, da würden solche Gedanken nur stören.

Nach einigen weiteren Fahrgeschäften (wir fuhren die meisten Achterbahnen noch mal, weil sie einfach zu viel Spaß machten) wollten wir den Tag mit dem Riesenrad ausklingen lassen. Es war so groß, dass man den ganzen Park überblicken konnte. Vielleicht wäre es schlauer gewesen gleich von Anfang an in das Riesenrad zu gehen, immerhin konnte man sich dann einen Überblick machen wo man noch gerne rein möchte. Doch das hatten wir auch so ganz gut geschafft und außerdem gab es an jeder Ecke eine Karte der Umgebung. Und traditionell war das Riesenrad am Ende eines Freizeitparkbesuches dran, nicht wahr?

Wir mussten nicht lange anstehen und waren ziemlich schnell an der Reihe. Jay und ich stiegen in eine Gondel, jeder auf einer Seite und starrten zu Boden.

„Dem, du weißt, dass das hier wahnsinnig klischeehaft ist, oder?“ Ich musste grinsen.

„Schlimm?“ Meine Hand legte sich auf seinen Oberschenkel, die Distanz zwischen den beiden Bänken war glücklicherweise nicht so groß.

„Nein. Aber es macht mich verlegen. Es ist irgendwie... toll. Wie im Film.“ Er sah mir in die Augen, erwiderte mein Lächeln.

„Und du weißt, was im Film an dieser Stelle kommt, oder?“ Ich lehnte mich vor, er tat es mir gleich und unsere Lippen berührten sich. Nur ganz leicht, dafür aber unendliche Sekunden lang. Es war wirkliche klischeehaft.

„Ich liebe dich, Jay.“ Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, strich sanft über seine Wangen.

„Ich liebe dich auch.“ Seine Stimme war sehr viel leichter. Er schloss die Augen. „Ich will dich nie im Leben missen, Dem. Niemals.“ Ich fragte mich heimlich, ob dieser Moment nicht ein wenig zu perfekt wäre. So als ob es zu schön wäre um wahr zu sein. Als ob da noch etwas kommen müsste. Irgendetwas, das alles wieder kaputt machen würde. Ich traute den Frieden nicht. Aber ich wollte ihn trauen. Ich wollte, dass er wahr war.

Jay stand auf und kam auf meine Seite, setzte sich auf meinen Schoß und schlang die Arme um meinen Hals. Wir waren jetzt an der höchsten Stelle angekommen und hatten eine wahnsinnig schöne Sicht über das Gelände. Wir konnten alle Fahrgeschäfte sehen, in denen wir drin waren, sahen den Stand, wo wir Eis gegessen hatten, sahen den Eingang und den Fluss. Alles war hell erleuchtet. Ich strich über Jays Haare und genoss mit ihm zusammen den Ausblick.
 

Für den Abend hatte ich mir noch einmal etwas besonderes ausgedacht. Im Internet stand, dass bei gutem Wetter jeden Samstag die Kuppel geöffnet und über dem Park ein großes Feuerwerk in die Luft geschossen werden würde. In der Mitte des Parks war eine große Grünflasche, die für Picknicke und Pausen genutzt werden konnte. Ich suchte uns einen schönen Platz, holte eine kleine Decke aus meiner Tasche und breitete sie auf dem Rasen aus.

„Es ist schon ganz schön spät. Hast du vor hier zu übernachten?“, fragte Jay spaßeshalber.

„Nein. Wir übernachten im Hotel. Setz dich, du wirst gleich sehen warum.“ Ich bot ihm den Platz neben mir an, wo er sich wenige Sekunden später niederließ.

„Im... Hotel? Echt?“

„Ja klar. Wo dachtest du denn, dass wir schlafen. Auf der Parkbank?“ Ich musste lachen. Er zog eine Schnute.

„Nein... ich hab nur irgendwie nicht so weit gedacht. Ich dachte, wir fahren wieder zurück nach Hause. Aber wenn ich so auf die Uhr schaue glaube ich nicht, dass noch Züge fahren, oder?“

„Wohl eher nicht. Keine Sorge, das Hotel ist gleich nebenan und gehört zum Park. Wir müssen nicht weit laufen.“

In dem Moment hörte ich die Motorengeräusche und bemerkte, dass die Decke geöffnet wurde. Der schwarze, sternenklare Nachthimmel erstreckte sich über unseren Köpfen.

„Wow. Die Sterne sind unglaublich klar, obwohl der Park so hell erleuchtet ist.“ Jay legte sich hin und zog mich mit sich. Im Liegen würden wir zumindest keine Nackenstarre bekommen. Ich kuschelte mich an ihn. Kurz nachdem die Decke komplett geöffnet war, wurde auch schon die erste Rakete in die Luft geschossen. Und auf der Ersten folgte die Zweite und plötzlich war der Himmel beleuchtet durch ein riesiges Feuerwerk.

„Dem, das ist der Wahnsinn... ich... wow. Einfach nur wow.“ Man konnte ihn anmerken, dass er sprachlos war und ich lächelte zufrieden. Ich hatte mein Ziel erreicht.

Das Feuerwerk bestand aus Gold- und Silberregen sowie aus Raketen, die ganze Muster in den Himmel malten. Man konnte ein Kleeblatt erkennen, verschiedene Zahlen, ein Hufeisen und sogar verschiedene Smilies.

„Wie lange hast du das alles schon geplant? Das muss doch ewig gedauert haben.“

„Nicht wirklich. Es war relativ spontan, ich hab gestern erst die Internetseite gefunden als du noch in der Schule warst. Aber es klang sehr schön und wir haben mit dem Wetter Glück. Also hab ich nicht lange gezögert.“

„Sehr gute Entscheidung.“ Er zog mich enger an sich. „Aber das nächste Date plane ich. Sonst hab ich ein schlechtes Gewissen. Ich muss das ja immerhin irgendwie ausgleichen.“ Ich drehte mich um, so dass ich Jay in die Augen sehen konnte.

„Musst du nicht. Ich tus doch gerne.“ Ich strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht.

„Möchte ich aber. Okay?“

„Na gut.“ Ich war jetzt schon gespannt, was er wohl planen würde. Die letzten Raketen wurden in die Luft geschossen und langsam endete das Feuerwerk. Eine Ansage erklang. ‚Sehr verehrte Besucher, das Feuerwerk war unsere letzte Attraktion des Tages. Wir möchten sie bitten den Park zu verlassen, wir schließen in wenigen Minuten.’

Ich schaute auf die Uhr. Es war jetzt kurz vor elf. Ich kletterte von Jay runter und stand auf, reichte ihm eine Hand um ihm aufzuhelfen. Meine Decke verstaute ich wieder in der Tasche und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Hotel.
 

Wir gingen nicht durch den Hauptausgang sondern durch einen Seitlichen, da dieser direkt mit dem Hotel verbunden war. Die Empfangsdame war sehr freundlich und reichte uns schnell den Schlüssel für unser Zimmer. Da ich bereits im Internet gebucht und bezahlt hatte, mussten wir nicht lange warten.

Unser Hotelzimmer war relativ groß, was für den Preis wirklich in Ordnung ging. Es enthielt ein Doppelbett, einen Fernseher, eine Minibar sowie ein großes Bad mit Whirlpool und Dusche.

„Wir haben einen Whirlpool? Nicht ernsthaft, oder?“ Jay besah sich mit großen Augen das Bad.

„Gefällt es dir nicht?“

„Doch. Es ist der Wahnsinn. Dem?“ Er drehte sich zu mir um, grinste schelmisch. „Hast du Lust baden zu gehen? Wir beide zusammen?“

Jetzt war es an mir rot zu werden. Dass er solche eine Frage so einfach stellte.

„N-natürlich. Liebendgerne.“

Er betrat das Bad und drehte den Hahn auf, begann heißes Wasser in die Wanne laufen zu lassen.

„Das wird ne Weile dauern, bis es voll ist.“ Ich schmiss mich währenddessen aufs Bett. Es war wahnsinnig gemütlich. Als ich die Augen schloss, war ich kurz davor einzuschlafen von dem anstrengenden Tag. Jedoch krabbelte Jay kurze Zeit später auf mich drauf und machte sich an meinem Hals zu schaffen, knabberte leicht, saugte daran. Das Blut schoss mir augenblicklich in die Lenden und ich hoffte, dass ihm das nicht auffallen würde.

„Bist du müde?“, fragte er mich zwischen zwei Aktionen hindurch.

„Hmh... doch, schon.“

„Spätestens im Wasser wirst du wieder wach, dafür sorge ich.“

„Achja? Tust du das?“

„Du wirst sehen~“

Jetzt war ich wirklich gespannt was er vor hatte.
 

Es dauerte eine Weile, bis das Wasser komplett eingelaufen war. Jay begann sich vor meinen Augen auszuziehen. Ich beobachtete ihn genau, wie er sein Shirt auszog, wie er seine Hose öffnete... und wurde augenblicklich rot. Ich konnte meinen Blick nicht von seinem Körper lassen, von seiner wunderschönen Haut, seinem schlanken Körperbau. Er war nicht schmächtig, aber auch nicht allzu durchtrainiert. In meinen Augen war er einfach nur perfekt. Seine Haut war heller als meine, aber auch nicht komplett weiß.

„Dem?“ Jay grinste, als er meinen Blick bemerkte. Er war inzwischen komplett nackt. Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn nackt sah. Natürlich nicht. Aber es war das erste Mal, dass ich hinsehen durfte, dass ich diesen Körper begehren durfte, dass es okay war. Ich war sein Freund. Sein Körper gehörte zu meinem. Offiziell.

Ich fand in die Wirklichkeit zurück und begann ebenfalls mich zu entkleiden. Überraschend musste ich feststellen, dass Jays Blick genauso auf meinem Körper lag wie meiner bis eben noch auf seinen.

Unsere Klamotten lagen nun komplett auf dem Boden und ich stieg hinter Jay in den Whirlpool, den er kurz vorher angemacht hatte. Das Wasser war angenehm warm, fast schon heiß und die Wanne war groß genug für uns Beide. Die Strudel fühlten sich nach diesem anstrengenden Tag einfach nur himmlisch an.

Einige Minuten saßen wir einfach nur nebeneinander in der dreieckigen Eckwanne, er auf der einen Seite und ich auf der anderen bis Jay sich bewegte und auf mich zukam. Er schwamm durch meine Beine hindurch und kuschelte sich an meine Brust. Ich konnte sein bestes Stück an meinem spüren und wurde augenblicklich verlegen. Dabei hatte ich eigentlich vorgehabt mit ihm heute weiter zu gehen. Doch war ich selbst dazu überhaupt bereit?

„Du bist hart.“ Jay grinste.

„Klappe.“ Ich sah zur Seite, konnte seinem schelmischen Blick nicht stand halten.

„Soll ich dir helfen?“ Jays Augen wurden schmaler. Er sah so aus, als wolle er mich verführen. Irgendetwas lief hier falsch. Aber allein der Gedanke, dass er... dass er... ich schloss die Augen.

„War das ein Ja?“ Ohne noch weiter nachzufragen nahm er mich hoch und setzte mich auf den Rand, wo man normalerweise die Shampooflaschen hinstellte. Die Wärme des Wassers verschwand und dennoch fühlte sich mein Körper an als würde er glühen.

„Jay...“

Ohne weiter zu überlegen machte er sich an meiner Erregung zu schaffen. Langsam fuhr er mit seinen Fingern auf und ab, langsam, sachte, doch es verursachte ein riesiges Kribbeln in meinem Körper. Ich schloss meine Augen und begann mich ungewollt zu verkrampfen. Die Finger wurden schon bald durch seine Lippen ersetzt. Er fuhr mit seiner Zunge an meinen Seiten entlang, leckte über meine Spitze, setzte kurz ab.

„Entspann dich, Dem~“ Seine Stimme war wie tausend kleine Elektrostöße so... schon beinahe erotisch. Eine Hand fuhr über meine Brust. Ich versuchte mich zu entspannen und langsam gelang es mir und mein Körper wurde ruhiger. Es war so verdammt neu. Dieses Gefühl. Alles.

Seine Zunge fand meine Erregung erneut. Diesmal nahm er diese komplett in den Mund und fuhr auf und ab. Erst langsam, dann immer schneller. Die Hitze seines Mundes an meinem besten Stück zu spüren war Wahnsinn. Mein Atem wurde schneller, meine Sinne schwanden. Es war, als würde alles um mich herum plötzlich ganz weit weg sein. Ich spürte nur noch die Hitze, Jays Mund und den Schwindel um mich herum. Nur wenige Augenblicke später kam ich.

Jay ließ von mir ab und stand auf, verschloss meine Lippen mit seinen. Es war komisch sich selbst zu schmecken, aber ich erwiderte den Kuss leidenschaftlich. Mein Atem beruhigte sich langsam wieder.

„Das... das war...“

Jay legte mir einen Finger auf die Lippen.

„Ich sagte doch, die Müdigkeit wird verschwinden.“ Oh, und das war sie wirklich. Ich war nun hellwach. Musste erst einmal realisieren, was gerade passiert war. Doch auf der anderen Seite fühlte ich mich glücklich und zufrieden und wollte wieder zurück ins Wasser und einfach nur eine Weile liegen.

Diesmal war es an mir zwischen Jays Beinen zu liegen. Er hielt mich im Arm und kraulte meinen Nacken. Mir ging der Gedanke nicht aus den Kopf, dass wir relativ schnell die Rollen getauscht hatten. Den ganzen Tag hatte ich in unserer Beziehung dominiert, hatte das Date geplant, ihn überrascht, hatte den Plan mit dem Hotel... und innerhalb weniger Sekunden hat er die Kontrolle übernommen und mich verwöhnt. Es machte mir nichts aus. Wirklich nicht. Im Gegenteil. Wir ergänzten uns wahnsinnig gut. Es war ein tolles Gefühl jemanden zu haben, den man umsorgen konnte, den man überraschen und verwöhnen könnte. Und gleichzeitig zu wissen, dass dieser jemand deine stärkste Stützte sein kann, denn er ist selbst eigenständig genug. Ich kann Jay beschützten und mich von ihm beschützen lassen wenn es mir mal schlecht geht. Er ist nicht hilflos. Und das ist ein Teil, den ich in dieser Beziehung so sehr schätze. Den ich nicht missen möchte. Und ich bin froh darüber.
 

Wir blieben noch etwa eine halbe Stunde im Whirlpool, kuschelten ein wenig und lagen sonst nur nebeneinander. Langsam begann das Wasser kalt zu werden und wir trockneten und ab und entschlossen ins Bett zu gehen. Es war jetzt fast zwölf Uhr. Wir verzichteten darauf uns anzuziehen. Immerhin waren wir zusammen, also konnten wir auch nackt zusammen schlafen. Zusammen. Nicht miteinander. Noch nicht.

Eng umschlungen lagen wir unter der Decke.

„Danke für diesen schönen Tag, Dem.“

„Das kann ich nur zurückgeben.“ Jay kicherte. „Hast du Mum und Richard eigentlich gesagt, wo wir sind?“

„Ich hab gesagt, dass wir übers Wochenende weg sind, das muss reichen. Immerhin bin ich volljährig.“

„Stimmt.“ Er gähnte einmal ausgiebig. „Gute Nacht, Dem. Schlaf gut.“

„Du auch. Träum schön.“ Kaum, dass ich die Augen geschlossen hatte war ich auch schon eingeschlafen.

Kapitel siebzehn

Die Landschaft zog an uns vorbei, als wir am nächsten Tag im Zug zurück nach Hause waren. Ich schaute aus dem Fenster und dachte an den gestrigen Tag. An jeden Moment, den ich mit Jay genoss. Vor allem an den Abend. Ich versuchte ein Pokerface aufrecht zu erhalten, doch wurde mit Sicherheit schon wieder rot.

„Woran denkst du gerade?“ Jay hatte das scheinbar bemerkt.

„An... uns. Irgendwie.“

„Hätt ich mir denken können. Du blushed.“

„Hmh.“ Ich sah wieder aus dem Fenster. Diesmal waren mehr Leute im Zug anwesend, so dass wir ein bisschen mehr aufpassten mussten, was wir machten. Darum saßen wir uns auch nur gegenüber.

„Jay?“

„Ja?“, er sah von seinem Buch auf, welches er für die Schule lesen musste und deswegen mitgenommen hatte.

„Ich... also... ach egal.“ Er schlug das Buch zu.

„Na, nun sag schon.“

„Was gestern passiert ist... also... du weißt was ich meine.“ Ich wurde wahrscheinlich noch röter, als ich eh schon war und schaute verlegen zur Seite.

„Ja? Bereust du es?“, fragte er leicht ängstlich.

„Was? Nein!! Nein... im Gegenteil. Ich... würde gerne weiter gehen. Demnächst.“

„...Oh!“ Nun war er es, der rot wurde. Irgendwie war es schon lustig. Selbst damit ergänzten wir uns ganz gut.

„Dem... das muss vorbereitet sein, das weißt du?“

„Natürlich weiß ich das. Ich wollt nur wissen wie du dazu stehst. Ob es... nun ja... okay wäre?“

„Und das fragst du, nachdem ich dir gestern einen geblasen habe?“

„Jay!! Nicht so laut!!“ Ich hatte ernsthaft angst, dass die Leute in unserem Abteil etwas mitbekommen könnten. Doch niemand drehte sich zu uns um. Überhaupt, so einen Satz aus dem Mund meines Sonnenscheins zu hören war ich auch gar nicht gewöhnt. Normalerweise sprach er nicht so... harsch. Jay fing an zu lachen.

„Sorry. Nein, mal im Ernst. Ich... möchte schön. Aber...“

„Hast du Angst?“

„...Vielleicht. Doch, ein bisschen. Lassen wir es einfach auf uns zukommen, okay?“

„Ja, gut. Ich werde auf jeden Fall nichts machen, was du nicht möchtest.“

„Danke.“
 

Den Rest der Zugfahrt saßen wir uns schweigend gegenüber und genossen einfach nur die Anwesenheit des jeweils anderen. Als wir nach Hause kamen war Mom gerade dabei Essen zu machen. Der Geruch vom frisch Gekochten strömte durch das ganze Haus und machte mich nur noch hungrig.

„Da seit ihr ja wieder.“, begrüßte sie uns. „Hattet ihr Spaß?“

„Yap. Sehr.“ Wenn sie wüsste, wie doppeldeutig ihre Frage klang... ich musste innerlich grinsen.

„Rufst du uns, wenn das Essen fertig ist? Wir sind dann oben.“ Wir zogen die Jacken und Schuhe aus und gingen in unser Zimmer.

Ich schmiss meine Tasche in die Ecke und ließ mich aufs Bett fallen.

„Alles okay?“ Jay schaute besorgt, stellte seine Tasche ein wenig sachter auf sein Bett und setzte sich daneben.

„Ich hab nur gerade daran gedacht, dass jetzt für mich der Ernst des Lebens ansteht. Diese dumme Klausur... ich muss ab morgen wirklich mit dem Lernen anfangen, wenn ich sie gut schreiben will.“

„Aber du bist doch gut in Physik. Das sollte doch eigentlich kein Problem sein.“

„Schon...“ Ich seufzte. „Aber wenn ich weniger als 12 Punkte schreibe macht sich das nicht so schön in meiner Endnote. Immerhin möchte ich gerne einen guten Schnitt haben, um später für mein Studium auch angenommen zu werden.“ Ich wusste noch nicht genau auf welcher Uni ich studieren wollte, aber mein Schnitt sollte mir die Wahl letztendlich nicht versauen. Und selbst wenn ich nicht studieren würde, aus welchen Gründen auch immer, war ein guter Notendurchschnitt nie verkehrt.

„Das bekommst du schon hin. Wann hast du denn mal weniger geschrieben?“

„Mhm.“ Er hatte zwar Recht, aber trotzdem war ich mir unsicher. Darum lieber auf Nummer Sicher gehen.

„Zumindest ist das bald vorbei. Dann hab ich meinen Abschluss.“

Jay antwortete darauf nicht. Ich schaute in seine Richtung, er hatte den Blick abgewandt.

„Jay?“

„Hm?“

„Alles in Ordnung?“ Er fiel nach hinten und legte sich auf sein Bett.

„Ich hab nur gerade daran gedacht... wenn du deinen Abschluss hast... was passiert dann?“

„Wie, was passiert dann?“

„Naja... wirst du dann hier wohnen bleiben? Wirst du wegziehen? Ich will nicht, dass du gehst...“ Seine Stimme wurde zum Ende hin immer leiser.

„Jay I-“

„Egal, vergiss es. Es ist egoistisch das zu denken. Wir können uns schließlich trotzdem noch sehen, nicht wahr? Es gibt Züge und Busse und es ist ja nur ein Jahr, dann bin ich auch fertig und alles ändert sich wieder.“

Ich stand auf und ging zu ihm herüber, legte mich neben ihn, strich ihn durch die Haare.

„Ich habe überlegt ein Jahr zu überbrücken. Dann könnten wir zeitgleich mit dem Studium anfangen. Vielleicht sogar auf der selben Uni, wenn sich die Möglichkeit ergibt.“

Seine Augen wurden großer, er setzte sich auf.

„Meinst du das im Ernst?“

„Natürlich. Es gibt doch viele Möglichkeiten. Freiwillige Jahre zum Beispiel, oder bezahlte Praktika.“

„Dem...“ Seine Augen füllten sich mit Tränen. Ich zog ihn zu mir runter und nahm ihn in die Arme.

„Sch~~ Ist schon gut. Ich werde dich nicht alleine lassen. Nicht, solange es Mittel und Wege gibt es zu verhindern, Sweetheart.“

„Danke. Der Gedanke spukte mir schon so lange im Kopf herum... schon viel länger als wir zusammen sind...“

Ich musste zugeben, dass ich mir auch immer wieder Gedanken darum gemacht hatte, doch bis jetzt konnte ich sie entweder verdrängen oder gute Lösungen finden, wie jene, die ich vorgeschlagen habe.

Wir hörten meine Mutter von unten unsere Namen schreien und standen auf, um zum Essen zu gehen.
 

Es war fast so wie letztes Mal. Auf einmal wollten Mom und Richard, dass wir wie eine fröhliche Familie zusammen am Tisch saßen. Wie lange hatten wir das jetzt schon nicht mehr gemacht? Ich hatte aufgehört zu zählen. Wir brachten dieses erzwungene Beisammensein so schnell es ging hinter uns. Grace hörte ich etwas von ‚Ich glaube, ich esse ab sofort nur noch bei David’ murmeln, als sie die Treppen hochging. Ich konnte sie voll und ganz verstehen. Sie hatte wenigstens jemanden zu dem sie flüchten konnte. Das war einer der Nachteile an Stiefgeschwistern – die Eltern waren die Gleichen. Ich seufzte, als ich mich an meinem Schreibtisch niederließ und meine Hausaufgaben begann.
 

Am Montag in den ersten beiden Stunden hatte ich Sport. Das kam mir sehr gelegen, da diese Woche die Mädchen und Jungen zusammen Unterricht hatten und ich so Chris von meinem Wochenende erzählen konnte. Irgendwie war es mir ja schon ein wenig peinlich mit meiner besten Freundin über mein Sexleben zu sprechen... aber ich war froh sie zu haben. Sie konnte die Sache relativ objektiv betrachten.

„Hört sich nach einem wirklich tollen Wochenende an.“, meinte sie zwischen zwei Liegestützen.

„Oh, das war es. So viel Spaß hatte ich lange nicht mehr.“

„Das glaube ich gerne. Und jetzt heißt es reinhauen für Physik?“

„Jap. Leider.“ Ich seufzte. „Da bleibt nicht viel Zeit für Jay.“

„Das kriegst du schon hin. Man muss als Pärchen auch nicht jede freie Minuten aufeinander hocken.“

„Würde ich aber gerne.“ Der Lehrer pfiff und kündigte eine neue Übung an. Ich bildete mit Chris ein Team bei den Dehnübungen.

„Moah, Sport ist echt nicht meine Welt.“, hörte ich sie meckern. Chris war nicht gerade unsportlich, sie mochte das Fach einfach nicht. Ich lächelte. Aus den Augenwinkeln konnte ich einige unserer Klassenkameraden sehen, die uns frech angrinsten.

„Dein Plan scheint ganz schön aufzugehen, Chris.“

„Ja, es scheint fast so. Ist doch super.“

„Jap.“ Ich schenkte unseren Stalkern einen freundlichen Blick und widmete mich dann wieder den Übungen.

Am Ende der Stunde ging ich zu unserem Sportlehrer. Ich wollte ihn fragen, ob er Sportvereine in der Nähe wusste, die Freiwilligenhilfe bräuchten. Je eher man sich erkundigte, desto besser. Mein Lehrer schaute mich erstaunt an.

„Du willst ein Jahr pausieren, Hazard? Ich war eigentlich der Annahme, dass du auf jeden Fall studieren würdest. Und mit deinen Noten nimmt dich auch jede Uni auf. Wieso willst du denn jetzt noch ein Jahr warten?“ Warum mussten Lehrer eigentlich so neugierig sein? Da stellt man eine normale Frage und wird gleich ausgefragt.

„Ich hab meine Gründe.“, entgegnete ich nur. Er musste gar nicht mehr darüber wissen. Immerhin war er nur mein Sportlehrer und nicht mein Tutor.

„Mann mann, Hazard. Aber gut, ich kenn tatsächlich ein paar. Ich werd dir eine Liste an deine Emailadresse schicken.“

Ich bedankte mich und eilte in die Umkleide, um rechtzeitig in die Pause zu kommen.
 

Ich fragte mich immer wieder, warum ich an einem Montag sieben Stunden haben musste. Das vertrug sich nicht so richtig mit dem Wochenende. Gleich am Montag so lange durchzustarten... Das machten Sport und Musik auch nicht wett.

Als ich nach Hause kam war Jay bereits da und hatte eine Lasagne in den Ofen geschoben, die in wenigen Minuten fertig sein musste. Ich brachte meine Tasche nach oben und kam dann zurück in die Küche.

„Niemand da außer uns?“

„Nope. Grace ist noch auf der Arbeit und Susan und Richard sind mal wieder weg. Ich glaube die kommen auch vor Morgen nicht wieder.“

Die Info war doch mal erfreulich. Wenn wir alleine waren mussten wir uns nicht zusammen reißen und verstellen. Ich umarmte Jay von hinten und küsste ihn auf die Wange.

„Schade, dass ich gleich lernen muss, sonst würde ich dich glatt als Dessert vernaschen.“

„Dem!“, er drehte sich in der Umarmung um, lächelte jedoch.

„Too much? Ich meins ernst.“

„Nicht too much, nur... ungewohnt.“

Der Ofen meldete sich und piepe, was bedeutete, dass unser Essen fertig war.

Jay füllte je eine Portion auf jeden der zwei Teller und brachte sie in die Stube, wo wir sie vorm Fernseher begannen zu essen.

Grace kam nach Hause kurz nachdem wir fertig waren, huschte kurz in ihr Zimmer und kam dann bereits wieder runter.

„Ich übernachte heute bei David. Mom und Richard sind bis morgen auf Geschäftsreise. Lasst das Haus stehen.“ Damit war sie auch schon wieder aus der Tür raus.

„Für was hält sie uns? Als ob wir das erste mal alleine zu Hause wären.“ Ich verzog leicht schmollend meinen Mund. Manchmal bildete sie sich auf diese 3 Minuten, die sie älter war ganz schön was ein. Aber so war sie halt. Ich kenne es ja auch nicht anders. Ich brachte unsere Teller in die Küche in den Geschirrspüler und machte mich auf den Weg nach oben.

„Ich setz mich mal an Physik.“

„Tu das. Ich bin gleich noch mal weg, muss Lucas was vorbeibringen.“

„Jetzt noch? Es ist schon dunkel draußen.“

„...Dem... ich bin kein Kind mehr. Die 10 Minuten werde ich schon laufen können.“ Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen und ging zur Gradrobe um seine Schuhe anzuziehen.

„Na gut... aber vergiss dein Handy nicht.“ Jay zeigte auf seine Hosentasche und deutete so, dass er es dabei hatte.
 

Ich vergaß völlig die Zeit, als ich mich hinter meinen Aufgaben setzte. Sie waren nicht allzu schwer, doch die Lösungswege wurden immer länger und es gab immer mehr Formeln zu merken. Da war es besser, wenn man so viele Übungsaufgaben wie möglich löste, einfach nur um eine gewisse Routine hinein zu bekommen. Immerhin musste ich die gesamten Wege und Formeln nächste Woche Montag im Kopf haben. Ich bemerkte einen Fehler, der sich bei einer bestimmten Stelle immer wieder einschlich und versuchte mich auf diesen zu konzentrieren, damit er sich nicht doch wiederholte. Erst als ich irgendwann auf meine Uhr schaute und bemerkte, dass es schon kurz nach neun war realisierte ich, wie lange ich schon lernte. Jay war immer noch nicht wieder da. Ich entschloss ihn anzurufen. Es klingelte dreimal bis er ranging.

„Dem? Sorry, ich hab mich ein bisschen verquatscht. Mach mich jetzt auf den Weg nach Hause.“

„Alles klar, bis gleich.“

Die Zwischenzeit konnte ich nutzen, um mich unter die Dusche zu verziehen.
 

Ich stand etwas länger unter der Dusche als ich wollte, aber das heiße Wasser tat nach diesem langen Tag einfach zu gut. Jay saß auf seinem Bett als ich ins Zimmer kam und hatte sich bereits umgezogen.

„Na, wieder da, Schatz?“ Er lächelte und nickte als Antwort.

„Gut voran gekommen?“

„Es geht... wenn ich ne Vorlage habe kann ich die Aufgaben alle lösen, aber ohne Wegweiser fällt es mir manchmal noch schwer.“ Ich trocknete mir die Haare mit einem Handtuch ab.

„Ich bewundere dich überhaupt dafür, dass du dieses Fach so gut kannst.“

„Dafür kannst du Geschichte, das ist viel bemerkenswerter. Ich kann dir nur Stresemann, Adenauer und Brandt runterdichten. Die hatte ich nämlich mehr als genug.“

Jay musste lachen. Ich hatte ihm die Story mit meinem Lehrer erzählt und selbst im LK wurden die nicht so durchgenommen.

Völlig fertig schmiss ich mich neben ihm aufs Bett.

„Hat jemand was von Schlafen gesagt? Gott, ich bin so müde...“

Jay stand auf um das Licht aus zu machen, krabbelte dann wieder neben mich.

„Wir sind allein zu Hause.“

„Mhm.“ Ich hatte die Augen bereits geschlossen.

„Es ist niemand da, der uns hören könnte.“

„Jup...“ Langsam aber sicher driftete ich ins Reich der Träume ab.

„Wir könnten alles machen, wozu wir Lust hätten.“ Ich bemerkte die Doppeldeutigkeit nicht.

„Jo...“ Wenige Sekunden später war ich eingeschlafen.

Kapitel achtzehn

Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, fand ich mich allein im Bett wieder. Ich schaute mich im Zimmer um, doch Jay war nicht da. Ich schloss darauf, dass er duschen war. Normalerweise weckte er mich davor immer oder wartete, bis ich von alleine wach wurde. Wir hatten vor der Schule noch genügend Zeit, um uns in aller Ruhe fertig zu machen. Ich setzte mich auf und ging langsam zu meinem Kleiderschrank, um meine Sachen für den Tag rauszusuchen. Als Jay auch nach einer Viertelstunde noch nicht wieder zurück war, beschloss ich nachschauen zu gehen.

Die Badezimmertür war offen und der Raum leer. Ich ging nach unten in die Küche und fand Jay am Tisch sitzen und einen Toast essen.

„Guten morgen.“ Ich setzte mich ihm gegenüber. Er grummelte nur.

„Alles okay?“ Er grummelte erneut.

„Jay, du darfst auch mit mir reden.“

„Nö.“

Ich zog eine Augenbraue nach oben. Was war denn jetzt los?

„Bist du sauer auf mich?“

„...Yup.“ Sein Blick war zur Seite gerichtet.

„Okay, was hab ich verbockt, dass du so schmollst?“

Wieder ein Grummeln. Irgendwie war es ja schon süß, wenn ich wenigstens wissen würde was ich gemacht habe.

„Jaaaaay~“ Ich stützte meinem Kopf auf meine Hände.

„Schahaaaatz~“ Er aß stur seinen Toast.

„Liebliiing~“ Jetzt wurde er leicht rot.

„Mäuscheeeen~“

„Hör auf damit, Dem. Langsam wird’s peinlich.“

„Dir vielleicht, aber mir nicht.“ Ich grinste. „Also, was ist los? Du willst mich sicher nicht den ganzen Tag anschmollen.“ Er seufzte.

„Gestern.“

„Ja?“

„Waren wir alleine zu Hause.“

„Ja.“

„Und du bist einfach eingeschlafen!!“ Jetzt war sein Kopf komplett purpurrot gefärbt. Mir klingelte es langsam.

„...Oh!“

„Nichts da, oh...“ Ich musste lachen, auch wenn das nicht sehr nett war.

„Oh, tut mir Leid, Jay. Du wolltest also... oh sorry, da hab ich wohl einen idealen Moment verpasst.“ Erneutes Grummeln. Ich lachte immer noch, stand auf und ging um den Tisch herum, setzte mich frech auf seinen Schoß und schlang meine Arme um seinem Hals.

„Kann ich das wieder gut machen?“ Ich knabberte an seinem Ohr.

„Ab heute sind Susan und Dad wieder da. Und Grace auch.“

„Dann gehen wir halt woanders hin.“

„Du musst aber lernen.“

„Und wenn wir leise sind?“

„Ich glaub man würde uns trotzdem hören.“

„Hmmm... ich lass mir was einfallen, okay? Als Wiedergutmachung?“ Erneutes Grummeln.

„Nun hör endlich auf mich anzumurren. Ich find schon eine Lösung.“ Ich stahl ihn einen Kuss und nahm mir ebenfalls einen Toast.

„Du darfst auch von mir runtergehen wenn du isst.“ Seine Stimme hörte sich jetzt schon viel fröhlicher an und die Aussage war eher belustigend als böse gemeint.

„Ich darf es auch bleiben lassen.“ Ich aß einen Bissen. „Oder bin ich zu schwer?“

„Nein, das nicht...“ Meine Lippen bewegten sich langsam auf sein Ohr zu und flüsterten:

„Ich liebe dich.“

„Dem!“ Ich musste erneut lachen.
 

Den ganzen Morgen lang dachte ich über eine Möglichkeit nach meinen kleinen Fehler bei Jay wieder gut zu machen. Es war schon irgendwie komisch, dass ich mir darüber Gedanken machte, wie wir alleine sein konnten um rumzumachen... wenn man das so aussprach. Aber es war ja im Grunde wirklich so. Chris fand die Geschichte äußerst amüsant, als ich ihr in der sechsten Stunde davon erzählte.

„Aber das heißt dann ja, dass er es von sich aus auch will. Du musst dir also keine Sorgen machen etwas gegen seinen Willen zu tun oder dass er sich dazu genötigt fühlen würde.“

„Ja. Das stimmt schon. Es macht mich ja auch irgendwie glücklich, dass er von sich aus damit ankommt... “

„Na siehst du.“

„Kannst du mir nicht den Schlüssel für den kleinen Raum leihen? Dann könnten wir da in der Pause hin.“

„Ihr wollt... in der Pause... nicht wirklich, oder?“

„Wieso nicht? Da haben wir wenigstens unsere Ruhe.“

„Ja, und nur 20 Minuten. Außerdem sieht man es jemanden an, wenn er gerade Sex hatte. Vor allem, wenn er es nicht gewöhnt ist. Das würde ich mir an deiner Stelle ersparen.“

„Hast du ne bessere Idee?“

„Warten, bis ihr wieder sturmfrei habt?“ Ich seufzte.

„Wer weiß, wie lange das dauert.“

„Willst du meine Wohnung haben?“

„...dein Ernst?“ Sie zuckte mit den Schultern

„Ich bin später eh nicht da. Solange du hinterher sauber machst tu dir keinen Zwang an.“

Ich schaute sie einige Sekunden ungläubig an. Hatte sie mir wirklich gerade ihre Wohnung angeboten, um dort mit meinem Freund rumzumachen?

„Chris, du bist echt toll. Das ginge echt in Ordnung?“

„Sonst würde ich es nicht anbieten, oder?“

Unser Lehrer räusperte sich. „Parker, Hazard, würden Sie bitte dem Unterricht folgen?“

Wir richteten unsere Blicke nach vorne. Chris schob mir einen Schlüssel rüber, mit einer Notiz auf ihrem Block ‚Bin um 9 wieder da, wehe ich erwische euch bei etwas ;)’

Ich kritzelte ein ‚Danke <3’ runter und nahm den Schlüssel entgegen.
 

Nach der Schule traf ich mich mit Jay beim Schultor. Wir wollten zusammen nach Hause gehen, doch mein Plan sah ja jetzt anders aus.

„Na, Zickchen.“ Ich wuschelte ihn einmal durch die Haare.

„Selber Zickchen!“ Er fing meine Hand ein, hielt sie länger, als eigentlich nötig. Ich ging voraus und schon nach einigen Minuten bemerkte er, dass ich einen anderen Weg einschlug.

„Wollen wir nicht nach Hause?“

„Nope. Ich hab ne Überraschung für dich.“

„So?“ Er schaute sich in der Gegend um. „Na, da bin ich ja mal gespannt.“

„Als Entschuldigung für gestern.“

„Ehm...“ Jay schaute verlegen zum Boden. „Da wollte ich mit dir noch drüber reden. Sorry für heute morgen. Ich... du warst einfach nur fertig vom gestrigen Tag. Tut mir leid.“

„Schon okay. Ich kanns ja verstehen.“ Ich griff nach seiner Hand.

„Dennoch... hey, ist das nicht der Weg zu Chris?“

„Yap.“

„Was wollen wir bei ihr?“ Ich hielt ihm den Schlüssel vor die Nase.

„Ein Schlüssel?“

„Zu ihrer Wohnung.“ Er sah mich verwirrt fragend an.

„Sie ist nicht da bis heute Abend.“

„...das heißt...“

„Yup.“ Jay lächelte als Antwort.
 

Ich schloss die Wohnungstür auf und ließ Jay hinter mir eintreten. Er war noch nie hier gewesen, aber für mich war es schon wie mein zweites Zuhause. Ich entledigte mich meiner Jacke und Schuhe und stellte meine Tasche auf die Couch. Jay tat es mir gleich und sah sich um.

„Wie kann sie sich eigentlich eine eigene Wohnung leisten? Und was ist mit ihren Eltern?“`

„Soviel ich weiß bezahlen die das. Die sind in Übersee und arbeiten da. Und Chris ist ja volljährig.“

„Das ist irgendwie ganz schön cool.“ Er setzte sich auf einen der Küchenstühle. Die Küche war direkt ans Wohnzimmer mit angebunden, einzig das Schlafzimmer und das Bad hatten eigene Räume.

„Naja. Sie muss selber putzen nach der Schule, selber einkaufen, Wäsche waschen, kochen und kann niemanden fragen, falls mal etwas kaputt geht. Es hat auch seine Negativseiten.“

„Wenn man so darüber nachdenkt... stimmt.“

Es kam mir irgendwie komisch vor, mich gleich an Jay ranzuschmeißen.

„Möchtest du etwas trinken?“ Ich versuchte die Situation irgendwie aufzulockern.

„Nein, danke, bin nicht durstig.“

Ich setzte mich neben ihn. Einige Sekunden lang schwiegen wir uns an. Es war eine komische Situation. So steif. So... gezwungen schon fast. Ich musste agieren. Ich lehnte mich vor und küsste ihm, er erwiderte den Kuss sofort. Meine Hand fuhr an seine Wange, die Andere unter sein Shirt. Meiner Zunge wurde Einlass gewährt und spielte mit seiner. Ich löste den Kuss.

„Wollen wir ins Schlafzimmer gehen? In der Küche ist es nicht so gemütlich.“

Jay nickte und folgte mir in das kleine Zimmer. Ich setzte mich auf das große Doppelbett und zog Jay mit mir, so dass er auf mir drauf lag. Augenblicklich machte er sich an meinem Nacken zu schaffen. Ich keuchte leise auf, doch dieses Mal wollte ich ihm nicht die Führung überlassen. Mit einem Rück rollte ich mich rum und hatte Jay nun unter mir liegen. Ich fuhr mit meiner Hand über seinen Schritt, konnte ihm einige leise Geräusche entlocken. Meine Hände schoben sein Shirt nach oben, entblößten die nackte Haut. Ich leckte mit der Zunge über seine Brust und seinen Bauch, hauchte flüchtige Küsse auf diese. Meine Lippen wanderten weiter nach unten, erreichten seinen Hosenbund. Ich öffnete den Knopf und den Reißverschluss seiner Hose, zog diese langsam nach unten bis sie am Boden lag. Nur noch seine Boxer trennte mich von einer Erregung. Ich fuhr mit der Hand ein paar mal über den Stoff. Jay zuckte unter mir zusammen. Ich musste grinsen.

Meine Finger fanden den Weg zu dem Gummizug und zogen auch dieses Kleidungsstück von seinem Besitzer. Jays Unterkörper befand sich nun entblößt unter mir. Ich strich ein paar mal über die blanke Haut, an seinem Glied vorbei, ließ ihn unter meinen Bewegungen erneut zucken.

„Dem...“ Er atmete schneller. Ich fuhr mit meinem Mund zu seiner Erregung, leckte leicht über die Spitze, fuhr dann zu seinen Seiten. Jay begann zu zittern. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was er gemacht hatte. Erst langsam, dann ein wenig schneller fuhr ich sein Glied auf und ab, fand immer wieder den Weg zu seiner Spitze.

„Bitte...“ Ich entschloss seinem Betteln nachzugeben, schloss letztendlich meine Lippen um die Spitze, saugte leicht dran. Langsam arbeitete ich mich voran, nahm von Mal zu Mal ein Stückchen mehr in meinen Mund, bis ich am Ende angelangt war und ihm komplett umschloss. Ich verschnellerte mein Vorhaben immer mehr, beschleunigte das auf und ab mit jedem Mal ein bisschen. Jay begann zu stöhnen. Es war ungewohnt, aber nicht unangenehm. Ich hatte es mir auf jeden Fall anders vorgestellt. Dass es mehr Überwindung kosten würde, so etwas zu machen. Aber es war wirklich nicht schlimm, im Gegenteil sogar. Diese Geräusche aus Jays Mund zu hören machten die Sache gleich wieder wett.

Es dauerte nicht lange, bis Jay in meinem Mund kam. Ich schluckte die klebrige Flüssigkeit. Solange man den Würgereiz überwand ging das auch ganz gut. Sie schmeckte zwar komisch, nicht vergleichbar mit irgendetwas anderen, was ich je zuvor geschmeckt hatte, aber es war okay. Ich wusste gar nicht warum so viele Mädchen darum immer einen Riesentrubel machten. Man konnte sich auch wirklich anstellen. Wenn man jemanden liebt, dann war so etwas ja wohl eine Kleinigkeit.

Jay stöhnte beim Kommen einmal laut auf, wurde dann leiser und fiel schlaff auf die Matratze zurück. Sein Atem beruhige sich langsam. Ich ließ von seinem Glied ab und wanderte wieder in die höheren Regionen seines Körpers, küsste seinen Hals.

„Alles okay?“

„Ich sehe Sterne. Gefühlt.“

Ich kicherte leise, begann abermals an seinem Ohr zu knabbern.

„Du bist echt Wahnsinn, das muss man dir lassen. Wo hast du das gelernt?“

Ich sah ihn mit fragendem Blick an.

„Gelernt? Darf ich dich daran erinnern, dass ich Jungfrau bin? ... War... whatever.“

„Dafür war das aber echt... unglaublich.“

„Danke. Ich hab mich nur versucht an das zu erinnern, was du gemacht hast.“ Jay wurde augenblicklich rot.

„Eh... okay...“

„Wir nehmen uns also nicht viel.“ Ich legte mich neben ihn und zog ihn in meine Arme, küsste ihn sacht.

„Und das auf Chris Bett. Das ist so... “

„Sie wird es uns schon verzeihen. Und zur Not komm ich halt morgen nach der Schule vorbei und wasch ihr das Bettzeug.“

„Du musst lernen.“

„Jaah... dafür bleibt auch noch genug Zeit. Keine Sorge.“

„Na ich hoffe.“

„Wenn wir erst mal unsere eigene Wohnung haben, müssen wir uns keine Gedanken mehr wegen so was machen.“

Jay nickte. Das war ein schöner Gedanke.

„Bereit für Runde 2?“

„Klar. Aber diesmal bin ich wieder dran.“ Und mit einem Mal lag ich wieder unter ihm.
 

Wir blieben bis etwa acht Uhr bei Chris und machten uns dann auf dem Heimweg. Wir haben extra noch das Bett neu bezogen, nur für den Fall, dass doch Flecken zu sehen waren. Das wollten wir meiner besten Freundin denn nun wirklich nicht antun. Dafür haben wir ihre Dusche genutzt, um eventuelle Spuren auf unseren Körpern verschwinden zu lassen. Es war das erste Mal, dass ich mit Jay zusammen unter der Dusche stand und auch die ein oder andere Berührung und ein paar Küsse blieben da nicht aus. Wir sollten öfter zusammen duschen gehen. Aber wahrscheinlich würde es dann ungewollt länger als nötig dauern. Außerdem musste einer von uns dann seine Gewohnheit mit der Duschzeit ändern. Und es würde nichts Besonderes mehr bleiben. Mal davon abgesehen, dass es zu Hause auch sicher jemand mitbekommen würde auf kurz oder lang... nein, dann lieber nur ab und zu. Das war schon okay.

Zu Hause und in unserem Zimmer angekommen setzte ich mich gleich an den Schreibtisch und versuchte den Lernstoff von heute aufzuholen. Schnell vertiefte ich mich in die Aufgaben und Übungen und die Zeit raste an mir vorbei. Jay lag auf seinem Bett und las ein Buch für die Schule weiter, konnte sein Gähnen aber nicht unterdrücken.

„Du kannst ruhig schon schlafen gehen, Sweetheart. Ich hab nicht umsonst eine Schreibtischlampe und das kann noch ein wenig dauern.“ Er sah von seinem Buch auf.

„Ist schon okay, ich warte. Ich würde eh nicht einschlafen können.“

„Du gähnst aber ganz schön häufig.“

„Aber deine Wärme würde mir fehlen. Wenn du dich einmal an so etwas gewöhnt hast kommst du davon nicht mehr los...“

Das war der Moment, in dem ich meinen Stift zur Seite legte und die Mappe zuklappte. Wer würde sich nach so einem Satz denn bitte noch auf Schulkram konzentrieren können? Ich legte meine Physiksachen zu den anderen Mappen, die ich morgen brauchte, stand auf und schaltete das Licht aus, ehe ich zu Jay ins Bett krabbelte.

„Dem?“

„Genug gelernt für heute. Ich bin auch müde.“

„Das klang eben noch ganz anders. Woher der plötzliche Meinungswechsel?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Man muss sich ja auch nicht verausgaben, nicht wahr?“ Jetzt musste ich selbst Gähnen.

„Mein Bett vereinsamt da drüben wirklich noch. Im Grunde können wir das bereits als Ablage benutzen.“

„Naja, ein wenig sollten wir schon den Schein wahren, dass du da noch selbst drin schläft. Außerdem kann es immer mal sein, dass wir es brauchen. Wenn einer von uns mal Zeit für sich braucht zum Beispiel.“

„Ich hoffe, dass wird nie der Fall sein.“

„Ich auch.“ Jay kuschelte sich näher an meine Brust, ich schlang meine Arme um seinen Rücken.

„Schlaf gut, Schatz.“

„...solche Worte sind immer noch so ungewohnt.“

„Daran gewöhnst du dich. Gezwungenermaßen.“ Er kicherte leise.

„Schlaf auch du gut. Gute Nacht.“

Eine Weile lauschte ich noch seinem Atem, seinem Herzschlag. Er lag mir so nah, dass ich ihn ohne Probleme hören, ja selbst spüren konnte, wenn ich leise genug war. Es war für mich das schönste Geräusch der Welt. Schon immer gewesen. Und ich wusste, dass sein Herz mir gehörte. Und nur für mich schlug. Und Meinem erging es mit ihm nicht anders.

Kapitel neunzehn

Ich gab Chris am nächsten Tag in der Schule den Schlüssel zurück und bedankte mich noch einmal, dass sie uns ihre Wohnung geliehen hat.

„Kein Problem, Dem. Solange das nicht zur Gewohnheit wird.“

„Keine Sorge. Auf Dauer werden wir uns etwas anderes einfallen lassen. Ich weiß zwar noch nicht was, aber uns wird schon was einfallen. So selten ist es auch nicht, dass wir mal sturmfrei haben.“

Sie lächelte und versuchte der Aufgabe, die an der Tafel vorgerechnet wurde, zu folgen. Ich schaute gelangweilt aus dem Fenster. Mittwoch, die ersten beide Stunden. Mathe im Leistungsgrundkurs. Ich langweilte mich zu Tode. Wer kam noch mal auf die Idee? Ich hoffte echt, dass sich diese beiden quasi verlorenen Stunden nicht in den Endprüfungen bemerkbar machten. Sehnsüchtig wartete ich auf die Pause.
 

Der Schultag ging schnell vorbei. In den beiden Stunden Englisch sahen wir einen Film und in Physik machten wir mit den Übungen für Montag weiter. Ich hatte fast alle Aufgaben, die ich zu Hause bearbeitet hatte, richtig, aber bemerkte, dass ich trotzdem noch ein bisschen was tun musste. Dafür waren die Lösungswege einfach zu lang und manchmal zu unübersichtlich.
 

Ich schloss die Haustür auf, entledigte mich Jacke und Schuhe und machte mich auf den Weg in die Küche, um mir eine Pizza in den Ofen zu schieben. Jay wollte nach der Schule noch zu Lucas um für einen Test morgen zu lernen und würde dort auch essen. Warum mussten die Lehrer die Tests und Klausuren immer kurz vor die Ferien legen und dann alle auf einmal? Ich grummelte.

Nachdem ich gegessen hatte, ging es zurück an den Schreibtisch, erst Hausaufgaben machen und dann weiter lernen. So war zumindest der Plan. Ich war gerade bei meinen Geschichtshausaufgaben als es an der Tür klopfe. Ich schaute überrascht auf.

„Herein.“

Grace öffnete die Tür und trat ins Zimmer, setzte sich auf Jays Bett. Ich schaute sie verwirrt an.

„Ich brauch deinen Rat, Demian.“

Was bitte...? Seit wann brauchte sie meinen Rat? Sie hatte genug Freundinnen, die sie fragen konnte. Wir lebten normalerweise nebeneinander her und redeten nicht allzu viel miteinander.

„Schieß los.“ Nun war ich doch schon neugierig.

„Ich... weiß nicht so recht, wie ich das sagen soll.“ Ich zog eine Augenbraue nach oben.

„So wie es ist und klar heraus würde ich sagen.“

„...okay.“ Sie atmete einmal tief durch.

„Ich bin schwanger.“

„...“ Ich brauchte ein paar Sekunden um diesen Satz zu begreifen und zu verdauen.

„...du bist WAS?“

„Hast schon richtig verstanden. Ich bekomm ein Baby.“

„Gewollt?“

„Nein, das ist es ja. Und ich... ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Tränen stiegen ihr in die Augen, sie vergrub das Gesicht in den Händen.

„Erst einmal ruhig bleiben. In welchen Monat bist du?“

„Ende des Zweiten meint der Frauenarzt. Ich habs auch heute erst erfahren, als ich da war. Eigentlich nur zur Routineuntersuchung und weil meine Periode schon zum zweiten Mal ausblieb.“ Zu viele Informationen, danke.

„Weiß dein Freund schon davon?“

„Nein... ich wollt ihm das später noch sagen.“

„Und warum fragst du mich um Rat und nicht später ihn?“

„Weil...“ Noch einmal holte sie tief Luft. „Ich weiß nicht ob ich es behalten will. Aber eigentlich kann doch das Kind nichts dafür, dass wir nicht aufgepasst haben. Ich will es zumindest zur Welt bringen, ob ich es aufziehen kann ist die andere Frage. Aber so oder so werd ich es Ma und Richard sagen müssen. Und ich dachte vll. kannst du mir helfen.“

„Es den beiden beizubringen? Hmmm...“ Ich wusste wirklich nicht, wie beide reagieren würden. Im Grunde waren sie recht locker, aber ein Kind ist eine große Verantwortung. Und die Beiden würden diese mit tragen müssen, immerhin ist Grace erst 18 und wird auf jeden Fall Erziehungsbeistand brauchen.

„Traust du dir ein Kind denn zu?“

„Ich... weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich hab mir darüber nie Gedanken gemacht. Wer konnte denn auch ahnen, dass es so früh passiert?“

„Das sind halt die Risiken beim Sex.“ Zumindest bei dem zwischen Mann und Frau. Sie fing an zu schluchzen, Tränen rannen ihr über die Wangen.

„Hey...“ Ich setzte mich neben ihr aufs Bett, legte einen Arm um sie und versuchte meine Schwester zu beruhigen.

„Mach dir mal keinen Stress. Dass du schwanger bist ist nicht der Untergang der Welt. Wir werden das Ma und Richard heute Abend in aller Ruhe erklären und dann könnt ihr zusammen entscheiden, was die beste Entscheidung ist. Wenn du das Kind auf jeden Fall austragen möchtest hast du immer noch... sieben Monate Zeit um dir zu überlegen ob du es selbst behältst oder zur Adoption frei gibst. Das Wichtigste ist du und das Kind sind gesund.“

Sie hörte auf zu weinen, sah mich durch ihre Hände hindurch an.

„Seit wann bist du so vernünftig geworden?“

„Hey. Ich werde auch nicht jünger, weißt du?“ Sie lächelte leicht.

„Danke, Dem.“

„Wenn du es selbst aufziehen möchtest gibt es auch genug Beratungsstellung für junge Mütter an denen du dich wenden kannst.“

„Und meine Ausbildung?“

„Deine Prüfung ist Anfang April, oder? Dann bist du im 7. Monat, also denke ich mal, dass du die noch ablegen kannst. Und dann gehst du in Mutterschutz.“

„Stimmt. Das hab ich noch gar nicht bedacht. Ich hab vorhin einfach nur Schwarz gesehen.“

„Verständlich. Wann sind die Beiden denn zu Hause?“

„Gegen Acht schätze ich.“ Ich schaute auf die Uhr. Das waren noch etwa zwei Stunden.

„Willst du hier bleiben oder wieder rüber?“

„Ich geh zurück in mein Zimmer. Du lernst gerade, oder?“ Ich nickte.

„Wäre aber auch nicht dramatisch gewesen. Dann bis später.“

Grace verließ mein Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
 

Ich konnte mich nicht mehr wirklich auf meine Aufgaben konzentrieren, da mich der Gedanke nicht los ließ. Ein Kind bekommen. Das bedeutete wahnsinnig viel Verantwortung. Man war für ein kleines, hilfloses Lebewesen verantwortlich, welches sich voll und ganz auf einen verließ. Das war wirklich keine leichte Entscheidung und ich wollte nicht mit ihr tauschen. Sie würde ihr ganzes Leben umkrempeln müssen, keine Partys mehr jedes Wochenende, keinen Schlaf für die erste Zeit... das musste gut überlegt werden.

Erst jetzt erreichte mich die Erkenntnis, dass ich dadurch ja Onkel werden würde. Ein merkwürdiger Gedanke. Was Jay wohl dazu sagen würde? Sollte ich ihn anrufen oder warten, bis er nach Hause kommt? Ich entschloss mich für letzteres, immerhin wollte ich ihn nicht beim Lernen stören. Nur weil ich mich nicht mehr konzentrieren konnte, hieß das nicht, dass ich ihm das wünschte.

Meine Gedanken flogen nur so umher, dass ich ganz die Zeit vergaß. Erst als es erneut an der Tür klopfte sah ich von meinem Blatt Papier auf. Ich hatte sage und schreibe zwei ganze Sätze geschrieben.

„Ja?“ Grace schaute durch den Türspalt.

„Sie sind jetzt zu Hause. Kommst du?“ Ich stand auf und ging mit ihr nach unten.
 

Das Gespräch verlief eigentlich ganz gut. Ma wäre Anfangs wohl am liebsten in Ohnmacht gefallen und musste sich erst einmal setzen. Richard starrte Grace die ganze Zeit überrascht an. Grace schaute nur zum Boden. Dann aber fing sich zumindest Ma wieder, nahm sie auf ihren Schoß und erklärte, dass es okay sei und dass sie in jeder Entscheidung ihre volle Unterstützung bekommen würde. Was anderes hätte ich von unserer Mutter eigentlich auch nicht erwartet. Grace fing abermals an zu weinen, diesmal aber mehr vor Erleichterung und Freude. Sie hatte auch bereits David angerufen und ihm davon erzählt. Ihr 20-jähriger Freund war zwar zuerst geschockt, stand aber ebenfalls hinter ihr. Da hatte meine Schwester wirklich Glück gehabt in einer so verständnisvollen Umgebung zu leben. Ich bat Grace an jederzeit zu mir kommen zu können, wenn sie wieder einmal Rat brauchte. Irgendwie war es schon ein schönes Gefühl, für sie als Bruder agieren zu können.
 

Jay kam gegen zehn zurück nach Hause. In unseren Zimmer schmiss er sich als erstes aufs Bett.

„Ich will heute nicht eine Jahreszahl mehr sehen. Zu viele Informationen an Geschichte für einen Tag.“ Ich grinste und stand von meinem Schreibtisch auf. Eigentlich war meine Hoffnung nach dem Duschen und Umziehen noch etwas zu schaffen, doch die löste sich auch beim zweiten Versuch in Luft auf. Ich legte mich neben Jay aufs Bett.

„Soll ich dich mal schocken?“ Er sah auf.

„Hm? Was haste jetzt wieder verbockt?“

„Du wirst Onkel.“ Ich grinste breit. Man konnte Jays Kopf quasi rattern hören, seine Augen wurden immer großer und nach einigen Sekunden sprang er geschockt auf und saß kerzengerade im Bett.

„Bitte was?? Wie jetzt? Im Ernst? Wen hast du geschwängert??“

Ich konnte nicht anders und fing lauthals an zu lachen.

„Das ist nicht lustig, klär mich mal bitte auf.“

„Ist es auch nicht aber deine Reaktion... die ist klasse. Nein, ich hab nichts gemacht, Grace ist schwanger.“

„... ... ... Grace ist schwanger??“

„Ja.“

„Im Ernst??“

„Jaah. Denkst du ich lüg dich an in solchen Sachen?“

„Und was sagen Susan und Dad dazu? Wissen die das schon?“

„Ja, sie hat es ihr vorhin erzählt. Die stehen hinter ihr.“

„Das ist schön...“ Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, aber ein wenig Verbitterung schwang mit.

„Alles okay?“

„Ja...“ Er seufzte, legte sich zurück aufs Bett.

„Ich dachte nur gerade an etwas.“

Ich rappelte mich auf, ging zum Lichtschalter und löschte das Licht bevor ich zurück ins Bett kroch und die Decke über uns Beide zog.

„An was?“

„Nun ja. Sie hat es eigentlich gut. Sie ist zwar schwanger aber das ist in der Gesellschaft nichts verwerfliches. Weil es einfach so passieren kann. Würden wir unseren Eltern erzählen, dass wir zusammen sind würden sie wahrscheinlich ganz anders reagieren. Immerhin sind wir Geschwister. Aber wir haben es uns doch auch nicht ausgesucht, als wir uns verliebt haben.“

Ich zog ihn näher an mich. Ich konnte seine Ansicht gut verstehen.

„Als Teenager schwanger zu sein ist immer noch mehr angesehen als schwul zu sein fürchte ich. Das ist ganz schön lächerlich, oder?“

„Ist es. Aber daran kann man nichts ändern. Nicht alleine zumindest.“

„Mhm...“ Er schloss die Augen und war wenig später eingeschlafen.
 

Am nächsten Tag hatte ich nur fünf Stunden Schule. Glücklicherweise ließ Chris mich die Fächer, die ich mit ihr zusammen hatte, abschreiben. Meine Hausaufgaben hab ich nämlich nicht mehr fertig bekommen. Mitten in der fünften Stunde erreichte mich eine SMS. Zum Glück war mein Handy nur auf Vibration und diese war so leise, dass nur ich es in meiner Hosentasche merkte. Ich schaute heimlich drauf. Sie war von Jay.

‚Du, ich, Kino heut Abend? Lad dich ein. xxx’

Ich grinste. Konnte man da nein sagen?

‚Okay!’, schreib ich zurück. Es war lange her, dass ich das letzte Mal mit Jay im Kino war. Bestimmt zwei Jahre. Darum war die Vorfreude nur noch größer. Das Grinsen wollte nicht aus meinem Gesicht verschwinden und als die Schulglocke schellte war ich der Erste aus dem Kursraum. Auch wenn unsere Verabredung erst heute Abend war. Unser... Date.

Jay hatte länger Schule und ich ging ohne ihn nach Hause. Im Kühlschrank war noch ein Rest des gestrigen Essens, welches ich mir schnell warm machte. Ich fragte mich welchen Film sich Jay wohl ausgesucht hatte. War das wirklich ein Date oder wollte er einfach nur einen neuen Film sehen? Andererseits... er lud mich ein. Also war es ein Date. Ich wurde leicht rot. Das war irgendwie wahnsinnig süß.

Den Rest des Nachmittags saß ich wie auf heißen Kohlen und wartete im Wohnzimmer vor dem Fernseher auf Jays Rückkehr. Ich sprang auf als ich die Haustür hörte und kam auf ihn zu.

„Hey Dem.“ Er zog sich seine Jacke aus, ließ die Schuhe aber an.

„Ich geh nur eben nach oben, dauert nicht lange. Können wir dann los?“

„Klar. Ich hab nur auf dich gewartet.“

„Die ganzen Tag? Gar nicht am Lernen?“

„Nein... zu nervös.“

Jay grinste und ging die Treppen hoch. Ich zog mir währenddessen Jacke und Schuhe an.
 

Etwa eine Viertelstunde später waren wir auf den Weg in die Stadt. Von uns zu Hause bis zum Kino lief man etwa 25 Minuten. Aber es war heute nicht so kalt und vor allem war es windstill, darum war es schon okay.

„Welchen Film möchtest du denn sehen?“ Ich sah ihn fragend an.

„Keine Ahnung. Ich dachte wir entscheiden spontan.“

„Ach so. Dann wolltest du gar keinen Bestimmten sehen?“

„Nein. Ich wollte nur mit dir ins Kino. Keine Ahnung... mich überkam plötzlich dieses Verlangen.“

„Du bist echt süß.“

„Hey...“

„Ich meins erst. Gut, dann suchen wir uns gleich einfach einen schönen aus. Wie wärs ganz kitschig mit ner Liebesromanze?“

„...schauen wir dann mal.“ Ich lachte.

„Okay.“
 

Wir entschieden uns für The Avengers. Ich war etwas überrascht, dass Jay mit mir in diesen Film ging, aber ich beschwerte mich auch nicht. Nachdem wir uns Popcorn und Cola gekauft hatten, suchten wir uns einen Platz relativ weit oben in der Mitte. Da der Film schon eine Weile lief war das Kino nur milde besucht und wir hatten fast die ganze Reihe für uns. Das Licht wurde gedämmt und die Kinowerbung begann. Jay kuschelte sich an mich. Eigentlich wäre es praktischer gewesen einen dieser Pärchenplätze zu belegen, aber die waren immer ganz am Rande und die Chance, dass jemand einen dort sehen konnte war um einiges größer.

Sich auf den Film zu konzentrieren erwies sich als schwerer als gedacht mit Jay so dicht neben mir. Trotzdem konnte ich am Ende behaupten, dass ich verstand, warum dieser Film so viele Millionen bereits eingespielt hatte. Er war wirklich gut gewesen.

Als wir auf dem Rückweg waren, war es bereits stockdunkel. Der Wind wehte kalt und kräftig, ich zog mir meinen Kragen höher um gegen ihn zu bestehen. Wir unterhielten uns über den Film, diskutieren verschiedene Szenen und Handlungen der Charaktere und erzählten uns unsere Lieblingsstellen. Jay hielt den ganzen Weg über meine Hand, die dadurch angenehm warm blieb. Es war dunkel, also konnte man uns nicht sehen. Etwas Gutes hatte der Winter also doch. Wir konnten ruhig öfter zusammen ins Kino gehen. Es ist ein schönes Gefühl eng neben Jay gekuschelt einen guten Film zu sehen.

Als wir zu Hause ankamen war es bereits recht spät. Wir hatten noch einen kleinen Umweg eingeschlagen und uns einen heißen Kakao beim Kiosk gekauft, den wir gemütlich im Park tranken. Es war zwar arschkalt auf der Parkbank aber das ignorierten wir beide gekonnt. Die Sterne schimmerten heute besonders hell. Man sagt ja je kälter es ist, desto heller ist der Nachthimmel. Es war ruhig und außer uns war niemand dort. Ein schöner Ausklang nach dem actionreichen Film.

Ich stieg schnell unter die Dusche, dessen Wärme ich heute besonders begrüßte und krabbelte dann zu Jay ins Bett nachdem ich das Licht ausgemacht hatte. Erst als ich auf der Matratze lag fiel mir ein, dass ich heute schon wieder nichts für Physik tun konnte. Es wurmte mich. Mittlerweile lag ich mit dem Lernen nämlich wirklich zurück. Mir fiel eine Möglichkeit ein, wie ich es aufholen konnte. Doch die gefiel mir eigentlich selbst nicht wirklich.

„Jay?“

„Mhm?“ Mein Sonnenschein bewegte sich, so dass er mich ansehen konnte.

„...ach nichts. Danke für den schönen Abend.“ Er lächelte.

„Gerne. Immer wieder.“ Dann schloss er die Augen. Ich konnte es ihm jetzt nicht sagen, er würde sich die Nacht nur den Kopf darüber zerbrechen. Morgen beim Frühstück wäre auch noch genug Zeit.

Kapitel zwanzig

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Epilog

Inzwischen sind gut 2 Jahre vergangen und ich erinnere mich mit einem Lächeln auf dem Gesicht an diese Anfangszeit zurück. Es war nicht immer einfach, erst Recht nicht, als dann bei mir die Abschlussprüfungen anfingen und ich nur noch sehr wenig Zeit für meinen Sonnenschein hatte. Diese Zeit war ein ständiges auf und ab, doch ich habe das große Glück eine sehr verständnisvolle Personen meinen Partner nennen zu dürfen. Als er ein Jahr später in der selben Situation war konnte er nachvollziehen, warum ich mich zwei Wochen lang bei Chris aufhielt und nach der Schule länger blieb um zu lernen.

Ich habe meinen Abschluss mit einem sehr guten Schnitt bestanden und abschließend einen Platz bei einem Sportverein in der Nähe gefunden, wo ich ein Jahr lang gearbeitet habe um zu überbrücken. Es hat Spaß gemacht, das muss ich schon zugeben. Meine Ma und Richard haben sich zwar gewundert, warum ich mich dazu entschlossen hatte – immerhin war ich nie wirklich in Sport interessiert gewesen. Die Motocross-Geschichte haben sie zum Glück bis heute nicht mitbekommen. Wer weiß, vielleicht erzähle ich es ihnen noch einmal, aber eigentlich finde ich es viel einfacher sie im Ungewissen zu lassen. Letztendlich standen die Beiden aber auch hinter meiner Entscheidung. Es war immerhin mein Leben und ich würde schon wissen, was ich tue. Ich finde es generell ganz schrecklich wenn sich die Eltern zu sehr in die Zukunftsentscheidungen der Kinder einmischen. Ich meine gut, wenn das Kind jetzt vor hat PopStar zu werden und deswegen nach der 6. Klasse die Schule schmeißen will ist das natürlich etwas anderes. Aber ich bin immerhin volljährig, habe 13 Jahre Schule hinter mir und halte mich selbst für so verantwortungsbewusst, dass ich mein Leben schon alleine planen kann.

Der Sportverein war hauptsächlich auf Ballsportarten ausgelegt. Auch wenn es nicht zu meinen Aufgaben gehörte zu spielen, durfte ich das ein oder andere mal als Vertretung mit aufs Feld. Ich kann wirklich sagen, dass der Spaß der Arbeit überwiegte. Ist eigentlich auch ganz angenehm noch ein wenig Fun vor der Uni zu haben.

Wenn ich nicht gerade im Verein war, half ich Jay bei seinem Schulkram. Immerhin wollten wir auf die selbe Uni, da musste er nachziehen mit den Noten. Nicht, dass er es nötig gehabt hätte sich übermäßig anzustrengen. Er war mindestens genauso gut in der Schule wie ich, wenn nicht sogar noch besser. Aber wie es denn so kam fehlte oftmals die Motivation zum Lernen, woran ich auch nicht gerade unschuldig war.

Jay machte seinen Schulabschluss mit einer 0,2 Punkte besseren Note als ich. Wir beworben uns Zeitgleich für eine staatliche Uni, etwa zwei Stunden mit dem Zug von hier entfernt. Ich entschloss mich Physik zu studieren, was im Grunde gleich von Anfang an mein Ziel gewesen war. Jay schrieb sich in Germanistik und Englisch ein. Eine ganze Weile erhielten wir keine Antwort und wir wurden schon leicht panisch. Immerhin beworben sich extrem viele Leute an dieser Uni. Sie hatte keine Studiengebühren, war in einer sehr schönen und vor allem günstigen Stadt und hatte einen guten Ruf. Erst im August erhielten wir beide zeitgleich unsere Zugsage. Ab dann musste alles schnell gehen. BaFög-Antrag, Wohnungssuche, der Umzug... aber Richard und Ma unterstützten uns so gut es ging. Wir fanden eine schöne 2-Zimmer Wohnung im Zentrum der Stadt. Sie war groß und verhältnismäßig günstig, so dass wir sie zusammen ohne weiteres bezahlen konnten.

Endlich eine eigene Wohnung mit Jay zu haben war der Wahnsinn. Man musste nicht mehr darauf achten, ob man alleine zuhause war, man konnte händchenhaltend durch die Stadt gehen weil niemand wusste, dass wir eigentlich Stiefbrüder sind. Dadurch, dass unsere Nachnamen verschieden waren kamen auch keine dummen Fragen in der Uni auf. Und wir beschlossen auch niemanden von unserer Vergangenheit zu erzählen. Es war quasi wie ein Neuanfang. Und das gefiel mir.

Ich muss zugeben, dass ich anfangs Schwierigkeiten mit meinen Fächern hatte. Man merkt halt doch wenn man ein Jahr lang nur Praxisarbeit gemacht hatte, dass die Theorie eingerostet war. Doch nach einiger Zeit hatte ich mich wieder gefangen und jetzt läuft es prima. Darüber bin ich auch mehr als froh.

Mit Chris habe ich immer noch Kontakt, doch sie ist nach dem Schulabschluss bereits umgezogen um zu studieren. Wir treffen uns etwa einmal im Monat, wenn es die Zeit zulässt und wir telefonieren regelmäßig. Immerhin möchte ich den Kontakt zu meiner besten Freundin nicht verlieren.

Auch mein Verhältnis zu Grace ist besser geworden. Sie hat sich nach langen Überlegungen dazu entschieden ihr Kind zu behalten. Während ihrer Schwangerschaft hat sie drei Seminare belegt, die speziell für junge Mütter sind, die vor dieser Entscheidung stehen. Sie hat einen gesunden Sohn zu Welt gebracht, der mittlerweile bereits anderthalb Jahre alt ist. Sie hat mich sogar zum Patenonkel von Noah gemacht. Als wir noch zu Hause gewohnt haben, haben wir sogar ab und an auf ihn aufgepasst, als sie sich mit ihren Freundinnen treffen wollte oder ein Date mit ihrem Freund hatte. Ich muss schon sagen, Grace ist eine recht gute Mutter. Trotz ihres Alters steht sie zu ihrer Entscheidung. Natürlich geht sie auch ab und an noch weg, aber es nimmt nicht Überhand und wenn sie keinen Babysitter findet bleibt sie zu Hause und schiebt Noah nicht irgendwo ab. Mittlerweile ist sie sogar mit David verlobt. Ich bin froh, dass diese Geschichte so gut ausgegangen ist. Immerhin hätte es auch ganz anders laufen können, wenn man bedenkt, was oft durch die Presse geht.

Noch heute erinnere ich mich gerne an den Tag zurück, an dem ich zum ersten mal mit Jay schlief. Ich hätte mir damals nie zu Träumen gewagt, dass dieser Tag einmal kommen würde. Nun ist er schon so weit in die Vergangenheit gerückt und noch immer bin ich glücklich mit ihm. Ich weiß nicht, ob es für immer sein wird. Vielleicht werden sich unsere Wege eines Tages doch trennen. Niemand weiß das. Aber warum sollte man sich darüber jetzt Gedanken machen? Ich genieße unsere gemeinsame Zeit in vollen Zügen und bereue nichts. Nicht einen einzigen Tag.


Nachwort zu diesem Kapitel:
...soviel zum Thema regelmäßig uploaden >D
Es tut mir leid! Ich versuch mich zu bessern.
Das Kapitel ist leider ungebetat, aber ich hoffe ihr stört euch nicht zu sehr dran. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und wieder ungebetat >D Tut mir leid! Meine Betaleserin hat momentan leider etwas Stress :( Aber ich denke es ist trotzdem lesbar ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und wieder nicht gebetat.
Ich fürchte das wird auch bis zum Ende des Story so bleiben ^^; Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorry für die Verspätung ;__; Durch die LBM hat es sich irgendwie in die Länge gezogen...
Ich _versuche_ (!) ab sofort 3 mal die Woche zu uploaden, würde die Story nämlich jetzt so langsam echt gerne komplett oben haben xD Mal sehen ob das klappt, lalala~ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Eines meiner persönlichen Lieblingskapitel :3
Hoffe es gefällt!
Jetzt wird es langsam heißer, hohoho >D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Oh Dem du Nudel, was machst du schon wieder fürn Käse? XD
Auch dieses Kapitel mag ich sehr ;D
Bald, bald, bald... °^° Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorry für die Verspätung.
Aufgrund eines Trauerfalls hatte ich nicht wirklich Motivation weiter zu betan.
Ich bin immernoch nicht wieder ganz aufn Damm, dementsprechend lasch ist auch die Korrektur.
Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel trotzdem ^^;
Ich persönlich finde es übelst kitischig, kann aber auch an meiner momentanen Stimmung liegen. Ich versuch ab jetzt wieder schneller hochzuladen.

Ich bedanke mich aber auch sehr bei den Kommischreibern und allen, die die FF auf ihrer Favoliste haben und lesen! Ihr macht mich wahnsinnig glücklich >v< Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und der Kitsch geht weiter >D;; Hahaha.
Ich hoffe, es ist nicht zu schnulzig >D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und der Kitsch geht weiter 8D
Ich hoffe, es ist nicht zu viel ;__;
Beim nochmaligen Rüberlesen denk ich mir immer "OMG, ist das schnulzig", aber ändern kann ich es ja leider nicht mehr >D;;
Hoho, im nächsten Kapitel gehts dann endlich mal zur Sache XD
Zumindest... ein bisschen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin mir gerade echt unsicher ob das schon als adult gilt...?
Hab ich eigentlich minderjährige Leser?
Spätestens im letzten Kapitel werde ich makieren müssen >D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorry für die lange Wartezeit, aber ihr kennt es ja mittlerweile nicht anders xD
Dem ist aber auch n Schussel 8D
Ich mag ihn trotzdem, tehehe >D
Hoffen wir, dass ich beim nächsten Kapitel schneller in die Pötte komme *g* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Freischalter, bitte entscheidet ob es als adult gestellt werden soll oder nicht °^° Danke.

Hoho, es geht wieder heiß her >D
Ich schreib so selten Yaoi-Scenen, daher verzeit, wenn es sich komisch liest v//v Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Vorletztes Kapitel, hohoho.
Ein Epilog kommt zwar auch noch, aber die Hauptstory ist mit dem Nächsten zu Ende :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So! Und zu Ende! Finito, Basta, Aus! XD
Danke, dass ihr die FF gelesen hat, verzeiht die 500ste Menge an Kitsch und die Rechtschreibfehler. Ich würde mich nach wie vor über Kommentare freuen :)
Bis zum nächsten Mal! ♥ Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von:  emina
2013-05-29T08:28:21+00:00 29.05.2013 10:28
Ich dachte ich hinterlasse mal zwei Kommentare ^_^
weil du es verdienst und weil ich es oft nicht geschafft habe welche zu schreiben obwohl ich es wollte.

Danke für die Geschichte hat echt Spaß gemacht sie zu lesen, Dem und Jay sind einfach ziemlich süß ^^. Mich wurde nur noch eine Kleinlichkeit interessieren wie werden ihre Eltern reagieren wenn sie es ihnen sagen?

Noch mals Danke und hoffe ich lese bald wieder was von dir.



Von:  emina
2013-05-29T08:22:47+00:00 29.05.2013 10:22
Ich fand die Sex-Scene gar nicht so schlecht aber ich kann dich verstehen das es dir peinlich ist ich glaube nicht das ich es schreiben könnte (hab es versucht ging nicht *^_^*) Also Kompliment das du es geschrieben hast obwohl es dir peinlich war ^_^

und Dem ist so süß und tollpatschig was würde er bloß ohne seinen Jay machen ^__^
Von:  emina
2013-04-17T14:27:06+00:00 17.04.2013 16:27
Ich finde es nicht zu Kitschig, obwohl ich Kitsch mag hihih ^_^
Ich finde die Beiden einfach süß und Chris ist eine echt tolle Freundin
Freue mich auf die Fortsetzung ^-^
Von:  tenshi_90
2013-04-01T18:37:33+00:00 01.04.2013 20:37
Das Kapitel is ja richtig süß und knuffig :) Die beiden sind so ein süßes Paar :)


Von:  emina
2013-03-26T10:27:49+00:00 26.03.2013 11:27
ooooooooooo super ich freue mich auf mehr
endlich gestehen sie sich die Gefühle für einander ein

ein kleiner Fehler den ich bemerkt habe, „Weißt du Jay,...“ sollte hier nicht Dem stehen ^__^

Antwort von:  Ryo
26.03.2013 11:50
ahhhh du hast Recht!!
*schnell änder*
So ein dummer Fehler >D Danke fürs Aufmerksam machen ;-;
Von:  tenshi_90
2013-03-21T16:09:36+00:00 21.03.2013 17:09
Huhu :)

Schönes Kapitel :) Bin gespannt wanns weiter gehen wird ^^
Von:  tenshi_90
2013-03-08T21:52:34+00:00 08.03.2013 22:52
Tolle Story :)

Bin echt gespannt, wie das jetzt weitergehen wird :)
Von:  Paramore
2013-03-03T12:05:07+00:00 03.03.2013 13:05
Hey ho!

Also ich war bis jetzt stille Leserin, möchte mich aber auch mal melden!

Ich finde die story wirklich toll und hoffe dass du schnell uploadest! *hibbl*
Ich kann beide Seiten verstehen und auch wenn mir Dem leid tut, tut es Jay im Moment genauso. Von heute auf morgen hat Dem praktisch den ganzen Kontakt zu ihn abgebrochen und wäre ich Jay, wäre ich mächtig sauer und enttäuscht :/ wenn plötzlich mein Bruder nicht mehr mit mir redet, oder mich nich mehr sehen wollen würde. Auweiah ... D;

Ich hoffe dass du schnell weitermachst!!! *hibbl*
Von:  emina
2013-03-01T18:54:46+00:00 01.03.2013 19:54
Vielleicht hilft dir ein Kommentar beim regelmäßigen upload ^__~
Ich finde die Story echt toll und mir tut Jay soooo leid,Dem ist ein Idiot obwohl ich ihn verstehen kann.
BIIIIIIIIIIIITTE schreib schnell weiter ^__^


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